Za darmo

Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

13
Die Kleine Karlsinsel

Der Sturm

Freitag, 8. April

Die Wildgänse hatten auf der nördlichen Spitze von Öland übernachtet und waren nun auf dem Wege nach dem Festland. Ein recht heftiger Südwind, der über den Sund von Kalmar herfegte, trieb sie in nördlicher Richtung weiter. Trotzdem arbeiteten sie sich ziemlich schnell dem Lande zu. Als sie aber die ersten Schären erreicht hatten, hörten sie ein lautes Donnern, als ob eine Menge flügelstarker Vögel dahersauste, und das Wasser unten wurde auf einmal ganz schwarz. Akka hielt die Flügel so schnell an, daß sie beinahe ganz still in der Luft lag. Dann ließ sie sich aufs Meer hinabsinken. Aber ehe die Gänse das Wasser erreicht hatten, war der Weststurm herangekommen. Schon jagte er Staubwolken, Wogenschaum und kleine Vögel vor sich her; er riß auch die Wildgänse mit sich fort, warf sie herum und jagte sie aufs weite Meer hinaus.

Es war ein entsetzlicher Sturm. Ein Mal ums andre versuchten die Wildgänse umzudrehen; aber es war ihnen nicht möglich, und sie wurden immer weiter auf die Ostsee hinausgetrieben. Der Sturm hatte sie schon an Öland vorbeigejagt, und sie hatten jetzt nur das öde graue Meer vor sich; es blieb ihnen nichts andres übrig, als nachzugeben.

Als Akka merkte, daß kein Umdrehen möglich war, hielt sie es für unnötig, sich von dem Sturm über die ganze Ostsee jagen zu lassen, und sie ließ sich deshalb aufs Wasser hinab. Es war hoher Seegang, der mit jedem Augenblick noch zunahm. Meergrün rauschten die Wogen daher, eine immer höher als die andre, mit wilden, zackigen Schaumkronen. Es war, als wetteiferten sie miteinander, welche am höchsten und wildesten aufwallen und aufschäumen könne. Aber die Wildgänse fürchteten sich nicht vor dem Wogenschwall, er schien ihnen im Gegenteil großes Vergnügen zu machen; sie strengten sich gar nicht mit Schwimmen an, sondern ließen sich auf die Wellenkämme hinauf- und in die Wogengänge hinabgleiten, und sie waren so vergnügt wie ein Kind in einer Schaukel. Eine Weile ging es ihnen sehr gut, und ihre einzige Sorge war, die Schar könnte schließlich zerstreut werden. Die armen Landvögel, die im Sturm über ihnen dahinjagten, riefen neidisch: „Ja, wer schwimmen kann, für den hat es keine Not!“

Aber die Wildgänse waren doch nicht ohne Gefahr, denn das Schaukeln machte sie furchtbar schläfrig. Unaufhörlich wollten sie den Kopf zurücklegen, den Schnabel unter den Flügel stecken und schlafen. Aber nichts ist gefährlicher, als auf diese Weise einzuschlafen, und Akka rief daher immerfort: „Schlaft nicht, Wildgänse! Wer schläft, wird von der Schar weggetrieben! Wer von der Schar abkommt, ist verloren!“

Aber trotz aller Versuche, dem Schlaf zu widerstehen, schlief doch eine um die andre ein; selbst Akka war nahe daran, einzunicken, als sie plötzlich etwas Rundes, Dunkles aus dem Gipfel einer Woge auftauchen sah. „Seehunde! Seehunde! Seehunde!“ schrie sie mit lauter, gellender Stimme und flog mit klatschenden Flügelschlägen auf. Es war die höchste Zeit; ehe die letzte Wildgans das Wasser verlassen hatte, waren die Seehunde so nahe, daß sie nach deren Füßen schnappten.

So waren die Wildgänse wieder mitten im Sturm, der sie vor sich her aufs Meer hinaustrieb. Er gönnte weder sich selbst noch den andern einen Augenblick Ruhe. Und kein Land war zu entdecken, überall ringsum nur das wilde Meer.

Sobald sie es wagen konnten, ließen sich die Gänse wieder aufs Meer hinab; nachdem sie jedoch eine Weile auf den Wogen geschaukelt hatten, wurden sie wieder schläfrig. Und sobald sie schliefen, schwammen die Seehunde heran. Wäre die alte Akka nicht so wachsam und klug gewesen, dann wäre gewiß nicht eine mit dem Leben davongekommen.

Der Sturm raste den ganzen Tag hindurch ohne Aufhören und richtete schreckliche Verheerungen unter allen den Vögeln an, die um diese Jahreszeit auf der Reise waren. Manche verloren ihre Richtung vollständig und wurden in ferne Länder verschlagen, wo sie elendiglich verhungerten; andre ermatteten so sehr, daß sie ins Meer hinunterstürzten und ertranken. Viele wurden an den Felswänden zerschmettert und viele ein Raub der Seehunde.

Der Sturm dauerte den ganzen Tag hindurch, und schließlich drängte sich Akka die Frage auf, ob sie und ihre Schar nicht am Ende noch verunglücken würden. Sie waren jetzt alle todmüde, aber so weit das Auge reichte, konnten sie keinen Platz entdecken, wo sie hätten ausruhen können. Gegen Abend wagten sie es auch nicht mehr, sich aufs Meer hinabzulassen, denn ganz plötzlich hatte es sich mit großen Eisschollen bedeckt, die sich gegeneinander auftürmten, und Akka fürchtete, sie und die andern könnten dazwischen erdrückt werden. Ein paarmal versuchten die Wildgänse, sich auf die Eisschollen zu stellen; aber einmal fegte sie der wilde Sturm ins Wasser hinein, und ein andres Mal krochen die unbarmherzigen Seehunde zu ihnen aufs Eis hinauf.

Bei Sonnenuntergang waren die Gänse wieder in der Luft. In banger Furcht vor der Nacht flogen sie weiter. Die Dunkelheit schien ihnen an diesem von Gefahren erfüllten Abend gar zu schnell hereinzubrechen.

Es war schrecklich, daß sie noch immer kein Land sahen. Wie würde es ihnen erst gehen, wenn sie die ganze Nacht da draußen bleiben müßten? Entweder würden sie zwischen den Eisschollen zerquetscht, oder von den Seehunden aufgefressen, oder nach allen Seiten auseinandergesprengt.

Der Himmel war mit Wolken bedeckt und der Mond verhüllt, die Dunkelheit brach rasch herein. Plötzlich nahm die ganze Natur ringsum ein unheimliches Aussehen an, das dem mutigsten Herzen Entsetzen einflößte. Die Rufe von Zugvögeln, die sich in höchster Not befanden, hatten den ganzen Tag die Luft erfüllt, aber jetzt, wo man nicht mehr sah, wer sie ausstieß, klangen sie schauerlich und schreckenerregend. Drunten auf dem Meere prallten die Schollen des Treibeises mit lautem Krachen aufeinander, und die Seehunde stimmten ihr wildes Jagdgeheul an. Es war, als ob Himmel und Erde am Einstürzen seien.

Die Gefahr

Der Junge hatte eine Weile gedankenvoll aufs Meer hinabgeschaut. Da war es ihm plötzlich, als werde das Brausen noch stärker als vorher. Er schaute auf; gerade vor ihm, nur ein paar Meter entfernt, ragte ein steiler Felsen auf. An seinem Fuße brachen sich die Wogen mit hoch aufspritzendem Schaum. Ja, ja, gerade vor ihm war eine rauhe, kahle Felsenwand, und auf diese flogen die Wildgänse zu. Der Junge war überzeugt, daß sie daran zerschellen müßten, und er glaubte schon dem Tod ins Gesicht zu sehen.

Er hatte kaum noch Zeit, sich zu verwundern, daß Akka die Gefahr nicht beizeiten erkannt habe, als sie auch schon an dem Felsen angekommen waren. Doch jetzt sah er auch die halbrunde Öffnung einer Grotte; in diese hinein stürzten die Gänse, und im nächsten Augenblick waren sie in Sicherheit.

Das erste jedoch, woran jede von ihnen dachte, ehe sie sich der eignen Rettung erfreute, war nachzusehen, ob auch alle Reisegefährten gerettet seien. Da fanden sich denn auch Akka, Yksi, Kolme, Neljä, Viisi, Kuusi, alle die sechs jungen Gänse, der Gänserich, Daunenfein und Däumling, nur Kaksi von Nuolja, die erste Gans vom linken Flügel, war verschwunden, und keine der andern wußte etwas von ihrem Schicksal.

Als die Wildgänse sahen, daß nur Kaksi von ihnen getrennt worden war, nahmen sie die Sache leicht. Kaksi war alt und klug. Sie kannte alle Wege und Gewohnheiten der Schar, und es würde ihr schon gelingen, sich wieder mit dieser zu vereinigen.

Hierauf begannen die Wildgänse sich umzusehen. Es drang noch etwas Tagesschimmer durch den Eingang herein, und sie konnten erkennen, daß die Höhle sehr tief und weit war. Sie freuten sich schon über die gute Nachtherberge, die sie gefunden hatten, als eine von ihnen einige glänzende grüne Punkte bemerkte, die aus einem dunklen Winkel hervorleuchteten. „Das sind Augen!“ rief Akka. „Es sind große Tiere hier drinnen.“

Die Gänse stürzten dem Ausgang zu, aber Däumling, der in der Dunkelheit besser als die Wildgänse sah, rief ihnen zu: „Ihr braucht nicht zu fliehen. Es sind nur einige Schafe, die an der Höhlenwand liegen.“

Als die Wildgänse sich an den Dämmerschein in der Höhle gewöhnt hatten, sahen sie die Schafe recht gut. Die Erwachsenen waren ihnen wohl an Zahl gleich, aber außerdem waren noch einige Lämmer da. Ein großer Widder mit langen, gewundenen Hörnern schien der vornehmste von der kleinen Herde zu sein, und unter vielen Verbeugungen gingen die Wildgänse auf ihn zu. „Gott zum Gruß hier in der Wildnis!“ begrüßten sie ihn. Aber der Widder lag ganz still, und kein einziges Wort des Willkommens drang über seine Lippen.

Da glaubten die Wildgänse, die Schafe seien mißvergnügt über ihr Eindringen in die Höhle. „Es ist euch vielleicht nicht angenehm, daß wir hier hereingekommen sind,“ sagte Akka. „Aber wir können nichts dafür, der Wind hat uns hierher verschlagen. Wir sind den ganzen Tag im Sturm umhergeflogen, und es wäre uns eine große Wohltat, wenn wir hier übernachten dürften.“

Es dauerte eine gute Weile, bis eines von den Schafen nur ein Wort erwiderte, dagegen hörten die Gänse deutlich, wie einige von ihnen tief aufseufzten. Akka wußte wohl, daß Schafe immer schüchtern sind und sonderbare Manieren haben, aber diese schienen ganz und gar keinen Begriff davon zu haben, was sich gehörte.

Schließlich begann ein altes Mutterschaf, das ein längliches, gramdurchfurchtes Gesicht hatte, mit klagender Stimme: „Von uns verweigert euch gewiß keines den Aufenthalt hier; aber dies ist ein Haus der Trauer, und wir können nicht mehr wie in frühern Zeiten Gäste bei uns aufnehmen.“

„Darüber braucht ihr euch keine Sorge zu machen,“ sagte Akka. „Wenn ihr wüßtet, was wir heute ausgestanden haben, würdet ihr gewiß verstehen, wie froh wir sind, wenn wir nur ein sicheres Plätzchen bekommen, wo wir schlafen können.“

 

Als Akka dies sagte, richtete sich der alte Widder auf. „Es wäre gewiß besser für euch, im stärksten Sturm umherzufliegen, als hierzubleiben. Aber jetzt sollt ihr euch doch nicht wieder auf den Weg machen, ehe wir euch mit dem besten, was das Haus vermag, bewirtet haben.“

Er führte sie zu einer mit Wasser gefüllten Vertiefung im Boden. Dicht daneben lag ein Haufen Spreu und Häcksel, und er bat die Gänse, es sich gut schmecken zu lassen. „Wir haben einen sehr strengen Schneewinter gehabt,“ sagte er. „Die Bauern, denen wir gehören, brachten uns Heu und Haferstroh, damit wir nicht verhungerten. Und dieser Haufen ist alles, was noch davon übrig ist.“

Die Gänse machten sich eifrig über das Futter her. Sie fanden, daß sie es herrlich getroffen hätten, und waren in allerbester Laune. Sie sahen ja wohl, daß die Schafe voller Angst waren; aber da sie wußten, wie leicht Schafe sich erschrecken lassen, glaubten sie nicht, daß es sich um eine wirkliche Gefahr handeln könne. Sobald sie satt waren, dachten sie darum auch an nichts andres, als sich nun an einem guten Schlafe zu erfreuen. Aber da richtete sich der große Widder abermals auf und kam auf sie zu. Die Gänse meinten, noch nie ein Schaf mit so langen, starken Hörnern gesehen zu haben. Und auch sonst sah der Widder merkwürdig aus. Er hatte eine große, knochige Stirn, kluge Augen und eine vornehme Haltung, wie ein recht stolzes, mutiges Tier.

„Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, euch hier schlafen zu lassen, ohne euch zu sagen, daß es hier durchaus nicht sicher ist,“ sagte er. „Wir können für den Augenblick keine Logierbesuche bei uns aufnehmen.“

Jetzt erst merkte Akka, daß dies Ernst war. „Wenn ihr es durchaus wünscht, so werden wir uns entfernen,“ sagte sie. „Aber wollt ihr uns nicht vorher sagen, was euch bekümmert? Wir wissen nichts, ja wir wissen nicht einmal, wohin wir geraten sind.“

„Dies ist die Kleine Karlsinsel,“ erwiderte der Widder. „Sie liegt westlich vor Gotland, und es wohnen nur Schafe und Meeresvögel hier.“

„Vielleicht seid ihr wilde Schafe?“ fragte Akka.

„Ja, man könnte uns beinahe so nennen,“ antwortete der Widder. „Mit den Menschen haben wir eigentlich nichts zu tun. Es besteht ein altes Übereinkommen zwischen uns und den Bauern eines Hofes auf Gotland; demgemäß müssen uns diese in bösen Schneewintern mit Futter versehen, und dafür dürfen sie die Überzähligen von uns mitnehmen. Die Insel ist so klein, daß sie nur eine begrenzte Anzahl von uns ernähren kann. Aber sonst versorgen wir uns das ganze Jahr hindurch selbst, und wir wohnen in keinen Häusern mit Türen und Riegeln, sondern halten uns in solchen Höhlen wie diese hier auf.“

„Was! Bleibt ihr auch im Winter draußen?“ fragte Akka verwundert.

„Jawohl,“ antwortete der Widder. „Es gibt das ganze Jahr hindurch Futter genug hier.“

„Das klingt ja fast, als hättet ihr es besser als andre Schafe,“ sagte Akka. „Aber was ist das nun für ein Unglück, das euch betroffen hat?“

„Im vergangenen Winter,“ sagte der Widder, „war es so bitter kalt, daß das Meer zufror. Da kamen drei Füchse übers Eis herüber, und sie sind seitdem hier geblieben. Außer ihnen ist auf der ganzen Insel nicht ein einziges lebensgefährliches Tier.“

„Wie, wagen es die Füchse, solche Tiere, wie ihr seid, anzugreifen?“

„O nein, bei Tage nicht, da kann ich mich und die Meinigen wohl verteidigen,“ sagte der Widder und schüttelte seine Hörner. „Aber bei Nacht, wenn wir in der Höhle schlafen, da schleichen sie heran und überfallen uns. Wir geben uns zwar alle Mühe, wach zu bleiben, aber einmal muß man ja schlafen, und das benutzen sie. In den benachbarten Behausungen haben sie schon alle Schafe getötet, und es waren Herden darunter, die ebenso groß waren wie die meinige.“

„Es ist nicht angenehm, eingestehen zu müssen, daß wir so hilflos sind,“ sagte jetzt das alte Mutterschaf, „und es wäre viel besser für uns, wenn wir zahme Schafe wären.“

„Meint ihr, die Füchse werden auch heute nacht kommen?“ fragte Akka.

„Es ist nicht anders zu erwarten,“ antwortete das Mutterschaf. „Gestern nacht sind sie hier gewesen und haben uns ein Lamm gestohlen, und sie werden nicht ausbleiben, so lange noch eins von uns am Leben ist. So haben sie es bei den andern Herden auch gemacht.“

„Aber wenn die wenigen, die übrig geblieben sind, noch länger hierbleiben, dann sterbet ihr ja vollständig aus,“ sagte Akka.

„Ja, es wird nicht mehr lange dauern, bis es keine Schafe mehr auf der Kleinen Karlsinsel gibt,“ seufzte das Mutterschaf.

Sehr unschlüssig stand Akka da. Wieder im Sturm umherzufliegen, war kein Vergnügen, aber in einem Haus zu bleiben, wo solche Gäste erwartet wurden, war auch nicht gut. Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, wendete sie sich an Däumling. „Sag, möchtest du uns diesmal nicht auch helfen, wie schon so oft?“ fragte sie ihn.

„Jawohl,“ erwiderte der Junge, „recht gern.“

„Du tust mir zwar leid, wenn du nicht schlafen darfst,“ fuhr Akka fort, „aber trotzdem möchte ich dich bitten, heute zu wachen und uns zu wecken, wenn du die Füchse kommen siehst, damit wir wegfliegen können.“

Der Junge versprach, es zu tun. Er wußte ja, daß die andern müder waren als er und also auch mehr Recht zum Schlafen hatten.

Er trat an die Öffnung der Höhle, kroch hier zum Schutz vor dem Sturm unter einen Stein und begann seine Wache. Allmählich klärte sich der Himmel auf, und der Mondschein spielte auf den Wogen. Der Junge trat unter den Höhleneingang und schaute hinaus. Die Höhle befand sich ziemlich hoch an der Felsenwand, und nur ein schrecklich steiler Weg führte zu ihr herauf. Auf diesem würden die Füchse wohl daherkommen.

Füchse sah er nun zwar noch keine, dafür aber etwas andres, das ihm im ersten Augenblick großen Schrecken einjagte. Unterhalb des Berges auf dem schmalen Streifen Land am Ufer hin standen einige Riesen oder andre steinerne Ungeheuer. Oder vielleicht waren es auch Menschen. Zuerst glaubte er, er träume, dann aber war er ganz sicher, daß er noch nicht geschlafen habe. Er sah die großen Männer ganz deutlich, es konnte keine Gesichtstäuschung sein. Einige standen draußen am Ufer, die andern aber ganz dicht am Berge, als ob sie hinaufklettern wollten. Die einen hatten große, dicke Köpfe, andre wieder gar keine. Die einen waren einarmig, und einige hatten hinten und vorne große Höcker.

So etwas Sonderbares hatte der Junge noch nie gesehen; er stand da droben und fürchtete sich so schrecklich vor den Ungeheuern, daß er beinahe vergessen hätte, auf die Füchse aufzupassen. Jetzt aber hörte er eine Klaue auf einem Stein kratzen, und er sah drei Füchse den Abhang heraufkommen. Sobald der Junge wußte, daß er es mit etwas Wirklichem zu tun hatte, beruhigte er sich vollständig und fühlte keine Spur von Angst mehr. Dann dachte er, es wäre doch recht schade, wenn er jetzt nur die Gänse weckte, die Schafe aber ihrem Schicksal überließe, und er wollte es lieber anders machen.

Eilig lief er in die Höhle hinein, weckte den großen Widder, indem er ihn an den Hörnern schüttelte und sich zugleich auf dessen Rücken schwang. „Steh auf, Alter, dann wollen wir den Füchsen einen gelinden Schrecken einjagen!“ flüsterte er.

Er hatte versucht, so still wie möglich zu sein, aber die Füchse hatten doch ein Geräusch gehört. Als sie den Höhleneingang erreicht hatten, hielten sie an und überlegten. Ganz bestimmt hatte sich eines von den Schafen bewegt. „Ich möchte wohl wissen, ob sie wach sind?“ sagte der eine Fuchs.

„Ach, geh nur hinein,“ sagte einer von den andern. „Sie können uns jedenfalls nichts tun.“

Als sie tiefer in die Höhle hineingekommen waren, blieben sie stehen und witterten. „Wen wollen wir heute nehmen?“ flüsterte der vorderste.

„Heute nehmen wir den großen Widder,“ zischelte der hinterste. „Dann haben wir mit den andern leichte Arbeit.“

Der Junge saß auf dem Rücken des alten Widders und sah, wie die Füchse sich heranschlichen. „Stoß nur gerade aus!“ flüsterte er. Der Widder stieß zu, und der erste Fuchs wurde Hals über Kopf an den Eingang zurückgeschleudert. „Stoß jetzt nach links!“ sagte der Junge und drehte den großen Kopf des Widders in die richtige Lage. Der Widder führte einen gewaltigen Stoß nach links, der den zweiten Fuchs in die Seite traf. Dieser überkugelte sich mehrere Male, ehe er wieder auf die Beine kam und fliehen konnte. Dem Jungen wäre es am liebsten gewesen, wenn der dritte auch noch einen Denkzettel bekommen hätte, aber dieser war schon auf und davon.

„Jetzt werden sie für heute nacht genug haben!“ rief der Junge.

„Das glaube ich auch,“ sagte der Widder. „Lege dich nun auf meinen Rücken und krieche in die Wolle hinein. Nach dem Sturm, in dem du heute draußen gewesen bist, hast du ein warmes Lager wohl verdient.“

Das Höllenloch

Samstag, 9. April

Am nächsten Tage wanderte der Widder mit dem Jungen auf dem Rücken auf der Insel umher. Diese bestand aus einem einzigen großen Felsen. Sie war wie ein großes Haus mit senkrechten Mauern und einem Plattdach. Der Widder ging zuerst auf das Felsendach hinauf und zeigte dem Jungen die guten Weideplätze, die da oben waren, und dem Jungen kam die Insel gerade wie für Schafe geschaffen vor. Auf dem Berge wuchs nicht viel weiter als Schafschwingel und andre kleine, dürre, gewürzige Kräuter, die Schafe gern fressen.

Aber wer glücklich den jähen Abhang hinaufgekommen war, für den gab es da oben wahrlich auch noch andres zu sehen als nur Schafweiden. Da war zuerst das weite, weite Meer, das jetzt im Sonnenglanz herrlich blau leuchtete und mit schimmernden Wellen daherrollte. Nur an einzelnen Klippenvorsprüngen schäumte es weiß auf. Geradeaus gegen Osten lag die gleichmäßige, langgestreckte Küste von Gotland, und im Südwesten die Große Karlsinsel, die dieselbe Formation zeigte wie die Kleine Karlsinsel. Als der Widder ganz an den Rand der Felsenkuppe trat, so daß der Junge die Bergwand hinunterschauen konnte, sah er, daß sie voller Vogelnester war, und in der blauen Flut unten lagen in friedlicher Vereinigung die verschiedensten Arten von Möwen, Eidervögeln und Lummen und Alken, die eifrig Strömlinge fischten.

„Dies ist wirklich ein gelobtes Land,“ sagte der Junge. „Ihr habt es wahrlich gut, ihr Schafe.“

„Jawohl, es ist schön hier,“ sagte der Widder. Es war, als wollte er noch etwas hinzufügen, sagte aber doch nichts, sondern seufzte nur. „Aber wenn du allein hier umhergehst,“ fuhr er nach einer Weile fort, „dann nimm dich ja vor allen den Spalten in acht, die über den Berg hinlaufen.“ Und das war eine gute Warnung, denn an mehreren Stellen waren tiefe und breite Felsenrisse. Die größte von diesen Spalten heiße das Höllenloch, sagte der Widder, es sei mehrere Meter tief und mehr als einen Meter breit. „Wenn einer da hinunterfiele, dann wäre es aus mit ihm,“ fügte der Widder noch hinzu, und dem Jungen kam es vor, als habe er dies mit einer besondern Absicht gesagt.

Nun führte er den Jungen an den Strand hinunter. Da bekam er denn auch die Riesen, die ihn in der Nacht erschreckt hatten, in der Nähe zu sehen. Es waren große Felsengebilde; der Widder nannte sie „Raukar“, und der Junge konnte sich nicht satt daran sehen. Er meinte, wenn es wirklich in Steine verwandelte Zauberer gäbe, müßten sie so aussehen.

Obgleich es unten am Strande auch recht schön war, gefiel es dem Jungen doch noch besser oben auf der Felsenhöhe. Es war ihm unheimlich da unten, weil überall tote Schafe lagen, denn hier pflegten die Füchse ihre Mahlzeiten zu halten. Der Widder und der Junge sahen vollständig abgenagte Skelette, aber auch Körper, die nur halb abgefressen waren, und wieder andre, die die Füchse ganz unversehrt gelassen hatten. Mit Grausen sahen sie, daß die wilden Tiere nur zu ihrem Vergnügen über die Schafe herfielen, nur um zu jagen und zu morden.

Der Widder hielt nicht bei den Toten an, sondern ging still an ihnen vorbei. Aber selbstverständlich sah der Junge die ganze Abscheulichkeit; er konnte nicht anders.

Jetzt stieg der Widder wieder den Berg hinauf; als er aber oben angekommen war, blieb er stehen und sagte: „Wenn jemand, der klug und tüchtig wäre, all dieses Elend hier zu sehen bekäme, dann würde er gewiß nicht ruhen, bis die Füchse ihre gerechte Strafe bekommen hätten.“

„Die Füchse müssen aber doch auch leben,“ sagte der Junge.

„Jawohl,“ erwiderte der Widder. „Und wer nicht mehr Tiere tötet, als er zu seinem Unterhalt bedarf, der darf wohl am Leben bleiben. Diese hier aber sind Übeltäter!“

„Die Bauern, denen die Insel gehört, müßten kommen und euch helfen,“ meinte der Junge.

„Sie sind auch schon mehrere Male hier gewesen,“ sagte der Widder, „aber die Füchse versteckten sich in Höhlen und Felsenspalten, wo man nicht auf sie schießen konnte.“

 

„Ach, mein guter Alter, Ihr glaubt doch wohl nicht, daß so ein armer kleiner Wicht wie ich mit ihnen fertig werden könnte, nachdem weder ihr noch die Bauern sie haben überwältigen können?“ sagte der Junge.

„Wer klein und pfiffig ist, kann vieles ausrichten,“ antwortete der Widder.

Sie sprachen jetzt nicht weiter von dieser Sache, und der Junge begab sich zu den Wildgänsen, die auf dem Berggipfel weideten. Obgleich er es dem Widder nicht hatte zeigen wollen, war er doch sehr betrübt über das Schicksal der Schafe, und er hätte ihnen gar zu gern geholfen. „Ich will jedenfalls mit Akka und dem Gänserich Martin darüber reden,“ dachte er. „Vielleicht können sie mir einen guten Rat geben.“

Etwas später nahm der weiße Gänserich den Jungen auf den Rücken und wanderte mit ihm über den Felsengipfel nach dem Höllenloch. Ganz sorglos lief er über die offne Berghöhe hin und schien gar nicht daran zu denken, wie weiß und groß er war. Er suchte sich nicht hinter Erdhaufen oder andern Erhöhungen zu verstecken, sondern ging ruhig seines Weges weiter. Es war merkwürdig, daß er nicht ein bißchen vorsichtig war, denn es schien ihm während des gestrigen Sturmes gar schlecht gegangen zu sein. Er hinkte mit dem rechten Bein, und der linke Flügel schleifte am Boden, als ob er gebrochen wäre.

Er wanderte umher, als sei durchaus keine Gefahr zu befürchten, biß da und dort einen Grashalm ab und sah sich gar nicht um. Der Junge lag auf dem Gänserücken ausgestreckt und schaute zum blauen Himmel empor. Er war das Reiten jetzt so gewohnt, daß er auf dem Gänserücken stehen und liegen konnte.

Da der Gänserich und der Junge so sorglos waren, bemerkten sie natürlich die drei Füchse nicht, die jetzt auf dem Berggipfel auftauchten. Und die Füchse, die wohl wußten, daß es beinahe unmöglich ist, einer Gans auf offnem Felde beizukommen, dachten im ersten Augenblick gar nicht daran, auf sie Jagd zu machen. Da sie aber nichts andres zu tun hatten, sprangen sie schließlich in eine der langen Felsenspalten hinein und versuchten, sich an die Gans heranzuschleichen. Sie gingen dabei so vorsichtig zu Werk, daß der Gänserich auch nicht einen Schein von ihnen sehen konnte.

Als sie nicht mehr weit von dem Gänserich entfernt waren, machte dieser einen Versuch, aufzufliegen. Er schlug mit den Flügeln, aber es gelang ihm nicht, vom Boden wegzukommen. Daraus folgerten die Füchse, der Gänserich könne nicht fliegen, und sie eilten rascher vorwärts. Sie hielten sich nicht mehr in der Kluft versteckt, sondern liefen auf die Hochebene hinaus. Hier verbargen sie sich, so gut sie konnten, hinter Erdhaufen und Felsstücken und kamen so immer näher zu dem Gänserich hin, ohne daß dieser merkte, daß Jagd auf ihn gemacht wurde. Schließlich waren sie ihm ganz nahe, jetzt konnten sie den Sprung wagen, und mit einem großen Satz warfen sie sich alle drei zugleich auf ihn.

Im letzten Augenblick mußte der Gänserich aber doch etwas gemerkt haben, denn er sprang rasch zur Seite, und die Füchse verfehlten ihn. Aber das war nicht von großer Bedeutung, denn der Gänserich hatte nur ein paar Meter Vorsprung, und dazu war er lahm. Der Ärmste lief zwar, was er konnte, und Gänse können ja ungeheuer schnell laufen, selbst einem Fuchs kann es schwer fallen, sie zu fangen.

Der Junge saß rücklings auf dem Gänserücken und rief und schrie den Füchsen zu: „Ihr habt euch am Schaffleisch zu fett gefressen, ihr Füchse, ihr könnt ja nicht einmal eine Gans fangen!“ Er reizte und ärgerte sie; das machte sie ganz toll und hitzig, und sie rannten jetzt sinnlos vorwärts.

Der weiße Gänserich aber lief geradeswegs auf die große Kluft zu. Als er sie erreicht hatte, schlug er mit den Flügeln, und drüben war er! Gerade da hatten ihn die Füchse eingeholt.

Der Gänserich lief, nachdem er über das Höllenloch hinübergekommen war, ebenso schnell vorwärts wie vorher. Doch kaum war er einige Meter weiter gelaufen, als der Junge ihm auf den Hals klopfte und sagte: „Jetzt kannst du anhalten, Gänserich!“

In diesem Augenblick hörten sie hinter sich ein paar wilde Schreie, ein Kratzen von Krallen und das Aufschlagen von mehreren Körpern. Aber von den Füchsen sahen sie nichts mehr.

Am nächsten Morgen fand der Leuchtturmwächter auf der Großen Karlsinsel ein Stück Rinde unter seiner Haustür, auf dem mit krummen, eckigen Buchstaben geschrieben stand: „Die Füchse auf der kleinen Insel sind in das Höllenloch gefallen. Mach, daß du hinkommst!“

Und das tat der Leuchtturmwächter auch.