Czytaj książkę: «Anna Karenina, 2. Band»
Fünfter Teil
1
Die Fürstin Schtscherbazkaja fand, daß es unmöglich sei, die Hochzeit vor den Fasten, bis zu denen noch fünf Wochen waren, zu feiern, da die eine Hälfte der Ausstattung bis dahin nicht fertig zu stellen war; doch konnte sie nicht umhin, sich mit Lewin einverstanden zu erklären, daß es nach den Fasten wieder viel zu spät werden würde, da eine alte Tante des Fürsten Schtscherbazkiy sehr krank war und bald sterben konnte, und alsdann die Trauer die Hochzeit noch weiter verzögert haben würde. Die Fürstin erklärte sich infolge dessen, nachdem sie die Mitgift in zwei Partieen – eine große und eine kleine geteilt hatte, damit einverstanden, daß die Hochzeit zu den Fasten gefeiert würde. Sie beschloß den kleineren Teil der Mitgift schon jetzt bereit zu machen, während der größere später folgen würde, und war sehr erbost über Lewin, weil dieser ihr durchaus nicht ernsthaft zu antworten vermochte, ob er hiermit einverstanden sei oder nicht. Diese Ordnung der Dinge war um so bequemer, als die jungen Eheleute sogleich nach der Hochzeit auf das Land gingen, wo die große Mitgift gar nicht erforderlich war.
Lewin befand sich noch immer in jenem Zustande der Verzücktheit, in welchem es ihm schien, als ob er und sein Glück den hauptsächlichsten und einzigen Zweck alles Seienden bildete, daß er jetzt an nichts denken, für nichts sorgen dürfe, daß vielmehr alles für ihn von anderen gemacht wurde oder gemacht werden würde. Er hatte durchaus keine Pläne oder Ziele für sein zukünftiges Leben, sondern gab die Entscheidung hierüber anderen anheim in der Überzeugung, es werde schon alles gut gehen. Sein Bruder Sergey Iwanowitsch, Stefan Arkadjewitsch und die Fürstin leiteten ihn an, was er zu thun habe, und er war vollständig einverstanden mit allem, was man ihm vorschlug. Sein Bruder nahm Geld für ihn auf, die Fürstin riet, nach der Hochzeit Moskau zu verlassen, Stefan Arkadjewitsch riet, eine Hochzeitsreise ins Ausland zu machen. Er war mit allem einverstanden. „Thut was Ihr wollt, wenn es Euch Vergnügen macht. Ich bin glücklich, und mein Glück kann nicht größer sein und nicht kleiner, was immer Ihr auch thun möget,“ dachte er.
Als er Kity den Rat Stefan Arkadjewitschs mitteilte, eine Hochzeitsreise ins Ausland zu machen, wunderte er sich sehr, daß sie damit nicht einverstanden war, sondern bezüglich des beiderseitigen künftigen Lebens gewisse eigene bestimmte Forderungen stellte. Sie wußte, daß Lewin seine Beschäftigung auf dem Lande hatte, die er liebte. Sie verstand, wie er sah, nicht nur nichts hiervon, sondern wollte auch gar nichts davon verstehen lernen, doch hinderte sie dies nicht, jene Beschäftigung für sehr wichtig zu halten. Sie wußte ferner, daß ihr Haus in einem Dorfe stand, und wünschte nun eben, nicht ins Ausland zu fahren, wo sie ja nicht leben würde, sondern dorthin, wo ihr Haus stand. Dieser bestimmt ausgeprägte Entschluß setzte Lewin in Verwunderung, doch da ihm alles gleichgültig war, bat er sogleich Stefan Arkadjewitsch, als ob dies dessen Verpflichtung wäre, auf das Dorf zu fahren und dort alles vorzubereiten, wie er es verstünde, mit jenem Geschmack, den er in so reichem Maße besäße.
„Höre einmal,“ sagte nun eines Tags Stefan Arkadjewitsch zu Lewin, – vom Dorfe zurückgekommen, woselbst er alles für die Ankunft des jungen Paares eingerichtet hatte – „hast du denn ein Zeugnis, daß du gebeichtet hast?“
„Nein. Warum?“
„Ohne dies wirst du nicht getraut!“
„O, o, o,“ rief Lewin aus; „ich habe ja schon seit neun Jahren keine Fasten mehr innegehalten. Daran habe ich gar nicht gedacht!“
„Du bist mir Einer,“ lachte Stefan Arkadjewitsch, „und mich willst du einen Nihilisten nennen! Aber das geht wirklich nicht – du mußt fasten.“
„Wann denn? Es sind noch vier Tage übrig.“
Stefan Arkadjewitsch ordnete auch dies, und Lewin begann zu fasten. Für ihn, als einen Häretiker, der aber gleichwohl den Glauben anderer achtete, war die Gegenwart und Teilnahme bei jeder Art von kirchlichen Ceremonien sehr lästig. Jetzt, in seiner allen gegenüber gefühlvollen, weichen Seelenstimmung, in der er sich befand, war dieser Zwang zu heucheln, Lewin nicht nur lästig, er schien ihm vielmehr vollständig undurchführbar. Jetzt, in seiner vollen Mannhaftigkeit und Blüte sollte er entweder lügen oder spotten! Er fühlte sich nicht in der Lage, eines von beiden zu thun, aber soviel er Stefan Arkadjewitsch auch anliegen mochte, ob er nicht ein Zeugnis erhalten könne, ohne gefastet zu haben, Stefan Arkadjewitsch erklärte, dies sei unmöglich.
„Und was kann es dir darauf ankommen – zwei Tage? Er ist ein so lieber, verständiger Geistlicher und wird dir diesen Zahn ausziehen, daß du es gar nicht gewahr wirst.“
In der ersten Messe machte Lewin den Versuch, in sich die Erinnerungen an seine Jünglingszeit und jene mächtigen religiösen Gefühlsregungen wieder aufzufrischen, die er in seinem sechzehnten und siebzehnten Jahre durchlebt hatte. Doch alsbald überzeugte er sich, daß ihm dies vollständig unmöglich war. Er versuchte nun, auf alles das zu blicken, wie auf eine eitle Sitte, die keine innere Bedeutung besaß, und Ähnlichkeit mit der Sitte des Visitemachens hatte, empfand aber, daß er auch dies durchaus nicht über sich gewann. Lewin befand sich der Religion gegenüber, wie die Mehrzahl seiner Altersgenossen, auf einem vollständig unbestimmten Standpunkt. Glauben konnte er nicht, war aber bei alledem doch nicht fest überzeugt davon, daß alles Glauben unwahr sei, und so empfand er denn – weder imstande, an die Bedeutsamkeit dessen zu glauben, was er that, noch fähig, gleichgültig darauf zu schauen, wie auf eine leere Formalität – während der ganzen Zeit dieser Fasten ein Gefühl von Unbehagen und Scham, indem er that, was er selbst nicht verstand und was, wie ihm eine innere Stimme sagte, gewissermaßen irrig und nicht gut war.
Während der Kirchenfeier lauschte er bald den Gebeten und bemühte sich, ihnen eine Bedeutung beizulegen, die mit seinen Anschauungen nicht in Konflikt geriet, bald suchte er, in der Empfindung, daß er nichts verstehen könne und sie verwerfen müsse, die Gebete nicht zu hören und beschäftigte sich mit seinen Gedanken, Beobachtungen und Erinnerungen, die mit außerordentlicher Lebhaftigkeit während dieses müßigen Stehens in der Kirche in seinem Kopfe durcheinandergingen.
Er hörte die ganze Messe, die Vigilien und am andern Tage, zeitiger als sonst aufgestanden, begab er sich, ohne den Thee genommen zu haben, um acht Uhr morgens wieder in die Kirche, um die Frühgebete und die Beichte zu hören.
In der Kirche befand sich nur ein armer Soldat, zwei alte Weiber und die Kirchendiener.
Ein junger Diakonus, dessen langer Rücken sich in zwei Hälften scharf unter dem dünnen Leibrock abhob, trat ihm entgegen und begann sogleich, zu einem kleinen Tischchen an der Wand tretend, zu lesen. An der Art seines Lesens, besonders an der häufigen und schnell aufeinanderfolgenden Wiederholung der nämlichen Worte „Herr erbarme dich unser“, die von der Hast völlig entstellt klangen, fühlte Lewin, wie ihr Sinn für diesen Mann verschlossen und versiegelt war, fühlte aber auch, daß es sich nicht zieme, jetzt daran zu rühren, da hieraus nur eine Verwickelung entstehen konnte – und so fuhr er fort, hinter dem Geistlichen stehend, ohne ihn zu hören oder sich in ihn zu versenken, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken.
„Es liegt wunderbar viel Ausdruck in ihrer Hand,“ dachte er, sich vergegenwärtigend, wie sie gestern beide am Ecktisch gesessen hatten. Zu sprechen hatten sie wenig miteinander gehabt, wie das fast stets während dieser Zeit ist; sie hatte, nur die Hand auf den Tisch legend, diese geöffnet und geschlossen und dazu gelacht, indem sie auf ihre Bewegung blickte. Er dachte daran, wie er die Hand geküßt und dann die ineinanderlaufenden Linien auf der rosigen Handfläche betrachtet hatte.
„Wieder das entstellte ‚Herr erbarm dich‘,“ dachte Lewin, sich bekreuzend, verbeugend und auf die geschmeidige Bewegung des Rückens des sich beugenden Diakonus schauend. „Sie nahm darauf meine Hand und betrachtete die Linien; ‚du hast eine schöne Hand‘, hatte sie gesagt“ und er schaute auf seine Hand und auf die kurze Hand des Diakonus. „Ja, nun ist es bald zu Ende,“ dachte er, „nein, es scheint wieder von vorn anzufangen,“ dachte er, den Gebeten lauschend; „doch, es ist zu Ende, da neigt er sich schon bis zur Erde, das ist stets erst zuletzt der Fall.“
Diskret mit der Hand unter dem Plüschaufschlag ein Dreirubelpapier in Empfang nehmend, sagte der Diakon, er werde nun registrieren und schritt mit seinen neuen Stiefeln schnell und hallend über die Steinplatten der leeren Kirche zum Altar. Nach Verlauf einer Minute schaute er von dort wieder zurück und winkte Lewin. Der Gedanke, welchen dieser bisher in sich verschlossen gehabt, regte sich jetzt wieder in seinem Hirn, doch bestrebte er sich sogleich, ihn von sich zu weisen.
„Es wird sich schon machen,“ dachte er und schritt zu dem Altar. Er stieg die Stufen empor und erblickte, sich rechts wendend, den Geistlichen. Der greise Priester mit spärlichem, halbergrautem Bart und mattem gutmütigem Blick stand und blätterte in der Agende. Nachdem er Lewin leicht gegrüßt hatte, begann er mit der gewohnten Stimme sogleich die Gebete zu lesen. Als er hiermit zu Ende war, neigte er sich bis zur Erde und wandte sich hierauf mit dem Gesicht nach Lewin.
„Christus steht unsichtbar hier und nimmt Eure Beichte entgegen,“ sprach er, auf das Kruzifix deutend. „Glaubet Ihr an alles, was uns die heilige apostolische Kirche lehrt?“ fuhr der Geistliche fort, die Augen von Lewins Gesicht wegwendend und die Arme auf sein Epitrachelion legend.
„Ich habe gezweifelt und zweifle noch an allem,“ sagte Lewin mit einer Stimme, die ihm selbst unangenehm war, und schwieg dann.
Der Geistliche wartete einige Sekunden, ob Lewin nicht noch etwas Weiteres sagen würde, und sprach dann, die Augen schließend, in schnellem wladimirschen o-Dialekt:
„Die Zweifel sind der menschlichen Schwachheit eigen, aber wir müssen beten, auf daß der barmherzige Gott uns stärke. Was für besondere Sünden habt Ihr auf Eurem Gewissen?“ fügte er hinzu, ohne die geringste Pause dabei zu machen, und gleichsam, als wollte er keine Zeit verlieren.
„Meine vornehmste Sünde ist mein Zweifeln. Ich zweifle an allem, ich befinde mich größtenteils nur in Zweifeln.“
„Der Zweifel ist der menschlichen Schwäche eigen,“ wiederholte der Geistliche mit den nämlichen Worten, „aber woran zweifelt Ihr vornehmlich?“
„An allem. Ich zweifle bisweilen selbst an Gottes Dasein,“ antwortete Lewin unwillkürlich, und erschrak über das Unziemliche dessen, was er gesprochen hatte.
Auf den Geistlichen machten indessen, wie es schien, die Worte Lewins keinen Eindruck.
„Welche Zweifel können wohl über Gottes Dasein walten?“ sagte er schnell und mit kaum merklichem Lächeln.
Lewin schwieg.
„Welchen Zweifel könnt Ihr an dem Weltenschöpfer haben, wenn Ihr seine Werke schaut?“ fuhr der Priester in schneller, gewohnheitsmäßiger Sprache fort. „Wer hat den Himmelsdom mit Sternen geschmückt? Wer hat die Welt in ihrer Schönheit gekleidet? Wie sollte das ohne den Schöpfer möglich gewesen sein?“ sprach er, fragend auf Lewin schauend.
Dieser fühlte, daß es unschicklich gewesen wäre, einen philosophischen Wortwechsel mit dem Geistlichen zu beginnen und gab deshalb zur Antwort nur, was sich auf die Frage selbst bezog.
„Ich weiß es nicht.“
„Ihr wißt es nicht? Aber wie könnt Ihr dann daran zweifeln, daß Gott alles geschaffen hat?“ versetzte heiter-bedenklich der Geistliche.
„Ich begreife nichts,“ antwortete Lewin errötend, und im Gefühl, daß seine Worte thöricht waren und in dieser Situation thöricht sein mußten.
„Betet zu Gott und bittet ihn. Auch die Kirchenväter haben gezweifelt und Gott gebeten um Stärkung ihres Glaubens. Der Teufel hat gar große Macht und wir dürfen uns ihm nicht überliefern. Betet zu Gott und bittet ihn. Betet zu Gott,“ – wiederholte der Geistliche und schwieg hierauf einige Zeit, als sei er in Nachdenken versunken. „Wie ich vernommen habe, bereitet Ihr Euch vor, in den Ehebund mit der Tochter meines Pfarrbefohlenen und Beichtkindes, des Fürsten Schtscherbazkiy zu treten?“ frug er lächelnd, „das ist eine herrliche Jungfrau!“
„Ja,“ antwortete Lewin, über den Geistlichen errötend; „wozu brauchte derselbe bei der Beichte hiernach zu fragen?“ dachte er bei sich.
Als ob der Geistliche diesen Gedanken beantworten wollte, sagte er zu Lewin: „Ihr bereitet Euch vor, in den Stand der heiligen Ehe zu treten, und Gott kann Euch mit Nachkommenschaft segnen, nicht so? Welche Erziehung könnt Ihr alsdann Euren Kindlein geben, wenn Ihr selbst in Euch nicht die Versuchung des Teufels besiegen wollt, der Euch zum Unglauben verleitet?“ frug der Geistliche mit sanftem Vorwurf. „Wenn Ihr Euer Kind liebt, so werdet Ihr, als ein guter Vater, nicht nur Reichtum, Überfluß und Würden Eurem Kinde wünschen; Ihr werdet auch sein Heil wünschen, seine geistige Erleuchtung durch das Licht der Wahrheit. Ist es nicht so? Was werdet Ihr antworten, wenn das unschuldige Kindlein Euch frägt, Vater, wer hat das alles geschaffen, das mich in dieser Welt so sehr ergötzt, Erde, Wasser, Sonne, Blumen und Gräser? Solltet Ihr ihm antworten wollen, ich weiß es nicht? Ihr müßt es wissen, da Gott der Herr in seiner hohen Gnade es Euch geoffenbart haben wird. Oder wenn Euer Kind Euch früge ‚was erwartet mich im ewigen Leben?‘ Was werdet Ihr ihm da antworten, wenn Ihr nichts wißt? Wie wollt Ihr ihm einen Bescheid geben? Werdet Ihr ihm den Reiz der Welt und des Teufels zeigen? Das wäre nicht gut,“ sagte er und hielt inne, das Haupt auf die Seite neigend und Lewin mit guten sanften Augen anschauend.
Dieser antwortete jetzt nicht; nicht deswegen, weil er etwa nicht in einen Streit mit dem Geistlichen hätte kommen mögen, sondern, weil ihm noch niemand derartige Fragen gestellt hatte, und er, wenn erst einmal Nachkommen sie ihm stellen würden, noch Zeit genug hatte, darüber nachzudenken, was er dann antworten wollte.
„Ihr tretet ein in diejenige Zeit Eures Lebens,“ fuhr der Geistliche fort, „da es nötig ist, einen Weg zu wählen und sich auf demselben zu halten. Betet zu Gott, damit er in seiner Güte Euch helfe und sich Eurer erbarme,“ schloß er. „Unser Herr und Gott Jesus Christus in seiner göttlichen Gnade und Milde, seiner Liebe zu den Menschen vergebe dir mein Sohn!“ und das Sühnegebet beendend, segnete ihn der Priester und entließ ihn.
Als Lewin an diesem Tage heimgekehrt war, empfand er ein freudiges Gefühl darüber, daß diese peinliche Lage nun ihr Ende erreicht hatte, so erreicht, daß er nicht hatte zur Lüge greifen müssen. Daneben aber war in ihm auch eine unklare Erinnerung davon zurückgeblieben, daß das, was jener gute und liebenswerte Greis gesagt hatte, durchaus nicht so dumm gewesen war, als es ihm anfänglich geschienen, und daß es etwas hierbei gebe, was der Aufklärung bedürfe.
„Natürlich nicht jetzt,“ dachte Lewin, „aber später einmal.“ Lewin fühlte jetzt mehr, als früher, daß in seiner Seele etwas unklar und unrein sei, und daß er sich in Bezug auf die Religion in der nämlichen Lage befinde, die er so klar bei andern erkannt und nicht eben gern gesehen hatte, wegen deren er seinem Freunde Swijashskiy Vorwürfe gemacht.
Lewin war, den Abend mit seiner Braut bei Dolly verbringend, ausnehmend heiter, und sagte, als er Stefan Arkadjewitsch von der gährenden Gemütsverfassung Mitteilung machte, in der er sich befand, daß er sich wohl befinde wie ein Hund, den man durch den Reifen zu springen gelehrt habe und der nun, nachdem er endlich begriffen und ausgeführt hat, was von ihm verlangt wurde, winselt, und schweifwedelnd vor Entzücken auf Tische und Fenster springt.
2
Am Tage der Trauung bekam Lewin nach der üblichen Sitte – auf der Beobachtung aller Gebräuche behaarten die Fürstin und Darja Aleksandrowna streng – seine Braut nicht zu sehen und speiste im Hotel wo er wohnte, zusammen mit drei Junggesellen, die sich zufällig gefunden hatten; Sergey Iwanowitsch, Katawasoff, ein Universitätsfreund und nunmehriger Professor der Naturwissenschaften, den Lewin auf der Straße getroffen und mit sich genommen hatte, und Tschirikoff, ein Moskauer Friedensrichter und Gefährte Lewins auf der Bärenjagd.
Beim Diner ging es sehr heiter zu. Sergey Iwanowitsch war in aufgeräumtester Stimmung und trieb seine Kurzweil mit Katawasoffs Eigentümlichkeit. Katawasoff, welcher fühlte, daß seine Originalität geschätzt und verstanden werde, kokettierte mit derselben und Tschirikoff unterstützte die allgemeine Unterhaltung in seiner heiteren und gutmütigen Art.
„Da haben wir es ja,“ sagte Katawasoff mit seiner, auf dem Katheder angenommenen Art, die Worte zu dehnen, „welch ein tüchtiger Bursch unser Freund Konstantin Dmitritsch ist. Ich spreche von dem Abwesenden natürlich, denn er ist schon gar nicht mehr hier. Erst liebte er die Wissenschaft, und nach seinem Abschied von der Universität pflegte er menschliche Interessen; jetzt verwendet er die eine Hälfte seiner Fähigkeiten darauf, sich selbst zu betrügen, und die andere – um diesen Betrug zu rechtfertigen.“
„Einen entschiedeneren Feind des Heiratens, als Euch, habe ich noch nicht gesehen,“ sagte Sergey Iwanowitsch.
„O nein; ich bin kein Feind davon; ich bin vielmehr ein Freund der Arbeitsteilung. Die Menschen, welche selbst nichts fertig bringen können, müssen Menschen hervorbringen, und die übrigen – müssen zu deren Aufklärung und Beglückung wirken. So fasse ich die Sache auf. Für die Mischung dieser beiden Berufszweige giebt es ja eine Unmasse von Liebhabern, ich aber gehöre nicht unter die Zahl derselben.“
„Wie glücklich würde ich sein, wenn ich einmal erführe, daß Ihr Euch verliebt hättet,“ sagte Lewin, „ladet mich nur ja zur Hochzeit ein!“
„Ich bin schon verliebt.“
„Ja, ja, vielleicht in einen Tintenfisch. Du weißt doch,“ wandte sich Lewin an seinen Bruder, „daß Michail Ssemionowitsch ein Werk über Ernährung schreibt und“ —
„Nun; nur nichts durcheinanderbringen! Das ist doch ganz gleich. Es handelt sich jetzt nur darum, daß ich wirklich einen Tintenfisch lieben soll.“
„Das hindert Euch aber nicht, auch ein Weib zu lieben.“
„Er nicht, aber das Weib hindert.“
„Inwiefern denn.“
„Ihr werdet es schon noch sehen. Ihr liebt das Landleben, die Jagd – paßt nur auf!“
„Archip war heute hier und meldete, daß eine Masse Elentiere in Prudno wären, und zwei Bären,“ sagte jetzt Tschirikoff.
„Nun; die müßt Ihr schon ohne mich fangen.“
„Ganz richtig,“ sagte Sergey Iwanowitsch, „empfehle dich nur gleich von vornherein der Bärenjagd – deine Frau wird dich nicht mehr fortlassen.“
Lewin lächelte. Der Gedanke, daß seine Frau ihn nicht mehr zur Bärenjagd lassen würde, war ihm so angenehm, daß er bereit war, dem Vergnügen, Bären zu sehen, für immer zu entsagen.
„Aber es ist doch schade, daß diese beiden Bären ohne Euch erlegt werden. Besinnt Ihr Euch noch, das letzte Mal in Chapilowo? Das war eine wunderbare Jagd,“ sagte Tschirikoff.
Lewin wollte ihn nicht ernüchtern, indem er sagte, daß es auch ohne die Bärenjagd noch manches Schöne geben könne und antwortete daher nicht.
„Nicht unnützerweise hat sich diese Sitte des Abschiednehmens vom Junggesellenleben eingebürgert,“ sagte Sergey Iwanowitsch, „wie glücklich du auch sein magst, schade ist es doch um die verlorene Freiheit. Gesteht nur, man hat dabei ein Gefühl wie der Gogolsche Bräutigam, daß man durch das Fenster hinausspringen möchte.“
„Natürlich ist es so, aber er will es nur nicht zugeben,“ sagte Katawasoff und brach in lautes Gelächter aus.
„Was denn! Das Fenster ist ja noch geöffnet! Fahren wir sogleich nach Twjerj! Dort ist eine Bärin, zu der können wir ins Lager. Fahren wir mit dem Fünfuhrzug. Dort macht man was man will,“ meinte Tschirikoff lächelnd.
„Nun, bei Gott,“ antwortete Lewin lächelnd, „ich kann in meinem Innern dieses Gefühl des Bedauerns über meine verlorne Freiheit nicht finden.“
„Ja, in Eurer Seele ist jetzt aber auch ein solches Chaos, daß Ihr überhaupt nichts darin finden könnt,“ sagte Katawasoff, „wartet nur, wenn Ihr erst ein klein wenig mit Euch ins klare gekommen sein werdet, dann werdet Ihr es schon finden.“
„Nein, fühlte ich auch nur im geringsten, daß es außer meinem Gefühl,“ – von Liebe wollte er vor dem Freunde nicht reden, „noch ein Glück gäbe, dann wäre es schade, die Freiheit zu verlieren – aber im Gegenteil, ich freue mich sogar über diesen Verlust meiner Freiheit!“
„Schlimm! Ein hoffnungslos Verlorener!“ sagte Katawasoff, „nun, trinken wir auf seine Genesung, oder wünschen wir ihm nur, daß wenigstens ein Hundertstel seiner Träume in Erfüllung gehe. Schon dies wird ein Glück werden, wie es nie auf der Erde existiert hat.“
Bald nach dem Essen verabschiedeten sich die Gäste, um zur Hochzeitsfeier Toilette zu machen.
Allein zurückgeblieben und sich die Gespräche dieser Hagestolze vergegenwärtigend, frug sich Lewin noch einmal, ob er denn wirklich dieses Gefühl des Bedauerns über den Verlust seiner Freiheit in der Seele habe, von dem sie gesprochen. Er lächelte bei dieser Frage. „Freiheit? Warum Freiheit? Das Glück besteht allein darin, daß man liebt, wünscht und denkt mit ihren Wünschen, ihren Gedanken, das heißt, ohne jede Freiheit – dies ist das Glück! – Aber kenne ich denn ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre Gefühle?“ flüsterte ihm plötzlich eine Stimme zu. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht und er versank in Nachdenken. Plötzlich hatte ihn eine seltsame Stimmung erfaßt, es überkam ihn Furcht und Zweifel – ein Zweifel an allem. – „Wie, wenn sie mich gar nicht liebte? Wie, wenn sie mich nur deswegen heiratete, um sich eben zu verheiraten? Oder, wenn sie gar selbst nicht wüßte, was sie thut?“ frug er sich. „Sie kann zur Erkenntnis kommen und, kaum verheiratet erkennen, daß sie gar nicht liebt, mich nicht lieben kann?“ Die seltsamsten und schlimmsten Ideen über sie begannen ihm aufzutauchen. Er war eifersüchtig auf sie gegen Wronskiy, wie ein Jahr zuvor; als ob jener Abend, an welchem er sie bei Wronskiy gesehen hatte, erst gestern gewesen wäre. Er argwöhnte, daß sie ihm nicht alles gesagt habe, und er sprang schnell auf. „Nein, so geht es nicht!“ sprach er voll Verzweiflung zu sich. „Ich werde zu ihr gehen, sie fragen, und ein letztes Mal ihr sagen: Wir sind noch frei, ist es nicht besser, es zu bleiben? Es wäre dies doch besser, als ein ewiges Unglück, als Schande und Untreue!“ Verzweiflung im Herzen und voll Zorn gegen die ganze Menschheit, auf sich und sie, verließ er das Hotel und fuhr zu ihr.
Er traf sie in den Hinterzimmern. Sie saß auf einem Koffer und traf mit einer Dienerin Anordnungen, einen Haufen verschiedenartiger Kleider durchmusternd, welche auf den Rücklehnen der Stühle und auf dem Fußboden ausgebreitet lagen.
„Ah!“ rief sie, ihn erblickend, und ihr Gesicht erstrahlte vor Freude. „Wie kommst du – wie kommt Ihr“ – bis zu diesem letzten Tage hatte sie bald „du“, bald „Ihr“ zu ihm gesagt – „das habe ich nicht erwartet. Ich mustere soeben meine Mädchenkleider, für wen das Eine oder Andere“ —
„Ach, sehr gut!“ antwortete er düster, auf die Zofe blickend.
„Geh hinaus, Dunjascha, ich werde dich dann rufen,“ sagte Kity. „Was ist dir?“ frug sie, ihn unbedenklich mit „du“ ansprechend, sobald das Mädchen gegangen war. Sie bemerkte sein seltsames Gesicht, welches aufgeregt und düster aussah, und ein Schrecken befiel sie.
„Kity; ich leide. Ich kann aber nicht allein leiden,“ sprach er, Verzweiflung in der Stimme, blieb vor ihr stehen und schaute ihr beschwörend in die Augen. Er hatte schon an ihrem liebevollen, treuherzigen Gesicht gesehen, daß sich nichts aus dem ergeben werde, was er ihr zu sagen beabsichtigte, aber gleichwohl hatte er das Bedürfnis, von ihr selbst seine Zweifel zerstreut zu sehen. „Ich bin gekommen, dir zu sagen, daß es noch nicht zu spät ist, daß alles wieder aufgehoben und in das alte Geleis zurückgebracht werden kann.“
„Was denn? Ich verstehe nichts. Was ist dir?“
„Das was ich tausendmal gesagt habe und woran ich immer denken muß; das, daß ich deiner nicht wert bin. Du konntest nicht einwilligen, mich zum Manne zu nehmen. Bedenke es. Du hast einen Irrtum begangen. Überlege recht wohl! Du kannst mich nicht lieben! Wenn – sage lieber“ – sprach er, ohne sie anzublicken. „Ich werde unglücklich sein. Mögen alle reden, was sie wollen, es ist besser so, als ein Unglück; es ist besser, jetzt zu sprechen, so lange es noch Zeit ist“ —
„Ich verstehe nicht,“ antwortete sie erschreckt, „das heißt, du willst alles aufheben, daß es nicht mehr nötig sei?“ —
„Ja, wenn du mich nicht liebst.“
„Du bist von Sinnen!“ rief sie aus, vor Unwillen errötend. Aber sein Gesicht sah so kläglich aus, daß sie ihren Verdruß unterdrückte, und sich, die Kleider von einem Lehnstuhl werfend, ihm näher setzte. „Was denkst du eigentlich; sage mir alles!“
„Ich denke, daß du mich nicht lieben kannst. Weshalb solltest du mich denn lieben können?“
„Mein Gott, was soll ich anfangen?“ sagte sie und brach in Thränen aus.
„O, was habe ich gethan!“ rief er jetzt und begann, vor ihr auf die Kniee niederfallend, ihre Hände zu küssen.
Als fünf Minuten später die Fürstin in das Zimmer trat, fand sie die beiden schon vollständig beruhigt. Kity hatte ihm nicht nur versichert, daß sie ihn liebe, sondern ihm sogar, auf seine Frage antwortend, weshalb sie ihn denn liebe, erklärt, warum.
Sie hatte ihm gesagt, daß sie ihn liebe, weil sie ihn ganz kenne, weil sie wisse, was er lieben müsse, und daß alles, was er liebe, stets gut sei. Und dies war ihm auch vollständig klar erschienen. Als die Fürstin bei ihnen eintrat, saßen sie beide nebeneinander auf dem Koffer und musterten Kleider, streitend, daß Kity jenes zimmetfarbene Kleid, welches sie getragen, als ihr Lewin seinen Antrag gemacht hatte, der Dunjascha geben wollte, während er darauf bestand, man dürfe dieses Kleid an niemand weggeben, sondern möge der Dunjascha das blaue schenken.
„Aber verstehst du nicht? Sie ist doch brünett und dies wird ihr daher nicht stehen. Bei mir ist alles schon vorbedacht.“
Als die Fürstin erfahren hatte, weshalb er gekommen sei, geriet sie halb im Scherz und halb im Ernst in Groll und schickte ihn wieder nach Hause, damit er sich ankleide und Kity bei der Toilette nicht störe, da Charles sogleich kommen würde.
„Sie hat so schon während dieser ganzen Tage nicht gegessen und ist magerer geworden und du bringst sie nun mit deinen Thorheiten noch mehr aus der Fassung,“ sagte sie zu ihm; „mach daß du fortkommst nach Hause, nach Hause mein Lieber.“
Lewin kehrte verlegen und beschämt, aber beruhigt, nach seinem Hotel zurück. Sein Bruder, Darja Aleksandrowna und Stefan Arkadjewitsch, alle in voller Gesellschaftstoilette, erwarteten ihn schon, um ihn mit dem Heiligenbild zu segnen. Es war keine Zeit mehr zu verlieren.
Darja Aleksandrowna mußte noch nach Hause zurückkehren, um ihren pomadisierten und frisierten Sohn zu holen, welcher das Heiligenbild mit der Braut tragen sollte. Dann mußte ein Wagen nach dem Brautführer gesandt werden und ein anderer, der Sergey Iwanowitsch fortbrachte, wieder hergeschickt werden. Überhaupt gab es sehr viele und verwickelte Überlegungen hierbei, und nur Eines war unzweifelhaft, daß nicht mehr gesäumt werden dürfe, da es bereits halb sieben Uhr war.
Die Segnung mit dem Bilde hatte nichts weiter auf sich. Stefan Arkadjewitsch stellte sich in komisch-feierlicher Haltung neben seine Gattin, nahm das Heiligenbild, segnete Lewin, nachdem er diesem befohlen hatte, sich bis auf die Erde zu verbeugen, mit seinem gutmütigen und sarkastischen Lächeln und küßte ihn dreimal. Das Nämliche that Darja Aleksandrowna, die sich dann sogleich beeilte, abzufahren und abermals in das Arrangement der Bewegung der Wagen vertiefte.
„Nun, so wollen wir es also machen: du fährst in unserem Wagen ihn abzuholen, und Sergey Iwanowitsch würde, wenn er die Güte haben wollte, vorausfahren, den Wagen aber zurückschicken.“
„Gewiß, sehr gern.“
„Wir aber können gleich mit ihm fahren. Sind die Kleider in Ordnung?“ frug Stefan Arkadjewitsch.
„Sie sind es,“ versetzte Lewin und befahl Kusma, seinen Anzug zu bringen.