Za darmo

Anna Karenina, 2. Band

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16

Darja Aleksandrowna führte ihre Absicht aus und reiste zu Anna.

Es that ihr sehr leid, die Schwester erbittern und etwas thun zu müssen, was deren Gatten unangenehm war; sie begriff, wie sehr recht die Lewin hatten, mit dem Wunsche, keine Beziehungen mit den Wronskiy zu pflegen, allein sie erachtete es für ihre Pflicht, zu Anna zu kommen, und ihr zu zeigen, daß ihre Gefühle sich nicht verändern könnten trotz der Veränderung ihrer Lage.

Um bei dieser Reise nicht von den Lewin abhängen zu müssen, sandte Darja Aleksandrowna nach ihrem Dorfe, um Pferde mieten zu lassen; doch Lewin, der hiervon erfahren hatte, kam, um ihr Vorwürfe zu machen.

„Warum denkst du, daß mir deine Reise unangenehm sei? Ja, und selbst wenn sie mir unangenehm wäre, so wäre sie es mir dadurch noch mehr, daß du nicht meine Pferde nimmst,“ sagte er. „Du hast mir nicht ein einziges Mal gesagt, daß du entschieden fahren wolltest. Und nun auf dem Dorfe Pferde zu mieten, ist erstens unangenehm für mich, und dann, was die Hauptsache ist, man mietet sie, aber sie bringen dich nicht hin. Ich habe doch Pferde; und wenn du mich nicht böse machen willst, so nimmst du sie.“

Darja Aleksandrowna mußte einwilligen, und am festgesetzten Tag hatte Lewin für seine Schwägerin ein Viergespann von Pferden und einen Vorspann aus Zug- und Reitpferden gewählt, bereit gemacht, der nicht sehr schön, aber doch imstande war, Darja Aleksandrowna in einem Tage an ihr Ziel zu bringen.

Jetzt, wo Pferde sowohl für die Fürstin, welche abreiste, wie für die Wehfrau gebraucht wurden, war das eine schwierige Aufgabe für Lewin gewesen, doch konnte derselbe der Pflicht der Gastfreundschaft Folge leistend, nicht zugeben, daß Darja Aleksandrowna von seinem Hause aus Pferde mietete, und außerdem wußte er auch, daß die zwanzig Rubel, welche man von Darja Aleksandrowna für die Fahrt verlangte, für dieselbe von großer Bedeutung waren; die Finanzverhältnisse Darja Aleksandrownas, welche sich in sehr schlechtem Zustande befanden, wurden von den Lewin empfunden, als wären es ihre eigenen.

Darja Aleksandrowna fuhr nach dem Rate Lewins noch vor der Morgenröte ab. Der Weg war gut, der Wagen ging ruhig, die Pferde liefen munter und auf dem Bocke saß noch außer dem Kutscher, an Stelle eines Dieners, der Comptoirschreiber, der von Lewin der Sicherheit halber mitgesandt worden war. Darja Aleksandrowna träumte und erwachte erst, als sie schon zu der Poststation gekommen war, wo die Pferde gewechselt werden mußten.

Nachdem sie den Thee bei jenem nämlichen begüterten Großbauern, bei welchem Lewin auf seiner Fahrt zu Swijashskiy gerastet hatte, eingenommen, und sich mit den Weibern über die Kinder, mit dem Alten über den Grafen Wronskiy unterhalten hatte, den jener sehr lobte, fuhr Darja Aleksandrowna um zehn Uhr weiter. Zu Hause hatte sie, vor Sorgen um ihre Kinder, nie Zeit zu denken. Dafür aber häuften sich jetzt erst, auf dieser vierstündigen Fahrt, alle die vorher unterdrückt gewesenen Gedanken plötzlich in ihrem Kopfe, und sie überdachte ihr ganzes Leben, wie sie es noch nie zuvor gethan, und von den verschiedensten Seiten aus. Ihr selbst kamen ihre eigenen Gedanken seltsam vor.

Im Anfang dachte sie ihrer Kinder, um die sie sich, obwohl ihr die Fürstin, wie besonders Kity – auf diese verließ sie sich vielmehr – versprochen hatten, nach ihnen zu sehen, gleichwohl beunruhigte.

„Wie wenn Mascha wiederum dumme Streiche machte, wenn den Grischa ein Pferd schlüge und der Magen Lilys noch mehr verdorben würde.“

Dann aber begannen die Fragen der Gegenwart sich mit denen der nächsten Zukunft abzulösen. Sie dachte jetzt daran, daß man in Moskau für diesen Winter eine neue Wohnung mieten, die Möbel im Salon umtauschen und der ältesten Tochter einen Pelz fertigen lassen müsse. Darnach tauchten die Fragen der entfernten Zukunft vor ihr auf; wie sie ihre Kinder in die Welt einführen würde, „mit den Mädchen ist es noch nichts“, dachte sie, „aber mit den Knaben?“

„Gut; ich beschäftige mich jetzt mit Grischa, aber ich kann es doch nur deshalb, weil ich selbst jetzt kein Kind unter dem Herzen trage. Auf Stefan läßt sich natürlich nicht rechnen. Jedoch mit Hilfe guter Menschen werde ich sie schon erziehen; und wenn wieder einmal eine Geburt“ – ihr kam der Gedanke, wie ungerecht der Ausspruch sei, daß der Fluch auf dem Weibe liege, daß sie in Schmerzen Kinder gebäre. „Die Geburt selbst hat nichts zu sagen, aber das Austragen – das ist das Qualvolle,“ dachte sie, sich ihrer letzten Schwangerschaft und des Todes dieses letzten Kindes erinnernd. Es fiel ihr auch das Gespräch mit der jungen Frau auf dem Posthof wieder ein. Auf ihre Frage, ob sie Kinder habe, hatte dieselbe ganz heiter geantwortet: „Ich hatte ein Mädchen, aber Gott hat es erlöst, ich habe es zu den Fasten begraben.“

„Hast du es sehr betrauert?“ hatte Darja Aleksandrowna weiter gefragt.

„Wozu betrauern? Der Alte hat Enkel, und zwar viel. Man hat doch nur Sorge dabei, und kann weder arbeiten noch sonst etwas thun, sondern ist nur gebunden.“

Diese Antwort war Darja Aleksandrowna abstoßend erschienen, ungeachtet des gutmütigen Äußeren der jungen Frau, jetzt aber vergegenwärtigte sie sich unwillkürlich diese Worte. Es lag auch ein Teil von Wahrheit in diesen cynischen Äußerungen.

„Und im allgemeinen,“ dachte Darja Aleksandrowna, auf ihr ganzes Leben während der fünfzehn Jahre ihrer Ehe zurückblickend, „Schwangerschaft, Übelkeiten, Stumpfsinn, Gleichgültigkeit für alles, und hauptsächlich Ruin der Schönheit. Kity, die junge, hübsche Kity, auch sie war häßlich geworden, ich aber werde in der Schwangerschaft ungeschlacht, ich weiß es. Geburten, Leiden, undenkbare Schmerzen; dann jene letzte Minute – hierauf aber die Ernährung, alle die schlaflosen Nächte, diese furchtbaren Schmerzen“ —

Darja Aleksandrowna erbebte schon vor der Erinnerung an den Schmerz einer aufgehenden Brustwarze, den sie fast bei jedem Kind gehabt hatte. „Dann kommen die Kinderkrankheiten, diese ewige Angst, dann die Gedanken wegen schlimmer Neigungen“ – sie dachte an das Vergehen der kleinen Mascha in den Himbeeren – „der Unterricht, das Latein, alles das so unverständlich und schwierig. Und außer dem allen noch die Möglichkeit des Todes eben dieser Kinder!“

Und wiederum tauchte in ihrer Phantasie die ewig ihr Mutterherz drückende, herbe Erinnerung an den Tod ihres letzten Knaben auf, der noch an der Brust gelegen hatte, und in der Krippe gestorben war. Sie dachte an sein Begräbnis, die allgemeinherrschende Gleichgültigkeit für jenes kleine rosengeschmückte Grab, an ihren herzzerreißenden, vereinsamten Schmerz über der bleichen, kleinen Stirn mit den hohen Schläfen, über dem geöffneten, verwundert scheinenden Mündchen, welches aus dem Sarge herausschaute, als man denselben mit einem Rosendeckel und einem Kreuz bedeckte.

„Und warum alles das? Was folgt aus alledem? Daß ich, ohne einen Augenblick Ruhe zu haben, bald in gesegneten Umständen, bald ein Kind nährend, ewig mich ereifernd, scheltend, mich selbst und andere folternd, dem Manne zuwider, mein Leben hinlebe, und mir unglückliche, schlecht erzogene und unbemittelte Kinder aufwachsen?

„Und jetzt – wäre nicht dieser Sommer bei den Lewin, ich wüßte nicht, wie wir ihn verleben sollen. – Natürlich sind Konstantin und Kity so zartfühlend, daß sie es uns nicht merken lassen, aber es kann doch nicht so fortgehen! Sie werden Kinder bekommen und uns nicht mehr unterstützen können; sind sie doch schon jetzt in Bedrängnis. Und was kann Papa, der für sich fast nichts mehr übrig behalten hat, noch helfen? Die Verhältnisse liegen so, daß ich die Kinder nicht allein erziehen kann, nur mit Hilfe anderer, und mit eigener Erniedrigung. Und nehmen wir selbst den glücklichsten Fall; sollten mir keine Kinder mehr sterben und sollte ich sie erziehen können, so werden sie im besten Falle doch nur höchstens keine Taugenichtse werden. Das ist alles, was ich wünschen kann. Und dafür so viele Qualen, so viele Mühen! Ein ganzes, verlorenes Leben!“ —

Und wieder fiel ihr ein, was die junge Frau gesagt hatte, wiederum war es ihr widerlich, daran zu denken; und gleichwohl mußte sie doch zugeben, daß in jenen Worten ein Stück rauher Wahrheit lag.

„Ist es denn noch weit, Michail?“ frug Darja Aleksandrowna den Comptoirdiener, um sich ihren Gedanken, die sie bange machten, zu entreißen.

„Von diesem Dorfe sollen es noch sieben Werst sein!“

Der Wagen fuhr in der Dorfgasse über eine kleine Brücke. Über die Brücke ging geräuschvoll und lustig schwatzend ein Haufe frohgelaunter Weiber. Die Weiber blieben auf der Brücke stehen, neugierig den Wagen betrachtend. Alle ihr zugewandten Gesichter erschienen Darja Aleksandrowna gesund, heiter, neckisch für sie in ihrer Lebenslust.

„Sie alle leben, und freuen sich ihres Lebens,“ fuhr Darja Aleksandrowna in ihrem Gedankengang fort, an den Weibern vorüberfahrend, einen Berg hinauf und dann im Trab wieder weiter, angenehm gewiegt auf den geschmeidigen Federn der alten Kutsche, „ich aber, wie aus einem Gefängnis hinausgelassen aus jener Welt, die mich mit ihren Sorgen ertötet, komme nur jetzt auf einen Augenblick zur Besinnung. Sie alle leben doch; diese Weiber, die Schwester Nataly, Warenka, Anna, zu der ich fahre, – nur ich lebe nicht! —

Anna greifen sie an; aber warum? Bin ich denn besser? Ich habe zwar wenigstens einen Mann, den ich liebe. Wäre es nicht so, wie wollte ich lieben, aber ich liebe ja ihn; während Anna den ihren nicht geliebt hat. Wessen ist sie nun schuldig? Sie will leben! Gott hat uns das in die Seele gelegt! Es ist sehr wohl möglich, daß ich das Nämliche gethan hätte. Und bis heute weiß ich noch nicht, ob ich wohl daran that, ihr in jener furchtbaren Zeit gehorcht zu haben, als sie zu mir nach Moskau kam. Damals hätte ich meinen Gatten verlassen und ein neues Leben beginnen müssen. Ich hätte lieben können und wahr geliebt werden können! Und ist es nun etwa besser geworden? Ich achte ihn nicht! Ich brauche ihn aber,“ dachte sie ihres Gatten, „und so dulde ich ihn. Ist das etwa besser? Damals konnte ich noch gefallen, da hatte ich noch meine Schönheit,“ fuhr Darja Aleksandrowna fort, zu sinnen, und sie hätte gern einmal in den Spiegel geblickt. In ihrem Reisesack befand sich ein kleiner Reisespiegel, und sie wollte ihn hervorholen, doch indem sie auf die Rücken des Kutschers und des schaukelnden Comptoirdieners blickte, fühlte sie, daß es ihr fatal sein müßte, wenn einer der beiden sich umschaute; und sie holte den Spiegel nicht hervor.

 

Aber auch wenn sie nicht in den Spiegel blickte, meinte sie, sei es jetzt noch nicht zu spät; und sie dachte an Sergey Iwanowitsch, der besonders liebenswürdig gegen sie war, an den Freund Stefans, den guten Turovzyn, der mit ihr zusammen ihre Kinder beim Scharlachfieber gepflegt hatte und in sie verliebt war. Und noch ein ganz junger Mann war da, welcher, wie ihr der Gatte im Scherz gesagt, gefunden hatte, sie sei schöner, als alle ihre Schwestern. Die leidenschaftlichsten und unmöglichsten Romane tauchten vor Darja Aleksandrowna auf. „Anna hat recht gehandelt, und ich werde ihr nie den geringsten Vorwurf mehr machen. Sie ist glücklich, begründet das Glück eines andern Menschen, ist nicht abgestumpft, wie ich, sondern wahrhaftig so, wie sie immer war, frisch, verständig und empfänglich für alles,“ dachte Darja Aleksandrowna und ein schlaues Lächeln kräuselte ihre Lippen, namentlich, weil sie an den Roman Annas denkend, sich ähnlich dazu für sich selbst einen eigenen, fast ebensolchen Roman erdachte, mit einem erdichteten Musterhelden, der in sie verliebt war. Ebenso wie Anna, gestand sie alles ihrem Gatten, und die Verwunderung und Bestürzung Stefan Arkadjewitschs bei dieser Nachricht nun machte sie lächeln.

In solchen Träumereien gelangten sie zu dem Scheideweg, welcher von der Landstraße ab nach Wosdwishenskoje führte.

17

Der Kutscher hielt das Viergespann an und blickte nach rechts, auf ein Roggenfeld hinaus, auf welchem Bauern bei einem Wagen saßen. Der Comptoirdiener wollte abspringen, besann sich aber anders und rief befehlerisch einem Bauern zu, ihn zu sich heranwinkend. Der leichte Wind, welcher während der Fahrt geweht, hatte sich gelegt, als sie anhielten; die Bremsen hatten sich an die heftig abwehrenden, schweißbedeckten Pferde festgesetzt. Das metallisch von dem Wagen herübertönende Geräusch des Sensendengelns verstummte. Einer der Bauern erhob sich und kam zum Wagen.

„He, bist wohl vertrocknet!“ rief der Comptoirdiener gereizt dem langsam über die Erdhügel des nicht ausgefahrenen, trockenen Weges mit den nackten Füßen schreitenden Bauern zu, „so lauf doch!“

Ein kraushaariger Alter, das Haar mit Lindenbast aufgebunden und mit von Schweiß dunkelgefärbtem gekrümmten Rücken, beschleunigte seinen Schritt, trat an den Wagen heran und faßte mit der gebräunten Hand an die Seite des Wagens.

„Wollt Ihr nach Wosdwishenskoje?, auf den Herrenhof? Zum Grafen?“ wiederholte er, „dann fahrt nur so! Macht die Wendung nach links, dann gerade aus und Ihr kommt gerade darauf. Zu wem wollt Ihr denn? Zum Herrn selbst?“

„Ist denn Eure Herrschaft zu Haus, Freund?“ frug Darja Aleksandrowna ausweichend, ohne zu wissen, wie sie, selbst dem Bauern gegenüber, nach Anna fragen sollte.

„Er ist wohl daheim,“ sagte der Bauer einen Schritt vortretend und dabei mit den nackten Füßen im Staube eine deutliche Spur seiner Fußsohle mit den fünf Zehen hinterlassend. „Er wird wohl zu Haus sein,“ wiederholte er, augenscheinlich mit großer Lust, ein Gespräch zu beginnen. „Gestern sind erst Gäste gekommen. Gäste – es war eine Menge – Was willst du!“ – wandte er sich nach einem Burschen um, der ihm vom Wagen her etwas zuschrie. „Sie sind kaum erst alle zu Pferde hier vorbeigekommen, um eine Schnittmaschine zu besichtigen. Jetzt werden sie wohl zu Hause sein. Wo kommt Ihr denn her?“

„Wir sind von weiter weg,“ sagte der Kutscher, auf den Bock steigend, „also es ist nicht weit?“

„Wie ich sage; dort! Wie Ihr eben fahrt“ – sagte er, mit der Hand nach der Seite des Wagens deutend.

Ein junger, gesunder und stämmiger Bursche kam auch heran.

„Wie, haben wir keine Arbeit auf Rechnung der Ernte?“ frug derselbe.

„Weiß nicht, mein Lieber! Wie gesagt, wenn du dich links hältst, kommst du gerade drauf,“ sprach der Bauer, der augenscheinlich ungern die Reisenden fortließ und mit ihnen schwatzen wollte.

Der Kutscher fuhr weiter, doch kaum hatten sie eingelenkt, als der Bauer rief: „Halt! He, Freund! Halt an!“ Eine zweite Stimme rief ebenso. Der Kutscher hielt an.

„Da kommen sie selbst. Dort sind sie!“ rief der Bauer. „Dort sind sie!“ fügte er hinzu, auf vier Reiter und zwei Personen in einem Wagen weisend, welche den Weg daherkamen.

Es war Wronskiy mit seinem Jockey, Wjeslowskij und Anna zu Pferde, die Fürstin Barbara und Swijashskiy im Wagen. Sie waren spazieren geritten, und wollten die Arbeit der neu eingeführten Erntemaschinen besichtigen.

Als die Equipage stand, kamen die Reiter im Schritt heran. Voran ritt Anna neben Wjeslowskij. Sie ritt in ruhigem Schritt eine kleine englische Vollblutstute mit gestrählter Mähne und gestutztem Schweif. Annas schönes Haupt mit den unter dem hohen Hut hervordringenden schwarzen Haaren, ihre vollen Schultern, die schmale Taille in der schwarzen Amazone und ihr ruhiger graziöser Sitz frappierten Dolly.

Im ersten Augenblick erschien es ihr unpassend, daß Anna ritt. Mit der Vorstellung vom Reiten der Damen verband sich nach dem Begriff Darja Aleksandrownas auch die einer jugendlichen flatterhaften Koketterie, die nach ihrer Meinung mit der Lage Annas nicht harmonierte; doch als sie diese in der Nähe sah, söhnte sie sich sofort mit ihrem Reiten aus, denn selbst bei ihrer Eleganz, war alles an ihr so einfach, ruhig und würdevoll in Haltung und Kleidung, sowie auch in ihren Bewegungen, daß nichts natürlicher erscheinen konnte.

Neben Anna auf einem grauen feurigen Kavalleriepferd, welches die starken Füße hochwarf und augenscheinlich mit sich kokettierte, ritt Wasjenka Wjeslowskij in seiner schottischen Mütze mit den wehenden Bändern, und Darja Aleksandrowna konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen, als sie ihn erkannte.

Hinter ihnen ritt Wronskiy; er saß auf einem dunkelbraunen Vollblut, welches sichtlich vom Galopp aufgeregt war; um es zu halten, arbeitete er mit den Zügeln.

Nach ihm kam ein kleiner Mensch in Jockeykostüm. Swijashskiy mit der Fürstin in einem neuen Wagen, der von einem starken schwarzen Traber gezogen wurde, folgten den Reitern.

Das Gesicht Annas, als sie die in dem kleinen, alten Wagen in die Ecke geschmiegte Gestalt Dollys erkannte, erglänzte von freudigem Lächeln. Sie stieß einen Schrei aus, erbebte im Sattel und setzte das Pferd in Galopp. Als sie am Wagen angelangt war, sprang sie ohne Beistand ab und eilte, ihre Amazone aufnehmend, Dolly entgegen.

„Ich dachte es wohl, wagte es aber nicht zu denken! Welche Freude! Du vermagst dir meine Freude nicht vorzustellen,“ sagte sie, sich bald mit dem Gesicht an Dolly schmiegend, und sie küssend, bald sich entfernend und sie mit einem Lächeln betrachtend. „Das ist eine Freude, Aleksey!“ sprach sie, sich nach Wronskiy umblickend, der vom Pferde gestiegen war und zu ihnen herankam.

Wronskiy trat, den grauen hohen Hut abnehmend, zu Dolly.

„Ihr könnt nicht glauben, wie erfreut wir über Eure Ankunft sind,“ sagte er, seinen Worten ein besonderes Gewicht verleihend und lächelnd dabei seine festen weißen Zähne zeigend.

Wasjenka Wjeslowskij nahm, ohne vom Pferde zu steigen, die Mütze ab und bewillkommnete den Besuch, freudig die Bänder über seinem Kopfe schwingend.

„Dies ist die Fürstin Barbara,“ antwortete Anna auf den fragenden Blick Dollys, als der Wagen herangekommen war.

„Ah,“ sagte Darja Aleksandrowna, und ihr Gesicht drückte unwillkürlich Mißvergnügen aus.

Die Fürstin Barbara war die Tante ihres Gatten und sie kannte sie lange, achtete sie aber nicht. Wußte sie doch, daß die Fürstin Barbara ihr ganzes Leben als Konkubine reicher Verwandter verbracht hatte. Daß sie aber jetzt bei Wronskiy lebte, einem ihr fremden Mann, dies verletzte in Hinsicht auf die Familie ihres Gatten. Anna bemerkte den Ausdruck im Gesicht Dollys und wurde verlegen; sie errötete, ließ ihre Amazone aus den Händen gleiten und stolperte über dieselbe.

Darja Aleksandrowna begab sich zu dem stehen gebliebenen Wagen und begrüßte kühl die Fürstin Barbara. Swijashskiy war ihr gleichfalls bekannt. Er frug, wie sich sein Freund und Sonderling mit seiner jungen Frau befinde und schlug den Damen, mit einem schnellen Blick auf die nicht gerade dampfenden Pferde und den Wagen mit den ausgebesserten Seiten, vor, in der Equipage zu fahren.

„Ich hingegen werde in diesem Vehikel fahren,“ sagte er, „das Pferd ist sanft und die Fürstin fährt ausgezeichnet.“

„Nein, bleibt, wie Ihr waret,“ sagte Anna herzutretend, „aber wir wollen in diesem Wagen fahren,“ und Dolly bei der Hand nehmend, führte sie dieselbe mit sich.

Darja Aleksandrownas Augen schweiften über die elegante, von ihr noch nicht gesehene Equipage, die schönen Pferde, die vornehmen, glänzenden Personen, die sie umgaben, aber mehr als alles das frappierte sie die Veränderung, welche mit der ihr so wohlbekannten, geliebten Anna vor sich gegangen war. Ein anderes Weib, welches weniger aufmerksam gewesen wäre, und Anna früher nicht gekannt hätte, insbesondere nicht die Gedanken hegte, welchen Darja Aleksandrowna unterwegs nachgehangen hatte, würde nichts Eigenartiges an Anna bemerkt haben.

Jetzt aber war Dolly betroffen von jener nur zeitweisen Schönheit, die allein in Momenten der Liebe bei den Frauen zu erscheinen pflegt, und die sie jetzt auf Annas Gesicht fand. Alles an deren Gesicht, die Schärfe der Grübchen in Wangen und Kinn, die Lage der Lippen, das Lächeln, welches gleichsam rund um ihr Gesicht flog, der Glanz der Augen, die Grazie und Schnelligkeit ihrer Bewegungen, die Fülle des Tones ihrer Stimme, selbst ihre Manieren, mit denen sie ernst-freundlich Wjeslowskij antwortete, der sie um die Erlaubnis bat, sich auf ihre Stute setzen zu dürfen, um sie Galopp mit Rechtseinsatz lehren zu können – alles das war eigentümlich anziehend und sie selbst schien dies zu wissen und darüber Freude zu empfinden.

Nachdem sich die beiden Frauen in den Wagen gesetzt hatten, überkam sie beide eine plötzliche Verlegenheit. Anna geriet in Verwirrung wegen des aufmerksam fragenden Blickes, mit dem Dolly sie anschaute. Dolly, weil sie sich, nach den Worten Swijashskiys über das Vehikel, ihrer schmutzigen alten Kalesche schämte, in welche sich Anna mit ihr gesetzt hatte.

Der Kutscher Philipp und der Comptoirdiener hatten das nämliche Gefühl. Der Comptoirdiener beeilte sich, um seine Verlegenheit zu verbergen, den Damen beim Niedersetzen behilflich zu sein, während Philipp, der Kutscher, mürrisch geworden war, und sich vorgenommen hatte, dieser äußeren Überlegenheit nicht nachzugeben. Ironisch lächelnd blickte er auf den schwarzen Traber, und hatte schon im Geiste das Urteil gefällt, daß dieser Rappe im Wagen nur gut sei zur „Promenade“ und nicht vierzig Werst weit scharf und ohne Ausspann laufen könne.

Die Bauern hatten sich sämtlich von ihrem Wagen erhoben und schauten neugierig und belustigt den Besuchern entgegen, ihre Bemerkungen dazu machend.

„Sehr erfreut, sehr lange nicht gesehen,“ sagte der kraushaarige Alte mit dem Lindenbast.

„Nun, Vater Gerasim, der schwarze Hengst müßte die Garben hereinbringen; das ginge lebhaft!“

„Schaut an! Ist der da in den Hosen auch ein Frauenzimmer?“ sagte Einer, auf den im Damensattel sitzenden Wasjenka Wjeslowskij zeigend.

„Über den Bauer! Wie geschickt er anspielt!“

„Nun Kinder, wollen wir nicht ein Mittagsschläfchen halten?“

„Ach was, jetzt gar Schlaf!“ sagte der Alte, gebückt nach der Sonne schauend. „Mittag ist vorbei! Nehmt die Griffe fest; los!“ —