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Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland

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»Auf, ihr Männer!« rief die Frau aus. »Wenn die Frau Gräfin sich nicht für zu gut hält, unsere Leute um einen Gefallen zu bitten, so sollt ihr gleich gehen!«

Die Männer erhoben sich und gingen hinaus, um zu suchen.

Der alte Jan Hök saß still und starrte glanzlosen Blickes vor sich hin, so finster und hart, daß man bange vor ihm werden konnte. Der jungen Frau wollte gar kein Wort einfallen, das sie an ihn hätte richten können.

Da sah sie, daß ein Kind krank auf einem Bündel Stroh lag und daß eine der Frauen eine kranke Hand hatte. Gleich begann sie, den Kranken zu helfen. Sie ward bald vertraut mit den geschwätzigen Frauen und ließ sich die kleinsten Kinder zeigen.

Eine Stunde später kamen die Männer zurück. Sie führten Gösta Berling gebunden in die Hütte und legten ihn vor das Feuer nieder. Seine Kleider waren zerrissen und beschmutzt, seine Züge verzerrt, und die Augen rollten ihm wild im Kopf. Er war in den letzten Tagen auch wild umhergestürmt. Er hatte auf der nassen Erde gelegen, hatte Hände und Gesicht in den Schlamm des Moors hineingebohrt, hatte sich über Felsblöcke hinweggeschleppt und war in das dichteste Dickicht gedrungen. Jetzt wußte er, daß der Tod nicht so leicht zu finden ist. Stunde auf Stunde war er da oben umhergeschwankt, mit seiner aufflammenden Lebenslust ringend. Gutwillig war er den Männern nicht gefolgt, sie hatten ihn überwältigen und binden müssen.

Als seine Frau ihn so sah, ward sie zornig. Sie besaß auch ihren Stolz, und sie fühlte sich gedemütigt, ihren Mann in einem solchen Zustand zu erblicken. Sie löste seine gebundenen Glieder nicht, sondern ließ ihn am Boden liegen.

»Wie du aussiehst!« sagte sie.

»Ich wollte dir ja nicht vor die Augen treten«, erwiderte er.

»Bin ich denn nicht deine Gattin? Habe ich nicht das Recht, zu erwarten, daß du mit deinem Kummer zu mir kommst?«

»Ich weiß nicht, für was du dich ansiehst. Ich weiß nicht, welche Pläne du für dein Leben hast. Aber ich weiß, daß ich dir keinen größeren Dienst erweisen kann, als wenn ich sterbe.«

Sie sandte einen unsagbar verächtlichen Blick zu ihm hinüber. »Du wolltest mich zur Witwe eines Selbstmörders machen!«

Sein Antlitz verzog sich schmerzlich. »Elisabeth, laß uns unter vier Augen miteinander reden.«

»Weshalb sollten diese Menschen uns nicht anhören können?« rief sie mit scharfer Stimme aus. »Sind wir besser als sie? Hat jemand von ihnen mehr Kummer und Sorge hervorgerufen als wir? Sie sind die Kinder des Waldes und der Landstraße, aller Hand ist gegen sie erhoben. Laß sie nur hören, daß auch dem Herrn von Ekeby Sünde und Schmach anhaftet, ihm, dem von allen geliebten Gösta Berling. Glaubst du, daß ich mich für besser halte als sie – oder tust du es?«

Er richtete sich mit Anstrengung aus seiner liegenden Stellung auf und sah sie mit aufflammendem Trotz an. »Ich bin nicht so elend, wie du meinst.« Und in seinem Zorn erzählte er ihr von der Begeisterung des Vormittags und der Übereinkunft vor der Kirchentür.

»Es wäre längst mit mir aus gewesen, wenn du nur nicht in den Wald gekommen wärest«, sagte er schließlich. »Ich konnte nicht sterben, während du mir so nahe warst. Laß mich jetzt aber frei, damit ich mein Wort einlösen kann!«

»Ach,« sagte sie, als er geendet hatte, »wie gut ich das alles kenne! Heldenphrasen! Heldenmanieren! Stets bereit, die Hände ins Feuer zu stecken, Gösta, stets bereit, dich selber wegzuwerfen. Wie groß habe ich das nicht einstmals gefunden! Wie sehr liebe ich jetzt aber Ruhe und Besonnenheit! Wenn du deine Hand auf den Sarg des guten Mannes gelegt und in Sintrams Gegenwart geschworen hättest, zu leben, um diesen armen Leuten zu helfen, die er ins Verderben stürzen wollte, dann würde ich dich gepriesen haben. Daß du ihnen aber durch ein Verbrechen helfen, daß du Versöhnung durch ein Verbrechen suchen wolltest – wie kannst du erwarten, daß ich das schön finden soll?«

Er sah sie voller Verzweiflung an. »Ich mußte Versöhnung suchen!« rief er aus; »und was habe ich zu geben, wenn nicht mein Leben? Du vergißt, daß ich ein abgesetzter Pfarrer bin, verworfen von den Menschen, verworfen von Gott.«

»Wie wagst du es, so zu reden, Gösta! Man ist dir mit zu viel Liebe begegnet, das ist das Unglück. Frauen und Männer haben dich geliebt. Wenn du nur scherztest und lachtest, wenn du nur sangest und spieltest, dann verziehen sie dir alles. Alles, was du ausführtest, fanden sie gut. Und hörtest du nicht die Rede des Propstes am Grabe? Hörtest du nicht, was Gott von dir erwartet? Die armen Menschen gingen nach Hause und sprachen von dir als von ihrem Erretter, und du gingest in den Wald und wolltest sterben. Du bist aller Held, Gösta, und du willst sie verlassen!«

»Wie kann ich ihnen ohne Geld helfen? Habe ich nicht Sintram versprochen, zu sterben, sobald ich dies Geld bekommen hätte?«

»Wir auf Ekeby,« erwiderte die Gräfin, und ihre Stimme bebte vor Zorn und Kummer, »wir wußten gestern abend schon, wo das Geld war. Major Fuchs fiel es plötzlich ein, er hatte den Schatz in einer Nacht entdeckt, als er in den Kirchturm geschlichen war, um Glockenerz zu einer Kugel zu holen.«

Gösta schloß die Augen und führte die gebundenen Hände an seine Brust, als wolle er die Qualen seines Herzens beschwichtigen.

»Aber das macht in bezug auf dich gar keinen Unterschied,« fuhr die Gräfin fort. »Sintram hat dir ehrlich gesagt, wo das Geld steckt, du schuldest es ihm also, zu sterben. Ach, wie kannst du nur glauben, daß Geld einer Not wie der unsern zu steuern vermag! Und siehe, Gösta, welch ein herrlicher Abschluß für dein Leben! Man wird dich mit Tränen zur letzten Ruhestätte geleiten, und du wirst nicht weniger gepriesen werden als der gute Hauptmann Lennart, denn auch du hast ja dein Leben für das Volk dahingegeben. Und ich allein weiß, daß du es fröhlich hingabst, weil du Reue und Buße schuldetest. Jetzt aber sage ich dir, daß du leben sollst, und du sollst ganz einfach hingehen und deine Pflicht tun.

»Du sollst nicht von Heldentaten träumen, du sollst nicht glänzen und Staunen erregen, du sollst dafür sorgen, daß dein Name nicht zu viel in aller Leute Munde ist. Bedenke dich aber wohl, ehe du dein Sintram gegebenes Wort zurücknimmst! Du hast dir nun eine Art von Anrecht erworben zu sterben, und in Zukunft wird dir das Leben wohl nicht mehr viele Freude bieten. Es hat bisher keine rechte Klarheit zwischen uns bestanden, Gösta; du hast es nicht gewagt, mich als deine Gattin zu betrachten, und ich habe nicht gewußt, ob es Gottes Wille war, der uns zusammenführte, oder nur die Folge einer krankhaften Überspanntheit von meiner Seite. Es war eine Zeit hindurch mein Wunsch, gen Süden zu ziehen, ich glaubte, es sei ein zu großes Glück für mich Schuldbeladene, deine Gattin zu sein und an deiner Seite durchs Leben zu wandern. Aber jetzt will ich hierbleiben. Wenn du den Mut hast zu leben, will ich hierbleiben. Erwarte aber keine Freude davon; ich werde dich zwingen, die Wege der schweren Pflichten zu wandern. Niemals darfst du von mir Worte der Freude und der Hoffnung erwarten. All den Kummer, all das Unglück, das wir beide hervorgerufen haben, will ich als Wächter an unserm Herd aufstellen. Kann wohl ein Herz, das so viel gelitten hat wie das meine, noch lieben? Ohne Tränen, ohne Freude werde ich an deiner Seite wandern. Bedenke dich wohl, Gösta, ehe du deine Wahl triffst! Es ist der Weg der Buße, den wir wandern werden.«

Sie wartete nicht auf Antwort. Sie winkte ihrer Begleiterin und ging. Als sie in den Wald kamen, fing die Gräfin bitterlich an zu weinen und weinte, bis sie Ekeby erreichten. Dort angekommen, fiel es ihr plötzlich ein, daß sie ganz vergessen hatte, mit Jan Hök, dem Soldaten, über freundlichere Dinge als über den Krieg zu reden.

In der Waldhütte ward es still, als sie gegangen war.

»Herr Gott, dir sei Preis und Ehre!« sagte plötzlich der alte Soldat.

Alle sahen ihn an. Er hatte sich erhoben und schaute eifrig um sich.

»Schlechtigkeit – alles ist Schlechtigkeit gewesen«, sagte er. »Alles, was ich gesehen habe, seit ich die Augen aufschlug, war Schlechtigkeit. Böse Männer, böse Frauen, Haß und Zorn in Wald und Feld. Sie aber ist gut. Ein guter Mensch hat in meinem Hause geweilt. Wenn ich nun allein hier sitze, werde ich ihrer gedenken. Auf den Waldpfaden wird sie mir nahe sein.«

Er beugte sich über Gösta herab, löste seine Bande und richtete ihn auf. Dann ergriff er feierlich seine Hand.

»Von Gott verlassen,« sagte er und nickte, »das ist die Sache! Jetzt aber bist du es nicht mehr, und auch ich bin es nicht mehr, seit sie in meinem Hause geweilt hat. Sie ist gut.«

Am nächsten Tage kam der alte Jan Hök zum Amtsrichter Scharling. »Ich will mein Kreuz auf mich nehmen«, sagte er. »Ich bin ein böser Mann gewesen, deswegen habe ich böse Söhne bekommen.« Und er bat, ob er nicht statt seines Sohnes ins Gefängnis kommen könne. Aber das ließ sich natürlich nicht machen.

Die schönste von den alten Geschichten aber ist die, die davon handelt, wie er seinen Sohn begleitete, neben dem Gefängniswagen herwanderte, vor seiner Zelle schlief und nicht von ihm wich, bis er seine Strafe verbüßt hatte. Die findet wohl auch mal ihren Erzähler.

Margarete Celsing

In den Tagen vor Weihnachten kam die Majorin an den Löfsee hinab, aber erst am heiligen Abend erreichte sie Ekeby. Während der ganzen Reise war sie krank; sie hatte Lungenentzündung und heftiges Fieber, doch hatte man sie niemals heiterer gesehen, hatte niemals freundlichere Worte von ihr gehört.

Die Tochter des Pfarrers von Broby, die seit dem Oktober bei ihr gewesen war, saß neben ihr im Schlitten und wollte gern die Fahrt beschleunigen; aber sie konnte die Alte nicht daran hindern, die Pferde anzuhalten und jeden, der des Weges kam, an den Schlitten heranzurufen, um nach Neuigkeiten zu fragen.

»Wie geht es euch hier am Löfsee?« fragte die Majorin.

 

»Es geht uns gut!« lautete die Antwort. »Es kommen bessere Zeiten. Der tolle Pfarrer und seine Frau helfen uns allen.«

»Jetzt kommt eine gute Zeit«, antwortete ein anderer. »Sintram ist fort. Die Kavaliere auf Ekeby haben angefangen zu arbeiten. Das Geld des Pfarrers von Broby ist im Kirchturm gefunden worden. Es ist so viel, daß Ekebys Glanz und Ehre wieder aufgerichtet werden kann. Und es bleibt noch genug, um den Hungernden Brot zu schaffen.«

»Unser alter Propst ist zu neuer Kraft und neuem Leben erwacht«, sagte ein Dritter. »Jeden Sonntag spricht er mit uns über die Wiederkehr des Reiches Gottes. Wer kann da noch Lust haben zu sündigen? Die Herrschaft des Guten bricht an.«

Und die Majorin fuhr langsam weiter und fragte jeden, dem sie begegnete: »Wie geht es euch jetzt? Leidet ihr hier am Löfsee Mangel an irgend etwas?«

Und die Fieberhitze und der stechende Schmerz in der Brust ließen nach, wenn sie ihr antworteten: »Hier sind zwei gute und reiche Frauen: Marianne Sinclaire und Anna Stjärnhök, die helfen Gösta Berling, von Haus zu Haus zu gehen und nachzusehen, daß niemand hungert. Und der Branntweinkessel verschlingt jetzt das Korn nicht mehr.«

Es war, als säße die Majorin dort im Schlitten und hielte einen langen Gottesdienst ab. Sie war in ein heiliges Land gekommen. Sie sah alte, runzelige Gesichter sich verklären, wenn sie von den Zeiten sprachen, die gekommen waren. Die Kranken vergaßen ihre Schmerzen, um den Tag der Freude zu preisen.

»Wir wollen alle werden wie der gute Hauptmann Lennart«, sagten sie. »Wir wollen alle gut sein; wir wollen gut von allen denken, wir wollen niemand Schaden zufügen. Das wird die Wiederkehr des Reiches Gottes beschleunigen.«

Sie fand alle von demselben Geist beseelt. Auf den Herrenhöfen wurden die meisten frei gespeist. Alle, die Arbeiten zu verrichten hatten, ließen sie jetzt ausführen, und auf den sieben Eisenwerken der Majorin war die Tätigkeit in vollem Gange. Niemals hatte sie sich wohler gefühlt, als während sie hier saß und die kalte Luft in ihre schmerzende Brust strömen ließ. Sie konnte an keinem Gehöft vorüberkommen, ohne stillzuhalten und zu fragen.

»Jetzt ist alles gut!« lautete die Antwort. »Hier herrschte große Not, aber die Herren von Ekeby helfen uns. Die Frau Majorin wird sich wundern, was dort alles ausgeführt ist. Das Mühlwerk ist bald fertig, und die Schmiede ist in vollem Gange.«

Die Not und die herzerschütternden Begebenheiten hatten sie alle verwandelt. Ach, es würde nicht lange vorhalten! Aber es war doch gut, in ein Land zurückzukehren, wo der eine dem andern half und alle das Gute wollten. Die Majorin fühlte, daß sie den Kavalieren verzeihen könne, und sie dankte Gott dafür. »Anna Lisa,« sagte sie, »ich alte Person sitze hier und glaube, daß ich mich schon auf dem Wege zum Himmel der Seligen befinde.«

Als sie endlich Ekeby erreichte und die Kavaliere herauseilten, um ihr vom Schlitten zu helfen, konnten sie sie kaum wiedererkennen, denn sie war ebenso milde und freundlich wie ihre eigene junge Gräfin. Die älteren, die sie gekannt hatten, als sie noch jung war, flüsterten einander zu: »Das ist nicht die Majorin von Ekeby – das ist Margarete Celsing, die wiederkehrt.«

Die Freude der Kavaliere, als sie sie so milde, so ohne alle Rachegedanken wiederkommen sahen, war groß, sie verwandelte sich aber in Kummer, als sie sahen, wie krank sie war. Sie mußte sofort ins Schlafzimmer getragen und ins Bett gelegt werden. Auf der Schwelle aber wandte sie sich um und sagte zu ihnen: »Gottes Sturmwind ist über das Land gegangen, Gottes Sturmwind! Jetzt weiß ich, daß alles zum Besten gewesen ist.« Dann schloß sich die Tür ihres Krankenzimmers, und sie bekamen sie nicht mehr zu sehen.

Wenn jemand sterben soll, so hat man ihm stets so viel zu sagen. Die Worte drängen sich über die Lippen, wenn man weiß, daß im Zimmer nebenan jemand liegt, dessen Ohr sich bald für immer schließen soll. »Ach, mein Freund, mein Freund,« würde man gern sagen, »kannst du vergeben? Kannst du trotz allem glauben, daß ich dich geliebt habe? Wie konnte ich dir doch so viel Kummer bereiten, während wir hier beisammen wanderten? Ach, mein Freund, hab Dank für all die Freude, die du mir geschenkt hast!« Solche Worte möchte man sprechen und noch weit mehr.

Die Majorin aber lag in brennendem Fieber, und die Stimmen der Kavaliere konnten sie nicht erreichen. Sollte sie denn nie mehr erfahren, wie sie gearbeitet hatten, wie sie ihr Werk wieder aufgenommen und die Ehre von Ekeby gerettet hatten? Sollte sie das niemals erfahren?

Bald darauf gingen die Kavaliere zur Schmiede hinab. Dort wurde nicht gearbeitet. Sie aber warfen frische Kohlen und neues Roheisen in den Ofen und bereiteten alles zum Schmelzen vor. Sie riefen nicht die Schmiede, die nach Hause gegangen waren, um Weihnachten zu feiern, sondern arbeiteten selber. Konnte die Majorin nur leben, bis der Hammer in Tätigkeit kam, da sollte der schon ihre Sache bei ihr reden!

Es ward Abend, und die Nacht brach herein über ihrer Arbeit. Mehrere von ihnen dachten daran, wie wunderbar es doch sei, daß sie nun wieder Weihnachten in der Schmiede feierten. Der große Gelehrte Kevenhüller, der den Wiederaufbau der Mühle und der Schmiede geleitet hatte, und Christian Bergh, der starke Hauptmann, standen am Ofen und beaufsichtigten das Schmelzen. Gösta und Julius trugen Kohlen. Von den übrigen saßen einige auf dem Amboß unter dem in die Höhe gezogenen Hammer, andere hatten sich auf Kohlenkarren und Haufen von Stangeneisen niedergelassen. Löwenberg, der alte Mystiker, sprach mit Onkel Eberhard, dem Philosophen, der neben ihm auf dem Amboß saß.

»In dieser Nacht stirbt Sintram«, sagte er.

»Weshalb gerade über Nacht?« fragte Eberhard.

»Du entsinnst dich wohl des Vertrages, den wir vor einem Jahr mit ihm schlossen? Jetzt haben wir nichts getan, was nicht kavaliermäßig wäre, folglich hat er verloren.«

»Wenn du an so etwas glaubst, so weißt du doch wohl auch, daß wir vielerlei getan haben, was nicht kavaliermäßig war. Erstens haben wir der Majorin nicht geholfen, zweitens fingen wir an zu arbeiten, drittens war es nicht ganz kavaliermäßig, daß Gösta sich nicht das Leben nahm, wie er gelobt hatte.«

»Ich habe darüber nachgedacht,« erwiderte Löwenberg, »aber ich glaube, daß du dich darin irrst. Es war uns verboten, mit kleinlichen Gedanken zu unserm eigenen Vorteil zu handeln, nicht aber so, wie die Liebe oder die Ehre oder unsere eigene Seligkeit es von uns erheischt. Ich glaube, Sintram hat verloren. Ja, ich weiß es. Ich habe seine Schlittenglocken den ganzen Abend gehört, aber es war kein richtiges Schlittengeläut, wir werden ihn bald hier haben.«

Und der kleine alte Mann saß da und starrte auf die offene Tür der Schmiede und das kleine Stückchen blauen Himmels mit den einzelnen Sternen, das da hindurch sichtbar ward. Plötzlich sprang er auf.

»Siehst du ihn?« flüsterte er. »Da kommt er geschlichen! Siehst du ihn nicht in der Tür?«

»Ich sehe nichts,« erwiderte Onkel Eberhard, »du bist müde, das ist das Ganze.«

»Ich sah ihn deutlich gegen den hellen Himmel. Er hatte seinen langen Wolfspelz an und seine Pelzmütze auf. Jetzt ist er dort im Dunkeln, und ich kann ihn nicht mehr sehen. Sieh, jetzt ist er dort beim Ofen. Er steht dicht neben Christian Bergh, aber Christian scheint ihn nicht zu sehen. Jetzt bückt er sich und wirft etwas ins Feuer. Hu! Wie abscheulich er aussieht. Nehmt euch dort hinten in acht!«

Im selben Augenblick ertönte ein Knall, und die Funken sprangen aus dem Ofen über die Schmiede und ihre Gehilfen. Aber es entstand kein Schade.

»Er will sich rächen!« flüsterte Löwenberg.

»Nein, du bist zu toll,« rief Eberhard aus, »von diesen Sachen solltest du doch nachgerade genug haben!«

»So etwas kann man denken und wünschen, aber was hilft das? Siehst du nicht, er steht dort am Balken und grinst über uns. Aber, so wahr ich lebe, ich glaube wirklich, daß er den Hammer löst!«

Er sprang auf und riß Eberhard mit sich. Unmittelbar darauf schlug der Hammer dröhnend auf den Amboß nieder. Es war nur eine Krampe, die sich gelöst hatte, Eberhard und Löwenberg aber waren nur mit genauer Not dem Tode entgangen.

»Siehst du wohl, daß er keine Macht über uns hat?« triumphierte Löwenberg; »aber rächen will er sich, das ist klar.«

Und er rief Gösta Berling zu: »Geh du zu den Frauen hinauf, Gösta. Vielleicht zeigt er sich denen auch. Sie sind nicht so daran gewöhnt, dergleichen zu sehen wie ich, sie könnten leicht bange werden. Und nimm dich in acht, Gösta; denn er ist dir nicht gewogen, und vielleicht hat er des Gelübdes wegen Macht über dich. Wer kann das wissen?«

Später erfuhr man, daß Löwenberg recht gehabt hatte und daß Sintram in der Christnacht gestorben war. Einige wollten wissen, daß er sich im Gefängnis erhängt habe. Andere glaubten, die Diener der Gerechtigkeit hätten ihn ganz im stillen vom Leben zum Tode befördert; denn die Untersuchung schien zu seinen Gunsten auszufallen, und es ging ja nicht an, ihn wieder die Herrschaft über die Harde gewinnen zu lassen. Wiederum andere behaupteten, ein gewisser finsterer Herr sei mit einem schwarzen Wagen und mit schwarzen Pferden gekommen, um ihn aus dem Gefängnis zu holen, und Löwenberg war nicht der einzige, der ihn in der Christnacht sah. Auch in Fors ward er gesehen und in Ulrika Dillners Träumen. Mehr als einer sagte, daß er sich ihm gezeigt hätte, bis Ulrika Dillner seine Leiche nach dem Broer Kirchhof überführte. Sie ließ auch das böse Gesinde von Fors vertreiben und führte ein christliches Regiment ein. Jetzt spukt es dort nicht mehr.

Man erzählt sich, daß, ehe Gösta Berling den Hof erreichte, ein Fremder dort angelangt sei und einen Brief an die Majorin abgegeben habe. Niemand kannte den Boten, der Brief aber wurde hineingetragen und neben der Kranken auf den Tisch gelegt. Gleich darauf trat eine unerwartete Besserung ein, das Fieber ließ nach, die Schmerzen nahmen ab, und sie fühlte sich wohl genug, um den Brief zu lesen.

Die Alten wollten nur zu gern glauben, daß diese Besserung dem Einfluß der finsteren Mächte zuzuschreiben sei. Sintram und seine Freunde konnten Vorteil davon haben, wenn die Majorin diesen Brief las.

Es war ein mit Blut auf schwarzem Papier geschriebenes Dokument. Die Kavaliere würden es wohl wiedererkannt haben; es war in der vergangenen Christnacht in der Schmiede zu Ekeby geschrieben worden.

Und die Majorin lag nun da und las, daß sie, sintemal sie eine Hexe gewesen sei und Kavalierseelen zur Hölle gesandt habe, verurteilt werde, Ekeby zu verlieren. Dies und ähnliche Torheiten las sie. Sie betrachtete das Datum und die Unterschriften, und fand bei Göstas Namen folgende Bemerkung: »Sintemal die Majorin sich meine Schwäche zunutze gemacht hat, um mich von ehrlicher Arbeit abzuhalten und mich als Kavalier auf Ekeby zu behalten; sintemal sie mich zu Ebba Dohnas Mörder gemacht hat, indem sie ihr verriet, daß ich ein abgesetzter Geistlicher bin, unterschreibe ich.«

Die Majorin faltete langsam das Papier zusammen und legte es in den Umschlag; dann lag sie regungslos da und dachte über das nach, was sie soeben erfahren hatte. Sie begriff unter bitteren Schmerzen, daß dies die Meinung der Leute von ihr war. Eine Hexe und eine Zauberin war sie für alle die, denen sie wohlgetan, denen sie Arbeit und Brot gegeben hatte. Dies war ihr Lohn, dies würde ihr Leumund sein. Einer Ehebrecherin konnten sie nichts anderes zutrauen.

Was aber machte sie sich aus diesen Unwissenden? Sie hatten ihr doch ferngestanden. Aber diese armen Kavaliere, die von ihrer Gnade gelebt hatten und sie genau kannten, auch sie glaubten es oder taten doch so, als ob sie es glaubten, um einen Vorwand zu haben, unter dem sie Ekeby an sich reißen konnten. Ihre Gedanken jagten schnell durch ihr fieberheißes Gehirn, wilder Zorn, glühende Rachelust sprachen aus ihren Augen. Sie ließ die Tochter des Pfarrers von Broby, die mit Gräfin Elisabeth bei ihr wachte, einen Boten nach Högfors zum Gutsverwalter und zum Inspektor senden. Sie wollte ihr Testament machen.

Wieder lag sie da und sann. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr Antlitz verzerrte sich unheimlich vor Schmerz.

»Sie sind sehr krank, Frau Majorin«, sagte die Gräfin leise.

»Das bin ich, kränker denn je zuvor.«

Es trat abermals eine Pause ein, dann aber sprach die Majorin mit harter, scharfer Stimme: »Es ist wunderlich zu denken, daß auch Gräfin Elisabeth, die von allen geliebt wird, eine Ehebrecherin ist.«

Die junge Gräfin zuckte zusammen.

»Ja, wenn auch nicht in Taten, so doch in Gedanken und in Wünschen, und das macht keinen Unterschied.«

»Das weiß ich, Frau Majorin.«

»Und doch bist du jetzt glücklich geworden. Du kannst den, den du liebst, ohne Sünde besitzen; das schwarze Gespenst wird nicht zwischen euch stehen, wenn ihr einander jetzt begegnet. Ihr könnt euch auch vor der Welt angehören. Ihr könnt Seite an Seite durchs Leben wandern.«

 

»Ach, liebe Frau Majorin.«

»Wie kannst du es wagen, bei ihm zu bleiben?« rief die Alte mit steigender Heftigkeit aus. »Tue Buße! Tue beizeiten Buße! Reise heim zu deinem Vater und zu deiner Mutter, ehe sie kommen und dich verfluchen. Wagst du es, Gösta Berling deinen Mann zu nennen? Gehe von ihm! Ich will ihm Ekeby geben, ich will ihm Macht und Ehre geben – wagst du es, das mit ihm zu teilen? Wagst du es, Glück und Ehre anzunehmen? Ich wagte es. Entsinnst du dich, wie es mir erging? Entsinnst du dich des Weihnachtsschmauses auf Ekeby? Entsinnst du dich des Gefängnisses in Munkerud?«

»Ach, Frau Majorin, wir Sünder gehen hier Seite an Seite ohne Glück. Ich gehe hier einher und wache darüber, daß das Glück nicht an unserm Herd heimisch wird. Glauben Sie denn nicht, Frau Majorin, daß ich mich nach Hause sehne? Ach, ich sehne mich bitter nach dem Schutz und der Stütze des Elternhauses, aber dieser Wunsch wird nie erfüllt werden. Ich muß hierbleiben in Furcht und Beben und mit dem Bewußtsein, daß alles, was ich tue, zu Sünde und Kummer führt, daß ich, wenn ich dem einen helfe, dem andern sicher schade. Zu schwach und zu gering für das Leben hienieden, bin ich doch gezwungen, es zu leben, weil ich an eine ewige Buße gebunden bin.«

»Mit solchen Gedanken betören wir unser Herz!« rief die Majorin aus; »aber das ist Schwäche. Du willst nicht von ihm fort, das ist die Sache.«

Ehe die Gräfin antworten konnte, trat Gösta Berling ins Zimmer.

»Komm hierher, Gösta«, sagte die Majorin sofort, und ihre Stimme wurde noch schärfer und härter. »Komm hierher, du, der du von der ganzen Umgegend gepriesen wirst! Komm her, du, der du willst, daß man dich nach deinem Tode den Erretter des Volkes nennen soll. Jetzt sollst du hören, wie es deiner alten Majorin ergangen ist, die du verlassen und verachtet im Lande umherziehen ließest.

»Zuerst will ich erzählen, wie es mir erging, als ich in diesem Frühling zu meiner Mutter kam, denn du sollst den Schluß der Geschichte kennen.

»Im März erreichte ich den Hof in den Elfdalswäldern, Gösta. Ich sah nicht viel anders aus als ein Bettelweib. Als ich kam, sagte man mir, meine Mutter sei in der Milchkammer. Dahin ging ich und stand lange schweigend an der Tür. Ringsumher an den Wänden auf langen Borten standen die blanken Kupferschalen mit Milch. Und meine Mutter, die mehr als neunzig Jahre zählte, nahm eine Milchschüssel nach der andern herunter und schöpfte die Sahne ab. Sie war flink genug dabei, aber ich merkte wohl, wie schwer es ihr ward, an die Milchschalen hinanzureichen. Ich wußte nicht, ob sie mich gesehen hatte, aber nach einer Weile redete sie mich mit einer eigentümlich scharfen Stimme an.

»‘So ist es dir denn ergangen, wie ich es dir gewünscht habe’, sagte sie. Ich wollte reden und sie um Verzeihung bitten, aber das nützte mir nichts. Sie hörte kein Wort davon – sie war stocktaub. Nach einer Weile aber sagte sie: ‘Du kannst mir helfen.’

»Und dann ging ich hin und sahnte die Milch. Ich nahm die Schüsseln in der richtigen Reihenfolge herunter und setzte alles an seinen Platz und schöpfte tief genug mit dem Sahnenlöffel, und sie war zufrieden. Keiner der Mägde hatte sie das Sahnen der Milch anvertrauen können; ich wußte ja aber aus alten Zeiten, wie sie es haben wollte.

»‘Diese Arbeit kannst du von jetzt an übernehmen’, sagte sie, und damit wußte ich, daß sie mir vergeben hatte.

»Und dann war es plötzlich, als könne sie mit einem Schlage nicht mehr arbeiten. Sie saß still in ihrem Lehnstuhl und schlief fast den ganzen Tag. Einige Wochen vor Weihnachten starb sie. Ich wäre gern früher gekommen, Gösta, aber ich konnte die Alte nicht verlassen.«

Die Majorin hielt inne. Es ward ihr schwer zu atmen, aber sie ermannte sich und fuhr fort:

»Es ist wahr, Gösta, daß ich dich hier gern bei mir in Ekeby haben wollte. Es ist nun einmal so, daß alle gern mit dir zusammen sind. Hättest du ein ordentlicher Mann werden können, so würde ich dir viel Macht gegeben haben. Meine Hoffnung war stets darauf gerichtet, daß du eine gute Frau finden würdest. Zuerst glaubte ich, daß es Marianne Sinclaire werden würde, denn ich sah, daß sie dich liebte, schon während du als Holzhauer im Walde lebtest. Dann glaubte ich, daß es Ebba Dohna werden würde, und ich fuhr eines Tages nach Borg hinüber und sagte ihr, wenn sie sich mit dir verheiraten wollte, würde ich dich zum Erben von Ekeby einsetzen. Habe ich darin unrecht getan, so mußt du mir verzeihen.«

Gösta lag neben dem Bett auf den Knien, die Stirn gegen die Kante des Bettes gepreßt; er stöhnte schwer.

»Sage mir doch, Gösta, wie du zu leben gedenkst. Wie willst du für deine Frau sorgen? Sage es mir! Du weißt ja, ich habe stets dein Bestes gewollt.«

Und Gösta antwortete ihr lächelnd, obwohl ihm sein Herz fast zerspringen wollte vor Schmerz: »In alten Zeiten, als ich versuchte, hier auf Borg Arbeiter zu werden, schenkte mir die Frau Majorin ein Haus, in dem ich wohnen könnte, und das besitze ich noch. Diesen Herbst habe ich dort alles instand gesetzt; Löwenberg hat mir geholfen, wir haben die Decken gemalt und die Wände tapeziert. Das hintere kleine Zimmer nennt Löwenberg das Boudoir der Gräfin, und er hat ringsumher bei den Bauern nach Möbeln gesucht, die sie auf Auktionen auf Herrenhöfen gekauft haben. Die hat er ihnen abgehandelt, und nun sind da hochlehnige Stühle und Truhen mit blankem Beschlag. In dem vordersten großen Zimmer aber steht der Webstuhl der jungen Frau und meine Drechselbank. Dort haben wir auch unser Hausgerät und andere Sachen, und dort haben Löwenberg und ich schon manchen Abend gesessen und darüber geredet, wie die junge Gräfin und ich im Tagelöhnerhäuschen leben werden. Meine Frau erfährt dies aber alles erst jetzt, Frau Majorin! Wir wollten es ihr erzählen, wenn wir Ekeby verließen.«

»Fahre fort, Gösta!«

»Löwenberg sprach stets davon, wie notwendig es für uns sein würde, ein Mädchen zu haben. ‘Im Sommer ist es hier herrlich,’ sagte er, ‘aber im Winter wird es zu einsam für die junge Frau. Du mußt ein Mädchen halten, Gösta.’ Und ich fand wohl, daß er recht hatte, aber ich wußte nicht, woher ich die Mittel nehmen sollte. Da kam er eines Tages mit seinem Tisch herbeigeschleppt, auf den die Tasten gemalt sind. ‘Es wird wohl noch so kommen, Löwenberg, daß du unser Mädchen wirst’, sagte ich. Er meinte, wir würden seiner schon bedürfen, ob ich vielleicht wolle, daß die junge Gräfin Essen kochen und Wasser und Holz tragen solle? Nein, ich hatte gemeint, sie solle nicht das Allergeringste tun, solange ich ein Paar Hände hätte, mit denen ich arbeiten könne. Aber er meinte doch, es würde wohl das beste sein, wenn wir unser zweie wären, dann könnte sie den ganzen Tag in der Ofenecke sitzen und sticken. Ich hätte keinen Begriff davon, wieviel Bedienung ein so kleines weibliches Wesen erfordere, sagte er.«

»Fahre fort«, sagte die Majorin. »Das lindert meine Schmerzen. Glaubtest du, daß deine junge Gräfin in einem Tagelöhnerhause wohnen würde?«

Er wunderte sich über ihren höhnischen Ton, fuhr aber fort: »Ach, Frau Majorin, ich wagte es nicht zu glauben, aber es wäre so schön gewesen, wenn sie es gewollt hätte. Es sind ja von hier fünf Meilen bis zu dem nächsten Arzt. Sie, die eine so leichte Hand und ein so liebevolles Herz hat, würde Arbeit genug finden durch Verbinden von Wunden und Stillen des Fiebers. Und ich dachte, alle Betrübten würden den Weg finden zu der feinen Frau in dem Tagelöhnerhaus. Es ist so viel Elend unter den Armen, dem gute Worte und eine freundliche Gesinnung abzuhelfen vermögen.«