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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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53
Die Reise nach Vemmenhög

Donnerstag, 3. November

Zu Anfang November flogen die Wildgänse eines Tages über das Hallandgebirge nach Schonen hinein. Sie hatten sich einige Wochen auf den großen Ebenen bei Fallköping aufgehalten, und da sich mehrere andre Scharen Wildgänse auch dort niedergelassen hatten, war es eine schöne Zeit für alle gewesen; die Alten hatten viel miteinander geplaudert und die Jungen in allen Arten von Leibesübungen gewetteifert.

Was nun Nils Holgersson betrifft, so war er nicht so sehr erfreut über den langen Aufenthalt in Westgötland. Er gab sich alle Mühe, seinen Mut aufrecht zu erhalten, aber es wurde ihm sehr schwer, sich mit seinem Schicksal auszusöhnen.

„Hätte ich doch nur erst Schonen hinter mir und wäre glücklich im Ausland!“ dachte er. „Dann wüßte ich, daß ich nichts mehr zu hoffen hätte, und würde ruhiger werden.“

Eines Morgens in aller Frühe waren dann die Wildgänse aufgebrochen und nach Halland hinuntergeflogen. Im Anfang hatte der Junge keine große Lust, sich die Landschaft zu betrachten; er meinte, es werde da nicht viel Neues zu sehen sein. Der östliche Teil war ein hügeliges Land mit großen Heidestrecken, die an Småland erinnerten, und weiter gegen Westen ragten runde, kahle, durch Buchten getrennte Berggipfel auf, ungefähr wie in Bohuslän.

Als aber die Wildgänse immer weiter südwärts über den schmalen Küstenstrich hinflogen, beugte sich der Junge weit über den Hals des Gänserichs vor und verwandte kein Auge mehr vom Boden. Er sah, daß die Berge sich lichteten und die Ebene sich ausbreitete. Und zugleich sah er auch, daß die Küste weniger zerrissen war. Die Schären davor wurden spärlich und immer spärlicher, bis sie schließlich ganz verschwanden und das weite offene Meer bis dicht ans Festland heranreichte.

Und dann hörte der Wald auf. Weiter droben im Lande hatte der Junge nun freilich schon viele schöne Ebenen gesehen; aber alle waren von Wäldern umrahmt gewesen. Der Wald hatte sich überall ausgebreitet. Es war, als ob das Land dort eigentlich nur den Bäumen gehörte, und das bebaute Land sah nur wie große gerodete Plätze im Walde aus. Und auf allen Ebenen hatten Baumgruppen und Gehölze gestanden, wie um zu zeigen, daß der Wald jeden Augenblick einschreiten und von dem Land wieder Besitz ergreifen könnte.

Aber hier war das ganz anders. Hier hatte das Flachland das Übergewicht. Unbeschränkt erstreckte es sich bis zum Horizont. Es gab wohl auch große, wohlgepflegte Forste, aber keinen wilden Wald. Und gerade daß das Land so offen dalag, mit einem Acker neben dem andern, erinnerte den Jungen an Schonen. Den offnen Strand mit seinen sandigen Ufern und Tanghaufen glaubte er auch wiederzuerkennen. Es wurde ihm froh und ängstlich zugleich ums Herz. „Jetzt kann ich nicht mehr weit von meiner Heimat entfernt sein,“ dachte er.

Die Landschaft veränderte sich aber doch wieder; große Bäche kamen aus Westgötland und Småland dahergeschäumt und unterbrachen die Einförmigkeit der Ebene; Seen, Moore, Heidestrecken, mit Flugsand bedeckte Felder versperrten den Äckern den Weg; aber diese breiteten sich doch immer weiter aus, bis hinunter zum Hallandgebirge, das an der Grenze von Schonen mit seinen schönen Schluchten und Tälern aufragt.

Schon mehrere Male hatten die jungen Gänse in der Schar die alten gefragt: „Wie sieht es im Auslande aus? Wie sieht es im Auslande aus?“

„Wartet nur, wartet nur! Ihr werdet es bald erfahren,“ hatten die Alten geantwortet, die das Land schon so oft auf und ab geflogen waren.

Als die jungen Gänse auf der Reise die langen bewaldeten Bergrücken um Wärmland her und die glänzenden Seen zwischen der Bohusläner Felsenwelt oder die schönen Hügel in Westgötland sahen, hatten sie sich verwundert gefragt: „Sieht die ganze Welt so aus? Sieht die ganze Welt so aus?“

„Wartet nur, wartet nur! Ihr werdet es bald erfahren, wie es in einem großen Teile der Welt aussieht,“ hatten die Alten geantwortet.

Nachdem die Wildgänse nun über das Hallandgebirge hingeflogen und schon ein gutes Stück nach Schonen hineingekommen waren, rief Akka: „Schaut jetzt hinunter und seht euch um! So sieht es im Ausland aus!“

Gerade da flogen sie über den Söderberg hin. Der ganze lange Höhenzug war mit Buchenwäldern bestanden, und mitten in den Wäldern lagen schöne mit Türmen und Zinnen geschmückte Schlösser. Zwischen den Bäumen grasten Rehe, und auf den Waldwiesen spielten die Hasen. Jagdhörner klangen durch die Wälder, und scharfes Hundegebell drang bis zu der dahinfliegenden Schar herauf. Durch die Wälder führten schöne, breite Straßen, auf denen Herren und Damen in glänzenden Wagen dahergefahren oder auf wunderschönen Pferden geritten kamen. Am Fuß des Gebirges breitete sich der Ringsee aus mit dem alten Bosjökloster auf einer schmalen Landzunge. Die Skäralider Schlucht durchschneidet den Bergrücken, ein Bach plätschert auf ihrem Grunde, und die Felswände sind mit Gebüsch und Bäumen dicht bewachsen.

„Sieht es so im Ausland aus? Sieht es so im Ausland aus?“ fragten die jungen Gänse.

„Ja, wo waldige Bergrücken sind, sieht es gerade so aus!“ rief Akka. „Aber das ist nicht so sehr oft der Fall. Wartet nur, dann werdet ihr schon sehen, wie es gewöhnlich dort aussieht!“

Akka führte die Wildgänse weiter gen Süden nach Schonen auf die große Ebene. Da lag sie vor ihnen mit weiten Äckern, mit Rübenfeldern, auf denen die Arbeiter in langen Reihen beschäftigt waren, mit niedrigen, weißgekalkten, aneinandergebauten Höfen, mit unzähligen kleinen, weißen Kirchen, mit häßlichen grauen Zuckerfabriken und mit Bahnhöfen, umgeben von Marktflecken, die einen städtischen Anstrich hatten. Es gab auch viele Torfmoore mit langen Reihen ausgestochener Torfhügel und Steinkohlengruben mit schwarzen Kohlenbergen um sich her. Die Landstraßen liefen zwischen zwei Reihen gestutzter Weidenbäume hin, die Eisenbahnschienen liefen durcheinander und bildeten ein dichtes Netz über die ganze Ebene. Kleine buchenumkränzte Seen, jeder mit einem prächtigen Herrenhof am Ufer, blinkten da und dort hervor.

„Schaut jetzt hinunter! Seht euch gut um!“ rief die Anführerin. „So sieht es im Ausland aus, von der Küste der Ostsee an bis hinunter zu den hohen Bergen, und weiter als bis zu diesen sind wir nie gereist.“

Als die jungen Gänse die Ebene gesehen hatten, flog die Schar nach dem Öresund. Große sumpfige Wiesen fielen sanft gegen das Meer ab, und lange Wälle aus schwärzlichem Tang lagen vom Meere angeschwemmt auf dem Strand. An einigen Stellen waren hohe Uferwälle, an andern lauter Flugsand, der sich zu Dünen und ganzen Hügeln auftürmte. Die Fischerdörfer lagen am Ufer mit einer langen Reihe ganz gleichmäßig gebauter und gleichgroßer Backsteinhäuschen, einem kleinen Leuchtturm draußen am Wellenbrecher und großen mit braunen Netzen dicht behängten Trockenplätzen.

„Schaut hinunter! Seht euch wohl um!“ sagte Akka. „So sieht es im Ausland an den Küsten aus!“

Schließlich flog die Anführerin auch über einige der Dörfer hin, und die Gänse sahen eine Menge schlanker Fabrikschlote, lange, von hohen, rauchgeschwärzten Häusern eingefaßte Straßen, prächtige, große Parke, durch die sich schöne Spazierwege schlängelten, sichere Häfen voller Schiffe, alte Festungswerke und Schlösser und ehrwürdige alte Kirchen.

„So sehen die Städte im Ausland aus, nur daß sie viel größer sind,“ sagte Akka. „Aber diese hier können auch noch wachsen, gerade wie ihr jungen Gänse.“

Nachdem Akka so umhergeflogen war, ließ sie sich auf einem Moor im Vemmenhöger Bezirk nieder. Der Junge aber konnte den Gedanken nicht loswerden, Akka sei nur deshalb in Schonen umhergeflogen, um ihm zu zeigen, daß er ein Land habe, das sich mit jedem andern im Ausland wohl messen könne. Aber das wäre nicht nötig gewesen; der Junge dachte nicht daran, ob das Land reich oder arm sei. Von dem Augenblick an, wo er die ersten Weidenhecken und die ersten niedrigen Fachwerkhäuser gesehen hatte, war sein Herz von heißem Heimweh erfüllt worden.

54
Bei Holger Nilssons

Donnerstag, 8. November

Es war ein nebeliger, trüber Tag. Die Wildgänse hatten auf den großen Feldern bei der Skuruper Kirche geweidet und hielten eben Mittagsrast, da trat Akka zu Nils Holgersson.

„Es sieht aus, als bekämen wir jetzt einige Zeit stilles Wetter,“ begann sie, „und ich gedenke deshalb, morgen über die Ostsee zu fliegen.“

„Ach so,“ erwiderte der Junge kurz, denn der Hals war ihm wie zugeschnürt, und er konnte nicht sprechen. Er hatte eben doch immer noch gehofft, er werde, solange er in Schonen sei, von seiner Verzauberung befreit werden.

„Wir sind jetzt ziemlich nahe bei Westvemmenhög,“ fuhr Akka fort; „und ich dachte, du hättest vielleicht Lust, einen kleinen Besuch daheim zu machen. Es wird ja eine gute Weile dauern, bis du wieder jemand von den Deinen zu sehen bekommst.“

„Es ist gewiß am besten, ich unterlasse das,“ sagte der Junge; aber seiner Stimme war wohl anzuhören, wie sehr er sich über den Vorschlag freute.

„Wenn der Gänserich hier bei uns bleibt, kann ihm ja kein Unglück geschehen,“ sagte Akka. „Ich meine, du solltest dir genauen Bescheid verschaffen, wie es bei dir daheim steht. Vielleicht könntest du deinen Eltern doch auf irgendeine Weise helfen, selbst wenn du nicht wieder ein Mensch wirst.“

„Ja, da habt Ihr recht, Mutter Akka. Daran hätte ich auch selbst denken können!“ rief der Junge, und er wurde plötzlich ganz eifrig.

Einen Augenblick später waren er und Akka auf dem Wege zu Holger Nilssons, und schon nach einer kleinen Weile ließ sich Akka auf dem Steinmäuerchen nieder, das das Gütchen des Häuslers rings umgab.

„Es ist doch merkwürdig, wie unverändert alles ist!“ sagte der Junge; er kletterte eilig auf das Mäuerchen hinauf und schaute sich um. „Es ist mir, als sei es gestern gewesen, daß ich hier auf dem Steinmäuerchen saß und euch daherfliegen sah.“

 

„Ob dein Vater wohl eine Flinte hat?“ fragte Akka plötzlich.

„Das will ich meinen!“ rief der Junge. „Dieser Flinte wegen bin ich ja an jenem Sonntag daheim geblieben, anstatt in die Kirche zu gehen.“

„Dann wage ich nicht, hier auf dich zu warten,“ sagte Akka, „und es ist wohl am besten, du schleichst dich morgen früh wieder zu uns zurück, dann kannst du die Nacht über hier bleiben.“

„Ach nein, Mutter Akka, fliegt nicht fort!“ rief der Junge und sprang rasch von dem Mäuerchen herab. Er wußte nicht, woher es kam, aber er hatte das Gefühl, als müsse ihm oder den Wildgänsen etwas zustoßen, so daß sie einander nie mehr sehen würden. „Ihr seht ja wohl, daß ich betrübt bin, weil ich meine rechte Gestalt nicht wieder bekommen soll, aber ich sage Euch, ich bereue durchaus nicht, damals mit euch Gänsen fortgeflogen zu sein. Nein, nein, lieber will ich nie wieder ein Mensch werden, als daß ich diese Reise nicht mit euch gemacht hätte.“

Akka sog ein paarmal die Luft durch ihren Schnabel ein, ehe sie antwortete. „Es liegt mir etwas auf dem Herzen, worüber ich schon lange gern mit dir gesprochen hätte; da du jedoch nicht zu den Deinen zurückzukehren gedachtest, hielt ich es nicht für so eilig. Es kann indes nichts schaden, wenn ich es dir mitteile.“

„Ihr wißt, es gibt nichts, was ich nicht gerne für Euch täte,“ sagte der Junge.

„Wenn du etwas Gutes gelernt hast, Däumling, dann bist du vielleicht jetzt nicht mehr der Ansicht, daß die Menschen allein auf der Welt herrschen sollten,“ sagte die Anführerin feierlich. „Bedenke, ihr habt ein großes Land für euch, und deshalb könntet ihr uns recht gut ein paar Schären und einige sumpfige Seen und Moore, sowie einige öde Felsen und abgelegene Wälder überlassen, wo wir armen Tiere im Frieden leben könnten. Solange ich lebe, bin ich nun beständig verfolgt und gejagt worden. Es wäre eine Wohltat, wenn sich für solche Geschöpfe, wie wir sind, auch irgendwo eine richtige Freistatt fände.“

„Wie sehr würde ich mich freuen, wenn ich euch in dieser Sache helfen könnte. Aber ich genieße gewiß niemals soviel Macht und Ansehen bei den Menschen,“ seufzte der Junge.

„Aber, Däumling, wir stehen ja hier und sprechen miteinander, als ob wir uns nie wieder sehen sollten!“ sagte Akka plötzlich. „Und doch treffen wir wohl schon morgen früh wieder zusammen. Jetzt will ich zu meiner Schar zurückfliegen.“ Damit hob Akka die Flügel, ließ sich jedoch sogleich wieder nieder, rieb ihren Schnabel ein paarmal an dem Däumling auf und ab und flog erst dann endgültig davon.

Es war schon glockenhell, aber auf dem Hofe war kein Mensch zu sehen, und der Junge konnte ohne Scheu überall herumgehen. Zuerst lief er in den Kuhstall hinein, denn er wußte, bei den Kühen würde er Auskunft erhalten. Im Frühling waren drei prächtige Kühe im Stalle gewesen, aber jetzt stand nur noch eine einzige da. Diese eine war Majros, und man konnte ihr wohl anmerken, daß sie Heimweh nach ihren Kameraden hatte. Sie ließ den Kopf hängen und fraß kaum ein Hälmchen von dem Futter, das vor ihr lag.

„Guten Tag, Majros!“ sagte der Junge und sprang ohne Angst in den Stand zu ihr hinein. „Wie geht es meiner Mutter und meinem Vater? Und was machen die Hühner und Gänse und die Katze? Und wo hast du denn Stern und Gull-Lilja gelassen?“

Als Majros die Stimme des Jungen hörte, fuhr sie zusammen, und es sah aus, als wolle sie mit den Hörnern nach ihm stoßen. Aber sie war jetzt nicht mehr so hitzig wie früher, sondern nahm sich Zeit, Nils Holgersson näher zu betrachten, ehe sie zustieß. Er war noch ebenso klein wie bei seiner Abreise und trug auch noch denselben Anzug; aber er sah sich trotzdem gar nicht mehr ähnlich. Der Nils Holgersson, der im Frühjahr fortgezogen war, hatte einen schwerfälligen, langsamen Gang, eine träge Stimme und schläfrige Augen gehabt; der Nils Holgersson, der jetzt zurückgekehrt war, war flink und geschmeidig, sprach rasch und hatte glänzende, leuchtende Augen. Auch hatte er eine so kecke Haltung, daß man unwillkürlich Respekt vor ihm bekam. Trotz seiner Kleidung, und obgleich er nicht gerade glücklich aussah, wurde man froh, wenn man ihn nur ansah.

„Muu!“ brüllte Majros. „Es hieß, er sei anders geworden, aber ich wollte es nicht glauben. Grüß dich Gott, Nils Holgersson, grüß dich Gott! Dies ist der erste frohe Augenblick, den ich seit langer Zeit gehabt habe.“

„Ich danke dir, Majros,“ erwiderte der Junge, sehr angenehm überrascht über die freundliche Begrüßung. „Erzähl mir nun, wie es meinem Vater und meiner Mutter geht!“

„Seit du fort bist, haben sie nichts als immerfort Kummer und Unglück gehabt,“ sagte Majros. „Das schlimmste aber ist die Sache mit dem teuren Pferd, das nun den ganzen Sommer nichts tun konnte und immer nur gefressen hat. Dein Vater kann es nicht übers Herz bringen, es zu erschießen, und verkaufen kann er es auch nicht. Des Pferdes wegen haben Stern und Gull-Lilja verkauft werden müssen.“

Der Junge hätte eigentlich etwas ganz andres gerne gewußt; aber er scheute sich, geradeheraus zu fragen. Deshalb sagte er: „Meine Mutter war wohl sehr ärgerlich, als sie entdeckte, daß der Gänserich Martin davongeflogen war?“

„Wenn sie gewußt hätte, wie alles gekommen war, hätte sie sich über den Verlust des Gänserichs Martin wohl nicht so sehr gegrämt. So aber trauert sie Tag und Nacht darüber, daß ihr eigener Sohn von daheim fortgelaufen sei und den Gänserich mitgenommen habe.“

„Wie, glaubt sie denn, ich habe die Gans gestohlen?“ rief der Junge.

„Ja, was soll sie denn sonst glauben?“

„Vater und Mutter meinen wohl, ich hätte mich den Sommer hindurch wie ein gemeiner Landstreicher herumgetrieben?“

„Sie denken, es stehe schlimm mit dir,“ sagte Majros, „und sie haben um dich getrauert, wie man trauert, wenn man sein Liebstes verloren hat.“

Als der Junge dies hörte, verließ er rasch den Kuhstall und ging zu dem Pferde hinein. Der Pferdestall war ein kleiner, aber hübscher Raum. Der Junge sah wohl, der Vater hatte sich alle Mühe gegeben, es dem Pferde bei seiner Ankunft so recht behaglich zu machen. Und es stand auch wirklich ein wunderschönes Pferd im Stall, das von Gesundheit strotzte.

„Guten Tag, guten Tag!“ sagte der Junge. „Wie ich höre, soll ein krankes Pferd hier sein. Damit bist du doch wohl nicht gemeint, denn du siehst ja ganz frisch und ganz gesund aus?“

Das Pferd wendete den Kopf und sah den Jungen nachdenklich an.

„Bist du der Sohn des Hauses?“ fragte es. „Von dem hab ich sehr viel sprechen hören. Aber du siehst so gut aus, und wenn ich nicht wüßte, daß du in ein Wichtelmännchen verwandelt worden bist, würde ich nie geglaubt haben, du seiest der kleine Nils Holgersson.“

„Ich weiß wohl, ich habe hier einen schlechten Ruf hinterlassen,“ entgegnete der Junge. „Meine Mutter glaubt, ich hätte mich als ein Dieb fortgeschlichen; das ist nun freilich einerlei, denn ich bleibe nicht lange hier. Bevor ich wieder gehe, möchte ich aber doch noch wissen, was dir eigentlich fehlt.“

„Wie schade, daß du nicht hier bleibst!“ sagte das Pferd. „Ich bin überzeugt, wir zwei wären sehr gute Freunde geworden. Mir fehlt gar nichts, als daß ich mir etwas in den Fuß hineingetreten habe, eine Messerspitze, oder was es sonst sein mag. Es sitzt so tief drinnen, daß es der Doktor nicht entdeckt; aber es sticht und sticht, und deshalb kann ich durchaus nicht auftreten. Wenn du nur Holger Nilsson mitteilen würdest, was mir fehlt, dann würde er mir gewiß helfen können. Ich möchte doch für all das Futter auch etwas leisten und schäme mich wirklich, hier nichts zu tun, als immer nur zu fressen.“

„Wie gut, daß du keine eigentliche Krankheit hast!“ rief der Junge. „Ich muß dafür sorgen, daß du kuriert wirst. Es täte dir wohl nicht weh, wenn ich mit meinem Messer ein wenig auf deinen Huf kritzelte?“

Nils Holgersson war mit dem Pferde eben fertig geworden, als er draußen auf dem Hofe Stimmen hörte. Er öffnete vorsichtig einen Spalt an der Stalltür und lugte hinaus: Sein Vater und seine Mutter waren es, die von der Landstraße her auf das Haus zukamen. Ach ja, Nils Holgersson sah ihnen wohl an, wie niedergedrückt sie waren! Seine Mutter hatte mehr Runzeln im Gesicht, als sie im Frühjahr gehabt hatte, und sein Vater war ganz grau geworden; die Mutter versuchte eben den Vater zu überreden, von seinem Bruder Geld zu entlehnen.

„Nein, ich will nicht noch mehr Geld entlehnen,“ sagte der Vater gerade in dem Augenblick, wo die beiden am Stall vorübergingen. „Schulden haben ist das allerschlimmste, dann lieber noch den Hof verkaufen.“

„Ich hätte auch nicht so sehr viel gegen den Verkauf, wenn es nicht des Jungen wegen wäre,“ erwiderte die Mutter. „Aber wo soll er sich hinwenden, wenn er nun, wie man sich denken kann, eines Tages arm und elend zurückkehrt und wir dann nicht mehr da sind?“

„Ja, da hast du recht,“ sagte der Vater. „Aber wir müßten eben den neuen Besitzer bitten, ihn freundlich aufzunehmen und ihm zu sagen, daß wir ihn erwarten. Und wir werden ihm kein böses Wort geben, wie er auch sein mag, nicht wahr, Mutter?“

„Ach nein, nein! Wenn ich ihn nur wieder hätte, dann wüßte ich doch, daß er nicht auf der Landstraße hungern und frieren muß; das andre wäre dann ganz einerlei.“

Nach diesen Worten gingen die beiden ins Haus hinein, und der Junge hörte nichts mehr von ihrer Unterhaltung. Die Worte der Eltern hatten ihn beglückt und gerührt; er erkannte daraus, wie innig lieb sie ihn hatten, obwohl sie glaubten, er sei ganz verkommen. Er hatte die größte Lust, hinter ihnen herzulaufen. „Aber ach, wenn sie mich so sähen, wie ich jetzt bin, würden sie vielleicht noch viel betrübter!“ dachte er.

Während er noch überlegte, was er tun solle, kam ein Wagen dahergefahren und hielt gerade vor dem Hoftor. Beinahe hätte der Junge vor lauter Überraschung laut hinausgeschrien; denn die Reisenden, die ausstiegen und in den Hof hereinkamen, waren niemand anders, als das Gänsemädchen Åsa mit ihrem Vater. Hand in Hand gingen sie auf das Haus zu; sie schritten ganz still und ernst vorwärts, aber ein schöner, glücklicher Glanz strahlte aus ihren Augen. Als sie ungefähr mitten auf dem Hofe angekommen waren, hielt Åsa ihren Vater zurück und sagte: „Vergiß es ja nicht, Vater, du darfst weder von dem Holzschuh ein Wort erwähnen, noch von den Wildgänsen, noch von dem kleinen Knirps, der Nils Holgersson so aufs Haar geglichen hat, daß er, wenn es nicht Nils selbst gewesen ist, doch in irgendeinem Zusammenhang mit ihm gestanden haben muß.“

„Nein, nein, ich will gewiß nichts davon sagen,“ erwiderte Jon Assarsson. „Ich werde nur sagen, ihr Sohn sei dir mehrere Male eine große Hilfe gewesen, und wir kämen deshalb, zu fragen, ob wir ihnen dafür nicht auch eine Gefälligkeit erweisen könnten. Seit ich die Grube da droben entdeckt habe, bin ich ja ein wohlhabender Mann geworden und habe mehr, als ich brauche.“

„Ja, ich weiß wohl, daß du deine Worte gut zu setzen verstehst,“ sagte Åsa, „und ich meinte auch nur, du solltest dieses eine verschweigen.“

Sie traten ins Haus hinein, und der Junge wäre schrecklich gerne mitgegangen, um zu hören, was drinnen gesprochen wurde. Aber er wagte sich nicht über den Hofplatz hinüber. Schon nach ganz kurzer Zeit kamen die beiden wieder heraus, und Vater und Mutter begleiteten sie bis ans Gittertor.

Als die beiden Besuche wieder weggefahren waren, blieben die Eltern an der Pforte stehen und sahen ihnen nach.

„Nun will ich nicht mehr so betrübt sein,“ sagte die Mutter. „Jetzt, wo ich so viel Gutes von Nils gehört habe.“

„Eigentlich haben sie uns aber gar nicht so viel von ihm erzählt,“ erwiderte der Vater nachdenklich.

„Wie, ist es nicht genug, wenn sie einzig und allein deshalb hergereist sind, uns ihre Hilfe anzubieten, nur weil unser Nils ihnen so große Dienste geleistet hat? Ich meine übrigens, du hättest ihr Anerbieten annehmen sollen, Vater!“

„Nein, Mutter, ich will von niemand Geld annehmen, weder als Geschenk noch als Darlehen. In erster Linie will ich jetzt meine Schulden los werden, und dann wollen wir uns wieder heraufbringen. Beim Licht besehen sind wir doch eigentlich noch gar nicht so steinalt, wie, Mutter?“ rief der Vater, und als er dies sagte, lachte er herzlich.

„Ich glaube wahrhaftig, du meinst, es sei ein Spaß, den Hof zu verkaufen, auf den wir doch so viel Mühe und Arbeit verwendet haben!“ versetzte die Mutter.

„Ach, du weißt wohl, warum ich lache, Mutter. Was mich so schwer bedrückt hat, daß ich zu nichts mehr Lust und Kraft hatte, war ja der Gedanke, der Junge sei ein Taugenichts geworden. Nun ich aber weiß, daß er sich gut gemacht hat, jetzt sollst du sehen: Holger Nilsson ist noch etwas wert!“

 

Die Mutter ging ins Haus hinein, Nils Holgersson aber versteckte sich rasch in einen Winkel, denn der Vater trat in den Stall, um nach dem Pferd zu sehen. Er ging in den Stand zu ihm hinein und hob wie gewöhnlich dessen kranken Fuß in die Höhe, um zu sehen, ob er denn nicht entdecken könnte, was ihm fehle.

„Aber was ist denn das?“ sagte der Vater. Auf dem Huf waren einige Buchstaben eingeritzt. „Nimm das Eisen ab!“ las er und sah sich verwundert und überrascht nach allen Seiten um. Schließlich befühlte und betrachtete er die untere Seite des Hufes sehr genau. „Ich glaube wahrhaftig, es sitzt etwas Spitziges drin,“ murmelte er.

Während der Vater mit dem Pferd beschäftigt war und der Junge in dem Winkel verborgen saß, kamen noch mehr Besuche auf den Hof. Mit diesen verhielt es sich aber folgendermaßen. Als der Gänserich Martin seiner alten Heimat so nahe war, hatte er der Lust nicht widerstehen können, seine Frau und seine Kinder den frühern Gefährten auf dem Gütchen vorzustellen; und so hatte er Daunenfein und die jungen Gänse einfach mitgenommen und war mit ihnen hierhergeflogen.

Als nun der Gänserich durch die Luft daherkam, war auf dem ganzen Hofe kein Mensch zu sehen; er ließ sich deshalb ruhig nieder und zeigte Daunenfein, wie herrlich er es als zahme Gans gehabt hatte. Nachdem sie sich den Hofplatz besehen hatten, bemerkte er, daß die Kuhstalltür offen stand.

„Kommt einen Augenblick mit herein,“ sagte er, „dann könnt ihr sehen, wo ich früher gewohnt habe. Das war etwas andres, als sich in Teichen und Sümpfen aufzuhalten, wie wir es jetzt tun.“

Der Gänserich stand auf der Schwelle und schaute in den Kuhstall hinein. „Es ist kein Mensch da,“ sagte er. „Komm, Daunenfein, ich zeige dir den Gänsestall. Hab keine Angst, es ist nicht die geringste Gefahr dabei.“

Und so gingen der Gänserich, Daunenfein und alle sechs Jungen in den Gänsestall hinein, um sich anzusehen, in welchem Glanz und Überfluß der große Weiße gelebt hatte, ehe er sich der Schar der Wildgänse anschloß.

„Ja, seht, so hatten wir es. Hier war mein Platz, und dort stand der Freßtrog, der immer mit Hafer und Wasser gefüllt war,“ sagte der Gänserich. „Ei der Tausend, es ist wahrhaftig auch jetzt noch etwas drin!“ Damit schoß er zum Troge hin und fraß Hafer in sich hinein.

Aber Daunenfein war unruhig. „Laß uns jetzt wieder gehen!“ sagte sie.

„Nur noch ein paar Körner!“ erwiderte der Gänserich. In demselben Augenblick jedoch stieß er einen Schrei aus und eilte dem Ausgang zu. Aber es war zu spät, die Tür fiel ins Schloß, Holger Nilssons Frau stand draußen und schob den Riegel vor; sie waren eingesperrt.

Holger Nilsson hatte ein spitziges Stück Eisen aus dem Fuß des Rappens herausgezogen und streichelte das Tier nun ganz erfreut, als seine Frau eilig in den Pferdestall hereintrat. „Komm, Vater!“ rief sie. „Dann sollst du sehen, was ich für einen Fang gemacht habe!“

„Nein, wart ein wenig, Mutter, und sieh erst hierher!“ sagte Holger Nilsson. „Ich hab entdeckt, was dem Pferde gefehlt hat.“

„Ich glaube, das Glück hat sich gewendet und kehrt wieder bei uns ein!“ rief die Frau. „Denk dir nur, der große Gänserich, der im Frühjahr verschwunden ist, muß mit den Wildgänsen davongeflogen sein! Er ist zurückgekommen und hat sieben Wildgänse bei sich. Sie gingen in den Gänsestall hinein, und ich habe sie alle miteinander darin eingeschlossen.“

„Das ist doch merkwürdig,“ sagte Holger Nilsson. „Aber weißt du, was das beste an der Sache ist, Mutter? Daß wir nun nicht mehr zu glauben brauchen, unser Junge habe die Gans mitgenommen, als er von daheim fortgelaufen ist.“

„Ja, da hast du recht, Vater. Aber ich glaube, wir müssen die Gänse heute abend noch schlachten. In ein paar Tagen ist der Martinstag, und wenn wir die Gänse dazu noch in die Stadt bringen wollen, müssen wir uns beeilen.“

„Es kommt mir geradezu wie ein Unrecht vor, wenn wir den Gänserich schlachten, da er doch mit so einer großen Gesellschaft zu uns zurückgekehrt ist,“ sagte Holger Nilsson.

„Wenn die Zeiten besser wären, würde ich ihn gern am Leben lassen, aber wenn wir doch vom Hofe fort müssen, können wir die Gänse ja nicht behalten,“ entgegnete die Frau.

„Ja, das ist allerdings wahr.“

„Komm und hilf mir, sie ins Haus hineinzutragen!“ sagte die Mutter.

Sie verließen miteinander den Hof, und einen Augenblick später sah der Junge seinen Vater mit Daunenfein unter dem einen Arm und dem Gänserich unter dem andern in Gesellschaft der Mutter über den Hof kommen. Der Gänserich schrie: „Däumling, komm und hilf mir!“ wie immer, wenn ihm eine Gefahr drohte, obgleich er ja nicht wissen konnte, daß der Junge in der Nähe war.

Nils Holgersson hörte ihn wohl schreien, blieb aber trotzdem vor dem Stalle stehen, nicht weil er wußte, daß es für ihn selbst gut wäre, wenn der Gänserich geschlachtet würde – daran dachte er in diesem Augenblick nicht einmal –, sondern weil er sich, wenn er die Gans retten wollte, vor seinen Eltern sehen lassen mußte, und dazu konnte er sich nicht entschließen. „Sie haben es ohnedies schon schwer genug,“ dachte er. „Sollte ich wirklich dazu verurteilt sein, ihnen auch noch diesen Kummer zu bereiten?“

Aber als sich die Tür hinter dem Gänserich geschlossen hatte, kam Leben in den Jungen. Schnell wie der Blitz lief er über den Hofplatz, sprang auf die eichene Schwelle vor der Haustür und von da in den Flur hinein. Aus alter Gewohnheit zog er die Holzschuhe aus und näherte sich der Stubentür. Aber er empfand noch immer den größten Widerwillen, sich so vor seinen Eltern sehen zu lassen, und hatte nicht die Kraft, die Hand aufzuheben und anzuklopfen.

„Aber es handelt sich doch um den Gänserich Martin,“ dachte er. „Seit du zum letzten Male hier gestanden hast, ist er immer dein bester Freund gewesen.“

In einem Nu durchlebte Nils Holgersson in Gedanken alles wieder, was er und der Gänserich auf gefrorenen Seen und stürmischen Meeren und zwischen gefährlichen Raubtieren miteinander durchgemacht hatten. Sein Herz floß über vor Dankbarkeit und Liebe; er überwand sich und klopfte an die Tür.

„Ist jemand da?“ fragte der Vater, indem er die Tür öffnete.

„Mutter, du darfst der Gans nichts tun!“ rief der Junge; und zugleich stießen der Gänserich Martin und Daunenfein einen Freudenschrei aus; sie lagen gebunden auf einer Bank, und an dem Schreien hörte man, daß sie noch am Leben waren.

Wer aber auch einen Freudenschrei ausstieß, das war die Mutter. „Nein, wie groß und schön du geworden bist!“ rief sie.

Der Junge war nicht eingetreten, sondern auf der Schwelle stehen geblieben, wie jemand, der seines Empfangs nicht ganz sicher ist.

„Gott sei Lob und Dank, daß ich dich wieder habe!“ rief die Mutter. „Komm herein! Komm herein!“

„Ja, Gott sei Lob und Dank!“ sagte auch der Vater; mehr konnte er nicht herausbringen.

Aber der Junge zögerte noch immer auf der Schwelle. Wie war es nur möglich, daß sich die Eltern über das Wiedersehen freuten, wo er doch so aussah! Aber da kam die Mutter herbei, schlang ihre Arme um ihn und zog ihn in die Stube herein; und nun merkte der Junge, wie die Sache sich verhielt.

„Vater! Mutter! Ich bin groß! Ich bin wieder ein Mensch!“ rief er.