Eiserner Wille

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Cus war vor allem ein Kontrollfreak. Wenn Camille mit den Lebensmitteln nach Hause kam, durfte nur Cus sie auspacken und wegräumen. Und sie stritten sich, wenn Camille nicht mindestens fünfzehn Dosen Thunfisch gekauft hatte. Cus liebte seinen Thunfisch. Und weil ich in der Schule verwarnt worden war, zog er die Schrauben etwas an.

„Was hast du heute in der Schule gemacht?“ Cus kam am Nachmittag in mein Zimmer und begann mit seiner Befragung. „Du hast doch etwas aufbekommen. Du warst den ganzen Tag in der Schule. Wo sind deine Hausaufgaben?“

Manchmal brauchte ich in meinem Zimmer nur Krach zu machen, schon schrie er vom Treppenabsatz: „Hey, was machst du da oben?“ – „Cus, ich wohne hier“, sagte ich. Wenn ich ein neues Wort benutzte, das ich in der Schule gelernt hatte, ließ er mir keine Ruhe: „Von wem hast du dieses Wort gelernt? Ich benutze dieses Wort nicht, ich habe dieses Wort noch nie benutzt. Mit wem hängst du herum?“

Einflüsse von außen waren die Erzfeinde seiner Welt. Eines Abends war ich auf einer Tanzveranstaltung der Schule. Ich rief Cus an, um ihm zu sagen, dass ich spät nach Hause kommen würde, weil ich auf ein Taxi warten müsste. Da flippte er aus: „Wir müssen schlafen gehen, wir haben keine Zeit dafür, dass du auf ein Taxi wartest. Lauf jetzt nach Hause, lauf!“ Ich lief los. Es waren drei Meilen bis nach Hause, und ich rannte im Zweiteiler mit Anzugschuhen.

Wann immer ich nach Hause kam, wartete Cus auf mich: „Wie war der Film? Mit wem warst du aus? Wie heißen sie mit Nachnamen? Was machen ihre Familien?“ Er wollte nicht, dass mich irgendjemand beeinflusste und mir Ideen in den Kopf pflanzte. Ich sollte mich auch von gewissen Leuten fernhalten, weil sie kein Umgang für mich waren.

Einmal strapazierte ich Cus’ Geduld zu sehr. Er hatte meinem Schulleiter auf der Junior High gesagt, dass ich „speziell“ wäre und mit „Nachsicht“ behandelt werden sollte. Aber ich war fünfzehn und fühlte mich nicht wohl in meiner Haut. Ich wusste nicht, wie man Mädchen anspricht. Sie hänselten mich und ich prügelte mich mit ihnen. Ich war es gewohnt, mich mit Männern und Frauen zu prügeln, das war in Brownsville nichts Besonderes. Eines Tages stritt ich mit ein paar Mädchen herum, ich jagte sie und verfolgte sie bis in die Mädchentoilette.

Als Cus das herausfand, rief er mich ins Wohnzimmer.

„Wenn du so weitermachst, fliegst du hier raus. Du verschwendest meine Zeit.“

Diese Worte waren wie Messerstiche. Ich fing an, herzzerreißend zu weinen. Oh Mann! Cus fühlte sich sichtlich unbehaglich. Auch wenn es ihn fast umbrachte, schlang er seine Arme um mich und drückte mich. „Es wird alles gut. Es ist okay“, murmelte er. Er wurde von einer Sekunde auf die andere vom gemeinen Typen zu einem netten alten Mann.

Ich war ein Häufchen Elend. Das war ein traumatischer Moment für mich. Ich wollte dieses Haus nicht verlassen. Neben all diesem Champion-Zeug, das Cus mir in den Kopf gesetzt hatte, liebte ich es, in einem familiären Umfeld zu sein, das ich so vorher nie gekannt hatte. Ich fand neue Freunde, ich hatte begonnen, mich zugehörig zu fühlen. Wohin hätte ich gehen sollen? Zurück nach Brownsville? Ich hatte dort jeden Tag Freunde verloren, besonders um Weihnachten und Neujahr herum. Da starben im Viertel die meisten Leute, weil sie versuchten, Geld für die Feiertage aufzutreiben. Jedes Jahr, wenn die Feiertage vorüber waren, kamen meine Freunde und ich zusammen, und wir fragten uns gegenseitig „Was ist passiert?“ Und die Antwort war immer: „Ein Junge aus dem Viertel hat jemanden ausgeraubt. Aber die anderen hatten ein Gewehr, und bumm haben sie ihn erschossen.“ – „Was? Der kleine Junge, der letzte Nacht mit uns so gelacht hat? Er ist getötet worden?“

Ich brauchte eine Weile, um Cus’ Drohungen zu verarbeiten. Camille sah mich Trübsal blasen und ging zu Cus: „Was ist denn mit Mike los? Warum weint er? Ist alles in Ordnung?“

„Was soll denn mit Mike los sein?“, fragte Cus. „Nichts ist los.“

Als sie herausfand, was Cus gesagt hatte, nahm sie mich in Schutz: „Wo soll er denn hin? Er kann nirgendwo hin.“

Nach diesem Vorfall trainierte ich noch härter, wenn das überhaupt noch möglich war. Ich wurde unruhig und machte jeden Tag mehr. Wenn ich von der Sporthalle nach Hause kam, konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes die Treppen nur noch hinaufkriechen. Nach diesem Vorfall hatte ich mit Cus keine größeren Auseinandersetzungen mehr. Ich wusste, dass ich zu einem bestimmten Zweck hier war und dass ich nicht sterben würde, solange er nicht erfüllt war.


Ich wäre nicht der erste Boxer gewesen, den Cus hinauswarf, hätte er seine Drohung nach dem Vorfall in der Schule wahr gemacht. Burt Young, der schon mit dem Boxen begonnen hatte, bevor er in den Rocky-Filmen mitspielte, konnte es nicht fassen, dass Cus seinen Nachbarn Vic Campo feuerte, kurz nachdem er Profi geworden war. Cus hatte instinktiv gespürt, dass Campo keine Zukunft hatte. „Ich habe noch nie von einem Manager gehört, der seinen Boxer gefeuert hat“, sagte Young. „Solange sie dich bezahlen, gibt es keinen Grund, sie nicht zu managen. Denen ist das doch scheißegal; manche Manager haben siebzig Boxer.“ Aber Cus ging es nie ums Geld. Ihm ging es darum, einen Plan für einen Boxer zu entwickeln und ihm genug Disziplin beizubringen, damit er den Plan ausführen konnte. Für Cus zählte nur das Hervorbringen von Champions.

Im Jahr 1945, als Cus aus der Army zurückkehrte, fand er das Gramercy in einem desolaten Zustand vor. Während seiner Abwesenheit sollte sich sein Freund und Partner Harry Davidow um die Sporthalle kümmern. Der machte seine Sache aber nicht besonders gut, und die zehn besten Boxer, die Cus ausbildete, einschließlich Tony Johnson, hatten schlechte Angewohnheiten entwickelt. Dennoch hatte Cus zwei Kämpfer, von denen er glaubte, dass sie es schaffen könnten, wenn sie richtig betreut wurden. Einer davon war Joe Juliano, der unter dem Namen Joe Sulick boxte. Juliano war eine große Hoffnung im Weltergewicht. Er hatte eine starke Deckung und war bekannt für seine harten Schläge auf den Solarplexus.

Aber Joe hatte eine große Schwäche – er liebte das Glücksspiel. Wenn er genug Kohle hatte, ließ er sich von einem Chauffeur in einem 1933er Packard Touring durch Manhattan kutschieren. Manchmal ließ er sich monatelang nicht in der Sporthalle blicken. Anthony Patti fragte Cus, wo John abgeblieben sei. „Er wird nicht zurückkommen, ehe er kein Geld mehr hat“, sagte Cus. Juliano war einer dieser talentierten Typen, die nie trainierten, nur in den Ring stiegen, boxten, gewannen, sich danach ein Auto kauften und spielten.

Cus wollte seine Zeit nicht in Boxer investieren, die derartige Schwächen hatten. Andere Manager redeten Juliano ein, er könne mit Cus niemals eine Meisterschaft gewinnen, weil Cus nicht die richtigen Kontakte hätte, und deshalb trennten sich die beiden schließlich. Dennoch verstand sich Joe zeitlebens gut mit Cus. Ich habe Mr. Juliano kennengelernt. Ein beeindruckender Mann.

Als Cus anfing, Boxer auszubilden, kam er seinem Ziel, einen Champion zu formen, am nächsten, als er einen italienischen Nachbarsjungen namens Thomas Rocco Barbella entdeckte. Barbella und seine Freunde kamen eines Tages in die Sporthalle, und Cus erfuhr, dass Barbella den Ruf eines brutalen Straßenkämpfers hatte. Als er dann aber mit einem seiner Freunde sparrte, sah Cus, dass er überhaupt keine Ahnung vom Boxen hatte. Er fragte einen anderen aus der Bande, wie das sein könne, und der erzählte ihm, wie Barbella seine Opfer entwaffnete: Er stellte sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor sie hin und versetzte ihnen dann völlig überraschend eine vernichtende Rechte. Als Cus ihm vorschlug, zu trainieren und Boxer zu werden, hatte Barbella richtig Angst. Cus arbeitete heimlich mit ihm, und nach einem Jahr war der Junge kampfbereit.

Aber Cus wurde klar, dass Barbella niemals dazu fähig sein würde, seine Angst und seine Feigheit zu überwinden. Einmal fuhren Cus und einige seiner Boxer zu einem Kampf, aber es passten nicht alle ins Taxi, deshalb entschied sich Cus, zu Fuß zu gehen. Als er am Veranstaltungsort ankam, saß Barbella in der Umkleide und war nervlich völlig am Boden, weil Cus noch nicht da war. Da erkannte Cus, dass seine Boxer zu abhängig von ihm waren.

Barbella war so weit, Profi zu werden, aber Cus übte sich noch in Zurückhaltung. Deshalb unterschrieb er hinter Cus’ Rücken einen Vertrag mit einem Manager namens Irving Cohen, einem Frontmann der Boxmafia. Cus wurde richtig wütend. Er hat Barbella nie verziehen, und als dieser unter dem Namen Rocky Graziano zum Champion wurde, bezeichnete er ihn als betrügerischen Feigling. Cus nahm seine Treulosigkeit persönlich, gerade weil er so viel für den Burschen getan hatte.

Cus war einer dieser italienischen Amerikaner, die über die Mafia schimpften. Er sagte immer: Wenn sie dir einen Gefallen tun, haben sie dich für den Rest deines Lebens in ihren Klauen. Cus kannte diese Gangster zur Genüge, viele von ihnen waren mit ihm im selben Viertel aufgewachsen. Aber das hieß noch lange nicht, dass er sich mit ihnen verbündete. Cus war ein Kreuzritter. Die bloße Vorstellung, einen Boxkampf zu manipulieren, machte ihn krank. „Ich liebe das Boxen“, sagte er 1957 in einem Interview mit der Zeitschrift Life. „Ich sehe es als einen Sport, die viel Gutes bewirken kann. Das ist für die meisten anderen im Boxgeschäft allerdings kein Kriterium. Vielleicht gibt es mir etwas, einem Jungen dabei zu helfen, das zu schaffen, was mir selbst nicht gelungen ist – allein schon zu sehen, wie ein Boxer heranreift und sich selbst findet, ist mir Belohnung genug.“

 

Wenn Cus bemerkte, dass einer seiner jungen Boxer in Probleme hineinschlitterte und sich mit den falschen Leuten abgab, sprach er ein ernstes Wort mit ihm: „Pass auf, du musst dir immer sicher sein, dass du keine schlechte Wahl triffst. Halte dich auf jeden Fall von der Mafia fern. Diese Leute führen dich in Versuchung, wo immer sie es können.“ Ein paarmal musste Cus mit gutem Beispiel vorangehen. Er erzählte mir, dass einmal vier Mafiosi in die Sporthalle kamen, während ungefähr vierzig Jungs trainierten. Zwei Typen blieben in der Tür stehen, ein weiterer ging rüber zu den Spinden, und der Anführer der Gruppe ging auf Cus zu und fragte höflich an, ob er mit ihm unter vier Augen sprechen könnte. Cus nahm ihn mit in sein Büro. Sobald sie im Büro waren, schloss der Kerl die Tür und stieß Cus etwas, das unter seinem Mantel wie eine Waffe aussah, in den Magen und sprach ihn dann auf einen seiner Boxer an.

„Wir sind im Geschäft. Ich nehme den Boxer mit“, sagte er zu Cus. „Ich sage es dir nur. Selbst wenn du vor Gericht gehst, wird es dir nichts bringen. Wir machen unsere eigenen Gesetze.“

Während er sprach, drehte sich Cus langsam um und bewegte sich vorsichtig in Richtig Tür. Dann riss er sie auf und trat hinaus in die Sporthalle. Der Typ blickte überrascht drein. Cus erinnerte sich an die Reaktion seines Vaters vor Jahren, als ihn ein paar harte Kerle, die seine Eisdiele übernehmen wollten, mit einem Messer bedrohten: „Du könntest mich in lauter kleine Stücke schneiden und ich würde trotzdem nicht aufgeben!“

Cus streckte seine Hand aus. „Du kannst gleich hier anfangen“, sagte er und klopfte mit einer Hand auf die Finger der anderen, „und mir Stück für Stück die Hand abschneiden, aber ihr seid raus aus dem Geschäft! Und jetzt verzieht euch!“

Die Mafiosi verschwanden über die Treppe und Cus ging zurück in sein Büro. Er erzählte, dass seine Beine so sehr zitterten, dass er sich gegen seinen Schreibtisch lehnen musste, als seine Boxer hereinkamen und ihm gratulierten. „Du hast es diesen Kerlen gezeigt, hast ihnen gesagt, dass sie hier nichts zu suchen haben“, sagten sie. „Gut gemacht, Cus.“ Das war eine der Eigenschaften, für die wir alle ihn liebten. Wann immer ich wegen eines Kampfes Zweifel hatte, sagte er: „Mike, hast du Angst? Dann boxe ich für dich gegen ihn. Ich bin siebenundsiebzig, aber ich trete für dich gegen ihn an.“

Doch die Geschichte war noch lange nicht zu Ende. Der Mob, wie die Mafia-Organisationen in Amerika zusammenfassend genannt werden, ließ Cus wissen, dass Irving Cohen seinen Boxer übernehmen würde. Daraufhin ging Cus zum Berufsverband der Boxmanager und legte offiziell Beschwerde gegen Cohen ein. Cohen war damals einer der Topmanager, die dem Verband ziemlich nahe standen, und Cus war ein Außenseiter. Als er ihnen die Geschichte erzählte, waren sie erstaunt über seinen Mut.

„Ich nehme an, diese Typen kommen wieder“, meinte einer der Offiziellen des Verbandes. Cus sagte ihm, dass er die Kerle auseinandernehmen werde. Und dann zeigte er auf die Leute vom Verband am Tisch. „Sollten diese Typen noch einmal bei mir auftauchen, dann seid ihr diejenigen, denen ich die Hölle heiß mache.“

Das war nicht das einzige Mal, dass der Mob versuchte, Cus unter Druck zu setzen. Ein anderes Mal kamen zwei Mafiosi, um ihn darüber zu informieren, dass sie einen seiner Boxer übernehmen würden. Nachdem Cus einen von ihnen die steile Treppe hinuntergestoßen hatte, machte sich der andere sogleich vom Acker. Paul Mangiamele erzählte, dass Cus ihm von einem Vorfall berichtete, der in einem Durchgang in der Nähe der Sporthalle stattfand. Ein Typ kam auf Cus zu, zog eine Pistole hervor und zielte damit direkt zwischen seine Augen. „Entweder du machst es auf unsere Art …“, begann er, doch Cus schnitt ihm das Wort ab.

„Pauly, der Lauf sah aus wie ein Kanonenrohr“, erinnerte sich Cus. „Ich hatte Todesangst. Aber ich starrte diesem Hurensohn direkt in die Augen und sagte: ‚Willst du dieses Ding benutzen oder nur mit mir reden? Angst machst du mir damit nicht.‘ Mir schlotterten die Knie, doch ich starrte ihn weiter an, und dann zog er Leine.“

Cus gab sich furchtlos: „Glaubt mir, ich habe keine Lust zu sterben“, sagte er der Sports Illustrated, „aber ich habe auch keine Angst davor, für meine Prinzipien zu sterben.“

Manchmal versuchte Cus eine Situation mit Humor zu entschärfen. Einmal statteten ihm zwei freundlich aussehende Burschen von der harten Sorte einen Besuch ab und schlugen ihm eine Partnerschaft vor. „Wenn ihr Interesse am Boxgeschäft habt, müsst ihr mit mir zusammenarbeiten“, erklärte Cus ihnen ungerührt. „Euer Tag beginnt um fünf Uhr morgens damit, die Boxer auf ihr Lauftraining vorzubereiten. Danach müsst ihr sie abfrottieren und sie anschließend bei ihren Trainingseinheiten unterstützen.“ Die beiden tauschten bestürzte Blicke aus. „Ihr könnt gleich damit anfangen, die Spucknäpfe zu leeren.“ Sie gingen schnurstracks zur Tür und kamen nie wieder.

Weil sie bei Cus nichts ausrichten konnten, versuchten die Mafiosi, sich seinen Boxern direkt zu nähern. Anthony Caruso erinnerte sich daran, dass Cus ihn davor warnte. „Sobald Cus dich auf die Meisterschaft vorbereitet hat, wollen sie dich. Vorher wollen sie gar nichts mit dir zu tun haben. Das sagte mir auch Cus: ‚Jeder wird dich jetzt haben wollen. Mach noch ein paar Kämpfe, und dann wirst du sehen, wer alles auf dich zukommt.‘ Als ich die Golden Gloves gewann, standen alle von ihren Stühlen auf, klatschten, schrien, und zwei Typen kamen direkt auf mich zu. Sie wollten mir fünfundzwanzigtausend Dollar geben, weil ich jeden k. o. geschlagen hatte. Vor siebzig Jahren war das ein Vermögen, und ich war total pleite. Sie sagten: ‚Hey, komm mit uns, wir schenken dir ein Auto.‘ Darauf erwiderte ich: ‚Hört mal, da müsst ihr erst mit meinem Manager Cus D’Amato sprechen.‘ Als ich zurück war, sagte ich zu Cus: ‚Diese Jungs wollen mir fünfundzwanzigtausend Dollar geben, wenn ich dich verlasse. Aber ich habe ihnen gesagt, dass sie mich am Arsch lecken können.‘ – ‚Im Ernst, das hast du gesagt? Das ist mein Junge! Das ist es, was ich will: loyale Jungs.‘“

Schließlich versuchten die Mafiosi, mit Cus zu verhandeln, um seine Boxer zu kaufen. Einer fragte Cus, ob er einen bestimmten Boxer verkaufen würde. „Ich verkaufe keine Boxer“, erklärte ihm Cus. „Wenn sie nicht mehr boxen können, dann schicke ich sie in Rente, und wenn sie boxen können, dann behalte ich sie.“ Cus sagte, wenn dieser Boxer ihn verlassen wolle, dann könne er das tun, aber er solle es ihm ehrlich sagen und ihm das Geld zurückzahlen, das er für ihn ausgelegt habe. Dieser Junge kam denn auch zu Cus und sagte ihm, er wolle gehen, und Cus gab ihn frei. Aber Cus war derjenige, der zuletzt lachte: Das neue Management hatte vom Boxen keine Ahnung; die Leute schickten ihn nach ein paar Vier-Runden-Kämpfen zu einem großen Kampf in den Ring, und der Junge machte schlapp. Cus hingegen hatte gesagt, er würde seine Jungs immer gut aussehen lassen – auch wenn sie nicht so gut waren, wie sie aussahen.

Aber all diese Intrigen machten Cus paranoid. Als Burt Young einmal bei ihm vorbeikam, um sich im Auftrag eines Freundes die Sporthalle anzuschauen, ließ Cus ihn sofort die Taschen leeren. „Ich dachte, der ist doch nicht ganz sauber“, erzählte mir Young. „Aber Cus erklärte mir, dass Tony Ducks [Oberhaupt der Lucchese-Familie aus der Cosa Nostra] versuchte, seine Boxer zu übernehmen, und er wollte sichergehen, dass ich keine Waffe bei mir hatte.“

Cus’ ehemaliger Boxer Graziano versuchte, ein paar seiner Jungs für den Mob abzuwerben. Cus selbst erzählte, dass Graziano ihm eines Tages in Manhattan über den Weg lief: „Ich stand vor einem riesigen Schaufenster und Graziano kam von der Seite meines kaputten Auges, und so stand er plötzlich direkt vor mir. Er sagte: ‚Cus, ich hab gehört, du bist sauer auf mich. Möchtest du mir etwas sagen?‘“ Cus konnte in Rockys Augen sehen, dass er daran dachte, ihm etwas anzutun. „Darauf sagte ich: ‚Rocky, wenn du tust, woran du gerade denkst, dann machen wir es auf deine Art, aber ich verspreche dir eines: Ich werde zurückkommen und dann machen wir es auf meine Art, und dann werde ich das hier ein für allemal beenden.‘ Er muss wohl in meinen Augen gesehen haben, wie ernst es mir war; er sagte: ‚Ach Cus, ich will nichts mit dir zu tun haben‘, und ging. Ich hatte schon vor meinem inneren Auge gesehen, wie Rocky mich durch dieses riesige Schaufenster warf und das ganze Glas auf mich herabfiel, deshalb musste ich ihn wissen lassen, dass ich zurückkommen und das beenden würde.“

Cus war so ängstlich, dass er sogar Rocky Marciano, den ehemaligen Champion im Schwergewicht, bedrohte, als er eines Abends im Gramercy vorbeikam. Marciano trieb sich damals in Gangsterkreisen herum, und Cus war beunruhigt, als er Schritte auf der Treppe zur Sporthalle hörte.

„Wer ist da?“ brüllte Cus hinter der Tür.

„Ich bin’s, Cus. Rocky“, sagte Marciano.

„Wer ist bei dir?“ fragte Cus.

„Niemand“, sagte Rocky.

„Rocky, ich will niemanden sehen. Ich habe ein Gewehr, und wenn du nicht gehst, dann schieße ich direkt durch diese Tür. Hast du das verstanden?“

Rocky drehte sich um und verschwand blitzschnell.

Geld hatte für Cus keine Bedeutung. Er war der Überzeugung, wann immer er Geld brauchte, könne er es auch verdienen. Diese Einstellung versuchte er auch seinen Boxern anzuerziehen. Über die Jahre hinweg wurde er immer wieder dafür kritisiert, dass er manchmal sogar sehr lukrative Kämpfe ablehnte, wenn er der Ansicht war, dass seine Boxer noch nicht bereit dafür waren. 1957 rechtfertigte er seine Vorgehensweise in einem Artikel für das Magazin Sport: „Ich habe immer gewusst, dass Geld hereinkommt, wenn ich mein Ziel erreicht habe. Aber Geld ist zweitrangig. Oft erzähle ich den Jungs, dass wir wie Läufer in einem Rennen um hunderttausend Dollar in Gold sind, bei dem ein Junge den anderen um eine Beinlänge voraus ist. Kurz bevor er die Ziellinie erreicht, sieht er ein Zwanzig-Dollar-Goldstück, bückt sich, um es aufzuheben, und verliert die hunderttausend. Dasselbe gilt für bestimmte gewinnträchtige Kämpfe, die mir für meine Boxer angeboten wurden. Hätte ich mich auf diese Kämpfe mit Boxern unterschiedlicher Qualität eingelassen, wären meine Jungs vielleicht niemals Champions geworden.“

Cus liebte das romantische Robin-Hood-Zeug. „Ich habe mein Geld nie vergeudet“, sagte Cus, „ich gab es den Menschen, die in Not waren. Das ist für mich keine Geldverschwendung.“ Vieles von meiner Einstellung zu Geld habe ich von Cus. Ich wurde dafür kritisiert, dass ich Millionen von Dollar durchgebracht habe, und das stimmt. Aber ich habe immer etwas locker gemacht für Leute, die es brauchten.

Und so ging es Cus auch mit all seinen Boxern in seiner Sporthalle. Anthony Patti erinnert sich an Cus’ Großzügigkeit damals in den Fünzigern: „Cus hatte immer etwas für die Jungs, ob er es sich leisten konnte oder nicht. Ich weiß noch, wie ich einmal in der Sporthalle war und einer der Boxer kam herein und sagte: ‚Hey Cus, kannst du mir mit etwas Geld aushelfen? Ich bin ziemlich knapp.‘ Cus sagte: ‚Klar‘, und stöberte ohne zu zögern in seinen Taschen. Er hatte, glaube ich, vier Einer und eine Handvoll Münzen. Er gab dem Jungen drei Einer und behielt den letzten Dollar und die Münzen. So war er. Er kaufte Turnhosen für die Boxer, anderen schenkte er neue Boxhandschuhe. Egal wie viel Geld er hatte, es ging alles an seine Boxer. Und er verlangte von keinem von ihnen eine Gegenleistung, nur: ‚Bleib mir treu.‘ Er war für alle wie ein Vater. Jeder Boxer kam mit seinen Problemen zu ihm, und er nahm uns mit ins Büro, schloss die Tür und wir redeten.“

Grey Gauvin war ein vernachlässigter Junge aus der näheren Umgebung des Gramercys, der ständig in Schwierigkeiten geriet. Cus nahm ihn unter seine Fittiche und brachte ihm das Boxen bei, um zu versuchen, ihn in die richtigen Bahnen zu lenken. Gauvin wurde dazu 1957 für einen Life-Artikel über Cus interviewt: „Ich danke Gott für Cus, kann ich dazu nur sagen. Ich habe auf dem Rücksitz eines Autos geschlafen. Er brachte mich in ein Hotel und gab mir einen Job. Er hat nie einen Cent von mir verlangt. Wenn Cus nicht gewesen wäre, wäre ich heute wahrscheinlich im Knast. Er half mir, meine Feindseligkeit gegenüber der Gesellschaft zu überwinden.“

Gauvin war nicht der einzige Junge, den Cus von der Straße holte. Einmal bezahlte er für an die siebzig Boxer den Aufenthalt in einem alten Hotel in der Nähe des Gramercys. Und er gab ihnen sechzig Dollar Taschengeld für den Monat. Sonntags nahm er ein paar seiner Boxer mit zu seinem Bruder nach Hause zum Abendessen. Damals wurden Boxer als Preisboxer bezeichnet, weil sie nicht zwangsläufig Geld für einen Sieg bekamen; sie bekamen einen Preis. Wenn einer seiner Boxer bei einem Wettkampf eine Armbanduhr gewann, kaufte Cus ihm die Uhr ab und dann verkaufte er sie entweder weiter oder verschenkte sie. Er kümmerte sich um all seine Nichten und Neffen. „Wir trugen Pappstreifen in unseren Schuhen, weil die Sohlen Löcher hatten, aber wir hatten immer schicke Armbanduhren“, erinnert sich seine Nichte Betty.

 

Cus erwartete, dass seine Boxer seinem Rat folgten. Anthony Caruso erinnert sich, dass Cus ihm immer Vorträge hielt: „Er wollte nicht, dass ich Freundinnen hatte. Er wollte nicht, dass ich mit anderen Leuten außer Boxern rumhing. Er sagte mir: ‚Wenn du einmal Champion bist, kannst du machen, was du willst. Aber zum jetzigen Zeitpunkt machst du nicht mit Mädchen rum, trinkst nicht und rauchst nicht. Du musst dich auf das Boxen konzentrieren. Und du musst auf deinen Vater und deine Mutter hören; sie sind deine besten Freunde‘.“

Anthony Caruso war seit seinem vierzehnten Lebensjahr vierzehn Jahre mit Cus zusammen. Er hatte ein riesiges Potenzial, aber nicht die Motivation, um Champion zu werden. Einmal sagte Cus zu Anthony, er würde ihn zu einem Vorkampf im Madison Square Garden aufstellen lassen, damit er Erfahrungen sammeln könne. Er wollte ihn vor dem Kampf im Trainingscamp haben, aber Anthony ließ sich nicht blicken. Am Tag des Kampfes kam Caruso in die Sporthalle.

„Was machst du hier?“, brummte Cus.

„Der Kampf ist doch erst heute Abend, oder?“

„Nein, ist er nicht. Ich habe den Kampf abgesagt“, sagte Cus. „Was glaubst du? Dass du alle in der ersten Runde k. o. schlagen wirst? Diese Jungs sind zäh.“ Anthony ging und kam nie mehr zu Cus zurück. Aber heute ist ihm klar, dass Cus recht hatte: Du musst trainieren oder du kommst keine zehn Runden weit.

Nach all den Jahren, in denen Cus junge Burschen die verheißungsvollen Stufen zur Gramercy-Sporthalle heraufkommen sah, fand er eines Tages im Jahr 1949 schließlich jemanden, bei dem er seinen Traum, einen Champion hervorzubringen, verwirklichen konnte. Es war ein vierzehnjähriger Schwarzer aus Bedford-Stuyvesant in Brooklyn namens Floyd Patterson. Er kam alleine herauf, was Cus beeindruckte. Floyd schien sich damit zufrieden zu geben, den anderen Jungs beim Training am Sandsack zuzusehen, bis Cus ihn fragte, ob er trainieren wollte. Floyd schien sehr schüchtern, aber er brachte ein brummendes „Yeah“ zustande. Cus war noch beeindruckter, als Floyd in Turnhosen aus der Umkleide kam. Floyd war noch ein Junge, doch er hatte schon den Körper eines Mannes. Cus erkannte sofort, dass der Junge einen starken Rücken und kräftige Muskeln besaß, und war sich sicher, dass er einen harten Punch hatte. Ich frage mich, was Cus wohl dachte, als er mich mit dreizehn das erste Mal sah. Wenn er von Patterson schon dachte, er sei wie ein Erwachsener, muss ich im Vergleich zu ihm ein Gott gewesen sein!

Cus liebte Floyds Motivation – er wollte boxen und Geld verdienen, sodass sein Vater sich nicht zu Tode schuften musste bei dem Versuch, seine Ehefrau und seine elf Kinder zu ernähren. Bingo! Cus war der Ansicht, für einen Boxer sei es gut, Teil einer großen Familie zu sein, denn es bedeutete, dass er niemals verhätschelt wurde oder überbehütet war. Nachdem er für ein paar Wochen jeden Tag in die Sporthalle gekommen war, brachte Floyd eines Tages seinen älteren Bruder Frank mit. Frank war ein versierter Boxer, der auf dem besten Weg war, einen Golden-Gloves-Titel zu gewinnen. Wenn die beiden zusammen boxten, erteilte Frank seinem Bruder Floyd jedesmal eine Lehre, indem er richtig hart zuschlug. Floyd zog sich dann in die Umkleide zurück und weinte. Cus ging ihm hinterher und tröstete ihn.

Cus musste wohl richtig Eindruck auf Floyd gemacht haben, als er, kurze Zeit nachdem Floyd mit dem Training begonnen hatte, Frank aus der Sporthalle warf. Cus war zu Ohren gekommen, dass Frank einen Amateurkampf absichtlich verloren hatte. Anthony Patti war an dem Tag in der Sporthalle, als Frank hereinkam und Cus ihn sich gleich zur Brust nahm. „Sieh zu, dass du von hier verschwindest, und wage es ja nicht, noch mal hier aufzutauchen“, brüllte er.

Cus gelang es mehr und mehr, zu Floyd durchzudringen. Was er fand, hätte gereicht, um Freud den Mund wässrig zu machen. Floyd hatte ein unglaublich geringes Selbstbewusstsein. Er war als Kind in der Schule gemobbt worden. Er schwänzte den Unterricht, ging zur U-Bahn-Station High Street und stieg am Ende der Haltestelle in den Schacht. Dort quetschte er sich in einen Verschlag, in dem die Arbeiter ihre Werkzeuge aufbewahrten, und schlief, in Embryonalhaltung zusammengerollt, ein. Er war beinahe autistisch, vermied jeglichen Sozialkontakt und wurde sogar manchmal von Nachbarn beim Schlafwandeln auf der Straße gesehen. Als das jüngste von elf Kindern sah er sich als Belastung für die Familie. „Meine Mutter sagte mir, ich hätte immer auf ein Foto von mir gezeigt, das im Schlafzimmer hing, und gesagt: ‚Diesen Jungen mag ich nicht!‘“, sagte Floyd der New York Times. „Eines Tages fand meine Mutter drei große X, die mit einem Nagel in mein Foto gekratzt waren. Ich erinnere mich nicht, das getan zu haben. Aber ich erinnere mich, dass ich mich zu Hause wie ein Parasit gefühlt habe.“ Wenn sein Vater, erschöpft von seinem Job als Hafenarbeiter, nach Hause kam, zog ihm Floyd die Schuhe aus und wusch ihm die Füße. „Ich fühlte mich so schlecht, ich, der ich nicht zur Schule ging und nichts tat … Die Freitagabende waren am schlimmsten. Er kam mit seinem Lohn nach Hause und legte jeden Nickel davon auf den Tisch, damit meine Mutter Lebensmittel für uns Kinder kaufen konnte. Da wollte ich nie dabei sein, wollte das nicht sehen. Ich bin immer weggelaufen und habe mich verstecktt.“

Als er älter wurde, wurde Floyd kriminell, begann zu stehlen und brachte seine Beute zu seiner Mutter. „Alles was ich wollte, war, meinen Eltern zu helfen, aber daran bin ich gescheitert, und das machte alles nur noch schlimmer.“ Schließlich überzeugte ein Richter seine Mutter davon, Floyd in die Wiltwyck School for Boys nach Upstate New York zu schicken. Floyd war froh, aus der Stadt herauszukommen und die Natur zu genießen. Dort blühte er auf, lernte lesen und schreiben. Nach zwei Jahren wurde er in die Stadt zurückgeschickt und schrieb sich dort in die P.S. 614 ein, eine Förderschule für Problemkinder. Und dann verirrte er sich ins Gramercy.

Floyd war für Cus’ „Aufbauprojekte“ wie maßgeschneidert. Als er sah, dass Floyd weinte, weil er geschlagen wurde, begann er damit, ihm die Peek-a-boo-Technik beizubringen, und arbeitete mit ihm am Slip Bag. Und er arbeitete auch an Floyds Psyche. Cus erkannte, wie zerbrechlich Floyd war; deshalb sprach er über ihn mit anderen Leuten nur in Floyds Gegenwart, sodass der nicht dachte, Cus würde ihn hinter seinem Rücken kritisieren. Als Cus bemerkte, dass Floyd ein Hygieneproblem hatte, vergewisserte er sich, dass er immer in Hörweite war, wenn er Anthony Patti über die Bedeutung des regelmäßigen Duschens aufklärte. Cus war ein Meister der Psychologie.

Cus war sich sicher, in Floyd einen verlässlichen Kandidaten für die Weltmeisterschaft gefunden zu haben, als er eine Anekdote über Floyds Zeit an der Wiltwick von einer seiner Lehrerinnen hörte. Sie war überzeugt davon, dass Floyd eines Tages erfolgreich sein würde, denn einmal war er der Schüler der Woche gewesen, und als Belohnung dafür hatte es eine Tüte Süßigkeiten gegeben.

Floyd war verrückt nach Süßigkeiten, aber er lehnte seine Belohnung ab, weil ihm seine Lehrerin gesagt hatte, dass die Süßigkeiten sein Preis seien und er daher keinem anderen etwas davon abgeben dürfe. Er hatte aber vorher mit einem anderen Jungen vereinbart, dass sie sich den Preis teilen würden, wenn ihn einer der beiden bekäme. Seine Lehrerin bohrte nach, warum er das Naschwerk nicht annehmen wollte. Als sie von der Vereinbarung mit seinem Freund erfuhr, gab sie ihm die Süßigkeiten trotzdem. Floyds selbstloses Verhalten machte großen Eindruck auf Cus: „Es zeigte mir, dass er den Charakter besaß, für die Dinge einzustehen, die er für richtig hielt. Das ist sehr wichtig, denn es ist sein Charakter, der einen Mann berechenbar macht. Und ein Mann mit Charakter wird nicht aufgeben, sondern so lange weitermachen, bis er seine Aufgabe erfüllt hat. Und genau diese Eigenschaft hatte dieser Junge. Das sagte mir, dass ich ihm vertrauen konnte und keine Angst haben musste, dass er sich hinter meinem Rücken des Geldes wegen abwerben lassen würde und ich dann der Geprellte wäre.“