Die bedeutenden Historiker

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Flavius Iosephus

Flavius Iosephus, eigentlich Iosip ben Mathithjahu, stammte aus Jerusalem, wo er um das Jahr 37 n. Chr. geboren wurde. Dort gehörte er einer höher gestellten Familie an, die eng mit dem israelitischen Tempelkult und Priestertum verbunden war. Von sich selbst behauptete er sogar, dass er mit der Familie der Hasmonäer verwandt gewesen wäre (Vita, 2), die die judäischen Herrscher vom Ende des Makkabäerauftstands (165 v. Chr.) bis zur römischen Eroberung Jerusalems durch Pompeius im Jahr 63 v. Chr. stellten. Allerdings fehlen entsprechende Quellen, um dieses Selbstzeugnis kritisch zu überprüfen. Entgegen dem Rang und der Tradition seiner Familie schloss sich Iosephus der Gruppe der Pharisäer an, die in ihren politischen und religiösen Ansichten dem Volk recht nahe standen. Politisch aktiv wurde er erstmals im Rahmen einer Gesandtschaft nach Rom in den Jahren 64-66 n. Chr. Immerhin erreichte man damals die Freilassung jüdischer Priester, denen von Seiten der römischen Verwaltung politische Agitation gegen Rom zum Vorwurf gemacht worden war. Rom seinerseits war am Frieden in seinen Provinzen interessiert, sodass es sich durchaus zu Zugeständnissen bereit erklärte – was auf jüdischer Seite jedoch fälschlich als Schwäche interpretiert wurde. So kam es bald darauf zum Ausbruch eines jüdischen Aufstands gegen die römischen Statthalter Gessius Florus und Cestius Gallus, zumal der erstgenannte zur Zahlung der fälligen Abgaben Teile des jüdischen Tempelschatzes eingefordert hatte. Iosephus übernahm dabei ein größeres militärisches Kommando in der galiläischen Festung Iotapata. Wie er persönlich zu den sog. Zeloten, den jüdischen Glaubenseiferern stand, die entgegen den Empfehlungen der jerusalemitischen Priesteraristokratie zur offenen Rebellion gegen die Römer aufriefen, ist unklar. Gleichwohl gelang es dem damaligen Feldherrn Vespasian, Iotapata im Jahr 67 n. Chr. nach längerer Belagerung einzunehmen (Bell. iud., III, 340-391). Iosephus geriet dabei in römische Gefangenschaft, doch gelang es ihm, sich die Gunst Vespasians zu sichern, indem er ihm das Kaisertum voraussagte. Nach der Erhebung Vespasians zum princeps im Jahr 69 n. Chr. ließ dieser seinen Kriegsgefangenen frei, der sich danach in Rom niederließ. Anlässlich der Belagerung Jerusalems durch Titus begleitete ΙJosephus diesen im folgenden Jahr und kämpfte loyal auf römischer Seite. Zurückgekehrt in seine neue Heimat, erhielt er als Belohnung für seine treuen Dienste das römische Bürgerrecht, was ihm von Vespasians Familie her den Namen Flavius einbrachte. Außerdem bekam er eine feste jährliche Apanage sowie Landgüter, was ihm insgesamt ein sicheres Auskommen verschaffte. In seiner erhaltenen Biographie berichtet er von vier Ehen, deren letzte er mit einer kretischen Jüdin um das Jahr 75 n. Chr. schloss. Drei seiner Söhne dürften ihn überlebt haben. Aufgrund der Veröffentlichung seiner Schriften geht man für ihn von einem Todesdatum um das Jahr 100 n. Chr. aus.

Seine literarischen Werke verfasste Flavius Iosephus nach dem Jahr 70/71 n. Chr. in Rom. Sie sind alle in griechischer Sprache geschrieben worden, nur seinen Bericht über den Jüdischen Krieg dürfte er in zunächst in seiner Muttersprache Aramäisch aufgezeichnet haben. Mit Sicherheit besaß er auch hinreichende Lateinkenntnisse, aber als ein Autor aus dem hellenistischen Orient lag es in seiner Zeit durchaus nahe, sich für literarische Werke des Griechischen zu bedienen.

Um das Jahr 80 n. Chr. erschien als sein erstes Buch der Jüdische Krieg (griech. Perí tu Iudaïkú polému), den die Vorrede an die Oberschicht des Römischen Reiches adressiert. Zum größten Teil wird in den sieben Einzelbüchern der Verlauf des römisch-jüdischen Krieges vom Aufstand der Juden im Jahr 66 bis zum Fall der Bergfestung Massada im Jahr 73 n. Chr. skizziert, d.h. Ereignisse, von denen Iosephus die meisten selbst erlebt hatte. Dem schickte er eine Auflistung früherer Besetzungen Jerusalems und lokaler jüdischer Erhebungen ab dem Jahr 174 v. Chr. voraus, von denen insbesondere dem Makkabäeraufstand eine größere Bedeutung zukam. Iosephus gibt sich im gesamten Werk eher prorömisch und stellt heraus, dass es nicht der jerusalemitische Priesteradel gewesen sei, der zur Rebellion gegen die römische Oberhoheit aufgerufen habe, sondern religiöse Splittergruppen, und dabei insbesondere die Zeloten. Den flavischen Kaisern begegnet er mit großem Respekt, um deren Handlungsweise als für das jüdische Volk letzten Endes doch positiv herauszustellen. Aufgrund solcher Tendenzen verwundert es kaum, dass nicht nur dieses Werk des Iosephus im Judentum so gut wie gar nicht rezipiert wurde. Nur in das sog. Sefer Josippon, eine mittelalterliche hebräische Weltchronik, die um das Jahr 1000 im apulischen Oria entstand und die von der Erschaffung der Erde – was für hebräische Texte eher ungewöhnlich ist – bis zur Eroberung Jerusalems durch Titus im Jahr 70 n. Chr. reicht, hielt eine lateinische Fassung des Iosephus Einzug.

Sein zweites historiographisches Werk, die Jüdischen Altertümer (griech. Historia tes Iudaïkes Archaiologias) publizierte Iosephus im Jahr 93 n. Chr. Es handelt sich um 20 Bücher zur jüdischen Geschichte, wobei dem überlieferten Text ein Inhaltsverzeichnis zu den einzelnen Abschnitten vorangeht. Die Bücher I-X umfassen die Geschichte der Welt von der Schöpfung bis zur Zerstörung der altisraelitischen Königreiche und der persischen Oberhoheit. Grundlage dafür sind im Wesentlichen die alttestamentlichen Texte in hebräischer und griechischer Übersetzung. Der zweite Teil (bis Buch XX) beginnt bei Alexander dem Großen und endet im Jahr 66 n. Chr. mit dem Römisch-Jüdischen Krieg, wobei sich als Quellen unter anderem die Makkabäerbriefe, Polybios sowie die nur fragmentarisch erhaltene Universalgeschichte des Nikolaos von Damaskus (geb. um 65 v. Chr.) herausarbeiten lassen. Nikolaos war zunächst am Hof von Herodes dem Großen und danach in Rom im Umfeld des Augustus tätig. Daneben lassen sich unterschiedliche Dokumente und Archivalien bestimmen, zu denen Iosephus in Rom Zugang besessen haben muss.

Im weiteren Sinne der Geschichtsschreibung zuzuordnen ist noch seine Lebensbeschreibung (gr. Iosepu bios), die teils eigenständig, teils als Anhang zu den Jüdischen Altertümern überliefert ist. Teilweise überschneidet sich dieser Text mit den beiden zuvor genannten Werken, doch spielt das Motiv der persönlichen Rechtfertigung seines Verhaltens im römisch-jüdischen Krieg sowie sein Frontwechsel unter Vespasian bzw. Titus eine entscheidende Rolle. Gerade dies musste ihn vor seinen Glaubensgenossen als suspekt erscheinen lassen, ein Element, das sich in der nur sehr geringen Rezeption seines Werkes in der hebräischen Literatur der Folgezeit widerspiegelt. Ganz anders sah dies im griechischen und lateinischen Mittelalter aus, für das man eine starke Verbreitung seiner beiden Hauptschriften annehmen kann, und auch für den frühen Buchdruck sind hohe Auflagenzahlen belegt. Grund dafür dürfte in erster Linie gewesen sein, dass Iosephus Zeitgenosse Jesu Christi war und sich im überlieferten Text zwei Hinweise auf Jesus finden, auch wenn diese trotz immer wieder von kirchlicher Seite propagierter Einwände eindeutig als Einfügungen späterer Kopisten identifiziert werden konnten. Daneben schließen die Texte aber die zeitliche Lücke zwischen den beiden biblischen Testamenten, sie bieten also für einen christlichen Leser wesentliche Informationen, über die er anderweitig nicht verfügte. Im Umkehrschluss erschwerte dies natürlich seine Lektüre innerhalb des Judentums umso mehr.

Werke:

Flavius Josephus. Der Jüdische Krieg und Kleinere Schriften. Mit der Paragraphenzählung nach Benedict NIESE. Wiesbaden 2004.

Flavius Josephus, Jüdische Altertümer. Mit Paragraphenzählung nach Flavii Josephi Opera recognovit Benedictus Niese (Editio minor). Wiesbaden 2004.

Weiterführende Literatur:

Z. ROGERS, Making History. Iosephus and Historical Method. Leiden u.a. 2007 (Supplements for the Journal of the Study of Judaism, 110).

K.-St. KRIEGER, Geschichtsschreibung als Apologetik bei Flavius Josephus. Tübingen 1994 (Texte u. Arbeiten z. neutestamentl. Zeitalter 9).

H. LINDNER, Die Geschichtsauffassung des Flavius Josephus im Bellum Iudaicum. Gleichzeitig ein Beitrag zur Quellenfrage. Leiden u.a. 1972 (Arbeiten z. Geschichte d. antiken Judentums u. d. Urchristentums 12).

R. LAQUEUR, Der jüdische Historiker Flavius Josephus. Ein biographischer Versuch auf neuer quellenkritischer Grundlage. 2. Aufl. Gießen 1920 (Neudruck Darmstadt 1970).

Plutarchos aus Chaironeia

Plutarch ist der letzte bedeutende griechische Historiker der klassischen Antike. Geboren wurde er um das Jahr 46 in Chaironeia, einer griechischen Stadt in der Landschaft Böotien gut 50 km nördlich von Athen. Seine Familie war durchaus wohlhabend, sodass er sich einer philosophischen und rhetorischen Ausbildung unterziehen konnte. Diese erhielt Plutarch in Athen, wo zu seiner Zeit der aus Alexandria stammende Philosoph Ammonios lehrte, dessen Arbeiten dem Ziel gewidmet waren, Platon und Aristoteles in ein philosophisches System zu bringen. Nach eigenem Zeugnis beschäftigte sich Plutarch aber auch mit den Lehren der Stoiker und der Epikureer, die er mit kleineren Schriften bekämpfte. Zurückgekehrt nach Chaironeia bewirtschaftete er dort das Gut seines Vaters, das er geerbt hatte, da sein älterer Bruder Lamprias offenbar schon verstorben war. Mit seiner Frau Timoxena hatte er vier Kinder, von denen ihn nur die beiden Söhne Autobulos und Plutarch überleben sollten. Bedingt durch seine Bildung und seine soziale Position übernahm er eine ganze Reihe von öffentlichen Ämtern, zusätzlich wurde er im Jahr 95 in die Priesterschaft des Apollotempels von Delphi aufgenommen. Außerdem setzte er sein Geld dafür ein, in Chaironeia eine Schule für Philosophieunterricht zu gründen, an der er auch selbst lehrte. Wie sein Lehrer Ammonios sah er sich dabei in erster Linie dem (mittleren) Platonismus verpflichtet.

 

Als Kind seiner Zeit bereiste Plutarch wiederholt die östliche Mittelmeerwelt, was ihn unter anderem nach Alexandria, Kleinasien und mehrere Male auch – offenbar in der Funktion eines Gesandten seiner Heimat – nach Rom brachte, wo durchaus ein hohes Interesse an griechischem Bildungsgut bestand. Denn wie er selbst berichtet, habe er dort des Öfteren Vorträge in seiner Muttersprache gehalten. Dabei gelang es ihm, Freundschaft mit Lucius Mestrius Florus, einem Vertrauten des Kaisers Vespasian, zu knüpfen, der ihm höchstwahrscheinlich zur Verleihung des römischen Bürgerrechts verhalf. Jedenfalls nahm er Mestrius als römischen Gentilnamen an. Später lernte er auch Quintus Sosius Senecio kennen, einen Freund des Kaisers Trajan, dem er sein erhaltenes literarisches Hauptwerk, die Parallelbiographien, sowie zwei weitere Schriften widmete. Daneben war er mit einigen anderen hochgestellten Persönlichkeiten seiner Zeit bekannt, etwa mit Lucius Minicius Fundanus, der im Jahr 124/125 das Prokonsulat über die Provinz Asien innehatte, oder mit dem aus Attika stammenden Senator Caius Iulius Antiochus Philopappus, mit dem ihn die griechische Muttersprache verband. Die spätere literarische Tradition berichtet von weiteren Ehrungen, die er erfahren haben soll, die sich jedoch nicht beweisen lassen. In den Bereich der Legende gehört sicherlich sein Briefwechsel mit Kaiser Trajan. Plutarchs Tod wird um das Jahr 125 angesetzt, wobei er mit Sicherheit in seiner Heimatstadt Chaironeia beigesetzt wurde. Er muss hohes Ansehen besessen haben, da ihm die delphische Priesterschaft eine Gedenkbüste setzte.

Bezeugt sind für Plutarch wenigstens 227 Schriften, von denen nur ein sehr kleiner Teil erhalten blieb. Für die Historiographie wären zuerst seine um das Jahr 95 entstandenen Kaiserbiographien zu nennen, die von Augustus bis Vitellius reichten (27 v. Chr - 69 n.Chr.), erhalten sind jedoch nur die Abschnitte zu Galba und Otho (69), außerdem einige Fragmente zu Tiberius und Nero. Im Gegensatz zu Sueton folgte Plutarch dabei aber nicht dem biographischen Schema, sondern konzipierte dies Werk wohl eher als durchlaufende römische Geschichte. Einen anderen Zweck dagegen verfolgen die Parallelbiographien (griech. bíoi parállelloi), in denen Plutarch 23 Vitenpaare von Persönlichkeiten der griechischen und römischen Geschichte bildete. Der Text ist fast vollständig erhalten, nur das erste Paar mit Epaminondas und (wahrscheinlich) Cornelius Scipio Africanus ist verloren. Erhalten sind die übrigen 22 Paare, in denen Plutarch Personen mit ähnlicher Ausbildung, Tätigkeit oder auch Bedeutung einander gegenüberstellt. Die Reihenfolge der ursprünglichen Abfassung und Veröffentlichung bleibt leider unklar, obwohl über den Rückverweis die Position der Paare Demosthenes und Cicero (= 5), Perikles und Quintus Fabius Maximus (= 10) sowie Dion und Marcus Iunius Brutus (= 12) erkennbar sind.

Vier Paare zeichnen sich durch eine besondere Bildung und rhetorische Fähigkeiten aus, nämlich Demosthenes und Cicero, Kimon und Lucullus, Pelopidas und Marcellus, Philopoimen und Caius Flaminius. Danach wären fünf Paare zu nennen, die sich in der Frühgeschichte ihrer Heimatstädte oder in der politischen Entwicklung besondere Verdienste erworben haben, nämlich Lykurg und Numa Pompilus, Theseus und Romulus, Themistokles und Marius Furius Camillus, Lysandoros und Cornelius Sulla sowie Perikles und Quintus Fabius Maximus. Der späten römischen Republik sind die Römer der folgenden sieben Paare zuzuordnen: Dion und Marcus Iunius Brutus, Alexander d. Große und Caius Iulius Caesar, Agesilaos und Pompeius, Nikias und Marcus Licinius Crassus, Demetrios und Marcus Antonius, Phokion und Cato der Ältere sowie Timoleon und Lucius Aemilius Paullus. Eher schwierig einzuordnen sind die verbleibenden sechs Paare mit Alkibiádes und Gnaeus Marcius Coriolanus, Pyrrhos und Marius, sodann die spartanischen Könige Agis und Kleomenes mit den Gracchen als Gegenüber, Solon und Publius Valerius Puplicola, Aristeides und Cato der Jüngere sowie zuletzt Eumenes und Quintus Sertorius. Vermutlich nicht mehr zur Ausführung kam das an anderer Stelle erwähnte Paar von Leonidas und Quintus Metellus Caecilius Numidicus. Daneben gibt es nur einige wenige Einzelbiographien.

Es versteht sich von selbst, dass diese Texte nicht in erster Linie historiographischen Zwecken dienen. Plutarch verweist etwa in der Biographie des Fabius Maximus (16, 6) darauf, dass derjenige, der reine Geschichtsschreibung sucht, sich in anderen Werken erkundigen müsse. Sicherlich finden sich gelegentlich historisch begründende Exkurse – wie etwa bei Alexander und Caesar –, doch steht immer das Individuum im Zentrum der Darstellung, von dem nun die herausragenden Leistungen, die Stärken und Schwächen oder auch die Charaktereigenschaften herausgearbeitet werden. Damit verfolgt Plutarch pädagogische Zwecke, da er das positive oder auch negative Beispiel seiner Helden dazu benutzen möchte, um aus ihrem Handeln zu lernen (Aemilianus 1, 1) bzw. zu lehren und etwaige Fehler, wie er sie selbst bei Alexander dem Großen sah, zu vermeiden. Wie in der antiken Literatur üblich, findet man vor jedem Paar eine Einleitung, die bereits andeutet, welche besonderen Eigenschaften im Folgetext behandelt werden. In 17 Paaren endet der Text mit einem Vergleich der beiden Persönlichkeiten, der die besprochenen Eigenschaften und Tugenden miteinander abwägt. Meistens gewinnt dabei eine der beiden Personen, was den rhetorischen Agon vor Gericht als literarisches Vorbild erscheinen lässt. Allerdings kommt nicht immer dem Verfasser die Rolle des Richters zu, sondern dem Publikum soll durch den Vergleich eine Möglichkeit dazu gegeben werden, sich ein eigenes Urteil zu bilden – auch wenn dies in der moralischen Bewertung durch Plutarch bereits vorweggenommen wird.

Natürlich greift Plutarch auf literarische Quellen zurück, die er jedoch nur sehr selten wörtlich wiedergibt. So lassen sich für die griechische Geschichte ohne Weiteres Herodot und Thukydides nachweisen, doch als Rhetor und Philosoph hatte man gelernt, Textvorlagen eher umzugestalten und danach in den eigenen Text einfließen zu lassen. Mit Sicherheit hat Plutarch auch lateinische Quellen herangezogen und etwaige Gewährsleute für die jüngeren Ereignisse konsultiert, doch will er gerade kein Historiker sein, der eine reine Ereignisgeschichte vermittelt. Sein Werk lebt vielmehr von der Erkenntnis, dass Persönlichkeiten gestaltend auf die Geschichte einwirken können, die er als einer der letzten Autoren getrennt für den griechischen Osten und den lateinischen Westen behandelt. Der historische und moralische Vergleich schafft somit eine Synthese zwischen Osten und Westen: Denn die Ereignisse nehmen unter anderen äußeren Bedingungen ihren jeweils eigenen Verlauf, die ethisch-moralischen Kriterien für menschliches Handeln jedoch können und müssen überall gleich sein. Erst vor diesem Hintergrund ist es möglich, zwischen beiden Seiten abzuwägen, weil man dafür eine gemeinsame Grundlage benötigt. Dies bedeutet allerdings, dass die Idee für die Parallelviten nicht nur in der in Alexandria entwickelten literarischen Biographie zu sehen ist. Vielmehr spielt dabei das Moment der Rechenschaft vor sich selbst eine wesentliche Rolle, und dies erreichte Plutarch, indem er die reine belehrende Biographie mit dem gerichtlichen Disput verband.

Werke:

Plutarchus, Vitae Parallelae. Hrg. v. C. LINDSKOG, K. ZIEGLER u. H. GÄRNTER. Bde. 1-5 (versch. Auflagen). München 1993-2005 (Bibliotheca Teubneriana).

Plutarch, Große Griechen und Römer. Eingeleitet u. übersetzt v. K. ZIEGLER. Bde. 1-6. 2. Aufl. Zürich 1979 (Bibliothek d. Alten Welt).

Weiterführende Literatur:

R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zu literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften. Tübingen 2002 (Studie u. Texte zu Antike u. Christentum 14).

Chr. PELLING, Plutarch and History. Eighteen Studies. Swansea 2002.

B. SCARDIGLI, Die Römerbiographien Plutarchs. Ein Forschungsbericht. München 1979.

R. VOLKMANN, Leben und Schriften des Plutarch von Chaeronea. O.O. 1969.

B. KONRAD, Charakterbilder bei Plutarch und Tacitus. Köln 1962.

R. HIRZEL, Plutarch. Leipzig 1912 (Das Erbe der Alten Welt, I 4).

Cornelius Tacitus

Die Familie des um das Jahr 55 n. Chr. geborenen Tacitus stammte aus Gallien. Selbstzeugnisse über sein Leben gibt es nur wenige. Seine Biographie ist jedoch nicht untypisch für die römische Kaiserzeit: Aus der Provinz nach Rom gekommen, absolvierte er dort eine rhetorische Ausbildung, die ihm eine Tätigkeit als Gerichtsredner ermöglichte und ihm den Weg in hohe politische Ämter öffnete. Im Jahr 88 n. Chr. wurde er Praetor und zog in den römischen Senat ein, im Jahr 97, also nach der Ermordung des Kaisers Domitian und dem Ende der flavischen Dynastie im Jahr zuvor, erreichte er das hohe Staatsamt des Konsuls. Jedoch auch unter dem neuen Kaiser Trajan endet seine Laufbahn nicht, da er durch ein inschriftliches Zeugnis für das Jahr 112 als Prokonsul der Provinz Asia belegt ist, die große Teile der modernen asiatischen Türkei umfasste. Die Bedeutung des Tacitus, der nach dem Jahr 117 verstarb, liegt jedoch für uns heute in seinen Schriften, von denen vier der Geschichtsschreibung zuzuordnen sind, nämlich der Agricola, die Germania, die Historien und die Annalen.

Um das Jahr 98 hatte Tacitus sein erstes Werk De vita Iulii Agricolae fertig gestellt, eine literarische Lobrede auf seinen im Jahr 93 verstorbenen Schwiegervater Gnaeus Iulius Argicola. Das erste Kapitel dieses Textes kann man übrigens auch als Einleitung des späteren Geschichtswerks auffassen. Agricola hatte nach seinem Anschluss an Kaiser Vespasian im Jahr 69 eine ähnlich erfolgreiche senatorische Laufbahn absolviert wie Tacitus selbst, und es gelang ihm, die Statthalterschaft für die konsularische Provinz Britannien für sieben Jahre zu erhalten (77-84). In dieser Zeit feierte er eine Reihe militärischer Erfolge und dehnte das römische Einflussgebiet in Britannien aus, was nach Aussage seines Biographen den Neid des Kaisers Domitian (81-96) evoziert habe, der ihn daraufhin abberief. Man muss jedoch davon ausgehen, dass diese Begründung mit der gebotenen rhetorischen Überzeichnung des Textes zu tun hat und die Aussageabsicht des Tacitus unterstützen soll. Denn Agricola zog sich nach 84 in das Privatleben zurück, ohne nach neuen Ämtern zu streben oder sich seinem Kaiser zu widersetzen. Diese Frage nach dem persönlichen Verhalten und der politischen Loyalität gegenüber dem Herrscher stellte sich insbesondere nach der Ermordung des beim Volk beliebten Domitian im Jahr 96, mit der man in Rom insbesondere die Gruppe der Senatoren und deren Umfeld in Verbindung brachte. Denn gerade der in seinen Machtbefugnissen von Seiten des Kaisers mehr und mehr beschnittene Senat versuchte wiederholt sich Domitians zu entledigen. Dem hielt Tacitus die Treue gegenüber dem Herrscher entgegen, auch wenn man Unrecht erlitten habe.

Seinen persönlichen Überzeugungen verleiht Tacitus auch in seiner Germania (De origine et situ Germanorum, Ursprung und Siedlungsgebiet der Germanen) Ausdruck, die um das Jahr 100 entstand. Denn gerade in dieser ethnischen Gruppe, deren Herkunft und Gebräuche er in den Abschnitten 1-27 seines Werkes ganz allgemein beschreibt, ein Werk übrigens, mit dem er den einzig bekannten monographischen Bericht aus der römischen Antike über ein einzelnes Volk verfasste, sieht er den wichtigsten Feind der Römer. Innerhalb der natürlichen Grenzen von Rhein und Donau war es Domitian gelungen, die römische Herrschaft sicher zu etablieren. Tacitus weist nun darauf hin, dass es auch außerhalb dieses Gebietes zahlreiche germanische Stämme von beträchtlicher Größe gibt (Abschnitt 28-46), die er als umso bedrohlicher für das Reich darstellt, je weiter sie vom römischen Territorium entfernt lebten, und nur die Feindschaft dieser Stämme untereinander würde größere militärische Expeditionen der Germanen gegen Rom verhindern. Den Römern, die sich durch eine immer stärker werdende monarchische Macht und ein luxuriöses Leben selbst schwächten, stehen damit die durch ihren Lebenswandel »geadelten« Barbaren gegenüber. Somit richtet sich dieser Text massiv gegen die kaiserliche Politik, die hier nach Ansicht des Tacitus eine falsche Propaganda betreibt, da sie die tatsächlichen Gefahren für das Reich verkennt – und damit einen tiefen Schatten auf den früheren Glanz Roms wirft.

 

Die Historien (lat. Historiae) schildern in 12 bzw. 14 Büchern die flavische Herrschaft von Vespasian bis Domitian (69-96), von denen nur vier vollständig und ein weiteres fragmentarisch erhalten sind. Die Weltsicht des Tacitus ist auch in diesem Werk eher pessimistisch. Zwar erkennt er Vespasians Leistungen durchaus an und bescheinigt ihm auch, dass sich mit ihm nach dem für Rom fatalen Vierkaiserjahr der fähigste Kandidat durchgesetzt habe, doch überzieht er die drei staatstragenden Säulen des Römischen Reiches, den Senat, das Volk und das Heer, mit heftiger Kritik. Der Senat nämlich böte sich jedem an, der ihm zu Willen ist, das Volk sei nur auf Brot und Spiele bedacht und das Heer ließe keine Gelegenheit zu einer Rebellion aus. In den erhaltenen Partien des Textes, die den Zeitraum vom Januar 69 bis Mitte 70 umfassen, beschreibt Tacitus die einzelnen politischen Ereignisse sehr genau, weswegen es sehr bedauerlich ist, dass sich nicht größere Abschnitte der Historien erhalten haben, die in den Jahren 105-110 verfasst worden sind.

Die Annalen (Annales ab excessu divi Augusti, Annalen ab dem Tod des göttlichen Augustus) waren ursprünglich auf 16 bzw. 18 Bücher angelegt, von denen acht vollständig erhalten sind (I-IV, XII-XV) und vier weitere nur in Auszügen (V, VI, XI, XVI). Sie umfassen die Jahre 14-69 und beschreiben damit die Epoche vor den Historien. In ihrer Grundtendenz geben sich auch die Annalen eher pessimistisch. Tacitus sieht in der republikanischen Verfassung jedoch keine Alternative zur Herrschaftsform der Monarchie, denn auch erstere habe – wie man an dem römischen Bürgerkrieg sehen könne – nur in ein allgemeines politisches Chaos geführt. Allerdings habe bereits Augustus die römischen Verfassungsorgane durch sein Vorbild geblendet und der Autokratie damit einen festen Platz verschafft. Sein Nachfolger Tiberius habe die Herrschaft zwar mit den besten Vorsätzen begonnen, doch je länger er regierte, desto mehr habe sich sein Charakter verschlechtert. Im Gleichklang damit seien auch Senat, Volk und Heer nur noch darum bemüht gewesen, dem Kaiser zu gefallen, da dies den einzelnen Vertretern persönliche Vorteile einbrachte, die natürlich zu Lasten des Allgemeinwesens ginge. Höfische Kreise hätten sich entwickelt, die nunmehr den Staat alleine lenkten, ohne dass man habe erkennen können, wie politische Entscheidungen gefällt oder nach welchen Kriterien die wichtigen Staatsämter vergeben wurden. Kaiser und Kaiserin betrieben dabei jeweils ihre eigene Politik, um ihre Günstlinge zu versorgen oder auch gegeneinander auszuspielen. Schlecht sei nicht die Monarchie, sondern das, was die Kaiser daraus gemacht hätten. Und die Schwäche der drei an und für sich »guten« Verfassungsorgane (Volk, Senat und Magistrate) läge in den seinerzeit politisch Handelnden begründet, die die ihnen zustehenden verfassungsmäßigen Rechte aus persönlichen Beweggründen heraus aufgegeben hätten.

Das literarische Werk des Tacitus erfreut sich nach wie vor einer sehr großen Wertschätzung, und zu Recht sehen Geschichts- und Sprachwissenschaft darin einen der Höhepunkte der annalistischen Historiographie der Römerzeit. Generell neigt er – vielleicht mit Ausnahme des Agricola, der ja ein anderes rhetorisches Muster bedient, oder in den eher deskriptiven Partien der Germania – nicht zu einer sprachlichen und stilistischen Weitschweifigkeit. Indem er die Ereignisse beschreibt, die er zu einem größeren Teil auch noch selbst miterlebte oder für die er ohne Schwierigkeiten Augenzeugen finden konnte, erweist er sich als eine Art Berichterstatter, der weniger belehren oder auf eine goldene Vergangenheit hinweisen will, wie dies etwa bei Livius der Fall war, sondern er sieht in den politischen Gegebenheiten immerhin noch die Möglichkeit zu einer Besserung der allgemeinen Lage, wenn sich die Amtsträger tatsächlich auch auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen. Im Blick auf diese recht einfache Sicht der Dinge stellt sich natürlich auch die Frage, inwieweit Tacitus dabei nicht auch mit seinem eigenen Schicksal hadert, da es ihm allem Anschein nach nicht gelang, sich dauerhaft in der kaiserlichen Umgebung und damit auch an den Schaltstellen der römischen Macht zu etablieren. Gleichwohl lassen seine Werke erkennen, dass er Zugang zu den staatlichen Archiven besessen haben muss, denn nur ein Teil dessen, was er aufzeichnet, geht auf literarische Quellen zurück. Und manche historischen Daten vertauscht oder verwechselt er in seiner Darstellung, was dafür spricht, dass er auch mündliche Berichte in seinen Schriften verarbeitet, ohne dabei immer die innere Stringenz des Inhalts vor Augen zu haben. Kritisch beurteilt wird Tacitus daher seit der Zeit Theodor Mommsens, doch wäre unsere Kenntnis des frühen Prinzipats ohne sein oft minutiös ausgearbeitetes Werk wesentlich geringer.

Werke:

Tacitus, Das Leben des Julius Agricola. Lateinisch und Deutsch v. R. TILL. Berlin 1961 (Schriften u. Quellen d. Alten Welt 8).

Tacitus, Germania. Lateinisch und Deutsch. Von G. PERL. Berlin 1990 (Griech. u. latein. Quellen z. Frühgesch. Mitteleuropas..., 37/2).

Tacitus, Historiae/Historien. Lateinisch-Deutsch. Hrg. v. J. BORST unter Mitarbeit v. H. HROSS u. H. BORST. 4. Aufl. München 1979 (Sammlung Tusculum).

Tacitus, Annalen. Lateinisch und Deutsch. Hrg. v. E. HELLER. Mit einer Einführung von M. Fuhrmann. 3. Aufl. Düsseldorf und Zürich 1987 (Sammlung Tusculum).

Weiterführende Literatur:

F. SANTORO L’Hoir, Tragedy, Rhetoric and the Historiography of Tacitus’ Annales. Ann Arbor, MI, 2006.

St. SCHMALE, Tacitus. Hildesheim 2005.

P. RIEDL, Faktoren des historischen Prozesses. Eine vergleichende Untersuchung zu Tacitus und Ammianus Marcellinus. Tübingen 2002 (Classica Monacensia 25).

G. WILLE, Der Aufbau der Werke des Tacitus. Amsterdam 1983 (Heuremata 9).

D. Flach, Tacitus in der Tradition der antiken Geschichtsschreiber. Göttingen 1973 (Hypomnemata 39).

M. STRENG, Agricola. Das Vorbild römischer Statthalterschaft nach dem Urteil des Tacitus. Bonn 1970.

R. HÄUSSLER, Tacitus und das historische Bewußtsein. Heidelberg 1965 (Bibl. d. Klass. Altertumswiss., 2. Reihe, Neue Folge, 9).

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