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Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland

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Der alte Geizhals bemerkte gar bald den Hügel am Wegesrande. Er ließ ihn wegräumen – einige sagten, daß er seinen Herd damit heize. Am nächsten Tage hatte sich an derselben Stelle ein ebensolcher Hügel angesammelt, und sobald er den einen wegräumen ließ, wurde ein neuer aufgeworfen. Die dürren Zweige lagen da und sagten: »Schande, Schande über den Pfarrer von Broby!«

Es war in den warmen, trockenen Hundstagen. Schwer von Rauch, gesättigt von Brandgeruch, lag die Luft über der Gegend. Die Gedanken wurden verwirrt in den erregten Gehirnen. Der Pfarrer von Broby war zum Dämon der Dürre geworden. Es war den Bauern, als sitze der alte Geizhals da und bewache die Quellen des Himmels.

Bald ward sich der Pfarrer klar über die Ansicht der Gemeinde. Er verstand, daß man ihn als Urheber des Unglücks bezeichnete. Aus Zorn über ihn ließ Gott die Erde verschmachten. Die Schiffsbesatzung, die auf dem wilden Meer in Not war, hatte das Los geworfen. Er war der Mann, der über Bord sollte. Er versuchte, über sie und ihre trockenen Zweige zu lachen, als es aber eine Woche gewährt hatte, lachte er nicht mehr. Ach, welch eine Kinderei war dies doch! Er begriff sehr wohl, daß ein jahrelang verhaltener Haß nach Gelegenheit suchte, sich Luft zu machen. Nun ja – er war nicht an Liebe gewöhnt.

Milder wurde er dadurch nicht. Er hatte nach dem Besuch des alten Fräuleins vielleicht den Wunsch gehabt, sich zu ändern; jetzt konnte er es nicht. Er wollte sich nicht zwingen lassen, besser zu werden.

Allmählich aber wurde der Hügel ihm zu mächtig. Er mußte stets daran denken, und die Ansicht, die alle hegten, faßte auch bei ihm Wurzel. Es war das entsetzlichste Zeugnis, dies Abwerfen dürrer Zweige. Er betrachtete den Hügel und zählte die Zweige, die jeden Tag hinzugekommen waren. Der Gedanke hieran griff um sich und verdrängte alle andern Gedanken. Der Hügel besiegte ihn.

Mit jedem Tag, der verging, mußte er den Leuten mehr recht geben. Er fiel ab und ward im Laufe weniger Wochen ein Greis. Er bekam Gewissensbisse, so daß er ganz krank davon wurde. Aber es war ihm, als stehe das alles mit diesem Hügel im Zusammenhang. Es war ihm, als müßten die Gewissensbisse schweigen, als würde die Last des Alters wieder von ihm weichen, wenn nur der Hügel nicht mehr da wäre.

Schließlich saß er den ganzen Tag da und gab acht. Aber die Leute waren unbarmherzig, und in der Nacht wurden stets wieder neue Zweige auf den Hügel geworfen.

Eines Tages kam Gösta Berling des Weges gefahren. Der Pfarrer von Broby saß am Wegesrande, alt und abfällig. Er saß da und zerrte an den dürren Zweigen und legte sie zu Haufen und Reihen zusammen und spielte damit, als sei er wieder zum Kinde geworden. Gösta jammerte seines Elends.

»Was machen Sie denn da?« sagte er, schnell vom Wagen springend.

»Ach, ich sitze hier und suche die Zweige aus – eigentlich tue ich nichts.«

»Sie sollten nach Hause gehen, Herr Pfarrer, und hier nicht im Staub der Landstraße sitzen.«

»Es wird doch wohl das beste sein, wenn ich hier sitze.«

Da setzt sich Gösta zu ihm. »Es ist nicht so leicht, Pfarrer zu sein«, sagt er, als er eine Weile dagesessen hat.

»Hier unten läßt es sich doch aushalten, hier, wo Menschen sind«, sagt der Pfarrer. »Es ist weit schlimmer da oben.«

Gösta weiß wohl, was er sagen will. Er kennt diese Gemeinden im nördlichen Wermland, wo sich oft nicht einmal eine Wohnung für den Pfarrer findet, die großen Walddistrikte, wo die Finnen in den Rauchhütten wohnen, die armseligen Gegenden mit ein paar Menschen auf jede Meile, wo der Pfarrer der einzige Gebildete ist. In einer solchen Gemeinde hatte der Brobyer Pfarrer über zwanzig Jahre gewirkt.

»Dahin senden sie uns, wenn wir jung sind«, sagt Gösta. »Es ist unmöglich, das Leben dort zu ertragen. Und dann wird man für immer verdorben. Gar mancher ist dort oben zugrunde gegangen.«

»Dort«, sagt der Pfarrer von Broby, »verdirbt uns die Einsamkeit.«

»Man kommt«, fällt Gösta eifrig ein, »und redet und ermahnt und glaubt, daß alles gut werden kann, daß die Gemeinde bald auf besseren Bahnen wandeln wird.«

»Ja, so ist es!«

»Doch man merkt gar bald, daß Worte nichts nützen. Die Armut steht uns im Wege. Die Armut hindert jegliche Besserung.«

»Die Armut«, wiederholt der Pfarrer. »Die Armut hat mein Leben zerstört.«

»Ein junger Pfarrer«, fährt Gösta fort, »kommt da hinauf, arm wie alle die andern. Er sagt zu dem Trunkenbold: ‘Laß das Trinken!’«

»Da antwortet der Trunkenbold,« fällt ihm der Pfarrer in die Rede: »‘Gib mir etwas, das besser ist als Branntwein! Der Branntwein ist mir ein Pelz im Winter, er gibt mir Kühlung im Sommer. Der Branntwein ist mir eine warme Stube und ein weiches Bett. Gib mir dies alles, dann will ich das Trinken lassen.’«

»Und dann«, fährt Gösta fort, »sagt der Pfarrer zum Dieb: ‘Du sollst nicht stehlen’, und zu dem bösen Mann: ‘Du sollst deine Frau nicht schlagen’, und zu dem Abergläubischen: ‘Du sollst an Gott glauben und nicht an Gespenster und Kobolde!’ Der Dieb aber antwortet: ‘Gib mir Brot’, und der böse Mann sagt: ‘Mach uns reich, dann wollen wir den Unfrieden nachlassen’, und der Abergläubische: ‘Lehre mich etwas Besseres!’ Wer aber kann ihnen ohne Geld helfen?«

»Das ist wahr, das ist wahr! Jedes Wort ist wahr!« ruft der Pfarrer aus. »An Gott glaubten sie, mehr aber noch an den Teufel und an die Kobolde in den Bergen und an böse Geister. Alles Korn wanderte in den Branntweinkessel. Niemand konnte das Ende des Elends absehen. In den meisten der grauen Hütten war die Not zu Hause. Heimlicher Kummer machte die Zunge der Frauen bitter. Die Ungemütlichkeit im Hause trieb die Männer zum Trinken. Das Feld und das Vieh wußten sie nicht zu behandeln. Sie fürchteten den Edelmann und machten sich lustig über den Pfarrer. Was sollte man mit ihnen anstellen? Was ich von der Kanzel zu ihnen sprach, verstanden sie nicht. Was ich sie lehren wollte, glaubten sie nicht. Und niemand, mit dem man sich hätte beraten können, niemand, der mir helfen konnte, den Mut aufrechtzuerhalten.«

»Es gibt Geistliche, die es ausgehalten haben«, sagt Gösta. »Gottes Gnade ist so reich über einigen von ihnen gewesen, daß sie nicht als gebrochene Menschen von einem solchen Leben zurückgekehrt sind. Ihre Kräfte haben ausgereicht, sie haben die Einsamkeit, die Armut, die Hoffnungslosigkeit ertragen. Sie haben das wenige Gute ausgerichtet, was sie vermochten, und sind nicht verzweifelt. Solche Männer hat es stets gegeben, gibt es auch noch. Ich begrüße sie als Helden. Ich will sie ehren, solange ich lebe. Ich hätte es nicht durchführen können.«

»Ich vermochte es nicht«, sagt der Pfarrer.

»Der Pfarrer dort oben«, sagt Gösta nachdenklich, »beschließt, daß er ein reicher Mann, ein überaus reicher Mann werden will. Kein Armer kann das Böse bekämpfen. Und dann fängt er an, Geld zu sammeln.«

»Wenn er kein Geld sammelte, würde er anfangen zu trinken,« antwortete der Alte, »er sieht so viel Elend.«

»Oder er würde schlaff und träge werden und alle seine Kräfte einbüßen. Es ist gefährlich dort hinaufzukommen, wenn man nicht da geboren ist.«

»Er muß sich hart machen, um Geld zu sammeln. Anfänglich gibt er sich den Anschein, als wenn er es wäre, und schließlich wird es ihm zur Gewohnheit.«

»Er muß hart gegen sich und gegen andere werden«, fährt Gösta fort. »Es ist schwer, Geld zu sammeln. Er muß Haß und Verachtung erleiden, er muß frieren und hungern und sein Herz verhärten; es ist fast, als vergäße er, weshalb er angefangen hat zu sparen.«

Der Brobyer Pfarrer blickte scheu zu ihm auf. Er fragte sich, ob Gösta dort sitze und sich lustig über ihn mache. Aber Gösta war ganz Eifer und Ernst. Es war, als rede er seine eigene Sache.

»So ist es mir ergangen«, sagte der Alte leise.

»Aber Gott beschützt ihn«, fährt Gösta fort. »Er erweckt die Gedanken seiner Jugend in ihm, wenn er genug gesammelt hat. Er gibt dem Pfarrer ein Zeichen, wenn das Volk Gottes seiner bedarf.«

»Aber wenn der Pfarrer nun dem Zeichen nicht gehorcht, Gösta Berling?«

»Er kann ihm nicht widerstehen«, entgegnete Gösta mit strahlendem Lächeln. »Der Gedanke an die warmen Hütten, bei deren Bau er den Armen helfen soll, ist zu verlockend.«

Der Pfarrer sieht herab auf die kleinen Gebäude, die er aus den dürren Zweigen des Schandhügels aufgeführt hat. Je länger er mit Gösta redet, desto mehr fühlt er sich überzeugt, daß er recht hat. Er hatte stets den Gedanken gehabt, Gutes zu tun, wenn er einmal genug eingesammelt hätte. Er klammert sich daran fest; natürlich hatte er diesen Gedanken gehabt.

»Weshalb baut er denn keine Hütten?« fragt er scheu.

»Er schämt sich. Man könnte ja leicht glauben, daß er aus Furcht vor den Leuten täte, was er stets zu tun beabsichtigt hat.«

»Er kann den Gedanken nicht ertragen, daß man ihn zwingen will; das ist der Grund.«

»Aber er kann doch im Verborgenen helfen. In diesem Jahr bedarf es vieler Hilfe. Er kann sich jemand verschaffen, der seine Gaben austeilt. Ich verstehe das alles!« ruft Gösta aus, und seine Augen strahlen. »In diesem Jahr sollen Tausende Brot von dem erhalten, den sie mit Flüchen überhäufen.«

»So soll es sein, Gösta!«

Ein Rausch überkam diese beiden, die es so wenig verstanden hatten, den Beruf auszufüllen, den sie erwählt hatten. Die Lust ihrer Jugend, Gott und den Menschen zu dienen, überkam sie von neuem. Sie schwelgten in den Wohltaten, die sie ausführen wollten. Gösta sollte der Gehilfe des Pfarrers sein.

»Vor allen Dingen müssen wir Brot schaffen«, sagte der Pfarrer.

»Und Schullehrer müssen wir schaffen. Wir lassen Landesvermesser kommen, die den Grund und Boden austeilen. Und dann sollen die Leute es lernen, ihre Äcker zu bestellen und das Vieh zu pflegen.«

»Wir wollen neue Wege bahnen und ein neues Dorf bauen.«

»Wir wollen unten am Gießbach Schleusen anlegen, dadurch wird der Weg zwischen dem Löfsee und dem Wenersee eröffnet.«

 

»All der Reichtum unserer Wälder wird zu doppeltem Segen werden, wenn der Weg zum Meere frei ist.«

»Die Flüche werden sich in Segenswünsche verwandeln«, ruft Gösta aus.

Der Pfarrer sieht auf. Sie lesen gegenseitig in ihren Blicken dieselbe glühende Begeisterung. Aber im selben Augenblick fällt ihr Auge auf den Schandhügel.

»Gösta,« sagt der Alte, »dies alles erfordert die Kräfte eines starken Mannes, ich aber bin dem Tode nahe. Du siehst, was mir am Leben zehrt.«

»Schaffen Sie es fort!«

»Wie soll ich das machen, Gösta Berling?«

Gösta tritt dicht an ihn heran und sieht ihm scharf in die Augen. »Bitten Sie Gott um Regen!« sagt er. »Sie sollen ja am Sonntag predigen. Bitten Sie Gott dann um Regen.«

Entsetzt sinkt der alte Pfarrer zusammen.

»Wenn es Ihr Ernst ist, wenn Sie nicht die Dürre übers Land gebracht haben, wenn Sie dem Höchsten nicht mit Ihrer Härte haben dienen wollen, so bitten Sie Gott um Regen. Das soll das Zeichen sein. Daraus wollen wir erkennen, ob Gott dasselbe will, was wir wollen.«

Als Gösta die Brobyer Hügel hinabfuhr, wunderte er sich über sich selber und über die Begeisterung, die ihn ergriffen hatte. Aber es konnte doch ein schönes Leben werden. Ja, nur nicht für ihn. Von seiner Hilfe wollten sie da oben nichts wissen.

In der Brobyer Kirche war die Predigt gerade beendet, und die gewöhnlichen Gebete waren verlesen. Der Pfarrer war im Begriff, die Treppe der Kanzel hinabzugehen. Aber er zögerte. Schließlich fiel er auf die Knie und flehte um Regen.

Er betete, wie ein verzweifelter Mensch betet, mit wenigen Worten, ohne eigentlichen Zusammenhang.

»Ist es meine Sünde, die deinen Zorn erregt hat, so strafe nur mich. Gibt es Barmherzigkeit bei dir, du Gott der Gnade, so laß es regnen! Nimm die Schande von mir! Laß es regnen um meines Flehens willen! Laß Regen herabfallen auf das Feld des Armen! Gib deinem Volke Brot!«

Der Tag war warm, es war unerträglich schwül. Die Gemeinde hatte halb im Schlaf dagesessen, aber bei diesen abgerufenen Lauten, dieser heiseren Verzweiflung erwachten alle.

»Wenn es noch einen Weg zur Umkehr für mich gibt, so sende Regen …«

Er schwieg. Die Türen standen offen. Jetzt kam ein heftiger Windstoß herangesaust. Er fuhr über das Feld, wirbelte bis zur Kirche herauf und sandte eine Staubwolke voller Reisig und Stroh herein. Der Pfarrer konnte nicht weitersprechen; er schwankte von der Kanzel herab.

Die Menschen schauderten. Sollte dies eine Antwort sein?

Aber der Windstoß war nur ein Vorläufer des Gewitters. Es zog sich mit einer Geschwindigkeit ohnegleichen zusammen. Als der Gesang beendet war und der Pfarrer vor dem Altar stand, zuckten schon die Blitze, und der Donner rollte gewaltig, den Klang seiner Worte übertäubend. Als der Küster den letzten Vers spielte, peitschten schon die ersten Regentropfen gegen die grünen Fensterscheiben, und alle Leute stürmten hinaus, um den Regen zu sehen. Aber sie begnügten sich nicht damit, zu sehen: einige weinten, andere lachten, während sie den starken Gewitterregen auf sich herabströmen ließen. Ach, wie groß war ihre Not gewesen! Wie unglücklich waren sie gewesen. Aber Gott ist gut. Gott sendet Regen. Welch eine Freude, welch eine Freude!

Der Brobyer Pfarrer war der einzige, der nicht in den Regen hinauskam. Er lag auf den Knien vor dem Altar und erhob sich nicht. Die Freude war für ihn zu gewaltig gewesen. Er starb vor Freude.

Des Kindes Mutter

Man konnte nur einer Ansicht über die Sache sein: das Kind mußte einen Vater haben.

Das Kind war das jämmerlichste kleine Wesen, das man sich denken konnte, klein und rot mit tausend Falten. Das Kind war ein kleines Wesen, das niemals schrie, das gleich von der Geburt an Krampfanfälle gehabt hatte, ein armes, verirrtes Wesen, das sechs oder sieben Wochen früher ins Leben eingetreten war, als es von Rechts wegen durfte, und das sich deswegen niemals auf der Erde zurechtzufinden vermochte.

Das Kind wog so wenig, daß es sich nicht einmal der Mühe verlohnt, zu sagen, wie wenig es war. Man mußte es in Lammfelle nähen, und es wollte weder essen noch schlafen. Aber es lebte. Niemand wußte, wie es am Leben erhalten wurde, aber leben tat es.

Das Kind war in einer kleinen Bauernhütte östlich vom Klarelf geboren. Des Kindes Mutter war Anfang Juni dahin gekommen und hatte einen Dienst gesucht. Sie habe einen Fehltritt begangen, hatte sie zu den Leuten im Hause gesagt, und ihre Mutter sei so hart gegen sie gewesen, daß sie habe fliehen müssen. Sie nannte sich Elisabeth Karlsdatter, aber sie wollte nicht sagen, woher sie sei, denn dann würden sie natürlich ihre Eltern von ihrem Aufenthaltsort benachrichtigen, und die würden sie zu Tode peinigen, wenn sie sie fänden; davon sei sie überzeugt. Sie verlange keinen Lohn, sie wolle nur Essen und Trinken und ein Dach über dem Haupte haben. Sie könne arbeiten, weben oder spinnen oder die Kühe hüten – was sie wollten. Wenn man es verlange, könne sie auch für ihren Aufenthalt bezahlen.

Sie war so vorsichtig gewesen, barfuß auf den Hof zu kommen, die Schuhe unterm Arm; sie hatte grobe Hände, sie redete die Sprache der Gegend und trug die Kleidung eines Bauernmädchens. Sie glaubten ihr. Der Hausherr meinte, sie sähe gebrechlich aus, er traute ihrer Arbeitstüchtigkeit nicht recht. Aber irgendwo müsse sie ja bleiben die Ärmste. Und so durfte sie denn dableiben.

Es war etwas an ihr, was bewirkte, daß alle auf dem Hofe freundlich gegen sie waren. Sie war in ein gutes Haus gekommen. Die Menschen dort waren ernsthaft und still. Die Hausfrau hielt große Stücke auf sie, seit sie entdeckt hatte, daß sie Drell weben konnte. Sie lieh einen Drellwebstuhl von der Pröpstin, und des Kindes Mutter hatte den ganzen Sommer am Webstuhl gesessen.

Es fiel niemand ein, daß sie geschont werden müsse: sie mußte die ganze Zeit hindurch wie ein Bauernmädchen arbeiten. Sie war nicht sehr unglücklich. Das Leben unter den Bauern sagte ihr zu, obwohl sie alle Bequemlichkeiten, an die sie gewöhnt war, entbehren mußte. Aber man faßte dort alles ganz ruhig und natürlich auf. Aller Gedanken drehten sich um die Arbeit, und die Tage vergingen so einförmig, daß man sich verrechnen konnte und glauben, man befinde sich mitten in der Woche, wenn der Sonntag kam.

Eines Tages gegen Ende August hatten sie den ganzen Tag Hafer gemäht, und des Kindes Mutter war mit aufs Feld gegangen, um Garben zu binden. Dabei hatte sie sich überanstrengt, und das Kind ward geboren, aber zu früh. Sie hatte es im Oktober erwartet.

Jetzt stand die Bauernfrau mit dem Kinde am Feuer und erwärmte es, denn das arme kleine Wesen fror mitten in der Augustwärme. Des Kindes Mutter lag nebenan in der Kammer und lauschte, was von dem Kleinen gesagt werde. Sie konnte sich vorstellen, wie die Knechte und Mägde hingingen und es in Augenschein nahmen.

»So ein armes, kleines Ding«, sagten sie dann immer, und hinterdrein folgte ohne Ausnahme: »Du armer Kleiner, der du keinen Vater hast!«

Irgend jemand wunderte sich regelmäßig, daß das Kind so rot und runzelig sei, dann aber antwortete ebenso regelmäßig eine andere Stimme, so sähen alle kleinen Kinder aus.

Sie klagten nicht über das Geschrei des Kindes: sie waren ganz davon durchdrungen, daß Kinder schreien müßten, und schließlich, wenn man alles recht erwog, war das Kind ganz kräftig für sein Alter. Es schien alles ganz in Ordnung zu sein, wenn es nur einen Vater gehabt hätte.

Die Mutter lag da und lauschte und wunderte sich. Die Sache erschien ihr plötzlich von großer Wichtigkeit. Wie sollte der arme Kleine, der keinen Vater hatte, durchs Leben kommen?

Sie hatte ihren Plan im voraus gemacht. Sie wollte das erste Jahr auf dem Bauernhof bleiben. Später wollte sie sich ein Zimmer mieten und ihr Brot durch Weben verdienen. Sie wollte selber das Erforderliche verdienen, um das Kind zu ernähren und zu kleiden. Ihr Mann mochte gern glauben, daß sie seiner unwert war. Sie hatte gedacht, daß das Kind vielleicht ein besserer Mensch werden würde, wenn es von ihr allein erzogen wurde, als wenn ein hoffärtiger Vater es leitete.

Jetzt aber, nachdem das Kind geboren war, konnte sie die Sache nicht von diesem Gesichtspunkt auffassen. Sie fand, daß sie selbstsüchtig gehandelt hatte. »Das Kind muß einen Vater haben«, sagte sie zu sich.

Wäre das Kind nicht so ein kleines, jämmerliches Wesen gewesen, hätte es schlafen und essen können wie andere Kinder, hätte sein kleiner Kopf nicht immer auf die eine Seite gehangen, wäre es nicht nahe daran gewesen zu sterben, wenn die Krampfanfälle kamen, so würde die Frage nicht von so überaus großer Wichtigkeit gewesen sein. Aber dies kleine, hilflose Wesen mußte einen Vater haben.

Es war nicht so leicht, sich zu entschließen, aber entschließen mußte sie sich, und zwar sofort. Das Kind war drei Tage alt, und die Bauern in Wermland warten selten länger damit, ihre Kinder zur Taufe zu tragen. Unter welchem Namen sollte nur der Kleine ins Kirchenbuch eingetragen werden, und was wollte der Pfarrer von des Kindes Mutter wissen? Es war doch sicher ein Unrecht gegen das Kind, es als vaterlos einschreiben zu lassen. Es war nun einmal in diese Welt der Leiden gekommen, schien sich aber nur danach zu sehnen, sie wieder zu verlassen. Vielleicht würde es besser gedeihen, wenn es einen Vater bekäme. Wenn nun dies Kind zu einem schwachen, kränklichen Manne heranwuchs, wie konnte sie es da verantworten, es der Vorteile zu berauben, die ihm infolge seiner Geburt und seines Reichtums zukamen?

Des Kindes Mutter wußte ja sehr wohl, daß es ein großes Ereignis und eine große Freude war, wenn ein Kind zur Welt kam. Jetzt erschien es ihr, daß es schwer sein müsse, für diesen Kleinen zu leben, da ihn alle bemitleideten. Sie wollte ihn gern auf Seide und in Spitzen gebettet sehen, wie es sich für einen Grafensohn geziemt. Sie wollte ihn gern von Glanz und Stolz umgeben sehen. Ja, das Kind mußte einen Vater haben!

Des Kindes Mutter fing an zu meinen, daß sie ein zu großes Unrecht gegen seinen Vater begehe. Hatte sie ein Recht, es für sich allein zu behalten? Das konnte sie doch wohl nicht haben. So ein teures kleines Wesen, dessen Wert kein Mensch abzuwägen vermag, sollte sie sich aneignen? Es war gar nicht rechtschaffen von ihr, so zu handeln.

Des Kindes Mutter wollte nicht gern zu ihrem Gatten zurück. Sie war bange, daß es ihr Tod werden würde. Aber der Kleine schwebte in größerer Gefahr als sie. Er konnte jeden Augenblick sterben, und er war nicht getauft.

Das, was sie von Hause fortgetrieben hatte, die große Sünde, die in ihrem Herzen gewohnt hatte, war verschwunden. Jetzt empfand sie keine andere Liebe als für den Kleinen, der keinen Vater hatte. Es war ihr keine schwere Pflicht zu versuchen, ihm einen zu verschaffen.

Des Kindes Mutter ließ den Mann und die Frau im Hause zu sich rufen und sagte ihnen alles. Der Mann fuhr nach Borg, um Graf Dohna zu erzählen, daß seine Frau lebe, und daß ein Kind geboren sei, das einen Vater haben müsse.

Der Bauer kam spät am Abend nach Hause. Er hatte den Grafen nicht getroffen, denn der war verreist, aber er war beim Pfarrer in Svartsjö gewesen und hatte mit ihm über die Sache geredet. Da erfuhr denn die Gräfin, daß ihre Ehe für ungültig erklärt war, und daß sie keinen Mann mehr hatte.

Der Pfarrer schrieb ihr einen freundlichen Brief und bot ihr ein Heim in seinem Hause an. Es ward ihr auch ein Brief von ihrem eigenen Vater an den Grafen Henrik gesandt; der mußte wenige Tage nach ihrer Flucht auf Schloß Borg angekommen sein. Vielleicht hatte gerade dieser Brief, in welchem ihr Vater den Grafen bat, die Legalisierung der Ehe zu beschleunigen, Graf Henrik den leichtesten Weg gezeigt, auf dem er sich seiner Gattin entledigen könne.

Man kann sich wohl vorstellen, daß des Kindes Mutter vor Zorn entflammte, größer aber war doch noch ihr Schmerz, als sie die Erzählung des Bauern hörte. Die Mutter eines kräftigen, schönen Kindes hätte diese Nachricht mit Verachtung hinnehmen und stolz darüber sein können, daß sie das Kind nun ganz allein besaß. Aber die Mutter dieses kleinen, hilflosen Wesens hatte fast ein Gefühl, als hätte sie ihren Mann töten können. Sie besaß keinen Stolz, zu dem sie ihre Zuflucht nehmen konnte.

Die ganze Nacht hindurch floh sie der Schlaf. Das Kind mußte einen Vater haben! Darum kreisten alle ihre Gedanken.

Am nächsten Morgen mußte der Bauer auf ihr Verlangen nach Ekeby fahren und Gösta Berling holen.

Gösta richtete viele Fragen an den schweigsamen Mann, aber er erfuhr nichts. Ja, die Gräfin sei den ganzen Sommer bei ihm im Hause gewesen und habe gearbeitet. Jetzt sei ihr ein Kind geboren. Das Kind sei schwach, die Mutter aber würde bald wieder gesund sein.

 

Gösta fragte, ob die Gräfin wisse, daß ihre Ehe für ungültig erklärt sei.

Ja, jetzt wisse sie es; gestern habe sie es erfahren.

Auf dem ganzen Wege dahin war Gösta bald in brennendem Fieber, bald überliefen ihn kalte Schauer. Was wollte sie von ihm? Weshalb sandte sie nach ihm?

Er dachte an das Sommerleben da oben am Ufer des Löfsees. Sie hatten die Tage mit Tanz und Spiel und Lustfahrten verbracht, und inzwischen hatte sie gearbeitet und gelitten. Niemals hatte er an die Möglichkeit gedacht, sie wiederzusehen. Ach, hätte er das doch nur hoffen können! Da würde er als besserer Mann vor sie getreten sein. Worauf konnte er jetzt zurückblicken? Auf nichts als auf die gewöhnlichen Torheiten.

Gegen acht Uhr des Abends erreichte er sein Ziel und ward sogleich zu des Kindes Mutter geführt. Es war halb dunkel im Zimmer, er konnte sie kaum sehen, wie sie dalag. Auch der Mann und die Frau kamen herein.

Jetzt darf man nicht vergessen, daß sie, deren weißes Antlitz ihm in der Dämmerung entgegenleuchtete, für ihn stets das Höchste und Reinste war, was er kannte, die schönste Seele, die sich in irdische Gewänder gekleidet hatte. Als er nun wieder den Segen ihrer Nähe empfand, fühlte er das Bedürfnis, sich auf die Knie zu werfen und ihr zu danken, weil sie sich ihm aufs neue offenbarte, aber er war so überwältigt von Bewegung, daß er nichts sagen oder tun konnte.

»Teure Gräfin Elisabeth!« stammelte er nur.

»Guten Abend, Gösta!«

Sie reichte ihm die Hand, die wieder weiß und durchsichtig geworden war. Sie lag schweigend da, während er mit seiner Gemütsbewegung kämpfte.

Des Kindes Mutter wurde nicht von gewaltsam hervorstürmenden Gefühlen erschüttert, als sie Gösta erblickte. Es wunderte sie nur, daß er hauptsächlich an sie zu denken schien, da er ja doch begreifen konnte, daß es sich jetzt ausschließlich um das Kind handelte, das einen Vater haben mußte.

»Gösta,« sagte sie sanft, »jetzt mußt du mir helfen, wie du mir einst gelobtest. Du weißt, daß mein Mann mich verlassen hat, folglich hat mein Kind keinen Vater mehr.«

»Ja, Frau Gräfin, aber die Sache läßt sich doch ändern. Jetzt, wo ein Kind da ist, kann der Graf sicher gezwungen werden, die Ehe zu legalisieren. Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen helfen werde, Frau Gräfin.«

Des Kindes Mutter lächelte. »Glaubst du, daß ich mich Graf Dohna aufdrängen will?«

Das Blut strömte Gösta zu Kopf. Was wollte sie denn nur? Was verlangte sie von ihm?

»Komm hierher, Gösta,« sagte sie und reichte ihm wieder ihre Hand. »Du mußt mir nicht böse werden wegen dessen, was ich nun sagen will, aber ich dachte, daß du, der du, der du …«

»Der ich ein abgesetzter Pfarrer bin, ein Saufbruder, ein Kavalier, Ebba Dohnas Mörder – ich kenne die ganze Liste meiner Meriten …«

»Bist du schon jetzt böse, Gösta?«

»Ich möchte am liebsten, daß die Frau Gräfin nicht fortführe.«

Aber des Kindes Mutter fuhr fort: »Mehr als eine, Gösta, würde aus Liebe deine Gattin geworden sein, aber so ist es nicht mit mir. Wenn ich dich liebte, würde ich nicht den Mut haben, so mit dir zu reden, wie ich jetzt rede. Um meiner selbst willen würde ich nicht um so etwas bitten, Gösta, aber siehst du, das Kind muß ja einen Vater haben. Du begreifst wohl schon, um was ich dich bitten will. Es ist allerdings eine große Erniedrigung für dich, weil ich eine unverheiratete Frau bin und ein Kind habe. Ich dachte nicht daran, daß du es wohl tun würdest, weil du geringer bist als andere, obwohl – ja, ich dachte auch daran. Hauptsächlich aber dachte ich, daß du es wohl tun würdest, weil du so gut bist, Gösta, weil du ein Held bist und dich aufopfern kannst. Aber das ist vielleicht zu viel verlangt. Vielleicht kann ein Mann nicht so viel tun. Wenn du mich zu sehr verachtest, wenn es dir gar zu sehr zuwider ist, als Vater eines andern Kindes genannt zu werden, so sage es nur. Ich will dir nicht zürnen. Ich sehe sehr wohl ein, daß es zu viel verlangt ist, aber das Kind ist krank, Gösta. Es ist so hart, daß man bei seiner Taufe nicht den Namen von seiner Mutter Gatten nennen kann.«

Während er ihr zuhörte, empfand er dasselbe wie damals, als er sie an jenem Frühlingstage an Land setzen und sie ihrem Schicksal überlassen mußte. Jetzt mußte er ihr helfen, ihre Zukunft zu zerstören, ihre ganze Zukunft. Er mußte das tun, er, der sie liebte!

»Ich will alles tun, was Frau Gräfin wünschen!« sagte er.

Am nächsten Tage sprach er mit dem Propst in Bro, denn Svartsjö ist eine Nebenpfarre von Bro, und dort sollte das Aufgebot stattfinden. Der gute alte Propst wurde gerührt und versprach, alle Verantwortung und die Erfüllung aller Formalitäten zu übernehmen.

»Ja,« sagte er, »du mußt ihr helfen, Gösta, das mußt du tun. Sie könnte sonst leicht wahnsinnig werden. Sie glaubt, daß sie dem Kinde einen Schaden zugefügt hat, weil sie seinen Vater nicht hat angeben können. Sie hat ein sehr zartes Gewissen, diese junge Frau.«

»Aber ich weiß, daß ich sie unglücklich machen werde,« rief Gösta aus.

»Das mußt du nicht tun, Gösta! Du mußt ein vernünftiger Mann werden, jetzt, wo du für Frau und Kind zu sorgen hast.«

Der Propst wollte nach Svartsjö hinabfahren und mit dem Pfarrer und dem Amtmann reden. Das Ende vom Liede war, daß am nächsten Sonntag Gösta Berling und Elisabeth von Thurn in der Svartsjöer Kirche aufgeboten wurden.

Dann wurde des Kindes Mutter mit der größten Vorsicht nach Ekeby gefahren, und dort wurde das Kind getauft.

Der Propst sprach mit ihr und sagte ihr, daß sie ihren Entschluß noch rückgängig machen könne. Ehe sie sich mit einem Manne wie Gösta Berling verheirate, müsse sie an ihren Vater schreiben.

»Ich kann es nicht bereuen«, sagte sie. »Denkt doch, wenn mein Kind sterben sollte, ehe es einen Vater bekommen hat!«

Als das Aufgebot zum drittenmal verlesen wurde, war des Kindes Mutter schon mehrere Tage wieder ganz frisch und gesund gewesen. Am Nachmittage kam der Propst und traute sie und Gösta Berling. Niemand aber dachte daran, daß dies eine Hochzeit sei. Es waren keine Gäste geladen. Man verschaffte nur dem Kinde einen Vater, das war das Ganze.

Des Kindes Mutter strahlte in stiller Freude, als wenn sie ein großes Ziel erreicht hätte. Der Bräutigam war betrübt. Er dachte daran, wie sie ihre Zukunft durch die Ehe mit ihm verdarb. Er merkte mit Entsetzen, daß er eigentlich gar nicht für sie existierte. Alle ihre Gedanken waren bei dem Kinde.

Einige Tage darauf wurden des Kindes Vater und Mutter in Trauer versetzt. Das Kind war während eines Krampfanfalls gestorben.

Es wollte manchem scheinen, als wenn des Kindes Mutter nicht so heftig und tief trauere, wie man erwartet hatte. Es lag ein Ausdruck von Triumph über ihr. Es war, als jubele sie, daß sie ihre ganze Zukunft um des Kindes willen zerstört hatte. Wenn der Kleine zu den Engeln hinaufkam, würde er sich doch erinnern, daß er auf Erden eine Mutter gehabt hatte, die ihn liebte.

Dies alles ging still und unbemerkt vor sich. Als Gösta Berling und Elisabeth von Thurn in der Svartsjöer Kirche aufgeboten wurden, wußten die meisten nicht einmal, wer die Braut war. Die Geistlichen und die Edelleute, die über die Sache Bescheid wußten, sprachen so wenig wie möglich davon. Es war, als fürchteten sie, daß der eine oder der andere, der den Glauben an die Macht des Gewissens verloren hatte, der Handlungsweise der jungen Frau eine üble Deutung geben möge. Man war so besorgt, daß jemand sagen könne: »Da könnt ihr sehen, es ist doch wahr gewesen, daß sie ihre Liebe zu Gösta nicht überwinden konnte; jetzt hat sie sich unter einem Vorwand, der ja recht edel erscheint, mit ihm verheiratet.« Ach, die Alten behandelten die junge Frau stets mit so großer Zartheit. Niemals duldeten sie es, daß man schlecht von ihr sprach. Sie wollten kaum einräumen, daß sie gesündigt hatte. Sie wollten nicht sehen, daß diese Seele, die so ängstlich vor allem Bösen war, von Sünde befleckt sein könne.