Tochter des Ozeans

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»Das meinte Megan heute auch. Ich komme aus einer Großstadt und war auf einer riesigen Highschool. Da war es nichts Besonderes, dass ständig jemand kam oder ging. Aber vermutlich ist es schon ungewöhnlich. Wir sind da.«

Jetzt erst bemerkte ich, dass wir direkt vor unserem Haus standen. Ich musste wirklich mehr auf meine Umgebung achten.

»Also bis morgen dann.«

Jenna kam auf mich zu und umarmte mich. Ich wollte mich bei ihr bedanken, aber die Umarmung brachte mich durcheinander. Wie gut es tat, umarmt zu werden und Zuneigung zu spüren.

Ich fühlte wieder eine Wärme in mir aufsteigen, die nichts mit den noch sommerlichen Temperaturen zu tun hatte und schloss die Augen. Und in diesem Moment hasste ich ihn mehr denn je. All das hatte er mir genommen und mein Leben acht Jahre lang zur Hölle gemacht. Die Jahre nach meiner Flucht waren ebenfalls kein Zuckerschlecken gewesen, die Therapien und Gespräche, in denen ich alles noch einmal hatte durchleben müssen, waren beinahe so schlimm gewesen wie die Tat selbst.

Und doch stand ich hier, war frei und am Leben, ich hatte es geschafft und nichts und niemand würde mir diese zweite Chance kaputtmachen. Auch nicht Delilah! Ich würde sie weitestgehend ignorieren und mich sonst von ihr fernhalten. Ich wollte keinen Stress mehr in meinem Leben. Den versuchte ich hinter mir zu lassen, jetzt war ich an der Reihe mein Leben so zu gestalten, wie ich es wollte.

Abends im Bett, als nur noch die Leselampe brannte und ich mein Stimmungstagebuch schrieb, kehrten meine Gedanken zu Jenna zurück.

Ob sie mich jetzt für verrückt hielt? Bestimmt. Besonders normal hatte ich mich schließlich nicht verhalten. So ein Zusammenbruch musste doch seltsam auf sie gewirkt haben. Aber trotzdem war sie nicht von meiner Seite gewichen, hatte mich nach Hause begleitet und sogar mit mir gelacht. Ich hoffte sehr, dass dieses Mädchen meine Freundin werden würde. Aber ich war nicht so gut in Mädchenfreundschaften und wenn ich ehrlich war, kam ich generell nicht besonders gut mit Gleichaltrigen zurecht. In der Psychiatrie hatte ich keine Freunde gehabt. Nur welche, mit denen ich ab und zu mal Karten gespielt hatte.

Ich war dementsprechend unerfahren auf dem Gebiet und stellte mich sicherlich nicht gerade geschickt an, bei dem Versuch Freunde zu finden. Ich seufzte. Es war schön, jemanden zum Reden und Lachen zu haben und ich wusste, dass ein Teil von mir sich danach sehnte, Freundschaften zu schließen. Der Teil, der nie Liebe und Zuneigung erfahren hatte.

Während ich versuchte einzuschlafen, kreisten meine Gedanken um Megan und Jenna. Meine vielleicht Freunde. Das Erlebnis am Strand hatte ich so gut wie vergessen und das verdankte ich nur Jenna.

Ich freute mich sehr drauf, sie wieder in der Schule zu sehen.


KAPITEL 4

Uranos - Himmel in Göttergestalt,

erster Herrscher über die Welt,

Erstgeborener der Gaia

Am nächsten Morgen war ich spät dran, da ich vergessen hatte, meinen Wecker zu stellen. Ich war müde und die Panikattacke von gestern steckte mir noch in den Knochen. Außerdem hatte mich in der Nacht ein altbekannter Albtraum geplagt und ich war schweißgebadet aus dem Schlaf erwacht. Delilah war auch nicht besonders hilfreich, sie wartete ungeduldig an der Haustür und tippte nervtötend mit der Schuhspitze auf den Boden, während ich meine Jacke anzog. Was für eine furchtbare Person.

Als wir im Auto saßen und außer Hörweite ihrer Eltern waren, sagte sie: »Das nächste Mal, wenn du so spät bist, lass ich dich einfach stehen. Dann kannst du schauen, wie du zur Schule kommst. Hörst du?«

»Mach nur. Aber ich glaube, deine Eltern wären darüber nicht so begeistert.«

»Drohst du mir?«, fragte sie ungläubig.

»Du drohst doch mir, Delilah. Glaub bloß nicht, dass ich mich einschüchtern lasse«, fauchte ich.

Meine guten Vorsätze, sie einfach nicht zu beachten, waren schwerer einzuhalten als gedacht.

Ich biss die Zähne zusammen und gab mein Bestes, meine Emotionen im Zaum zu halten. Zwar ließ ich mich von ihr nicht fertigmachen, aber sie machte mich wütend. Ich knirschte mit den Zähnen, um ihr nicht noch einen patzigen Spruch an den Kopf zu knallen. Plötzlich wehte ein heftiger Windstoß durch das offene Autofenster und brachte Delilahs Frisur durcheinander.

Sie schaute mich böse an, als wäre es meine Schuld, sagte aber zum Glück nichts mehr. Ich war mir dennoch nicht sicher, ob das Thema schon erledigt war. Delilah war sicher kein Mädchen, das so was auf sich sitzen lassen würde. Sie plante wahrscheinlich schon ihre Rache und leider musste ich eingestehen, dass ich mich auch nicht sehr viel netter verhielt.

Jenna und Megan waren derselben Meinung, nachdem ich ihnen in Mathe davon erzählte. Megan schien sich allerdings mehr über unsere Auseinandersetzung zu freuen, als sich Sorgen um mich zu machen.

»Endlich jemand, der ihr die Stirn bietet. Delilah hat es dringend nötig, dass sie mal in ihre Schranken gewiesen wird. Danke, Clara. Du hast ja keine Ahnung, was für eine Genugtuung du mir damit verschaffst.«

Beim Reden flogen ihre Hände wild durch die Luft und sie unterstrich jedes Wort mit einer Geste, dabei hüpften ihre Locken auf und ab und sie grinste uns breit an. Jenna zuckte nur mit den Schultern, als ich sie verblüfft anschaute, als wollte sie sagen: Tja, so ist sie halt.

»Versprich mir, dass du ihr eine verpasst, wenn sie dich wieder dumm anmacht. Also verbal meine ich. Natürlich. Du sollst sie ja nicht schlagen. Was macht ihr eigentlich am Wochenende? Meine Eltern schleppen mich wieder zu so einem Guru in die Berge, damit wir unsere Seelen von den Strahlungen reinigen können oder so. Nach dem letzten Mal hatte ich fast eine Woche Verstopfung, hoffentlich passiert das nicht wieder. Das ist echt nervig, kann ich euch sagen. Also nicht die Verstopfung, sondern das Wochenende irgendwo in der Pampa des Tillamook State Forest. Obwohl die Verstopfung auch nervig war.«

Ich hatte Schwierigkeiten Megans abrupten Gedankensprüngen zu folgen, doch da sie keine Antwort von uns zu erwarteten schien, ließ ich sie weiterreden und meine Gedanken wanderten zu dem seltsamen Ereignis von gestern Nachmittag. Ob da wirklich jemand gewesen war, der mich berührt hatte? Beinahe fühlte ich wieder die Hände auf mir. Es schüttelte mich am ganzen Körper und nur mit Mühe schaffte ich es, nicht die Arme um mich zu schlingen und mich nervös umzusehen. Einerseits hoffte ich, sie mir nur eingebildet zu haben, aber auf der anderen Seite hätte es mir Angst gemacht, wenn meine Fantasie mir so lebhafte Streiche spielen konnte.

»Alles in Ordnung, Clara?«.

Jenna berührte mich sanft am Oberarm und ich zuckte erschrocken zusammen. Ohne es gemerkt zu haben, war meine Hand zu meiner Wange gewandert und hatte die Stelle betastet, an der ich gestern vermeintlich eine Berührung gefühlt hatte.

»Ja, alles gut«, versicherte ich ihr leise, vermied es aber in ihre Augen zu schauen.

»Kommt, wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät zu Mister Vernon.«

In den folgenden Tagen hielt ich möglichst viel Abstand zu Delilah und verbrachte die Mittagspausen mit Jenna und Megan. Mein Wunsch schien sich zu erfüllen, denn die beiden ließen sich von meinem oft sehr verschlossenen Verhalten nicht abschrecken und setzten sich im Unterricht immer an die Tische neben mir. Während Megan meistens die Alleinunterhalterin spielte und von ihrer verrückten, alternativen Familie erzählte, lächelten Jenna und ich uns, über den Tisch in der Cafeteria hinweg, an. Zu ihr fühlte ich eine besondere Bindung und war, wegen ihrer ruhigen und einfühlsamen Art, gerne in ihrer Nähe. Manchmal verspürte ich den Wunsch, mich ihr anzuvertrauen, doch dann plagten mich die Zweifel, ob ich sie damit verschrecken würde. Auch vom Meer hielt ich mich fern, denn den Montagnachmittag hatte ich noch nicht ganz verarbeitet und konnte auf weitere Anfälle gut verzichten.

Ich lernte, las, traf mich hin und wieder mit Megan und Jenna in der Eisdiele im Städtchen und verbrachte ungewöhnlich viel Zeit mit Dan im Garten. Er war richtig naturbegeistert und pflegte im Garten, hinter unserem Haus, besondere Blumenarten und hatte sogar ein kleines Gewächshaus, in dem er gerade versuchte Tomaten und Radieschen zu ziehen. Er brauche das als Ausgleich zu seiner Arbeit im Krankenhaus, erzählte er mir, als wir Setzlinge umtopften und bewässerten. Die Luft im Gewächshaus war feucht und meine Haare klebten mir im Gesicht, aber die Arbeit mit den Pflanzen machte mir Spaß. Ich war überrascht, wie gut ich mit Dan zurechtkam, obwohl ich mich manchmal noch unwohl fühlte, wenn ich ihm den Rücken zukehrte und nicht sehen konnte, was er hinter mir machte.

Mein Leben wäre also vollkommen ruhig gewesen und Delilah hätte mich vermutlich für den Rest meines Lebens in Frieden gelassen, wenn da nicht Grayson Johnson gewesen wäre.

Ich begegnete dem gutaussehenden Footballspieler am Mittwochnachmittag, gut eine Woche nach dem Tag am Strand, vor der kleinen Eisdiele am Eck. Er rannte praktisch in mich hinein und zerquetschte meine Kugel Himbeereis zwischen uns.

Ich blickte von dem rosaroten Fleck auf seinem Shirt hoch in sein Gesicht. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich mich entschuldigen oder ihm doch lieber etwas Unflätiges an den Kopf werfen wollte. Doch da fing er an zu lachen und die Fältchen, die sich um seine Augen bildeten, waren einfach zu sympathisch, als dass ich ihm wirklich böse sein konnte.

»Wow, tut mir leid! Da war ich wohl etwas zu schnell unterwegs, hab dich einfach übersehen.«

 

Seine Stimme war tief und angenehm. Irgendwie wusste ich sofort, dass der Typ vor mir nur Grayson Johnson sein konnte und musste im Stillen zugeben, dass er wirklich gut aussah, mit seinen blonden Haaren und den nussbraunen Augen, die mich jetzt belustigt anfunkelten. Vermutlich hätte ich Herzklopfen bekommen müssen, wie die anderen Mädchen, aber in mir rührte sich nichts.

Natürlich fand ich ihn attraktiv, schließlich war ich nicht blind, aber das war auch schon alles. Er machte mich nicht nervös und kichern, wie andere Mädchen es in der Nähe von gutaussehenden Jungs taten, wollte ich schon zweimal nicht. Ich war nur froh darüber, dass der Körperkontakt zwischen uns nicht länger als ein paar Sekunden gedauert hatte. Also lächelte ich ihn einfach nur an und trat zur Seite, um ihm den Weg frei zu machen.

»Du kannst mir ja ein neues kaufen, Flash«, sagte ich betont fröhlich und hoffte, dass er die Comic Anspielung verstand.

Er grinste nur, machte aber keine Anstalten sich zu bewegen.

»Bist du nicht Lilas Adoptivschwester?«, fragte er stattdessen.

Oh, also hatte Delilah doch geredet. Plötzlich war ich gar nicht mehr so erpicht auf das Eis und wollte nur noch verschwinden. Ich war schon fast die Stufen runtergesprungen, da stellte er sich mir in den Weg und lehnte sich an die Hauswand.

»He, wo willst du denn hin? Ich schulde dir doch ein Eis.« Er grinste immer noch.

Ich zögerte, entweder wollte er sich über mich lustig machen oder er meinte es ernst. Wenn ich in etwas noch schlechter war, als in Mädchenfreundschaften, dann darin Männer zu durchschauen. Ich hielt sie lieber auf Abstand, doch vielleicht sollte ich bei Grayson eine Ausnahme machen. Womöglich war es an der Zeit, meine Aversionen seiner Spezies gegenüber zu überwinden. Aber vielleicht auch nicht. Nach dem was Jenna und Megan mir über ihn erzählt hatten, schien er nicht das richtige Exemplar für meinen Versuch zu sein. Ich merkte, dass ich schon wieder alles ins Unendliche durchdachte und er immer noch auf eine Antwort wartete. Bevor ich mir jedoch eine passende Antwort überlegen konnte, wurde hinter uns die Tür geöffnet und Delilahs Stimme nahm mir die Entscheidung ab.

»Grayson Darling, wo bleibst du denn, wir warten schon auf dich!«

»Sorry, komme gleich«, sagte Grayson, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden. »Wie sieht‘s aus? Willst du mit reinkommen? Ich lade dich ein, Iris.«

Er zwinkerte mir zu. Wow, er hatte meine Anspielung wohl wirklich verstanden. Ich überlegte gerade noch, ob ein Eis mit ihm so schlimm sein würde, da funkte Delilah dazwischen.

»Ich glaube nicht, dass Clara für uns Zeit hat. Sie wollte gerade nach Hause gehen. Nicht wahr, Schwesterchen?«

Oh, wie gern hätte ich ihr jetzt den Rest von meinem Eis ins Gesicht geschmiert. Stattdessen schenkte ich ihr einfach keine Aufmerksamkeit und lächelte Grayson an.

»Ein andermal vielleicht, aber ich muss jetzt wirklich gehen. Bye.« Auf einen Nachmittag mit Delilah verzichtete ich lieber. Die letzten Tage waren einfach zu entspannt und ruhig gewesen, als dass ich jetzt einen Streit mit ihr provozieren wollte. Ich schob mich an Grayson vorbei, wobei ich darauf achtete, ihn nicht wieder zu berühren und sah wie Delilah sich bei ihm unterhakte.

»Komm jetzt, mit der müssen wir uns nicht abgeben.«

Sie hatte es leise gesagt und in Grayson Richtung, aber ich hatte es trotzdem gehört. Und da tat ich es. Ich dachte nicht weiter nach, sondern reagierte einfach nur, wie auf Autopilot. Später fragte ich mich, was mich in diesem Augenblick geritten hatte, aber in dem Moment war mir alles egal. Mit großen Schritten ging ich zurück, auf Delilah zu, und ohne ein Wort zu sagen hob ich die linke Hand, mit der ich immer noch die halb leere Waffel umklammerte. Sie schaute mich mit großen Augen an, als ich die Waffel seitlich an ihrem Kopf zerdrückte. Sie konnte wohl selbst nicht glauben, dass ich ihr die pinke Masse im Haar verteilte, sonst hätte sie sich bestimmt gewehrt. So aber blieb sie stocksteif stehen. Die Zeit schien zu gefrieren und es war als würde die Welt selbst den Atem anhalten. Bis Delilah anfing zu schreien. Die Erde bewegte sich wieder, spulte vor und mir stellten sich die Härchen am Arm auf. Delilah hatte Grayson losgelassen und tobte. Wütend schrie sie mich an und gestikulierte heftig in meine Richtung. Ich nahm sie nur unscharf wahr und blinzelte ein paar Mal.

Oh mein Gott, hatte ich das gerade wirklich getan? Entsetzen machte sich in mir breit und ich war kurz davor mich zu entschuldigen, doch da sah ich Grayson aus dem Augenwinkel grinsen. In mir stieg ein hysterisches Kichern empor und drohte als Lachanfall aus mir herauszublubbern.

Rasch wand ich mich ab und verbarg mein Gesicht hinter meinen Haaren. Ich schluckte das Lachen runter, mit einem letzten Blick auf Grayson, der neben seiner tobenden Freundin stand, drehte ich mich um und ging. Sollte er sich doch um sie kümmern. Ich hatte genug, genug von ihr, von ihrer zickigen Art und genug von diesem Nachmittag.

Das Lachen war mir wieder vergangen, es ärgerte mich, dass ich mich von ihr hatte so provozieren lassen. So kannte ich mich gar nicht. Nicht, dass sie es nicht verdient hatte, aber es würde unangenehme Konsequenzen haben, dessen war ich mir sicher. Den Ärger war es eigentlich nicht wert, sie war es nicht wert.

Seufzend trat ich gegen eine leere Dose auf dem Bürgersteig und überlegte, wie ich aus diesem Schlamassel rauskommen sollte. Sie würde es bestimmt unseren Eltern erzählen und es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie mich nicht zurück in die Psychiatrie schickten. Ich hatte es verbockt, hatte mich nicht zusammenreißen können. Niemand anderem als mir konnte ich die Schuld geben.

Delilah war eine egoistische Tussi, aber die Beherrschung hatte ich ganz alleine verloren. Was war nur los mit mir?

Der Abend konnte nur ein Albtraum werden! Den ganzen Weg nach Hause, den ich mittlerweile gut kannte, machte ich mir abwechselnd Vorwürfe, war enttäuscht und stocksauer auf Delilah und Grayson. Und auf mich!

Bis zum Abendessen saß ich in meinem Zimmer und versuchte zu lesen, Schularbeiten zu erledigen oder die Kleider in meinem Schrank nach Farben zu sortieren, aber der Gedanke alles zu verlieren, schlich sich wie ein ungebetener Gast in meinen Kopf.

Unruhig lauschte ich den Geräuschen und Stimmen im Haus. Dan kam als erstes nach Hause und machte sich in der Küche zu schaffen, er kochte und kümmerte sich auch ansonsten um den Haushalt. Mom war die typische Businessfrau, immer top gestylt und ständig unterwegs.

Die Minuten schienen dahin zu kriechen und ich wurde immer nervöser. Ich behielt die Uhr auf meinem Nachttisch im Blick, so ein altmodischer Wecker der fürchterlichen Lärm am Morgen machte. Vintage, so nannte man das, nicht alt. Aber was wusste ich schon. Kurz vor Sieben kam Delilah endlich nach Hause. Sie musste gar nichts sagen, allein die Art wie sie ihre Tür zudonnerte, verriet sie. Stocksteif saß ich auf meinem Bett und belauschte das Gespräch unten in der Küche. Ich löste die verkrampften Finger von der weichen Tagesdecke und stand leise auf, schlich zu meiner Zimmertür und öffnete sie einen spaltbreit, um die Worte besser zu verstehen. Einige Minuten verharrte ich und hörte einfach nur zu. Das Gespräch drehte sich natürlich um Delilah und um irgendeinen Ausflug, den sie für das Wochenende geplant hatte. Bisher hatte sie mich nicht verpetzt. Noch nicht!

»Sehr schön, Darling. Aber würde es dir viel ausmachen, deine Schwester mitzunehmen? Sie sitzt hier doch sonst so einsam rum.«

Verflucht! Das war Dan gewesen, ganz väterliche Fürsorge. Danke auch.

Jetzt war es nur eine Frage von Sekunden, bis Delilah die Bombe platzen ließ.

»Die ist nie und nimmer meine Schwester!«, fauchte Delilah böse und ich hörte, wie etwas in der Küche klappernd auf den Boden fiel.

Delilah schien sich zu fangen, denn dann sagte sie zuckersüß:

»Es geht hier ja gar nicht um mich. Wenn ich das zu entscheiden hätte, würde ich sie natürlich mitnehmen, aber meine Freunde… Ach, die mögen sie nicht so gerne. Ich kann da gar nichts für. Wirklich.«

Wer‘s glaubt. Doch Mom und Dan schienen auf ihr feines Töchterchen reinzufallen.

»Ach Liebling, versuch es doch mal. Bestimmt haben deine Freundinnen nichts dagegen«, sagte Mom sanft.

Damit war das Thema für sie wohl beendet, denn sie verließ die Küche und verschwand im Bad.

Doch Delilah hatte dazu sehr wohl noch etwas zu sagen. Natürlich.

»Ach Daddylein, was soll ich denn machen? Sie ist einfach komisch, Demi und Bea würden niemals zulassen, dass sie mitkommt. Kannst du nicht mit Mom reden. Bitte?«

Ich sah ihre Schmollschnute bildlich vor mir und schnaubte - was für eine hinterhältige Person.

Beinahe wünschte ich mir, eine andere Familie gefunden zu haben, ohne eine Delilah, aber um Brenda und auch um Dan würde es mir leidtun.

Als Dan zum Abendessen rief, konnte ich meine Nervosität kaum verbergen und wollte mich am liebsten in meinem Bett verkriechen, aber gleichzeitig wollte ich Delilah den Triumph nicht gönnen, also setzte ich ein freundliches Lächeln auf und verließ mein Zimmer.

Das Abendessen verlief ruhig, fast harmonisch, doch ich konnte die bösen Blicke auf mir spüren und wagte es nicht ihr in die Augen zu schauen.

Wir schafften es bis zum Nachtisch, Schokoladenpudding mit Kirschen, da kam es wie es kommen musste:

Mom sagte: »Delilah, Schätzchen, wolltest du deine Schwester nicht noch etwas fragen?!«

Delilah fiel fast vom Stuhl und riss die Augen auf. »Mooom!«, rief sie vorwurfsvoll. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken und spürte, wie ich rot wurde.

Jetzt. Jetzt würde sie ihnen von meiner Aktion vor der Eisdiele erzählen, ich war mir sicher. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen und ich hielt die Luft an.

»Ich kann sie nicht mitnehmen. Wir wollen unter uns bleiben.« Trotz des Seitenhiebs schaffte sie es unschuldig drein zu schauen.

»Du wirst deine Freunde schon umstimmen können.«

»Außerdem ist das Auto voll…«

Mom unterbrach sie mit einer unwirschen Handbewegung. »Dann fahrt ihr eben mit einem Auto mehr. Das wird kein Problem sein!« In ihrer Stimme schwang Missmut mit.

»Aber das ist ein Privatstrand. Ich kann nicht einfach alle möglichen Leute mitnehmen, das…«

»ES REICHT, DELILAH! Entweder du nimmst sie mit oder du bleibst daheim. Ende der Diskussion.«

Entschlossen legte sie das Besteck zur Seite und wollte aufstehen. Doch jetzt meldete ich mich zu Wort. Keiner hatte mich gefragt, was ich eigentlich davon hielt. Aber dann hatte Delilah erwähnt, dass es wohl ans Meer gehen würde und da wollte ich auf gar keinen Fall hin. Unter keinen Umständen, absolut nicht.

»Ist schon in Ordnung, ich muss da wirklich nicht mit. Ich habe genug Hausaufgaben zu machen und Dan wollte mit mir ein neues Beet anlegen.«

Bitte, bitte, hör auf, darauf zu bestehen, Brenda, flehte ich in Gedanken.

»Siehst du? Sie will gar nicht mit. Wir können sie ja nicht zwingen«, säuselte Delilah sanft und griff nach ihrem Glas. Sie lächelte und schien zufrieden.

Doch Mom hatte endgültig genug: »Ich gehe jetzt zu Bett, ich hatte einen anstrengenden Tag. Ihr zwei habt gehört, was ich gesagt habe und ich erwarte, dass ihr euch daran haltet. Jetzt helft eurem Vater in der Küche. DELILAH, ich dulde keine Widerworte!«

Ihre Tochter war aufgesprungen, das hübsche Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen. Jetzt wurde sie rot und schien fast zu platzen. Statt ihrer Mutter wütende Worte entgegenzuschleudern, fing sie an die Teller zusammen zu tragen, um sie dann schwungvoll in die Spülmaschine zu räumen, danach pfefferte sie die Servietten in den Mülleimer und rauschte aus der Küche. Wir hatten sie schweigend und in Moms Fall, verblüfft angestarrt. Die seufzte nun.

»War ich zu hart mit ihr? Sollte ich besser nach ihr sehen, bevor sie wieder einen…«, sie unterbrach sich und warf mir einen merkwürdigen Blick zu.

»Ich denke, sie wird schon zurechtkommen. Ich sehe später nach ihr. Leg dich ruhig hin, Schatz«, sagte Dan und ging um den Tisch herum auf sie zu. Als er sie sanft in die Arme schloss, schaute ich verlegen weg. Leise machte ich mich daran die Töpfe und den Rest der Küche aufzuräumen.

»Schon in Ordnung, Clara. Ich mach den Rest, geh nur«, meinte Dan, der von hinten an mich herangetreten war und mir jetzt eine Hand auf die Schulter legte. Ich zuckte zurück und duckte mich unter seiner Berührung weg. Bereute es aber sofort, als ich Dans enttäuschten Blick auffing. Er verstand, dass ich mich nicht gern anfassen ließ, aber meine unbeabsichtigte Ablehnung schien ihn zu verletzen.

 

»Es macht mir nichts aus, Dan«, murmelte ich und schaute auf den Boden.

Er atmete hörbar aus und zwang sich dann zu einem Lächeln.

»Gib mir mal das Geschirrtuch, dann schaffen wir es schneller.« Schweigend machten wir den Abwasch. Hin und wieder war das Klirren von Besteck zu hören, das Dan in einer Schublade verstaute. Danach setzte ich mich zu ihm ins Wohnzimmer, es lief ein Baseballspiel im Fernsehen, das ich nur halb verfolgte. Aber alleine in meinem Zimmer zu sitzen und zu grübeln, wäre noch schlimmer gewesen.

Meine Gedanken kreisten um Delilah. Sie war eine fürchterlich eingebildete Göre und lügen konnte sie wie gedruckt. Ihre Eltern ließen sich von ihr um den Finger wickeln, ohne zu merken, dass sie veräppelt wurden. Sie konnten einem beinahe leidtun.

Erschrocken fuhr ich zusammen als ich bemerkte, dass ich Dan und Mom zweimal ihre Eltern genannt hatte und nicht unsere.

Was für ein furchtbarer Tag, dachte ich und war plötzlich todmüde. Ich wünschte Dan eine gute Nacht als ich vom Sofa aufstand und schlich in mein Zimmer. Zum Glück war Delilahs Tür schon zu, für eine Konfrontation mit ihr, hatte ich einfach keine Kraft mehr.

Ich schaffte es noch meine Zähne zu putzen und den Wecker zu stellen, da fiel ich auch schon müde ins Bett und schlief sofort ein.