Psychotische Reaktionen und heiße Luft

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Da wir nun einige Missverständnisse aus dem Weg geräumt und den Platz der Stooges in der Tradition des Rock bestimmt haben, können wir zum angenehmen Teil übergehen und uns mit Fun House auseinandersetzen. Das erste, was einem auffällt: die Platte ist viel rauer und auch scheinbar erratischer als das erste Album. Tatsächlich schienen dessen Klarheit und Präzision ein falscher John-Cale-Alarm gewesen zu sein. Cales Einfluss war offensichtlich: natürlich die Viola in »We Will Fall« und der monoton insistierende Klavierton, der sich wie ein sehr seltsames Schlittengeläut durch »I Wanna be your Dog« hindurchzieht, erinnert stark an das Pianosolo in »I’m Waiting for my Man« der Velvets. Wahrscheinlich hat Cale die Musik der Stooges viel monotoner gemacht als sie eigentlich war (obwohl sie immer noch ganz schön monoton ist, aber diese neue Monotonie wirkt so nachhaltig, dass sie zu keinem Zeitpunkt langweilig wird) und er hat sie auch »bereinigt«, um aus der Debütplatte ein definitives Statement zu machen. Iggys Stimme ist deutlich zu verstehen und die Instrumentalteile sind klar definiert, wenn auch ein wenig zurückgenommen. Die erste Platte klang im großen und ganzen mehr nach einer John Cale-Produktion als danach, was die Stooges als Band eigentlich ausmacht. Und so freuten wir uns, die wir sie noch nicht live gesehen hatten, auf das zweite Album, hatten aber einige Vorbehalte, was ihre musikalischen Fähigkeiten betrifft. Sie bekamen sehr schlechte Presse. Chris Holdenfield nannte sie »bedrogte Faultiere«, die »langweilige, gehemmte Musik für langweilige, gehemmte Leute« machten (hmmm, würde das ganz sicher nicht mögen, zu denen zu gehören, da muss man schon so ’ne Art kranker Perverser sein, um die Stooges zu mögen, oder was? – Na ja, ich glaube Grand Funk Railroad sind doch die bessere Wahl. Andererseits: könnte nicht genau das eine Abwehrreaktion von Leuten sein, die Angst haben, sie wären kranke Perverse und daher ihre eigenen Albträume in die Stooges-Geschichte hineinlesen? Genauso wie viele Leute Velvet Underground für eine sehr lange Zeit absolut verabscheuten und es immer noch tun. Ein prominenter Kritiker des Rolling Stone, von dem ich wissen wollte, ob er White Light/White Heat gehört hatte, fragte mich: »Machen die immer noch ihren Schwulenkram?« – Nein, mein Freund, keine Sorge, sie machen MUSIK). Und Robert Christgau schrieb darüber, wie er mit bohrenden Kopfschmerzen fluchtartig den Raum verließ, in dem die Stooges spielten – nichts wie weg von denen. Sind sie denn wirklich so schlecht? Oder ist so ein Ausmaß an Abscheu seitens der Kritik nicht ein so gut wie sicheres Zeichen, dass irgendetwas Wichtiges vor sich geht? So ähnlich wie Mighty Quick auf der Alternative Media Conference den fast schon mörderischen Zorn eines ganzen Raums voller Aktivisten auf sich luden (»Off that pig band!« »Killt die Schweineband!«). Jeder, der so viele Leute zur Weißglut treiben kann, nur indem er auf einer Bühne steht und nichts weiter als seinen Auftritt durchzieht – ganz egal, wie schlecht er letztlich auch sein mag –, muss irgendwas an sich haben.

Als ich Fun House zum ersten Mal hörte, gefiel es mir überhaupt nicht. Ich hatte gehofft, wenigstens ein Teil der Klarheit des ersten Albums wäre geblieben. Ich legte die Platte auf, machte lauter und hörte sie über Kopfhörer, denn es war schon fast Mitternacht. Jeder Song klang genau gleich. Ihre Strukturen wirkten extrem matschig, als würde jedes Instrument für sich in getrennten Universen knarzen, und Iggys Stimme schien viel weniger charakteristisch als auf der ersten Platte zu sein – mehr wie ein herumbrüllendes Kind. Zudem konnte ich kaum etwas von den Texten verstehen. Der letzte Strohhalm war das Instrumental »L.A. Blues«, das letzte Stück auf Seite zwei. Es schien für alle Zeiten kreischen und stöhnen zu wollen, ein taumelndes Wirrwarr aus Feedback, so ärgerlich, prätentiös und unmusikalisch wie Yoko Ono in ihren schlimmsten Momenten. Ich schlief unter den Kopfhörern ein, wurde von dem Lärm wieder wach, sprang auf, riss mir wütend die Kopfhörer runter und murmelte: »Lieber Gott, genug jetzt von diese Scheiße! Die Wahrheit tritt zutage: Die Stooges sind Mist.«

Ich spielte die Platte am nächsten Morgen noch einmal, hörte aber kaum hin und legte sie erstmal beiseite. Allen meinen Freunden erzählte ich, dass es meiner Ansicht nach eines der schlechtesten Alben des Jahres wäre, ein Haufen unausgegorener Scheiße. Ein paar Wochen später kam dann der Tag. Einige Freunde schauten vorbei und verlangten, die Platte zu hören. Grummelnd legte ich sie auf. Ich war immer noch sauer. Ich glaubte, vom Hype und der Produktion dazu gebracht worden zu sein, eine Gruppe zu bewundern, die kein bisschen Talent hätte. Und für einen Teufelsbraten von Rockkritiker, der ich mir einbildete zu sein, war das ein arscherniedrigendes Eingeständnis.

Dieses Mal allerdings begann ich die Platte anders zu hören. Als ich die Musik diesmal direkt aus dem Lautsprecher hörte, fing es plötzlich an, Sinn zu ergeben. Ich spielte die Platte an dem Abend nochmal und schließlich legte ich sie immer wieder auf. Endlich ging mir auf, das die Musik auf Fun House weder schlampig noch plump ist (nicht auf die Weise schlampig, wie eine Schwachsinnsgruppe wie Deep Purple es ist, die ihre Alben mit allem möglichen unangemessenen Zeug vollstopft, lange gedaddelte Soli nicht ausarbeitet und sich im allgemeinen so verhält, als hätte sie nicht den geringsten Schimmer von dem, was verfickt sie da treibt). Es ist ein so loses und raues Album, wie es niemals eines gegeben hat, aber jeder einzelne Song hat einen eingebauten Sinn für eine intuitive Geschmackssicherheit, die ihm eine Unmittelbarkeit und Reichtum gibt. Alles fliegt wie irre herum, sobald man aber einzelne Läufe und vergrabene Riffs aus dem rasenden Strom herausnimmt, bemerkt man, dass nichts Missratenes hervorsticht, keine halbherzigen oder undurchdachten Gesten. Und das ist für die Schule metallischer Musik, aus der die Stooges kommen, eher ungewöhnlich – man denke nur an den üblen Schlamm von Grand Funk Railroad. Misslungenes rattert wie ein blechern klingender Motor und wirkt dabei wie ein unmenschlicher Schatten, wie der peinliche Blindgänger »Starship« von den MC5. Die Stooges hingegen hinterlassen nichts Unfertiges. Für eine Übung in vollkommener Versifftheit gehen sie ausgesprochen ordentlich und methodisch vor.

Was ich damit sagen will? Fun House ist eines dieser seltenen Alben, die sich niemals gleich bleiben. Nicht immer unmittelbar zugänglich, braucht es vielleicht eine Weile, bis man reinkommt, aber die aufgewendete Zeit lohnt sich. Denn vernünftig konzipierter und bearbeiteter Lärm ist kein Lärm mehr, sondern Musik, deren Strukturen einfach nur ein wenig dichter und intensiver sind als üblich. Beim ersten Mal hört man vielleicht nichts weiter als eine Obskurität, doch nach vielen weiteren Malen können sich völlig neue sonische Perspektiven eröffnen, von denen man nicht einmal geträumt hat. Also spielt man die Platte viele, viele Male und bahnt sich langsam den Weg ins Herz ihrer diffusen Komplexität, genießt ihre Vielfältigkeit, um sie schließlich nach Monaten ungezählter Durchläufe doch satt zu bekommen, denn jede Platte wird irgendwann mal schal. Es ist nur so, dass diese Sounds länger brauchen, bis man sich an sie gewöhnt, wesentlich länger auch als an das zuletzt patentierte Technicolor-Leon-Russell-Riff der Supergroup vom letzten Dienstag, bis man sie satt bekommt. Ornette Colemans Free Jazz-Album ist ein Beispiel dafür. Und beim ersten Anhören von »Sister Ray« hörte ich nicht viel mehr als die Orgel. Das Album der Stooges ist nicht annähernd so komplex wie eines dieser Beispiele. Aber wenn man bedenkt, dass Ornette die ganze Sache praktisch an den Start gebracht hat und die Velvets die avancierteste experimentelle Gruppe ihrer Zeit waren, dann stimmt es, was Iggy croont: die Stooges lernen schnell.

Jede Seite der Platte ist aufgebaut wie eine Suite, die in Intensität und Energie anwächst, bis es zum Zusammenbruch kommt. Die erste Seite eröffnet mit Igs neuer Power-Hymne. »Down on the street where the faces shine … See a pretty thing / Ain’t no wall!« Ein bösartiger Beat, der so klingt wie das Klicken der Stiefel einer Gang auf dem Asphalt, dazu angespannte, vergleichsweise in Reserve gehaltene Gitarren, bis Iggy mit einem seiner vielen rudimentären stimmlichen Einwürfe das Ruder übernimmt. Tatsächlich zeigt sich auf diesem Album, auf dem es zunächst so schien, als würde er seine echte Stimme quasi der Anonymität überlassen, ein wirklicher Fortschritt zum klar pointierten, aber vergleichsweise zahmen Gesang auf The Stooges. Die häufig geäußerte Kritik, er würde zu sehr nach Mick Jagger klingen, kam da der Wahrheit ziemlich nahe, aber jetzt leuchtet die eigentliche Stimme der Stooges in aller Glorie ihres individualistischen Gebrülls. Natürlich ging er von Jagger aus, so wie Dylan von Woodie (Guthrie) und Rambling Jack (Elliott) ausging – jeder muss von irgendwas Bekanntem ausgehen. Doch tatsächlich steigert sich Ig von einfachen Jagger-Manierismen über ein angeberisches Heulen (das brillant und nebenbei auch für einen nicht unbedingt kleinen Anteil an den Spöttereien über Iggy verantwortlich war) bis zu einem breiten adoleszenten Murren. Der mürrische Grantler auf The Stooges hat sich jetzt schon zu einem guten, vielseitigen Sänger entwickelt – immer zugestanden, dass er auch nicht die Spur einer »guten« Stimme im traditionellen Sinne hat (aber Jagger und Dylan haben die auch nicht). Er hat nur einen geringen Stimmumfang, aber immerhin einen größeren als Question Mark, der in jedem Song einfach nur brabbelte wie ein gefühlloses, feindseliges Insekt aus dem Weltall, und einen kleineren als Lou Reed, der ursprünglich auch nur über ein flaches Bellen verfügte, inzwischen aber versucht, sich für die subtilen Songs, die er in letzter Zeit geschrieben hat, selbst das schmachtende Singen beizubringen. Iggy klingt immer noch ziemlich mürrisch, aber hinter jedem seiner Worte scheint ein Augenzwinkern hervorzulugen. Außerdem schmollt er so gut wie überhaupt nicht. Hauptsächlich phrasiert er seine Lyrics mit einer heimlichen finsteren Freude, als wäre er der durchgeknallte Anführer einer Gang, der seinen Leuten gerade die Details eines Coups erklärt. Und genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet, schleudert er eine seiner bizarren, unartikuliert fluchenden Tierlaute heraus, die zu den Kennzeichen des Albums gehören: das Fauchen einer Wildkatze (und das nach Roy Orbison?), hustendes Krächzen, Schreien und zerfetzt gurgelndes Drohen.

 

Im zweiten Track »Loose« zieht das Tempo an. Das Stück ist auch erheblich komplex. Es beginnt, wie die meisten auf dem Album, mit einem rauen Schrei von Iggy. Die Vocals nehmen einen rostigen Tonfall an, so wie ein durch ein Megaphon geschickter Fleischwolf. Der Text bestätigt allerdings noch einmal die adoleszente Angeberei des ersten Songs: »I feel fine / I’m a dancing baby / And you can come / I do belive / I stick it / Deep inside / Stick it deep inside / Cause I’m loose...« Und irgendwie glaubt man Iggy das, wenn er es sagt.

Danach kommt »T.V. Eye«, der erbarmungslos treibendste und, für meinen Geschmack, am besten ausgearbeitete Song des Albums. Das Arrangement ist im Grunde dasselbe wie bei »Loose«, nur ein bisschen aufgemotzter, aber die Intensität und Überzeugungskraft der Performance machen den Unterschied. Das sind die Stooges in ihrer besten Form – schroff, knarzig, erratisch und dennoch jede Sekunde rhythmisch auf dem Punkt. Die Energie und Wildheit, die sich die ganze Seite lang aufgehäuft haben, nehmen noch einmal einen steilen, fast vertikalen Anstieg, der wie ein Wirbelwind daherkommt und immer stärker wird, bis die Spannung ihren Höhepunkt erreicht und es keinen anderen Ausweg mehr gibt als den nach unten zum balladenhaften »Dirt«.

Die Lyrics bestehen aus Iggys althergebrachten Stegreif-Bildern, die in die gewohnten Selbstbehauptung kulminieren: »See that calf / Down on her back / See that girl / Down on ’er back/ She got a T.V. eye on me...« Dem folgt ein wildes Instrumentalbreak, der den stärksten Velvet-Underground-Einfluss des Albums hat. Es klingt ziemlich wie der heftig mahlende Strom am Ende von »Sister Ray«, kurz bevor die Energie jenes musikalischen Behemoth an ihren Höhepunkt gelangen, wie es auch hier geschieht. Die Gitarren verdichten sich zu einer einzigen Bassnote, eindringlich wie ein hämmerndes Herzklopfen, und Iggy verabschiedet sich mit einem heiseren, irren Schrei: »Brothahs! Brothahs! Brothahs!« Puh! Stille. Verausgabt kollabierst du, aber das schneidende Motiv setzt noch einmal an, doch nur als eine kurze Reprise, die zu »Dirt« überleitet, dem langen, langsamen Abschluss, der die Energien, die sich über die letzten Minuten angesammelt haben, zurückfährt und in rumpelnde Untertöne versteckt.

»Dirt« ist eine besondere Ballade in der einzigen Form, wie sie in dieser postromantischen Ära noch möglich ist: eine knapp gehaltene persönliche Erklärung und ein unmissverständlicher Antrag: »I’ve been hurt / But I don’t care / I’ve been dirt / But I don’t care / ’Cause I’m learnin’ … learrrnin’...«.

Der instrumentale backing track von »Dirt« ist gut, verbittert und stolz zugleich. Das Thema scheint alle adoleszenten Offenlegungen zusammenzufassen und unter Historie abzuheften. Nachdem er die Leiden des jungen Werther und jede mögliche andere Form verfluchter Frustration erlitten hat, ist Iggy endlich der langen Nacht seiner Trägheit entronnen und sonnt sich in seiner neuen seltsamen Irrsinnsmännlichkeit. Er hat von allen Rückschlägen gelernt und ist nun bereit, es mit der Welt aufzunehmen. Ich fragte mich, als ich in der eingangs erwähnten TV-Übertragung sah, wie die Menge Iggy auf ihren Schultern und Armen trug, wieso er die Fäuste ballte und sich auf die Brust schlug, deren Muskulatur er übrigens in der guten alten Bodybuilder-Manier eines Charles Atlas anspannte (was ziemlich lustig aussieht, wenn derjenige, der diese Pose einnimmt, ein dürres verschwitztes Kid mit verdrehten Augen ist). Er bestätigte damit offenbar nur kampflustig seine neugefundene Kraft und Toughness: »Hier bin ich, Babies, und ich habe gesiegt – versucht doch mal, euch mit mir anzulegen.«

Seite zwei baut wie schon Seite eins eine sich allmählich steigernde Energie auf, nur Tempo und Nachdruck sind anders. »1970« ist vermutlich der schwächste Song, das unbeurteilbare »L.A. Blues« nicht mitgerechnet. Dem Arrangement fehlt irgendwie die angespannte Hysterie der Stücke von Seite eins und für diesmal gleicht die Stimmung rasender Unordnung wirklich mehr einer Schlampigkeit als einem wirbelnden Energievektor. Der Text erinnert an Chuck Berrys »You Can’t Catch Me«, und als Samstagnacht-Partysong geht er auch in Ordnung, obwohl das Verschwommene und die Atmosphäre der Desorientierung einen schon wundern, und man fragt sich, um was für eine Art Party es sich eigentlich handelt, jedenfalls bestimmt keine, auf der man groß die Sau rauslässt. Denn während man auf Seite eins immer wusste, wo genau im elektrischen Sturm man sich jeweils befand, ist dies eindeutig ein Stück, auf dem die Band irgendwie im Trüben fischt.

Die Rettung für »1970« ist der angesagte Saxophonist Steve Mackay, dessen Spiel auf der gesamten zweiten Seite man einfach nicht ignorieren kann. Aus irgendeinem Grund sind nur wenige weiße Saxophonisten dazu in der Lage, Jazzformen zu bewältigen, ohne dass es auf die eine oder andere Art in rührselige Parodien ausartet. Und versuchen sie sich an der Freien Musik aus der Shepp/ Ayler-Abteilung, sind die Resultate sogar noch übler. Für gewöhnlich dudeln sie irgendeinen unzusammenhängenden Wirrwarr an Noten, ihre Finger rutschen nachlässig über die Tasten, als würde das allein schon Free Jazz bedeuten, der in Wirklichkeit ja größte Meisterschaft erfordert. Sehr viel erfordert es nicht, Scheiß zu spielen, aber den echten, wahren Scheiß zu spielen erfordert eine besondere Vorstellungskraft und kontrollierte Fähigkeit. Steve besitzt gottseidank genug von beidem, um seine Soli und sein Ensemblespiel interessant zu machen. Sein Spiel bewegt sich dabei auf einer Zickzacklinie zwischen einem Post-Coltrane-Ansatz und dem guten alten, großartig primitiven Rock’n’Roll-Honking.

Der Titeltrack ist das nächste und längste Stück. Es beginnt mit dem gleichen Stimmen-Chor von Iggy wie »1970« und hat ein stampfendes, bolzendes Arrangement, das sich auf ein orkanhaftes Delirium zubewegt. Gleich zu Anfang mäandert eine Lou-Reed-artige Gitarre hinter Iggys Stimme, und Mackay liefert ein erdiges, perkussives Meckern, in das er gelegentlich hastig ein garstiges Blöken einstreut. Das glorreich »nachlässige« Stück der Platte. Es kriecht, kratzt und kaspert sich voran wie ein Golem, der auf einem Holzbein Richtung Bethlehem humpelt. Die Lyrics und die Art und Weise, wie Iggy sie bringt, sind erstklassig. Eine Vision deliranter Kids, die sich durch Kaskaden geschmacklos greller Phantasmagorien von Rummel- und Rennplatz bewegen. Das Fun House (die Kirmes) scheint eine Metapher für einen lockeren Lebenswandel zu sein, was von Iggy mit einer Art fröhlich mondsüchtigem Quieken vorgetragen wird: »Little Baby gurl and little / Bay-buh boy / Covered me with lovin’ in a / Bundle o’ koy / Do I care to show ya’ whut I’m / Dreamin’ of / Do I dare tuh fuck ya / With mah luve?« Das »fuck« ertönt mit einem keuchenden hohen Schrei. Und Iggy fügt hinzu: »Evah little Baby knows just / What I mean / Livin’ in division, in the / Shiftin’ sands / I’m callin’ from the fun house...«

Am Ende steht dann der »L.A. Blues«, ein schwelendes, arhythmisches Freak-out, das mich beim ersten Hören so wahnsinnig aufgeregt hat und das ich seitdem auf gewisse Weise zu mögen gelernt habe, weniger als Musik, sondern als ein Stück dampfender, stürmender Atmosphäre. Ich bevorzuge Sachen, die swingen, rocken oder sogar shuffeln. Andererseits habe ich schon viele ähnliche Freak-outs sowohl auf Rock- als auch auf Jazzplatten gehört, und dieses schlägt alle Scheiben von Rock Bands und die meisten im Jazz. Irgendwie rostet es nicht wie Yoko Ono oder einige von Archie Shepps zornigere Aufnahmen oder sogar »European Son«. Die Stooges scheinen zu wissen, was sie tun. Meistens reiße ich akustische Anschläge dieser Art sofort vom Plattenteller (sogar die Ohren eines Stooges-Fans können empfindlich auf bestimmte extreme Tonalitäten reagieren – tatsächlich verhält es sich aber so, dass ein wahrer Stooges-Fan, genauso wie ein wahrer Liebhaber von Captain Beefheart, den Velvet Underground oder Pharoah Sanders, zu den ungefähr zehntausend Leuten mit den empfindlichsten Ohren auf diesem Planeten gehört, da diese ausreichend entwickelt sind, die Stooges-Magie zu verstehen, die so vielen Schwachköpfen entgeht.) Gestern Abend erst hörte ich mir mit reichlich Ozon bestückt »L.A. Blues« wieder an und sah ein Netz aus goldenen Scheiben endlos in den Himmel emporsteigen. Nicht dass ich erwarte, solcherart psychedlischer Empfehlungsschreiben sollten am heimischen Herd große Beachtung finden. Nach wiederholtem Abspielen fiel mir jedoch auf, dass Iggy hier einige seiner abgefahrensten Stimmtricks vorführt. Manchmal nimmt seine Stimme das Timbre eines verzerrten Verstärkers an, später kreischt er wie eine Wildkatze, die eine Niederlage in einem Boxkampf erleidet oder singt, als hätte er ein Bündel Heizungsspulen im Mund. Das ausfadende Feedback in der letzten Minute des Songs begleitet dann seine abschließende Reminiszenz an die Stimme von Schweinchen Dick aus den alten Warner-Bros-Cartoons. Zusammengerollt auf dem Metallschrott der vergangenen fünf Minuten thronend ist er dann wieder die Wildkatze, nur erheblich ruhiger, zwei schnurrende Gähnlaute absondernd, lächelnd, schläfrig, gesättigt.

Ihr seid am Zug

Nun, soweit das. Meine Anstrengungen waren mühevoll, aber gründlich, und jeder trübe Augapfel, der es wagt, diese letzten Worte verächtlich zu machen, sollte von Rechts wegen verhöhnt werden, da doch ein jeder sich eigentlich für Pop & Co. begeistern müsste. Und dennoch höre ich weiterhin ganze Horden von Schwachköpfen winseln: »Willst du mich eigentlich hochnehmen?« Oder grundsätzlicher gesagt, haben die Stooges uns nicht von ihrem ersten Keuchen an alle verarscht? Die Antwort lautet natürlich: Ja, klar. Oder wie die wunderbare Pauline Kael es in der ihr typischen epigrammatischen Art formulierte: »Jemanden hochnehmen heißt, ihn in Verlegenheit zu bringen, auf eine Bühne zu stellen wie den dummen August (»stooge«) in einer Comedy-Nummer. Die Leute, die sich ›Bonnie and Clyde‹ ansehen, lachen und demonstrieren so, dass sie nicht der dumme August sind – sie verstehen den Witz –, bis die erste Kugel sie im Gesicht erwischt.«

Einige der kraftvollsten ästhetischen Experimente unserer Zeit von »Naked Lunch« bis zu »Bonnie and Clyde« nahmen die Leute auf diese Art hoch. Sie offenbarten und vergrößerten ihren geheimen kranken Kern, von dem die Deppen, über die sie lachen, und die blutrünstigen Phantasien, die sie konsumieren, nur eine Widerspiegelung sind. Genauso wie die Witze, die wir uns erzählen, von unseren tiefsten Ängsten und Vorurteilen geschrieben werden. Auf diesem Feld arbeiten die Stooges. Sie stellen euch auf diese Bühne, und aus diesem Grund sind sie supermodern, wenn auch nicht annähernd so etwas wie Kunst. In der Desolation Row und der Woodstock-Altamont-Nation ist die Taschenmesserklinge mächtiger und eloquenter als das Federmesser. Doch diese Drohung ist kathartisch, alle haben eine wirklich coole Zeit und am Ende steht Befreiung.

Creem, November und Dezember 1970

Übersetzt von Peer Schmitt

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