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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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11
Die Südspitze von Öland

Sonntag, 3. bis Mittwoch, 6. April

Auf dem südlichsten Teil von Öland liegt ein altes Krongut, das Ottenby heißt. Es ist ein sehr großes Gut, das sich von einem Ufer zum andern quer über die Insel erstreckt, und das Merkwürdige an ihm ist, daß es von jeher ein Aufenthaltsort für große Tierscharen war. Im siebzehnten Jahrhundert, wo die Könige nach Öland fuhren, dort der Jagd zu pflegen, war das Besitztum ein einziger großer Wildpark. Im achtzehnten Jahrhundert war ein Gestüt dort, wo edle Rassepferde gezüchtet wurden, und außerdem noch eine Schäferei mit vielen hundert Schafen. In unsern Tagen gibt es da weder Vollblutpferde noch Schafherden. Statt ihrer sind große Scharen junger Pferde da, die für unsere Kavallerieregimenter bestimmt sind.

In dem ganzen Lande gibt es gewiß keinen Hof, der einen bessern Aufenthaltsort für Tiere aller Art böte. Die östliche Küste entlang liegt die alte Schäferwiese, die, eine Viertelmeile lang, die größte Wiese Schwedens ist, und dort können die Tiere ebenso frei weiden und spielen und sich tummeln wie in der Wildnis. Und da ist auch der berühmte Hain von Ottenby mit den hundertjährigen Eichen, die Schatten gegen die Sonne spenden und Schutz vor dem strengen Ölandswind gewähren. Und dann darf man die lange Mauer von Ottenby nicht vergessen; diese läuft quer über das Eiland hin und schließt Ottenby von der übrigen Insel ab. Diese Mauer zeigt den Tieren, bis wohin sich das alte Krongut erstreckt, und hält sie davon ab, auf fremdes Gebiet zu gehen, wo sie nicht das Recht haben, sich aufzuhalten.

Aber daß es viele zahme Tiere auf Ottenby gibt, ist noch lange nicht alles; man sollte beinahe glauben, die wilden Tiere hätten auch das Gefühl, daß auf einem alten Krongut sowohl wilde als zahme auf Schutz und Schirm rechnen dürfen, weil sie sich in so großen Scharen dahin wagen. Nicht allein Hirsche von dem alten Stamme, sowie Hasen und Brandenten und Rebhühner halten sich mit Vorliebe dort auf, sondern dieses Gut ist im Frühling und Spätsommer auch der Ruheplatz für Tausende von Zugvögeln; und auf dem sumpfigen östlichen Strand unterhalb der Schäferwiese lassen sie sich in erster Linie nieder, um da zu weiden und auszuruhen.

Als die Wildgänse und Nils Holgersson Öland schließlich erreicht hatten, ließen sie sich wie alle andern auf dem Strande unterhalb der Schäferei nieder. Der Nebel lag ebenso dicht über der Insel wie vorher über dem Meere. Aber der Junge war doch erstaunt über die vielen Vögel, die er auf dem kleinen Stückchen des Strandes, das er überschauen konnte, sah.

Es war ein langer, sandiger Strand mit Steinen und Wasserpfützen und einer großen Menge angeschwemmten Tangs. Wenn der Junge die Wahl gehabt hätte, würde er wohl nie daran gedacht haben, sich da niederzulassen; aber die Vögel hielten diesen Ort gewiß für ein wahres Paradies. Enten und Graugänse weideten auf der Wiese, am Ufer hüpften Strandläufer und andre Strandvögel umher. Die Seetaucher lagen im Wasser und fischten, aber am meisten Leben und Bewegung war doch auf den langen Tangbänken vor dem Ufer draußen. Da standen die Vögel nebeneinander und suchten Larven, von denen es eine grenzenlose Menge geben mußte, denn man hörte niemals, daß sich irgend eine Klage über Mangel an Futter erhoben hätte.

Die meisten von den Vögeln wollten weiterreisen und hatten sich nur zum Ausruhen hier niedergelassen. Sobald der Anführer einer Schar meinte, seine Reisegenossen hätten sich jetzt genug gestärkt und gelabt, sagte er: „Seid ihr jetzt fertig? Dann begeben wir uns wohl weiter?“

„Nein, warte noch, warte noch! Wir sind noch lange nicht satt!“ riefen die Mitreisenden.

„Ihr meint wohl, ihr dürftet euch so vollfressen, daß ihr euch nicht mehr bewegen könnt?“ erwiderte der Anführer. Dann schlug er mit den Flügeln und flog davon. Aber mehr als einmal mußte er wieder umkehren, weil die andern nicht zum Weiterfliegen zu bewegen waren.

Unterhalb der äußersten Tangbank lag eine Schar Schwäne. Sie hatten keine Lust, an Land zu gehen, sondern ruhten sich, auf dem Wasser liegend und sich leise hin und her wiegend, aus. Ab und zu tauchten sie mit dem Hals unter und holten sich Speise aus dem Meeresgrund. Wenn sie etwas besonders Gutes ergattert hatten, stießen sie einen lauten Schrei aus, der wie ein Trompetenstoß klang.

Als der Junge hörte, daß Schwäne dort unten lagen, lief er schnell auf die Tangbänke hinaus. Er hatte noch nie wilde Schwäne in der Nähe gesehen. Und er hatte Glück, denn er gelangte ganz nahe zu ihnen hin.

Der Junge war jedoch nicht der einzige, der die Schwäne gehört hatte; sowohl die Wildgänse als auch die Graugänse und die Enten und die Seetaucher schwammen zwischen die Tangbänke hinein, legten sich wie ein Ring um die Schar der Schwäne herum und schauten sie unverwandt an. Die Schwäne bliesen die Federn auf, breiteten die Flügel wie Segel aus und hoben die Hälse hoch in die Höhe. Bisweilen schwamm einer von ihnen zu einer Gans oder einem großen Seetaucher oder einer Tauchente hin und sagte ein paar Worte. Und dann war es, als ob der Angesprochene kaum den Schnabel zu einer Entgegnung zu öffnen wagte.

Doch da war auch ein kleiner Seetaucher, ein kleiner schwarzer Schlingel, dem war diese ganze Feierlichkeit unerträglich. Hurtig tauchte er unter und verschwand unter dem Wasser. Gleich darauf stieß einer der Schwäne einen lauten Schrei aus und schwamm so schnell davon, daß das Wasser hinter ihm schäumte. Dann hielt er an und versuchte, wieder majestätisch auszusehen. Aber gleich darauf schrie ein andrer wie der erste, und im nächsten Augenblick auch ein dritter.

Nun aber konnte es der kleine Seetaucher nicht länger unter dem Wasser aushalten, und er erschien wieder an der Oberfläche, klein und schwarz und boshaft. Die Schwäne stürzten auf ihn zu; aber als sie sahen, was für ein kleiner Wicht er war, machten sie rasch kehrt, als ob sie sich für zu gut hielten, mit ihm anzubinden. Der kleine Seetaucher tauchte jedoch von neuem unter und zwickte die Schwäne abermals in die Füße. Das tat ihnen sicher weh, und das schlimmste war, daß sie ihre Würde nicht aufrecht erhalten konnten. Da machten sie der Sache rasch ein Ende. Sie schlugen mit den Flügeln, daß es donnerte, jagten ein großes Stück gleichsam auf dem Wasser springend weiter, bekamen schließlich Luft unter die Schwingen und flogen davon.

Als sie fort waren, fehlten sie den andern Vögeln sehr, und die, denen das Vorgehen des kleinen Seetauchers vorher Spaß gemacht hatte, schalten ihn jetzt wegen seiner Unverschämtheit aus.

Der Junge ging wieder dem Lande zu. Hier angekommen hielt er bei den Strandläufern an und schaute ihrem Spiel zu. Sie standen in einer langen Reihe am Strand und sahen wie winzige Kraniche aus; wie diese hatten sie auch kleine Körper, hohe Beine, lange Hälse und leichte, schwebende Bewegungen, aber sie waren nicht grau, sondern braun. Da standen sie in einer langen Reihe an dem von den Wellen bespülten Uferrand. Sobald eine Woge daherrauschte, sprang die ganze Reihe rückwärts, wenn die Welle aber wieder zurückwich, liefen sie ihr nach. Und so ging es stundenlang fort.

Die schönsten von allen Vögeln waren die Brandenten. Sie waren wohl mit den gewöhnlichen Enten verwandt, denn wie diese hatten sie auch einen schweren, gedrungenen Körper, einen breiten Schnabel und Schwimmflossen, doch waren sie viel prächtiger gekleidet. Ihr Federkleid selbst war weiß, aber um den Hals hatten sie ein gelb und schwarzes Band, die Flügeldecke glänzte grün, rot und schwarz, die Flügelspitzen waren schwarz, und der Kopf war schwarzgrün und schillerte wie Seide.

Sobald sich eine von ihnen am Strande zeigte, sagten die andern Vögel: „Seht, seht! Sie versteht es, sich herauszuputzen!“

„Wenn sie nicht so schön wären, brauchten sie ihre Beine nicht in die Erde hineinzugraben, sondern könnten wie andre Vögel offen daliegen,“ spottete eine braune Wildente.

„Und wenn sie sich auch alle Mühe gibt, so kann sie doch nicht schön aussehen mit so einer Nase, wie sie hat,“ sagte eine Graugans.

Und das ist auch wirklich wahr. Die Brandenten haben einen großen Knorpel auf der Schnabelwurzel, der ihrer Schönheit Eintrag tut.

Vor dem Strande flogen Möwen und Seeschwalben über das Wasser hin und fischten. „Was fangt ihr da für Fische?“ fragte eine Wildgans.

„Stichlinge! Die Ölandstichlinge sind die besten Fische von der Welt,“ sagte eine Möwe. „Willst du sie nicht versuchen?“ Mit vollem Mund flog sie zu der Gans hin und wollte ihr von den kleinen Fischen geben.

„O pfui!“ rief diese. „Meint ihr, ich werde so abscheuliches Zeug fressen?“

Am nächsten Morgen war es noch ebenso nebelig. Die Wildgänse gingen auf die Wiese und weideten; der Junge aber wanderte an den Strand hinunter, sich Muscheln zu sammeln. Es gab dort sehr viele, und da er dachte, er komme vielleicht morgen an einen Platz, wo sich für ihn gar nichts zu essen fände, wollte er versuchen, sich ein Säckchen zu machen, in dem er die Muscheln mitnehmen könnte. Auf der Wiese fand er dürres Riedgras, das zäh und stark war, und aus diesem begann er ein Ränzel zu flechten. Er verbrachte mehrere Stunden mit dieser Arbeit; als aber das Ränzel fertig war, fühlte er sich auch recht befriedigt von seinem Werk.

Um die Mittagszeit liefen plötzlich alle Wildgänse eilig auf ihn zu und fragten ihn, ob er den weißen Gänserich nicht gesehen habe? „Vor ganz kurzem war er noch bei uns,“ sagte Akka, „aber jetzt wissen wir nicht mehr, wo er ist.“

Heftig erschrocken fuhr der Junge auf. Er fragte die Gänse, ob ein Fuchs oder Adler gesehen worden, oder ob kürzlich irgend ein Mensch in der Nähe gewesen sei? Doch keine von den Gänsen hatte etwas Verdächtiges gesehen; der Gänserich mußte sich im Nebel verlaufen haben.

Auf welche Weise der Gänserich aber auch weggekommen sein mochte, das änderte an dem Unglück des Jungen nichts, und angstvoll lief er davon, ihn zu suchen. Der Nebel beschützte ihn, so daß er ungesehen überall hingehen konnte, aber zugleich hinderte er ihn selbst auch am Sehen. Der Junge lief südwärts die Küste entlang bis zu dem Leuchtturm und der Nebelkanone auf der äußersten Spitze. Überall war dasselbe Vogelgewimmel, aber kein Gänserich. Der Junge wagte sich sogar bis zum Ottenbyer Hof, ja er untersuchte jede einzelne der alten, hohen Eichen im Hain; aber nirgends fand er eine Spur von dem Gänserich.

 

Er suchte und suchte, bis es zu dunkeln anfing. Da mußte er nach dem östlichen Strand zurückkehren. Mit schweren Schritten wanderte er dahin und war sehr unglücklich. Ach, es war wohl auch dumm von ihm gewesen, zu hoffen, daß er eine zahme Gans unbeschädigt durch das ganze Land führen könnte! Und doch hatte er so sehr gewünscht, daß es ihm glücke, nicht allein seiner selbst wegen, sondern auch um des Gänserichs willen, den er ebenso lieb hatte wie sich selbst.

Wie er nun so über die Schäferwiese hinwanderte, kam ihm etwas großes Weißes aus dem Nebel entgegen, und wer anders war es, als der Gänserich! Ganz unbeschädigt kam er daher und war äußerst vergnügt, daß er endlich den Weg zu den andern zurückgefunden habe. Der Nebel habe ihn so verwirrt im Kopfe gemacht, sagte er, daß er den ganzen Tag hindurch auf der Wiese umhergeirrt sei. In seiner Freude schlang der Junge die Arme um den Hals des Gänserichs und bat ihn inständig, sich doch in acht zu nehmen und nicht wieder von den andern wegzugehen. Und der Gänserich versprach hoch und teuer, es nie wieder zu tun. Nie, nie wieder!

Am nächsten Morgen jedoch, als der Junge am Ufer Muscheln suchte, kamen die Gänse wieder dahergelaufen und fragten, ob er den Gänserich nicht gesehen habe.

Nein, ganz und gar nicht. Ja, dann sei der Gänserich abermals verschwunden. Er werde sich bei dem Nebel gerade wie gestern wieder verlaufen haben.

Voll Entsetzen machte sich der Junge eilig auf die Suche. Er fand eine Stelle, wo die Mauer von Ottenby so abgebröckelt war, daß er hinüberklettern konnte. Er suchte dann unten am Strand, der sich hier ausdehnt und allmählich so groß wird, daß Platz für Äcker und Wiesen und Bauernhöfe da ist. Dann stieg er hinauf auf das flache Hochland, das die Mitte der Insel einnimmt; dort gibt es keine andern Gebäude als Windmühlen, und der Rasen ist so dünn, daß das weiße Kalkgestein darunter hervorschimmert.

Der Gänserich aber war nicht zu finden, und da es allmählich Abend wurde, mußte der Junge sich wieder dem Strand zuwenden. Er war jetzt fest überzeugt, daß er seinen Reisekameraden wirklich verloren habe, und dadurch ganz mutlos gemacht, wußte er nicht, was er tun sollte.

Schon war er wieder über die Mauer gestiegen, als er dicht neben sich einen Stein rasseln hörte, und als er sich danach umwendete, glaubte er etwas unterscheiden zu können, das sich in einem Steinhaufen dicht neben der Mauer bewegte. Er schlich näher hinzu, und da sah er, wie der weiße Gänserich mit mehreren langen Wurzelfasern mühselig den Steinhaufen hinaufkletterte. Der Gänserich sah den Jungen nicht, und dieser rief ihn nicht an, denn er wollte zuerst ergründen, warum der Gänserich auf diese Weise ein Mal ums andre verschwand.

Und er erfuhr auch bald die Ursache. Oben auf dem Steinhaufen lag eine junge Graugans, die vor Freude laut aufschrie, als sie den Gänserich erblickte. Der Junge schlich noch näher hinzu, um zu hören, was die beiden sprächen; und da hörte er, daß die Graugans einen beschädigten Flügel hatte und deshalb nicht fliegen konnte; ihre Reisegefährten waren schon weggereist und hatten sie allein zurückgelassen. Sie war am Verhungern gewesen, als der weiße Gänserich am gestrigen Tage ihr Rufen gehört und sie aufgesucht hatte. Und seither war er bemüht gewesen, ihr Nahrung zu verschaffen. Beide hatten gehofft, sie würde hergestellt sein, ehe er die Insel wieder verlassen müsse, aber sie konnte noch immer weder gehen noch stehen. Der Gänserich war sehr betrübt darüber, aber er tröstete sie damit, daß er noch lange nicht wegreisen werde. Schließlich wünschte er ihr gute Nacht und versprach, am nächsten Tage wiederzukommen.

Der Junge ließ den Gänserich vorausgehen, und sobald dieser verschwunden war, schlich er auch auf den Steinhaufen hinauf. Als er nun die junge Gans sah, verstand er, warum der Gänserich ihr seit zwei Tagen Futter gebracht hatte, und warum er nicht gestehen wollte, was er tat. Die Graugans hatte das niedlichste Köpfchen, das man sich denken konnte; ihr Federkleid war wie Seide so weich, und die Augen hatten einen sanften, flehenden Ausdruck.

Als sie den Jungen erblickte, wollte sie entfliehen, aber ihr einer Flügel war beschädigt, er schleifte am Boden und hinderte sie bei allen Bewegungen.

„Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten,“ sagte der Junge und hielt an, um ihr zu zeigen, daß sie nicht nötig habe, vor ihm zu fliehen. „Ich bin Däumling, Gänserich Martins Reisekamerad,“ fuhr er fort. Dann aber stockte er und wußte nicht, was er sagen sollte.

Tiere haben manchmal etwas an sich, was einem unwillkürlich die Frage in den Mund legt, was für Wesen sie eigentlich seien. Man fühlt sich beinahe versucht, sie für verwandelte Menschen zu halten. Und so war es auch bei dieser Graugans. Sobald Däumling gesagt hatte, wer er war, neigte sie den Hals und Kopf sehr anmutig vor ihm, und mit einer so schönen Stimme, von der der Junge kaum glauben konnte, daß sie einer Gans angehöre, sagte sie: „Ich freue mich sehr über dein Kommen. Du kannst mir gewiß helfen, der weiße Gänserich hat mir gesagt, es gäbe niemand, der so gut und klug sei wie du.“

Dies sagte sie mit einer Würde, von der der Junge ganz eingeschüchtert wurde. „Das kann doch wohl keine Gans sein,“ dachte er. „Es ist gewiß eine verzauberte Prinzessin.“

Er hätte ihr schrecklich gern geholfen, und so griff er mit seinen kleinen Händen in die Federn hinein und tastete nach dem Flügelknochen. Der Knochen war nicht gebrochen, aber er war aus dem Gelenk geraten, und sein Finger kam an ein leeres Gelenkschüsselchen. „Halt nun fest!“ sagte er, faßte den Röhrenknochen tapfer an und drehte ihn dahin, wo er hingehörte. Für einen ersten Versuch machte er seine Sache recht schnell und gut; aber es mußte der armen Gans doch sehr, sehr weh getan haben, denn sie stieß nur einen einzigen gellenden Schrei aus und sank dann, ohne noch ein Lebenszeichen von sich zu geben, auf die Steine nieder.

Der Junge erschrak furchtbar. Er hatte ihr ja nur helfen wollen, und jetzt war sie tot. Mit einem großen Satz sprang er von dem Steinhaufen hinunter und lief davon. Er hatte das Gefühl, als habe er einen Menschen getötet.

Am nächsten Morgen war die Luft klar und vollständig frei von Nebel, und Akka sagte, nun solle die Reise fortgesetzt werden. Alle Gänse waren sehr bereit, weiterzureisen, bloß der weiße Gänserich machte Einwendungen, und der Junge wußte den Grund wohl; er wollte nur nicht von der jungen Graugans wegreisen. Aber Akka hörte nicht auf ihn, sondern machte sich gleich auf den Weg.

Der Junge sprang auf den Rücken des Gänserichs, und der Weiße folgte der Schar, obgleich langsam und unwillig. Der Junge aber freute sich, daß man die Insel verließ. Er hatte Gewissensbisse wegen der Graugans, wollte aber dem Gänserich nicht sagen, wie es gegangen sei, als er sie hatte heilen wollen. „Es wäre am besten, wenn Martin es gar nicht erführe,“ dachte er. Aber zugleich verwunderte er sich doch, daß der Weiße das Herz hatte, die Graugans zu verlassen.

Doch plötzlich machte der Gänserich kehrt. Der Gedanke an die junge Gans hatte ihn übermannt. Mit der Lapplandreise mochte es gehen, wie es wollte! Mit dem Bewußtsein, daß die junge Gans einsam und krank zurückbliebe und verhungern müsse, konnte er nicht mit den andern davonfliegen.

Mit wenigen Flügelschlägen war er an dem Steinhaufen. Aber da lag keine junge Graugans zwischen den Steinen. „Daunenfein! Daunenfein! Wo bist du?“ rief der Gänserich.

„Der Fuchs wird sie wohl geholt haben,“ dachte der Junge.

Aber in demselben Augenblick hörte er eine schöne Stimme dem Gänserich antworten: „Hier bin ich, Gänserich, hier bin ich! Ich habe nur ein Morgenbad genommen.“ Und aus dem Wasser tauchte die kleine Graugans empor, vollständig frisch und gesund. Und nun erzählte sie, wie Däumling ihren Flügel eingerenkt habe, und daß sie ganz hergestellt sei.

Die Wassertropfen lagen wie Perlen auf ihren wie Seide schillernden Federn, und der Däumling dachte abermals, sie sei gewiß eine richtige kleine Prinzessin.

12
Der große Schmetterling

Mittwoch, 6. April

Die Gänse flogen die langgestreckte Insel entlang, die jetzt deutlich sichtbar unter ihnen lag. Dem Jungen war es leicht und froh ums Herz. Er war jetzt ebenso vergnügt und zufrieden, wie er gestern düster gestimmt und niedergedrückt gewesen war, wo er auf der Suche nach dem Gänserich die Insel durchstreift hatte. Es sah aus, als bestehe das Innere der Insel aus einer kahlen Hochebene mit einem Kranz von gutem, fruchtbarem Land an den Küsten hin; und jetzt begann dem Jungen der Sinn eines Gesprächs klar zu werden, das er am vorhergehenden Abend mitangehört hatte.

Er hatte sich da an einer der vielen Windmühlen auf der Hochebene ausgeruht, als zwei Schäfer, ihre Hunde zur Seite und eine große Schafherde hinter sich, dahergekommen waren. Der Junge war nicht erschrocken, denn er saß wohlgeborgen unter der Mühlentreppe; aber die Hirten ließen sich auf derselben Treppe nieder, und so hatte der Junge sich wohl oder übel mäuschenstill verhalten müssen.

Der eine Hirte war jung und sah ganz so aus, wie solche Leute meistens aussehen. Der andre dagegen war ein alter, merkwürdiger Mensch. Er hatte einen großen, knochigen Körper, aber einen kleinen Kopf, und das Gesicht zeigte weiche, sanfte Züge. Kopf und Körper schienen ganz und gar nicht zusammen zu passen.

Er saß eine Weile still da und schaute mit einem unbeschreiblich müden Blick in den Nebel hinein. Dann wendete er sich an seinen Gefährten und knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Dieser nahm ruhig Brot und Käse aus seiner Hirtentasche heraus und begann zu essen; er gab fast keine Antwort, hörte aber sehr geduldig zu, ganz als ob er dächte: „Ich will dir eine Freude machen und dich eine Weile reden lassen.“

„Nun will ich dir etwas erzählen, Erik,“ sagte der alte Schäfer. „Ich denke mir, daß in den alten Zeiten, wo die Menschen und die Tiere noch weit größer waren als jetzt, wohl auch die Schmetterlinge ungeheuer groß gewesen sind. Und da hat es wohl einmal einen viele Meilen langen Schmetterling gegeben mit Flügeln so breit wie Meere. Diese Flügel waren so wunderschön blau und silberschimmernd, daß alle andern Tiere stehen blieben und dem Schmetterling verwundert nachschauten, wenn er durch die Luft dahinflog.

Aber der Schmetterling hatte einen Fehler, er war zu groß für seine Flügel, die den Körper kaum zu tragen vermochten. Es wäre aber doch gegangen, wenn er verständig gewesen und über dem Festland geblieben wäre. Doch das war er nicht, sondern er wagte sich auf die Ostsee hinaus; aber er war noch nicht weit gekommen, als der Sturm ihm entgegenbrauste und an seinen Flügeln zerrte. Ja, ja, Erik, man kann leicht erraten, wie es gehen mußte, als der Ostseesturm seine zarten Schmetterlingsflügel zerzauste. Es dauerte nicht lange, da waren sie abgerissen und weggewirbelt, und dann fiel natürlich der arme Schmetterlingskörper hinunter ins Meer. Im Anfang schwankte er auf den Wogen hin und her, dann strandete er gerade vor Småland auf einem Felsenriff. Und da blieb er liegen, so groß und so lang als er war.

Und nun denke ich mir, Erik, wenn der Schmetterling auf Erde gelegen wäre, würde er bald verwest und auseinander gefallen sein. Da er aber ins Meer und auf den Felsen fiel, verkalkte er allmählich und wurde hart wie Stein. Du weißt ja, daß wir drunten am Strand Steine gefunden haben, die nichts andres als versteinerte Raupen waren. Und nun glaube ich, daß es bei dem Schmetterling gerade so ging. Ich glaube, daß er, als er draußen in der Ostsee lag, zu einem langen, schmalen Felsen wurde. Glaubst du das nicht auch?“

Er hielt inne, eine Antwort abzuwarten, und der andre nickte ihm zu. „Mach nur weiter, damit ich erfahre, wo du eigentlich hinaus willst,“ sagte er.

„Und nun merk wohl auf, Erik, dieses Öland hier, auf dem ich und du leben, ist nichts andres als der alte Schmetterlingskörper. Wenn man es sich überlegt, merkt man bald, daß die Insel ein Schmetterling ist. Gegen Norden kommt der schmale Vorderkörper und der runde Kopf zum Vorschein, nach Süden sieht man das hintere Ende, das sich zuerst ausbreitet und dann in eine scharfe Spitze ausläuft.“

 

Hier hielt er wieder inne und sah seinen Gefährten an, gleichsam ängstlich, auf welche Weise dieser seine Behauptung aufnehmen werde. Aber der junge Schäfer aß in größter Ruhe weiter und nickte dem Alten nur aufmunternd zu.

„Sobald der Schmetterling in einen Kalksteinfelsen verwandelt war,“ fuhr dieser fort, „kamen Samenkörner mit dem Winde dahergeflogen und wollten auf dem Felsen Wurzel schlagen. Aber es wurde ihnen sehr schwer, sich auf dem kahlen, glatten Gebirge festzuhalten, und so dauerte es sehr lange, bis irgend etwas andres als Riedgras da wachsen konnte. Dann kamen Schafschwingel, Sonnenröschen und Hunderosensträucher.

Aber selbst heute noch gibt es nicht so viel Wachstum hier oben, daß das Gebirge ganz davon bedeckt wird, es schimmert da und dort noch hervor. Und von pflügen und säen kann hier oben gar keine Rede sein, dazu ist der Erdboden zu hart.

Aber wenn du mir beistimmst, daß die Heide und die Felsenmauern, die ringsum stehen, aus dem Schmetterlingskörper gebildet sind, dann hast du auch ein Recht zu fragen, wo das Land, das unter dem Gebirge liegt, hergekommen sei.“

„Ja, ganz recht,“ sagte der andre, der aß, „das habe ich gerade fragen wollen.“

„Du mußt bedenken, daß Öland recht viele Jahre im Wasser gelegen hat, und während der Zeit hat sich alles das, was auf den Wogen umhertreibt, Tang und Sand und Muscheln, ringsherum angesammelt und ist da liegen geblieben. Alsdann sind im Osten und Westen vom Festland Steine und Geröll herabgestürzt. Auf diese Weise hat die Insel breitere Ufer bekommen, wo Getreide und Blumen und Bäume wachsen können. Hier oben auf dem harten Schmetterlingskörper weiden nur Schafe und Kühe und junge Pferde, hier wohnen nur Schneehühner und Brachvögel, und außer Windmühlen und ein paar ärmlichen Steinschuppen sind keine Gebäude da, wo wir Hirten Schutz finden könnten. Aber drunten am Strand liegen die großen Bauerngüter und Kirchen und Pfarrhöfe und Fischerdörfer und eine ganze Stadt.“

Er sah den andern fragend an. Dieser war mit seiner Mahlzeit fertig und packte eben seinen Schnappsack wieder zusammen. „Ich möchte nur wissen, wo du mit all diesem hinaus willst,“ sagte er.

„Ja, nur das eine möchte ich wissen,“ sagte der Schäfer; er senkte die Stimme, so daß die Worte fast flüsternd herauskamen, und dabei starrte er in den Nebel hinein mit seinen kleinen Augen, die von all dem, wonach er ausspähte, und was doch nicht da ist, matt geworden zu sein schienen. „Ja, nur das möchte ich wissen, ob die Bauern, die in den eingefriedigten Höfen drunten unter dem Felsengebirge wohnen, oder die Fischer, die Strömlinge aus dem Meere holen, oder die Kaufleute in Borgholm, oder die alljährlich wiederkehrenden Badegäste, oder die Reisenden, die in den Borgholmer Schloßruinen umherwandeln, oder die Jäger, die im Herbst zur Hühnerjagd hierherkommen, oder die Maler, die hier auf dem Rasen sitzen und die Schafe und Windmühlen malen – ja, ich möchte wohl wissen, ob ein einziger von ihnen weiß, daß diese Insel einst ein Schmetterling gewesen ist, der mit großen glänzenden Flügeln umherflog.“

„Gewiß,“ sagte der junge Hirte plötzlich, „wer einmal an einem Abend hier am Rande der Felsenmauern gesessen und die Nachtigallen im Gebüsch hat schlagen hören und hinüber nach dem Sunde von Kalmar geschaut hat, dem muß der Gedanke gekommen sein, daß diese Insel nicht wie alle andern entstanden sein kann.“

„Ich möchte wissen,“ fuhr der Alte fort, „ob nicht ein einziger von ihnen den Wunsch gehabt hat, den Windmühlen so große Flügel zu geben, daß sie bis zum Himmel reichten, so große Flügel, daß sie imstande wären, die ganze Insel aus dem Meere aufzuheben und sie wie einen Schmetterling unter Schmetterlingen umherfliegen zu lassen.“

„Vielleicht ist etwas an dem, was du sagst,“ fiel der junge Schäfer ein, „denn in den Sommernächten, wo sich der Himmel hoch und klar über der Insel wölbt, ist es mir manchmal gewesen, als wolle sie sich aus dem Meere erheben und fortfliegen.“

Als aber der Alte den Jungen nun endlich zum Sprechen gebracht hatte, hörte er ihm gar nicht recht zu. „Ich möchte wissen,“ sagte er mit noch leiserer Stimme, „ob mir jemand erklären kann, warum hier oben auf der Felsenhöhe eine so große Sehnsucht wohnt? An jedem Tage meines Lebens habe ich sie gefühlt, und ich meine auch, jedem, der sich hier oben aufhält, müsse sie sich ins Herz hineinschleichen. Aber ich möchte wissen, ob es keinem von den andern klar geworden ist, daß diese Sehnsucht nur über uns kommt, weil die ganze Insel ein Schmetterling ist, der sich nach seinen Flügeln sehnt?“