Vae Victis

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

„Acht ist tot.“

„Wieso?“, hallte es ihm entgegen.

„Der Römer hat ihn getötet.“

„Hat er die Nachricht vorher übergeben?“

Ein bleiernes Schweigen senkte sich über den Raum.

Der Mann mit der Öllampe spürte, wie sein Herz immer stärker gegen die Trommelfelle pochte. Mit schwacher Stimme brachte er ein erloschenes „Nein“ hervor. Die Dunkelheit am anderen Ende des Raumes schien noch dichter zu werden.

„Hast du nach ihr gesucht?“

„Ja, überall. Am gewöhnlichen Ort war sie nicht und in seiner Behausung auch nicht. Ich glaube, der Römer hat sie.“

„Das ist schlecht, … sehr schlecht.“ Die Stimme glich dem Zischen einer Schlange. Der Mann am Treppenabsatz spürte, wie das Blut in seinen Adern stockte. Ein dicker, zäher Nebel senkte sich über sein Gehirn.

„Wir müssen die Nachricht finden und sie holen, bevor sie entschlüsselt wird“, fuhr die Stimme fort. „Sie ist von äußerster Wichtigkeit für unsere weiteren Unternehmungen.“

„Obwohl“, eine kurze, quälende Pause setzte ein, „auch wenn der Römer sie hat, viel wird er damit nicht anfangen können.“

Der Mann am Treppenabsatz starrte regungslos in die Dunkelheit.

„Ich will sie auf jeden Fall wieder haben“, beschied die Stimme.

Der Mann drehte sich auf den Fersen und wollte gerade gehen.

„Und noch etwas…“ Die Stimme hatte ihre gewohnte samtige Weichheit wiedergewonnen. „Der Römer muss noch am Leben bleiben!“

Der Questor Regulus Maximus war durch den unerwarteten Besuch sehr aufgebracht. Er traf ihn in einem Augenblick, in dem er so etwas am wenigsten brauchen konnte. Das bedeutete nicht, dass er sich unter anderen Umständen über derartige Visiten gefreut hätte, aber nun kam ihm diese Bescherung noch ungelegener als sonst. Er hatte bereits große Mühe mit der Untersuchung des neuen Falles, der ihm etliche Rätsel aufgab. Zu allem Überdruss stand auch noch dieser unbekannte Kriegstribun vor der Tür und wollte nun gezielt darüber Bescheid wissen.

„Bei Apoll, ich möchte gerne erfahren, wer mir den herschickt“, ärgerte er sich, „und das eben jetzt, wo ich noch gar nicht weiß, wie es mit dieser verfluchten Sache weitergehen soll.

Bittet den ehrenwerten Lucius Castor herein, und zwar ein bisschen plötzlich, ihr Nichtsnutze!“, herrschte er seine beiden Diener an.

Der junge Mann betrat den Raum mit festem Schritt.

„Salve Questor!“, grüßte er knapp.

„Salve, o Tribun! Was verschafft mir die außerordentliche Ehre deines Besuchs?“ sülzte Regulus.

„Ich bin hier um zu erfahren, wie es mit der Ermittlung im Falle des Todes von diesem Legionär in der Gastwirtschaft von der Via Contorta aussieht. Es ist eine Sache von höchstem Vorrang, welche die Sicherheit des Vaterlandes betrifft. Deswegen muss sie mit äußerster Diskretion behandelt werden“, fügte er hinzu.

Das fehlte mir noch! Erst schicken sie ein halbes Kind als Kriegstribun hierher und dann ist es auch noch eine geheime Staatssache, fluchte der Questor im Stillen.

„Verehrtester Lucius Cornelius, unsere Ermittlungen sind in vollem Gange“, gab er schwülstig zurück. „Ich kann dir bereits jetzt eine wichtige Tatsache enthüllen: Dieser angebliche Centurio ist bei keiner einzigen Einheit bekannt. Wir wissen nicht, wer er ist und wo er herkommt.

In Bezug auf den vermeintlichen Mörder haben wir im Augenblick leider keine Spur. Wir sind aber stark in Ermittlungen vertieft“, fügte er unterwürfig hinzu, „und wir werden uns bemühen, die Sache baldmöglichst aufzuklären.“

Der Tribun nickte.

„Verstehe. Es muss aber jemanden geben, der diesen Mann kennt.

Bei Jupiter, man muss das doch herausbekommen können!

Sieh zu, Questor, dass die Ermittlungen schneller vorankommen…

Und äußerste Diskretion in der Sache. Ich mache dich dafür persönlich verantwortlich!“

Nun wurde es dem Beamten zu viel. Er konnte sich kaum im Zaum halten, diesen jungen, arroganten Tribun nicht anzubrüllen. Da er aber nicht wusste, wer hinter ihm stand, beschloss der Questor,

Vorsicht im Umgang mit seinem Gegenüber walten zu lassen.

„Darf ich erfahren, in wessen Auftrag du mich beehrst, edler Herr?“ fragte er mit honigsüßer Stimme.

Lucius zog unter der Toga den Brief mit dem Siegel des Gaius Glabra hervor.

„Im Auftrag des ehrenwerten Gaius Glabra. Willst du den Brief lesen?“

Regulus Maximus wechselte plötzlich die Farben im Gesicht.

Götter! Gerade von Glabra, dachte er erschrocken. Da weiß man ja nie, was dahintersteckt, aber bestimmt nichts Gutes.

„Nein, um Himmels willen! Der Name des ehrenwerten Glabra reicht jedem als Zeichen der Güte und der Ehrenhaftigkeit“, sagte er laut und versuchte so gut er konnte das Zittern in seiner Stimme zu verbergen.

„Nun gut“, antwortete der andere, „dann sind wir uns einig. Sobald du etwas in der Sache herausbekommst, wirst du mir eine Nachricht schicken, aber nur an mich persönlich adressiert. Hast du verstanden?“

„Jawohl Herr, selbstverständlich.“

Mögen die Löwen dich in Stücke zerreißen, du Hurensohn, betete er.

Dann wieder laut:

„Es ist mir eine große Freude, dir zu Diensten zu stehen“, schloss er mit einer tiefen Verbeugung.

„Du findest mich im Hause meiner Eltern in Tusculum.“ Der Kriegstribun drehte sich um und verließ den Raum. Kaum war er draußen, wechselte Regulus den Ton.

„Her mit euch, ihr Elenden“ brüllte er nach den beiden Sklaven.

„Ich werde euch mit der Peitsche zeigen, was solchen Unglücksbringern wie euch blüht …“

Die Unterredung mit dem Questor war so verlaufen, wie es Lucius erwartet hatte. Es gab außer dem geheimnisvollen Centurio, der nirgends hingehörte, noch nichts Neues in diesem Fall.

„Ich muss mich um die Entschlüsselung der Botschaft kümmern.

Das könnte der Sache die entscheidende Wende geben.“

Er beschloss, zu Panaitos zurückzukehren und ihn bezüglich des Pergaments auszufragen.

„Nun?“ fragte er ungeduldig. „Was hast du herausgefunden?“

Der alte Mann machte einen besonders bedrückten Eindruck und brachte die Worte nur mühevoll hervor.

„Herr, ich kann es beim besten Willen nicht entziffern. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Eines kann ich dir allerdings versichern: Wer immer sich das ausgedacht hat, muss ein hervorragender Mathematiker sein. Ich vermute, es handelt sich um eine außergewöhnliche Verschlüsselung, die nur wenigen bekannt ist.“

Lucius‘ Miene verfinsterte sich.

„Das ist sehr schlecht alter Freund. Die Antwort, dass die Nachricht nicht lesbar gemacht werden kann, reicht mir nicht! Ich will sie entschlüsselt haben! Sage mir zumindest, wer mir dabei helfen könnte.“

Panaitos wand sich auf der Bank und konnte seine Verlegenheit nicht verbergen.

„Herr …“, sein Atem stockte, „ich kenne niemanden.“ Nach einer bedrückenden Pause fuhr er jedoch unerwartet fort.

„Ich kannte früher jemanden, als ich noch ein junger Mann war. Er war der größte Mathematiker, dem ich jemals begegnet bin.“

„Und weiter?“

Panaitos senkte den Kopf.

„Er dürfte schon eine Weile tot sein, Herr.“

Der junge Mann schaute ihn enttäuscht an.

„Obwohl“, Panaitos hielt einen Augenblick inne, „vielleicht gibt es noch einen kleinen Hoffnungsschimmer.“

„Erzähl!“

„Dieser Mann bekam in alten Jahren noch ein Kind, ein Mädchen, wenn mich nichts täuscht. Ich habe vor einiger Zeit gehört, dass sie eine besondere Begabung für die Mathematik besitzen soll.“

„Wie heißt sie?“

„Das weiß ich nicht junger Herr, ich kenne sie nur vom Hörensagen als die Tochter des großen Apollonios von Alexandria. Sie soll außerdem noch von betörender Schönheit sein.“

Lucius‘ Herz schlug plötzlich so stark, als wollte es seinen Brustkorb sprengen.

„Erzähl mir mehr von diesem Apollonios. Es klingt interessant.“ Er versuchte mit wenig Geschick seine Aufregung zu verbergen.

„Als ich noch ein ganz junger Bursche war, fasste ich den Entschluss, meine Energien den Wissenschaften zu widmen. In meiner Heimatstadt Gerasa gab es eine lange Tradition für die Mathematik, so dass ich mich entschied die Schule zu besuchen, um festzustellen, ob mir die Kunst der Mathematik liegt.

Aus der ursprünglichen Neugier wurde in kürzester Zeit eine Leidenschaft, und ich war im Nu im Bann der Zahlen. Mein erster Lehrer entdeckte früh das Talent, das ich besaß, und schickte mich mit seiner Empfehlung auf Reisen zu den berühmten Mathematikern unserer Welt.

Ich war ganze zehn Jahre auf Wanderschaft, zehn Jahre in denen ich allen wichtigen Persönlichkeiten dieser Wissenschaft begegnet bin. Derjenige, der mich am meisten beeindruckt hat, war der besagte Apollonios.“ Er räusperte sich verlegen. „Ich weiß nicht, ob ich dich damit langweile, Herr.“

„Sprich nur weiter“, ermunterte ihn Lucius.

„Apollonios war nicht nur Mathematiker, sondern auch Philosoph und vor allem Geograf. In dieser Eigenschaft hatte er eine Maschine gebaut, mit der man genau herausfinden konnte, an welchem Punkt der Erde man sich befand.

Mag es noch so unglaublich klingen, aber ich habe das mit eigenen Augen gesehen, Herr, ich schwöre es! Apollonios war imstande mit Hilfe dieser Maschine, den jeweiligen Aufenthaltsort mit einer Genauigkeit von einigen Stadien zu berechnen.“

„Und was geschah dann?“

„Eines Tages wollte sie ihm jemand stehlen. Der Versuch schlug fehl und Apollonios, der ein sehr sonderbarer Mensch war, beschloss, dass die Welt seine Erfindung nicht verdiente und vernichtete sie kurzerhand.“

„Hat keiner seiner Schüler versucht sie nachzubauen?“

 

„Doch, selbstverständlich, Herr. Wir waren damals alle jung und tatendurstig. Vor allem waren wir ruhmessüchtig und wollten Geld und Anerkennung schnellstmöglich ernten. Doch Apollonios’ Maschine nachzubauen gelang keinem von uns.“

„Hat er gewusst, dass ihr im Begriff wart einen Nach anzufertigen?“

„Natürlich nicht, Herr. Er hätte uns sonst auf der Stelle verjagt. Wir versuchten es insgeheim, gemeinsam und auch jeder für sich alleine, aber es gelang uns nicht. Schließlich gaben wir auf.“

„Du sagtest, er sei ebenfalls Philosoph gewesen. Kannst du das näher erläutern?“

„Ja. Er war der festen Überzeugung, dass die Welt in ihrem Innersten auf eine mathematische Formel zurückführbar sei, und zwar eine Formel, die das Leben auf unserem Planeten von seinen Ursprüngen her definiert.“

„Ja, aber was ist mit all dem, was über uns steht?“ wunderte sich der junge Mann. „Was ist mit der Macht der Götter?“

Panaitos wand sich erneut auf seiner Bank wie jemand, der um eine unangenehme Aussage herumkommen wollte.

„Tja, das ist es eben“, fuhr er fort, „Apollonios verneinte die Existenz der Götter.“

Er hielt einen Augenblick inne, als wollte er die Wirkung dieser Worte auf sein Gegenüber abwarten.

Der junge Mann beäugte ihn voller Misstrauen.

„Er verleugnete die Götter?“

„Ja, Herr. Er behauptete, es gäbe sie nicht. Er sagte, sie seien völlig überflüssig und nach seinen Berechnungen gar nicht existent. Er meinte, sie wären nur eine Erfindung von Menschen, um andere Menschen zu beherrschen.“

Lucius hatte Mühe sein Erstaunen zu verbergen.

„Und wie konnte er mit dieser Einstellung überleben?“, fragte er ungläubig.

„Nun, man wusste überall, dass er verrückt war. Außerdem wurde er von den Herrschenden bei allerlei Berechnungen, meist für Bauten von Straßen und Militäranlagen, gebraucht. Man verzieh ihm seine Verrücktheit, weil man auf seine Kenntnisse angewiesen war.“

„Und seine Formel? Was ist aus der Weltformel geworden?“

„Das war die Lebensaufgabe, die er sich gesetzt hatte, und er wollte diese Formel um jeden Preis finden. Soweit ich unterrichtet bin, ist er nie darauf gestoßen.“

„Was heißt, soweit du unterrichtet bist? Was ist geschehen?“

„Seine Sonderbarkeit, nennen wir sie mal so, hat sich im Laufe der Zeit verschlimmert. Er wurde von Tag zu Tag merkwürdiger. Wir hatten das Gefühl, er würde immer tiefer in seiner Zahlenwelt versinken.“ Panaitos seufzte nachdenklich, bevor er fortfuhr. „Und da war noch etwas, das ich erwähnen muss. Er war von seiner Grundeinstellung her der Schule des großen Pitagoras verhaftet. Er glaubte an die Macht der Zahlen, besonders an die von bestimmten Zahlen.“

Der alte Mann hielt inne.

„Und dann, eines Tages, hat er uns einfach alle verjagt.“

„Wieso?“

„Ich weiß es nicht. Er fing an, wirres Zeug zu reden. Er meinte, wir würden seine Kreise stören, und er könnte sich unseretwegen nicht auf die Entdeckung der Weltformel konzentrieren, wo er doch schon so nahe dran wäre.“

„Und was ist aus ihm geworden?“

„Ich kann es dir nicht sagen, weil ich den Rest nur aus Erzählungen kenne. Man berichtete mir, eine Frau, eine Schwarze, sei ihm über den Weg gelaufen, und sie soll ihn verzaubert haben. Sie gebar ihm nach einigen Jahren das Kind, dieses Mädchen, dessen Namen ich nicht kenne. Man hat mir später erzählt, dass die Frau bei der Geburt gestorben sein soll. Was mit der Tochter geschah, vermag ich nicht zu sagen. Wenn sie noch am Leben ist, besteht die Möglichkeit, dass sie über diese Verschlüsselungsart Bescheid weiß. Ihr Vater hat sich, soweit ich mich erinnern kann, auch mit der Verschlüsselungskunst beschäftigt.“

Die beiden Männer schwiegen.

„Eine merkwürdige Geschichte“, sagte Lucius nach einer Weile.

„Das Problem ist, dass sie mich trotzdem nicht weiterbringt.“

„Wenn man diese Tochter von Apollonios finden könnte…“, überlegte Panaitos. „Ich kenne sonst niemand, der diese Schrift zu entziffern vermag.“

Lucius seufzte.

„Wir sind also wieder am Anfang!“

„Ich kann eines tun, Herr. Ich werde die Griechen, die ich kenne, ansprechen und sie bitten, mir zu helfen. Vielleicht bringt uns das weiter.“

Lucius Castor schüttelte entschieden den Kopf.

„Das ist nicht so einfach, alter Freund. Ich will diese Geschichte nicht an die große Glocke hängen. Es gibt womöglich Leute, denen das nicht passt, und die könnten mir große Steine in den Weg legen.“

Er schwieg, da er sich plötzlich unsicher fühlte, ob sein ehemaliger Lehrer für weitere Auskünfte vertrauenswürdig genug war. Er entschied nach kurzem Überlegen, doch alles Weitere im Augenblick für sich zu behalten und verabschiedete sich vom alten Panaitos.

Der Besucher betrat mit schlecht gespielter Jovialität den Raum. Mit unechtem Elan versuchte er von seiner Kurzatmigkeit abzulenken, indem er eine aufgesetzte Gelassenheit an den Tag legte. Seine kurze Statur und der dicke Bauch verstärkten den Eindruck der falschen Freundlichkeit und verursachten bei den meisten Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, Abscheu und Ablehnung.

Lucius Castor hatte diesen Mann mit Absicht in das elterliche Haus eingeladen. Er wusste, was er dabei riskierte, wenn seinem Vater zu Ohren gekommen wäre, dass der verrufene, klatschsüchtige Octavius Pollio sein Haus betreten hatte. Glücklicherweise war sein Vater zu einer Geschäftsreise aufgebrochen und in seiner Mutter hatte Lucius eine zuverlässige, verschwiegene Verbündete, die ihn niemals verraten und die mit ihrer stummen Liebe ihn ein Leben lang geschützt hatte.

Es quälten ihn trotzdem die Gewissensbisse, seinen Vater mit der Einladung einer derartigen Gestalt hintergangen zu haben. Es blieb ihm aber keine andere Wahl, wenn er seinen Plan verwirklichen wollte.

Octavius Pollio war schließlich der Liebling der Verkommenen unter den Reichen Roms, ein Dauergast sämtlicher zügelloser Orgien und das zuverlässigste Tratschmaul der Stadt. Wenn man eine Nachricht bis in den letzten Winkel Roms verbreitet haben wollte, musste man es nur Octavius anvertrauen und ihn um Verschwiegenheit bitten.

Der Besucher seinerseits war neugierig darüber, was ihm die unverdiente Ehre verschaffte ins Haus der Cornelier eingeladen zu werden.

Er wunderte sich insgeheim darüber, dass er einer alten, zurückhaltenden und traditionsbewussten Patrizierfamilie über die Türschwelle treten durfte.

„Mein lieber Octavius, es ist mir eine große Ehre, eine der berühmtesten Persönlichkeiten Roms als Gast zu begrüßen!“ Lucius hoffte insgeheim, nicht zu dick aufgetragen und sich dabei der Lächerlichkeit preisgegeben zu haben.

Er konnte aus mangelnder Erfahrung nicht wissen, dass Übertreiben in solchen Kreisen zum guten Ton gehörte und dass er mit seinem aufgesetzten Verhalten für Leute wie Octavius Pollio keineswegs aus dem Rahmen fiel.

„Verehrtester Lucius“, gab der andere gekonnt zurück, als hätte er den jungen Tribun schon ewig gekannt - in Wahrheit hatte er ihn noch nie gesehen -, „ich bin von der Freundlichkeit dieser Einladung ganz und gar überwältigt. Ich bedauere nur zutiefst, dass mir die Ehre deiner Bekanntschaft nicht früher zuteil wurde. Was kann dieser bescheidene Diener für dich tun?“

„Nun, zunächst wollte ich dir ganz besonders dafür danken, dass du meiner Einladung Folge geleistet hast.“ Der junge Mann räusperte sich verlegen. „Ich bin, wie du vielleicht schon erfahren hast, für ein paar Tage in Rom, denn ich habe mehr als genug vom Krieg. Natürlich bin ich mit einem offiziellen Auftrag hier, aber in Wahrheit habe ich mir einige Tage von diesem Elend vor Karthago freigekämpft.“

„Ha, ha, freigekämpft! Das ist ein gutes Wort, mein Lieber“, grunzte der Dicke vergnügt. Seine kleinen Augen musterten Lucius voller Neugier.

Der Tribun fuhr fort.

„Ich wollte mich für die Dauer meines Aufenthalts etwas, sagen wir … entspannen.“ Ein vieldeutiges Lächeln streifte bei diesen Worten über sein sonst ernstes Gesicht. „Eine nette Orgie würde mir gut tun. Das Problem liegt nur darin, dass ich von meinen hoffnungslos altmodischen Eltern immer vom wahren Vergnügen ferngehalten wurde. Du verstehst doch was ich meine, oder!?“

Ein perfider Schatten keimte im Gesicht von Pollio. Sein Kopf neigte sich leicht nach vorne, was sein Doppelkinn noch mehr betonte. Unter den gezupften Augenbrauen betrachteten Lucius zwei schwarze, funkelnde Knöpfe. Die schlaffen Mundwinkel weiteten sich zu einem fast zahnlosen Grinsen.

„Gütiger Herr, ich fühle mich ungemein geehrt, dir zu Diensten zu stehen.“ Innerlich jubelte der fette Octavius. So einen aus einer wirklich vornehmen Familie, wie die von Cornelius Castor, ins gesellschaftliche Leben einzuführen, was für ein Fang! Alle würden ihn beneiden. Einen von den moralisch angeblich so hoch stehenden Familien der Öffentlichkeit, seiner Öffentlichkeit, vorzuführen, was für eine Trophäe!

Das ist genau so, wie ich immer schon dachte, freute er sich. Diese sogenannten feinen Leute sind in Wahrheit noch verdorbener als wir. Sie spielen den anderen nur etwas vor, um sich selbst auf eine höhere Stufe zu stellen. Was für ein verlogenes Pack!

Nun sprach Lucius erneut, wobei die ursprünglich gespielte Verlegenheit einer echten wich. Glücklicherweise war sein Gegenüber außerstande den Unterschied zu merken.

„Ich würde gerne bei einem der berühmten Feste von Antoninus Pulcher teilnehmen“, sagte Lucius unsicher.

„Oh, Götter“, stöhnte der Dicke wollüstig, „ihr habt diesen jungen Herrn mit wahrlich gutem Geschmack gesegnet! Du meinst sicherlich den ehrenwerten Antoninus Claudius Pulcher, nicht wahr?! Eine bessere Wahl hättest du kaum treffen können. Er ist einer der großzügigsten und liebenswertesten Menschen Roms. Außerdem macht er auch die wunderbarsten Feste in dieser langweiligen Stadt! Wahrlich ein erlesener Geschmack, junger Cornelius!“

Er verbeugte sich, soweit ihm der Bauch erlaubte.

„Es wird mir eine große Freude sein, deinen Wunsch zu erfüllen! Zufällig plant unser Freund ein großes Fest für morgen, zu Ehren der Großen Mutter. Er wird sich über dein Erscheinen sicherlich sehr freuen. Dafür werde ich selbst sorgen.“

„Ich danke dir, lieber Freund“, entgegnete Lucius, „diese großzügige Geste weiß ich zu würdigen. Ich möchte dich aber trotzdem bitten, dem Gastgeber meinen Namen nicht ausdrücklich zu erwähnen, da ich nicht unbedingt möchte, dass man später vor Karthago erfährt, Lucius Castor sei nach Rom gekommen, um sich dem Vergnügen zu widmen. Du verstehst, was ich meine, nicht wahr?!“

Der Dicke schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und verzog mit gespielter Verlegenheit das Gesicht.

„Selbstverständlich, junger Herr. Wie konnte ich nur so dumm sein und das übersehen! Entschuldige die Beschränktheit eines einfältigen Geistes, großzügiger Freund Das wird nie wieder vorkommen. Meiner Diskretion kannst du sicher sein“, schloss er mit einer erneuten Verbeugung.

Lucius wusste, was er zu tun hatte. Er griff zielsicher in seinen Geldbeutel und zog ein paar Münzen hervor, die er in die Hand von Pollio gleiten ließ. Der versteckte die Geldstücke mit einer ungewohnten Flinkheit unter seiner Toga und verbeugte sich zum wiederholten Male.

Lucius verabschiedete den ungeliebten Gast nach ein paar lästigen Höflichkeitsfloskeln und dankte anschließend den Göttern dafür, dass ihn sein Vater nicht mit dieser Gestalt erwischt hatte.

Die Villa von Antoninus Pulcher lag verborgen am Fuße des Quirinalhügels, abseits von der Hauptverkehrstraße, hinter einer dichten Mauer von hochgewachsenen Zypressen.

Lucius Castor hatte dieses Anwesen noch nie zuvor betreten, aber er kannte es aus Erzählungen über rauschende Feste und kolossale Ausschweifungen, die in ganz Rom von Zeit zu Zeit die Runde machten. Am Hauseingang wurde er von zwei hochgewachsenen gallischen Sklaven mit einer tiefen Verbeugung empfangen. Die Männer schmückten umgehend sein Haupt mit einem Blumenkranz und ehe er sichs versah, wurde er von einem dritten Sklaven in den Festsaal geleitet. Kaum hatte der junge Tribun den Raum betreten, stürzten sich zwei spärlich verhüllte Bacchantinnen auf ihn und nahmen zärtlich seine Hand.

„Willkommen im Reich der Freude und des Vergnügens, schöner Mann!“, flüsterte eine von ihnen mit sanfter Stimme. Ihre zierliche Statur tänzelte im Rhythmus der Flöte, und ihre rötlichen Haare liebkosten die milchweiße Haut ihrer Schultern. Er ließ sich widerstandslos führen und gelangte zu einer Gruppe von fünf Gästen, die sich laut lachend amüsierten.

 

Der Festsaal war riesig und nach dem ersten Blick zu urteilen, bot er üppigen Platz für mindestens dreihundert Leute. In Wandnähe stand eine große Anzahl von Liegen bereit für die ranghöheren Besucher, die den Festlichkeiten beiwohnten. Die weniger Bedeutenden unter ihnen mussten sich mit bequemen Kissen auf dem Boden begnügen.

Lucius schaute sich um, ohne ein einziges bekanntes Gesicht entdecken zu können. Er merkte, wie manche der Anwesenden ihn verstohlen anblickten und untereinander für ihn unverständliche Worte flüsterten. Er kam sich verloren und überflüssig vor.

Er überlegte ernsthaft den Rückzug anzutreten, als unerwartet eine bekannte Stimme hinter seinem Rücken ertönte:

„Mögen die Götter gelobt sein, der ehrenwerte Lucius Cornelius Castor ist da. Ich hatte die Befürchtung, du hättest es dir doch anders überlegt.“

Der Tribun drehte sich brüsk um.

Es war Octavius Pollio, der sich von hinten an ihn herangepirscht hatte, und diesmal war der Tribun wirklich froh ihn zu erblicken. Lucius versuchte ein mondänes Lächeln aufzusetzen, aber alles, was er schaffte, war eine gequälte Grimasse.

Er hatte keine Zeit zu antworten, denn der andere kam ihm zuvor.

„Keine Angst, alter Freund. Du bist hier unter liebenswerten Leuten. Ich werde dir gleich einige von ihnen vorstellen.“ Er nahm den jungen Mann bei der Hand und schleppte ihn zu einer kleinen Gruppe von Gästen, die unweit von ihnen stand.

„Meine Freunde, lasst mich euch einen der wenigen echten Helden unserer Tage vorstellen! Einen unerschrockenen Krieger, der unser Vaterland mit Ruhm bedeckt und die Feinde Roms das Fürchten lehrt. Der tapfere Lucius Cornelius Castor beehrt uns heute Abend!“

Die Leute unterbrachen überrascht ihre Unterhaltung. Die drei Frauen musterten ihn neugierig, während die beiden Männer ihm beiläufig zunickten und sich weiter ihrer Unterhaltung widmeten.

Eine der Frauen, eine elegante Mittvierzigerin mit leicht verlebtem Gesicht, sprach Lucius als Erste an.

„Ich bin Caecilia, und das sind meine Zwillingstöchter Aurelia und Elysia. Willkommen zu diesem berauschenden Fest. Ich kann mich beim besten Willen nicht an dein Gesicht erinnern. Bist du zum ersten Mal hier?“ Sie hielt kurz inne und musterte ihn eingehend. „Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dich jemals hier gesehen zu haben“, sagte sie mit Nachdruck.

„Ich …“

Octavius ließ ihn nicht zu Ende reden. Gekonnt half er dem Tribun aus seiner Verlegenheit.

„Dem guten Lucius sind bisher solche berauschenden Feste versagt gewesen, aber jetzt hat er endlich die Möglichkeit es nachzuholen, ha, ha, ha …“

Caecilia klimperte mit ihrem goldenen Ohrschmuck und hob amüsiert die Augenbrauen.

„Was, du hast tatsächlich noch nie an den Festen von Antoninus Pulcher teilgenommen?“

Die beiden jungen Frauen kicherten belustigt.

Lucius spürte, wie er vor Verlegenheit rot wurde. Glücklicherweise kam ihm einer der beiden anwesenden Männer unfreiwillig zur Hilfe.

„Es ist noch immer kein Frieden in Lusitanien“, wandte er sich an Lucius‚ „du kommst doch daher, oder?!“

„Nein, ich war noch nie in Lusitanien. Wieso, wie sieht es da aus?“

Der Mann schien ein besonderes Interesse am Thema zu haben, denn er fuhr unbeirrt fort.

„Dieser Bursche‚ Viriathus oder wie auch immer er heißen mag, ist einfach nicht zu schlagen. Seit über acht Jahren versuchen wir ihm das Handwerk zu legen und bislang hat er jede unserer Armeen besiegt.“

„Vielleicht macht jemand etwas falsch“, warf der zweite Mann ein.

„Man sollte es so machen wie damals bei den Griechen. Einfach abwarten, bis sie sich selbst zerfleischen und dann einmarschieren.“

Die Frau, die sich Caecilia nannte, lachte kurz auf.

„Es fragt sich nur im Falle Griechenlands, wer eigentlich wen besiegt hat. Wir sie oder sie uns?“

Sie kicherte vergnügt, als hätte sie geahnt, dass sie ein empfindliches Thema angeschnitten hatte.

„Ich glaube, ohne Griechenland wären wir auch heute noch geistig ganz weit hinten“, warf Lucius ein, der sich nun angesprochen fühlte. Seine griechische Bildung und sein von der Stoa geprägtes Weltbild zwangen ihn ins Thema einzugreifen. „Unsere gesamte Kultur hängt nämlich mit der von Griechenland ganz eng zusammen.“

„Ja, viel zu eng, wenn ich das sagen darf“, erwiderte irritiert der Mann, der vorhin noch ganz großes Interesse für Lusitanien gezeigt hatte.

„Wir brauchen uns nur umzuschauen und werden feststellen, dass die Literatur griechisch ist, dass wir von griechischen Ärzten behandelt werden, dass die Theaterstücke und die Schauspieler griechisch sind, ja sogar, dass unsere Laster von den Griechen kommen. Ich möchte nun bitte erfahren, was daran gut sein soll. Die höhlen doch unser Leben und unsere Gesellschaft völlig aus. Unsere alten Tugenden werden alle vom griechischen Wurm zerfressen. Cato hatte völlig recht; man sollte sie alle hinauswerfen, bevor es zu spät ist!“

„Ach Tullius, wenn du dich nur nicht so stur stellen würdest! Du bist völlig von gestern. Der junge Mann hat Recht. Ohne die Griechen wäre Rom eine geistige Einöde! Es ist außerdem kaum was los hier. Wenn es diese Feste nicht gäbe, würde man vor Langeweile glatt umkommen.“

Caecilia lächelte Lucius ermunternd an. Ihre Töchter kicherten vieldeutig.

„Denkt nur an Karneades, Kriothalos oder Diogenes, die noch vor keinen zehn Jahren unsere Stadt beehrt haben“, fuhr sie fort. „Seht nur, wie die Bildung und das Wissen unserer Jugend gestiegen sind. Soll denn das alles keinerlei Wert besitzen?!“ Ein unerwartetes Pathos vibrierte in ihrer Stimme.

Der angesprochene Tullius begann nervös zu blinzeln.

„Ich habe gehört, dass Antoninus Pulcher heute ganz besondere Glanzpunkte zu bieten hat“, versuchte er ungeschickt das Thema zu wechseln.

„Vielleicht ein paar griechische Selbstmörder, die sich uns vorher noch zu Füßen werfen und dankbar eine Ode darüber rezitieren, wie schön es ist, sich auf römischem Boden das Leben zu nehmen.“

Lucius’ Sarkasmus war kaum zu überbieten.

Der Mann warf ihm einen vernichtenden Blick zu, drehte sich um und ging ohne ein Wort davon.

„Kennst du unseren Hausherrn?“, fragte Caecilia, als ob es den besagten Tullius nie gegeben hätte.

Lucius zögerte.

„Wir haben uns schon mal gesehen, glaube ich“, erwiderte er wage.

„Nun ja, es ist jetzt auch nicht so wichtig“, entgegnete die Frau. „Du wirst bald erleben, was er alles zu bieten hat und wirst ihn bei seinem wahren Wert zu schätzen lernen.“

Wie meint sie das?, dachte er und nickte Caecilia höflich zu.

„Seit neuestem hat er eine Sklavin, eine Ägypterin mit besonderen körperlichen Begabungen…“, sagte die Frau, als hätte sie Gedanken lesen können. Sie lächelte verschmitzt. „Das ist ebenfalls typisch für Antoninus. Er ist Meister im Entdecken von ausgefallenen Sachen.

Auf seine Weise ist er ein Getriebener, ständig auf der Suche nach etwas Neuem, noch nie Dagewesenem. Das macht seine Feste besonders interessant.“

Lucius beherrschte sich, um ja nichts Falsches zu sagen.

Caecilia versuchte ihn jedoch weiter zu ködern.

„Ich kann dir eine Menge interessanter Geschichten über unseren Gastgeber erzählen. Schließlich kenne ich ihn selbst sehr gut und das können nur wenige Leute von sich behaupten. Besuche mich mal, dann kann ich dir einige spannende Sachen erzählen.“

„Vielleicht erfahre ich tatsächlich mehr …“, dachte er hoffnungsvoll.

Die Tatsache, dass Caecilia Griechenland hoch schätzte, weckte in ihm ein gewisses Maß an Zuneigung für sie.

„Ich danke dir für die Einladung. Ich nehme sie hiermit gerne an.

Aber wo bleiben deine Töchter? Ich habe gar nicht gemerkt, dass sie verschwunden sind.“

„Keine Angst, sie kommen wieder. Sie wissen, wo sie mich finden können.“

Sie drehte sich um, warf ihm einen flüchtigen Blick über die Schulter zu und ging zielstrebig auf einen der Sklaven zu. Sie trug eine hellblaue Tunica aus teurer Seide, die eng auf ihren Körper zugeschnitten war. Mit lässiger Grazie bewegte sie sich vor Lucius her, und das Schimmern der Seide im Fackellicht unterstrich dezent die Eleganz ihrer Gestalt.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?