Czytaj książkę: «Die Schule»

Czcionka:

Leon Grüne

Die Schule

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1.Kapitel

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2.Kapitel

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3.Kapitel

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4.Kapitel

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5.Kapitel

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6.Kapitel

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7.Kapitel

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8.Kapitel

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9.Kapitel

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10.Kapitel

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11.Kapitel

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12.Kapitel

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Impressum neobooks

Prolog

Die Schule

Leon Grüne


Impressum

Texte: © Copyright by Leon Grüne

Umschlag: © Copyright by Hannah Schulz

Verlag: Leon Grüne

Eitzumer Hauptstraße 57

31028 Gronau

sfsgreenee@gmx.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Sind Sie ein Lügner? Können Sie sich Geschichten ausdenken und diese anderen als die Wahrheit verkaufen?

Ich bin mir sicher, dass nicht alle von Ihnen sagen würden, dass sie gut darin sind zu lügen. Ich für meinen Teil weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Zum einen behaupte ich gerne, dass ich ein ehrlicher und direkter Mensch bin. Zum anderen schreibe ich Geschichten. Auf den ersten Blick schließt das eine das andere nicht aus, doch erinnern Sie sich einmal daran, was Geschichten wirklich sind. Geschichten sind auf Lügen aufgebaut. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes sagen, aber wie gesagt, ich versuche ein ehrlicher Mensch zu sein. Wissen Sie, ich sitze oft vor meinem Laptop, öffne das Schreibprogramm und weiß nicht, was ich tun soll. Mir geht es nicht anders als anderen, auch ich schaffe es nicht immer, mein Bestes zu geben, und oftmals ist das Schreiben auch ein hartes Stück Arbeit. Ich denke alle, die bereits selbst einmal versucht haben, eine Geschichte zu schreiben, können mir zustimmen. Es ist nicht immer leicht, sich hinzusetzen und sich etwas Neues auszudenken, von dem man überzeugt ist, dass es nichts als die reine Wahrheit ist. Besonders nicht, wenn es zwei Uhr morgens ist und man bereits vier Tassen Kaffee intus hat, von denen keine einzige im Kopf ankommt. Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung, wenn ich Ihnen sage, dass es Vorteile hat, seine eigene Kaffeemaschine im Zimmer zu besitzen.

Aber zurück zum eigentlichen Thema. Das Schöne an einer Lüge ist, dass man sie sich aussuchen kann, wohingegen das Schreckliche an der Wahrheit ist, dass man sie zu akzeptieren hat wie sie ist. Zwar sollen Lügen klingen, als wären sie die Wahrheit, aber das sind sie nicht. Wenn man sich eine Lüge ausdenkt, fällt es einem oft schwer abzuwägen, wieviel man erfinden kann, um sie noch glaubhaft klingen zu lassen. Doch jede Lüge hat einen wahren Kern und einen Grund, um erzählt zu werden. Goethe sagte einmal, dass man etwas zu sagen haben muss, wenn man reden will. Und genau das will ich. Allerdings weiß ich nicht so recht, wieviel ich erzählen kann. Ich weiß es genauso wenig, wie ich weiß, was ich alles erzählen soll. Es gibt so vieles, das in meinem Kopf herumschwirrt und um jeden Preis gesagt werden muss. Doch am besten fange ich dort an, wo Lüge und Wahrheit beginnt: Am Anfang. Denn dort nimmt jedes Übel seinen Lauf.

1.Kapitel

Man kann die Erfahrung nicht früh genug machen,

wie entbehrlich man in der Welt ist.

Johann Wolfgang von Goethe

1

Das Sonnenlicht, welches durch die trüben, schmutzigen Fenster des Klassenraums strahlte, blendete David. Trotz des Gewitters letzte Nacht war es schwüler, als die meisten es aushalten konnten. Davids Sitznachbar Lance, ein rundlicher Junge mit Sommersprossen und orangenen Haaren, gehörte ebenfalls dazu. Sein überdurchschnittlich hoher Fluss an Schweiß hatte sein eigentlich hellgrünes T-Shirt bereits in ein dunkles Grün getaucht. Auch Mrs. Prenton war die Hitze anzusehen. Ihre strahlend weiße Stirn war ein einziges Meer aus Schweißperlen, die sie im Viertelstundentakt mit ihrem weiß-grün karierten Taschentuch abtupfte.

„Terry Attlee Baron“, sagte sie mit klarer, lauter Stimme. Ein gebräunter Junge in der zweiten Reihe setzte seine Brille auf und erhob sich beinahe anmutig. Dann strich er sein Hemd mit der Hand glatt und ging auf sie zu. Lächelnd empfang sie ihn, schüttelte ihm die Hand und überreichte ihm ein Blatt Papier.

„Überragend, wie immer, Terry“, lobte sie ihn und strahlte noch mehr, als er sein Zeugnis mit einer halben Verbeugung entgegennahm.

„Aus dir wird mal etwas ganz Besonderes.“

„Ein besonders großer Arschkriecher“, murmelte Tales aus der linken Ecke der dritten und letzten Reihe. Warren und Henry begannen neben ihm wie aufs Stichwort zu grunzen, was vermutlich eher einem Lachen ähnlich sein sollte.

„Crane!“, schnauzte Mrs. Prenton ihn an und unterbrach ihr breites Lächeln kurzzeitig. Dann wandte sie sich erneut, übers ganze Gesicht strahlend, Terry zu. David konnte Tales und sein Anhängsel nicht leiden. Tales war ein Macho, wie er im Bilderbuche steht. Seine gesamte Erscheinung schrie geradezu nach dieser Bezeichnung. Er konnte sich weder durch einen sonderlichen hohen IQ, noch durch Wortgewandtheit oder überdurchschnittliche Empathie auszeichnen. Alles, was er konnte, war Gewichte stemmen und dumme Sprüche wie am Fließband zu liefern. Aber trotzdem hatte er es jedes Jahr erneut geschafft, eine Klassenstufe nach oben versetzt zu werden. Was nach außen wie ein Kunststück wirkte, war in Wirklichkeit nichts anderes als das Ergebnis seiner Flirtkünste mit den jungen Lehrerinnen. Wenn man den Gerüchten glauben mochte, dann war es des Öfteren auch weit mehr als bloß das. Seine Versetzung war also der ungewöhnlich hohen Quote an jungen Lehrerinnen und deren verzweifelter Wunsch begehrt zu werden geschuldet.

Mrs. Prenton beendete den Dialog mit Terry und setzte wieder ihren alltäglichen „Ich-hasse-mein-Leben-und-ihr-seid-der-Grund-dafür“ Blick auf.

„Tales Crane“, rief sie mit minderer Begeisterung auf. Keine Reaktion. Tales war so sehr damit beschäftigt, mit Warren über die NBA-Playoffs zu reden, dass er sie gar nicht gehört hatte. David rollte genervt mit den Augen. Terry Baron hatte mittlerweile seinen Platz wieder erreicht und setzte sich gemächlich auf seinen knarzenden Holzstuhl. Seine Sitznachbarin, Mary, versuchte einen flüchtigen Blick auf seine Noten erhaschen zu können, doch er war schneller und ließ den Zettel eilig in seiner Mappe zu verschwinden. Beide führten jährlich ihr inoffizielles Duell um den nicht existierenden Titel „Bester Schüler/Beste Schülerin.“ Beziehungsweise sie führte es. Ihr Zeugnis war besser als das von jedem Einzelnen aus ihrer Klasse, und sie wollte sichergehen, dass es auch besser war als seins. Er jedoch hatte keinerlei Interesse an derartigen Vergleichen oder Ranglisten. Und um eben diesen aus dem Weg zu gehen, zeigte er es niemandem. Für ihn zählte nur seine eigene Leistung und mehr nicht. Hochnäsiges Bürschchen, dachte sich Mary. Sie konnte es nicht ausstehen, dass dieses kleine Kind von 13 Jahren möglicherweise bessere Noten als sie haben könnte. Mary war schlau, aber Terry war genial. Was genau er auf dieser Schule zu suchen hatte, konnte er sich jedoch auch nicht beantworten. Er selbst wäre viel lieber auf einer renommierten Schule für hochbegabte Kinder gelandet, denn dort gehörte er auch hin. Zu den Hochbegabten. Anders als Mary. Auch wenn sie das selbst natürlich ganz anders sah.

„Tales! Komm sofort her! Ich werde keinen Finger krumm tun, um dir dein Zeugnis zu geben!“, zeterte Mrs. Prenton und fuchtelte mit seinem Zeugnis in der Luft herum. Auch das interessierte ihn herzlich wenig. David genauso. Er hatte andere Probleme. Weitaus größere Probleme. Die Direktorin hatte ihn gestern zu einer Unterhaltung in ihr Büro eingeladen, zu der er in weniger als einer Stunde erscheinen musste. Angeblich musste sie dringend mit ihm über sein fehlerhaftes Verhalten reden. Das Seltsame daran war, dass er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Sein Sozial- und Arbeitsverhalten entsprach den Erwartungen in vollem Umfang – endlich etwas in dem Terry dank seiner Arroganz nicht besser sein konnte – und er war nie sonderlich negativ aufgefallen. Die einzig logische Erklärung war also, dass, wie so oft, seine Mutter dahintersteckte. Sie nutzte die Position ihrer Cousine gerne das ein ums andere Mal aus, um ihren Willen bei David durchzusetzen, da er auf sie nicht mehr hörte, seit er sie beim Fremdgehen mit einem Immobilienmakler auf frischer Tat ertappt hatte. Ihr Verhältnis war noch nie sehr eng oder vertraut gewesen. Beide konnten auch ohne den anderen gut zurechtkommen und konnten lediglich durch ihre Verwandtschaft als echte Familie bezeichnet werden. Müde legte er den Kopf auf seine Arme, die er auf dem Tisch verschränkt hatte. Es war nicht nötig, dass er konzentriert aufpasste, ob sein Name genannt werden würde. „Williams“ stand auf der Klassenliste fast ganz unten. Nur „Young“, ein kleiner, schmaler, schwarzer Junge und „Zimmermann“, ein ursprünglich aus Deutschland stammender, athletischer Junge mit einem gewaltigen Ego, befanden sich noch unter ihm in der Klassenliste. David hatte also noch ausreichend Zeit bis Mrs. Prenton bei ihm ankommen würde, wo sie zudem grade ohnehin noch ihren Monolog darüber hielt, dass sie früh anfangen sollten, anderen gegenüber Respekt zu zollen. Dies bezog sich in diesem Fall besonders auf das Verhalten von Tales, der aufgehört hatte, sich mit Warren zu unterhalten und stattdessen das Mädchen, das vor ihm saß, umgarnte.

Das laute Knistern einer Plastikflasche riss David aus seinen Tagträumen. Es war Lance, der neben ihm einen großen Schluck Saft in sich goss, wobei ein großer Teil auf seinem ohnehin schon nassen T-Shirt landete. Davids Blick schweifte in Richtung der weißen, runden Uhr, die über der dunkelgrünen Klassentür hing und leise, aber dennoch hörbar, tickte. Viertel vor eins. Er hatte es tatsächlich geschafft eine halbe Stunde lang Mrs. Prenton, Tales und den Rest der sich im Raum befindenden Jugendlichen, die ihm alle gewaltig auf die Nerven gingen, auszublenden.

„David Williams“, sagte Mrs. Prenton erschöpft von der Hitze und ihrer Moralpredigt, die sie kurz zuvor hoffnungslos beendet hatte. Er war also grade noch rechtzeitig aus seinen Gedanken gerissen worden. Mit einer schnellen hektischen Bewegung stand er auf, wobei er mit seinen Oberschenkeln gegen die Unterkante des Tisches stieß und für ein leises Kichern bei dem weiblichen Part seiner Sitzreihe sorgte. Ein wenig verlegen zupfte er an seinem dunklen California T-Shirt und kratzte sich am Hinterkopf. Ein kurzes gemurmeltes „Herzlichen Glückwunsch“ und „Vielen Dank“ und schon war das Prozedere vorbei, und er konnte zu seinem Tisch zurückkehren. Wie erwartet. Er war in keinem Fach schlechter als B- und hatte keine negative Bemerkung erhalten. Also kein Grund für ein Gespräch mit der Direktorin. Seine Vermutung, dass in Wirklichkeit sein Verhalten zuhause gemeint war, schien sich zu bestätigen. Kopfschüttelnd setzte er sich hin.

„Und?“, fragte Lance neugierig. Es war sein üblicher Versuch, Anschluss zu finden, denn niemand hatte Interesse daran, sich mit „Ginger Fat“ zu unterhalten geschweige denn anzufreunden. David stöhnte in sich hinein und schob ihm sein Zeugnis rüber. Same procedure as every Year James, dachte er genervt. Ein Satz, den Terry bei seinem Vortrag über ein britisches Theaterstück aus den Zwanzigern des Öfteren erwähnt hatte und die gesamte Situation wohl am besten beschrieb. Um welches Stück es sich handelte, wusste David nicht mehr, es war ihm aber auch egal. Zimmermann ging nach vorne und nahm als Letzter sein Zeugnis entgegen. Mrs. Prenton schnaufte erleichtert und tupfte sich die Stirn ab. Tales machte eine feixende Bemerkung, die David jedoch nicht wirklich verstehen konnte. Henry und Warren wahrscheinlich ebenso wenig, aber trotzdem grunzten sie erneut wie kleine Ferkel. Davids Zeugnis landete wieder auf seinem Tisch, und er verstaute es in seiner Tasche. „Wie schaffst du es jedes Jahr so ein gutes Zeugnis zu haben?“, quiekte Lance und lachte über seine eigene Frage. Verdammt er war wirklich ein absoluter Pflegefall, dachte David sich. Anstatt eine Antwort zu geben, zuckte er nur uninteressiert mit den Schultern, was Lance natürlich sofort kommentieren musste, da selbst das schon mehr Aufmerksamkeit war, als er sonst erhielt.

„Voll krankes Tier“, sagte er lachend. Lance hatte es noch nie mit solchen Ausdrücken gehabt und seine Versuche, sie zu verwenden, scheiterten jedes Mal kläglich und machten seine Erscheinung noch trauriger, als sie ohnehin schon war. So peinlich seine Auftritte auch waren, steckte dahinter nichts anderes als der Wunsch nach Akzeptanz, welche er nirgendwo erhielt. Sein Vater hatte ihn und seine Mutter verlassen, und sie gab ihm auch heute nach zehn Jahren immer noch die Schuld dafür und verweigerte ihm jede Zuneigung. Aber so etwas war in dieser Schule nichts Besonderes. Insgesamt konnte man zurecht behaupten, dass die Schule neben ihrer hohen Quote an jungen Lehrerinnen auch eine hohe Quote an Scheidungs- und Waisenkindern vorzuweisen hatte. Beinahe sechzig Prozent der dort zur Schule gehenden Schüler lebten in einem zerrütteten oder zumindest beschädigten Verhältnis mit ihren Eltern. David war dabei keine Ausnahme. Sein Vater hatte sich, nachdem die Affäre seiner Frau aufgeflogen war, nach Irland abgesetzt, um möglichst großen Abstand zu ihr aufzubauen. Seitdem hatte er nichts mehr von ihm gehört und lebte alleine mit seiner Mutter in Kalifornien. Früher waren sie noch zu dritt, doch kurz nachdem Davids Vater verschwunden war, verschwand auch Bobby, Davids kleiner Bruder. Er war zwei Jahre jünger als David. Eines Tages als David vom Training zurückkehrte, fand er das Haus vollkommen verlassen vor. Seine Mutter war wieder einmal dabei, sich mit ihrem Makler einen vergnüglichen Abend zu machen, doch auch sein kleiner Bruder war nicht da. Von diesem Tag an war das letzte bisschen Vertrautheit zwischen ihm und seiner Mutter zerstört. Sie hätte zuhause sein sollen, wenn David nicht da war, weil Bobby oft zu depressiven Zügen ansetzte, und kurz davor stand, sich etwas anzutun.

Die Schulglocke ertönte. Alle griffen nach ihren Taschen, um endlich diesen Kochtopf zu verlassen und die nächsten Wochen in aller Seelenruhe vor dem Ventilator zu verbringen. Mary machte einen letzten hoffnungslosen Versuch, Terry seinen Notenschnitt zu entlocken, wobei sie ihn mit traurigem, beinahe bettelnden Blick ansah und sich ihre braunen, gewellten Haare aus dem Gesicht strich. Selbstverständlich zeigte auch dieser Versuch keine Wirkung, und sie griff nach ihrer Tasche und zog genervt von dannen.

„Schöne Ferien“, grinste Lance ihn an und offenbarte seine gelblichen Zähne, die – Gott sei Dank – größtenteils von einer Zahnspange überdeckt wurden. Wieder würdigte er ihn keiner Antwort, sondern nickte ihm nur schwach zu.

„Kommen Sie David, ich will auch in die Ferien“, sagte Mrs. Prenton ungeduldig.

„Jawohl Mrs. Prenton, Verzeihung“, antwortete er, während er seinen Rucksack auf seinen Rücken schwang und den Stuhl unter den Tisch schob.

„Schon gut“, murmelte sie und gab ihm mit ihrer faltigen Hand zu verstehen, dass er vor ihr gehen sollte. Vermutlich, um bevor sie den Weg nach Hause antrat, eine ihrer filterlosen Zigaretten zu rauchen, die ihr Mann so verabscheute.

„David“, hielt sie ihn zurück als er an ihr vorbeiging, „Ich weiß nicht wieso Ms. Robinson Sie sehen will, aber ich weiß ebenso wie Sie, dass Ihr Verhalten sowie Ihre Beteiligung am Unterricht stets meinen und den Erwartungen meiner Kollegen entsprechen. Lassen Sie sich nicht unterkriegen vom alten Geier.“ Die Bezeichnung von Ms. Robinson als „alter Geier“ war eigentlich in dieser Hinsicht falsch, denn sie war gut zwanzig Jahre jünger als Mrs. Prenton und damit keineswegs alt.

„Danke Mrs. Prenton. Angenehme Ferien Ihnen.“ Trotz der faktisch unkorrekten Aussage hatte er selbstverständlich den Kern ihrer Aussage verstanden. Er war das Opfer der Laune seiner Mutter und die Standpauke, die er wahrscheinlich erhalten würde, war von rein privater Angelegenheit und hatte absolut nichts mit seinen schulischen Leistungen zu tun.

„Ihnen auch David“, rief sie ihm kopfschüttelnd nach. Dann schloss sie die Tür, zog sich einen Stuhl heran, auf den sie stieg und den Rauchmelder abschaltete. Wenige Handgriffe später hielt sie eine glimmende, filterlose Zigarette zwischen den Fingern und blies mit geschlossenen Augen den Rauch durch ihre Nasenlöcher aus.

2

Der Flur, in dem David sich befand, schien endlos lang zu sein. Die kalten, grauen Wände waren mit Pinnwänden und Plakaten geschmückt und gaben dem Gebäude die einzig vorhandenen Farbakzente im Meer der Eintönigkeit. Milchig trübe Glastüren trennten den langen Korridor in einzelne Abschnitte. Das Geräusch seiner Skechers, die auf die schmutzigen weißen Fliesen traten, hallte durch den Gang. Schon wenige Minuten nach offiziellem Schulschluss war die Schule wie leergefegt. Die meisten Lehrer, die keine Lust hatten, bis zur letzten Stunde zu warten, gaben die Zeugnisse bereits zu Beginn heraus und entließen ihre Schüler dann frühzeitig in die lange Sommerpause. Keiner war sonderlich scharf darauf, den halben Tag in der Schule zu vergeuden, wo der eigentliche Grund des Erscheinens lediglich eine halbe Stunde benötigte. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür mischte sich in den Takt seiner Schritte mit ein. Kurz darauf ertönte hinter der Abzweigung, die nach rechts führte, der Klang eines weiteren Schuhpaares auf den Fliesen. Als er abbiegen wollte, stieß er mit einem großen, blassen Jungen zusammen. Er trug ein weißes Tank-Top, um das eine Bauchtasche geschnallt war. Seine langen Haare waren verfilzt und sahen aus, als wären sie seit Jahren nicht gewaschen worden.

„Verpiss dich, Kleiner“, schnauzte der ungepflegte Junge ihn an. Doch als er aufsah und David erkannte, änderte sich sein Gesichtsausdruck, und er lächelte ihn schief an.

„Ey Billy, was geht? Dachte du bist eines von diesen nervigen kleinen Kindern, die noch hiergeblieben sind, weil sie Angst vor den Typen haben, die ihnen draußen die Fresse polieren“, sagte er, was wohl gleichzeitig als Entschuldigung und als Erklärung für seinen Auftritt eben fungieren sollte. Die beiden Jungen klatschten sich ab. „Kein Problem, Trae“, sagte David, den Trae öfter Billy nannte. Das kam daher, dass Trae nicht sonderlich gut darin war, sich Namen zu merken und ihn deswegen anfangs bloß immer Billy genannt hatte. Jetzt war es jedoch nicht mehr als ein Spitzname.

„Yo Mann, was machst du hier?“, fragte Trae, während er seine umgedrehte Cap zurechtrückte.

„Ich hab einen Termin bei der Direktorin, wegen meines respektlosen Verhaltens“, antwortete er, wobei er das Wort „respektlos“ besonders lächerlich betonte. Trae begann so laut zu lachen, dass sein Echo den gesamten Flur flutete.

„Starke Sache, Kumpel“, lobte er ihn und klopfte ihm auf die Schulter.

„Ey aber mal was anderes. Willst du nicht doch bei uns einsteigen? Billy, wir könnten dich echt gut gebrauchen. Die Bezahlung ist echt nicht…“

„Danke Trae, aber ich bleibe dabei. Dieses Geschäft ist nichts für mich“, unterbrach David ihn. Trae und seine Bande hatten ihm einen Job als Drogenlieferanten angeboten, nachdem er sie vor der Polizei gedeckt hatte. Seitdem gehörte er zu ihrem vertrauten Kreis und bekam, wenn er es denn wollte, kostenlos einen Joint pro Monat. Ein Freundschaftsabo für seine Hilfe sozusagen. Das Angebot war verlockend, denn die Qualität des Weeds war gut, doch er machte sich nichts daraus und hatte bisher so ziemlich immer darauf verzichtet. Letzte Woche hatte er das Angebot das erste Mal angenommen. Er hatte sich mit seiner Mutter bis aufs Äußerste gestritten und konnte die ganze Sache nicht mehr nüchtern ertragen. „Okay, aber denk dran, meine Tür steht immer für dich offen“, versicherte Trae ihm.

„Ich weiß.“

Beide reichten, sich die Hand und waren im Begriff sich voneinander zu verabschieden.

„Ich hab dich gestern Abend gesehen“, sagte Trae und ließ seine Hand los.

„Das kann nicht sein. Ich war den ganzen Abend zuhause“, erklärte David ihm verwirrt.

„Was? Nein. Nicht in Wirklichkeit. In meinem Kopf“, erzählte er. Davids Verwirrung verschwand. Trae war einfach wieder auf einem Trip und hatte die wildesten Sachen erfunden, dachte er.

„Ich habe gesehen wie du in eine Schule gegangen bist“, erzählte er.

„Nichts ungewöhnliches oder?“, fragte David belustigt davon, dass Trae es für real hielt.

„Doch, es war ungewöhnlich. Die Schule war im Wald, und ein Mann ging neben dir her. An seinem Mund und an seinen Händen klebte Blut, weißt du? Voll der kranke Scheiß“, fuhr Trae fort.

„Ich muss langsam los. Ich hätte schon längst da sein sollen“, redete sich David aus der ihm immer unangenehmer werdenden Situation heraus und entfernte sich ein paar Schritte von ihm. Trae schien ernsthaft besorgt zu sein, weswegen David sich nun doch umdrehte, um ihn zu beruhigen.

„Mach dir keine Sorgen, Kumpel. Du warst wieder auf einem Trip und hast dir das nur eingebildet. Kein Grund zur Beunruhigung“, beschwichtigte er ihn, was sofort Wirkung zeigte.

„Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Oh Mann, dieses Zeug wird mich noch umbringen“, stellte Trae einsichtig fest.

„Fahr lieber einen Gang runter beim nächsten Mal“, riet David ihm.

„Auf keinen Fall. Das Zeug ist der Schlüssel für meine unsichtbaren Handschellen“, sagte Trae, womit er auf Charles „Haywire“ Patoshik aus Prison Break anspielen wollte.

„Der einzige Weg, um wirklich befreit zu sein von all dem Bullshit in dieser Scheiß Welt.“

„Wenn du das sagst, wird’s wohl so sein“, stimmte David ihm unterschwellig zu.

„Sehen wir uns nächste Woche?“, fragte er abschließend, um das Gespräch zum Ende zu bringen.

„Klar doch. Schreib mir, wenn du Zeit hast, dann komm ich rum und sammle dich ein“, antwortete Trae, der den Hintergrund der Frage verstand und keine Anstalten machte ein neues Thema anzufangen.

„Alles klar. Man sieht sich.“

„Yo, machs gut.“

Die beiden Jungen gaben sich ein letztes Mal die Hand und gingen ihrer Wege. Während David um die Ecke ging um bei Ms. Robinsons Büro anzuklopfen, ging Trae zwei Klassenräume weiter, um Mr. Kennington abzukassieren, der ihm noch Geld für das Crack schuldete, das er ihm besorgt hatte.

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