Gotthardfantasien

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Dieser Beitrag wurde übernommen aus: Peter von Matt, Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz, © Carl Hanser Verlag München 2012, S.62–67.

Verena Stössinger
Heidelbeeren und der heilige Antonius

Hinter Amsteg, nach der Kurve beim schwarzsteinernen Kraftwerk, das wirkt wie eine Kaserne, ist die Strasse fast leer. Nur ab und zu überholt uns noch ein Urner Auto, und zweimal kommt ein Bus entgegen. Wie eng das Tal hier schon ist. Steil bewaldete Hänge, an denen Nebel klebt; darüber sind manchmal Bergwände sichtbar, weiss gesprenkelt von Schnee. Fast wie in Norwegen, denke ich – habe ich schon am Vierwaldstättersee gedacht, der aussieht wie ein Fjord. Grau und streng. Aber hier sind mehr Laubbäume zwischen den Tannen, und die Häuser sehen sehr anders aus: sind dunkler in ihrem Schindelkleid, geduckter und giebliger. Und es gibt mehr Kirchen.

Intschi, Gurtnellen-Wiler. Strassendörfer, die wirken, als schliefen sie einen tiefen Schlaf. Die Gasthäuser zu, kein Mensch unterwegs, und alles sieht etwas ärmlich aus, aber schon sind die Häuser wieder verschwunden. Die Strasse steigt an. Ziegen weiden auf schrägen Wiesen, wir sehen ihre dicken weissen Hintern. Ein Bauer mäht mit der Sense. Unter der strasse schäumt die weissgraue Reuss zu Tal, in Galerien ziehen Güterzüge und elegante weissrote Fernzüge vorbei, und unter dem Himmel hängt das Betonband der Autobahn. Als wir aussteigen auf einem gekiesten Parkplatz, hören wir erst nur den Lärm der Autos. Er ist lauter als das Tosen der Reuss. Wir schauen uns um. Ein gelber Wanderwegweiser, auf dem Waldboden Brennnesseln, Farn und Erdbeerpflanzen, und «siehst du die Pilze?», fragt Jürgen. Drei verschiedene Arten sind es; er kennt zumindest die eine. Braunweisse Boviste.

In Wassen hat es einen Volg, der offen ist. Wir halten an. Jürgen kauft Birnen und Vogelfutter und ich e Birewegge, die sehr gut riecht. Aber die Tankstelle ist auch hier nicht besetzt; niemand da, der uns helfen kann, den Druckabfall beim hinteren rechten Rad zu korrigieren, auf dem ein gelbes Warnlicht auf dem Display hinter meinem Leihwagensteuerrad beharrt. Wir fahren damit weiter, was bleibt uns übrig; sind auf einmal mit der Autobahn auf gleicher Höhe und sehen, wie sich die Autos, die südwärts fahren, stauen. Sind immer noch Herbstferien? Oder gibt es gar keine Zeit mehr, in der nicht gereist wird? Langsam schon gar, und mit Blick für Unerwartetes? Kurz vor Göschenen finden wir nämlich einen Wunderbaren Stand. Eine Art Kiosk: Berg- und Ziegenkäse gibt es da, Alpenrosenhonig, Rauchwürste, Speck und Heidelbeerkonfi, eingemacht am 1. September 2015, wie auf dem Etikett steht. Wir kaufen Käse und Konfi, denn ja, natürlich: die Heidelbeeren sind aus der Gegend, sagt die Frau im roten Pullover mit eingestricktem weissem Kreuz, die sie verkauft: Sie pflückt sie selbst und mag auch die gezüchteten nicht, obwohl die grösser sind und das ganze Jahr über erhältlich, und wir erzählen von den Beeren, die uns die Schwägerin noch Mitte September vom Luzerner Markt nach Basel brachte. Urner Heidelbeeren aus der Gegend von Gurtnellen waren es. Und während die Verkäuferin wissen will, was die denn da gekostet haben, und zu rechnen beginnt, denke ich wieder an Norwegen. An das Häuschen am Austdalvatnet, wo wir schon fünf lange helle Sommer verbracht haben; erst zu dritt, noch mit Nina, danach zu zweit. Schüsselweise haben wir da Heidelbeeren gegessen, jeden Tag, die Stauden stehen bis vor die Tür, und Jürgen, der sie seit seiner Kinderzeit Blaubeeren nennt, hat jeweils auch Marmelade daraus gekocht auf dem Herd mit dem Holzfeuer und die vollen Gläser dann im Handgepäck nach Hause transportiert, so lange man das noch durfte. Nur einmal hat ihn ein Zöllner am Flughafen angehalten und wollte sehen, was er in der Tasche hatte, die er so sorgsam trug. «Alles Marmelade! Selber gemacht!», sagte er, worauf der Zöllner stotterte: «P-Potz Cheib!»

Heidelbeeren schmecken aber nicht nur gut, sie sind auch sehr gesund. Sie enthalten viel Vitamin C und Antioxydantien, was immer das genau ist, und seien damit geradezu eine «Heildroge»: helfen bei Durchfall, stärken das Immunsystem und befördern die Fruchtbarkeit, und zwar bei Mann und Frau. Der Saft ist ein Gurgelmittel und hilft bei Magen- und Darmgeschwüren, und die getrockneten Blätter, als Tee angesetzt und getrunken, tun gut bei Blasenleiden und senken den Blutdruck. In Nordböhmen wird den Beeren, die an Jakobi, also am 25. Juli, geerntet werden, dabei eine besonders gute Wirkung zugeschrieben, im Allgäu dagegen jenen aus dem «Dreissigst», der Zeit zwischen Mariä Himmelfahrt (15. August) und Mariä Geburt (8. September). Das habe ich in einem alten Buch zur «Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen» gelesen, und daraus lernte ich auch, dass sich Schwangere in der Umgebung von Karlsbad hüten sollen, «Schwarzbeeren» zu pflücken, um zu verhindern, dass ihr Kind mit schwarzen Muttermalen auf die Welt kommt.

Heidelbeeren heissen nämlich auch Blaubeeren und Schwarzbeeren; und ausserdem nennt man sie Mollbeeren, Wildbeeren, Waldbeeren, Bickbeeren, Zeckbeeren oder Moosbeeren, das habe ich aus Wikipedia. Und es gibt sie auch da, wo ich aufgewachsen bin. Unser Familien-Heubeeri-Revier lag am Nordhang vom Pilatus, im Eigenthal vor allem; da fuhren wir jeweils hin im hellblauen Opel mit dem weissen Dach, und die Behälter, in die hinein gesammelt werden konnte, lagen im Kofferraum bereit. Es waren die Schachteln, in denen die zusammenklappbaren «Doppelmeter» gelegen hatten, die mein Vater an seine Kunden verteilte … und natürlich fällt mir jetzt wie jedes Mal, wenn ich ans Heidelbeerenpflücken denke, die Geschichte von meiner Grossmutter ein.

Meine Grossmutter Anna, die Mutter meiner Mutter, eine schmale, brave Frau, hat einmal beim Heidelbeerenpflücken – wohl eher nicht am Gotthard; sie stammte aus Arth und heiratete nach Luzern – einen Ohrring verloren: Eines der Hängerchen aus Rotgold mit kleinen Granatsteinchen, die rund um einen etwas grösseren angeordnet waren. Wie zu einer Blume. Es waren die einzigen Ohrringe, die sie besass; sie waren ein Geschenk gewesen oder ein Erbstück und sie trug sie immer. Der Verlust war schlimm. Nein, er war unverzeihlich, und sie bekam Angst. Ich weiss nicht mehr, ob sie da schon verheiratet war mit meinem Grossvater, der bei der Polizei war und grobe Hände hatte, oder ob sie sich noch vor dem Zorn ihrer Mutter fürchtete; auf jeden Fall gab es für sie nichts anderes, als den Ohrring zu suchen. Umgehend. Das heisst, ihn zu finden.

Sie ging mit dem vollen Korb den Weg zurück, den sie beim Pflücken gegangen war: immer zwei, drei Schritte talseitig neben dem Pfad (denn bergwärts suchen alle, pflegte sie zu sagen). Sie bog die leeren Sträucher zurück und schaute nach etwas Goldenem, Glänzenden, und als sie lange nichts fand, begann sie zu beten. Rief den heiligen Antonius an, der Verlorenes zu finden weiss, und versprach ihm einen Fünfliber, wenn er ihr half, den Ohrring zu finden. Ging weiter und suchte, man rief jetzt schon nach ihr, «Anni! Wo bisch?»; wenn sie schon verheiratet war, war es ihr Mann, der rief, und da sie wusste, wie schnell er ungeduldig wurde, versprach sie dem Antonius noch einen zweiten Fünfliber. Suchte weiter und tat, als höre sie die immer unfreundlicheren Rufe nicht, «Herrgottsackermänt!», und fand tatsächlich bald darauf den Ohrring. Er hing an einer Staude und baumelte.

In Oberösterreich, heisst es im Buch zur «Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen», gehe die Sage, dass gerade dort, wo das Volk der Zwerge einschlüpfte, um seine goldenen Schätze im Boden zu bergen, ein Heidelbeerstrauch stand; und weil die Zwerge wegen ihres Reichtums verfolgt wurden, bot der Heidelbeerstrauch ihnen Schutz und versprach, «die Schätze zu verbergen». Meine Grossmutter Anna dagegen hatte das Glück, auf einen Strauch zu treffen, der ihren Schatz, den Ohrring mit der Granatblume, nicht verbarg. Oder ist es doch Antonius gewesen, der ihr geholfen hat?

Der Ohrring jedenfalls war wieder da und der Ärger, den ihr Wegbleiben geweckt hatte, traf sie nicht. Oder nicht wirklich. Wo sie allerdings das Geld hernahm, um ihre Schuld beim Heiligen zu begleichen, weiss ich nicht; ich kann mir bloss vorstellen, wie schwierig es für sie war, es aufzutreiben. Sie hatte bis in ihre Witwenzeit hinein nie eigenes Geld, obwohl sie immer arbeitete, und auch in der Ehe bloss Zugriff auf das Haushaltsgeld, über das Buch zu führen war. Aber vielleicht hat sie mit Antonius auch einen Deal gemacht? Hat ihm irgend etwas anderes versprochen oder ihn auf später vertröstet?

Er muss den Deal akzeptiert haben, denn die Ohrhängerchen gibt es noch. Beide. Meine Grossmutter trug sie, als sie mir die Geschichte erzählte, und sie hat sie uns vererbt, das heisst, der Nina, sobald sie alt genug dafür sei. Und das ist sie natürlich längst, denke ich stolz, während wir nach Teufelsstein und Teufelsbrücke, diesen Schulreise- und Pflichterinnerungsorten, die Haarnadelkurven nach Andermatt nehmen. Auf dem Hochplateau noch den Kreisel, drei Viertel zu umfahren, dann sind wir angekommen. Neben der Strasse liegt Schnee. Ich habe Lust auf einen Kaffee und etwas Süsses. Hoffentlich gibt es die Konditorei noch an der Kreuzung, da, wo die Strasse zum Oberalppass beginnt. Und irgendwo vielleicht sogar eine bediente Tankstelle.

Bahntechnik Gotthard-Basistunnel
Vision und Verwirklichung eines Grossprojekts

Lars Dietrich

Die neue Bahnverbindung durch die Alpen ist ein Jahrhundertbauwerk, das Rekorde bricht. Bereits vor 135 Jahren gab es am Gotthard einen Weltrekord: Innerhalb von elf Jahren wurde auf 15 Kilometer Länge eine durchgehende Tunnelröhre mit zwei Gleisen geschaffen. Das war die schnellste Alpenverbindung, die es zu diesem Zeitpunkt gab. Zu verdanken hatte sie die Schweiz vor allem einem visionären Unternehmer mit Pioniergeist: Alfred Escher, der einst mit von ihm gegründeten Banken und Versicherungen die erste Eisenbahn durch die Alpen baute.

 

Wer damals mit 60 Kilometer je Stunde den Gotthard-Scheiteltunnel zwischen den Orten Göschenen und Airolo mit der Eisenbahn durchfuhr, schaffte diese Passage in 17 Minuten. Das gab es vorher noch nie. Seien wir uns dessen bewusst, dass davor Postkutschen das schnellste Transportmittel waren, um das Gotthard-Massiv zu überwinden. Durch die Eröffnung des Gotthard-Scheiteltunnels war eine Alpenquerung neuerdings auch im strengsten Gebirgswinter möglich. (Abb. 2)

Aber es sollte noch besser gehen: 65 Jahre später veröffentlichte ein Schweizer Ingenieur namens Eduard Gruner seine Vision von einer Flachbahn durch den Fuss des Gotthard-Massivs. Er hatte auch schon einen Namen parat: Gotthard-Basistunnel.1 Erstaunlich ist dabei die Tatsache, dass die heutige Streckenführung noch immer die gleiche ist, wie sie Herr Gruner vor 70 Jahren projektierte. 1947 schätzte er, das Ganze werde eine halbe Milliarde Franken kosten. Aber als 45 Jahre später die Bürger der Schweiz zum Volksentscheid für die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) aufgerufen waren, wurde der Gotthard-Basistunnel bereits mit 6,33 Milliarden Franken veranschlagt. Nach 64 Prozent Zustimmung im Jahr 1992 folgte sogleich der erste Spatenstich in Faido. 24 Jahre darauf ist der Gotthard-Basistunnel mit knapp 10 Milliarden Franken um 50 Prozent teurer geworden.2

Was sind die Gründe für diese massive Kostenerhöhung? Niemand kann vorab in ein Felsmassiv auf 57 Kilometer Länge hineinblicken. Eine Vielzahl von geologischen Problemzonen in relativ weichem Gestein musste bewältigt werden. So wurde beispielsweise die Nothaltestelle Faido aufgrund einer neu entdeckten geologischen Störzone um mehrere hundert Meter nach Süden verschoben. Hinzu kam, dass weltweit jeder Tunnelunfall erhöhte Sicherheitsanforderungen erzwang, die es neu anzuwenden galt. Steigende Löhne, fortschreitende Technik und Preisentwicklungen schlugen zudem bei einer Bauzeit von 24 Jahren bei der Teuerung zu Buche.


2 Die Eisenbahntunnel durch den Gotthard.

Im historischen Vergleich liessen dazumal beim Bau des Gotthard-Scheiteltunnels 171 Arbeiter ihr Leben. Beim Gotthard-Basistunnel kamen während des Vortriebs acht Arbeiter bei der gefährlichen Arbeit um. Aus Sicht der Angehörigen waren dies vermeidbare Tragödien, die traurig stimmen und nicht mehr ungeschehen gemacht werden können.

Insgesamt wurde Gestein auf 153 Kilometer Länge ausgebrochen, neben den beiden Röhren auch Zwischenangriffe, Schächte, Querschläge und Galerien. 2010 war es dann so weit. Der erste Durchstich in der Ost-Röhre wurde gebührend gefeiert (Abb. 3). Die West-Röhre folgte ein halbes Jahr später: Der letzte Meter war ausgebrochen. 57 Kilometer von Erstfeld nach Bodio, mit einem Tunneldurchmesser von 9,5 Meter und nur drei Millimeter Abweichung vom Sollwert – das war Weltrekord!

Ein Marathonläufer, der nach 42,2 Kilometern ins Ziel wankt und noch weitere 15 Kilometer rennen soll, hätte eine körperliche Vorstellung der 57 Kilometer, die der Gotthard-Basistunnel in Länge misst. Insbesondere, wenn er auch noch knapp fünf Stunden unterirdisch unterwegs wäre.

Nach den Mineuren die Bahntechnik

Erst der Einbau der Bahntechnik macht den Tunnel zu einem Eisenbahntunnel. Im Folgenden möchte ich den erfolgreichen Projektabschluss anhand der Bahntechnik begründen. Die bahntechnische Ausrüstung startete 2010 von Süden in der Weströhre. Ein Jahr später wurde die Oströhre von Norden her ausgerüstet. Der Ausbau erfolgte alternierend in beiden Tunnelröhren, damit der anspruchsvolle Terminplan eingehalten werden konnte. 2014 konnte das System in der Weströhre auf 15 Kilometer Länge in einem Versuchsbetrieb mit einer maximalen Geschwindigkeit von 230 Kilometer je Stunde erfolgreich getestet werden. Nur ein Jahr später war die Bahntechnik komplett eingebaut und konnte vollumfänglich und erfolgreich getestet im Mai 2015 an den Besteller Alptransit Gotthard übergeben werden.


3 Hauptdurchschlag Ost-Röhre zwischen Sedrun und Faido, zwei Kilometer unter den Alpen.

Die Alptransit Gotthard (ATG) wurde 1988 als Tochtergesellschaft der Betreiberin Schweizerische Bundesbahnen (SBB) mit dem Auftrag betraut, die Gotthard-Achse zu bauen. Als Bauherrin der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) hat die ATG im Jahr 2008 die Transtec Gotthard (TTG) mit der bahntechnischen Ausrüstung des Gotthard-Basistunnels beauftragt.

Der bahntechnische Ausbau dieses Jahrhundertbauwerks erforderte ein perfektes Zusammenspiel aller beteiligten Unternehmen, die sich zum Konsortium Transtec Gotthard zusammengeschlossen haben. Die TTG ist eine Arbeitsgemeinschaft der Firmen Alpiq, Alcatel-Lucent/ Thales, Balfour Beatty und Heitkamp. Die vier Konsortialpartner brachten in das Gemeinschaftsprojekt mit einem Volumen von 1,97 Milliarden Franken all ihre marktführenden Kompetenzen ein. Dies erfolgte gesamthaft in allen Phasen der Planung, Ausführung und Inbetriebsetzung, und zwar in den Bereichen Logistik, Fahrbahn, Stromversorgung, Fahrleitung, Telekommunikation, Sicherungsanlagen, Bahn- und Tunnelleittechnik.

Die TTG beschäftigte in Spitzenzeiten weit über 750 Mitarbeiter. Ich bin einer davon. Als Maschinenbauingenieur verfüge ich über eine langjährige Berufserfahrung in der operativen und administrativen Abwicklung von verschiedensten multidisziplinären Grossprojekten. Von der Firma Balfour Beatty Rail 2006 in die Schweiz entsandt, bin ich als Leiter Technik und stellvertretender Leiter Inbetriebsetzung und Projektierung unter anderem für die abschliessende Validierung des bahntechnischen Gesamtsystems verantwortlich. Diese Überprüfung bestätigt letztlich eine funktionale, gebrauchstaugliche und leistungsfähige Anlage für den sicheren Betrieb des Gotthard-Basistunnels.

Lassen Sie mich hier eine Bresche für das Image des Ingenieurberufs schlagen. Die hohen Bedürfnisse der Welt von heute haben einen neuen Typus Ingenieur geschaffen. Einer, der gleichzeitig Manager, Tüftler und Intellektueller ist. Er soll die immer komplexer werdende Welt begreifen, managen und auch noch verständlich erklären können. Mit dem Klischee des bodenständigen Eigenbrötlers hat das nicht mehr viel gemein. Der Ingenieur von heute arbeitet eng vernetzt in grossen internationalen Teams. Begibt er sich auf Jobsuche, hat er die Qual der Wahl. Die Zukunft steht ihm offen, denn da liegen die interessanten Bereiche, die in aller Munde sind: intelligente Autos, Energiewende und eben auch Grossprojekte wie der Gotthard-Basistunnel.

Warum ein weiterer Tunnel durch die Alpen?

Der Gotthard-Basistunnel ist das Herzstück eines 4100 Kilometer langen Nord-Süd-Korridors quer durch Europa, von Rotterdam nach Genua. Rückblickend auf 2005 wurde auf dieser Strecke mit einer Verdopplung des Transportvolumens von 28 auf 57 Millionen Tonnen bis im Jahr 2020 gerechnet. Für das Jahr 2000 entsprach dies 1,4 Millionen LKW, welche sich über Schweizer Alpenpässe und durch Tunnel quälten. Das erklärte Ziel für 2020 ist die Halbierung auf 650 000 LKW.

Erreicht werden soll das unter anderem durch die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene. In Verhandlungen mit der Europäischen Union wurden zudem Sonntags- und Nachtfahrverbote sowie höhere Transitgebühren für LKW durchgesetzt. Mit diesen Massnahmen gelingt der zentral gelegenen Schweiz, neben dem für sie so wichtigen Schutz der Alpen, ein grosser Schritt in Richtung Europa.

Der Gotthard-Basistunnel

Zwischen dem Nordportal Erstfeld im Kanton Uri und dem Südportal Bodio im Kanton Tessin verlaufen zwei einspurige Tunnel im Abstand von etwa 40 Metern parallel zueinander. Jeweils im Drittel befinden sich zwei Multifunktionsstellen. Die nördliche befindet sich etwa 800 Meter unter dem Ort Sedrun und die andere ungefähr drei Kilometer neben Faido im Fels. In diesen Bereichen sind schnelle Spurwechsel zwischen den beiden Tunnelröhren möglich. Im Notfall könnte ein Zug dort halten, und Passagiere können über grossvolumige Fluchtwege evakuiert werden. Die Beschallungsanlage wurde dort sehr eindrucksvoll mit der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven in Betrieb genommen. Sollte es ein Zug im Ereignisfall nicht bis zur Nothaltestelle schaffen und ein Halt im Tunnel unumgänglich sein, dann erfolgt die Evakuierung über sogenannte Querschläge. Davon gibt es 178 Stück, die jeweils im Abstand von 313 Metern beide Röhren miteinander verbinden.

Im Vergleich mit dem bestehenden Gotthard-Scheiteltunnel ist die zurückzulegende Gesamtstrecke, um das Felsmassiv zu durchqueren, nun etwa 30 Kilometer kürzer und 600 Meter flacher. Deshalb ist ein Personenzug eine knappe Stunde schneller zwischen Zürich und Bellinzona. Gerade aber für Güterzüge ist der neue Gotthard-Basistunnel erfolgversprechend. Um den Scheiteltunnel zu durchqueren, ist jeder Güterzug auf 1400 Tonnen beschränkt, wofür zwei Lokomotiven erforderlich sind. Auf der Flachbahn des Gotthard-Basistunnels zieht nun eine einzelne Lok bis zu 4000 Tonnen.

Auf der Höhe der Multifunktionsstelle Sedrun befindet sich der Scheitelpunkt des Gotthard-Basistunnels. Die maximale Steigung beträgt 6,8 Promille. Auf den 26 Kilometern vom Nordportal bis Sedrun entspricht das einem Gefälle von 90 Metern. In Richtung Süden sind es auf 31 Kilometer 237 Meter Höhenunterschied. Projektiert wurde der Tunnel für eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Kilometer je Stunde. Getestet wurde zehn Prozent schneller, und zwar erfolgreich, mit 275 Kilometer je Stunde. Der Betrieb erfolgt mit einer Maximalgeschwindigkeit von 230 Kilometer je Stunde.

Aus Kapazitätsgründen fahren Reisezüge planmässig aber nur 200 Kilometer je Stunde. In 17 Minuten ist man also durch den Tunnel durch (in der gleichen Zeit, die früher die Züge durch den Gotthard-Scheiteltunnel benötigten). Sind die Güterzüge mit 100 Kilometer je Stunde unterwegs, können alle halbe Stunde in beiden Richtungen je ein Personenzug und drei Güterzüge gleichzeitig durch den Tunnel fahren. Dabei folgen drei langsame Güterzüge in einer Gruppe einem schnellen Reisezug. Nach dem Tunnelende überholt der Personenzug dann die drei vorangefahrenen Güterzüge, welche auf einem Überholgleis warten.

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