Der erste Russe

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die Rubriken rückten beiseite, wahrscheinlich, um mir Platz zum Sitzen zu machen.

»Der tolle Typ hier wird seine neue Erzählung in unsere Zeitschrift einbringen«, verkündete Akako mit einem Hauch ironischer Feierlichkeit, »und dann bekommen wir für jede Ausgabe ein Gedicht oder eine Erzählung, allerdings nicht nur von diesem tollen Typen hier, sondern auch von anderen«, er lachte, »wir müssen Literatur und Politik zu Freunden machen.«

»Oh, toll«, zwitscherte die Konfliktologie.

»Wie heißt der Text?«

Ich nannte den Titel.

»Ist er über Russland?«

»Nein, über die Beziehungen zwischen Russland und Georgien, symbolisiert durch Königin Tamar und ihren ersten Ehemann.«

»Uh, ist es etwas Skandalöses?«, fragte erfreut die gelockte junge Frau, die mir gegenübersaß (wie sich später herausstellte, die Rubrik Porträts).

»Nein, eher Politsatire«, antwortete ich.

»Große Satiriker kommen nach Georgien, sehr große!«, rief Akako aus und schrieb in schiefen Lettern den Titel meiner Erzählung an die Tafel.

»Und das ist von mir.« Akako verzierte die Lettern, so gut er konnte: »Das Manifest der Liebe.«

Ein seliges Grinsen machte sich auf unseren Gesichtern breit.

»Neulich hab ich die Zeitungen durchgeblättert und konnte kaum glauben, was für Artikelüberschriften die haben«, kreischte Akako, »wer hat wen wie ermordet, wem wurde der Schädel eingeschlagen, wer plant die nächste Schandtat … Von wem droht Georgien die größte Gefahr? Wer hasst die georgische Nation am meisten?«

»Das denkst du dir aus«, sagte die vom Lachen rot gewordene Schwarzhaarige, Tina, die Rechtsbeauftragte der Stiftung.

»Gar nichts denke ich mir aus.« Akako sah die Juristin warnend an. »Das ist ein abgekartetes Spiel, mit dem die Gesellschaft eingelullt und eingeschüchtert werden soll, deshalb müssen wir uns in allen Belangen abheben: Wir müssen die Leute mit Optimismus aufrütteln …«

»Dann lasst sie uns aufrütteln«, sagte die Justiz und Gesellschaft lächelnd mit heiserer Stimme.

»Was?« Akako blickte sie an.

»Ich bin begeistert von deinen Slogans«, sagte sie und lachte.

Zu Akakos Tonfall und Temperament passte unübersehbar seine Kleidung: ein gelbes Jackett (er zog es beim Reden aus und stand nunmehr im grünen T-Shirt da), blaue Hosen und schwere weiße Boots. Unterhalb der Taille sah er aus wie ein exzentrischer Tourist, oberhalb – wie ein Sporttrainer. Sein unpassender Kleidungsstil mutete irgendwie ketzerisch für unsere Realität an – wenn er bunt wie ein Papagei auf die Straße ging, schauten ihn die Passanten verunsichert und böse an, als sei er nicht ganz normal.

Selbst seine Gestik unterschied sich von allen anderen: In Georgien war man heutzutage zu faul geworden, sich so aktiv zu bewegen und schwindelerregend mit den Händen zu fuchteln wie er, weil alle meinten, dieser Kraftaufwand brächte – sei es physisch oder auch hinsichtlich des Redeinhalts – kein Ergebnis. Vielleicht genau wegen seiner sinnlos energiegeladenen Art wirkte Akako beim Reden wie eine ungelenke Puppe. Einer unwichtigen Phrase (zum Beispiel »Lasst uns Schlagzeilen schreiben«) ließ er eine ausladende Choreografie folgen und fuchtelte so mit den Armen, dass man denken konnte, er wolle seine eigene Rede in Gebärdensprache übersetzen.

Als er das Jackett auszog, rutschte sein T-Shirt hoch, und der Bauchnabel kam zum Vorschein. Sofort schauten Ökologie und Urbanistik und Politik und Gesellschaft auf seinen flachen Bauch. Mir war gleich klar, dass sie von Akako betört waren. Die Politik und Gesellschaft bekam sogar einen fleckigen Hals, als der Redakteur ihr unvermittelt die Hände auf die Schultern legte.

Ansonsten passierte im Diskussionszimmer nicht viel Erwähnenswertes. Nachdem er die Schlagzeilen der Publikation aufgeschrieben hatte, schlug Akako vor, in die Küche zu gehen, wo wir die Möglichkeit hatten, krümeliges Gebäck zu verzehren.

Die Ökologie und Urbanistik, mit Oberlehrerinnengesicht und wild wallendem grauen Haar, aß im Gegensatz zu mir das Gebäck erstaunlich geschickt ohne zu krümeln und machte mir mit schwer beleidigter Miene, die normalerweise einen Vorwurf erwarten lässt, ein Kompliment: »Sie gefallen mir. Das sage ich Ihnen freiheraus.«

Mir blieb nicht mal Zeit für Verwirrung, denn sie fuhr sogleich fort: »Ich sehe zwar selten fern – dafür habe ich keinen Nerv –, aber einige Male habe ich Sie doch gesehen, und das war gar nicht so übel. Was Sie schreiben, hab ich nicht gelesen … Für schöngeistige Literatur habe ich wirklich keine Zeit, aber ich weiß, dass Sie die Rechtschreibung gut beherrschen.«

Mir war gleich klar, dass das ein Witz sein sollte, und deshalb lachte ich laut los.

»Ich hab was gelesen«, auf hohen Absätzen näherte sich uns die Auslandspressebeobachtung und stellte sich in der Küche dazu, »und ich verstehe die Leute absolut nicht, die über die modernen kulturellen Strömungen schimpfen. Warum werden Sie eigentlich beschimpft?«, entfuhr es ihr.

»Keine Ahnung«, antwortete ich, »aber alle, die uns unberechtigterweise beschimpfen, werden dafür büßen.«

»Dato« – die Ökologie und Urbanistik rückte ihre Brille zurecht (unglaublich, dass sie meinen Namen genauso wie die Journalistin neulich verwechselte, mittlerweile war das echt ärgerlich) – »einige Leute sind von euch neuen Schriftstellern echt genervt, ihr seid nämlich weder im Benehmen noch in der Ausdrucksweise wie die Schriftsteller der alten Generation, für die habt ihr keine Manieren, deshalb … oh, Entschuldigung«, ihr fiel ein Stück Gebäck auf den Boden, »hab ich jemanden bekleckert? Nein, ist noch mal gut gegangen … Kurzum, ihr seid weder im Aussehen noch im Benehmen wie die alten Schriftsteller … Verstehen Sie mich nicht falsch. Vielleicht ist das spitzfindig, aber dort trägt man eine andere Frisur, andere Kleidung, das heißt, man ist eine andere Art Schriftsteller …«

»Ein guter Schriftsteller darf bei uns nicht im Fernsehen auftreten«, warf ich ein, »oder wenn, dann sollte er dem Journalisten sein Buch über den Schädel ziehen.«

»Ah ja, den Beitrag habe ich gestern auch gesehen … Echt peinlich.«

»Oh, was für eine interessante Unterhaltung ihr da führt, sollte man glatt abdrucken«, flötete die Auslandspressebeobachtung, wobei ihr anzusehen war, dass sie das Gespräch passend zu ihrer Tasse Kaffee lieber auf belanglosere Themen gelenkt hätte.

Die Ökologie und Urbanistik ging nicht auf ihre Bemerkung ein.

»Wissen Sie, warum er nicht öffentlich in Erscheinung treten sollte?«, fuhr die Ökologie in vertraulichem, lehrerhaftem Tonfall fort. »Jeder Sowjetschriftsteller, der öffentlich auftrat, galt als Teil der kommunistischen Nomenklatur, auch ideologisch betrachtet; ein ordentlicher, guter Schriftsteller hatte zu Hause zu sitzen. So unterschied jedenfalls meine Generation die ehrenwerten von den unehrenwerten. Heute ist das nur wie ein Reflex, die Erinnerung des Lesers sagt, dass jener Schriftsteller, der öffentlich und aktiv in Erscheinung tritt, vielleicht gar kein guter Schriftsteller ist, weil gute Schriftsteller in der Sowjetzeit immer Asoziale waren.«

»Was für eine präzise Analyse.«

»Entschuldigung.« Die Pressebeobachtung lächelte, wohl zum Zeichen, dass sie aufbrechen wollte, in die Runde, warf die zerknüllte Serviette in den Mülleimer und stöckelte püppchenhaft nickend aus der Küche.

»Hach«, entfuhr es der Ökologie und Urbanistik, »diese jungen Mädchen wollen alle nur unter die Haube …«

Ich schaute der Auslandspressebeobachtung nach, um herauszufinden, wie die Ökologie und Urbanistik darauf kam. Wahrscheinlich waren es der leicht dümmlich wackelnde Kopf, der rote Lippenstift und die vom Stehen auf hohen Absatzschuhen noch krummer gewordenen langen Beine.

Vom Gebäck hatte ich klebrige Hände bekommen, deshalb entschuldigte ich mich bei der strengen, ernsten Frau und ging auf die dunkle Glasveranda hinaus, wo meines Wissens auch eine funktionierende Toilette sein musste. Unterwegs traf ich die Putzfrau Natela, bei der ich mich, statt zu grüßen, ebenfalls entschuldigte und die weiße Tür öffnete.

Ich dachte, ich wäre nun in der Toilette (weil mich die Ökologie und Urbanistik dorthin geschickt hatte), fand mich aber in einem höhlenartigen Raum wieder.

»Ach du meine Güte!«, hörte ich eine Stimme kreischen.

»Entschuldigung«, sagte ich und schloss die Tür sofort wieder, hatte aber doch schon gesehen, wie Akako gerade die »Ach du meine Güte«-Kreischende umarmte. Das war mit Sicherheit nicht Lena gewesen, denn die hätte nicht auf Georgisch gekreischt.

»Ist da jemand drin?«, fragte Natela.

»Nein … Äh … Ich weiß nicht«, antwortete ich verwirrt und ging zum Ausgang.

Natela war anzusehen, dass sie die Tür garantiert nicht so schnell wieder schließen würde wie ich.

(–5)

Alle sagten, dass das, was erst im Schriftstellerverband und nun im Institut für Liberalismus passiert war, eine bewusste Provokation seitens der Regierung gewesen sei, um die Aufmerksamkeit der Leute, die in den Straßen Barrikaden errichteten, auf andere Themen zu lenken. Genauer gesagt, nicht so sehr auf Themen, sondern auf gefährliche Spiele, mit denen die Menschen verwirrt, auseinandergetrieben und abgelenkt werden konnten.

Seit dem lächerlichen Streit im Schriftstellerverband waren gerade mal zwei Tage vergangen, als die Nichtregierungsorganisation Institut für Liberalismus überfallen wurde. Viele erfuhren sogar erst durch den Überfall, dass es überhaupt ein Institut für Liberalismus gab (welches sich in Wahrheit als halber Keller im Sololaki-Viertel entpuppte). Einige mit Schals und Mützen vermummte Männer hatten fünf Mitarbeiter des Instituts brutal verprügelt und die spendenfinanzierten acht Computer einen nach dem anderen auf den Boden geworfen. Außerdem schlugen sie einem zufällig anwesenden, gar nicht mal so erfolgreichen Publizisten die Zähne ein und bedrohten den Nachbarn, der wegen des Radaus aus seiner Tür gespäht hatte. Er rief die Polizei, die aber erst eintraf, als die Schläger sich aus dem Staub gemacht hatten.

 

Einer der Mitarbeiter mit blauem Auge brachte den Überfall mit einer Aktion vor einigen Tagen in Verbindung, mit der die Diskriminierung der Zeugen Jehovas angeprangert worden war. Eine Woche vor der Institutsaktion hatten aggressive Unbekannte ein paar Sektenmitglieder bei der Metrostation Awlabari verprügelt, deren penibel gebügelte weiße Hemden zerfetzt und die dünnen Heftchen zerrissen, die diese am Aufgang zur Metro ausgelegt hatten (»Möchtest du wissen, wie du Unsterblichkeit erlangst?«). Ein verprügelter Jugendlicher hatte das Institut für Liberalismus um Hilfe gebeten, woraufhin an der Metrostation eine Aktion geplant wurde. Die Institutsmitarbeiter gaben einigen orthodoxen Priestern und der Regierung die Schuld an der Diskriminierung anderer Konfessionen und Sekten und verkündeten den Journalisten, sie würden bald Filmmaterial von Predigten namentlich ungenannter (aber bekannter) geistlicher Personen preisgeben, in dem diese offen zur Gewalt gegenüber den Sektenmitgliedern aufriefen. Die Hauptzielscheibe der Aktion war einer der Haupttäter (wenn nicht der Haupttäter schlechthin), irgendein Vater Boris, aus der orthodoxen Kirche ausgeschlossen, aber unheimlich einflussreich in seiner treuen Gemeinde.

»Wir wurden von der Bande dieses Halunken ausgeplündert«, sagte der Gründer des Instituts für Liberalismus, der seine zerrissene Jacke als Beweisgegenstand ins Studio von Tbilissi2 mitgebracht hatte, »diese Leute stammen aus seiner Gemeinde, und ich kann mit Sicherheit sagen, Vater Boris und seine Taugenichtse werden von der Regierung gedeckt. Nicht ausgeschlossen, dass Vater Boris’ Exkommunizierung nur formellen Charakter hat und sie ihn genau deshalb die krummen Dinger drehen ließen, beziehungsweise ihm unsere Einschüchterung in die Schuhe schieben. Das Umfeld des Präsidenten hat Angst vor uns, weil wir stets ihre Korruptheit und andere Verbrechen aufdecken, außerdem versuchen sie uns mithilfe dieser kriminellen Banden zum Schweigen zu bringen. Oder was glaubt ihr, warum die Polizei nicht rechtzeitig gekommen ist?«

Der Mann, dessen Lippen unnatürlich und irgendwie pervers glänzten (jedenfalls waren sich die Gemeindemitglieder von Vater Boris sicher, dass er Lippenstift aufgelegt hatte), hielt immer wieder seine Jacke mit den zerrissenen Ärmeln hoch und wiederholte beschwörend, dass im Wahljahr, also im kommenden Jahr, solche Überfälle noch zunehmen würden.

Bei Tbilissi2, dem Fernsehsender, dem die Zuschauer am meisten vertrauten, war die Verwüstung des Büros Hauptthema des Tages, während sie auf dem Ersten Kanal des staatlichen Fernsehens gerade mal auf dem letzten Sendeplatz in den Abendnachrichten landete. »Das ist als siebzehnter Beitrag ausgestrahlt worden«, sagten die Auskenner, so als ob man von der Reihenfolge direkt auf die Zuschauerzahlen schließen oder die Bedeutung des Beitrags davon ableiten könnte. Schon möglich, denn die ersten, meist nicht besonders wichtigen Meldungen gewinnen manchmal an schicksalhafter Bedeutung, während Ereignisse, die jenseits der Fernsehkameras ablaufen, häufig als nicht passiert gelten oder sogar als nicht existent.

Die Darstellung des Vorfalls im Institut für Liberalismus war keine Ausnahme: Zwischen der Berichterstattung des Ersten Kanals und der der kritischen Medien (vor allem Tbilissi2) lagen Welten: Das Staatsfernsehen beschrieb ein optimistisches, in einem stabilen Entwicklungsprozess befindliches Georgien, Tbilissi2 jedoch ein stagnierendes, rückschrittliches, in Korruption versunkenes und gefährliches Land. Während die Verwüstung des Instituts für Liberalismus im Staatsfernsehen als siebzehnter Beitrag gesendet wurde, bekam die erfolgreich abgehandelte Tagesordnung des Präsidenten den ersten und zweiten Sendeplatz zugewiesen. Erster Beitrag: Der Präsident ist zur Predigt in der Kathedralkirche anwesend. Zweiter Beitrag: Der Präsident trifft seinen früheren Kollegen, den ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher, in seiner Regierungsresidenz im Krzanissi-Viertel.

Aus psychologisch unerfindlichen Gründen richteten sich die Aussagen eines Interviewten danach, auf welchem Sender sie ausgestrahlt wurden. Der wilde, breitgesichtige Vater Boris, der sich sowohl im siebzehnten Bericht des Staatsfernsehens als auch im ersten Bericht von Tbilissi2 rechtfertigen musste, war im Staatsfernsehen um einiges friedlicher und ausgeglichener als auf dem kritischen Privatsender. Auf dem Ersten wiederholte er mit kindlicher Naivität, er bekämpfe Sektenangehörige und vom Teufel Besessene nur mit entlarvenden Worten und Gebeten und nicht mit dem Schwert, bei Tbilissi2 beschimpfte er nahezu wutschnaubend Religionsgegner und verfluchte alle, die seiner Meinung nach dem wahrhaftigen Glauben den Krieg erklärt hatten. Als er erfuhr, dass seine Gemeindemitglieder der Verwüstung des Instituts für Liberalismus beschuldigt wurden, tat er vor Journalisten des Ersten Kanals noch erstaunt, ging im Bericht von Tbilissi2 jedoch gleich zu Beginn des Interviews zum Schreien über und wies auf das Kameraobjektiv, weil der Kameramann es gewagt hatte, ihn zu filmen. Auf diesem Sender hatte er ein breiteres und deformierteres Gesicht als auf anderen, genauer gesagt, war nicht das Gesicht das Problem, sondern der in die Breite gegangene, zerzauste und schmutzige Bart, dessentwegen sein viereckiger Kopf kaum ins Fernsehformat passte.

Akako, der seit dem Tag seiner Ankunft pausenlos beschäftigt war, brachte die Nachricht über die Verwüstung des Instituts für Liberalismus an den Rand der Verzweiflung; er wusste schon nicht mehr, ob er die erste Ausgabe seines »Manifests der Liebe« den Straßenbarrikaden, dem Streit im Schriftstellerverband oder den Sektenmitgliedern und dem Institut für Liberalismus widmen sollte.

Seine Sprechweise gaukelte zwar eine lockere Stimmung vor, in Wirklichkeit war er jedoch offensichtlich eifersüchtig auf jene, die momentan in aller Munde waren. Deshalb verlas er an dem Tag, als alle nur über das im Fernsehen gezeigte große Unglück des Tages sprachen, in der Redaktion laut schreiend sein mehrfach überarbeitetes »Manifest der Liebe« und echauffierte sich völlig übertrieben und fast schon beleidigend über den Stiftungsleiter, Herrn Schota, weil dieser eine schüchterne Anmerkung zum Text gemacht hatte. Akako ließ die Zerstörer des Instituts für Liberalismus wissen, sie hätten lieber die Redaktion der »Freien Epoche« überfallen sollen, denn wir seien seiner Meinung nach ja gefährlicher als alle anderen, die Ambitionen für das Predigen liberaler Werte in Georgien hegten. »Kommt doch her und zerstört uns, wenn ihr euch traut! Kommt doch her und bekämpft uns, wenn ihr könnt!«

»Ah«, sagte Herr Schota erstaunt, der Bemerkungen nur mit verwundertem Gesicht machen konnte, »warum diese Aggression? Soll das ein Aufruf sein? Und wozu? Der Leser könnte den Eindruck gewinnen, dass wir unbedingt … verprügelt werden wollen. So in der Art, kommt, hier sind wir, schlagt uns doch. Das ist, denke ich, schlecht. Oder nicht?«

»Sollen wir schon im Voraus unsere Kapitulation erklären?« Akakos Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, was bei ihm ein Lächeln sein sollte.

»Das ist Pathos, oder?« Herr Schota breitete die Arme aus.

Wahrscheinlich wäre Akako noch wütender geworden oder hätte irgendeine Dummheit angestellt, für die er sich dann hätte entschuldigen müssen, wäre nicht Eva ins Zimmer gekommen. Ihre Nasenflügel bebten sichtlich vor Anspannung, man konnte denken, sie habe die Erregung ihres Mannes nicht nur an dessen Stimme und Timbre, sondern am Geruch erkannt. Die Frau wirkte, als wolle sie sich gleich, ohne zu wissen, worum es überhaupt ging, in die Diskussion einmischen, doch Akako wandte sich mitleidig und gönnerhaft grinsend an Herrn Schota, der sich beim Hereinkommen seiner Frau in die Brust geworfen hatte: »Den Absatz werde ich überarbeiten, aber den Kampf nehme ich dennoch auf«, sagte er.

In diesem Moment wirkten beide wie ein schlechtes Voiceover amerikanischer Kinohelden, besonders Akako, der säuerlich lächelte und dem es nicht gelang, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Ich setzte mich zur Korrektorin an den Computer, sie kontrollierte die Layoutversion meiner Erzählung.

»Kampf nur um des Kampfes willen oder für ein Ziel?«, fragte Eva, obwohl sie nicht mal wusste, worum es ging, aber immerhin hatte sie begriffen, dass ihr Mann anderer Auffassung war als Akako.

»Kampf um den Sieg, meine olle Eva!« Akako hob die Faust und lächelte vergleichsweise echt.

Die Anrede »olle Eva« war ziemlich taktlos, denn die Frau war angeblich zehn Jahre älter als Herr Schota (Eva selbst behauptete, sie sei vier Jahre älter), aber Akako ließ ihr keine Zeit zum Aufbegehren, sondern begrüßte sie, indem er die Arme um sie schlang, sie hin und her schwang und dabei »Ooolle Eeeva« trällerte, sie wieder auf den Boden stellte oder, besser gesagt, sie fallen ließ und aus dem Zimmer rannte.

»Verrückt ist der Junge, verrückt!«, sagte Herr Schota, zuckte mit den Schultern und zog ein Taschentuch hervor, um sich den Schweiß von der Schläfe zu wischen.

»Mir ist ganz schwindelig von seiner Umarmung«, sagte Eva in genau demselben Tonfall wie ihr Mann.

»Gefällt Ihnen die Erzählung?«, wandte sich Schota an mich.

»Meine?«, fragte ich verwundert.

»Jawohl«, sagte er und nickte mir zu.

»Keine Ahnung, ja.« Ich war verwirrt.

»Oder sind Sie voreingenommen?«

»Dem Text gegenüber?«

»Warum auch nicht«, sagte er lachend.

»Ja«, erwiderte ich und versuchte ein Lächeln.

»Das ist gut.« Herr Schota hob den Daumen.

Wahrscheinlich wollte er etwas anderes fragen, oder ihm fiel erst nach seiner Frage ein, dass die Erzählung von mir war, und kriegte die Kurve nicht mehr. Kurzum, ihm wurde von selbst klar, dass ihm, seit er hereingekommen war, mit niemandem ein vernünftiger Dialog geglückt war, deshalb schaute er auf die Uhr und ging, etwas vor sich hin trällernd, mit Eva hinaus.

»Ein lieber Kerl«, sagte ich zu meiner Korrektorin.

Die Korrektorin schaute mich an und antwortete mit einer vom Nichtreden belegten Stimme (wahrscheinlich hatte sie vor fünf, sechs Stunden das letzte Mal etwas laut gesagt, wenn nicht sogar gestern): »Herr Schota hat ein weiches Herz.«

Aus der Mundhöhle des Mädchens strömte mir ein schwerer Geruch entgegen, dass ich für einen Moment weder antworten, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen konnte, doch ich sammelte mich schnell wieder, lächelte sie an und wies sie auf einen fehlenden Buchstaben hin, den sie auf ihrem Computerbildschirm auch ohne mich entdeckt hätte.

In diesem Raum hatte ich bereits ausreichend emotionale und physiologische Eindrücke gesammelt, deshalb ging ich hinaus in die Küche, wo wir wie ein Museumsexponat eine neue Kaffeemaschine stehen hatten.

Akako folgte mir auf dem Fuße; ich hatte schon seit zwei Tagen den Eindruck, er wolle mir etwas sagen, hatte aber den richtigen Zeitpunkt und Tonfall noch nicht gefunden.

»Sie fängt gut an, deine Erzählung, mein Lieber, ich hab nur noch ungefähr drei Seiten zu lesen. Übrigens, die Seiten sind durcheinander und die Kapitel falsch nummeriert.«

Er hatte nicht begriffen, dass ich die Kapitel absichtlich von hinten beginnend nummeriert hatte.

»Du musst von hinten anfangen zu lesen, das ist so beabsichtigt«, erklärte ich ihm meine Sicht.

»Von hinten? Wie denn? Spiegelverkehrt?« Er war verwundert.

»Du musst die Seiten von rechts nach links umblättern und nicht umgekehrt.«

»Wie im Arabischen?«

»Nein, gelesen wird es normal, man muss nur verkehrt herum umblättern.«

»Warum?«

»Das ist das Konzept.«

»Ah, klaro.«

Bestimmt hatte er den Text noch nicht einmal durchgesehen und tat einfach verständnisvoll. Sein Gesichtsausdruck wirkte nämlich so, als würde er jemanden parodieren wollen (was für mich hieß, das Thema war für ihn beendet). Er zog eine lustige Grimasse und sagte das, was er mir eigentlich hatte sagen wollen, in einem scherzhaften Tonfall: »Gestern ist ein kleines Malheur passiert, mein Guter …«

Ich verstand nicht ganz, was er meinte.

»Was für ein Malheur?«

 

»Als du plötzlich in der Tür standst …«

Er verstummte. Er wollte herausfinden, ob ich ihn erkannt hatte oder nicht.

»Hier gibt es ein Männerdefizit«, er lachte leise, »früher war das nicht so … Hast du uns gesehen?«

»Ich hab nichts gesehen, nur ›Ach du meine Güte‹ gehört …«

»Ach du meine Güte und oh«, sagte er erfreut, machte Faxen und rief noch eine ganze Weile dieses »Oh«: »Oh, oh, oh …«

Dann wurde er ernst und schaute mich verschwörerisch an: »Aber ich habe eine Devise, besonders auf der Arbeit: Nichts mit niemandem.«

»Versteh ich«, sagte ich beipflichtend.

»Hier ist Sex verboten.«

»Ah, toi, toi, toi.« Ich weiß nicht, warum, aber ich spuckte dreimal aus. Unwillkürlich wechselte ich in seinen Tonfall.

»Toi, toi, toi, hervorragend«, er lachte, »das hatte ich ja total vergessen«, er spuckte dreimal aus, »toi, toi, toi … Ich hab bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr dreimal ausgespuckt. In Deutschland gibt’s fürs Spucken eine Strafe.«

In der Zwischenzeit hatte das Wasser gekocht.

»Alles in Ordnung mit dir und Ani?«, fragte er.

»Klar.« Ich verstand nicht, worauf er anspielte.

»Zwischen euch herrscht Gleichberechtigung, und das gefällt mir, bravo, hier ist das nicht so, es herrscht die totale Hierarchie …«

»Ja, klar.« Ich wusste immer noch nicht, wovon er sprach.

»Hast du das Cover schon gesehen?« Er wies zum Ausgang. »Komm mit, ich zeig’s dir.«

Akako drängte mich zu seinem Zimmer, das hinter der Glasveranda lag, ich konnte gerade so noch den Teekessel vom Gasherd nehmen und folgte seinen riesigen Schritten.

In Akakos Zimmer, den Rücken zu uns und das Gesicht zum Fenster gewandt, die Arme auf der Brust verschränkt, stand die Politik und Gesellschaft und hatte offenbar erwartet, der Redakteur würde allein in sein Büro kommen: »Hör mal«, sagte sie in einem Tonfall, der keinesfalls erahnen ließ, dass sie meine Anwesenheit bemerkt hatte. Dieses »Hör mal« war schon viel mehr als eine freundschaftliche Anrede. Es klang wie ein Vorwurf.

»Oh, wir haben wohl Besuch«, rief Akako, die Politik und Gesellschaft drehte sich zu uns um und machte das gleiche Gesicht, wie sie es gestern wahrscheinlich beim »Ach du meine Güte« gehabt hatte, jedenfalls wich der unbefangene und vorwurfsvolle Tonfall aus ihrer Stimme: »Ich hielt euch für Natela«, sagte sie.

Sie hielt uns beide für Natela?! Ihr war nichts Gescheiteres in den Sinn gekommen.

Das muss Liebe sein, dachte ich und blieb an der Tür stehen: Ich wusste nicht, ob ich gehen oder bleiben sollte.

»Hier, unser Cover.« Akako hielt ein Blatt Papier hoch, das auf dem Schreibtisch gelegen hatte.

Auf das Blatt war ein großes rotes Herz gemalt. »Das Manifest der Liebe.«

(–6)

Aufgrund der sozialen Funktion, die mir die Medien zugewiesen hatten, und auch, weil ich im Alltag keine andere Funktion und deshalb viel Freizeit hatte, besuchte ich manchmal – in letzter Zeit jedoch immer öfter – Orte, wo ich nur um des Hingehens willen hinging und um mich angesagt zu fühlen. Deswegen zögerte ich nicht lange, als mich mein Schriftstellerkollege Dato eins bat, mit ihm zusammen zur Nichtregierungsorganisation »Freie Wahlen« zu gehen (er sagte, man würde uns beide erwarten, aber ich hatte den Verdacht, er hatte bloß keine Lust alleine hinzugehen).

»Nein, sie haben nur gesagt, ich soll dich mitbringen, sie haben mich angerufen.« Dato eins schaute aufs Telefon, als müsste er mir die Nummer des eingegangenen Anrufs vom Display vorlesen, um meine Einladung zu beweisen.

Den wie Pilze aus dem Boden geschossenen Nichtregierungsorganisationen gegenüber hatte ich fast die gleiche Haltung wie gegenüber dem Antihelden, den sie kritisierten – dem greisen Präsidenten, der nicht mal richtig begriffen hatte, welches Motiv und Ziel die Mitarbeiter dieser Organisationen verfolgten: »Wer finanziert das? Was sind das für Leute? Was wollen die?«, fragte er manchmal ehrlich empört.

Das Erste, was mir beim Betreten des »Freie Wahlen«-Büros ins Auge fiel, waren die Eduard-Schewardnadse-Karikaturen mit rot geschriebenen Parolen darunter: »Mehr Demokratie!«, »Seid nicht faul, geht wählen!«, »Wer nicht wählen geht, gibt den Wahlfälschern seine Stimme!«, »Dieser Mann regiert das Land seit deiner Geburt. Worauf wartest du?«

»Kommen Sie doch rein, ich bin Artschil.« Ein junger, frühzeitig kahl gewordener Mann, der ungeachtet der Kälte Shorts trug, reichte uns die Hand. »Ich kenne Ihren Vater«, sagte er lächelnd zu mir, »unser früheres Büro lag neben seinem Atelier, wir haben uns öfters vom Fenster aus gegrüßt. Er hat morgens sehr energisch den Pinsel durch die Luft geschwungen … Er hat wohl geübt.«

Er hatte nicht geübt – er hatte dirigiert, was Artschil aber offenbar nicht zu sagen wagte.

»Hier geh ich nicht rein«, schrie Dato eins plötzlich los, »Ich hab euch für normale Leute gehalten, was soll ich hier, mich vergiften oder was? Raucht ihr etwa?«

Artschil und derjenige, der wegen der Rauchwolke nicht zu sehen war, schauten Dato eins lächelnd und versöhnlich an, denn im Georgien des einundzwanzigsten Jahrhunderts konnte sich niemand vorstellen, wegen einer Zigarette einen Streit vom Zaun zu brechen.

»Das setzt sich in den Haaren fest und in den Klamotten.« Dato eins schnüffelte an seinen Hemdsärmeln.

»Ich mach das Fenster auf«, sagte Artschil erschrocken.

»Nein, bei offenem Fenster erfrieren wir, ich will nicht, dass eine Zigarette angemacht wird.«

»Er hat eine Aversion gegen Zigaretten«, sagte ich. »Habt ihr keinen anderen Raum?«

»Lasst uns in den Flur gehen, dort gibt es Stühle«, sprach einer aus dem Rauch heraus.

»Dort hält Nodar sein Training ab«, entgegnete Artschil dem Unsichtbaren.

»Tja, dann soll Nodar oder wer auch immer hier reinkommen, und wir gehen raus. Ist er Raucher?« Dato eins hielt sich die Mütze vor die Nase und roch daran.

Dieser Nodar hatte drei Mädchen im Flur sitzen und referierte über die virtuose Technik der Wahlbeobachtung, allerdings in sehr eigenartiger Form: Er hatte sein Gesicht mit irgendeinem langen grauen Fetzen bedeckt und hielt wie Themis Bleistift und Zettel in den Händen.

»Ihr seht nur die Füße von den Wählern in der Kabine, nicht den Körper und nicht die Hände«, sagte er.

»Nodar, Entschuldigung«, unterbrach ihn unser Gastgeber, »wir haben Gäste. Nimm mal das Handtuch runter und zeig dich kurz.«

Nodar zog augenblicklich den Fetzen herunter und streckte uns die Hand entgegen. Sein Haar war zerzaust wie bei einem Clown.

»Nodar ist professioneller Wahlbeobachter, er schafft im Jahr mindestens fünf, sechs Wahlen und hat sehr viel Erfahrung«, erklärte uns Artschil.

Nodar ignorierte das Kompliment und begrüßte mich und Dato eins mit Freundschaftskuss.

»Ich mach bald Zaubertricks, so sieht’s aus«, sagte er lachend.

»Rauchen Sie nicht?«, fragte Dato eins.

»Ich hab vor zehn Jahren aufgehört.«

»Sieh an, ein echter Europäer.« Dato eins warf einen Blick auf die gelangweilten, teilnahmslosen Mädchen. Er wollte wohl bei ihnen Eindruck schinden.

»Herrje, danke vielmals!« Nodar senkte den Kopf.

Nodar nahm an, wir seien zu ihm gekommen, um das Geheimnis der Wahlbeobachtung zu studieren, oder er wusste einfach nicht, über welches Thema er sonst hätte sprechen sollen, also setzte er das Gespräch in ruhigem Ton und mit nicht zum Thema passender Gutmütigkeit fort: »In die Systematik der Fälschung kann man nur Einblick gewinnen, indem man unmittelbar Hände und Gesicht der Fälscher beobachtet. Man muss auf den ersten Blick merken, was ein Bürger in seinem Wahlkreis tut. Der Blick huscht hin und her, die Augenbrauen sind unruhig. Alles Psychologie … Aber wenn Maskierte hereinstürmen und die Wahlurne stehlen, dann kann man nichts machen. Und das bringe ich den Mädels jetzt bei …«

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?