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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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Hilflos

Tief drinnen in einem Fichtengehölz des alten Friedenswaldes zeigten sich jedes Jahr im August grauweiße Nachtschmetterlinge von der Art, die man Nonnen heißt. Sie waren klein, und es waren ihrer so wenige, daß sie fast von niemand bemerkt wurden. Nachdem diese Nonnen ein paar Nächte hindurch in dem Walde umhergeflattert waren, legten sie ein paar Tausend Eier auf die Baumstämme, und kurz darauf sanken sie leblos zu Boden.

Wenn dann der Frühling kam, krochen aus den Eiern kleine Raupen, die sich sogleich von Tannennadeln nährten. Sie hatten einen guten Appetit, konnten aber den Bäumen doch keinen ernstlichen Schaden zufügen, weil ihnen von den Vögeln hart zugesetzt wurde. Mehr als einige hundert Raupen entgingen den Verfolgern nur selten.

Die wenigen Raupen, die zu wirklichem Wachstum gelangten, krochen auf die Zweige hinauf, spannen sich in weiße Fäden ein und blieben ein paar Wochen lang unbeweglich auf einem Fleck sitzen. Während dieser Zeit wurde gewöhnlich mehr als die Hälfte von ihnen weggeschnappt. Wenn im August hundert Nonnen wohlbeschwingt und ausgewachsen im Walde umherflogen, so konnten sie sich zu einem guten Jahre gratulieren.

Viele Jahre lang führten die Nonnen ein solches unsicheres und unbemerktes Dasein im Friedenswalde. In der ganzen Gegend war kein einziges Insekt in so geringer Zahl vertreten. Und so harmlos und ungefährlich wären sie auch ferner geblieben, wenn ihnen nicht ganz unvermutet ein Helfer erstanden wäre.

Aber daß die Nonnen einen Helfer bekamen, das hing mit der Flucht des Elchs aus dem Waldhüterhause zusammen. Graufell wanderte nämlich den ganzen ersten Tag nach seiner Flucht im Walde umher, um darin heimisch zu werden. Gegen Abend drang er durch dichtes Buschwerk und fand dahinter einen offenen Platz, wo der Boden aus Moor und weichem Schlick bestand. In der Mitte war ein Tümpel schwarzen Wassers, und ringsherum standen hohe Fichten, die vor Alter und Saftlosigkeit fast gar keine Nadeln mehr hatten. Graufell gefiel der Platz gar nicht, und er hätte ihn sogleich wieder verlassen, wenn er nicht dicht bei dem Tümpel einige hellgrüne Kallablätter entdeckt hätte.

Als er den Kopf zu den Kallablättern herunterneigte, sah er eine große schwarze Schlange, die darunter lag und schlief. Der Elch hatte Karr von den giftigen Ottern erzählen hören, die es im Walde gäbe, und als das Gewürm den Kopf hob, seine gespaltene Zunge herausstreckte und ihn anzischte, da glaubte Graufell, er habe ein furchtbar gefährliches Tier vor sich. Er erschrak sehr, hob den Fuß auf, schlug mit dem Huf nach der Schlange und zertrat sie. Hierauf eilte er in wilder Flucht davon.

Sobald Graufell verschwunden war, tauchte eine andre, ebenso lange und ebenso schwarze Schlange aus dem Tümpel auf. Sie kroch zu der Getöteten hin und fuhr ihr mit der Zunge über den zerschmetterten Kopf.

„Ist es möglich, daß du tot bist, meine gute alte Harmlos?“ zischte die Schlange. „Und wir beide haben so viele Jahre lang glücklich zusammen gelebt! Wir haben es gut beieinander gehabt, und es war so schön hier in dem Tümpel, daß wir älter wurden, als alle andern Nattern im Walde. Dies ist das bitterste Leid, das mich hätte treffen können.“

Die Natter war tiefbetrübt, ihr langer Körper ringelte sich, als ob er auch verwundet wäre. Selbst die Frösche, die in beständiger Angst vor ihr lebten, hatten Mitleid mit ihr.

„Welch ein böses Geschöpf muß doch das sein, das eine arme Natter totschlägt, die sich nicht wehren kann?“ zischte die Schlange. „Diese Untat verdiente wahrhaftig eine ausgesucht harte Strafe.“ Die Natter wand und krümmte sich eine Weile in ihrem Schmerz, aber plötzlich hob sie den Kopf. „So wahr ich Hilflos heiße und die älteste Natter im Walde bin, ich werde für diese Missetat hier Rache nehmen! Ich will nicht ruhen, bis der grausame Elch ebenso tot auf der Erde liegt, wie hier meine getreue Lebensgefährtin!“

Nachdem die Schlange dieses Gelübde abgelegt hatte, ringelte sie sich zu einem Knäuel zusammen und überlegte. Aber etwas Schwierigeres läßt sich wohl kaum ausdenken, als wie eine arme Natter sich an einem großen starken Elch rächen könnte, und der alte Hilflos überlegte zwei volle Tage und zwei Nächte hindurch, ohne einen Ausweg zu finden.

In einer Nacht jedoch, wo die Schlange noch schlaflos über ihren Rachegedanken brütete, hörte sie ein leichtes Rascheln über ihrem Kopfe, und als sie aufschaute, gewahrte sie einige schimmernde Nonnenschmetterlinge, die zwischen den Bäumen gaukelten. Sie sah ihnen lange zu, dann zischte sie laut vor sich hin, aber schließlich schlief sie, offenbar ganz zufrieden mit dem, was sie sich ausgedacht hatte, ein.

Am nächsten Vormittag begab sich die Natter zu Kryle, der Kreuzotter, die in einem steinigen, hochgelegenen Teil des Friedenswaldes wohnte. Dort angekommen, berichtete sie von dem Tod der alten Natter und stellte dann der Kreuzotter das Ansinnen, die Rache für sie auszuführen, weil sie so gefährliche Bisse versetzen könne. Aber Kryle war nicht sehr geneigt, sich mit den Elchen in Streit einzulassen.

„Wenn ich einen Elch anfallen würde,“ sagte sie, „würde er mich auf der Stelle töten. Die alte Harmlos ist tot, und wir können sie mit aller Mühe nicht wieder ins Leben zurückrufen. Warum sollte ich mich da ihretwegen ins Unglück stürzen?“

Als die Natter diese Antwort vernahm, hob sie den Kopf einen vollen Fuß hoch vom Boden auf und zischte ganz entsetzlich. „Wisch, wasch! Wisch, wasch!“ sagte sie. „Wie schade, daß jemand, der solche Waffen erhalten hat, zu feige ist, sie zu gebrauchen.“

Als die Kreuzotter dieses hörte, wurde sie auch zornig. „Krieche deines Weges weiter, alter Hilflos!“ zischte sie. „Das Gift läuft mir schon in die Zähne; aber ich möchte dich lieber verschonen, da du ja doch als ein Stammesgenosse von mir betrachtet wirst.“

Aber die Natter rührte sich nicht; und eine gute Weile lagen die Schlangen, einander anzischend und sich gegenseitig Grobheiten ins Gesicht schleudernd, auf demselben Fleck. Als aber Kryle so zornig war, daß sie nicht mehr zischen, sondern nur noch züngeln konnte, schlug die Natter plötzlich einen andern Ton an.

„Ich hatte eigentlich noch einen zweiten Auftrag für dich,“ sagte sie und ließ ihre Stimme zu einem sanften Flüstern sinken. „Aber jetzt hab ich dich wohl so erzürnt, daß du keine Lust mehr hast, mir zu helfen.“

„Wenn du nur nichts Unsinniges von mir verlangst, dann stehe ich dir gern zu Diensten.“

„In den Fichten bei meinem Wassertümpel,“ sagte die Natter, „wohnt ein Schmetterlingsvolk, das in den Nächten des Spätsommers umherfliegt.“

„Ich weiß schon, welche du meinst,“ sagte Kryle. „Was ist mit ihnen?“

„Sie sind das kleinste Insektenvolk,“ sagte Hilflos, „und dazu auch das unschädlichste von allen, weil ihre Raupen sich von nichts als Tannennadeln ernähren.“

„Das weiß ich wohl,“ sagte Kryle.

„Ich habe Angst, daß dieses Schmetterlingsvolk bald vollständig ausgerottet wird,“ fuhr die Natter fort. „Im Frühjahr werden die Raupen von gar so vielen weggeschnappt.“

Nun verstand die Kreuzotter die Absicht der Natter. Diese wollte die Raupen offenbar für sich allein behalten, und so antwortete sie freundlich: „Soll ich den Eulen sagen, sie sollen diese Tannenraupen in Frieden lassen?“

„Ja, es wäre mir lieb, wenn du dieses auswirken könntest; du hast ja hier im Walde etwas zu sagen,“ antwortete Hilflos.

„Vielleicht kann ich auch bei den Drosseln ein gutes Wort für die Nadelfresser einlegen,“ sagte die Kreuzotter. „Ich tue dir gern einen Gefallen, wenn du nichts Unsinniges verlangst.“

„Jetzt hast du mir ein gutes Versprechen gegeben, Kryle,“ sagte Hilflos, „und ich bin sehr froh, daß ich zu dir gekommen bin.“

Die Nonnen

Mehrere Jahre später schlief Karr eines Morgens auf dem Hausflur. Es war im Frühsommer, zur Zeit der kurzen Nächte, und tageshell, obgleich die Sonne noch nicht aufgegangen war. Da erwachte Karr davon, daß ihn jemand beim Namen rief. „Bist du es, Graufell?“ fragte er; denn der Elch kam beinahe jede Nacht, ihn zu begrüßen. Karr erhielt keine Antwort, aber wieder hörte er, daß ihn jemand rief. Diesmal glaubte er Graufells Stimme deutlich zu erkennen, und er lief dem Tone nach.

Karr hörte, daß der Elch vor ihm herlief, konnte ihn aber nicht erreichen. Ohne auf Weg oder Steg zu achten, stürmte der Elch mitten durchs Dickicht hindurch in den dichtesten Nadelwald hinein, und Karr konnte die Spur nur mit großer Mühe verfolgen.

„Karr, Karr!“ ertönte es wieder. Und die Stimme war sicher Graufells, aber mit einem Beiklang, den der Hund noch nie vernommen hatte.

„Ich komme, ich komme! Wo bist du?“ antwortete Karr.

„Karr, Karr! Siehst du nicht, wie es fällt, fällt?“ fragte Graufell.

Da sah Karr, daß von den Fichten unaufhörlich Nadeln herunterrieselten wie ein dichter Regen. „Ja, ich sehe, wie es fällt!“ rief er, lief aber zugleich tiefer in den Wald hinein, den Elch zu finden.

Graufell eilte gestreckten Laufes durchs Gebüsch, und abermals hätte Karr fast die Spur verloren.

„Karr, Karr!“ brüllte Graufell jetzt geradezu. „Merkst du nicht, wie es hier im Walde riecht?“

Karr blieb stehen und witterte. Es war ihm vorher nicht aufgefallen; aber jetzt merkte er, daß die Fichten einen viel stärkeren Duft ausströmten als gewöhnlich.

„Ja, ich rieche es auch,“ sagte er, nahm sich aber gar nicht Zeit, herauszubringen, woher der Geruch komme, sondern eilte nur weiter hinter Graufell drein.

Abermals rannte der Elch in größter Eile davon; der Hund konnte ihn nicht einholen. „Karr, Karr!“ rief er nach einer Weile wieder. „Hörst du nicht, wie es in den Bäumen knackt?“ Und jetzt war Graufells Stimme so betrübt, daß es einen Stein hätte erbarmen können.

Karr hielt an und lauschte. Da hörte er ein schwaches, aber deutliches Knacken in den Bäumen; es klang wie das Ticken einer Uhr.

 

„Ja, ich höre, wie es knackt!“ rief Karr; und diesmal lief er nicht weiter. Er fühlte, der Elch wollte nicht, daß er ihm folge, er wollte ihn auf etwas aufmerksam machen, das hier im Walde vorging.

Karr stand unter einer Fichte mit üppigen, schwer herabhängenden Zweigen und dicken dunkelgrünen Nadeln. Er betrachtete den Baum genau, und da war es ihm, als ob die Nadeln sich bewegten. Als er dann noch näher hinzutrat, entdeckte er eine Menge weißlichgrauer Raupen, die auf den Zweigen herumkrabbelten und die Nadeln fraßen. Jeder Zweig war bedeckt mit solchen Raupen, die nagten und fraßen; und es knackte in den Bäumen von allen den kleinen unermüdlichen Kiefern. Unaufhörlich fielen abgebissene Nadeln herunter, und der armen Fichte entströmte ein überwältigender Duft, den der Hund fast nicht aushalten konnte.

„Diese Fichte wird nicht viele von ihren Nadeln behalten dürfen,“ dachte Karr und richtete seine Blicke auf den nächsten Baum. Auch dieser war eine große stattliche Fichte, aber sie sah genau so aus wie die andre. „Was das nur ist?“ dachte Karr weiter. „Es ist schade um die stolzen Bäume, mit ihrer Schönheit wird es bald aus sein.“ Er ging von Baum zu Baum und suchte herauszubringen, was eigentlich mit ihnen geschehen war. „Hier ist eine Edeltanne,“ dachte er. „An diese haben sich die Raupen vielleicht nicht gewagt.“ Aber auch diese Tanne war angegriffen. „Und hier eine Birke. Jawohl, auch hier, auch hier! Da wird der Waldhüter keine Freude daran haben,“ dachte Karr.

Er lief weiter in den Wald hinein, um zu sehen, wie weit die Verheerung sich ausgedehnt hätte. Wohin er kam, ertönte dasselbe Ticken, verbreitete sich derselbe Geruch, fiel derselbe Nadelregen; Karr brauchte gar nicht mehr anzuhalten, um zu untersuchen, an diesen Zeichen erkannte er schon, wie die Sache stand. Die kleinen Raupen fanden sich überall. Der ganze Wald war in Gefahr, von ihnen kahl gefressen zu werden.

Plötzlich kam Karr in einen Waldstrich, wo ihm kein Geruch entgegenschlug und wo alles still und ruhig war. „Hier ist ihre Herrschaft zu Ende,“ dachte der Hund, er hielt an und schaute sich um. Aber hier war es sogar noch schlimmer, hier hatten die Raupen ihre Arbeit schon beendigt, und die Bäume standen ohne Nadeln kahl da. Wie tot sahen sie aus, und das einzige, was sie bedeckte, war eine Menge verwirrter Fäden, die die Raupen gesponnen und als Brücken und Stege benützt hatten.

Hier drinnen unter den sterbenden Bäumen stand Graufell und wartete auf Karr. Aber er war nicht allein, neben ihm standen vier alte Elche, die angesehensten vom ganzen Walde. Karr kannte sie wohl. Da war Krummrück, ein kleiner Elch, aber mit einem größeren Höcker als alle andern, dann Hornkrone, der stattlichste des ganzen Elchvolkes, sowie Wirrmähne mit seinem dichten Pelz, und dann noch ein alter hochbeiniger, der Riesenkraft hieß und entsetzlich hitzig und streitsüchtig gewesen war, bis er bei der letzten Herbstjagd eine Kugel in den Schenkel bekommen hatte.

„Was in aller Welt geht denn hier im Walde vor?“ fragte Karr, als er die Elche erreicht hatte, die mit gesenkten Köpfen und weit vorgeschobener Oberlippe dastanden und äußerst nachdenklich aussahen.

„Das weiß niemand,“ antwortete Graufell. „Dieses Insektenvolk ist immer das schwächste im ganzen Walde gewesen und hat noch nie einen Schaden angerichtet; aber in den letzten Jahren hat es sich ungeheuer rasch vermehrt, und jetzt sieht es aus, als wäre es imstande, den ganzen Wald zu zerstören.“

„Ja, es sieht schlimm aus,“ sagte Karr. „Aber wie ich sehe, sind die Weisesten des Waldes zusammengekommen, zu beraten, und sie haben vielleicht schon eine Hilfe ersonnen.“

Als der Hund dies sagte, hob Krummrück höchst feierlich seinen schweren Kopf, bewegte die langen Ohren und sagte: „Wir haben dich hierhergerufen, Karr, um von dir zu hören, ob die Menschen etwas von dieser Verheerung wissen?“

„Nein,“ erwiderte Karr, „sie wissen nichts von dem Unglück; so tief in den Wald hinein kommt ja außer zur Jagdzeit nie ein Mensch.“

„Wir, die Alten hier im Walde,“ nahm Hornkrone das Wort, „glauben nicht, daß wir Tiere allein über das Insektenvolk Herr werden können.“

„Dies halten wir jedoch fast für ein ebenso großes Unglück wie das andre,“ sagte Wirrmähne. „Nun wird es bald aus sein mit dem Frieden im Walde.“

„Aber wir können doch nicht den ganzen Wald zugrunde gehen lassen,“ sagte Riesenkraft. „Es bleibt uns durchaus keine Wahl.“

Karr fühlte, wie schwer es den Elchen wurde, mit ihrem Anliegen herauszurücken, und er versuchte ihnen zu helfen. „Meinet ihr vielleicht, ich solle es den Menschen zu wissen tun, wie es hier steht?“ fragte er.

Da nickten alle die alten Elche mit den Köpfen. „Es ist ein schweres Unglück, daß wir von den Menschen Hilfe verlangen müssen, aber es gibt keinen andern Ausweg,“ sagten sie.

Bald darauf war Karr auf dem Heimweg. Während er so tief bekümmert über alles, was er erfahren hatte, dahineilte, kam ihm eine große schwarze Natter entgegen. „Schön guten Tag hier im Walde!“ zischte die Natter.

„Schön guten Tag!“ bellte der Hund und eilte vorbei, ohne anzuhalten. Aber die Natter drehte um und versuchte, Karr einzuholen. „Vielleicht ist sie auch in Sorge um den Wald,“ dachte Karr und blieb stehen.

Die Natter begann sogleich von der großen Verheerung zu reden. „Wenn aber die Menschen herbeigerufen werden, dann wird es mit der Ruhe und dem Frieden hier im Walde bald aus sein,“ sagte sie.

„Das fürchte ich auch,“ erwiderte Karr, „aber die Alten im Walde wissen wohl, was sie tun.“

„Ich könnte einen bessern Rat geben,“ sagte die Natter. „Wenn ich nur den Lohn bekäme, den ich mir wünsche.“

„Bist du nicht das Tier, das man Hilflos heißt,“ sagte der Hund verächtlich.

„Ich bin im Walde alt geworden,“ erwiderte die Natter, „und ich weiß, wie solches Ungeziefer vertilgt werden muß.“

„Wenn du das könntest,“ sagte Karr, „dann wird dir sicher niemand dein Verlangen weigern.“

Nachdem Karr dies gesagt hatte, schlüpfte die Schlange unter eine Baumwurzel, und erst, als sie wohlbeschützt in einem engen Loch lag, setzte sie die Unterredung fort. „Nun, dann grüße Graufell von mir,“ rief sie, „und sag ihm, wenn er aus dem Friedenswalde fortziehen und nicht Rast machen wolle, bis er hoch in den Norden gezogen sei, wo keine Eiche mehr im Walde wächst, und auch versprechen wolle, nie wieder zurückzukehren, solange die Natter Hilflos lebt, dann werde der alte Hilflos über das Ungeziefer, das jetzt auf den Nadelholzbäumen herumkriecht und sich an ihren Nadeln mästet, Krankheit und Tod schicken.“

„Was sagst du da?“ fragte Karr, während sich ihm vor Entsetzen die Haare auf dem Rücken sträubten. „Was hat dir denn Graufell zuleide getan?“

„Er hat die umgebracht, die ich am liebsten hatte,“ antwortete die Schlange. „Und ich will mich an ihm rächen.“

Noch ehe die Natter ausgesprochen hatte, fuhr Karr auf sie los; aber sie lag wohlgeborgen unter der Baumwurzel.

„Bleib du nur da liegen, solang es dir gefällt!“ rief Karr schließlich. „Wir werden auch ohne deine Hilfe Herr über die Tannenraupen werden.“

Am nächsten Tage ging der Gutsbesitzer mit dem Waldhüter durch den Wald. Karr lief im Anfang neben ihnen her, aber nach einer Weile verschwand er, und bald nachher ertönte ein heftiges Bellen aus der Tiefe des Waldes heraus. „Da ist Karr wieder auf der Jagd,“ sagte der Gutsbesitzer.

Aber der Waldhüter wollte es nicht glauben. „Karr hat seit vielen Jahren nicht mehr unerlaubt gejagt,“ erwiderte er. Dann lief er rasch in den Wald hinein, um zu sehen, was für ein Hund gebellt hätte, und der Gutsbesitzer ging hinter ihm her.

Sie folgten dem Bellen bis in den dichtesten Wald hinein; aber da verstummte es plötzlich. Die beiden Männer blieben stehen, um zu lauschen; und da, in der tiefen Stille, hörten sie, wie die Kiefer der Insekten arbeiteten; sie sahen die Tannennadeln herunterrieseln und rochen den starken Duft. Dann sahen sie auch, daß alle Bäume mit den Raupen des Nonnenschmetterlings bedeckt waren, jenen kleinen Baumfeinden, die meilenweite Wälder zerstören können.

Der große Krieg gegen die Nonnen

Im nächsten Frühling ging Karr eines Morgens im Walde spazieren. „Karr, Karr!“ ertönte eine Stimme hinter ihm. Der Hund wendete sich um; er hatte richtig gehört. Ein alter Fuchs stand vor seinem Bau, der hatte ihn angerufen.

„Sag mir, ob die Menschen etwas mit dem Walde vorhaben?“ fragte der Fuchs.

„Ja, du kannst dich darauf verlassen,“ antwortete Karr. „Sie arbeiten, was das Zeug hält.“

„Sie haben mir mein ganzes Geschlecht umgebracht, und jetzt werden sie mich auch totschlagen,“ sagte der Fuchs. „Aber es sei ihnen verziehen, wenn sie nur den Wald retten.“

In diesem Jahre streifte Karr nie im Walde umher, ohne daß er gefragt wurde, ob die Menschen den Wald retten könnten. Es war nicht leicht für Karr, darauf zu antworten, denn die Menschen wußten selbst nicht, ob es ihnen gelingen würde, über die Nonnen Herr zu werden.

Wenn man bedenkt, wie gefürchtet und berüchtigt der alte Kolmården gewesen war, so war es ein merkwürdiger Anblick, daß jetzt jeden Tag über hundert Männer in den Wald gingen und aus Leibeskräften arbeiteten, ihn vor dem Verderben zu retten. Die am meisten verheerten Strecken wurden geschlagen, das Unterholz gelichtet und die niedrigsten Zweige der großen Bäume abgehauen, damit die Raupen nicht so leicht von Baum zu Baum kriechen könnten. Um den verheerten Wald herum hieben die Männer breite Wege aus und umhegten ihn mit Leimstangen; dadurch hofften sie die Raupen einzusperren und auf ihr jetziges Bereich zu beschränken. Nachdem dies getan war, legten sie Leimringe um die Baumstämme. Auf diese Weise wollte man die Raupen am Herunterkriechen von den schon abgefressenen Bäumen verhindern und sie zwingen, da zu bleiben, wo sie waren, weil sie dann verhungern müßten.

Bis spät ins Frühjahr hinein setzten die Menschen diese Arbeit fort. Sie waren voll guter Hoffnung und warteten fast mit Ungeduld auf das Ausschlüpfen der Raupen, denn sie waren fest überzeugt, sie so fest eingesperrt zu haben, daß die meisten Hungers sterben müßten.

Mit dem Beginn des Sommers schlüpften dann die Raupen aus, und sie waren jetzt noch viel, viel zahlreicher als im letzten Jahre. Aber die Menschen meinten, das tue nichts, wenn sie nur eingesperrt seien und nicht genug Futter fänden.

Aber in dieser Beziehung ging es nicht ganz so, wie man gehofft hatte. Es blieben freilich unzählige Raupen an den Leimstangen hängen, auch mußten große Mengen vor den Leimringen Halt machen und konnten nicht von den Bäumen heruntergelangen; aber trotzdem hätte man nicht behaupten können, daß die Raupen eingesperrt gewesen wären. Sie waren außerhalb und innerhalb der Einfriedigung; sie waren überall: auf den Landstraßen krochen sie hin, auf den Feldmäuerchen, an den Häusermauern hinauf. Sie wanderten aus dem Friedenswald hinaus und in andre Teile des Kolmården hinein.

„Sie hören nicht auf, bis der ganze Wald zerstört ist,“ sagten die Menschen, die sich vor Angst fast nicht zu helfen wußten, und denen die Tränen in die Augen traten, so oft sie in den Wald kamen.

Karr war das ganze Ungeziefer, das da draußen herumkroch und nagte, so zum Ekel, daß er sich kaum noch entschließen konnte, vors Haus hinauszugehen. Aber eines Tages dachte er, er müsse sich doch wieder einmal nach Graufell umsehen. So schlug er denn den Weg nach dessen Aufenthaltsgebiet ein, und mit der Nase an der Erde lief der Hund rasch vorwärts. Als er an die Baumwurzel kam, wo er im vergangenen Jahre mit dem alten Hilflos zusammengetroffen war, lag dieser wieder in dem Loch und rief ihn an.

„Hast du über das, was ich dir bei unserer letzten Begegnung sagte, mit Graufell gesprochen?“ fragte die Natter. Aber Karr bellte nur und versuchte, an sie heranzukommen. „Tu es auf alle Fälle,“ sagte die Schlange. „Du siehst ja, daß die Menschen nichts gegen die Verheerung ausrichten können.“

„Ja, und du auch nicht,“ antwortete Karr im Weitereilen.

Karr fand Graufell; aber der Elch war in sehr gedrückter Stimmung. Er begrüßte Karr nur ganz flüchtig und begann sogleich von dem Walde zu reden.

„Ich wüßte nicht, was ich dafür geben würde, wenn dieses Elend ein Ende nähme!“ sagte er.

„Dann müßte ich dir ja wohl mitteilen, daß es den Anschein hat, als könntest du den Wald retten,“ sagte Karr. Und nun richtete er dem Elch den Auftrag der Natter aus.

„Wenn dies ein andrer als der alte Hilflos versprochen hätte, würde ich sofort in die Verbannung gehen,“ sagte Graufell. „Aber woher sollte eine arme Natter solche Macht nehmen?“

„Es ist natürlich nur eine Großtuerei,“ sagte Karr. „Die Schlangen tun immer, als wüßten sie mehr als andre Tiere.“

 

Als Karr nach Hause gehen mußte, begleitete ihn Graufell eine Strecke. Da hörte Karr eine Drossel, die hoch oben in einem Tannenwipfel saß, rufen: „Da ist Graufell, der an der Verheerung des Waldes schuld ist! Da ist Graufell, der an der Verheerung des Waldes schuld ist!“

Karr wollte seinen Ohren nicht trauen; aber im nächsten Augenblick lief ein Hase über den Weg, und als dieser die beiden Daherkommenden sah, blieb er stehen, wedelte mit den Ohren und rief: „Da kommt Graufell, der an der Verheerung des Waldes schuld ist!“ Dann sprang er davon, so schnell er konnte.

„Was wollen sie denn damit sagen?“ fragte Karr.

„Ich weiß es nicht recht,“ antwortete Graufell. „Aber ich glaube, die kleinen Tiere im Wald sind unzufrieden mit mir, weil ich geraten hatte, daß wir Hilfe bei den Menschen suchen sollten; denn als das Unterholz geschlagen wurde, sind ihnen alle ihre Schlupfwinkel und Behausungen zerstört worden.“

Die beiden Freunde gingen eine Strecke weiter, und Karr hörte, wie es von allen Seiten ertönte: „Da ist Graufell, der an der Verheerung des Waldes schuld ist!“ Graufell tat, als höre er es nicht, aber Karr glaubte jetzt zu verstehen, warum der Elch so niedergedrückt war.

„Du, Graufell,“ fragte Karr hastig, „was meint denn die Natter damit, wenn sie sagt, du habest ihr ihre liebste Gefährtin umgebracht?“

„Wie soll ich das wissen?“ sagte Graufell. „Du weißt doch, daß ich keinem Tiere etwas zuleide tue.“

Kurz darauf begegneten sie den vier alten Elchen, Krummrück, Hornkrone, Wirrmähne und Riesenkraft. Still und nachdenklich wanderten sie daher, einer hinten dem andern.

„Schön guten Tag!“ rief ihnen Graufell entgegen.

„Schön guten Tag!“ antworteten die Elche. „Wir wollten dich eben aufsuchen, Graufell, um mit dir wegen des Waldes zu beraten.“

„Die Sache ist die,“ begann Krummrück. „Es ist uns zu Ohren gekommen, daß hier im Walde eine Missetat verübt worden ist, und weil diese nicht geahndet wurde, ist der ganze Wald dem Untergang geweiht.“

„Was ist das für eine Missetat?“ fragte Graufell.

„Ein Waldbewohner soll ein unschädliches Tier, das er doch nicht verzehren konnte, umgebracht haben. Dies wird im Friedenswalde für eine Missetat gerechnet.“

„Und wer hat denn eine solche Freveltat begangen?“ fragte Graufell.

„Ein Elch soll es gewesen sein. Und wir wollen dich jetzt fragen, ob du eine Ahnung hast, wer es sein könnte.“

„Nein,“ antwortete Graufell. „Ich habe nie etwas von einem Elch gehört, der ein unschädliches Tier getötet hätte.“

Graufell verließ die andern und ging mit Karr weiter. Er war noch schweigsamer als zuvor und schritt mit tiefgesenktem Kopf dahin. Jetzt kamen sie an der Kreuzotter Kryle vorbei, die auf einem Stein lag. „Da ist Graufell, der an der Verheerung des Waldes schuld ist,“ zischte Kryle, gerade wie alle andern. Aber jetzt war Graufells Geduld zu Ende. Er stellte sich vor die Kreuzotter hin und hob ein Vorderbein auf.

„Hast du im Sinn, mich auch umzubringen, wie du die Natter, das Weibchen des alten Hilflos, umgebracht hast?“ rief Kryle.

„Habe ich eine Natter umgebracht?“ fragte Graufell.

„Ja, am ersten Tag, wo du in den Wald herauskamst, hast du das Weibchen von der Natter Hilflos totgetreten.“

Graufell wendete sich rasch ab und gesellte sich wieder zu Karr. Plötzlich hielt er an. „Karr,“ sagte er, „ich habe die Freveltat begangen. Ich habe ein unschädliches Tier umgebracht. Ich bin schuld an der Zerstörung des Waldes.“

„Was sagst du da?“ unterbrach ihn Karr.

„Sage der Natter Hilflos, Graufell werde heute nacht noch in die Verbannung gehen.“

„Niemals werde ich so etwas sagen!“ rief Karr. „Der hohe Norden ist eine sehr gefährliche Gegend für die Elche.“

„Meinst du, ich wollte noch hier bleiben, nachdem ich so großes Unheil angestiftet habe?“ erwiderte Graufell.

„Übereile dich nicht. Warte bis morgen, ehe du irgend etwas unternimmst!“

„Du selbst hast mich gelehrt, daß die Elche eins mit dem Walde seien,“ sagte Graufell; und mit diesen Worten trennte er sich von Karr.

Karr ging nach Hause; aber durch die Unterredung unruhig geworden, ging er schon am nächsten Tag wieder in den Wald, den Elch aufzusuchen. Aber Graufell war nirgends zu finden, und der Hund suchte auch nicht lange. Er erriet sogleich, daß Graufell die Natter beim Wort genommen hatte und in die Verbannung gegangen war.

Während Karr in solche Gedanken versunken dahinwanderte, erblickte er plötzlich den Waldhüter, der unter einem Baum stand und hinaufdeutete. „Wonach schaust du?“ fragte ein Mann, der neben dem Waldhüter stand.

„Unter den Raupen ist eine Seuche ausgebrochen.“

Karr verwunderte sich über die Maßen; fast aber noch mehr entrüstete er sich darüber, daß die Natter die Macht gehabt hatte, ihr Wort zu halten. Nun mußte Graufell wahrscheinlich ewig lange fortbleiben, denn diese Natter starb wohl nie.

Während Karr noch tiefbetrübt war, kam ihm ein Gedanke, der ihn ein wenig tröstete. „Die Natter braucht vielleicht gar nicht so schrecklich alt zu werden, sie wird ja wohl nicht immer wohlbeschützt unter einer Baumwurzel liegen,“ dachte er. „Wenn sie nur erst die Raupen fortgeschafft hat, dann weiß ich einen, der ihr die Gurgel abbeißt.“

Ja, über die Raupen war wirklich eine Krankheit gekommen, aber im ersten Sommer verbreitete sie sich nicht in großer Ausdehnung. Kaum war sie ausgebrochen, da war es für die Raupen Zeit, sich einzupuppen, und aus den Puppen schlüpften dann Millionen von Schmetterlingen. Diese flatterten in jeder Nacht, Schneeflocken gleich, zwischen den Bäumen umher und legten unzählige Eier. Für das nächste Jahr konnte man sich auf noch größere Verheerungen gefaßt machen.

Die Verheerung kam, aber nicht allein für den Wald, sondern auch über die Raupen selbst. Die Seuche verbreitete sich rasch von einer Waldstrecke zur andern. Die erkrankten Raupen fraßen nicht mehr; sie krochen in den Gipfel des Baums hinauf und starben da. Unter den Menschen herrschte große Freude, als sie die Raupen sterben sahen; aber noch größere Freude griff unter den Tieren Platz. Der Hund Karr wanderte Tag um Tag in grimmiger Freude umher und dachte nur an den Augenblick, wo er es wagen dürfte, dem alten Hilflos die Gurgel abzubeißen.

Die Raupen hatten sich jedoch schon in meilenweitem Umkreis über den Nadelwald ausgebreitet, und auch in diesem Sommer erreichte die Krankheit nicht alle; viele blieben am Leben, die sich einpuppten und Schmetterlinge wurden.

Durch Zugvögel erhielt Karr oft Grüße von Graufell, der ihm sagen ließ, er sei noch am Leben, und es gehe ihm gut. Aber die Vögel vertrauten Karr an, Graufell sei wiederholt von Wilderern hart verfolgt worden und ihnen nur mit knapper Not entkommen.

Karr verzehrte sich in Sorge und Kummer und Heimweh nach Graufell. Aber noch zwei Sommer hindurch mußte er ausharren. Da erst war es zu Ende mit den Raupen.

Kaum hörte Karr den Waldhüter sagen, jetzt sei der Wald außer Gefahr, als er sich auch schon auf die Jagd nach dem alten Hilflos begab. Aber als er in das Dickicht kam, machte er eine entsetzliche Entdeckung: er konnte nicht mehr jagen, konnte nicht mehr rennen, konnte seinen Feind nicht aufspüren, konnte gar nichts mehr sehen. Während der langen Wartezeit war leise das Alter über Karr hereingebrochen; ohne daß er es gemerkt hatte, war er alt geworden. Nicht einmal eine Natter konnte er mehr totbeißen; er war nicht fähig, seinen Freund Graufell von seinem Feinde zu befreien.