Offenbarung

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»Nun, Bruder, warum antwortest du nicht? Bist du vielleicht anderer Meinung?«

Er schüttelte heftig den Kopf.

»Wie hältst du es mit Luther, Bruder Gioacchino?«, fragte ich scheinheilig.

»Er … er ist ein ganz übler Ketzer und ein gottloser Geselle«, stieß er schließlich krächzend hervor.

»Siehst du?«, sagte ich in belehrendem Tonfall. »Ich wusste von Anfang an, dass du ein guter, gläubiger Christ bist. Ich freue mich sehr, dass wir bei grundsätzlichen Fragen einer Meinung sind.«

Er senkte den Blick und schwieg. Ich beschloss, ebenfalls eine Weile nichts zu sagen, denn ich hatte nicht die Absicht, ihn noch mehr zu demütigen. Schließlich hatte ich etwas anderes mit Bruder Gioacchino vor.

Wir folgten schweigend der Landstraße, und ich freute mich insgeheim darüber, dass diese unglückliche Unterhaltung beendet war.

Die Sonne hatte unterdessen ihren höchsten Tagesstand erreicht, und man konnte deutlich spüren, wie ihre wohltuende Wärme die ganze Natur erfasste. Genüsslich zog ich den Duft der frischen Erde in meine Lungen, und auf einmal erschien mir alles nicht mehr so düster und aussichtslos wie bisher. Plötzlich erfreute ich mich mit jeder Faser meines Leibes an der Schönheit dieses herrlichen Tages, und das ließ mich den bevorstehenden Aufgaben mit neuem Auftrieb und Vertrauen entgegenblicken.

Der dominikanische Bruder lief schweigend wenige Schritte hinter mir her, und ich vermied es mich umzudrehen, da ich mir dieses Gefühl der Freude durch nichts und niemand verderben lassen wollte.

Viele Stunden später, als die Sonne den rötlichen Farbton des Untergangs angenommen hatte, wandte ich mich um und fragte ohne Vorwarnung meinen Begleiter:

»Wieso hat man dich nach Porto Ercole geschickt und nicht einen meiner Ordensbrüder?«

Der Dominikaner sah mich mit einem dankbaren Blick an und antwortete mit zahmer Stimme:

»Es würde mich aufrichtig freuen, deine Frage beantworten zu können, Bruder, aber ich weiß es nicht. Es hat mich selbst gewundert, vom Heiligen Offizium dafür ausgewählt worden zu sein, aber ich dachte mir nichts weiter dabei. Es hieß nur, ich möge dich ohne Umwege und Verzögerungen nach Rom begleiten und dich zum Sitz eures Ordens geleiten …«

»Wirklich?«, fragte ich mit unverhohlenem Zweifel.

Das Gesicht von Bruder Gioacchino nahm daraufhin einen besorgten Ausdruck an.

»Ich hatte eben gelogen«, gestand er und senkte den Kopf. »Verzeih, Bruder, denn ich war unehrlich und übermütig. Ich bin beauftragt worden, deine Glaubensfestigkeit zu erkunden und dann Bericht zu erstatten.«

»Und wer hat dich damit beauftragt?«, erkundigte ich mich in harmlosem Tonfall.

»Es war das Heilige Offizium, denn es gibt einige mächtige Stimmen im Vatikan, die an der Glaubenstreue der Jesuiten Zweifel hegen.«

Ich nickte nachdenklich und entschied, es dabei bewenden zu lassen.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir ein Kloster, das uns die Gastlichkeit seiner Mauern für die Nacht anbot und setzten unsere Reise am nächsten Morgen in aller Frühe fort.

Wir liefen zügig und schweigend, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Nach einer Weile brach ich das Schweigen und fragte meinen dominikanischen Begleiter:

»Was geschieht in Rom, Bruder Gioacchino?«

Er antwortete mir, ohne den Blick von der Landstraße zu wenden.

»Ich bin nicht ermächtigt, darüber zu sprechen.«

»Und wer ist befugt, mich darüber aufzuklären?«, versuchte ich nachzuhaken.

»Ich werde dich zum Verantwortlichen führen, Bruder Tomás. Es gehört in diesem Falle zu den Aufgaben, die mir auferlegt wurden.«

Ich warf ihm einen langen Blick zu, aber er starrte weiterhin stur auf die Straße, und mir wurde klar, dass ich nichts mehr aus ihm herausbekommen würde.

Wir setzten unseren Weg fort und keiner sprach, denn zwischen uns gab es nichts mehr zu bereden. Bruder Gioacchino hielt sich streng an die ihm auferlegten Vorgaben, und das bedeutete, dass er mir nichts mehr mitzuteilen hatte, zumal das einzige wichtige Thema, welches uns verband, zu seinen Ungunsten ausfiel. Ich bedauerte zutiefst die zwischen uns entstandene Stimmung des Misstrauens und der Ablehnung, aber ich sah mich außerstande, etwas dagegen zu unternehmen. Er war es schließlich, der diesen Graben zwischen uns ausgehoben hatte, und er schien in seinem Innersten auch nicht bereit, ihn wieder zuzuschütten. Somit blieb die These Molinas als unsichtbare Kluft zwischen uns bestehen und zwang jeden, sich in seine Welt zurückzuziehen und mit den eigenen Gedanken fertig zu werden.

Diese bedrückende Stimmung begann mich zunehmend zu belasten, und ich versank immer tiefer in einen grüblerischen, trübsinnigen Zustand. Es störte mich zusehends im Lichte der Ereignisse, die seit meiner Ankunft stattfanden, dass alles um mich her dunkler wurde und dass diese Finsternis mein Gemüt immer stärker in Besitz nahm. Schmerzhafte Erinnerungen erwachten in mir, und die Geister der Vergangenheit erschienen schemenhaft als grimmige Bilder vor meinem inneren Auge. Ich sah mich wieder im dunklen Keller meines Elternhauses, eingesperrt in angstvoller Erwartung der Strafe, die mir Vater für mein aufsässiges Verhalten auferlegen würde. Es war jedes Mal eine andere Grausamkeit und auf jede Strafe folgte eine unerträglichere.

Dabei hatte ich gehofft, mich so weit abzuhärten, dass mir seine Bestrafungen nichts mehr ausmachen würden. Stattdessen wurde ich immer empfindlicher und unsicherer. Die Dunkelheit des Kellers setzte mir immer mehr zu, und bald hatte ich mehr Angst davor, als vor den Grausamkeiten, die mich erwarteten. Mein Vater schien seiner Absicht, meinen Willen brechen zu wollen, langsam aber sicher immer näher zu kommen. Ob er mich mit dem Kopf in die Pferdetränke zwang, bis ich fast ohnmächtig wurde, oder mich mit der Weidenrute züchtigte, bis ich blutend mit aufgeplatzter Haut, halb bewusstlos auf dem Boden lag, es verging kaum ein Tag ohne Qualen.

Meine Mutter versteckte sich jedes Mal im Haus, weil sie es nicht mit ansehen konnte, wie er mich peinigte, wagte aber niemals Vater zu meiner Verteidigung entgegenzutreten. Sie litt jedes Mal schweigend mit und ihr Gesicht glich in ihrem schmerzerfüllten, abgewandten Ausdruck der Mutter Gottes, die das Unvermeidliche kennt, aber nicht zu verhindern vermag.

Ich hatte ihr damals wie später nie einen Vorwurf gemacht, dass sie mich kein einziges Mal vor Vater in Schutz genommen hatte, denn ich wusste nur zu gut, dass, obschon sie ein schwacher und ängstlicher Mensch war, ihre ganze Liebe mir allein galt.

Und so, nach Jahren beharrlichen Bettelns, war es ihr schließlich gelungen, meinen Vater davon zu überzeugen, mich in eine Klosterschule zu stecken. Sie tat es unter dem Vorwand, das Gemüt und die Gesundheit Don Estebans schonen und ihm den Ärger und die Aufregung über meine Sturheit ersparen zu wollen. Schließlich willigte er ein, und ich bleibe ihr für ihre Hartnäckigkeit ewig dankbar, denn ich bin bis zum heutigen Tag fest davon überzeugt, dass sie mir damit das Leben gerettet hatte.

Am frühen Vormittag des vierten Tages näherten wir uns über die Via Flaminia den äußeren Bezirken Roms. Bereits einige Stunden vor Erreichen der Stadtmauern wurde der Verkehr zusehends dichter, und nicht lange bevor ich den ersten Blick auf die sieben Hügel werfen konnte, kam es mir vor, als wäre ich Teil einer riesigen Völkerwanderung. Ochsenkarren aller Größen, Reiter in Gruppen oder allein, sowie ein unendliches Meer von Fußvolk bewegten sich mit zäher Beharrlichkeit auf das gemeinsame Ziel zu. Sie alle waren schwer beladen, entweder mit eigenen Habseligkeiten oder viel häufiger mit Nahrungsmitteln für die unersättlichen Märkte der Stadt. Ich kam mir in dieser unendlichen Schlange vor wie ein Fisch in einem riesigen Schwarm, den die Strömung vorantrieb. Es war für mich die erste Erfahrung dieser Art, denn obwohl ich bereits Valencia als große Stadt kannte, sprengte das, was sich meinen Augen darbot, jegliche Fassungskraft meiner Vorstellung. Diese bewegte Szene fesselte meine Aufmerksamkeit derart, dass ich meine dunklen Gedanken und die Anwesenheit Bruder Gioacchinos völlig vergaß. Ein seltsamer Überschwang erfasste mich, und die Angst sowie die bösen Vorahnungen, die mich immer wieder heimgesucht hatten, wichen allmählich einer erwartungsvollen, ungezügelten Freude, die mich in ihren Bann zog. Ich stellte fest, dass ich nicht wieder in die vertraute Abgeschiedenheit von Cuenca zurück wollte, sondern brannte regelrecht darauf, diese Stadt, von der man so vieles gesagt, geschrieben und erzählt hat, diese ehemalige Hauptstadt der antiken Welt, die ihren Stempel der ganzen Gegenwart Europas so unverwechselbar aufgedrückt hatte, endlich selbst zu erleben.

So glaubte ich in meiner rauschhaften Aufregung, in dem Licht, das der Himmel auf die sieben Hügel warf, ein göttliches Zeichen der Auserwähltheit Roms zu erkennen. Durch die weißen, bauchigen Wolken sandte die Sonne gezielt einzelne Strahlen auf die hügelige Landschaft und überflutete immer wieder einen anderen Teil der Stadt mit goldenem Licht, um sie auf diese Weise vom dunkleren Rest wie einzelne Inseln göttlicher Gnade hervorzuheben.

Dieser großartige Anblick beeindruckte mich solchermaßen, dass ich plötzlich stehen blieb und der hinter mir gehende Bauer fluchend über mich stolperte. Ich beachtete ihn aber kaum und starrte weiter gebannt auf dieses einzigartige Lichtspiel.

Unwillkürlich erwachte in mir der Gedanke an bestimmte Verse aus Dantes Komödie aus dem dritten Kapitel, dem Paradies:

Die Herrlichkeit des, der die Welt beweget,

Durchdringt das All; bald mehr, bald minder bricht

Ihr Abglanz vor aus allem, was sich reget.

 

Im Himmel, wo am hellsten scheint ihr Licht,

War ich, und Dinge schaut ich, die zu sagen

Ihm, der herabkommt, Kund und Kraft gebricht.

So nah zu seinem Wunsch emporgetragen,

Versinkt der Geist in solchen Überschwang,

Dass kein Gedächtnis bleibt in spätren Tagen.

Ich spürte, wie mich der Dominikanermönch am Ärmel zupfte und mit einer flüchtigen Kopfbewegung zum Weitergehen aufforderte. Wortlos setzte ich mich in Bewegung, obgleich ich den Blick von dieser herrlichen Malerei der Natur kaum abzuwenden vermochte.

»Sind immer so viele Leute unterwegs nach Rom?«, wollte ich wissen, als wir der Stadt immer näher kamen und der Menschenstrom dichter wurde.

»Das sind nicht nur Leute, die hier ihre Erzeugnisse loswerden wollen«, antwortete Gioacchino, »sondern auch sehr viele, die dem Elend des ländlichen Lebens in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft entfliehen wollen. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast«, fuhr er fort, »aber vor zwölf Jahren hat hier die Pest gewütet, und zwar so furchtbar, wie man sie seit Menschengedenken noch nicht erlebt hatte. Sie hinterließ eine beinahe entvölkerte Stadt, und so fehlte es viele Jahre an allem, aber vor allem an Menschen, die diesen Riesen am Leben erhalten konnten. Das hatte zur Folge, dass jede Art von Arbeit gut bezahlt wurde, und, alldiejenigen, die sich dazu entschließen konnten, dem Leben auf dem Lande den Rücken zukehren, hatten die echte Möglichkeit auf einen vielversprechenden Neuanfang.«

»Du meinst, es sind unter diesen Leuten auch solche, die gar nicht mehr in ihre Dörfer zurückkehren wollen?«

Gioacchino nickte.

»So ist es. Und obwohl Rom seit dieser verheerenden Seuche um das Sechsfache angeschwollen ist, kommen noch immer Massen von Menschen hierher, um ihr Glück in der Heiligen Stadt zu versuchen.«

Nach dieser kurzen Unterhaltung setzten wir unsere Reise schweigend fort, jeder den eigenen Gedanken nachhängend.

Als wir endlich die inneren Bezirke der Stadt erreichten, begann ich wirklich zu verstehen, warum man sie die Hauptstadt der Welt nannte. Nachdem wir die mächtigen Außenmauern hinter uns gelassen hatten, bot sich meinen Augen ein recht seltsames Bild. Die Hügel, die sich innerhalb dieser Mauern erhoben, waren auf ihren Gipfeln und an den Hängen nichts weniger denn dicht besiedelt, sondern vielmehr von wild wuchernder Vegetation bedeckt, die gelegentlich von verschiedenartig großen, landwirtschaftlich bebauten Parzellen durchschnitten wurde. Es waren kleine Äcker oder Weinberge, die sich in dem Gestrüpp breit machten, wobei gelegentlich bewachsene Ruinen von einer anderen, längst vergangenen Größe zeugten. Am Fuße dieser Hänge breiteten sich scheinbar willkürlich zusammengepferchte, ärmliche Behausungen aus, die eher an winzige Dörfer erinnerten. Allmählich wichen diese schäbigen Siedlungen zusehends massigen Steinhäusern, die, je mehr man sich auf die Stadtmitte zubewegte, größer und prächtiger wurden. Die Straßen waren, so weit ich sehen konnte, allesamt gepflastert, und die Menschenmenge verdichtete sich so sehr, dass ich unweigerlich das Gefühl hatte, bald an irgendeine Hauswand gedrückt und zertrampelt zu werden. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mich das Einsiedlerdasein in den Bergen von Cuenca vom städtischen Leben entfremdet hatte und wie wenig ich mich an diese bunte, lärmende und übel riechende Vielfalt gewöhnen konnte. Für einige wenige Augenblicke überfiel mich Angst, und mein erster Gedanke war, wie Lot zu fliehen, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Ich drückte die Zipfel des Mantels so fest an meine Brust, dass die Knöchel weiß wurden, und flehte leidenschaftlich den Herrn um Kraft und Gnade an, um die kommenden Herausforderungen bestehen zu können.

Eine ganze Weile später, als wir endlich in den Stadtkern gelangten, bogen wir von der großen Straße nach rechts ab und setzten unsere Reise entlang des Tibers fort, bis wir schließlich die Brücke über den Fluss erreichten. Ich schaute nach vorn, und dort erhob sich in all seiner wuchtigen Bedrohlichkeit ein runder Bau, von dem ich nach meinen bescheidenen Kenntnissen vermutete, dass es die Engelsburg sei, hinter der sich nichts Geringeres als die Heilige Stadt erstreckte.

Bei diesem überwältigenden Anblick überkam mich erneut ein erhebendes, schwärmerisches Gefühl, denn ich wusste, dass nur wenigen Menschen Gottes Gnade zuteil wurde, mit eigenen Augen den Sitz unserer Heiligen Mutter Kirche, den Nabel des Christentums, bewundern zu dürfen.

Zu sehr war Europa zwischen Kriegen und Seuchen zerrissen, als dass es allzu vielen gelungen wäre, diese lange, gefährliche und beschwerliche Reise zum Zentrum unseres Glaubens zu unternehmen. So konnte ich trotz der Unwägbarkeiten und Beschwernisse, die sich auf der Herreise aufgetan hatten, das Gefühl des Stolzes nicht verhehlen, dass ich den Weg bis hierher gemeistert hatte.

Als hätte er meine Gedanken lesen können, sagte Bruder Gioacchino unvermittelt:

»Es ist ein erhebender Anblick, nicht wahr?«

»Das ist es in der Tat«, erwiderte ich, und es war das erste und letzte Mal, dass wir einer Meinung waren.

Zielstrebig führte mich Gioacchino über die Brücke in die Stadt des Vatikans hinein. Die vielen Häuser, die sich zu unserer Rechten erstreckten, waren dicht aneinander gebaut und regelrecht zusammengedrängt, so dass es dazwischen nur wenige enge Gassen gab, die ein Durchgehen erlaubten.

Das wahrlich Beeindruckende ragte jedoch unweit von uns, unmittelbar vor meinen Augen in den Himmel empor. Es war die größte Baustelle, die ich jemals gesehen hatte. Ein großer länglicher Bau schloss nach hinten an eine hochschießende, runde Mauer, an deren oberen Ende sich eine riesige Kuppel in den Himmel reckte.

Ich sah verwirrt zu meinem Begleiter hinüber, als Zeichen, dass ich einer Aufklärung bedurfte, doch er setzte seinen Weg stur fort und würdigte mich keines Blickes.

»Verzeih Bruder, aber wir sind hier im Vatikan, nicht wahr?!«, fragte ich in meiner Verwirrung.

Der andere nickte mir stumm zu.

»Ich verstehe nicht«, fuhr ich hartnäckig fort. »Ich dachte, der Sitz unserer Gesellschaft sei irgendwo auf der anderen Seite des Flusses.«

Gioacchino nickte erneut, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Mir wurde klar, dass ich keine weiteren Auskünfte von ihm erhalten würde, und das ließ mir diesen Dominikanermönch keineswegs liebenswürdiger erscheinen. So beschloss ich meinerseits, auch nicht weiter zu fragen und geduldig der Dinge zu harren, die kommen würden.

Der große, längliche Bau, an dessen linker Seite wir vorbeizogen, schien mit dem kuppelbekrönten Rundbau, an den er angrenzte, regelrecht zusammenzuschmelzen. Diese merkwürdige Konstruktion erstreckte sich, wie ich es nach dem Sonnenstand beurteilen konnte, von Osten nach Westen, wobei der gedrängt wirkende Hochbau, der noch weit von seiner Vollendung entfernt war, sich im westlichen Teil ausbreitete, während das längliche, wesentlich niedrigere Haus dessen nach Osten ragende unnatürliche Verlängerung darstellte.

Wir liefen an diesem ungewöhnlichen Gebilde vorbei und steuerten auf ein breites zweigeschossiges, düster anmutendes Gebäude zu, vor dessen massigem Tor zwei Hellebardiere in bunten Uniformen wachten. Sie warfen uns knappe, prüfende Blicke zu und fuhren fort in die Ferne zu starren.

Bruder Gioacchino klopfte mit dem bronzenen Ring ans Tor, und nach wenigen Augenblicken ging dieses mit kräftigem Quietschen einen Spaltbreit auf. Der kahle Kopf eines jungen Mönches erschien, und seine Augen betrachteten uns argwöhnisch.

Mein Begleiter stellte uns kurz vor und schloss mit den Worten:

»Wir werden von Bruder Luca erwartet.«

Das Tor ging mit dem gleichen unangenehmen Geräusch wieder zu. Wir standen stumm davor und warteten. Unsere Geduld wurde aber nicht übermäßig beansprucht, denn nach einer Weile erschien der junge Mönch erneut und gewährte uns Einlass.

Sobald das Tor hinter mir ins Schloss fiel, merkte ich, wie uns ein Angst einflößendes, kaltes Halbdunkel umhüllte, das mir durch das schwächelnde Licht der wenigen Fackeln in höchstem Maße bedrohlich vorkam. Wir folgten dem Mönch die Treppe hinauf und eilten ihm auf einem unendlich lang erscheinenden Wandelgang hinterher. Er blieb vor einer unauffälligen dunklen Eichentür stehen und klopfte zweimal eindringlich daran.

Ein fernes »Herein!« erklang und schon ging der kahlköpfige Bruder voraus, während wir ihm auf dem Fuß folgten.

Der Raum war zu meiner großen Enttäuschung kaum besser beleuchtet als das übrige Gebäude, und so hatte ich durch die schlechten Lichtverhältnisse Mühe, seine Maße genau abzuschätzen. Von dem kurzen Blick her zu urteilen, den ich verstohlen um mich warf, befanden wir uns in einem riesigen Zimmer, dessen Fenster nach Norden zeigten. Ein kleingewachsener, rundlicher Mönch von unbestimmbarem Alter trat mir mit jovialem Lächeln entgegen. Er war mindestens einen Kopf kleiner als ich, und die Art, wie er meine beiden Hände ergriff, vermittelte mir das merkwürdige Gefühl, als hätten wir uns seit eh und je gekannt.

»Sei willkommen, Bruder Tomás«, fing er mit warmer, heller Stimme an.

Ich war überrascht, dass er mich statt des üblichen Lateins auf Italienisch angesprochen hatte, versuchte aber, so gut ich konnte, es mir nicht anmerken zu lassen.

»Ich danke dem Herrn, dass er dich auf deiner Reise begleitet hat und dass du wohlauf und unversehrt bei uns angekommen bist. Wir haben dich sehnsüchtig erwartet.«

Da ich weder genau wusste, wo ich war, noch mit wem ich es zu tun hatte, beschloss ich, höchste Vorsicht walten zu lassen.

»Vielen Dank, Bruder Luca«, entgegnete ich ebenfalls auf Italienisch. »Es ist mir eine große Ehre, Diener des Glaubens und der Heiligen Mutter Kirche sein zu dürfen.«

»Dein Italienisch ist so gut wie akzentfrei, Bruder. Ich bin sehr angenehm überrascht, denn das dürfte uns später von Nutzen sein. Du bist das erste Mal in Rom, nicht wahr?!«

»So ist es.«

»Dann wird dir Bruder Gioacchino auch gesagt haben, wo du dich im Augenblick befindest, oder?«

»Nein«, entgegnete ich, »darüber haben wir uns nicht unterhalten.«

»Hab vielen Dank, Bruder Gioacchino. Du darfst jetzt gehen«, schloss Luca und lächelte meinem Begleiter flüchtig zu.

Der Dominikaner verneigte sich kurz und verließ leisen Schrittes den Raum.

Als wir endlich alleine waren, ging Bruder Luca zu seinem hohen Sessel, der sich hinter dem ausladenden Schreibtisch befand und setzte sich mit einem tiefen Seufzer.

»Ich bedauere es sehr, dass wir, die Diener des heiligen Dominikus, mit euch Jesuiten in einem derart unansehnlichen Zerwürfnis stehen, nur wegen dieses schrecklichen Molina. Wo wir doch alle treue Diener unseres Herrn Jesus Christus sind …«

Ich senkte den Kopf, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte und auch keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. Eines aber war mir auf Anhieb klar: Bruder Luca war ein viel gefährlicherer Gegner als mein jüngster Wegbegleiter.

»Bruder Tomás, du bist hier in den Räumen der Congregatio Sancti Officii, und ich bin der Privatsekretär seiner Eminenz, des Kardinalinquisitors Borghese, des Leiters dieser heiligen Behörde. Du wirst dich bestimmt fragen, warum man dich zuerst hierher geführt hat, statt dich direkt zu deinem Ordenssitz zu begleiten.« Er warf mir einen komplizenhaften Blick zu, den ich als Ermunterung zum Fragenstellen deutete. Ich beschloss jedoch, weiter auf der Hut zu sein und starrte ihn erwartungsvoll an.

»Es ist nun so«, fuhr er nach einer Pause fort, »dass wir den Heiligen Vater ersucht haben, mit dir als Erstem sprechen zu dürfen, denn die Sache«, er betonte dieses letzte Wort, »ist höchst heikel, und sie erfordert einen Menschen, dessen Glaube an unsere Kirche felsenfest ist.«

Ich spürte allmählich, dass ich von dieser Geheimnistuerei genug hatte und bat den Herrn inständig, mir die Geduld zu schenken, dieses alberne Versteckspiel ohne Murren zu ertragen. Stoisch biss ich die Zähne zusammen und starrte stur auf den dunklen Steinboden.

»Ich muss jetzt wissen, Bruder, wie du zu den Lehren des Luis de Molina stehst.« Seine Stimme hatte einen schneidenden, strengen Ton angenommen, und das bedeutete, dass ich augenblicklich Farbe bekennen musste.

»Ich bin unserem Herrn Jesus Christus dankbar, dass er mir die Gnade erwiesen hat, eine so schwierige Aufgabe, wie immer sie auch geartet sein mag, zu erledigen«, begann ich leise. »Da sich unsere geliebte Mutter Kirche besonders heutzutage den niederträchtigen Angriffen von Ketzern ausgesetzt sieht, betrachte ich es als meine Pflicht, den Glauben hochzuhalten und diesen ketzerischen Anfeindungen die Stirn zu bieten.«

 

Bruder Lucas Mundwinkel hoben sich kaum merkbar zu einem wohlwollenden Lächeln.

»Ich glaube ebenfalls ganz fest daran«, fuhr ich fort, »dass die Gefahren, die unserer Kirche seitens der Lutheraner drohen, unser Hauptaugenmerk verdienen müssen. Dadurch, dass ich fest daran glaube, drücke ich meinen eigenen Willen im Sinne unseres Herrn Jesus Christus aus. Bruder Molina war nie ein Abweichler oder gar der Ungläubige, den einige aus ihm machen wollen. Er hat bloß versucht, dem Menschen ein winziges Maß an freiem Willen zu verleihen, und er tat es vor dem Hintergrund seines unerschütterlichen Glaubens an den Herrn. Ich sehe keinen Grund, ihn zu verunglimpfen oder gar zu verleugnen.«

Das angedeutete Lächeln im Gesicht von Bruder Luca erfror zu einer Fratze. Er starrte mich eine ganze Weile schweigend an, während ich seinen Blick entschlossen erwiderte.

Schließlich räusperte er sich und sprach mit belegter Stimme.

»Verstehe. Ich hatte gehofft, endlich einem vernünftigen Jesuiten zu begegnen, aber meine Gebete scheint der Herr nicht zu erhören.«

»Ich bin genauso wenig Jesuit wie du Dominikaner bist, Bruder Luca. Ich bin Diener des Herrn in der Gesellschaft Jesu, und du bist Diener des Herrn im Orden des Heiligen Dominikus«, schloss ich leise, aber bestimmt.

»Es reicht jetzt, Bruder!«, schnappte mein Gegenüber mit kaum beherrschter Wut. »Ich werde dafür sorgen, dass du zu deinem Ordenssitz begleitet wirst. Du bist eindeutig nicht der richtige Mann für diese schwierige Aufgabe.« Er griff zu der kleinen Glocke, die hinter ihm auf dem Tisch stand, und schüttelte sie mit einer energischen Bewegung. Im Nu erschien mein Reisebegleiter im Türrahmen.

»Bruder Tomás kehrt sofort zu seinen Ordensbrüdern zurück«, sagte er mit zitternder Stimme. »Unsere Unterredung ist beendet«, schloss der Privatsekretär und wandte sich dem Fenster zu.

Ehe ich mich’s versah, war ich wieder auf der Straße und atmete genüsslich die Luft ein, die ich in jenem Augenblick als besonders frisch wahrnahm.

Schweigend legten wir den Weg zurück zur Brücke an der Engelsburg und überquerten sie. Die Menschen, die uns begegneten, senkten die Häupter, und ich bildete mir ein, dass diejenigen, die uns ansahen, es mit ängstlich verstohlenen Blicken taten. Das kam mir merkwürdig vor, aber ich schob es auf meinen aufgewühlten Gemütszustand.

Bruder Gioacchino lief mit schnellem Schritt voraus und würdigte mich keines Blickes. Wir bogen von der größeren Straße, in der wir uns befanden, nach links ab, und unser Weg führte plötzlich durch enge, dunkle Gassen, an modrig riechenden, ungepflegten Häusern vorbei, bis wir schließlich an einem weiten Platz stehen blieben, an dessen Ende sich eine große, eindrucksvolle Kirche mit breiter Front reckte. Bruder Gioacchino bedeutete mir mit einer kurzen Kopfbewegung, dass wir angekommen seien.

»Danke, Bruder, Gott segne dich!«, sagte ich mit einer Erleichterung, die ihm nicht entgangen sein konnte. Er nickte verlegen, drehte sich um und verschwand ohne ein Wort im Dickicht der Häuser. Ich dagegen schritt unsicher in die andere Richtung, auf die Kirche zu. Sie war wahrhaftig ein beeindruckender Anblick, mit den breiten, angedeuteten Kolonnaden, die aus der Wand herauszuwachsen schienen und mit dem hohen, majestätischen Portal. Das war ohne jeden Zweifel die Fassade der Jesuskirche, wie sie mir vor Jahren beschrieben wurde. Als ich das Eingangstor endlich erreichte, merkte ich, wie mein Herz laut in meinen Ohren pochte. Ich trat zögernd ins Halbdunkel, und einen Augenblick lang mussten sich meine Augen an das spärliche Licht des Gotteshauses gewöhnen. Unversehens erschreckte mich eine Stimme ganz in meiner Nähe.

»Kann ich dir helfen, Bruder?«

Mein Erstarren dauerte bloß eine Sekunde, denn mir wurde auf einmal bewusst, dass ich mich nicht irgendwo, in irgendeiner beliebigen Kirche befand.

Ich war endlich zu Hause, bei meinen Brüdern.

Einige Stunden später, nachdem ich mich körperlich gereinigt und frische Kleidung angelegt hatte, nahm ich voll Dankbarkeit am Gottesdienst teil. Anschließend zog ich mich in die mir zugeteilte Zelle zurück.

Ich ließ die Ereignisse des Tages erneut vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen und stellte enttäuscht fest, dass ich diese lange und beschwerliche Reise vergebens unternommen hatte.

In Gedanken versunken über mein weiteres Schicksal, hörte ich zunächst das leise Klopfen an der Tür nicht. Erst als es lauter wurde, vernahm ich es und sprang erschrocken von meinem Hocker auf. Ich öffnete hastig und entdeckte vor mir einen alten, glatzköpfigen Bruder mit gütigem Blick, der mich freundlich anlächelte.

»Ich bin Celestio, Bruder Tomás. Ich hoffe, du hast ein wenig ruhen können.«

»Ja, durchaus«, erwiderte ich verunsichert.

»Dann bitte ich dich, mich zu Bruder Claudio zu begleiten, er möchte dich unverzüglich sprechen.«

Seine letzten Worte trafen mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich wusste zwar, dass man mich zu ihm zitieren würde, aber so bald hatte ich es nicht erwartet. Ehrlich gesagt, ich war überhaupt nicht darauf erpicht unserem Ordensgeneral zu begegnen, denn die Geschichten, die über ihn im Umlauf waren, klangen alle nicht besonders ermutigend. Man munkelte, dass er sehr grimmig und streng und der Ordensdisziplin über alle Maßen verschrieben sei. Das machte mir an sich keine Angst, aber seine ruppige und kurz angebundene Art war in allen Ordensniederlassungen bekannt und nicht jeder Bruder konnte damit leicht umgehen.

Ich folgte dem alten Celestio, der zu meinem Erstaunen einen sehr schnellen, beinahe jugendlichen Gang an den Tag legte, bis wir vor einer unauffälligen Tür stehen blieben, an die er kurz klopfte. Einen winzigen Augenblick schoss mir der Gedanke durch den Kopf, mein Schicksal entscheide sich immer vor verschlossenen Türen, aber ich verjagte ihn sogleich, denn die Tür öffnete sich und ich stand unversehens vor dem wichtigsten Mann unseres Ordens.

Ich hatte nicht mehr die Zeit, mir für diese Begegnung etwas zurechtzulegen. Ein etwa sechzigjähriger, grauhaariger Mann mit großen braunen Augen, der an einem groben dunkel gebeizten Tisch saß musterte mich neugierig. Er muss meine plötzliche Verlegenheit bemerkt haben und versuchte, mich mit einem aufgesetzten Lächeln zu beruhigen, was ihm allerdings gründlich misslang.

»Sei willkommen in unserem Hause, Bruder Tomás«, begann er, und sein Latein mutete mir seltsam an, war es doch vom typisch neapolitanischen Singsang getragen. »Wie war deine Reise?«

Ich bedankte mich mit wenigen Worten für die christliche Gastfreundschaft, die mir zuteil ward und berichtete ihm kurz von den wichtigsten Ereignissen meiner Reise und von der Unterredung, die ich im Gebäude des Heiligen Offiziums mit Bruder Luca hatte. Als ich an diesem Punkt meiner Erzählung angelangt war, verdüsterte sich Claudio Aquavivas Antlitz schlagartig. Seine schmalen, wohlumrissenen Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen, und ich spürte geradezu, wie ein eiskalter Schauder mich durchfuhr. Aber dann lehnte sich Bruder Claudio unerwartet in seinen Sessel zurück und seine Züge entspannten sich.

»Ich danke dir, Bruder«, sagte er ungewohnt sanft. »Ich glaube, du hast dich richtig verhalten. Ich schlage vor, du ruhst dich einige Tage bei uns aus. Bruder Celestio wird dir bei allen Fragen und Wünschen zur Seite stehen.«

Ich verbeugte mich und ehe ich mich’s versah, war ich wieder draußen auf dem Gang. Wir legten schweigend denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, als mich Celestio unerwartet ansprach.