Der Thron des Riesenkaisers

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

6. Schläge ins Gesicht





S I EM U S S T EE I N G E S C H L A F E Nsein, ohne es zu merken, gegen die Brust ihres Entführers gelehnt. Als Maja die Augen aufschlug, sah sie vor sich die graue, sandige Straße in der aufziehenden Dämmerung eines neuen Tages.



»Guten Morgen, Prinzessin«, grüßte Erion freundlich.



»Sind wir die ganze Nacht geritten?« Sie fühlte sich völlig steif, alles tat ihr weh. Aber ihre Freundin war frei. Das allein zählte.



»Wir sind bald am Fluss, Prinzessin Maja«, sagte er.



»Hört endlich damit auf«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Euch bereits gesagt, ich bin nicht die Prinzessin von Arima. Warum lasst Ihr mich nicht endlich gehen? Wir haben auf verschiedenen Seiten gekämpft, aber das ist Jahre her. Euer Herz hat gesiegt und Manina entkommen lassen. Wollt Ihr Euch dafür an mir rächen?«



»Ihr täuscht Euch«, meinte er mit dieser ruhigen, gelassenen Stimme, die in ihr die Wut zum Kochen brachte. »In allem.«



»Ach ja?«



»Ich soll Euch gehen lassen? Nachdem ich durch das halbe Kaiserreich gereist bin, um Euch zu finden? Und dann die glückliche Fügung, dass Prinzessin Manina mit Euch zusammen war. Euch beide zum Kaiser zu bringen, wäre die Krönung meiner Laufbahn gewesen … Aber mein Auftrag seid Ihr. Ich habe heute Nacht mit Sicherheit nicht die Falsche festgehalten.«



»Ich bin was?« Sie fand es schwierig, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Log er? Seine Stimme verriet immerhin etwas von seinen Gefühlen – Triumph ja, da war ein ungeheurer Triumph in ihm, den er kaum zurückhalten konnte, den er mit ihr teilen musste. »Warum? Zukata kennt mich nicht. Will er sich an meiner Mutter rächen, für die uralten Geschichten von Maninas Entführung? Was kann der Kaiser von mir wollen?«



»Wisst Ihr denn selbst nicht, wer Ihr seid, Prinzessin Maja?«



»Ich bin nicht …«



»Was seid Ihr nicht? Die Prinzessin von Arima? Glaubt mir, wenn ich Euch mit Eurem Titel anrede, dann habe ich nie gemeint, dass Ihr

das

 seid. Ich spreche Euch als Prinzessin von Kirifas an, wie es Euch gebührt.«



»Von Kirifas?« Warum nannte er sie so? Als wäre sie mit der Kaiserfamilie verwandt gewesen, als wäre sie …



»Sorayn«, flüsterte sie.



»Dafür habt Ihr bemerkenswert lange gebraucht«, fand er. In seiner Stimme schwang immer noch eine beunruhigende Freude mit. »Natürlich. Prinzessin von Kirifas, durch Eure Heirat mit Prinz Sorayn von Kirifas. Sagt jetzt nicht, dass Ihr das nicht wusstet.«



»Doch«, musste sie zugeben. Ihre Gedanken überschlugen sich. Darauf wäre sie nie von selbst gekommen – dass man sie im ganzen Reich suchen ließ, weil sie Sorayns Frau war! Was konnte der böse Riese von ihr wollen? Hatte ihr Mann ihn vielleicht darum gebeten? Gegen ihren Willen glomm ein Glücksgefühl in ihr auf, ein Funke, der heiß und wild in ihr brannte. Wollte Sorayn sie sehen? Dann lag ihm etwas an ihr!



Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Würde einer, der sie liebte, den Befehl geben, sie in Fesseln in die Hauptstadt zu schleppen? Ganz gleich, ob sie wollte oder nicht?



»Was will Zukata von mir?«, fragte sie unsicher. Vielleicht erfüllte der Kaiser seinem Enkel diesen Wunsch, ohne dass dieser davon wusste, was hier mit ihr geschah? »Er hätte mich auch höflich fragen können, ob ich mitkommen will.«



»Ich habe Euch höflich gefragt«, sagte Erion zufrieden.



Nun ja, was einer wie er unter Höflichkeit verstand.



»Ist Sorayn in Kirifas?«



»Dort vorne ist der Fluss.« Erion antwortete nicht auf ihre Frage. »Wir werden ihm eine Zeitlang stromaufwärts folgen, damit wir so nah wie möglich an Aifa herankommen.«



Sorayn war nicht Kaiser geworden. Das war das Einzige, was sie wusste. Hals über Kopf war sie damals fortgeritten, fort von dem Blutvergießen, fort von der Armee der wilden Riesen, fort von dem Mann, den sie liebte, der sich in einen gewalttätigen, vom Ehrgeiz zerfressenen Soldat verwandelt hatte, in einen blutrünstigen Riesen … Mit dem Versprechen, Zukata nie an die Macht gelangen zu lassen, sondern selbst weise und gerecht zu regieren, hatte Sorayn die junge Kaiserin Manina dazu gebracht, abzudanken. Maja wollte mit alldem nichts zu tun haben. Ihr lag nichts an Herrschaft und Reichtum, erst recht nicht zum Preis eines blutigen Krieges. Sie war gegangen und hatte dabei ihr Herz auseinandergerissen. Und diese Entscheidung trotzdem nicht bereut … eine Weile jedenfalls. Bang hatte sie beim Ziehenden Volk auf die Nachricht gewartet, dass Sorayn zum Kaiser ausgerufen worden war, dass er das Heer aus Yos zurückgeschlagen hatte. Doch stattdessen wurde im ganzen Land Zukatas Sieg verkündet, der Beginn einer neuen Ära unter dem Riesen, der sein Erbe antrat. Was war mit dem Gesegneten geschehen? Als sie erfuhr, wer sich als neuer Herrscher über Deret-Aif auf den Thron von Kirifas gesetzt hatte, stand sie da wie gelähmt. Sie hörte auf zu atmen, auch ihr Herz schlug nicht mehr. Es fühlte sich an, als hätte die Welt aufgehört zu existieren, und sie selbst nahm Teil an dem Tod, der über sie alle kam.



Zukata war Kaiser.



Und Sorayn?



Kein Wort von dem Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Nichts. Nichts über ein Gefecht, einen Kampf, über einen Toten, den sie hätte beweinen können. Rein gar nichts.



War sie eine Witwe? Oder würde der Geliebte eines Tages vor ihrer Tür stehen, unverhofft, und sie wieder einmal überraschen? Sie wusste nicht, was sie denken, was sie fühlen sollte. Weinte sie? War sie erleichtert, weil er nicht in Kirifas herrschte und von ihr erwartete, das mit ihm gemeinsam zu tun? In ihr war eine merkwürdige Stille. Bis in ihre Lieder floss dieses Schweigen, dieses seltsame Leben, das wie ein Nicht-Leben war und doch weniger als Sterben. Es flocht sich in die Melodien, die sie wie einen Schutzgürtel um ihr Herz wob, einen Teppich aus dem, was vielleicht eine Klage war und vielleicht auch nicht. Manina weinte manchmal, wenn sie ihr zuhörte. »Ich halte das nicht aus!«, rief sie dann. »Was soll das? Kannst du nicht etwas Fröhlicheres spielen?« Tamait blickte sie wissend an. Und wenn Mino, ihre wunderschöne hellhaarige Mutter, das Lied vernahm, formten ihre Lippen, vielleicht ohne dass sie selbst davon wusste, einen Namen.



»Ist Sorayn in Kirifas?«, wiederholte Maja ihre Frage, versuchte, es beiläufig klingen zu lassen. Ihr Widersacher durfte nicht wissen, wie viel davon abhing. Jemandem wie ihm wollte sie nicht auch nur den kleinsten Einblick in ihr Herz gewähren.



»Und wenn es so wäre?«, fragte Erion zurück. »Würdet Ihr dann freiwillig mitkommen?«



»Mein Gemahl würde nie jemanden wie Euch ausschicken.«



»Seid Ihr Euch da sicher?«



Da hatte er ihren wunden Punkt getroffen! Nur gut, dass er ihr Gesicht nicht sah. Vielleicht bemerkte er, dass ihr heiß wurde, und lächelte über die Röte, die über ihren Nacken kroch. Was wusste sie schon über Sorayn? Hätte sie wirklich beschwören können, wem er Befehle erteilte und wem er diente? Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung davon, was aus ihm geworden war! Was war er nicht schon alles gewesen? Ein Ungeheuer, vor dessen Anblick sie mit Entsetzen zurückgezuckt war … ein Schmied der goldenen Worte … einer, der mit einem Bären spielte und Riesen befahl … der sie umarmte und küsste und sich dabei, während sie an nichts anderes denken konnte als an ihn, seinen Weg zum Thron bahnte. Viel wusste sie und doch viel zu wenig. Aber zu keinem der Sorayns, die sie gekannt hatte, hätte es gepasst, irgendetwas von Wert jemandem wie Erion anzuvertrauen. Oder bedeutete sie dem Mann, von dem sie fast jede Nacht träumte, gar nichts? War sie nie mehr als eine Figur auf einem Spielbrett gewesen, die man hierhin und dorthin schob? Die ihren Zweck – ihn zu Keta und dem Segen zu führen – erfüllt hatte?



»Ganz sicher«, antwortete Maja, obwohl sie sich alles andere als sicher war. Sich mit dem Feind zu verbünden, war bestimmt nicht Sorayns Art, aber was wusste sie, wozu sein Ehrgeiz ihn alles trieb? Und trotzdem, Erion gegenüber wollte sie ihre Zweifel nicht zugeben. »Er hätte niemals Euch dazu ausgesandt. Bei Rin, wir kommen alle von den Glücklichen Inseln, und Sorayn hat auf Neiara gelebt, wo Ihr und Eure Familie gewütet haben! Er hat gegen Euch gekämpft und Eure Pläne zunichte gemacht. Wisst Ihr nicht mehr, wie er Euer Schiff und die Waffenladung verschwinden ließ? Sorayn hat ganz gewiss keine Ahnung davon, dass Ihr hier bei mir seid.«



Erion lachte stumm in sich hinein. »Wie gut kennt Ihr ihn überhaupt?«, fragte er. »Wisst Ihr beispielsweise von Fria?«



»Fria? Die Riesin? Ich kenne sie.«



»Tatsächlich? Habt Ihr vielleicht sogar freundschaftlich mit ihr geplaudert? Und es hat Euch nicht gestört?«



»Was?«



Aber er lachte nur, und in diesem Moment hasste sie diesen hinterhältigen Kerl so sehr, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätte. Was deutete er da an?



Maja konnte sich gut an Fria erinnern, an diese wilde Riesin mit dem langen blonden Zopf, mit den Verzierungen am Kleid. Sie war so oft in Sorayns Nähe gewesen, hatte manchmal stundenlang mit ihm gesprochen …



»Und Euch ist nie ein Verdacht gekommen?«, fragte Erion übertrieben freundlich und fürsorglich.



Sorayn war in Kirifas und vertraute diesen Leuten alles an. Seine Geheimnisse, seine Liebschaften, seine Frau … Wie war das nur möglich? Was war das für ein Fremder, dessen Bild Erion ihr da zeichnete, einer, der mit dem Feind paktierte?



»Wofür braucht er mich dann?« Ihre aufflammende Sehnsucht war wie mit einem Schwall kalten Wassers gelöscht worden. Fria. Was sollte sie denn noch alles über Sorayn erfahren?



Auf dem breiten Fluss zog ein langgestreckter, flacher Frachtkahn vorüber. An seiner Seite tauchten eine ganze Reihe von Rudern mit raschem Schlag ins Wasser.

 



»Er fährt ins Landesinnere hoch«, erklärte Erion. »Die Strömung ist stark, aber er kommt gut voran. Damit werden wir bis nach Aifa reisen.«



»Mit diesem Schiff? Auf dem Fluss?«



»Das ist der Rianang. Bis nach Kirifas bringt er uns leider nicht, er kommt aus den Torner Bergen, aber eine Zeitlang wird er unser Zuhause sein. Ich muss nur diesen Frachter anhalten.«



Es gab hier keine Anlegestelle, keinen Hafen. Aber sie zweifelte nicht daran, dass der Kaisergänger fertigbringen würde, was auch immer er sich vorgenommen hatte.



Seitdem sie wusste, dass er in Sorayns Auftrag unterwegs war, fühlte sie sich wie gelähmt.



Fria. Das war so niederträchtig, so gemein. Während ihr Herz voller Glück gewesen war, während sie die wunderbarsten Tage ihres Lebens genossen hatte, war Sorayns Geliebte zusammen mit den anderen Riesen in der Nähe gewesen. Nur um den Segen zu stehlen, hatte er sie geheiratet, bloß dafür … und Fria hatte es geduldet, weil es allein diesem einen Zweck diente. War es so gewesen? Sie wünschte sich, Erion hätte ihr nicht die Augen geöffnet. So hatte er sich also gerächt dafür, dass sie Manina zur Flucht verholfen hatte.



»Was soll ich in Kirifas?«, fragte sie noch einmal. Erion hatte gerade ein paar Frühaufsteher entdeckt, Fischer, die mit ihren kleinen Booten vom Ufer ablegten, und winkte ihnen.



»Ihr seid Sorayns Frau, oder nicht?« Er hatte jetzt keine Zeit mehr für sie. Erion musste den Fischern klar machen, dass sie dem Kahn nachrudern und ihn anhalten sollten. Er zeigte ihnen das Zeichen auf seinem Arm, und Maja merkte, wie ihre Gesichter sich veränderten.



Sie saß immer noch auf dem Pferd, mit gefesselten Händen, müde und zerschlagen, und sehnte sich nach einer Gelegenheit, um sich zu waschen und richtig auszuruhen. Sie wollte sich bewegen, sich strecken, atmen und einfach alles vergessen, was sie gehört hatte, und das Unglück abschütteln … Während der hochmütige Kaisergänger seine Befehle erteilte, wandte sie das Gesicht ab und weinte.



Das Schiff war zu groß, um am Ufer anzulegen, deshalb mussten sie in Booten übersetzen. Erions Pferd bohrte trotzig die Beine in den schlammigen Untergrund, aber Maja stand wie willenlos daneben und wartete. Ihr Kampfgeist hatte sie verlassen. Das war gut, denn in diesem Moment hätte er sie schlecht aufhalten können, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hätte, ihm Schwierigkeiten zu machen. Ihr Geschrei hätte den Braunen noch ängstlicher gemacht. Ja, er hatte es ihr genau zum richtigen Zeitpunkt erzählt.



Erion überließ es den Fischern, das störrische Tier mit harten Schlägen aufs Boot zu treiben. Er selbst stieg mit Maja in ein zweites, half ihr beim Einsteigen und Hinsetzen und konnte nicht umhin, den Anblick ihrer Verzweiflung zu genießen. Noch war sein Auftrag nicht erfüllt, noch waren sie nicht in Kirifas, aber besser hätte es gar nicht laufen können. Dass Manina entkommen war, war natürlich ein Wermutstropfen …



Denk nicht an die hübsche blonde Prinzessin. Er zwang sich, ihr Bild aus seinem Geist zu vertreiben, wie eine kleine Fliege, die man sich aus den Augenwinkeln wischt, einen schmerzhaften Fremdkörper, der einen dummerweise zum Weinen bringt. Manina ist im Moment unwichtig. Konzentrier dich auf dieses Mädchen hier.



Maja. Ja, diese kleine Wilde musste mit Vorsicht behandelt werden. Er betrachtete ihr schönes Profil, während sie zum Schiff hinübersah. Dogla, der Kapitän des Frachters, erwartete sie an der Reling, ein dicker, bärtiger Mann, der grüßend den Kopf neigte, während in seinen Augen die Wut funkelte. Erion hatte durchaus Verständnis dafür, dass der Mann es nicht schätzte, dazu gezwungen zu werden, Passagiere und ein Pferd mitzunehmen, aber der Macht eines Kaisergängers konnte sich niemand widersetzen.



Ein paar Matrosen pfiffen, als Erion Maja an Bord half. Blitzschnell war er bei dem nächsten und schlug ihn hart mit der Handkante ins Gesicht.



»Diese Dame«, sagte er laut und deutlich, so dass jeder im Umkreis es mitbekam, »steht unter dem Schutz Kaiser Zukatas persönlich. Ich erwarte, dass ihr sie mit dem gebührenden Respekt behandelt. Jede Frechheit werde ich aufs Schärfste ahnden.«



Der Flusskapitän sog scharf die Luft ein. »Ihr habt es gehört. Kümmert euch um das Pferd und um eure Arbeit und um nichts sonst.«



»Ich habe bereits mitteilen lassen, dass ich einen abschließbaren Raum für meine Begleiterin benötige.«



»Natürlich.« Dogla nickte, er wagte kaum, das Mädchen mit einem Blick zu streifen. »Ich stelle ihr selbstverständlich meine eigene Kajüte zur Verfügung.«



»Sehr gut.« Erion nickte. »Dann werde ich sie jetzt dorthin begleiten. Wenn du uns den Weg zeigen könntest?«



»Sicher.« Der Kapitän war nicht gerade eifrig, aber er bemühte sich, keinen Unwillen zu zeigen. Er führte seine Besucher unter Deck. In einer winzigen Kammer, die wenig mehr als ein schmales Bett, eine Truhe und einen Tisch enthielt, löste Erion Majas Fesseln.



»Wir sind auf einem Frachter und nicht für Reisende eingerichtet«, entschuldigte sich ihr unfreiwilliger Gastgeber. »Ich hoffe, alles ist zu Eurer Zufriedenheit. Wenn die Dame irgendetwas braucht, wäre ich glücklich, ihr behilflich zu sein.« Dogla sah allerdings alles andere als glücklich aus.



Das störte Erion nicht. Er war es gewöhnt, dass die Leute zähneknirschend gehorchten. Hauptsache, sie gehorchten. Sie mussten sich dabei nicht vor Begeisterung überschlagen, er erwartete nur, dass sie ihm keine Steine in den Weg legten.



»Lasst mich einfach in Ruhe«, fauchte Maja.



Eine wie sie würde nie lange brav sein. Der Kaisergänger winkte den Kapitän aus dem Raum, verriegelte lächelnd die Tür und prüfte sorgfältig, wie gut sie schloss.



»Dies ist die einzige Kajüte. Zu Eurer eigenen Bequemlichkeit kann ich Euch nicht viel bieten.«



»Das macht nichts. Ich bin mit einer Hängematte bei der Mannschaft zufrieden. Allerdings würde ich dir raten, einen Posten vor dieser Tür aufzustellen. Das Bullauge lässt sich öffnen? Dann solltet du es vernageln lassen. Du wirst mit mir die Verantwortung für das Mädchen tragen, solange wir an Bord sind. Ich rate dir dringend, sie nicht entkommen zu lassen. Sehr, sehr dringend.«



Kapitän Dogla nahm die Mütze vom Kopf und strich sich über das verschwitzte Haar. »Darf ich erfahren, wer sie ist?«



Erion schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Es muss reichen, wenn ich dir sage, dass Kaiser Zukata dich und deine Mannschaft und dein Schiff in den Schlamm dieses Flusses bohren wird, wenn ihr etwas zustößt oder wenn sie entkommt. Wie viel kann ein Mensch wert sein? Ein Königreich oder zwei? Ein halbes Kaiserreich? Das nur dazu, um wie viel es hier geht. Ich brauche jetzt etwas Schlaf und überlasse sie deiner Obhut.«



Der Kapitän nickte. Als Erion schon in der Hängematte lag, hörte er, wie ein paar Matrosen flüsternd vor der Kajütentür Stellung bezogen.



An die kostbarsten Momente seines Lebens erinnerte Erion sich immer wieder gerne. Er holte sie hervor, abends beim Einschlafen, morgens beim Aufwachen, und ließ die Bilder vor seinem inneren Auge vorüberziehen. Eins davon bereitete ihm besonderen Genuss. Zukata. Zukata in einem langen, seidenen Mantel, wie er unruhig in einem der riesigen Säle des Palastes auf und ab marschierte, mit großen Schritten, die Fäuste geballt. Die Ränder unter seinen Augen verrieten, dass er schon seit einer geraumen Weile nicht mehr gut schlief. Seine großen Füße traten ein neues Muster in den Teppich – Riesenspuren.



»Ihr habt mich rufen lassen?«, fragte Erion, nachdem er eine angemessene Zeit lang gewartet und Zukatas Wanderung zugesehen hatte.



Der Riese blieb stehen und starrte ihn an, mit einem Blick voller Wut aus seinen funkelnden blauen Augen. Sein Diener – nein, er würde es nie wagen, sich Freund oder gar Sohn zu nennen – hoffte nur, dass dieser Zorn nicht ihm galt.



»Mein Reich«, sagte der Kaiser. »Das ist es doch, nicht wahr? Mein Reich. Meine Stadt. Mein Thron. Meine Krone.«



»Gewiss, Majestät.«



»Warum fühlt es sich dann nicht so an?«, brüllte Zukata. »Warum, verdammt noch mal, merke ich nichts davon?«



»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, gab Erion vorsichtig zu.



»Mein Schloss! Mein Kaiserreich! Es gehört mir! Nicht ihm! Es ist meins!«



»Natürlich, Herr. Wem sollte es sonst gehören?«



»Er beobachtet mich.« Selbst das Flüstern des Riesen klang bedrohlich. »Bei jeder Entscheidung, die ich treffe, bei jedem Gesetz, das ich verkünde, bei allem, was ich tue … Wo ist er? Treibt er sich hier irgendwo herum? Lungert er hier im Palast herum? In Kirifas? In Aifa? Verdammt, wo ist er?«



»Wer?«, wagte Erion zu fragen.



»Sorayn!«, schrie Zukata. »Verdammt! Sorayn, wer sonst? Ist er hier?«



Seit sein Herr sich kurz vor seiner Krönung mit seinem geheimnisvollen Enkel getroffen hatte, hatte Erion nichts mehr von diesem gehört. Der schwarzhaarige junge Prinz schien wie vom Erdboden verschluckt.



»Ist er nicht mit den wilden Riesen gegangen? In den Süden, ins Gebirge?«



»Ist er das?«, fragte Zukata zurück.



»Ich weiß nicht«, musste Erion zugeben.



»Du weißt es nicht! Ha! Niemand weiß es! Er könnte genauso gut hier sein. Er hat gesagt, dass er ein Auge auf mich haben wird. Mir ist, als wäre er da … als würde er mir über die Schulter blicken … Deret-Aif gehört mir. Ich bin Kaiser. Ich und niemand sonst.«



Mit wirrem Haar und zerzaustem Bart baute sich der Riese vor Erion auf und starrte ihn an, als sei er persönlich an allem schuld.



»Warum weiß ich nicht, wo mein Feind ist? Ich muss es wissen. Ich muss alles über ihn wissen. Wo er ist, was er tut, was er denkt … Alles muss ich wissen. Ich bin der Kaiser. Nicht er. Sorayn mag den Segen haben, aber mir gehört der Thron.«



Erion erschrak; er hatte nicht gewusst, dass dieser Sorayn im Besitz des Segens war. Nun verstand er besser, warum Zukata ihn als eine solche Bedrohung empfand, doch das war eigentlich trotzdem kein Grund, sich so aufzuregen.



»Ihr braucht den Segen nicht, um zu regieren«, wandte er ein. »Sitzt Ihr nicht auf dem Thron? Was habt Ihr von Sorayn zu fürchten?« Sobald er es ausgesprochen hatte, verwünschte er seine Dummheit. Zum Kaiser von Furcht zu sprechen, konnte alles Unheil dieser Welt auf einen herabziehen.



Doch der Riese hatte es nicht einmal bemerkt; er verzog den Mund, als hätte er Schmerzen. »Setz dich hin, mein Junge«, befahl er. Dann ließ er sich selbst auf einem breiten, für jemanden seiner Größe gebauten Lehnstuhl nieder – auf dem jeder andere wie ein Kind gewirkt hätte – und verbarg das Gesicht in seinen mächtigen Pranken. »Von seinen Gnaden«, murmelte er. »Ich fühle mich, als säße ich hier mit seiner Erlaubnis, die er mir jederzeit wieder entziehen kann. Jeden Tag und jede Stunde rechne ich damit, dass Sorayn hier auftaucht und zu mir sagt: So nicht. Du hast versprochen, es richtig zu machen.« Er schüttelte den Kopf. »Und mache ich es richtig? Sind die Leute zufrieden? Beklagt sich irgendwer? Ich sitze hier und regiere und frage mich die ganze Zeit: Ist er wohl zufrieden damit?«



Erion wagte kaum zu atmen. Es geschah äußerst selten, dass Zukata sein Innerstes bloßlegte und jemandem seine Sorgen anvertraute, die so menschlich klangen und ganz und gar nicht riesenhaft.



»Er hat mir gesagt, er vertraut mir dieses Reich an. Deret-Aif, das große Kaiserreich. Wenn ich Kanunas Werk fortführe, wenn ich gerecht regiere und weise. Und so frage ich mich: Bin ich das? Gerecht genug? Weise genug? Bin ich, was er von mir erwartet? Oh, nicht, dass ich mich danach richten würde.« Zukata lachte auf. »Ich habe meinen Männern gegeben, was ich ihnen versprochen habe. Königreiche. Fürstentümer. Es gibt schließlich genug davon, wenn man nur die alten Könige und Fürsten entfernt. Ich tue, was ich will. Ich bin Kaiser. Ich bin niemandes Knecht. Ich bin niemandes Schüler. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.« Er sprang wieder auf. »Niemandem! Auch nicht ihm! Auch nicht Sorayn!«



»Soll ich ihn für Euch beseitigen lassen?«, fragte Erion, denn darauf schien es hinauszulaufen. Nie im Leben würde Zukata zulassen, dass jemand eine solche Macht über ihn hatte.



»Beseitigen? Du willst Sorayn töten? Du?« Zukata lachte wieder wild. »Du willst ihn umbringen? Meinen Erben? Glaubst du, er wird sich von dir töten lassen, von irgendjemandem? Von einer Handvoll Soldaten? Von einem Heer? Nein, mein Junge. Sorayn ist mehr wert als alle meine armseligen Getreuen. Sorayn ist das Schwert, das ich in das Herz meiner Feinde stoßen könnte …«

 



»Aber dann …«



»Er soll mir gehören«, sagte der Riese grimmig. Er lachte nicht mehr, aber in seinen Augen brannte das Feuer eines neuen Wunsches, mindestens ebenso stark wie sein früheres Verlangen, die Kaiserkrone zu tragen. »Ich will, dass er mir dient. Er soll sich vor mir beugen. Das ist das, was ich wirklich will. Das, wobei du mir helfen wirst.«



Erion runzelte die Stirn. »Hat er eine Schwachstelle? Irgendetwas, woran sein Herz hängt?«



Zukatas Lächeln entblößte seine weißen Zähne. »Ich sehe, du denkst mit. Wie immer. Genau darum geht es. Ich muss alles über Sorayn wissen. Warum hat mein nichtsnutziger Bruder ihm den Segen gegeben? Was verbirgt er? Welche Geheimnisse trägt er mit sich herum?« Er sagte es noch einmal: »Was ist es, woran sein Herz hängt?«



»Ich finde es für Euch heraus, Herr.«



Zukata nickte. »Du weißt, warum ich dir nur ein winziges halbes Königreich gegeben habe? Nur diesen Felsen, der im Wasser versinkt?«



»Ihr gebt jedem, was Ihr wollt«, entgegnete Erion, in dem immer noch die Enttäuschung darüber brannte, dass andere Räuber, die Zukata lange nicht so gut gedient hatten wie er, mit lukrativen Fürstentümern und Ämtern belohnt worden waren und er nichts anderes bekommen hatte als eine wertlose Insel. Nicht einmal als König der beiden Glücklichen Inseln konnte er sich bezeichnen, denn König von Arima war sein Onkel Norha.



»Ein König sitzt in seinem Schloss, in seinem eigenen Land, und regiert und verwaltet und urteilt und verschwendet seine Zeit mit tausenderlei Dingen«, erklärte Zukata, seine Stimme klang beinahe liebevoll. »Dich brauche ich hier, mein Junge, hier bei mir. Es gibt nur wenige, denen ich einen Auftrag wie diesen anvertrauen kann. Du bist hier, im Herzen der Macht, nur wenig unter mir. Meinst du nicht, dass das mehr ist, als König von Laring, Diret oder Mindonien zu sein?«



»Ja, Herr.« Er neigte den Kopf.



»Wenn du das für mich tust«, sprach Zukata weiter, »wenn du der Mann bist, der Sorayn vor mir in die Knie zwingt, werde ich dich zum König von Aifa machen. Das ist doch ein Königreich, das dir hoffentlich groß genug ist? Nun, willst du König von Aifa werden?«



»Aber«, stammelte Erion, »das seid Ihr! Das ist immer der Kaiser!«



»Das war bisher so«, bestätigte der Riese ungerührt, er lächelte über die Aufregung, die seine Worte bewirkten. »Aber mir gehört ganz Deret-Aif. Herrscher zu sein über die halbe Welt ist keine Kleinigkeit. Ich habe gar nichts dagegen, wenn du dich um einen Teil meines Landes kümmerst. Das hat den Vorteil, dass der König von Aifa hier in Kirifas residiert. Du würdest also als mein engster Vertrauter und Ratgeber in meiner Nähe bleiben.«



»Ihr ehrt mich, Herr.« Diese Aussichten waren überwältigend. »Aber – und Eure Tochter Ilinias?«



»Wieso Ilinias? Was hat das mit ihr zu tun?«



»Sie ist die Prinzessin von Kirifas, ist sie dann nicht eigentlich die rechtmäßige Anwärterin auf Aifa?«



»Das entscheide immer noch ich«, sagte Zukata. »Und ich gebe es demjenigen, der Sorayn für mich besiegt. Seine Mutter Ilinias wird das wohl kaum tun.«



Erion verneigte sich fast bis zum Boden.



»Dann geh«, beschied sein unvergleichlicher Herr. »Mach, dass ich wieder schlafen kann. Sorayn soll mir dienen, so wie du es tust, und er soll seine Knie vor mir beugen. Dann erst werde ich wahrhaft Kaiser sein.«



Majas Flötenspiel konnte niemand auf dem ganzen Schiff entkommen. Sogar die Ruderer verhielten, wenn es gar zu schlimm wurde, was zur Folge hatte, dass der Rhythmus, der den Frachter die Strömung hinauftrieb, stockte. Die Männer lauschten gebannt der wilden, stürmischen Melodie, die einen Orkan auf sie herabzurufen schien. Es hörte sich an, als ob jemand schrie.



»Solche Lieder bringen Unglück«, presste Kapitän Dogla zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er fügte hinzu, dass die Dame, die mehrere Königreiche wert war, gefälligst damit aufzuhören hatte, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten.



Maja saß auf dem Bett, die Knie angezogen, in ihrer Hand die kleine Flöte, dieses so unschuldig aussehende Stück Holz. Ihre Finger tanzten auf den Löchern. Sie spielte einfach weiter, als Erion hereinkam.



»Schluss damit«, befahl er streng.



»Sonst was?« Die Zinta blickte ihn herausfordernd an. »Werft Ihr mich sonst über Bord?«



Er konnte sie nicht ausstehen. Solche Frauen machten nichts als Ärger.



»Nichts lieber als das«, knurrte er, und sie lachte. »Nun zeigt Ihr endlich einmal Euer wahres Gesicht, Herr Halber König von Neiara.«



Ihm war danach, sie zu verprügeln, in ihr herausforderndes Lächeln zu schlagen, aber er hatte sich vollkommen in der Gewalt. Er streckte die Hand aus.



»Gebt mir die Flöte.«



»Nein.« Sie hielt sie mit beiden Händen fest. »Nein!«



»Dieses verdammte Musikinstrument hat Euch schon einmal verraten.«



»Was?«



Eigentlich wollte er es ihr nicht sagen. Die Reise würde viel leichter sein, wenn sie dachte, dass Sorayn sie in Kirifas erwartete. Andererseits würde es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis sie sich dafür entschieden hatte, lieber nicht zu diesem treulosen Sorayn zurückzukehren, von dem er ihr erzählt hatte. Vielleicht war es unklug – und Erion hasste es, etwas Unkluges zu tun, nur weil ihn seine Gefühle dazu verleiteten –, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Er wollte ihr Entsetzen sehen, wenn sie endlich erfuhr, worum es ging. Ihm fiel kein anderes Mittel ein, um ihr die Frechheiten ein für alle Mal auszutreiben, um ihr wehzutun, ohne blaue Flecken zu hinterlassen.



»Sorayn hatte eine ungewöhnlich musikalische Frau bei sich, als er mit seinem Riesenheer unterwegs war«, sagte er. »Das war nicht schwer herauszufinden. Man muss nur den richtigen Personen die richtigen Fragen stellen. Euch zu finden, hat eine Weile gedauert, aber als meine Spione von einem schwarzhaarigen Mädchen berichteten, das in einem Gasthaus in Laring die Gäste mit Flötenspiel unterhält, da wusste ich, dass Ihr das seid, Prinzessin Maja.«



»Es gibt unzählige Spielleute im ganzen Land.«



»Tatsächlich? Wenn man die Leute über Euer Spiel reden hört, könnte man glauben, es gäbe nur eine einzige Frau auf der Welt, die es vermag, so damit zu verzaubern. Auf diese Weise habe ich Euch gefunden. Schneller, als Sorayn es vermochte. Er sucht nach Euch, wusstet Ihr das? Überall fragt er nach Euch.«



»Er sucht nach mir?« Ihre Augen weiteten sich.



»Natürlich. Schon lange. So viel ich weiß, ist er mit den Ziehenden unterwegs. Aber sie kommen nicht gut voran, seit der Kaiser den alten Tribut wieder gestattet hat. Meine einzige Hoffnung war es, schneller zu sein als Sorayn. Und Euch nach Kirifas zu bringen, bevor er weiß, dass Ihr in meiner Hand seid.«



»Was will Zukata von mir?«, fragte sie. »Ich kann ihm nie so gefährlich werden wie Manina. Und wenn er glaubt, ich könnte es, warum bringt Ihr mich dann überhaupt zu ihm? Ihr hättet mich auch gleich umbringen können. Werdet Ihr mich töten?« Sie versuchte immer noch, furchtlos und trotzig zu klingen.



»Keineswegs, Prinzessin. Ich werde Euch kein Haar krümmen«, versicherte Erion. »Euer Gemahl wird keinen Grund haben, sich über Eure Behandlung zu beschweren, wenn er in den Palast kommt. Und das wird er, sobald er erfährt, dass Ihr dort seid. Nie wird jemand so schnell angerannt kommen wie er. Und nie wird jemand so eifrig darum betteln, Zukata aus der Hand fressen zu dürfen.«



Es überlief sie eiskalt.



Erion sah, wie sie langsam anfing zu begreifen. Sehr langsam. Bei Rin, war sie gutgläubig und naiv! Hatte sie nicht gewusst, dass die Liebe das Schlimmste war, was einem Menschen widerfahren konnte?



»Wenn Sorayn bis jetzt dachte, er könnte Zukata kontrollieren«, fuhr er mitleidslos fort, »wenn er glaubte, er könnte der heimliche Herrscher über Deret-Aif sein, während sein Großvater auf dem Thron sitzt, dann hat er sich geirrt. Dann hätte er besser darauf achtgeben müssen, dass ihn niemand mit irgendetwas erpressen kann. Und deshalb, meine Liebe, seid Ihr die Fessel, mit der wir Sorayn binden werden. Die Kette, an die wir ihn legen werden. Wie fühlt es sich an, Prinzessin Maja? Königin über ein sehr kleines, aber sehr wichtiges Königreich zu