Za darmo

Anna Karenina, 2. Band

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25

In dem Gefühl, daß die Aussöhnung eine vollständige war, beschäftigte sich Anna vom andern Morgen ab munter mit den Anstalten zur Abreise.

Obwohl noch gar nicht beschlossen war, ob man Montag oder Dienstag reisen würde, da beide sich gestern gegenseitig Konzessionen gemacht hatten, bereitete sich Anna eifrig auf die Abreise vor, jetzt vollkommen gleichgültig dem gegenüber, ob man früh oder spät am Tage abreiste. Sie stand eben in ihrem Zimmer vor einem geöffneten Schranke, und nahm Sachen heraus, als er bereits angekleidet, früher als gewöhnlich, bei ihr eintrat.

„Ich muß sofort zu maman fahren; sie kann mir das Geld durch Jegoroff übersenden. Morgen bin ich dann bereit zu reisen,“ sagte er.

Mochte sie nun auch noch so gut gelaunt sein, die Erwähnung der Abreise auf den Landsitz schnitt ihr ins Herz.

„O, auch ich beeile mich nicht,“ sagte sie, dachte aber sogleich: vielleicht ist es doch noch möglich, es so einzurichten, daß man thut wie ich wünschte. – „Nein, thu' wie du willst! Geh' in den Speisesalon, ich werde sogleich auch kommen und will nur noch diese überflüssigen Sachen herauslegen,“ sprach sie, noch etwas auf Annuschkas Arme packend, auf welchen bereits ein Berg Leinen ruhte.

Wronskiy verzehrte gerade sein Beefsteak, als sie in den Speisesalon trat.

„Du glaubst nicht, wie kalt mich diese Gemächer lassen,“ sagte sie, sich neben ihm zu ihrem Kaffee setzend. „Es giebt doch nichts Schrecklicheres als diese chambres garnies. Es liegt kein Ausdruck, keine Seele in ihnen. Diese Uhren, Gardinen, und namentlich diese Tapeten – sind wie ein Alp. – Ich gedenke Wosdwishenskojes, wie des gelobten Landes. Du hast noch keine Pferde hergeschickt?“

„Nein; sie werden kommen wenn wir fort sind. Fährst du noch einmal aus?“

„Ich wollte noch zur Wilson; ich muß ihr Kleider bringen. Also morgen ist es gewiß?“ sprach sie mit heiterer Stimme; doch plötzlich veränderte sich ihr Antlitz.

Der Kammerdiener Wronskiys kam, um sich die Unterschrift für ein Telegramm aus Petersburg auszubitten.

Es war nichts Besonderes in der Empfangnahme einer Depesche seitens Wronskiys, aber gleichwohl sagte dieser, als wünschte er etwas vor ihr zu verheimlichen, er wolle im Kabinett unterschreiben, und wandte sich dann hastig zu ihr.

„Gewiß werde ich morgen mit allem in Ordnung sein.“

„Von wem war die Depesche?“ frug sie, ohne ihn zu hören.

„Von Stefan,“ antwortete er gezwungen.

„Warum hast du mir sie nicht gezeigt? Welches Geheimnis kann es zwischen Stefan und mir geben?“

Wronskiy rief den Kammerdiener zurück und befahl, die Depesche zu bringen.

„Ich wollte sie dir nicht zeigen, weil Stefan eine Leidenschaft hat, zu telegraphieren. Wozu telegraphieren, wenn nichts entschieden ist?“

„Über die Scheidung?“

„Ja. Doch er schreibt, er habe noch nichts erreichen können. Kürzlich versprach er einen endgültigen Bescheid. Da lies.“

Mit bebenden Händen ergriff Anna die Depesche und las noch einmal das, was Wronskiy gesagt hatte. Am Schluß war noch hinzugefügt „es ist wenig Hoffnung vorhanden, aber ich werde alles Mögliche und Unmögliche thun.“

„Ich habe gestern gesagt, daß es mir vollkommen gleichgültig ist, wann ich die Scheidung erhalte, ja, selbst, ob ich sie erhalte,“ sprach sie errötend. „Es lag aber doch keine Notwendigkeit vor, mir Etwas zu verheimlichen. So kann er auch vor mir seine Korrespondenz mit Frauen verheimlichen, und er verheimlicht sie auch,“ dachte sie dabei.

„Jaschwin wollte heute früh mit Woytoff herkommen,“ sagte Wronskiy, „es scheint, daß er Pjevzoff alles abgewonnen hat, ja, sogar noch mehr, als dieser bezahlen kann; einige sechzigtausend Rubel.“

„Nein,“ versetzte sie, erzürnt darüber, daß er mit diesem Wechsel des Themas so augenfällig zu verstehen gab, daß sie gereizt sei, „weshalb glaubst du, daß diese Nachricht mich so interessiert, daß man sie sogar zu verbergen hätte? Ich habe gesagt, daß ich nicht daran denken mag, und wünschte, du möchtest ebensowenig davon interessiert werden, wie ich.“

„Ich interessiere mich nur deshalb dafür, weil ich Klarheit liebe,“ sagte er.

„Klarheit liegt nicht in der Form, sondern in der Liebe,“ sagte sie, mehr und mehr in Erregung geratend, aber nicht durch seine Worte, sondern durch den Ton kalter Ruhe, mit welchem er sprach. „Weshalb wünschest du Klarheit?“

„Mein Gott! Wieder die Liebe!“ dachte er, finster werdend. „Du weißt doch, wozu? Für dich, und für die Kinder, welche kommen werden,“ sagte er.

„Kinder wird es nicht geben.“

„Das ist sehr bedauerlich,“ sagte er.

„Dir ist sie erforderlich für die Kinder, aber an mich denkst du nicht,“ sprach sie, vollständig vergessend und überhörend, daß er gesagt hatte „für dich und für die Kinder“. —

Die Frage nach der Möglichkeit, ob sie noch Kinder haben würden, hatte für sie seit Langem eine Streitfrage gebildet, die sie erbitterte. Seinen Wunsch, Kinder zu haben, legte sie sich dahin aus, daß er ihre Schönheit nicht schätze.

„O, ich sagte doch für dich! Vor allem für dich,“ wiederholte er, sich wie unter einem Schmerzgefühl verfinsternd, „weil ich überzeugt bin, daß ein großer Teil deiner Gereiztheit von der Unbestimmtheit unserer Lage herrührt.“

„Ja, jetzt hat er aufgehört, sich zu verstellen und alle seine kalte Gehässigkeit gegen mich ist nun sichtbar,“ dachte sie, seine Worte nicht vernehmend, aber mit Schrecken auf den kalten, harten Richter blickend, der, mit ihr Spott treibend, aus seinen Augen herausschaute. „Dies ist nicht der Grund,“ sagte sie, „ich begreife selbst nicht, daß der Grund meiner Gereiztheit – wie du es nennst, der sein kann, mich vollständig in deiner Gewalt zu befinden. Was für eine Unbestimmtheit der Lage giebt es hierbei? Im Gegenteil.“

„Es ist sehr bedauerlich, daß du nicht verstehen willst,“ unterbrach er sie, beharrlich in dem Wunsche, seinen Gedanken auszusprechen, „die Unbestimmtheit liegt darin, daß dir scheint, als wäre ich frei.“

„Diesbezüglich kannst du ganz ruhig sein,“ sagte sie, und begann, indem sie sich von ihm abwandte, ihren Kaffee zu trinken.

Sie hob die Tasse, und führte sie, den kleinen Finger von sich streckend zum Munde. Nachdem sie einige Schlucke genommen, blickte sie ihn an. An dem Ausdruck seines Gesichts erkannte sie klar, daß ihm ihre Hand und ihre Geste zuwider war, wie das Geräusch, welches sie mit den Lippen verursacht hatte.

„Mir ist alles vollständig gleichgültig, was deine Mutter denkt, und wie sie dich verheiraten will,“ sagte sie, mit zitternder Hand die Tasse niedersetzend.

„Davon sprechen wir ja aber gar nicht.“

„O, eben davon; und glaube mir, daß für mich ein Weib ohne Herz – sei es alt oder nicht alt, deine Mutter oder eine Fremde – ohne Interesse ist, und ich es nicht kennen mag!“

„Anna, ich bitte dich, nicht unehrerbietig von meiner Mutter zu reden.“

„Ein Weib, welches nicht mit seinem Herzen erraten hat, worin das Glück und die Ehre des Sohnes beruht – hat kein Herz.“

„Ich wiederhole meine Bitte, nicht unehrerbietig von meiner Mutter zu sprechen, die ich achte,“ sagte er, seine Stimme hebend und sie streng anblickend.

Sie antwortete nicht. Starr schaute sie ihn an, sein Gesicht, seine Hände; sie rief sich die gestrige Versöhnungsscene mit allen ihren Einzelheiten ins Gedächtnis zurück, sowie seine leidenschaftlichen Liebkosungen. „Ganz die nämlichen Liebkosungen hat er an andere Weiber verschwendet, er wird es weiterhin thun, er will es thun,“ dachte sie.

„Du liebst deine Mutter nicht. – Das sind alles Phrasen, nur Phrasen!“ – sprach sie, ihn haßerfüllt anblickend.

„Wenn es so allerdings steht, dann heißt es“ —

– „Zu einem Entschluß kommen; und ich bin entschlossen;“ sagte sie und wollte gehen, doch gerade trat Jaschwin ins Zimmer. Anna begrüßte ihn und blieb.

Warum sie, während in ihrer Seele ein Sturm tobte, und sie fühlte, daß sie auf einem Wendepunkt ihres Lebens stehe, der furchtbare Folgen haben könne – warum sie sich während dieser Minute vor einem fremden Menschen verstellen mußte, der früher oder später ja doch alles erfahren würde, – sie wußte es nicht, sondern ließ sich, den Sturm in sich beschwichtigend, sogleich nieder und begann mit dem Besuch zu konversieren.

„Nun, wie steht es mit Eurer Angelegenheit; habt Ihr eine Schuldverschreibung erhalten?“ frug sie Jaschwin.

„Nicht der Rede wert. Mir scheint, daß ich nicht alles erhalten werde, ich muß Mittwoch verreisen. Wann reist Ihr?“ antwortete dieser, mit den Augen zwinkernd und Wronskiy anblickend. Er erriet augenscheinlich, daß ein Zwist obgewaltet hatte.

„Übermorgen wahrscheinlich,“ sagte Wronskiy.

„Ihr bereitet Euch übrigens schon seit Langem darauf vor.“

„Jetzt ist es jedoch beschlossen,“ sprach Anna, Wronskiy gerade ins Auge schauend, mit einem Blick, der diesem sagte, er solle nicht mehr an die Möglichkeit einer Aussöhnung denken. „Thut Euch denn dieser unglückliche Pjevzoff nicht leid?“ setzte sie dann ihr Gespräch mit Jaschwin fort.

„Ich habe mich noch nie gefragt, Anna Arkadjewna, ob mir etwas leid thut oder nicht. Hier ist mein ganzes Vermögen“ – er wies auf seine Seitentasche – „und jetzt bin ich ein reicher Mann. Heute fahre ich in den Klub, um ihn vielleicht als Bettler wieder zu verlassen. Wird mich doch jeder der sich mit mir zum Spiel niedersetzt, auch bis aufs Hemd ausplündern, so wie ich es mit ihm mache. Wir kämpfen eben miteinander – und darin liegt das Vergnügen.“

„Aber wenn Ihr nun verheiratet wäret,“ sagte Anna, „was würde da aus Eurer Frau.“

Jaschwin brach in Gelächter aus.

„Eben deshalb habe ich auch nicht geheiratet, mir dies auch niemals vorgenommen!“

„Und Helsingfors?“ frug Wronskiy, sich in die Unterhaltung mischend und Anna, welche lächelte, anblickend. Seinem Blick begegnend, nahm das Antlitz Annas plötzlich einen kalten, strengen Ausdruck an, als wollte sie ihm sagen, „es ist nichts vergessen; es ist noch beim Alten.“

 

„Aber Ihr seid doch gewiß einmal verliebt gewesen?“ wandte sie sich zu Jaschwin.

„O Gott, wie oft. Aber – merkt wohl auf, es kann sich einer zum Spiel setzen, um stets dann davon aufzustehen, sobald die Zeit des Rendezvous kommt – ich kann mich zwar auch mit der Liebe beschäftigen, doch immer nur so, daß ich abends die Partie nicht versäume. So halte ich es.“

„Darnach frage ich nicht; sondern nach dem, um was es sich jetzt handelt;“ sie wollte sagen „Helsingfors,“ das Wort aber nicht aussprechen, welches von Wronskiy gesprochen worden war.

Es kam nun Wojtoff, welcher einen Hengst gekauft hatte; Anna erhob sich und verließ das Zimmer.

Bevor Wronskiy von Hause wegfuhr, trat er noch bei ihr ein. Sie wollte sich stellen, als suchte sie Etwas auf dem Tische, blickte ihm aber, von ihrer Heuchelei beschämt, offen und mit kühlem Blick ins Antlitz.

„Was wollt Ihr?“ frug sie ihn auf französisch.

„Das Attestat über den Gambetta holen. Ich habe ihn verkauft,“ sprach er in einem Tone, der deutlicher als Worte ausdrückte, „ich habe mich durchaus nicht zu erklären und es würde dies auch zu nichts führen. Ich trage doch keine Schuld ihr gegenüber,“ dachte er, „wenn sie sich selbst bestrafen will, tant pis pour elle!“ Im Hinausgehen aber schien ihm, als habe sie etwas gesagt und sein Herz regte sich plötzlich in Mitleid für sie.

„Was ist, Anna?“ frug er.

„Ich sagte nichts,“ antwortete sie immer noch so kalt und ruhig.

„Ah, nichts dann – tant pis,“ dachte er, wieder kühl werdend, wandte sich und ging. Indem er hinausschritt, erblickte er im Spiegel ihr Gesicht, bleich, mit bebenden Lippen. Er wollte nun wohl stehen bleiben und ihr ein tröstendes Wort sagen, doch seine Füße trugen ihn aus dem Zimmer, schneller, als er sich ausgedacht hatte, was er sagen sollte.

Diesen ganzen Tag brachte er außerhalb des Hauses zu; als er spät Abends heimkehrte, sagte ihm die Zofe, daß Anna Arkadjewna Kopfweh habe und bitten lasse, sie nicht zu besuchen.

26

Noch nie war ein Tag im Hader vorübergegangen. Es war dies das erstemal gewesen. Aber es war auch kein Streit mehr, sondern das offenkundige Eingeständnis einer vollständigen Erkaltung. Konnte man sie denn so anblicken, wie er es gethan hatte, indem er nach dem Attest in das Zimmer getreten war. Sie anzuschauen und zu sehen, daß ihr Herz zerrissen war von Verzweiflung, und schweigend weiterzugehen mit diesem gleichgültigen, ruhigen Gesicht? Nicht nur, daß er kühl gegen sie geworden war; haßte er sie auch, weil er eine andere liebte – das war klar. – Und indem sie sich alle jene harten Worte, die er gesprochen hatte, ins Gedächtnis zurückrief, überdachte sie nochmals diejenigen, die er offenbar ihr zu sagen gewünscht hatte oder ihr sagen konnte, und mehr und mehr geriet sie in Erbitterung.

„Ich halte Euch nicht,“ konnte er sagen, „Ihr könnt gehen, wohin Ihr wollt. Ihr habt Euch von Eurem Manne nicht scheiden lassen wollen, wahrscheinlich, um zu ihm zurückzukehren. Kehrt zurück! Wenn Ihr Geld braucht, will ich es Euch geben. Wieviel Rubel braucht Ihr?“

Die allerhärtesten Worte, welche ihr der rauhe Mann sagen konnte, er sagte sie ihr in ihrer Einbildungskraft und sie verzieh ihm dieselben nicht, als hätte er sie ihr wirklich gesagt.

„Aber hatte er ihr nicht gestern erst seine Liebe geschworen, er, der gerechte und ehrenhafte Mann? Bin ich nicht etwa schon viele Male grundlos in Verzweiflung gewesen?“ sprach sie hierauf zu sich selbst.

Diesen ganzen Tag verbrachte Anna, mit Ausnahme einer Fahrt zur Wilson, die sie zwei Stunden in Anspruch nahm, in Ungewißheit darüber, ob alles vorbei, oder noch eine Hoffnung auf Versöhnung vorhanden wäre, ob sie sogleich fort müsse, oder ihn erst noch einmal sehen solle. Sie wartete auf ihn den ganzen Tag, und erwog bei sich, nachdem sie am Abend, als sie sich in ihr Zimmer zurückzog, befohlen hatte mitzuteilen, daß sie Kopfweh habe; wenn er trotz der Worte der Zofe, zu mir kommt, so bedeutet dies, daß er noch liebt, wenn nicht, daß alles zu Ende ist, und dann werde ich entscheiden, was ich zu thun habe.“ —

Am Abend vernahm sie das Geräusch seines Wagens, sein Läuten, seine Schritte und sein Gespräch mit der Zofe. Er glaubte, was man ihm gesagt hatte, wollte nichts Weiteres hören und begab sich in seine Räume. Es war also wohl alles vorüber.

Der Tod als das einzige Mittel, in seinem Herzen die Liebe zu ihr zu erhalten, ihn zu strafen und den Sieg davonzutragen in diesem Kampfe, den der in ihrem Herzen heimisch gewordene böse Geist mit ihm führte, erschien klar und lebendig vor ihr.

Jetzt war alles gleich; fuhr man nach Wosdwishenskoje oder nicht, erhielt man die Scheidung von dem Gatten oder nicht – es war nichts mehr nötig. Nötig war nur Eines noch – ihn zu strafen! —

Als sie sich die gewohnte Dosis Opium eingoß, und daran dachte, daß man nur die ganze Phiole zu leeren brauchte, um zu sterben, erschien ihr dies so leicht und einfach, daß sie abermals mit Genugthuung daran zu denken begann, wie er Qual und Reue empfinden und sie in der Erinnerung lieben würde, wenn es schon zu spät wäre.

Sie lag im Bett mit offenen Augen, beim Scheine einer einsamen, niedergebrannten Kerze nach dem Stuckkarnies der Zimmerdecke und dem Teile derselben blickend, welcher den Schatten des Bettschirmes hatte, und stellte sich lebendig vor, was er empfinden würde, wenn sie erst nicht mehr wäre, wenn sie für ihn nur noch eine Erinnerung bildete.

„Wie konnte ich diese harten Worte zu ihr sagen,“ würde er sprechen, „wie konnte ich aus ihrem Zimmer gehen, ohne ihr ein Wort zu sagen? Jetzt ist sie nicht mehr. Sie ist von mir gegangen. Sie ist dort“ —

Da bewegte sich plötzlich der Schatten des Bettschirmes, umfing das ganze Karnies, die ganze Decke, andere Schatten von der anderen Seite stürzten ihr entgegen; auf einen Augenblick flohen dieselben davon, bewegten sich aber dann mit erneuter Schnelligkeit heran, wankten hin und her, verschwammen ineinander und alles wurde dunkel.

„Der Tod?“ dachte sie, und ein Schrecken überkam sie, daß sie lange nicht wußte, wo sie war, und lange mit den bebenden Händen kein Zündholz finden konnte, um eine neue Kerze an Stelle derjenigen, welche herabgebrannt und erloschen war, anzuzünden.

„Nein – aber doch – nur leben! Ich liebe ihn ja doch, und er liebt ja mich! Dies ist geschehen und wird vorübergehen!“ sprach sie im Gefühl, daß ihr die Thränen der Freude ob ihrer Rückkehr zum Leben über die Wangen flossen. Um sich von ihrem Schrecken zu erholen, begab sie sich hastig nach seinem Kabinett.

Er schlief in demselben, in festem Schlummer. Sie trat zu ihm heran, und betrachtete ihn, lange sein Gesicht von oben herab beleuchtend. Jetzt, da er schlief, liebte sie ihn so sehr, daß sie bei seinem Anblick die Thränen der Zärtlichkeit nicht zurückzuhalten vermochte; aber sie wußte, daß er sie, wenn er erwachte, mit dem kalten Blick, der sich seines Rechtes bewußt ist, anschauen würde, und sie ihm, bevor sie ihm von ihrer Liebe sprach, darlegen müsse, daß er vor ihr der Schuldige sei. Ohne ihn zu wecken kehrte sie zurück, und schlief nach einer zweiten Dosis Opium bis zum Morgen in schwerem Halbschlummer, währenddessen sie ununterbrochen ihr Empfindungsvermögen behielt.

Am Morgen erschien ihr der furchtbare Alp, der sich mehrmals in ihren Traumbildern, schon vor der Zeit ihres Verhältnisses mit Wronskiy wiederholt hatte, von neuem und erweckte sie. Jener Alte mit dem wirren Barte arbeitete, auf sein Eisen gebeugt und unverständliche, französische Worte sprechend, während sie – wie stets unter diesem Alpdrücken – empfand, was den eigentlichen Schrecken für sie bildete, daß dieser Bauer ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit widmete, sondern eine furchtbare Arbeit in Eisen verrichtete – über ihr. —

Sie erwachte in kaltem Schweiß liegend. Als sie sich erhob, erinnerte sie sich des gestrigen Tages wie im Nebel.

„Es hatte Streit gegeben, das Nämliche, was schon mehrmals stattgefunden hatte. Ich hatte gesagt, daß ich Kopfschmerzen hätte, und er ist nicht zu mir gekommen. Morgen wollen wir reisen; ich muß ihn sehen und mich zur Abreise vorbereiten,“ sagte sie zu sich selbst, und begab sich, nachdem sie gehört hatte, daß er sich in seinem Kabinett befände, zu ihm. Als sie durch den Salon schritt, hörte sie, daß vor der Einfahrt eine Equipage hielt und erblickte durchs Fenster schauend, einen Wagen, aus welchem sich ein junges Mädchen in lilafarbenem Hut herausbeugte, das ihrem Diener, welcher läutete einen Befehl erteilte.

Nach einem Zwiegespräch im Vorzimmer, kam jemand herauf und neben dem Salon wurden die Tritte Wronskiys vernehmbar, welcher mit schnellen Schritten die Treppe hinabeilte.

Anna trat wieder an das Fenster. Da trat er ohne Hut auf die Freitreppe und ging zum Wagen. Das junge Mädchen im lilafarbigen Hut übergab ihm ein Paket. Wronskiy sagte ihr lächelnd etwas und der Wagen fuhr wieder fort. Er eilte schnell wieder zurück die Treppe herauf.

Der Nebel, welcher sich über ihre Seele gebreitet hatte, zerstreute sich plötzlich. Die Empfindungen von gestern preßten mit neuem Weh ihr krankes Herz.

Sie konnte jetzt nicht mehr begreifen, daß sie sich soweit hatte erniedrigen können, noch einen ganzen Tag bei ihm in seinem Hause zu bleiben, und kehrte in ihr Zimmer zurück, um ihn von ihrem Entschluß in Kenntnis zu setzen.

„Die Sorokina war mit ihrer Tochter gekommen und hat mir Geld und Papiere von maman gebracht. Ich konnte es gestern nicht erhalten. Wie steht es mit deinem Kopf; besser?“ sprach er ruhig, ohne den düsteren und ernsten und feierlichen Ausdruck ihres Gesichts bemerken zu wollen.

Sie blickte ihn schweigend und starr an, in der Mitte des Zimmers stehend. Er schaute sie an, verfinsterte sich einen Augenblick und fuhr dann fort, einen Brief zu lesen. Sie wandte sich und ging langsam nach der Thür. Er hätte sie noch zurückrufen können, aber sie war bis an die Thür gegangen und er schwieg noch immer; nur das Rauschen eines gewendeten Blattes des Briefes war vernehmbar.

„Also,“ begann er in dem Augenblick, als sie schon in der Thür stand, „morgen werden wir entschieden fahren, nicht wahr?“

„Ihr, nicht ich,“ sprach sie, sich zu ihm wendend.

„Anna; es ist unmöglich, so zu leben“ —

„Ihr, nicht ich,“ wiederholte sie.

„Das wird unerträglich!“

„Ihr, Ihr werdet die Reue empfinden,“ sprach sie und ging hinaus.

Erschreckt von dem verzweifelten Ausdruck, mit welchem diese Worte gesprochen worden waren, sprang er auf und wollte ihr nacheilen, doch indem er sich besann, setzte er sich wieder, sein Gesicht wurde finster, indem er die Zähne fest aufeinanderbiß.

Diese Drohung, welche unziemlich war, wie er fand, hatte ihn gereizt.

„Ich habe alles versucht,“ dachte er, „es bleibt nur noch Eins übrig – sie nicht mehr zu beachten“ – und machte sich fertig, in die Stadt zu fahren, nochmals zur Mutter, von welcher er eine Unterschrift für die Vollmacht haben mußte.

Sie vernahm das Geräusch seiner Schritte im Kabinett und durch den Speisesalon. Im Salon blieb er stehen; doch wandte er sich nicht zu ihr, sondern erteilte nur Befehl, daß man in seiner Abwesenheit den Hengst an Wojtoff ausliefere. Dann vernahm sie, wie man den Wagen brachte, die Thür sich öffnete und er wiederum hinaustrat. Aber er kehrte nochmals in den Flur zurück und es kam jemand nach oben geeilt. Der Kammerdiener lief nach den vergessenen Handschuhen. Sie trat an das Fenster und sah, wie er, ohne hinzublicken die Handschuhe ergriff, mit der Hand den Rücken des Kutschers berührte und demselben etwas sagte. Ohne die Fenster zu mustern, setzte er sich hierauf in seiner gewohnten Pose in den Wagen, legte die Füße übereinander und drückte sich, einen Handschuh anstreifend, in die Ecke.