Michelangelo – Der überhörte Weckruf

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Rückkehr nach Florenz – Michelangelos David

Die Pietà begründete zwar den Ruhm Michelangelos, doch er blieb nicht in Rom, sondern folgte dem Ruf von Freunden nach Florenz. Dort lag seit langem ein als „verhauen“ geltender großer Marmorblock im Hof der Dombauhütte, der vergeben werden sollte. Michelangelo überzeugte mit seiner Zusage, aus diesem eine Statue aus einem Stück zu fertigen und erhielt den Block. Als Werkstatt und zugleich Schlafplatz diente ihm ein abgetrennter Raum in der Dombauhütte. Er schuf aus diesem „verhauenen Block“ seinen David.10 Sowohl Donatello11 als auch Verrocchio12 hatten ihren Bronze-David dargestellt als zartgliedrigen Jüngling, nach vollbrachter Tat, das Schwert in der Hand und das abgeschlagene Haupt des Riesen zu Füßen. Michelangelos David dagegen ähnelt mit seinen breiten Schultern und der athletischen Figur eher einem Herkules und dargestellt ist der Moment vor der Tat. Die Schleuder bereit zum Einsatz blickt er mit in Falten gezogener Stirn konzentriert und furchtlos auf den sich nahenden Gegner.

Im Winter 1503/1504 war sein David vollendet und wurde durch Beschluss einer aus den vornehmsten Künstlern von Florenz bestehenden Kommission nicht in der Nähe des Doms, sondern vor dem Palazzo della Signoria (heute Palazzo Vecchio) aufgestellt. Dieser Standortwechsel beinhaltet sowohl einen Bedeutungswechsel der Statue von der biblischen hin zur politischen Inanspruchnahme als auch der Demonstration von ständiger Bereitschaft und unter göttlichem Schutz stehender Kraft.

Nach Vollendung seines David folgte auf Bitten seines Freundes Soderini ein heute verlorener Bronze-David, der dem David Donatellos nachempfunden sein sollte, und als Geschenk nach Frankreich ging. Im gleichen Zeitraum entstand im Auftrag der flandrischen Kaufmannsfamilie Moscheroni der Bronzeguss einer Madonna mit Kind, der nach Fertigstellung nach Flandern geschickt wurde, sowie im Auftrag von Angelo Doni, eines angesehenen florentiner Bürgers, das sogenannte Doni-Tondo, das Michelangelo malte, um – wie Condivi erwähnt – die Malerei nicht ganz aufzugeben.13

Nach Condivi folgte dann eine Zeit, in der Michelangelo „fast nichts in seiner Kunst hervorbrachte, in der er sich damit beschäftigte, die heimatlichen Dichter und Redner zu lesen und Sonette zu seinem Vergnügen zu machen, …“14

Vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung Michelangelos gewinnt diese Bemerkung Condivis besondere Bedeutung, lässt sie doch erkennen, dass Michelangelo bereits zu diesem frühen Zeitpunkt sich intensiv und aus eigenem Antrieb mit dem Verfassen von Gedichten beschäftigte. Michelangelo schuf in seinem langen Leben eine Vielzahl von Gedichten, in die seine Gedanken einflossen und die uns heute behilflich sein können, uns dem Verständnis seiner Bildwerke zu nähern. Zu Lebzeiten Michelangelos und auch in den folgenden Jahrhunderten fanden seine Verse nur wenig Anklang. Sie entsprachen nicht dem Zeitgeschmack. Und doch hatte – wie bereits eingangs erwähnt – schon der bedeutende zeitgenössische Dichter Francesco Berni von Michelangelos Dichtungen gesagt: „Ihr sagt nur Worte, aber er sagt Dinge.“15

Michelangelo fühlte sich seit seiner frühesten Jugendzeit magisch angezogen von den in Florenz so reichlich anzutreffenden Bildwerken seiner Vorgänger. Er kannte sie alle, liebte vor allem die östliche Bronzetür des Baptisteriums, heute allgemein als „Paradiestür“ bezeichnet, weil Michelangelo nach Überlieferung Vasaris gesagt haben soll, sie sei so schön, dass sie an den Pforten des Paradieses stehen könnte.16 Er kannte seit seinem Aufenthalt in Bologna die Reliefs des Eingangsportals von San Petronio und vor allem – er kannte seine Bibel – sie war für ihn das Buch der Bücher, die Grundlage aller ihn so begeisternden Bildwerke der Vergangenheit und fast aller der von ihm selbst während seines langen Lebens geschaffenen Werke.

10 Herbert Alexander Stützer, Die Italienische Renaissance, Abb. S. 207.

11 Herbert Alexander Stützer, Die Italienische Renaissance, Abb. S. 79.

12 Herbert Alexander Stützer, Die Italienische Renaissance, Abb. S. 93.

13 Ascanio Condivi XXII., Dt. Übersetzung R.Diehl, S. 32.

14 Ebda., S. 33.

15 Zitiert nach Michael Engelhard, Michelangelo, Gedichte, Insel Verlag, Ausg. 1999, S. 376.

16 Stützer, Die Italienische Renaissance, S. 72.

Unter dem Pontifikat von Papst Julius II.

1503 starb der seit 1492 amtierende Borgia-Papst Alexander VI., der wegen seiner Lebensführung, die er auch nach seiner Wahl zum Papst beibehalten hatte, zu den unwürdigsten Gestalten der Papstgeschichte zählt.17 In sein Pontifikat fiel das Auftreten Savonarolas, der eine durchgreifende Reform der Kurie und der Kirche gefordert hatte. Ihm folgte Pius III., der bereits nach einer Amtszeit von nur 26 Tagen verstarb.

Als sein Nachfolger wurde am 1. November 1503 Kardinal Giuliano della Rovere, ein Neffe des 1484 verstorbenen Papstes Sixtus IV., gewählt und nahm den Namen Julius II. an. Bereits sein Onkel, Papst Sixtus IV., hatte dem Ansehen des Papsttums und der Kirche durch seine Amtsführung, die von Simonie und Verschwendung beherrscht war, schwer geschadet. Unter ihm ging die Verweltlichung der Kirche weiter, für die er die Hauptverantwortung trägt.18

Papst Sixtus IV. ging es jedoch nicht nur um seinen persönlichen verschwenderischen Lebensstil und die Versorgung seiner Familienangehörigen mit Ämtern und Gütern, sondern auch darum, Rom, das kulturell und künstlerisch zu dieser Zeit keinem Vergleich mit Florenz standhalten konnte, wieder zu Glanz und Ansehen zu verhelfen. In seinem Auftrag wurde die nach ihm benannte Sixtinische Kapelle erbaut. Und er berief die seinerzeit berühmtesten Maler nach Rom, um diese Kapelle künstlerisch auszugestalten.

An dieses Bestreben Sixtus IV., Rom durch den Einsatz der besten Künstler an Anziehungskraft gewinnen zu lassen, schloss sich sein Neffe Giuliano della Rovere nach seiner Wahl zum Papst Julius II. unmittelbar an. Er rief kurz nach seiner Wahl Michelangelo, der trotz seiner jungen Jahre zwischenzeitlich zum berühmtesten Bildhauer der damaligen Zeit geworden war, von Florenz nach Rom. Und Michelangelo folgte dieser Aufforderung.

Condivi berichtet, dass Michelangelo in Florenz hundert Dukaten Reisegeld erhielt19. Offen bleibt, wer dieses Geld zur Verfügung stellte. Aus den Briefen Michelangelos wissen wir, dass er selbst Zeit seines Lebens in äußerst kargen, anspruchslosen äußeren Verhältnissen lebte, da er mit allen von ihm verdienten Mitteln auf Drängen seines Vaters die Familie in Florenz unterstützte.20

17 Fischer-Wolpert, Geschichte der Päpste, S. 107.

18 Fischer-Wolpert, S. 107.

19 Condivi XXIII., S. 33.

20 Zu den Briefen Michelangelos s. Linda Murray, Michelangelo.

Erster Plan für das Julius-Grabmal

Nach seiner Ankunft in Rom vergingen jedoch viele Monate bis es Julius II. einfiel, wie er Michelangelo zum Einsatz bringen könnte. Er entschloss sich schließlich, Michelangelo um Entwürfe für sein Grabmal zu bitten.21 Die von Michelangelo vorgelegten Pläne begeisterten den Papst sofort. Vorgesehen war ein freistehendes Mausoleum, im Untergeschoss ringsum mit Nischen für Figurenpaare, von denen jeweils die eine als Darstellung des positiven Prinzips das negative überwand,22 dazwischen Hermen und die Darstellung der freien Künste als gefesselte Gefangene und weitere, zum Teil überlebensgroße Statuen auf einer darüber liegenden Plattform. Weiter aufsteigend auf einer oberen Ebene dann zwei Engel, die sich auf einen Sarg stützten. Im Inneren des Grabmals sollte dann in einer Art kleinen Tempels in einem großen Marmorsarkophag der Leichnam des Papstes beigesetzt werden. Über vierzig Statuen wies der Plan aus, außerdem waren geschichtliche Darstellungen in Bronze und Halbrelief vorgesehen.23

Die Pläne und Entwürfe begeisterten den Papst so, dass er Michelangelo mit der Ausführung und der sofortigen Beschaffung des dafür erforderlichen Marmors beauftragte. Michelangelo erhielt von Julius II. 1000 Dukaten und begab sich nach Carrara, um das Brechen des Marmors, die Auswahl der Blöcke und den Transport zu überwachen. Condivi schreibt dazu: „Sobald der Marmor in genügender Menge gebrochen und ausgewählt war, schaffte er ihn zur Küste, ließ einen seiner Leute dabei, der ihn verladen lassen sollte, und ging selbst nach Rom. Und weil er sich einige Tage in Florenz aufgehalten hatte, fand er, als er ankam, dass ein Teil davon schon in Ripa angelangt war, wo er ihn ausladen und nach dem Sankt-Peters-Platz bringen ließ, hinter Santa Catarina, wo er neben dem Korridor seine Wohnung hatte. Die Menge der Marmorblöcke war groß, so dass sie, auf dem Platz ausgebreitet, die Leute in Erstaunen, den Papst aber in frohe Laune versetzten. Dieser erwies dem Michelangelo viele und ungemessene Gunst; so suchte er ihn, als er mit der Arbeit angefangen hatte, sehr oft in seinem Hause auf und unterhielt sich dort mit ihm über das Grabmal und andere Dinge nicht anders, als er es mit einem Bruder getan haben würde. Und um bequemer hingehen zu können, hatte er angeordnet, dass vom Korridor zu der Wohnung Michelangelos eine Zugbrücke geschlagen wurde, über die er unbemerkt kommen konnte.“24

 

Doch dann trat für Michelangelo schlagartig eine veränderte Situation ein. Der Rest des Marmors wurde in Ripa angelandet und Michelangelo begab sich auf den Weg zum Papst, um die zur Zahlung des Transportes erforderlichen Gelder abzuholen. Der Papst hatte ihm aufgetragen, sich, wenn er Geld benötige, immer direkt an ihn zu wenden. Dieses Mal erwies sich jedoch der Zutritt als schwierig und der Papst war beschäftigt. Michelangelo ging nach Hause und bezahlte die Leute aus eigener Tasche, um sie nicht in Not geraten zu lassen. Condivi berichtet dazu: „Als er nun eines anderen Morgens wiederkam und in das Vorzimmer trat, um Audienz zu erhalten, da stellte sich ihm ein Reitknecht in den Weg und sagte: „Verzeiht, ich habe den Auftrag, Euch nicht einzulassen.“ Es war ein Bischof anwesend, der, als er die Worte des Reitknechts hörte, ihn schalt und sagte: „Du scheinst nicht zu wissen, wer dieser Mann ist.“ – „Wohl kenne ich ihn“, versetzte der Reitknecht, „aber ich bin gehalten, das zu tun, was mir von meiner Herrschaft aufgetragen ist, ohne weiter zu fragen.“ Als Michelangelo (dem bis dahin niemals eine Tür verschlossen oder der Eintritt verwehrt worden war) sich so behandelt sah, antwortete er ihm, voll Empörung über den Vorfall: „Und Ihr werdet dem Papst sagen, wenn er mich von nun an braucht, möge er mich anderswo suchen!“ Er ging also nach Hause und befahl den beiden Dienern, die er hatte, seinen ganzen Hausrat zu verkaufen und, sobald sie das Geld dafür erhalten hätten, ihm nach Florenz nachzufolgen. Er selbst nahm die Post und kam um zwei Uhr nachts nach Poggibonsi, einem Kastell auf Florentiner Gebiet (…). Hier, als an einem sicheren Orte, legte er sich nieder.“25 Condivi berichtet weiter, dass kurz darauf fünf Eilboten von Julius eintrafen mit dem Auftrag, ihn zurückzubringen, wo immer sie ihn finden würden. Michelangelo weigerte sich entschieden und drohte ihnen sogar, sie erschlagen zu lassen. Auf das drängende Bitten der Eilboten hin las er den an ihn gerichteten Brief, mit dem der Papst ihn aufforderte, „sofort nach Rom zurückzukommen, bei Vermeidung seiner Ungnade.“ Michelangelo antwortete kurz: „Er werde niemals zurückkommen, und er verdiene es nicht, für seine guten und treuen Dienste eine solche Vergeltung zu erfahren, dass er von seinem Angesicht gejagt werde wie ein schlechter Kerl; und weil Seine Heiligkeit vom Grabmal nichts mehr wissen wolle, so sei er seiner Pflicht enthoben und wolle sich auch zu nichts anderem verpflichten.“26 Mit dieser schriftlich festgehaltenen Botschaft an den Papst mussten die Kuriere mit unerledigtem Auftrag nach Rom zurückkehren.

Doch Julius II. gab keineswegs nach. Er wandte sich an die Stadtverwaltung von Florenz, die auf seine ersten beiden Schreiben nicht reagierte. Als der Papst jedoch in seinem dritten Breve mit Gewalt drohte, rief der damalige Gonfaloniere der Republik Florenz, Piero Soderini, Michelangelo zu sich und bat ihn nachzugeben, um nicht einen Krieg heraufzubeschwören und die Sicherheit des Landes aufs Spiel zu setzen. Michelangelo ließ sich nach anfänglichem Widerstreben schließlich dazu überreden, wieder Kontakt mit dem Papst aufzunehmen.

Julius II. war in der Zwischenzeit in den Krieg gezogen, hatte Bologna eingenommen und hielt sich in der Stadt auf. Michelangelo hoffte auf einen gut gelaunten Papst bei einem Zusammentreffen.

Condivi berichtet dazu: „Als er nun eines Morgens in Bologna angekommen war und in die Kirche San Petronio ging, um die Messe zu hören, da kamen Reitknechte des Papstes, die ihn erkannten und ihn vor Seine Heiligkeit führten, die gerade im Palast der Sechzehn zu Tisch saß. Als dieser ihn vor sich sah, sagte er zu ihm mit zorniger Miene: „An dir war es, zu kommen und uns aufzusuchen, du aber hast gewartet, bis Wir zu dir gekommen sind.“ Womit er andeuten wollte, dass Seine Heiligkeit, indem sie nach Bologna gekommen sei, welcher Ort viel näher bei Florenz liegt als bei Rom, gleichsam ihn aufgesucht habe. Michelangelo kniete nieder und bat ihn mit lauter Stimme um Vergebung, indem er sich entschuldigte, er habe nicht aus Böswilligkeit gefehlt, sondern aus Zorn, da er es nicht habe ertragen können, so fortgejagt zu werden, wie ihm geschehen war. Der Papst saß da, mit gesenktem Kopfe und erregter Miene, ohne etwas zu erwidern, als ein Monsignore, der vom Kardinal Soderini geschickt war, um ihn zu entschuldigen und zu empfehlen, sich ins Mittel legen wollte und sagte: „Eure Heiligkeit möge nicht auf sein Vergehen achten; denn er hat aus Unwissenheit gefehlt. Die Maler, außerhalb ihrer Kunst, sind alle so.“ Zornig antwortete ihm der Papst: „Du sagst ihm eine Grobheit, wie Wir sie ihm nicht gesagt haben. Der Unwissende bist du und der Elende, nicht er! Geh mir aus den Augen und zum Henker!“ Und als er nicht ging, wurde er von den Dienern des Papstes mit derben Püffen, wie Michelangelo zu erzählen pflegte, hinausgestoßen. Nachdem der Papst so seinen größten Zorn über den Bischof entladen hatte, rief er den Michelangelo näher heran, verzieh ihm und trug ihm auf, nicht von Bologna fortzugehen, ehe er ihm nicht einen anderen Auftrag gegeben habe.“27

21 Condivi XXIV., S. 33.

22 Acidini Luchinat, S. 108.

23 Acidini Luchinat, S. 108.

24 Condivi XXIV., S. 34.

25 Condivi XXVIII., S. 37 f.

26 Condivi XXIX., S. 38.

27 Condivi, XXXII., S. 40 f.

Die Bronzestatue Julius II. in Bologna, San Petronio

Dieser Auftrag ließ nicht lange auf sich warten und lautete über eine große Bronzestatue von ihm in seiner Funktion als Papst, die ihre Aufstellung über dem Portal von San Petronio finden sollte. Michelangelo fertigte ein Tonmodell an, das den Papst thronend darstellte mit zum Segen erhobener rechter Hand. Auf Michelangelos Vorschlag, in die linke ein Buch zu legen, soll der Papst geantwortet haben „Was Buch! – Ein Schwert! Ich bin doch kein Gelehrter.“28 Dass Michelangelo die Bibel gemeint haben könnte, die Bibel, die für ihn persönlich das Buch der Bücher bedeutete, auf diese Idee schien der Nachfolger Jesu auf dem Stuhl Petri nicht gekommen zu sein. Er wählte spontan das Schwert. Auf die scherzende Frage des Papstes „Diese deine Statue, erteilt sie Segen oder Fluch?“ antwortete Michelangelo lächelnd: „Heiliger Vater, sie bedroht dieses Volk, wenn es nicht ruhig ist.“29

Diese überlieferten Wortwechsel zeigen zunächst, wie demütig Michelangelo sich beim Papst für sein vom Zorn bestimmtes Verhalten entschuldigte und wie berührt der Papst ihn anhörte. Doch dann wies dieser Papst, ebenfalls von Zorn überwältigt, den um Verteidigung Michelangelos bemühten Bischof auf äußerst schroffe Weise in seine Schranken zurück. Von der Geschichtsschreibung wird sowohl Michelangelo als auch Julius II. eine ausgesprochene und durchaus vergleichbare terribilità zugeschrieben.

Bemerkenswert ist die Antwort Michelangelos auf die Frage des Papstes, ob die rechte Hand der geplanten Statue zum Segen oder Fluch erhoben sei. Äußerst geschickt weicht Michelangelo einer direkten Entscheidung hierüber aus mit seiner Formulierung „Heiliger Vater, sie bedroht dieses Volk, wenn es nicht ruhig ist.“ Die rechte Hand drohend erhoben und in der linken auf Wunsch des Papstes statt der Bibel das Schwert würde diese Statue eindeutig die Kampfbereitschaft des Papstes signalisieren.

Italien war zu dieser Zeit nicht nur von ständigen Kämpfen der Stadtstaaten untereinander, sondern ebenso von den mit Waffengewalt durchgesetzten Machtansprüchen des Papsttums erschüttert. Hinzu kamen die Bedrohungen von außen, nicht zuletzt durch die immer weiter vordringenden Türken und damit des Islam. Michelangelo hat seine Gedanken zur Haltung des Papsttums der damaligen Zeit in seinem Gedicht Qua si fa elmi di calici e spade unmissverständlich zum Ausdruck gebracht:

Aus Kelchen läßt man Helm und Schwert hier schweißen;

Und Christi Blut ist’s, das die Kassen füllt,

Aus Kreuz und Dornen werden Speer und Schild,

Selbst Christus würde die Geduld hier reißen.

Doch herzukommen sollt‘ Er sich verbeißen,

Weil hier Sein Blut mehr als die Sterne gilt

Und Haut und Haar nicht Romas Habgier stillt -

Hier trifft Er nicht das Heil, das Er verheißen.

Käm je mich Lust an, Schätze zu verlieren,

Weil Werk und Wirkung mählich von mir weichen,

Tät der im Mantel, was Medusa tat.

Doch kann nur Armut in den Himmel führen,

Was wird aus uns, wenn dieses andere Zeichen

Das andere Leben schon zu Boden trat?

Übersetzung M. Engelhard30

Michelangelo unterzeichnete dieses Gedicht mit den Worten „Finis, Euer Michelagniolo in der Türkei.“ Während seines Aufenthaltes in Florenz vor der durch den Papst erzwungenen Abreise nach Bologna soll Michelangelo aus der Türkei der Bau einer Brücke von Konstantinopel nach Pera angeboten worden sein. Sein Freund Piero Soderini, Gonfaloniere der Republik Florenz, hatte Michelangelo von diesem Vorhaben entschieden abgeraten und zur Reise nach Bologna und damit zum Papst bewegt.31 Eine Zuordnung des Gedichtes in diesen Zeitraum liegt daher nahe.

Die beiden ersten Strophen dieses Gedichtes lassen die tiefe Erschütterung Michelangelos über die Entartung des Papsttums erkennen. In Strophe drei kommt seine Überzeugung zum Ausdruck, dass – sollte ihn je der Wunsch ankommen, auf Schätze zu verzichten, weil sein Werk und seine Wirkung von ihm gewichen seien – der Papst32 ihn sicherlich „mit Medusenblick zu Stein werden lassen würde“. In Strophe vier folgt dann sein persönliches Armutsbekenntnis, dem er bis an sein Lebensende treu blieb.

Michelangelo benötigte für die Vollendung und Aufstellung der Bronzestatue des Papstes sechzehn Monate und begab sich, nach kurzem Aufenthalt in Florenz, wieder dem Rufe des Papstes folgend, nach Rom.

Das Standbild Julius II., das von über dreifacher Lebensgröße gewesen sein soll, wurde drei Jahre später, nach der Rückkehr der Bentivoglio nach Bologna „von der Volkswut herabgeworfen und zerstört.“33

28 Condivi XXXII., S. 41.

29 Ebda.

30 Michael Engelhard, Michelangelo, Gedichte, 10, S. 17 f.

31 Condivi XXX., S. 39.

32 Engelhard, Anm. 10, S. 403. Schon Engelhard vermutet in „Der im Mantel“ Papst Julius II. Der von ihm angenommenen späten Datierung auf 1512 kann hier nicht gefolgt werden.

33 Condivi XXXII., S. 41.

Rückkehr nach Rom

Seine alte Werkstatt in Rom stand noch zur Verfügung, der Marmor aus Carrara lag noch auf dem Petersplatz, doch die Hoffnung Michelangelos, nun mit der Arbeit am Juliusgrabmal fortfahren zu dürfen, erfüllte sich nicht. Julius II. hatte zwischenzeitlich den festen Entschluss gefasst, zunächst Alt-St. Peter, das für die Aufnahme des Grabmals sich als zu klein erwiesen hatte, neu aufbauen zu lassen., und beauftragte mit der Ausführung dieses Vorhabens den Baumeister Donato Bramante.34

34 Condivi XXVII., S. 36 f.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?