Der Thron des Riesenkaisers

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Sein Gegenüber missverstand dieses Lächeln, stolperte von Grauen gepackt rückwärts und hastete fort.

»Oka wird in ein Schiff steigen und den Gästen entgegenfahren«, erklärte Kapitän Wilu. Nervös streiften seine Augen den unheimlichen Kaisergänger und seinen Rivalen Suresch, aber genauso schnell zog er seinen Blick auch wieder zurück. »Den vermeintlichen Gästen. Und dann kommen wir mit unseren Schiffen und schneiden ihm den Rückweg ab. Wir nehmen ihn in die Zange und entern sein Schiff!« Beifallheischend sah er sich um.

»Warum sollte König Oka das tun?«, fragte Blitz. »Er könnte die Velaner genauso gut am Ufer erwarten.«

»Könnte er wohl, wird er aber nicht. In seiner Antwort bat ihn der König von Velas, an Bord zu kommen und dort die Verträge zu besiegeln.«

»Wie konnte er denn antworten, wenn er die Nachricht gar nicht erhalten hat?«

Wilu grinste selbstgefällig. »Man braucht nur einen Mann, der schreiben kann. Oka hat es geschluckt. Warum sollte er nicht? Seit einigen Wochen schon halten seine Späher Ausschau. Wir mussten so lange warten, wie Velas brauchen würde, um eine Kriegsflotte zusammenzustellen. Außerdem dauerte es eine Weile, alle Piratenschiffe von Deret-Aif hier zu versammeln. Die Stürme werden immer schlimmer. Die Adlerschwinge ist nicht das einzige Schiff, das repariert werden muss, andere sind gar nicht erst angekommen.«

»Sehr viel Aufwand, um einen einzigen Mann zu töten«, bemerkte Blitz. Ihm entging nicht, wie die beiden sich ansahen.

»Das ist uns schon klar«, gab der Kapitän der Greifenklaue zu. »Aber Wenz ist kein Königreich, das einfach einzunehmen ist. Im Gebirge gibt es unzählige Höhlen. Dann die vielen Schluchten und Täler und der Schnee …«

»Ihr wisst also nicht, wo der König sich aufhält. Wie konntet ihr ihm dann die gefälschte Nachricht zustellen?«

»Wir wussten, wem wir sie überreichen mussten.« Wilu platzte fast vor Stolz über seine Genialität. »Natürlich haben wir versucht, dem Überbringer zu folgen, aber wir haben ihn verloren. Wir sind Piraten, Herr, keine Spione. Wir kämpfen lieber auf dem Meer, als dass wir auf Felsen herumklettern.«

»Und auf dem Weg zur Küste? Da könnte man ihn überfallen.«

»Mit dem Risiko, dass er entkommt und wieder in eine seiner Höhlen schlüpft? Er ist von den Bergen heruntergestiegen. Sein Lager ist groß. Wir könnten es angreifen, doch selbst wenn wir ihn überraschen, besteht die Gefahr, dass Oka uns entwischt. Aber wenn er erst auf dem Schiff ist, wohin will er dann fliehen? Auf See haben wir die Oberhand. Wir erledigen nicht nur den König, sondern alle seine Würdenträger, die ihn begleiten.« Er grinste breit und wiederholte: »Wir sind Piraten.«

Blitz versuchte fieberhaft, eine Schwachstelle in dem perfiden Plan zu entdecken, die es König Oka ermöglichte, Zukatas Gesindel zu entkommen.

»Ich will mit ihm sprechen, bevor er auf sein Schiff geht.« Er sah erst Wilu und dann Suresch in die Augen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.

»Aber wir dachten … auf dem Schiff. Du kannst ihn befragen, wenn wir sein Schiff geentert haben, Herr.«

»Habt ihr überhaupt eine Ahnung, worum es hier geht?«, fragte Blitz mit gefährlich leiser Stimme. »Glaubt ihr wirklich, es geht nur um Oka? Was ist, wenn er bereits einen Nachfolger ernannt hat, dem die Leute folgen werden, wenn er nicht wiederkommt? Wir sind nicht hier, um einen König zu töten, sondern um sicherzustellen, dass sich dieses Königreich in die Ordnung des Kaiserreichs einfügt. Ich muss mit Oka reden, bevor er seinen Fuß auf das Schiff setzt. Was er weiß, ist viel wichtiger als sein Tod. Glaubt ihr, Zukata hätte mich hergeschickt, wenn es nur darum ginge, einem alten Mann den Schädel einzuschlagen?«

»Aber wenn du mit ihm geredet hast, geht er nicht mehr auf das Schiff!«, wagte Suresch einzuwenden. »Und überhaupt, wie willst du an ihn herankommen? Er wird mit großem Gefolge an die Küste kommen. Auf dem Meer werden wir ihn schlagen. Hier an Land brauchten wir ein viel größeres Heer.«

Sie sahen ihn fast angstvoll an. Blitz war es nicht gewöhnt, die Macht eines Kaisergängers tatsächlich auszuüben. Sie würden seinen Befehlen folgen, aber nur, solange sie ihren eigenen Gewinn nicht gänzlich schwinden sahen. Wenn er es zu weit trieb, würden sie mit Sicherheit noch einmal versuchen, ihn umzubringen.

»Kein Kampf an Land, darin stimme ich euch zu«, sagte er schnell. »Es muss alles genau so ablaufen, wie ihr es mit den anderen Piraten besprochen habt. Ich werde mich ganz unauffällig in Okas Lager schleichen. Und glaubt mir, es gibt Mittel, eine Befragung so durchzuführen, dass derjenige später nichts mehr davon weiß.«

Hatte er jetzt nicht doch zu dick aufgetragen? Aber an ihrer Reaktion merkte er, dass sie ihm noch viel mehr zutrauten. Wilu war blass geworden, Suresch betrachtete eingehend seine schwarzen Fingernägel. Seinem Blick wichen sie aus. Wofür hielten ihn die beiden Kapitäne? Für einen Folterer, einen Henkersknecht? Kein vernünftiger Mensch würde einem derart riskanten Vorhaben zustimmen. Aber die Piraten trauten sich nicht, dem gefährlichen Kaisergänger zu widersprechen.

»Er wird auf das Schiff gehen, ohne zu ahnen, was ihn erwartet«, versprach Blitz. »Und in die Falle tappen. Dann werdet ihr ihm zeigen, wer über das Meer herrscht. Doch nun weist mir den Weg zu Okas Lager.«

Der aufmüpfige König musste sich tatsächlich sicher sein, dass seine Verbündeten in Kürze eintrafen. Die Zelte, von den Wenzern zwischen den Ausläufern der Berge errichtet, weniger als eine Tagesreise vom Hafen entfernt, waren nicht so zahlreich, wie Blitz erwartet hatte. Das Gelände dahinter war dermaßen zerklüftet, dass es geradezu zum Verstecken einlud. Kein Angreifer konnte hier ein Gefecht bis zum bitteren Ende erzwingen.

Die drei Beobachter duckten sich hinter die kleineren Felsen auf der Seeseite.

»Und wenn …«, begann Wilu, aber der Arimer sah ihn nur an, und da sagte der Pirat etwas anderes als das, was ihm zuerst auf der Zunge gelegen hatte. »Ja, Herr. Tu, was immer du tun musst.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Wie viele von deiner Sorte hat der Kaiser in seinen Diensten?«

»Du meinst, wen er als Nächstes schicken wird, falls ich versage?« Blitz lächelte, obwohl ihm alles andere als zum Lachen war. Entgegen seiner prahlerischen Ankündigungen hatte er keine Ahnung, wie er unbeschadet zu König Oka vordringen sollte. »Glaub mir, für jemanden wie mich gibt es kein Versagen.« Nur den Tod durch Okas Männer. Nur eine einzige Gelegenheit, um eine alte Schuld abzutragen. Nur diesen einen Versuch. Aber Versagen? Alles, was sonst noch passieren konnte, lag in Rins Hand.

Wilu beeindruckte dieses großspurige Versprechen sehr. Er nickte und zog sich vorsichtig zurück.

»Wartet nicht auf mich«, lautete die Anweisung. »Greift nicht ein, wenn ich nicht wiederkomme. Vielleicht, wenn alles gut geht, bleibe ich bei ihm und führe ihn eigenhändig auf das Schiff.«

Dass er sich nicht fürchtete, beeindruckte die Piraten wohl am meisten.

»Allein unter Feinden«, murmelte Suresch. »Und wenn sie es merken? Und wenn sie Zukatas Zeichen entdecken?«

»Allein unter Feinden«, wiederholte Blitz grimmig. »Was auch geschieht, bleibt bei unserem Plan.«

Seine Begleiter zogen sich zurück. Sobald er auf sich gestellt war und niemandem mehr etwas vormachen musste, überrollte ihn die Angst. Jetzt spürte er auch die Kälte. Der Stein, hinter dem er kauerte, war kalt wie ein Eisblock. Schnee bedeckte die Hänge, die letzten weißen Tupfer reichten fast bis hinunter zu den Zelten. Heimeliger Rauch drang aus den Abzügen. Ein paar dunkel gekleidete Gestalten wanderten umher. Für ein warmes Plätzchen am Feuer hätte er bald alles gegeben, aber einfach ins Lager zu marschieren und ein Gespräch mit Oka zu fordern, war Selbstmord. Überdies zweifelte er nicht daran, dass die Piraten weiterhin alles beobachteten. Den Aufruhr über eine Gefangennahme würden sie mitbekommen, und was sie dann tun würden, war nicht abzusehen.

Seine Hände und Füße waren taub, als Blitz sich schließlich dazu durchrang, sich näher an die Wenzer heranzutasten. Die überall verstreuten Steinbrocken boten etwas Deckung, aber nicht viel. Das Lager war klug ausgewählt; im Hintergrund die schützenden, schnell zu erreichenden Berge, nach vorne hin lief das Gelände flach aus und war gut zu überblicken. Blitz hoffte, dass er für die scharfen Augen der Wächter unsichtbar blieb, wenn er sich nur vorsichtig genug bewegte. Genauso gut konnte es aber sein, dass sie ihn schon längst entdeckt hatten und gelassen darauf warteten, dass er so nah herankam, dass sie ihn mühelos ergreifen konnten.

Auf dem Bauch vorwärts zu robben, war in dieser Kälte erbärmlich schwer. Der feine Rauch des Lagers lockte ihn unwiderstehlich weiter. Seine Zähne klapperten. Dann hörte er die Pferde schnauben. Jetzt erst bemerkte er sie, da sie auf der kargen Weide hinter den Zelten grasten. Die Piraten hatten nichts davon gesagt, dass die Wenzer Tiere dabei hatten, die ihn verraten konnten, aber er hätte daran denken müssen. Wusste er nicht, dass Oka die schönsten Rösser des Königreichs züchtete? Niemals würde er den schwarzen Hengst vergessen, der ihn einen Teil der Flucht mit Manina begleitet hatte. Vorsichtig hob Blitz den Kopf und versuchte, die kleine Herde zu zählen. Doch die dunklen Leiber verschmolzen fast mit den Felsen und dem dürren Gestrüpp dazwischen. Einmal noch ein solches Pferd reiten! Zu wissen, wie schnell ihn die langen Beine tragen würden, weit, weit fort von allen Feinden und allen Pflichten. Frei durchs Kaiserreich zu streifen, so wie er es als Junge erträumt hatte, zusammen mit Mino … Blitz fühlte kaum noch, wie die Kälte sich in seinem Körper ausbreitete. Er würde reiten, so schnell wie der Wind. Niemand erwartete von ihm, dass er einem König gegenübertrat, der ihn hasste. Niemand …

 

»Steh auf!«

Niemand außer Rin. Rin, der Unerbittliche. Der ihn antrieb wie ein Reiter ein lahmes und müdes Pferd. Der ihn vorwärts trieb, immer weiter voran, der ihn niemals in Ruhe ließ …

»Na los, wird’s bald.«

Jemand riss ihn hoch. Männer in Umhängen aus schwarzem Pelz. Glänzend und dick und weich. Er starrte auf die Felle und dann in ihre von struppigen Bärten gespickten Gesichter.

»Bringt mich zu König Oka.« Seine Zähne klapperten, sein Kiefer ließ sich kaum bewegen. »Leise. Unauffällig. Ich …«

»Keine Sorge«, zischte einer der Wächter. »Wir machen bestimmt kein großes Getue darum, dass wir einen von Zukatas Spionen gefangen haben. Einen seiner Piraten, die sich hier herumtreiben.«

Sie schleiften ihn mit. Blitz konnte jedoch nur Dankbarkeit empfinden, als sie ihn in eins der dunklen Zelte stießen. Eine Schale glühender Kohlen erfüllte den Raum mit Wärme und Licht. Er streckte die Hände danach aus, aber jemand warf ihn rücklings zu Boden. Über ihm bleckten zwei große wilde Gesellen die Zähne.

»Einer der Spione. Na endlich. Wir wussten, dass ihr hier seid. Aber jetzt drehen wir den Spieß einmal um. Nun wirst du uns ein paar Auskünfte geben.«

»Du wirst uns mit Freuden alles sagen, was du weißt!«, kündigte der zweite Wenzer mit einem gehässigen Lächeln an.

Blitz schloss für einen Moment die Augen. »Ich bin kein Pirat«, sagte er nur. Er atmete die Wärme, das goldene Licht. Wenn er nur seine Füße ein wenig näher heranhalten durfte … Er beugte sich nach vorne und begann seine Stiefel aufzuschnüren. Seine Zehen waren rot, aber noch nicht so dunkel, dass er Grund zur Sorge gehabt hätte. Die Schmerzen nahmen ihn völlig gefangen, als es in ihnen zu kribbeln begann.

»Wir sollten ihm die Füße gleich ganz ins Feuer halten«, sagte der eine Wächter.

»Macht doch«, sagte Blitz ungerührt. Er widmete sich völlig der Wärme. »Habt ihr vielleicht etwas Heißes zu trinken? Dafür wäre ich dankbar.«

Die beiden grimmigen Kerle sahen ihm fassungslos zu.

Schließlich steckte der eine den Kopf durch die überlappenden Stoffbahnen am Ausgang und rief etwas; es klang beinahe, als würde er um Hilfe schreien.

Als wenig später ein dritter Wenzer das Zelt betrat, widmete Blitz sich immer noch seinen Füßen. »Habt ihr mir wirklich etwas gebracht?«, fragte er erfreut.

Sein Blick fiel leider nicht auf eine Magd mit einem Krug dampfender Brühe.

Ein Mann, der, als er die Kapuze zurückschlug, einen haarlosen Schädel entblößte. Sein Gesicht zierte ein kurz gehaltener grauer Bart. Kein Schmuck, keine ausgefallene Kleidung hob den neu Eingetretenen von den anderen ab, aber Blitz erkannte ihn sofort.

»Unverschämt und merkwürdig, dieser Gefangene«, sagte der Wächter, der Blitz Folter angedroht hatte. »Zieht sich hier die Schuhe aus, als wäre er zu Hause. Er behauptet, er sei kein Pirat.«

»Das ist auch kein Pirat«, bestätigte der König.

Blitz stellte seine Stiefel zur Seite und kniete nieder. Nicht die Demut vor dem Rang eines Monarchen trieb ihn dazu. Es war vielmehr die Entschuldigung für eine vor vielen Jahren begangene Tat, für einen Tag, an dem er ein kleines Mädchen gepackt und aus einer Kutsche gezerrt hatte.

»Du wagst es, herzukommen und mir unter die Augen zu treten?«, fragte Oka mit vor Zorn zitternder Stimme.

»Ihr kennt ihn?«, fragte einer der Wenzer alarmiert.

»Raus. Ich will allein mit ihm reden«, befahl der König.

»Aber Herr!«, protestierten seine Getreuen. »Er könnte einer von Zukatas Verbrechern sein, er …«

»Genau das ist er. Lasst uns allein.«

Blitz kniete immer noch, als die Wächter das Zelt verlassen hatten. Er hörte sie dicht vor dem Eingang leise reden, vielleicht damit er nicht vergaß, dass ihr Anführer nicht schutzlos war.

»Du brauchst nicht zu knien«, sagte Oka. »Wir wissen beide, das ist nichts als eine Farce. Beleidige mich nicht, indem du tust, als würdest du mir Respekt erweisen.«

»Es tut mir leid.«

»Was? Du kommst her, um mich zu ermorden, und bittest mich um Verzeihung?«

Der König hob die Brauen. In seinem Gesicht war nur Zorn zu lesen, keine Angst.

»Ich bin nicht hier, um Euch etwas anzutun, sondern um Euer Leben zu retten.«

»Hast du nicht aus demselben Grund damals meine Tochter in Zukatas Arme gelegt? Um Blutvergießen zu verhindern?«

Von diesem edlen Mann verachtet zu werden, war schwer zu ertragen, und mehr noch das Wissen, diese Geringschätzung zu verdienen.

Im Palast von Kirifas, vor mehr als zwanzig Jahren, hatte Blitz schon einmal versucht, sich bei König Oka zu entschuldigen. Aber er hatte nicht die richtigen Worte gefunden. Vielleicht gab es sie auch nicht, die richtigen Worte, und er war nur hergekommen, um seine Strafe zu empfangen. Dann würde Oka sterben. Mitsamt seiner Rebellion.

»Ich bin nicht Zukatas Mann«, widersprach der Arimer. »Ihr wisst, dass ich Kanuna gedient habe und Manina. Vielleicht habt Ihr auch davon gehört, dass Zukata einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt hatte.«

»Bist du deshalb hier? Um dir die Anerkennung dieses Räubers zu erkämpfen? Das wäre ja nicht das erste Mal.«

Blitz konnte nicht länger knien, seine Beine schmerzten zu sehr. Mühsam suchte er sich eine bequemere Stellung und zog ein paar Kissen näher an die Glut heran. »Möchtet Ihr Euch nicht setzen?«

Ein ungläubiger Ausdruck zog über Okas Gesicht, als der gefangene Spion ihm wie ein Gastgeber einen Platz anbot. Vielleicht war es das Erstaunen über diese Dreistigkeit, was ihn dazu brachte, sich tatsächlich gegenüber seinem Feind am Feuer niederzulassen.

»Ich würde Euch etwas anbieten, wenn ich könnte«, meinte der jüngere Mann, dem immer noch recht kalt war.

In den Augen des Königs funkelte etwas auf, aber dann bellte er einen kurzen Befehl in Richtung Ausgang.

»Ich diene keinem Kaiser und keinem König.«

»Ach. Dann bist du also frei?« Oka schüttelte den Kopf. »Was hast du vor? Willst du dich hier anbiedern und deinen letzten Unterschlupf in Wenz finden? Und mich dann, wenn du merkst, dass die Sache nicht so gut ausgeht wie gehofft, doch noch verraten? Ich dulde niemanden in meiner Nähe, der jemals für Zukata gearbeitet hat.«

»Ich bin nicht frei.«

»Wem dienst du dann? Dir selber? Dem Angebot, das dir am verlockendsten erscheint? Ein käuflicher Diener, Verräter an allem und jedem? Ich habe keinen Bedarf an so einem.«

»Ich diene Rin«, sagte Blitz und senkte dabei den Blick, denn es schien ihm vermessen, es auszusprechen, als meldete er damit einen Anspruch an, den unmöglich jemand erfüllen konnte.

»Du dienst Rin?«, wiederholte der König und stieß ein gequältes Lachen aus. »Was willst du sein, ein Priester? Und was tust du dann hier? Was schleichst du um unser Lager herum? Warum trägst du ein Messer an deinem Gürtel?« Er beugte sich vor. »Du bist gekommen, um mich zu töten. Ich weiß das, also rede keinen Unsinn. Menschen nach Rinland zu schicken, macht dich nicht zu einem Diener Rins. Du bist hier und ich bin hier und wir sind allein. Aber lass dir gesagt sein: Wahrscheinlich erscheint es dir im Moment sehr einfach, mich umzubringen. Vielleicht wunderst du dich, warum ich mich nicht fürchte und meine Wachen hinausgeschickt habe. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass Zukata einen Attentäter herschickt. Gut zu wissen, dass er endlich da ist. Und ihm in die Augen zu sehen.«

In diesem Moment wurde die Klappe am Eingang geöffnet und eine hübsche junge Frau mit einer schweren Kanne und zwei Bechern trat ein. Ohne nachzudenken sprang der Gefangene auf, um ihr zu helfen. Gleichzeitig fuhr der König hoch und packte ihn am Handgelenk.

Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen.

Oka starrte auf Blitz’ Hände. »Kein Messer? Na gut.« Er seufzte und ließ ihn los, und der wohlerzogene Arimer nahm dem Mädchen freundlich nickend die Kanne ab, stellte sie auf einen Stein in der Nähe der Feuerstelle und nahm auch die beiden Trinkgefäße dankend entgegen. Die Wenzerin sah verwirrt von einem zum anderen und verließ wieder das Zelt.

Oka hatte sich wieder gesetzt. Stumm sah er zu, wie sein alter Feind ihnen beiden eingoss.

»Du willst mich also wirklich nicht töten«, stellte der König fest. Er sagte es, als wäre es etwas, das ihm äußerst unangenehm war.

»War das Eure Tochter? Sie ist hier nicht sicher.«

»Niemand ist irgendwo in Sicherheit, solange Zukata Kaiser ist.«

Oka nippte an seinem Becher und starrte Blitz an, als könnte er in dem Gesicht seines seltsamen Besuchers erkennen, was er wissen wollte.

Diesmal wich Blitz dem funkelnden Blick des Königs nicht aus. Die schwarzen Augen und die meeresgrauen trugen ein Duell aus, in dem keiner der beiden Kontrahenten aufgab und die Waffen streckte. Lange und ernst schauten sie sich an. Sie beide kannten keine Furcht, sie beide schraken vor der Wahrheit nicht zurück. Doch schließlich geschah etwas in Okas Gesicht. Er schüttelte den Kopf und knurrte: »Ich werde dir nie verzeihen, was du getan hast.«

»Ich bin nicht gekommen, um Eure Verzeihung zu erlangen«, sagte Blitz. »Ich bin hier, um Euer Leben zu retten.«

»Mein Leben wird in Gefahr sein, solange ich gegen Zukata kämpfe. Und damit werde ich nicht aufhören, solange ich atme.«

»Steigt nicht auf das Schiff, Majestät.«

Der Rebell runzelte die Stirn. »Was weißt du von dem Schiff?«

»Es ist eine Falle. Die Flotte, die Ihr in Kürze sichten werdet, kommt nicht aus Velas. Es sind Piraten. Lasst Euch von ihrer Flagge nicht täuschen. Sobald Ihr ihnen entgegenfahrt, werden sich weitere Seeräuberschiffe von der Küste aus in Bewegung setzen. Man wird Euch einkreisen und entern.«

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen des Königs. »Und woher weißt du das, wo du doch weder Zukata noch sonst jemandem dienst?«

»Von Kapitän Wilu und Kapitän Suresch natürlich«, verriet Blitz.

»Was willst du für diese Information?«

»Ich bin nicht hier, um etwas zu verkaufen.« Er probierte das Getränk, das durch die Becherwand hindurch seine Hände wärmte. Es war Tee. Heißer, würziger, duftender Tee. Er rann stark und bitter seine Kehle hinunter, unendlich wohltuend. Fast hätte der Arimer hinzugefügt: mit einem Platz am Feuer und dieser Bewirtung habt Ihr mich schon genug bezahlt. Aber da war dieses Lächeln …

»Habt Ihr das etwa schon gewusst?«, fragte er.

»Nein«, entgegnete Oka und lächelte immer noch so rätselhaft, dass einfach mehr dahinterstecken musste als die Freude darüber, knapp dem Tod entkommen zu sein. »Oh nein, das wusste ich nicht.«

»Habt Ihr nicht gehört? Die Hilfe wird nicht kommen. Ihr dürft nicht fahren. Ihr müsst zurück in Eure Berge.«

»Du bist also hier, um mir zu sagen, was ich tun soll?«

Blitz’ Gedanken wirbelten durcheinander wie Wellen, über denen der Sturm aufzog, ein kreiselnder, wütender Wirbelsturm. König Oka rechnete trotzdem mit seinen Verbündeten. Er konnte das gar nicht verbergen. Etwas betroffen hatte er bei der Nachricht dreingeblickt, aber anscheinend nur, um einen kurzen Entschluss zu fassen, der ihm Freude bereitete. Vorfreude – worauf? Auf den Sieg?

»Ihr denkt, sie kommen doch? Aber die Velaner wissen nichts von Eurer Not. Euer Bote wurde abgefangen, die Antwort war eine Fälschung. Oder … Sagt nicht, Ihr habt zwei Boten ausgesandt!«

König Oka schwenkte seinen Tee sacht hin und her und betrachtete nachdenklich die spiegelnde Flüssigkeit. »Klüger wäre es gewesen, du hättest das, was du denkst, nicht ausgesprochen.«

»Sie sind wirklich unterwegs?«, rief Blitz begeistert. Die Drohung ignorierte er vorerst lieber. »Eure Verbündeten aus Velas? Das heißt, die Piraten werden zwischen ihnen und Euch eingeschlossen sein. Auch wenn Ihr zusätzlich von hinten angegriffen werdet, könnt Ihr sie mit der Übermacht Eurer Schiffe aufreiben!« Er hob die Hand, um dem schlauen Rebellenanführer zuzuprosten. Und wunderte sich, dass der Becher aus seinen Fingern glitt, dass er nicht die Kraft aufbrachte, ihn festzuhalten …