Eiserner Wille

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Z serii: Sport
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„Sein ganzes Gesicht begann zu leuchten. Hast du jemals einen Typen gesehen, dem vor Schreck die Haare zu Berge standen? Na ja, Cus hatte keine Haare, aber daran musste ich denken. Seine Augen weiteten sich, und es sah aus, als wollte er sagen: ‚Ich bin wieder lebendig‘.“

Cus ließ uns die dritte Runde machen, und ich war ziemlich gut. Teddy nahm mir die Handschuhe ab, und Cus begann Mr. Stewart mit seinen zu helfen.

Ich sah sie miteinander sprechen, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Ich konnte nichts von Cus’ Gesicht ablesen. Er war ungerührt. Ich erfuhr erst später, dass Cus Bobby gefragt hatte: „Hätte er Interesse daran, hier zu trainieren?“ Bobby wusste, dass ich wollte, aber er blieb cool und sagte, er müsse erst mit mir sprechen.

Auf dem Weg zum Auto platzte ich fast vor Neugier.

„Kann ich wiederkommen? Wie fand er mich?“, löcherte ich Bobby.

Er stupste mich an. „Was, meinst du, hat er gesagt?“

„Hat er gesagt, dass ich nicht wiederkommen darf?“, fragte ich. Ich war ein Trottel ohne Selbstbewusstsein.

„Nein! Er sagte: ‚Bobby, abgesehen von den äußeren Umständen ist das der Schwergewichtschampion der Welt, wenn nicht des ganzen Universums.‘ Aber nur, wenn du so weiterarbeitest wie bisher.“

Ich stupste zurück. „Das gibt’s doch nicht.“ Und dann musste ich weinen.

„Ehrlich, genau das denkt er von dir“, sagte Bobby. „Siehst du, du bist kein Abschaum. Du bist kein Verlierer. Er hat das alles über dich gesagt, nachdem er dich zu ersten Mal gesehen hat. Ist dir klar, was das bedeutet? Aber du kannst es auch innerhalb einer Sekunde versauen. Du musst arbeiten.“

„Das will ich“, sagte ich unter Tränen. „Ich bin bereit zu arbeiten.“


Auf der Fahrt zurück nach Tryon wusste ich einfach, dass ich Erfolg haben würde. Auch wenn ich schlecht über mich spreche und mich als Arsch hinstelle, weiß ich in meinem Inneren, dass ich ein Gott bin und erfolgreich sein werde. Jedes Mal, wenn ich sage: „Ich bin ein Stück Scheiße“, oder: „Ich will mich umbringen“, sage ich das nur aus einem Grund: um den Gegner zu verwirren. Das ist ein Konzept, das ich bald von Cus lernen sollte.

Als ich mich am nächsten Tag mit Bobby traf, sagte er: „Jetzt müssen wir wirklich trainieren.“ Wir arbeiteten jeden Tag, dann rief er Cus am Sonntag an und berichtete ihm von meinen Fortschritten. Alle vierzehn Tage fuhren wir nach Catskill zu einer Session mit Cus. Dann redete Cus immer mit mir und erklärte Teddy, welche Bewegungen er mir zeigen sollte. Wieder zurück in Tryon, arbeiten Bobby und ich an diesen Bewegungen. An drei Abenden pro Woche sparrten wir, an den restlichen Abenden trainierte ich, Bobbys Schlägen durch Seitwärtsbewegungen auszuweichen, so wie Cus es mir gezeigt hatte.

Ich stellte mich auch im Schulunterricht gut an. Bobby sagte zu mir: „Es ist mir egal, in wie vielen Fächern du durchfällst, solange du dir Mühe gibst und dich im Unterricht benimmst.“

Ein paar Wochen darauf bekam er einen Anruf von einem meiner Lehrer: „Was ist eigentlich mit diesem Jungen passiert? Im Lesen hat er sich vom Niveau eines Drittklässlers zu dem eines Siebtklässlers hochgeschraubt. Er macht sich super!“

Bei einem unserer ersten Besuche in Catskill nahm Cus Bobby und mich beiseite.

„Pass mal auf. Ich weiß, die meisten Jungs wollen nicht in den Erwachsenenknast, und deshalb geben sie ein falsches Alter an. Sie behaupten, jünger zu sein, als sie wirklich sind“, sagte Cus. „Er ist zu stark, zu groß, zu koordiniert und zu schnell. Er muss schon älter sein.“

Bobby sah verwirrt aus.

„Mike, hör zu, ich rede mit dir. Wie alt bist du wirklich?“, fragte mich Cus.

„Ich bin dreizehn!“, sagte ich. Aber ich sah nicht so aus. Ich war damals nur einssiebzig groß, aber ich wog neunundachtzig Kilo.

Als wir das nächste Mal dort auftauchten, hatte Bobby offizielle Dokumente dabei, die belegten, dass ich dreizehn war. Cus bekam fast einen Herzinfarkt.

„Hör zu, du wirst Landesmeister werden, oder auch Olympiasieger. Du hast das Zeug dazu. Möchtest du das werden?“, fragte Cus.

Ich wusste nicht, ob ich das alles wollte. In dem Moment war ich einfach nur eingeschüchtert, aber ich wollte vor Cus auch nicht wie ein Trottel dastehen.

„Yeah“, sagte ich.

„Okay, dann lasst uns loslegen!“, bellte Cus.

Von diesem Tag an gab Cus mir Anweisungen, wie ich zu boxen hatte. „Ist dir klar, warum du das tust?“, „Fühlst du dich wohl dabei?“, „Mach nicht irgendwas, nur weil ich es dir sage.“ Eines Tages sah er mich an und fragte: „Möchtest du dein Leben ändern?“ Ich nickte zustimmend. „Von dem, was ich bisher gesehen habe – und wenn du auf mich hörst und dich nicht ablenken und dir von niemandem den Kopf verdrehen lässt –, wirst du der jüngste Schwergewichtschampion aller Zeiten werden.“ Ich war dreizehn Jahre alt, und er hielt mich für unbesiegbar! Natürlich bestätigte ich, dass ich Weltmeister werden wollte, und das gefiel ihm. Aber die meiste Zeit redete nur Cus. Er sprach mit mir über meine Gefühle und dann erklärte er mir, warum ich mich so fühlte. Cus wollte mein Innerstes erreichen. Dabei ging es nicht nur um die körperlichen Aspekte des Boxens, sondern auch um die mentalen – warum einem die Muffe geht, warum uns unser Gehirn austrickst und manche Dinge schwieriger erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind. Ich verstand nicht alles, was er sagte, aber irgendwie kapierte ich doch, wie er es meinte. Cus wusste, wie er mit mir sprechen musste. Er war auch einmal ein Straßenkind gewesen, aber er hatte etwas aus sich gemacht.

Nach einigen weiteren Monaten, in denen ich immer wieder zu Cus in die Sporthalle ging, rückte meine Entlassung auf Bewährung in greifbare Nähe. Bobby Stewart kam in mein Zimmer.

„Hör zu, möchtest du bei Cus wohnen? Ich möchte nicht, dass du nach Brooklyn zurückgehst. Ich habe Angst, dass du entweder umgebracht wirst oder gleich wieder im Bau landest.“

Auch ich wollte nicht zurück nach Brooklyn. Ich wollte mein Leben ändern. Ich genoss das gute Gefühl, das mir diese Leute gaben, das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein. Bevor man aus Tryon entlassen wird, werden einem drei Auswärtsaufenthalte erlaubt. Beim ersten Mal besuchte ich meine Mutter in Brooklyn.

„Denk daran, wenn du in Schwierigkeiten gerätst, ist das das Ende von allem“, warnte mich Bobby.

Ich war für eine Nacht zu Hause, und es geschah nichts Besonderes. Vielleicht habe ich ein wenig Gras geraucht und ging mit meinem Freund App zum Times Square, aber darüberhinaus habe ich nichts gemacht. Ich redete mit meiner Mutter, aber sie war betrunken und hing mit ihren Freunden herum. Mein Bruder war nicht da, und meine Schwester war mit ihren Freunden zusammen. Aber ich habe jedem erzählt, dass ich Boxer werden würde.

Beim zweiten Mal war ich in Catskill. Dieser Aufenthalt dauerte drei Tage und zwei Nächte. Da sah ich Cus’ Haus zum ersten Mal. Ich traute meinen Augen nicht, als Bobby mit mir die lange, gewundene Auffahrt hinauffuhr. Sie hatten die Straße nach der Familie benannt, die dieses Haus ursprünglich bewohnte, den Thorpes. Das Haus selbst war ein riesiges, weißes viktorianisches Anwesen mit ungefähr vierzehn Zimmern. So was hatte ich noch nie gesehen. Von der Rückseite des Hauses führte ein Pfad direkt zum Hudson River.

„Hier werde ich wohnen?“, fragte ich Bobby. Er nickte.

„Was muss ich hier machen? Den Müll rausbringen?“, fragte ich. Ich war wirklich ein sarkastischer Junge.

Cus war nicht zu Hause, aber ich lernte Camille Ewald kennen, seine Lebensgefährtin und eigentliche Besitzerin des Hauses. Sie war eine streng wirkende ukrainische Dame, die aber echt nett zu sein schien.

„Hallo, setz dich und trink eine Tasse Tee mit mir“, sagte sie. „Erzähl mir was.“

Es war wie eine Plauderei unter Frauen. Wo ich herkäme, wo ich bisher schon gewesen war und ob ich aufgeregt sei. Nach einer Weile zeigte sie mir mein Zimmer. Ich setzte mich einfach aufs Bett und wartete auf Cus. Er kam mit einigen anderen Jungs, die auch im Haus lebten. Wir aßen etwas, dann machte ich ein paar Hausarbeiten, und danach gingen wir alle in die Sporthalle. Während dieser drei Tage trainierte ich, las Boxmagazine und sah mir zusammen mit Cus alte Boxerfilme an. Für mich machte es keinen Unterschied, dass ich jetzt Freigang hatte. Seit ich mit Cus zu tun hatte, war ich auch draußen, wenn ich drin war. Wissen Sie, was ich meine? Cus hatte ein Feuer entfacht, das fortan in mir loderte. Als ich mich wieder auf den Weg nach Tryon machte, hatte ich ein dickes Buch dabei, das er mir geliehen hatte. Ich hatte mir die Bücher im Wohnzimmer angesehen und war über Nat Fleischers Ring Boxing Encyclopedia and Record Book gestolpert. Ich begann es zu lesen und war überwältigt! Ich verliebte mich in diese alten Boxer. Ihre Lebensläufe standen alle in diesem Buch. Von einigen gab es sogar Fotos, die ihren Körper zeigten – und, wow, sie sahen verdammt gut aus! Kein Gramm Fett und kampfbereit. Auch wenn sie nur 54 Kilo wogen, waren sie trotzdem muskulös. Es war beeindruckend, wie viel Arbeit darin steckte, so auszusehen. Bei einem Boxkampf oder beim offiziellen Wiegen schauten sich die Leute mit Begeisterung die Körper der Kämpfer an und nicht die schönen Mädchen, die sie umgaben. Deshalb ziehe ich seit jeher den ganzen Oldschool-Kram aus der Jahrhundertwende ab und gehe in Unterhosen da rauf. Das war der Eindruck, den diese Boxer bei mir hinterließen: Sie sind schön. Dadurch hatte ich auch die Motivation, hart zu arbeiten. Ich wusste, dass ich die Tendenz hatte, fett zu werden, aber ich wollte dieses Sixpack haben. In diesem Buch gab es Momentaufnahmen, bei denen man jeden Muskel und jede Ader der Boxer während eines Schlags sehen konnte. Ich stellte mir vor, ich wäre der Typ auf den Bildern.

 

Cus hatte mich beim Durchblättern dieses Buches gesehen. „Gefällt es dir? Dann nimm es mit“, hatte er gesagt.

Für mich war dieses Buch wie das Penthouse-Magazin. Als ich das nächste Mal nach Catskill kam, konnte ich die gesamte Enzyklopädie auswendig. Ich begann Cus mit Fragen über die Boxer zu löchern. Ich nannte einen Namen wie Freddie Welsh, und Cus erzählte mir alles über ihn. Erwähnte ich Namen wie Armstrong, Canzoneri oder Ray Robinson, dann sagte Cus: „Whoa! Das nenn ich einen Boxer!“, und dann ging die Fantasie mit mir durch. Ich wollte alles über diese früheren Champions wissen und ihre Philosophie verstehen. Sie arbeiteten hart, aber sie genossen auch das Leben, und die Menschen blickten zu ihnen auf, als wären sie Götter. Für mich waren diese Männer unsterblich, und Cus war meine Verbindung zu ihnen, deshalb wollte ich ihn beeindrucken. Ich freute mich darauf, für ihn einkaufen zu gehen, die Sporthalle zu putzen, die Taschen zu tragen, sein Diener zu sein. Ich war Cus’ Sklave. Egal, womit er mich beauftragte, ich tat es. Und ich war glücklich dabei. Anfangs stand ich den anderen Jungs, die im Haus wohnten, nicht sehr nahe. Ich streifte durch das Gelände und ging zum Fluss hinunter, nur um ihn anzuschauen. Das Landleben war neu für mich. Ich redete und nahm an den täglichen Abläufen im Haus teil, aber ich verhielt mich seltsam. Ich war nicht konfliktfähig. Es war, als spräche ich eine andere Sprache.

Meine Mutter war nicht gerade begeistert davon, dass ich nach Catskill ging. Sie stimmte zu, weil ich da unbedingt hinwollte, aber ich sah, dass sie es nicht gerade toll fand. Meine Schwester fragte mich: „Warum gehst du zu diesen weißen Leuten?“, und ich antworte: „Weil ich Boxweltmeister werde.“ Als meine Entlassung bevorstand, mussten wir Cus’ Vormundschaft über mich in die Wege leiten. Meine Mama fühlte sich schlecht, weil ich so weit weg ins Umland ziehen wollte, unterschrieb aber trotzdem die Papiere. Vielleicht dachte sie, sie hätte als Mutter versagt.

Eine wunderbare Sozialarbeiterin namens Ernestine Coleman half mir. Sie war eine kräftige schwarze Lady aus Hudson, New York, nur ein paar Meilen von Catskill entfernt. Sie scheute keine Mühen, um mir den Umzug zu erleichtern. Sie zeigte mir gegenüber sehr viel Einfühlungsvermögen, und ich wusste mir diese Tatsache zunutze zu machen. Der Umgang mit ihr war einfacher als mit Bobby Stewart, dennoch war sie kein Schwächling. Ich glaube, Cus bemerkte sofort, dass ich wenig Selbstbewusstsein hatte und dass mich all die Jahre des Herumgeschubstwerdens und der Übergriffe eingeschüchtert hatten. Er begann bereits bei meinem ersten Besuch in Catskill, mein Ego aufzubauen.

„Du musst an dich glauben“, sagte er mir in der Sporthalle. „Sag dir das jeden Tag. Schau in den Spiegel und erkenne, wie gut du aussiehst. Schau dir deine schönen Hände an.“ Zuerst dachte ich, er wäre schwul. Da, wo ich herkomme, sagen dir ältere Kerle nur so einen Scheiß, wenn sie deinen Schwanz lutschen wollen. Jeder, der mir sagt, ich sähe gut aus, löst in meinem Kopf sofort diese Vorstellung aus. Ich fand mich nicht gut aussehend. Ich war mein Leben lang aufs Übelste behandelt worden und fühlte mich derart hässlich, dass ich mich selbst nicht einmal im Spiegel betrachten konnte. Aber da war er, jeden Tag. „Hör zu, du bist ein gut aussehender Junge.“ Wenn ich dann protestierte und sagte: „Verschwinde, raus hier!“, kam er wieder. „Nein, schau in den Spiegel und sag dir selbst, wie gut aussehend du bist. Übe Schattenboxen und sage dabei: ‚Schau, wie gut ich aussehe!‘ Du wirst jeden Tag hübscher – vielleicht wirst du am Ende noch Schauspieler!“ Er sagte das nicht aus einer Verliebtheit heraus. Es war ihm todernst. Es ging alles um eine Mission – die Weltmeisterschaft im Schwergewicht. Er behandelte mich nicht wie ein Kind. Er gab mir das Gefühl, etwas wert zu sein, das Gefühl, dass wir zusammen eine Mission zu erfüllen hatten.

Bobby Stuart sagte immer, ich sei der geborene Mitläufer, und das stimmt. Damals in Brooklyn folgte ich Barkim in ein kriminelles Dasein. Barkim wohnte bei mir im Haus und lehrte mich stehlen und rauben, dennoch musste ich auf der Hut sein. Wenn es ihm schlecht ging und ich Geld hatte, konnte er auch auf mich losgehen. Aber Cus war ein ganz anderer Mentor. Barkim legte keine Regeln fest, wie Cus es tat. Für Cus stand unwiderruflich fest, dass es unsere Bestimmung war, die Spitze zu erreichen, und dass am Ende des Weges etwas Gutes auf uns wartete. Wenn ich in den Ring stieg, um zu kämpfen, musste ich kämpfen, bis ich nicht mehr konnte. Du kannst nicht aufgeben, du musst kämpfen bis zum Tod. Cus versprach mir, dass mich niemand je wieder tyrannisieren würde. Er erzählte mir von früheren Boxern, denen das Leben übel mitgespielt hatte und die fähig gewesen waren, ihre Gefühle zu bewältigen. Als ich älter wurde, war mir klar, worauf Cus’ Psychologie hinauslief. Er machte die Schwachen stark. Gib einem schwachen Mann ein wenig Macht, und er wird süchtig danach. Cus wollte keine Jungen, die ausgeglichen waren – er wollte mit Außenseitern arbeiten. Er wollte den Abschaum der Gesellschaft aus den schlimmsten Vierteln. Er war so glücklich, als ich ihm erzählte, dass ich aus Brownsville stammte. „Oh Mann, eine Menge guter Boxer kamen von dort. Al ‚Bummy‘ Davis und Floyd Patterson wuchsen in der Nähe auf.“ Cus sagte mir, dass die besten Boxer seiner Meinung nach diejenigen waren, die am meisten durchgemacht haben.

José Torres erzählte mir später, dass sich Cus sicher war, ich würde Champion werden, als er hörte, dass ich in öffentliche Busse stieg, wartete, bis die Fahrgäste vor Taschendieben gewarnt wurden, um dann loszuziehen und ihnen die Taschen zu leeren. Er sah, dass ich eine angeborene Intelligenz besaß und dass ich meine kriminelle Energie in den Ring transferieren konnte. Cus hörte mir immer zu, wenn ich von meinen Straßeneskapaden erzählte. Dann sah er mich emotionslos an, kalt wie Stahl und sagte: „‚Nein‘ wird ein Fremdwort für dich werden.“ Cus war von dem, was er erreichen konnte, vollkommen eingenommen. „Hör zu, was ich dir sage, Junge. Leute königlicher Abstammung werden deinen Namen kennen. Die ganze Welt wird wissen, wer du bist. Deinen Familiennamen werden die Leute mit Achtung aussprechen, sie werden deine Mutter und deine Kinder respektieren. Verstehst du, was ich sage? Willst du alles dafür tun?“

Können Sie sich einen dreizehnjährigen Jungen vorstellen, der so etwas zu hören bekommt?

Wir sprachen oft über Cus’ Kindheit. Costantino D’Amato wurde am 17. Januar 1908 geboren. Sein Vater, Damiano D’Amato, war 1899 von Italien nach New York ausgewandert. Sechs Wochen darauf kam seine Frau Elisabetta mit Rocco, Cus’ ältestem Bruder, nach. Die Familie ließ sich in Manhatten nieder, wo Damiano einen Lieferservice für Kohlen und Eis eröffnete. Cus erinnerte sich kaum an seine Mutter – sie starb, als er fünf Jahre alt war. Cus hatte drei ältere Brüder – Rocco, Gerry und Tony – sowie einen jüngeren Bruder namens Nick. Cus schien locker mit dem Tod seiner Mutter umzugehen. „Ich hatte Glück“, sagte er einem Reporter, „meine Mutter starb, als ich fünf Jahre alt war, deshalb musste ich schon sehr früh lernen, selbstständig zu denken und zu handeln.“

Cus erzählte, dass er nach seiner Großmutter mütterlicherseits, Costanza, benannt worden war. Weil sein Vater sich aber nicht besonders gut mit ihr verstand, erzählte er Cus, dass er nach dem ersten christlichen Kaiser, Konstantin, benannt worden sei. Das war vermutlich das erste Mal, dass Cus sich als etwas Besonderes fühlte. Die Geschichte, dass die Familie in der mütterlichen Linie irgendwie mit Napoleon verwandt sei, bestärkte nur Cus’ Gefühl der Einzigartigkeit. Als Cus sechs war, zog die Familie in den Teil der Bronx, der unter dem Namen Frog Hollow berüchtigt wurde. Das Leben dort war hart, und bald hatte das Viertel den Ruf einer Brutstätte für Gangster wie Dutch Schultz. Obwohl Damiano kein Englisch konnte, wurde er Vorsteher der italienischen Einwanderer-Gemeinde, viele suchten seinen Rat, wenn sie geschäftliche Probleme hatten. Er war für seine Ehrlichkeit bekannt, eine Eigenschaft, die er all seinen Kindern vererbte. Damiano war auch sehr großzügig; obwohl die Familie nie viel Geld hatte, half er seinen Nachbarn, wenn sie in Not waren. Cus erzählte mir, dass sein Vater ein sehr versierter Ringer im griechisch-römischen Stil und ein großer Boxfan war. Er hatte auch eine großartige Stimme. Nach getaner Arbeit zündete er sich eine Pfeife an, spielte Mandoline und sang alte italienische Volkslieder dazu.

Damiano war auch „farbenblind“, wie Cus augenzwinkernd erklärte. Einmal, nachdem er sich eine neue Frau aus Italien mitgebracht hatte, lud er einen schwarzen Freund, einen Bergmann aus einer Kohlenzeche, zum Abendessen ein. Cus’ Stiefmutter meinte: „Vielleicht möchte dein Freund ins Badezimmer gehen und sich waschen?“ Sie hatte zuvor noch nie einen schwarzen Menschen gesehen und dachte, er sei schmutzig vom Kohlenstaub. Damianos Einstellung anderen Rassen gegenüber hatte großen Einfluss auf Cus. Er lehnte niemanden wegen seiner Hautfarbe ab. Cus freundete sich auch mit seinen jüdischen Nachbarn an. Wenn er krank war, brachten sie Hühnersuppe für ihn. Cus revanchierte sich, indem er samstags für seine jüdisch-orthodoxen Nachbarn das Licht anschaltete.

Dennoch schien Damiano mit seinen altmodischen Vorstellungen von Disziplin kein einfacher Zeitgenosse gewesen zu sein. Cus’ ältere Brüder verließen das Haus, sobald sie in der Lage dazu waren. Es war nicht leicht für Damiano, seine Jungs allein großzuziehen, und als er zum zweiten Mal ohne Frau dastand, reiste er nach Italien und brachte eine neue Frau mit, seine dritte. Cus war damals bereits einundzwanzig, und er und Nick wohnten für gewöhnlich bei einem Verwandten, wenn Damiano eine seiner häufigen Reisen nach Italien unternahm. Dieses Mal jedoch fand Tony seine Brüder Cus und Nick schlafend in einem Hauseingang und nahm die beiden mit nach Hause. Es war Weihnachtszeit und Tony hatte eine kleine Tochter. Als er und seine Frau am Weihnachtsmorgen aufwachten, hörten sie, wie Cus und Nick mit den Weihnachtsgeschenken ihrer kleinen Nichte spielten.

Immer wenn ich Cus von meiner lausigen Kindheit erzählte, sagte er, dass er das Gleiche durchgemacht hätte. Sie hätten nie viel Geld gehabt, und manchmal hätten sie Äpfel gestohlen und mit Freunden geteilt. „Heutzutage sagt man, man soll nichts essen, von dem schon ein anderer abgebissen hat, weil man sich Keime einfängt“, erzählte er mir. „Als ich ein kleiner Junge war, teilte ich mir Äpfel mit meinen Freunden. Erst biss der eine ab, dann der andere. Wir wurden ständig krank.“ Einmal hungerte er testweise fünf Tage lang, um sicherzugehen, dass ihn niemand mit Nahrungsentzug einschüchtern konnte. Er schloss daraus, dass er zwei Wochen durchhalten könnte, „wenn man seinem Körper nicht allzu viel abverlangt“.

Auch Cus wurde als Heranwachsender tyrannisiert. Von den Nachbarskindern wurde er gehänselt, weil ihn seine Eltern wie den „kleinen Lord“ anzogen. Sein älterer Bruder Gerry war ein harter Kerl. Von ihm hatte Cus schon ein wenig kämpfen gelernt. Einmal wurde ein Nachbarsjunge von sieben Burschen schwer verprügelt; Gerry kam dazu, pflügte einfach durch das Gewühl und schlug sechs Typen mit sieben Schlägen k. o. Gerry war Cus’ Held, und er war der erste von Cus’ Brüdern, der sich einer Gang anschloss. Cus trat in seine Fußstapfen; von da an war er ständig in Straßenschlachten verwickelt.

Cus erzählte von der Zeit, als er um die zwanzig war. Eines Tages saß er vor seinem Haus, als Vincent „Mad Dog“ Coll, ein notorischer Gangster, der mit Dutch Schultz verbandelt war, auf ihn zuging und ihm eine Waffe an den Kopf hielt.

„Du sagst mir besser, wo so-und-so ist“, erzählte Cus.

„Ich weiß nicht, wo er ist. Du wirst mich schon erschießen müssen.“

Mad Dog bemerkte, dass er an den Falschen geraten war, und zog wieder ab. Erst dann begann Cus zu zittern.

Cus erzählte mir, dass er aufgrund einer Straßenschlacht auf einem Auge blind geworden sei. An diesem Punkt wird es etwas schwammig. Im Laufe der Jahre präsentierte Cus vier verschiedene Versionen davon, was passiert war. Mir erzählte er, dass es geschehen sei, als er einen Nachbarsjungen verteidigte, der von einem Typen mit einem Messer bedroht wurde. 1958 stellte er gegenüber Sports Illustrated den Zwischenfall völlig anders dar: „Ich hätte boxen können und sollen, aber ich war in einen Straßenkampf verwickelt, als ich zwölf war. Da war … einer dieser Männer, die Kinder herumschubsen, weil sie wissen, dass sie erwachsene Männer nicht herumschubsen können. Er verletzte mein rechtes Auge; auf diesem Auge war ich blind, aber den Typen schlug ich in die Flucht und jagte hinter ihm her.“ Aber dann berichtete er Gay Telese vom New York Times Magazine, dass er auf dem linken Auge blind geworden wäre, weil man ihn in einer Straßenschlacht mit einem Stock getroffen hätte. Die Stock-Version wurde von ihm weiter ausgebaut; er erzählte, er hätte in einem Schaufenster seinen heraushängenden Augapfel gesehen. Ein anderes Mal behauptete er wiederum, er habe sein Augenlicht verloren, weil er versuchte, ein Kind vom Quälen eines Katzenbabys abzuhalten.

 

Die wahre Geschichte ist vermutlich viel schrecklicher. Eine von Cus’ Nichten erzählte, ihr Vater hätte auf dem Totenbett enthüllt, dass Cus seine Sehkraft auf einem Auge eingebüßt hätte, als ihn Damiano mit einer Gürtelschnalle züchtigte. Cus erzählte mir oft, dass sein Vater auf ihn eingeschlagen habe.

„Niemand hat so viele Schläge bekommen wie ich. Ich habe die schlimmsten Schläge der Welt bekommen, aber ich hatte sie auch verdient“, berichtete er. Wenn Cus zu spät nach Hause kam, ging er schon in Deckung, bevor er überhaupt die Tür geöffnet hatte. Kaum hatte er die Wohnung betreten, ging es bumm, bumm, bumm – sein Vater stürzte auf ihn los und prügelte ihn halb tot. Cus weigerte sich zu versprechen, dass er nie mehr zu spät kommen würde. Eines war Cus immer wichtig: Du kannst mich töten, aber du wirst mich nicht brechen. Sein Vater weinte, während er ihn schlug. Einmal konnte es Cus nicht mehr ertragen und keuchte: „Vielleicht mache ich es nicht noch einmal.“ Damiano begann zu weinen, dann fielen sich die beiden in die Arme.

„Es ist Blödsinn, wenn manche Leute sagen, dass Schläge die Seele eines Kindes brechen“, erzählte Cus einem Reporter. „Ich habe nie den Respekt oder die Liebe zu meinem Vater verloren, und meinen Willen hat das auch nicht gebrochen.“ Ich frage mich, ob Cus mir deshalb von seinen Schlägen erzählte, weil er wusste, dass ich als Kind ständig von meiner Mutter geschlagen wurde. Diese schreckliche Erfahrung war das Band zwischen uns.

Die Schule hatte Cus nie interessiert. Im zehnten Schuljahr ging er von der Highschool ab. Er gab sich auch keine Mühe, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Sein Vater drängte ihn ständig, sich einen Job zu suchen. Cus wollte Damiano nicht anlügen, deshalb ging er jede Woche einmal in eine örtliche Kühlschrankfabrik und stellte sich ganz hinten in die Schlange der Jobsuchenden, damit er nicht an die Reihe kam. Die Inhaber der Fabrik waren religiöse Juden, und einmal ging einer der Inhaber nach hinten und sagte zu Cus, dass er schwer beeindruckt davon sei, wie der Junge sich Woche für Woche um Arbeit bemühte, und gab ihm einen Job am Fließband. Cus war nicht dafür gemacht, für andere zu arbeiten; es machte ihn wahnsinnig, dass er das nun tun musste, und genervt, wie er war, arbeitete er doppelt so viel wie jeder andere. Der Inhaber wollte ihn zum Assistenten des Vorarbeiters machen. Cus wartete mit neuen Methoden zur Produktivitätssteigerung auf, was den Ex-Häftlingen und lateinamerikanischen Einwanderern ziemlich gegen den Strich ging, denn sie wollten nicht von einem Siebzehnjährigen herumkommandiert werden. Nach einer Reihe brutaler Kämpfe schmiss Cus den Job nach einem Jahr hin.

Cus schien Autoritätspersonen zu hassen, jedoch war er als Teenager einige Jahre lang vom Katholizismus fasziniert. Obwohl sein Vater nie religiös war, begann Cus die Sonntagsschule zu besuchen, weil einer seiner Freunde dort hinging. Er gewann sogar Preise in seinen Bibelstunden. Ihm wäre niemals eingefallen, eine Sünde zu begehen, und die Zehn Gebote befolgte er wörtlich. Er dachte sogar darüber nach, Priester zu werden. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich auch mit dem Tod. Wenn es in der Nachbarschaft eine Beerdigung gab, beobachtete er den Trauerzug und dachte sich: „Je früher, desto besser.“ Wenn Leute gestorben waren, die er kannte, nahm er an, dass sie nun glücklich wären, weil sie den ewigen Frieden gefunden hätten. Er erzählte mir, dass er aufs Geratewohl Friedhöfe besuchte und die Namen auf den Grabsteinen las.

Dann gab ihm jemand ein Buch, das seine Einstellung änderte. Es war Age of Reason (Zeitalter der Vernunft) von Thomas Paine. Paine hasste organisierte Religion und stellte die Legitimation der Bibel infrage. Die katholische Kirche setzte dieses Buch auf den Index, was bedeutet, dass es eine Sünde war, es zu lesen. Nach Cus’ Verständnis war er nun kein Katholik mehr.

Er wurde zwar kein Priester, aber er diente Gott auf seine Weise. Er sagte immer, dass er viel aus dem Beispiel seines Vaters gelernt hätte. Ich glaube, er war von der Selbstlosigkeit seines Vaters beeindruckt. Plötzlich wurde Cus zu einem gesuchten Ansprechpartner in seinem Wohngebiet, einem, zu dem man ging, wenn man ein Problem hatte. Er übersetzte, reparierte Dinge und verhandelte mit Vermietern, wenn jemand die Miete nicht zahlen konnte. Er wurde sogar zum Jugendberater für die Kids des Viertels. Natürlich verweigerte er jegliche Bezahlung für seine Dienstleistungen; was er tat, tat er aus Gefälligkeit.

Mehr als alles andere hasste er es, wenn reiche Leute die armen über den Tisch zogen. Cus erfuhr, dass der Schwiegervater seines Freundes Angelo Tosto von einem betrügerischen Landerschließungsunternehmen in Deer Park, Long Island, richtig abgezockt worden war. Diese Betrüger hatten es auf slowakische Neueinwanderer abgesehen, und brachten sie um ihre gesamten Ersparnisse, indem sie ihnen Land verkauften, auf das sie selbst keinen Anspruch hatten. Cus verbrachte Jahre damit, Nachforschungen über diese Betrüger anzustellen. Schließlich suchte er an einem Freitag das Anwaltsbüro des Unternehmens auf und gab sich als Schwiegersohn von Angelos Schwiegervater aus. Er wartete, bis er den Anwalt zu Gesicht bekam und drohte ihm damit, direkt zum Bezirksstaatsanwalt zu gehen und Klage wegen Betrugs einzureichen, wenn er sein Geld nicht rückerstattet bekäme. Am Montagmorgen war der Scheck über den gesamten Betrag da. Aber das machte Cus nur noch wütender. Nachdem er nun wusste, dass das Unternehmen in der Scheiße saß, fuhr er nach Riverhead, wo alle Landtransaktionen von Long Island registriert wurden, und fand den Beweis dafür, dass alles Betrug war. Bis Ende Dezember 1937 wurden neununddreißig Einzelpersonen und zwölf Unternehmen angeklagt, und die Drahtzieher wurden am 7. Juli 1938 zu drei bis sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten zwei Millionen Dollar von 1.800 Slowaken veruntreut. Sein Kumpel Angelo musste Cus für seine Hilfe unglaublich dankbar gewesen sein, denn zwanzig Jahre später war er Cus’ Chauffeur und fuhr ihn in der Stadt herum.

Cus war immer kreativ, und er hatte eine seltsame Erklärung dafür. Einmal sagte er einem Reporter: „Es ist fast, als wäre ich nie Kind gewesen. Ich habe mein ganzes Leben lang nie viel gelernt, weil ich diese Dinge schon als junger Mensch verstand. Wie ich so klug geworden bin? Ich weiß es nicht. Ich dachte immer, jeder wäre so. Ich fand erst später heraus, dass dem nicht so ist. Normalerweise spreche ich nicht darüber. Was hat es für einen Sinn, über etwas zu sprechen, was die Leute nicht verstehen?“

Cus erfand immer irgendetwas, aber er kümmerte sich nie darum, mit seinen Erfindungen Geld zu verdienen. Einmal wartete er mit einem Spielzeugflieger auf, der mit einem Böller in einer Metallkappe an der Spitze ausgestattet war. Wenn das Flugzeug mit der Spitze auf dem Boden auftraf, ging der Böller los, wodurch das Flugzeug wieder in Luft katapultiert wurde, um dann nach einer Reihe von Loopings und Sturzflügen zu landen. Seine größte Erfindung war eine Hygieneauflage für Toilettensitze zum Gebrauch in öffentlichen Toiletten. Er ließ diese Auflage sogar patentieren, als er dreißig Jahre alt war, verfolgte die Sache aber nicht weiter – vielleicht weil eine Dame aus Louisiana sich bereits sechzehn Jahre zuvor eine ähnliche Sitzauflage hatte patentieren lassen.