Schwarze Präsenz

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2. Kapitel
Die schwarzen Engel
1.

»Schwarze Engel«, wiederholte Daniel ungläubig. »Das ist nicht euer Ernst!«

Erst sagte niemand etwas, sondern sie sahen ihn nur an.

Daniel wartete darauf, dass sie in Gelächter ausbrachen, auf ein geprustetes »Reingelegt!«, doch nichts dergleichen geschah.

Dann ergriff Ranva das Wort: »Uns ist klar, dass das schwer zu verstehen ist, aber du musst uns glauben.«

Daniel starrte sie fassungslos an.

Raphael kam zu ihm und ging vor ihm in die Hocke. Er sah Daniel fest in die Augen. »Es klingt verrückt, das wissen wir auch. Ich kann sogar verstehen, dass du den anderen nicht glauben willst, aber sieh mir bitte in die Augen! Du kennst mich, du kannst mir glauben. Vertrau mir, bitte!«

Daniels Widerstand begann zu bröckeln. Es lag nicht nur an der Art, wie Raphael ihn ansah; ein weit entfernter Teil in ihm konnte spüren, dass sie die Wahrheit sagten.

»Das ist doch absolut verrückt«, murmelte Daniel, mehr zu sich selbst.

Raphael sah ihn besorgt an. »Ich wusste, wir hätten es dir nicht erzählen sollen.«

»Aber es hätte gefährlich werden können, wenn wir es nicht getan hätten«, warf Farah ein.

Daniel schloss die Augen und bereitete sich innerlich auf den nächsten Schlag vor. »Wieso gefährlich?«, fragte er dann.

»Wie schon gesagt, vermuten wir, dass du etwas besitzt, das die Mächte begehren«, sagte Gabriel. »Damit meinen wir sowohl Gott als auch Satan.«

Da erstarrte Daniel. Nicht, weil ihm Gabriels Worte solche Angst eingejagt hatten, sondern, weil ihm etwas aufgefallen war. Etwas, das ihm eigentlich sofort hätte auffallen müssen.

Langsam stand Daniel auf. »Und zu welcher Seite gehört ihr, wenn ich fragen darf? Oder erklärt das das Wort schwarz etwa von ganz alleine?«

Raphael stand ebenfalls auf. »Das verstehst du falsch«, versuchte er, Daniel zu beruhigen, »wir sind keine Höllenengel; schwarze Engel sind nicht wie gefallene Engel. Ja, wir schwarzen Engel sind aus dem Himmel gefallen, aber wir haben uns geweigert, uns Luzifer anzuschließen. Wir gehören niemandem, weder Gott noch Satan.« Raphael stellte sich neben ihn und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück auf die Bank.

Auch die anderen setzten sich wieder.

»Das ist jetzt wahrscheinlich viel zu viel auf einmal«, sagte Gabriel zwischenrein, »aber wir haben keine Wahl, wir müssen dir noch mehr erzählen.«

»Na toll!«, murmelte Daniel. Dann straffte er seine Schultern und richtete sich auf. »Also schön, bringen wir es hinter uns«, sagte er.

Farah warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Du gefällst mir!«

Daniel spürte, wie er leicht errötete.

»Wie auch immer«, unterbrach sie Gabriel. »Jeder Engel hat eine andere Gabe, wenn du es so nennen willst. Wir spüren bestimmte Gefühle wie unsere eigenen. Ich zum Beispiel erkenne es, wenn jemand lügt. Dementsprechend kann ich die Lüge verstärken oder jemanden zwingen, die Wahrheit zu sagen.«

»Ich spüre Freude«, machte Farah weiter, »Ranva die Angst. Wyn erkennt Gefahr, Leander fühlt Trauer und Raphael den Schmerz.«

Daniel sah Raphael erschrocken an, der vollkommen gelassen neben ihm saß. »Das bedeutet …«, fing Daniel an.

»Ich spüre die Schmerzen aller Menschen in meiner Umgebung«, beendete Raphael den Satz, während er in die Flammen des Lagerfeuers starrte.

Ranva schmiegte sich enger an ihn. »Das klingt grausam, nicht wahr?«, sagte sie zu Daniel, während Raphael sie sanft auf den Scheitel küsste.

Daniel nickte. »Aber was hat das alles mit meinem Traum zu tun?«

»Da du in deinem Traum ein Engel bist, geht es vermutlich um die Gabe, die du später besitzen wirst«, antwortete Gabriel.

»Es gibt Gefühle, die überaus wertvoll sind«, erklärte Farah weiter. »Dazu zählen unter anderem die sieben Todsünden, zum Beispiel Eifersucht, Hochmut oder Hass.«

Da riss Raphael die Augen auf. »Der Hass der Engel«, flüsterte er.

Auch Gabriel sah aus, als wäre er eben mit einem Hammer geschlagen worden. »Das kann nicht sein«, hauchte er, »warum haben wir daran nicht früher gedacht?«

»Würdet ihr uns bitte einweihen?«, fragte Farah.

»Der Hass der Engel ist der Name einer Prophezeiung«, antwortete Raphael, und an Daniel gewandt fügte er hinzu: »Im Himmel und in der Hölle existieren die Hallen der Prophezeiungen. Es gibt einige Engel, die seherische Fähigkeiten besitzen und ihre Visionen niederschreiben. Da sie aber in den jeweiligen Hallen aufbewahrt werden, weiß der Himmel nicht, was die Hölle prophezeit und umgekehrt.«

»Vor langer Zeit verfasste Jophiel besagte Prophezeiung«, fuhr Gabriel fort. »Sie besagte, dass ein Sterblicher mit unfassbaren Kräften in den alten Krieg zwischen Gut und Böse gezogen wird. Dieser Sterbliche wird als Engel des Hasses nach seinem Tod wiederauferstehen, und natürlich will ihn jeder auf seiner Seite wissen, um im Krieg einen entscheidenden Vorteil zu haben.«

»Und ihr glaubt wirklich, dass ich das sein könnte?«, fragte Daniel.

»Sicher können wir uns nicht sein«, sagte Raphael, »allerdings passt es gut zu dem, was Wyn mir erzählt hat.«

Alle sahen Wyn fragend an.

»Ich spüre eine nicht lokalisierbare Gefahr«, beantwortete er die Blicke, »kann spüren, dass sie ihre Kreise immer enger um Daniel zieht, doch um was genau es sich handelt, kann ich leider nicht erkennen.«

»Also läuft alles darauf hinaus, dass ich ermordet werden, von wem auch immer.« Daniel fühlte eine seltsame Resignation, als er das sagte.

»Nein!«, sagte Leander da so scharf, dass Daniel zusammenzuckte. »Das lassen wir nicht zu!«

»Da hat er recht«, nickte Farah. »Wir brauchen bloß einen Plan.«

»Was mich interessiert«, begann Wyn nachdenklich, »ist, woher die Hölle plötzlich von der Prophezeiung wissen sollte.«

»Vielleicht ist Jophiel gefallen«, meinte Leander, doch Gabriel schüttelte den Kopf. »Jophiel ist noch nicht gefallen, Raphael und ich haben zumindest nichts dergleichen gehört.«

»Ich denke, dass Sopra uns weiterhelfen kann«, warf Ranva ein. »Schließlich ist sie die Hüterin der Prophezeiungen. Wenn wir also …«

Weiter kam sie nicht, denn Wyn sprang plötzlich auf und rief: »Bringt Daniel hier weg!«

Im selben Moment zuckten Raphaels Hände zu seinem Brustkorb, als hätte er große Schmerzen, und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Gefallene Engel!«, stöhnte er.

Um Daniel herum schien Chaos auszubrechen. Die anderen sprangen alarmiert auf, während Gabriel Daniel an sich zog. »Ich bringe dich zurück nach Hause, die anderen kommen nach.«

Hinter Gabriel machten sich Raphael, Leander, Ranva, Farah und Wyn kampfbereit; jeder zog eine andere Waffe hervor.

Während er Gabriel folgte, begegnete Daniel Raphaels Blick.

»Pass auf dich auf«, formte Raphael mit den Lippen, bevor er mit den anderen in der Dunkelheit verschwand.

Daniel sah ihm besorgt nach. »Pass du auch auf dich auf«, flüsterte er.

Gabriel zog ihn am Arm. »Komm, wir haben einen Bannkreis um das Gelände gelegt, aber der gewährt uns nur einen kleinen Vorsprung.«

Sie verließen das Fabrikgelände und bogen nach links in eine Gasse. Gabriel ging schnell und bestimmt; Daniel musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten.

Als er seine Sorgen nicht mehr ertrug, fragte Daniel schließlich außer Atem: »Was war gerade mit Raphael?«

»Später«, war alles, was er als Antwort erhielt. Gabriel führte ihn durch ein ganzes Labyrinth von Gassen; Daniel war sich sicher, diesen Weg nicht mit Raphael gekommen zu sein.

Endlich tauchten in einiger Entfernung die Lichter der Hauptstraße auf, doch Gabriel blieb stehen. »Lass uns den Rest des Weges fliegen«, sagte er. »Das geht schneller und ist schwerer zu verfolgen. Halt dich an mir fest!«

»Warte, was?«, fing Daniel an.

Als ein Lichtblitz erschien, wurde er in die Luft gerissen.

2.

Raphael, Ranva, Farah, Leander und Wyn schlichen kampfbereit durch die Dunkelheit. Wyn ging voran, seine gekrümmten Schwerter waren auf seinen Rücken geschnallt. Leander bildete die Nachhut. Jeder von ihnen hielt seine bevorzugte Waffe zum Kampf bereit: Ranva ihre Silberdolche, mit langen Klingen und Griffen aus Onyx, Farah ihre kurzen Samuraischwerter, Raphael seine beiden Dolche, Leander ein traditionelles Langschwert mit nachtschwarzer Klinge.

Gerade gingen sie um die Rückseite der stillgelegten Fabrik. Leanders Schwert strich an der Steinwand entlang und verursachte ein kratzendes Geräusch.

Wyn versuchte verzweifelt, die gefallenen Engel zu lokalisieren, doch es gelang ihm nicht.

»Wie viele meinst du, sind es?«, flüsterte Ranva ihm zu.

»Ich kann es nicht genau sagen«, flüsterte er zurück, »aber ich halte es für wahrscheinlich, dass es sich um gefallene Engel und Dämonen handelt.«

»Sie haben vermutlich einen Bannkreis um sich gelegt, dadurch fällt es dir schwerer, sie zu finden«, sagte Leander.

Wyn nickte nachdenklich, als die Gefahr urplötzlich wie eine Welle über ihm zusammenbrach. Er blieb so unvermittelt stehen, dass Ranva gegen ihn prallte. »Verdammt!«, fauchte er einen Fluch in die Dunkelheit.

»Was ist los?«, fragte Farah.

»Wir sind in eine Falle gelaufen«, antwortete Wyn.

»Was?«, zischte Ranva.

»Sie haben einen Dämon auf Daniel angesetzt. Ich konnte ihn nicht spüren, weil die gefallenen Engel erst einmal die größere Gefahr dargestellt haben.«

Sie stellten sich Rücken an Rücken in einem Kreis auf, und Wyn zog seine beiden Schwerter. Sie waren zum Kampf bereit, der Feind sollte ruhig kommen.

 

3.

Shinnés Lippen kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln. Er stand auf dem Flachdach einer Lagerhalle und beobachtete, wie die schwarzen Engel Kampfhaltung einnahmen.

Sein weißblondes Haar glänzte silbrig im Mondlicht, und in seinen roten Augen glühte Mordlust. Die Flügel hatte er ausgeklappt, die fledermausartigen Flügel eines gefallenen Engels. Er trug seine Kampfmontur: eine schwarze Hose, schwere Stiefel und einen silbernen Brustpanzer unter einem schwarzen Mantel. In den Händen hielt er silberne Wurfsterne.

Shinné knurrte leise, als er die Zärtlichkeit zwischen Raphael und Ranva spürte. Einmal mehr verfluchte er seine Gabe. Es hatte eine Zeit gegeben, da waren die tiefen Gefühle Verliebter füreinander sein ganzes Glück gewesen. Doch das war lange her. Heute hasste er das Schicksal für seinen Fluch.

In einer unbewussten Geste fuhr er sich über die Brust, wo er die Zärtlichkeit am stärksten fühlte. Der Schmerz ließ ihn beinahe wahnsinnig werden, eine Schwelle, an der er schon längst balancierte. Die Dunkelheit hatte von ihm Besitz ergriffen, hatte ihn grausam und kalt werden lassen. Eine Seele besaß Shinné nicht mehr, sie war ihm bei seinem Fall herausgerissen worden.

Trotzdem war er einst zu Gefühlen fähig gewesen, doch er verdrängte jeden Gedanken daran. Jeder Atemzug ließ ihn tiefer in die Dunkelheit sinken, und eines Tages würde sie ihn vernichten, das wusste er. Es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.

Wütend bemerkte Shinné, dass er anfing zu zittern. Für einen Moment schienen die Trauer und der Schmerz über seinen Verlust übermächtig zu werden. Er atmete ein paar Mal ein und aus, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die schwarzen Engel richtete.

Er sah zu dem Dach der gegenüberliegenden Fabrik und erkannte seine Zwillingsschwester, die aus der Dunkelheit auftauchte. Ihr hüftlanges Haar, hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Hinter ihr standen einige Dämonen und warteten auf ihren Befehl zum Angriff.

Auch Shinné hatte eine kleine Auswahl Dämonen, die nur auf sein Zeichen warteten, hinter sich. Einen Krieger hatte er bereits losgeschickt, um den Sterblichen zu verfolgen.

Als er sah, wie Silva ihr Schwert hob und es im Mondlicht aufblitzen ließ, wandte er sich zu den Dämonen um. Mit ihren ausgefahrenen Krallen und gefletschten Zähnen erinnerten sie mehr an Tiere. Ihr braunes Haar hing ihnen verfilzt in die erwartungsvoll leuchtenden Augen.

»Tötet sie!«, befahl Shinné nur.

Sofort sprangen die Dämonen in die Tiefe. Shinné trat an den Rand des Daches und beobachtete die Schatten, die sich den schwarzen Engeln näherten. Silvas Dämonen kamen von der anderen Seite auf sie zu.

Shinné lächelte. Die Zeit für seine Rache war endlich gekommen; heute Nacht würde Leander für Shinnés Leid bezahlen. Er fächerte seine Wurfsterne auf. Diesmal würde Leander ihm nicht entkommen.

4.

Wyn spürte die Dämonen, bevor er sie sah. Nur wenige Augenblicke später schlichen sie in sein Blickfeld, näherten sich wie Hyänen, die sich an ihre Beute anschlichen. Farah knurrte drohend, als die Dämonen sie umzingelten.

»Bleib ruhig«, flüsterte Leander ihr zu.

In diesem Moment glitt ein Schatten über sie hinweg, und mit einem anmutigen Flügelschlag landete ein gefallener Engel vor ihnen. Seine roten Augen funkelten mörderisch. »Einen schönen guten Abend«, sagte er lächelnd.

Leander knurrte dunkel und drohend; der gefallene Engel wandte sich ihm zu.

»Wie ich sehe, hast du mich nicht vergessen.«

»Leander, wer ist das?«, fragte Farah.

»Shinné!« Leander spuckte den Namen förmlich aus.

»Also wirklich«, sagte Shinné und legte theatralisch eine Hand auf sein Herz, »begrüßt man so einen alten Freund?«

»Wir sind keine Freunde«, versicherte ihm Leander.

»Da hast du recht«, flüsterte Shinné. »Wir beide, wir waren etwas mehr.«

»Ihr wart verlogen, alle beide!«, ertönte eine Stimme hinter Shinné.

Er trat zur Seite und gab den Blick auf einen weiteren gefallenen Engel frei. Die Frau sah Shinné zum Verwechseln ähnlich, nur ihre Augen hatten die Farbe von Quecksilber.

»Wir sind gekommen, um zu töten, nicht, um über alte Zeiten zu plaudern«, sagte sie kalt.

»Töten?«, wiederholte Ranva lachend. »Wohl eher, um getötet zu werden.«

Shinné zog einen kurzen Dolch aus seinem Stiefel und grinste Ranva tückisch an. »Das sehe ich als Herausforderung, meine Süße.«

Ranva bleckte ihre Zähne: »Komm nur her!«

Als Shinné seinen Dolch hob, stürzten sie sich aufeinander.

5.

Daniel fühlte sich etwas wacklig auf den Beinen, als Gabriel ihn vor seiner Haustür absetzte. Tatsächlich taumelte er auch, als er einen Schritt in Richtung Eingang machte. Gabriels Hände schossen blitzschnell vor und verhinderten, dass er stürzte. »Du gewöhnst dich schon noch daran«, sagte er lachend.

»Wenn du das sagst«, murmelte Daniel schwach. Er musste zugeben, dass es ein berauschendes Gefühl gewesen war zu fliegen, obwohl er sich jetzt benommen fühlte. Die Stadt von oben zu sehen, fast frei in der Luft schwebend, hatte Daniel ein trügerisches Gefühl von Macht gegeben. Jedenfalls bis er wieder festen Boden unter den Füßen gehabt hatte.

»Geht es wieder?«, fragte Gabriel.

Daniel nickte. »Lass uns reingehen!«

Daniel schloss die Haustür auf und warf dabei einen schnellen Blick auf das Wohnzimmerfenster. Es lag im Dunkeln; seine Eltern waren schon schlafen gegangen. Daniel stieß die Tür ganz auf und ging in die Diele. Als Gabriel ihm nicht folgte, drehte er sich überrascht um. Der Erzengel fixierte starr die Hecke des Nachbargrundstücks.

»Gabriel?«, fragte Daniel irritiert.

Dieser schrak zusammen und sah Daniel an. »Tut mir leid, was?«

»Du kannst jetzt reinkommen«, sagte Daniel, verunsichert von Gabriels Verhalten. Er bemerkte allerdings den zweifelnden Blick nicht mehr, den Gabriel noch über seine Schulter warf, bevor er die Tür hinter sich schloss.

6.

Der Dämon hatte sich rasch hinter eine Hecke geduckt, als der Begleiter des Sterblichen in seine Richtung gesehen hatte. Er war sich erst sicher gewesen, dass man ihn entdeckt hatte, doch dann verschwanden beide im Haus.

Der Dämon atmete auf. Er kannte zwar keine Erzengel, und sie interessierten ihn auch nicht weiter. Trotzdem hatte er die besondere Aura des schwarzen Engels erkannt und wagte nun nicht, seinen Auftrag auszuführen.

Eigentlich hatte der Dämon den Sterblichen entführen und in die Hölle bringen sollen, doch wie sollte er alleine gegen einen so mächtigen Gegner bestehen? Er beschloss zurückzugehen und Shinné zu verraten, wo der Sterbliche sich versteckt hielt.

Der Dämon spuckte aus, als er an den gefallenen Engel dachte. Normalerweise gehorchten die Dämonen nur ihrer eigenen Art, doch der Dämonenfürst selbst hatte dem Angriff zugestimmt. Das hieß jedoch nicht, dass er dem gefallenen Engel so treu ergeben war, dass er bereit war, sein Leben zu opfern. Sollte Shinné den Sterblichen doch selbst holen! Mit einem verschlagenen Grinsen kehrte der Dämon Daniels Haus den Rücken.

3. Kapitel
Teuflisches Verlangen
1.

Shinné riss seinen Arm nach oben und wehrte einen Dolchhieb von Ranva mit seiner bloßen Hand ab. Die Klinge schnitt tief in sein Fleisch, doch er ließ sie nicht los. Ganz im Gegenteil, er genoss den Schmerz. Schmerzen waren seit langem das Einzige, das ihn in der sogenannten Realität hielt. Shinné wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er in den Wahnsinn abstürzen würde. Zuvor wollte er sich noch an Leander rächen. Er war es schließlich, der den gefallenen Engel so weit getrieben hatte.

Über Ranvas Schulter hinweg sah er Leander mit ein paar Dämonen kämpfen. Auch seine Schwester hatte noch eine Rechnung mit dem schwarzen Engel zu begleichen und, nach den Rechten der Hölle, sogar einen höheren Anspruch auf Rache. Als der Kampf begonnen hatte, war sie sofort auf Leander losgestürmt, doch Raphael hatte sich ihr in den Weg gestellt.

Als er sah, wie Leander einem Angriff der Dämonen geschickt auswich und einen der beiden im nächsten Moment mit dem Schwert durchbohrte, knurrte Shinné. Er wollte derjenige sein, der Leander die Flügel abriss und ihn tötete; Leander hatte ihm damals viel Schlimmeres angetan.

Shinné spürte, wie sich der Schleier des Zorns über ihn legte. Die Geräusche des Kampfes drangen nur noch gedämpft an seine Ohren, als wäre er unter Wasser. Sein Umfeld nahm er nur noch verschwommen, durch einen roten Schleier hindurch, wahr. Sein Zorn wurde glühend heiß, und er wollte nur noch etwas mit den Händen zerfetzen. Dass er gerade mitten in einem Kampf mit Ranva steckte, kam ihm dabei mehr als gelegen.

Mit einem wütenden Aufschrei packte er sie und ignorierte dabei den tiefen Schnitt, den sie ihm mit dem Dolch versetzte. Mühelos hob Shinné sie hoch und warf sie von sich.

Ranva landete genau zwischen Wyn und den zwei Dämonen, mit denen er sich angelegt hatte. Shinné hörte, wie ihren Lungen die Luft durch die Wucht des Aufpralls entwich, und lächelte zufrieden. Dann wandte er sich Leander zu.

Dieser kämpfte gerade mit dem Rücken zu ihm und bemerkte nicht, was um ihn geschah.

Shinné lächelte. Das Blut, das an einer Gesichtshälfte hinunterlief, verlieh ihm ein wahnsinniges Aussehen. Er machte einen Schritt auf Leander zu, als sich ihm eine Gestalt in den Weg stellte. Wer, konnte er durch den Schleier seiner Wut nicht erkennen, und Shinné fauchte ungehalten.

»Wollen wir irgendwo hin?«, fragte die Gestalt.

Seltsamerweise gefiel Shinné diese Stimme. Sie war weich und melodisch, legte sich wie ein Mantel um ihn und bedeckte sanft seine Wunden.

Shinné lächelte, doch die sanfte Stimme vertrieb auch den Schleier vor seinen Augen. Sein Lächeln gefror auf dem Gesicht.

Vor ihm stand Wyn, in jeder Hand ein Schwert, und lächelte ihn herausfordernd an. Hinter seinem Rücken hatte Ranva den Kampf mit den Dämonen aufgenommen. Enttäuschung machte sich in Shinné breit; die wunderschöne Stimme gehörte also einem Feind.

»Was ist los?«, wollte Wyn wissen. »Willst du kämpfen oder willst du mich nur anstarren?«

»Ich will nicht nur kämpfen«, knurrte Shinné, »ich will dich vernichten!«

Er stürzte sich auf Wyn, der durch die Wucht des Aufpralls kurz taumelte.

»Habe ich dich etwa verärgert?«, lachte dieser nur.

»Ich bringe dich für immer zum Schweigen«, zischte Shinné dem schwarzen Engel zu.

Noch während er das sagte, wurde ihm bewusst, dass das eigentlich das Letzte war, was er wollte. Er wollte Wyns Stimme jeden Tag hören, in ihr versinken und nie wiederauftauchen. Irritiert stellte Shinné fest, dass er etwas für Wyn empfand, nur, was genau, konnte er nicht ganz einordnen. Aus dem Gleichgewicht gebracht, machte Shinné einen Schritt zurück und unterbrach so den Kampf.

»Wirst du müde?«, fragte Wyn schelmisch und begann zu lachen.

Shinné machte einen unschlüssigen Schritt auf ihn zu, woraufhin sich ihre Blicke trafen.

Wyns Gelächter erstarb. Er legte den Kopf leicht schief und sah Shinné neugierig an.

Shinné versank in den tiefschwarzen Augen seines Gegenübers.

Wyns Augen waren ebenso sanft wie seine Stimme, ein Strudel, der Shinné magisch anzog. Dann spürte er plötzlich, wie sich etwas in seinem Brustkorb regte. Zuerst wusste er nicht genau, was es war, das sich so warm in seinem ganzen Körper ausbreitete. Nach wenigen Augenblicken erkannte er die Zärtlichkeit, seine ganz eigene Gabe, die ihn diesmal nicht verbrannte und ihm wehtat. Seltsamerweise ging diese Zärtlichkeit von Wyn aus und galt Shinné allein.

»Das werdet ihr büßen!«, kreischte da Silva.

Shinné blinzelte verwirrt und durchbrach so die Verbindung, die er gerade noch mit Wyn gehabt hatte. Die Dämonen lagen besiegt auf dem Boden, und die schwarzen Engel hatten einen Kreis um ihn, Silva und Wyn gebildet.

Auch Wyn blinzelte ein paar Mal benommen, bevor er sich umsah und sich dann in den Kreis seiner Gefährten einreihte.

»Das werden wir noch sehen«, erwiderte Ranva nur trocken auf Silvas Drohung.

 

Silva warf ihr einen verächtlichen Blick zu. Sie ließ ihre Flügel erscheinen und stieß sich kraftvoll vom Boden ab.

Widerwillig ließ Shinné seine Flügel ebenfalls erscheinen. Er warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf Wyn, bevor er sich ebenfalls vom Boden abstieß und im nächtlichen Himmel verschwand. Obwohl er nichts lieber getan hätte, als zu bleiben, um noch länger in Wyns Augen zu sehen.