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Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland

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Der Pfarrer von Broby

Eros, du Allmächtiger, du weißt wohl, daß es oft aussieht, als wenn ein Mensch sich ganz von deiner Herrschaft befreit hätte. Alle die weichen Gefühle, die die Menschen vereinen, scheinen in seinem Herzen erstorben zu sein. Der Wahnsinn streckt seine Krallen nach dem Unglücklichen aus, aber da kommst du in deiner Allmacht, du Schutzpatron des Lebens, und das eingeschrumpfte Herz grünt und trägt Blüten wie der Stab des Heiligen.

Niemand kann geringer sein als der Pfarrer von Broby, niemand kann durch Schlechtigkeit und Unbarmherzigkeit mehr von den Menschen getrennt sein. Seine Stuben stehen den ganzen Winter ungeheizt, er sitzt auf einer ungestrichenen hölzernen Bank, er kleidet sich in Lumpen, lebt von trocknem Brot und wird rasend, wenn ein Bettler über seine Schwelle tritt. Er läßt das Pferd im Stall hungern und verkauft das Heu; seine Kühe nagen das trockne Gras vom Wegesrande und das Moos von der Wand des Hauses; bis auf die Landstraße hinaus kann man das Blöken der hungrigen Schafe hören. Die Bauern werfen ihm die Speisen hin, die ihre Hunde nicht fressen wollen, und die Kleider, die ihre Armen verschmähen.

Seine Hand ist ausgestreckt, um zu betteln, sein Rücken gekrümmt, um zu danken. Er bettelt von den Reichen und leiht den Armen. Sieht er ein geprägtes Geldstück, so brennt ihm das Herz vor Ungeduld im Leibe, bis es in seiner Tasche ist. Wehe dem, der am Tage des Verfalls nicht zahlen kann!

Er verheiratete sich spät, und es wäre besser gewesen, wenn er es niemals getan hätte. Vergrämt und überanstrengt starb seine Frau. Seine Tochter dient jetzt bei fremden Leuten. Er wird alt, doch das Alter bringt ihm keine Ruhe. Der Wahnsinn des Geizes verläßt ihn niemals.

Aber eines schönen Tages zu Anfang August kommt eine schwerfällige Kutsche, von vier Pferden gezogen, den Brobyer Hügel hinan. Ein feines altes Fräulein fährt in voller Gala mit Kutscher und Diener und Kammerjungfer vor. Sie kommt, um den Pfarrer in Broby zu besuchen. Ihn hat sie in ihren jungen Tagen geliebt.

Während er Hauslehrer im Hause ihres Vaters war, liebten sie einander, aber die stolze Familie trennte sie. Und nun kommt sie den Brobyer Hügel hinangefahren, um ihn zu sehen, ehe sie stirbt. Alles, was das Leben ihr bieten kann, ist ein Wiedersehen mit dem Geliebten ihrer Jugend.

Das kleine, feine Fräulein sitzt im Wagen und träumt. Sie fährt nicht die Brobyer Hügel hinan nach einem kleinen, armseligen Pfarrhof. Sie ist auf dem Wege zu der kühlen, dichten Laube unten im Park, wo der Geliebte wartet. Sie sieht ihn, er ist jung, er kann küssen, er kann lieben. Jetzt, wo sie weiß, daß sie ihn sehen wird, steigt sein Bild mit seltener Klarheit vor ihr auf. Wie schön er doch ist! Er kann schwärmen, er kann glühen, er erfüllt ihr ganzes Wesen mit dem Feuer des Entzückens.

Jetzt ist sie gelbbleich, welk und alt. Er kennt sie vielleicht gar nicht wieder, sechzig Jahre alt, wie sie ist, aber sie kommt nicht, um gesehen zu werden, sondern um zu sehen, um den Geliebten ihrer Jugend zu sehen, den der Zahn der Zeit unberührt gelassen hat, der noch immer jung, schön, herzenswarm ist.

Sie kommt aus so weiter Ferne, daß sie nie etwas von dem Pfarrer zu Broby gehört hat.

Und dann rasselt die Kutsche die Hügel hinan, und jetzt wird der Pfarrhof oben auf der Spitze sichtbar.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen,« jammert ein Bettler am Wegesrande, »gebt dem armen Manne einen Schilling.«

Die vornehme Dame gibt ihm eine Silbermünze und fragt, ob der Brobyer Pfarrhof in der Nähe liegt.

Der Bettler sieht sie mit einem schlauen, scharfen Blick an. »Der Pfarrhof liegt dort,« sagt er, »aber der Pfarrer ist nicht zu Hause, es ist niemand dort zu Hause.«

Das feine, kleine Fräulein sieht aus, als sollte sie ohnmächtig werden. Die kühle Laube verschwindet, der Geliebte ist nicht da. Wie konnte sie auch glauben, daß sie ihn nach vierzigjährigem Warten dort wiederfinden würde?

»Was führt das gnädige Fräulein nach dem Pfarrhof?«

Das gnädige Fräulein war gekommen, um den Pfarrer zu besuchen. Sie hatte ihn in früheren Zeiten gekannt.

Vierzig Jahre und vierzig Meilen haben zwischen ihnen gelegen. Und mit jeder Meile, die sie zurückgelegt, hat sie ein Jahr mit seinen Lasten, Sorgen und Erinnerungen abgeschüttelt, so daß sie jetzt, wo sie den Pfarrhof erreicht hat, wieder zum zwanzigjährigen Mädchen geworden ist, ohne Sorgen, ohne Erinnerungen.

Der Bettler steht da und sieht sie an, und vor seinen Augen verwandelt sie sich von zwanzig Jahre in sechzig und von sechzig wieder in zwanzig.

»Der Pfarrer kommt heut nachmittag nach Hause«, sagt er. »Das gnädige Fräulein würde am besten daran tun, nach dem Gasthof in Broby zu fahren und heute nachmittag wiederzukommen. Ich stehe dafür ein, daß der Pfarrer heute nachmittag zu Hause sein wird.«

Einen Augenblick später rollt die schwere Kutsche mit der kleinen welken Dame die Hügel zum Gasthof hinab, der Bettler aber steht da und sieht ihr nach, am ganzen Körper bebend. Es ist ihm, als könne er auf die Knie fallen und die Wagenspuren küssen.

Fein, frisch rasiert, geputzt, in Schuhen mit blanken Spannen, mit seidenen Strümpfen, mit Jabot und Manschetten steht der Pfarrer von Broby am Mittag desselben Tages vor der Pröpstin in Bro.

»Ein feines Fräulein,« sagt er, »eine Grafentochter; wie kann die Frau Pröpstin glauben, daß ich armer Mann sie zu mir einladen kann? Meine Fußböden sind schwarz, meine Staatsstube ist ganz leer, die Decke im Saal ist grün von Schimmel und Feuchtigkeit. Helfen Sie mir, liebe Frau Pröpstin! Denken Sie doch nur daran, daß sie eine vornehme Grafentochter ist!«

»Können Sie denn nicht sagen lassen, daß Sie verreist sind, Herr Pfarrer?«

»Liebe Frau Pröpstin, sie ist vierzig Meilen weit gereist, um mich armen Mann zu sehen. Sie weiß nicht, wie es mit mir steht. Ich habe ihr kein Bett anzubieten. Ich habe keine Betten für ihre Dienerschaft.«

»Nun, so lassen Sie sie wieder reisen.«

»Liebe, gute Pröpstin! Verstehen Sie denn nicht, was ich meine? Ich gebe lieber alles hin, was ich besitze, alles, was ich mit Fleiß und Mühe zusammengescharrt habe, als daß ich sie wieder fortreisen lasse, ohne sie unter meinem Dache empfangen zu haben. Sie zählte zwanzig Jahre, als ich sie zuletzt sah, und das sind nun vierzig Jahre her; bedenken Sie das doch, Frau Pröpstin! Helfen Sie mir, daß ich sie bei mir aufnehmen kann. Hier ist Geld, wenn Geld helfen kann, aber Geld allein tut es auch nicht.«

O, Eros, die Frauen lieben dich. Sie legen lieber hundert Schritte für dich zurück, als einen für die andern Götter.

Im Propsthofe wurden die Zimmer und die Küche und die Speisekammer geleert. Im Propsthofe wurden Arbeitswagen beladen und nach dem Pfarrhof gefahren. Wenn der Probst von seinem Konfirmandenunterricht heimkehrt, kann er in den leeren Stuben umhergehen und in die Küche hinausgucken, um nach seinem Mittagessen zu fragen, aber er wird nichts finden. Kein Mittagessen, keine Pröpstin, keine Mägde. Was ist dazu zu sagen? Eros hat es so gewollt, Eros, der Allmächtige.

Am Nachmittage kommt dann die schwere Kutsche die Brobyer Hügel hinaufgehumpelt. Und das kleine Fräulein sitzt da und denkt, ob jetzt wohl kein neues Unglück wieder eintreffen wird, ob es wirklich wahr ist, daß sie jetzt der einzigen Freude ihres Lebens entgegengeht.

Und dann biegt die Kutsche auf den Pfarrhof ein, im Tor aber hält sie still. Der große Wagen ist zu breit, das Tor ist zu schmal. Der Kutscher knallt mit der Peitsche, die Pferde ziehen an, der Diener flucht, aber das hinterste Rad der Kutsche sitzt fest und kann nicht wieder loskommen. Die Grafentochter kann nicht auf den Hof des Geliebten gelangen.

Aber da kommt jemand – da kommt er. Er hebt sie aus dem Wagen, er trägt sie auf seinen Armen, deren Kraft noch ungeschwächt ist, er drückt sie so warm und zärtlich an sich wie vor vierzig Jahren. Sie schaut in ein Paar Augen, die genau so strahlen wie damals, als sie erst fünfundzwanzig Lenze geschaut hatten.

Da braust ein Sturm von Gefühlen über sie hin, wärmer denn je zuvor. Sie entsinnt sich, daß er sie einmal die Treppe zur Terrasse hinaufgetragen hat. Sie, die glaubte, daß ihre Liebe alle diese Jahre hindurch gelebt, sie hatte doch vergessen, was es war, in starke Arme geschlossen zu werden, in junge, strahlende Augen zu schauen.

Sie sieht nicht, daß er alt ist. Sie sieht nur die Augen, die Augen.

Sie sieht nicht die schwarzen Fußböden, die Decken, die grün sind von Feuchtigkeit, sie sieht nur seine strahlenden Augen. Der Brobyer Pfarrer ist ein stattlicher Mann, und in diesem Augenblick ist er ein schöner Mann. Er wird schön, nur weil er sie ansieht. Sie hört seine Stimme, seine klare, starke Stimme; die klingt wie Liebkosungen. So spricht er nur zu ihr. Wozu braucht er die Möbel aus dem Propsthof für seine leeren Zimmer? Wozu braucht er Speisen und Dienstboten? Das alte Fräulein würde kaum etwas von alledem vermißt haben. Sie hört seine Stimme und sieht seine Augen.

Niemals, nie zuvor ist sie so glücklich gewesen.

Wie zierlich er sich verneigt, zierlich und stolz, als sei sie eine Fürstin und er ihr begünstigter Liebling. Er bedient sich der vielen stehenden Redensarten der Alten, wenn er mit ihr redet. Sie lächelt nur und ist glücklich.

Gegen Abend bietet er ihr den Arm, und sie lustwandeln in seinem alten, verfallenen Garten. Sie sieht nichts Häßliches, Vernachlässigtes. Verwachsene Büsche werden zu beschnittenen Hecken, das Unkraut breitet sich als weiche, smaragdgrüne Rasenflächen aus, lange Alleen beschatten sie, und in Nischen von dunklem Laub schimmern weiße Statuen – die Jugend, die Treue, die Hoffnung und die Liebe.

Sie weiß, daß er verheiratet gewesen ist, aber sie denkt nicht daran. Wie könnte sie auch wohl an so etwas denken? Sie zählt ja zwanzig Jahre und er fünfundzwanzig. Er ist sicher nur fünfundzwanzig Jahre alt, jung und sprudelnd von Kraft. Soll er wirklich der geizige Pfarrer von Broby werden, er, dieser lächelnde Jüngling! Zuweilen saust es ihm vor den Ohren – eine Mahnung an eine finstere Zukunft. Aber der Jammer der Armen, die Flüche der Betrogenen, die spöttischen Bemerkungen der Verachtung, Schmählieder, Hohn, das alles existiert noch nicht für ihn. Sein Herz erglüht nur in reiner, unschuldiger Liebe. Dieser stolze Jüngling wird das Gold niemals so lieben, daß er in dem schlimmsten Schmutz danach kriechen, es von den Vorüberfahrenden erbetteln wird, Demütigungen dulden, Schmach erleiden, Kälte und Hunger darum erleiden wird. Wird er wohl sein Kind hungern lassen, seine Frau peinigen für dies elende Geld? Das ist unmöglich. So kann er nicht sein. Er ist ein guter Mensch wie alle andern. Er ist kein Ungeheuer.

 

Die Geliebte seiner Jugend geht nicht neben einem verachteten Schuft, der des Amtes unwürdig ist, das er zu übernehmen gewagt hat. Das tut sie nicht. Nein, Eros, du allmächtiger Gott, heute abend ist er nicht der Pfarrer von Broby, auch nicht am nächsten und an dem darauf folgenden Tage.

Am vierten Tage reist sie. Das Tor ist breiter gemacht. Die Kutsche rollt die Brobyer Hügel so schnell hinab, wie nur Pferde laufen können, die geruht haben.

Welch ein Traum! Welch ein herrlicher Traum! Keine Wolke in diesen drei Tagen!

Sie kehrte lächelnd heim in ihr Schloß und zu ihren Erinnerungen. Sie hörte seinen Namen nie wieder nennen, sie fragte niemals nach ihm. Sie wünschte nur, solange sie lebte, diesen Traum noch einmal zu träumen.

Der Pfarrer von Broby saß in seinem einsamen Hause und weinte wie ein Verzweifelter. Sie hatte ihn jung gemacht. Sollte er nun wieder alt werden? Sollte der böse Geist zurückkehren, sollte er wieder verächtlich werden – verächtlich, wie er gewesen war?

Patron Julius

Patron Julius trug seine rotangemalte Kiste aus dem Kavalierflügel hinunter. Er füllte ein größeres Lägel, das ihn auf vielen Reisen begleitet hatte, mit duftendem Pomeranzenbranntwein, den großen, geschnitzten Vorratskasten packte er voll Brot und Butter und alten Käse, schön grün und braun schattiert, voll fetten Schinken und Reiskuchen, die in Himbeerkompott schwimmen.

Und dann ging Patron Julius umher und sagte allen Herrlichkeiten Ekebys mit tränenden Augen Lebewohl. Er streichelte zum letztenmal die blankgeschliffenen Kegelkugeln und die rotwangigen Kinder auf dem Hügel. Er ging umher zu den Lauben im Garten und zu den Grotten im Park. Er war im Stall und in den Scheunen, streichelte die Pferde, rüttelte den bösen Stier an den Hörnern und ließ sich die Hände von den Kälbern lecken. Schließlich ging er mit fließenden Tränen in das Hauptgebäude hinauf, wo das Abschiedsfrühstück seiner harrte.

Wehe über das Dasein! Wie kann es so viel Elend enthalten? Da war Gift in den Speisen, Galle im Wein. Die Kehlen der Kavaliere waren vor Gemütsbewegung zusammengeschnürt so wie seine eigene. Der Schleier der Tränen lag wie ein Nebel vor seinen Blicken. Die Abschiedsrede wurde von Schluchzen unterbrochen. Wehe über das Dasein! Sein Leben würde hinfort nur eine einzige lange Sehnsucht sein. Niemals sollten sich seine Lippen zu einem Lächeln formen. Die Lieder würden aus seiner Erinnerung fortstreben, wie die Blumen von der herbstkalten Erde fortsterben. Er würde verblassen, abfallen, welken wie eine frostgeknickte Rose, wie eine dürstende Lilie. Nie wieder sollten die Kavaliere den armen Julius sehen. Schwere Ahnungen durchzuckten seine Seele, wie Schatten von sturmgepeitschten Wolken über frisch gepflügte Felder dahinjagen. Er wollte nach Hause reisen, um zu sterben.

Blühend von Gesundheit und Kraft stand er jetzt vor ihnen. Nie wieder sollten sie ihn so sehen. Nie mehr sollten sie ihn scherzend fragen, wann er zuletzt seine eigenen Knie gesehen habe; nie mehr sollten sie sich seine Wangen zum Kegelspiel wünschen. Das Übel hat sich ihm schon in Leber und Lunge festgesetzt. Es wühlte und nagte. Schon lange hatte er es gefühlt. Seine Tage waren gezählt.

Möchten doch die Ekebyer Kavaliere den Toten in treuer Erinnerung bewahren! Möchten sie ihn doch niemals vergessen!

Die Pflicht rief ihn. Daheim saß seine Mutter und wartete auf ihn. Siebzehn Jahre lang hatten sie ihn aus Ekeby heim erwartet. Jetzt hatte sie geschrieben und ihn nach Hause gerufen, und er wollte gehorchen. Er wußte, daß es sein Tod sein würde, aber als guter Sohn wollte er gehorchen.

O, diese göttlichen Festmähler! Diese schönen Fluren, der stolze Gießbach! O, die jubelnden Märchen, der geliebte Kavalierflügel! O Violine und Waldhorn, o Leben voll Glück und Freude! Von alledem zu scheiden war der Tod.

Und dann ging Patron Julius in die Küche hinaus und sagte den Leuten im Hause Lebewohl. In überströmender Rührung umarmte und küßte er jeden einzelnen, von der Haushälterin bis zu dem Bettler auf dem Hofe. Die Mägde weinten und jammerten über sein Schicksal. So ein guter und munterer Herr sollte sterben, nie sollten sie ihn wiedersehen!

Patron Julius befahl, daß sein Gig aus dem Wagenschuppen herausgeschoben und sein Pferd aus dem Stall gezogen werden sollte. Was wohl die alte Kajsa dazu sagen würde, hügelauf und hügelab zu traben nach einer siebzehnjährigen Ruhe vor der gefüllten Krippe?

Die Stimme war nahe daran, Patron Julius zu versagen, als er diese Befehle erteilte. So sollte denn das Gig nicht in Ruhe auf Ekeby vermodern, so sollte denn die alte Kajsa von der bekannten Krippe getrennt werden. Er wollte nichts Schlechtes von seiner Mutter sagen, aber sie hätte an die alte Kajsa und an das Gig denken sollen, wenn sie auch nicht an ihn dachte. Wie sollten die die lange Reise überstehen?

Das Bitterste war aber doch der Abschied von den Kavalieren. Der kleine rundliche Patron Julius, dessen Figur mehr danach angetan war zu rollen als zu gehen, fühlte sich tragisch bis in die Fingerspitzen hinein. Er dachte an den großen Athener, der ruhig den Giftbecher im Kreise seiner Schüler leerte. Er dachte an den alten König Gustav, der dem schwedischen Volke prophezeite, daß es einstmals wünschen würde, man möchte ihn aus seinem Grabe herausgraben.

Schließlich sang er ihnen sein schönstes Lied vor. Er dachte an den Schwan, der im Singen stirbt. So wünschte er, daß sie sich seiner erinnern möchten: eines königlichen Geistes, der sich zu keiner Klage herabläßt, sondern auf den Schwingen der Töne heimfährt.

Endlich war der letzte Becher geleert, war das letzte Lied gesungen, die letzte Umarmung ausgetauscht. Er zog seinen Mantel an und nahm die Peitsche in die Hand. Kein Auge ringsumher blieb trocken. Seine eigenen Augen waren so verschleiert von dem dämmernden Nebel des Leids, daß er nichts unterscheiden konnte.

Da ergriffen die Kavaliere ihn und trugen ihn Portechaise hinunter. Hurrarufe umdonnerten ihn. Sie setzten ihn irgendwo nieder, er sah nicht wo. Eine Peitsche knallte, der Wagen setzte sich mit ihm in Bewegung. Er fuhr. Als er den Gebrauch seiner Augen wiedergewann, war er draußen auf der Landstraße.

Wohl hatten die Kavaliere geweint und waren von tiefer Wehmut ergriffen, aber der Kummer hatte doch nicht alle frohen Gefühle des Herzens bei ihnen erstickt. Einer von ihnen – war es Gösta Berling, der Poet, oder Beerencreutz, der Rabougespieler, der alte Kriegsmann, oder der lebensmüde Vetter Kristoffer? – hatte es so eingerichtet, daß die alte Kajsa nicht aus ihrem Stall und der mottenzerfressene Wagen nicht aus seinem Schuppen hervorgeholt zu werden brauchte. Sie hatten einen großen, weißscheckigen Ochsen vor einen Heuwagen gespannt, und nachdem die rote Kiste, das grüne Lägel und der geschnitzte Vorratskasten auf den Wagen gestellt waren, wurde schließlich Patron Julius selbst, dessen Augen von Tränen geblendet waren, nicht auf den Vorratskasten oder auf die Kiste gesetzt, sondern auf den Rücken des weißscheckigen Ochsen.

Seht, so ist der Mensch, zu schwach, um dem Leid in all seiner Bitterkeit zu begegnen! O Freunde, sicher beweinten die Kavaliere diesen Freund, der von dannen zog, um zu sterben, diese welkende Lilie, diesen sterbenden Singschwan, und doch erleichterte es die Beklommenheit ihres Herzens, als sie ihn so von dannen ziehen sahen, auf dem Rücken des großen Ochsen reitend, während sein fetter Körper vom Schluchzen bebte; seine Arme, zu einem letzten Umfangen ausgebreitet, senkten sich in Verzweiflung, und seine Augen suchten Gerechtigkeit bei einem strengen Himmel.

Da draußen auf der Landstraße kehrten dem umnebelten Patron Julius die Sinne zurück, und er merkte, daß er auf dem schaukelnden Rücken eines Tieres saß. Und da, so erzählt man, begann er über alles nachzugrübeln, was sich in siebzehn Jahren ereignen kann. Die alte Kajsa war auffallend verändert. Hatten die Haferkrippe und die Kleewiesen auf Ekeby so viel vermocht? Und er rief – ich weiß nicht, ob die Steine am Wege oder die Vögel in dem Gesträuch es hörten –, aber wahr ist es, daß er rief: »Der Teufel soll mich frikassieren, wenn ich nicht glaube, daß du Hörner bekommen hast, Kajsa!«

Nachdem er noch eine Weile gegrübelt hatte, ließ er sich sanft von dem Rücken des Ochsen hinabgleiten, stieg in den Heuwagen, setzte sich auf den Vorratskasten und fuhr in tiefe Gedanken versunken weiter.

Bald darauf, in der Nähe von Broby, vernahm er taktfesten Gesang:

 
»Eins zwei,
Nur immer zu!
Pantoffel und Schuh.
Die Wermlandjäger kommen herbei!
Eins zwei, eins zwei!«
 

So tönte es ihm entgegen; aber es waren keine Jäger, es waren die munteren Fräulein aus Berga und einige von den schönen Töchtern des Amtmanns aus Munkerud, die des Weges daherkamen. Sie hatten ihre kleinen Vorratsbeutel an langen Stöcken aufgehängt, die sie wie ein Gewehr schulterten, und zogen mutig dahin in der Sommerhitze und sangen taktfest:

»Eins zwei, nur immer zu!«

»Wohin geht die Reise, Patron Julius?« riefen sie, als sie ihm begegneten, ohne auf die Wolken der Sorge zu achten, die seine Stirn umflorten.

»Ich ziehe fort aus dem Hause der Sünde und Eitelkeit,« sagte Patron Julius. »Ich will nicht länger unter Tagedieben und Missetätern verweilen. Ich kehre heim zu meiner Mutter.«

»Ach!« riefen sie, »das ist ja nicht wahr! Patron Julius kann doch Ekeby nicht verlassen!«

»Ja,« entgegnete er und schlug mit der geballten Hand auf die Kleiderkiste. »Wie Loth aus Sodom und Gomorra, so fliehe ich aus Ekeby. Jetzt gibt es dort nicht einen Gerechten mehr. Aber wenn sich die Erde unter ihnen auftut, wenn Feuer und Schwefel vom Himmel herabregnen, da will ich mich über Gottes gerechtes Gericht freuen. Lebt wohl, ihr kleinen Mädchen! Hütet euch vor Ekeby!«

Er wollte weiterfahren, aber damit waren die munteren Mädchen keineswegs einverstanden. Sie hatten die Absicht, den Donnerfelsen zu besteigen. Aber der Weg war lang, und sie hatten wohl Lust, in Julius’ Heuwagen bis an den Fuß des Berges zu fahren. Glücklich, wer sich über den Sonnenschein des Lebens freuen kann und keiner Kürbispflanze bedarf, um seinen Scheitel zu beschatten! In zwei Minuten hatten die jungen Mädchen ihren Willen durchgesetzt. Patron Julius kehrte um und fuhr sie bis an den Donnerfelsen. Lächelnd saß er auf dem Vorratskasten, während die jungen Mädchen den Heuwagen füllten. Am Wege entlang wuchsen Winden und Kamillen und Pechnelken. Der Ochse mußte von Zeit zu Zeit ein wenig ruhen, dann stiegen die jungen Mädchen ab und pflückten Blumen. Bald hingen bunte Kränze um Julius’ Kopf und um die Hörner des Ochsen.

Ein wenig weiterhin kamen sie an helle, junge Birken und dunkle Erlenbüsche. Da stiegen sie vom Wagen und brachen Zweige ab, um ihn damit zu schmücken. Bald war er zu schauen wie ein wandernder Wald. So ging es den ganzen Tag mit Spiel und Lustigkeit.

Je weiter der Tag vorschritt, um so sanfter und milder wurde Patron Julius. Er traktierte die jungen Mädchen aus seinem Vorratskasten und sang ihnen Lieder vor. Als sie auf dem Gipfel des Donnerfelsens standen, die ausgedehnte Landschaft so stolz und schön unter sich – da fühlte Julius sein Herz mächtig pochen, die Worte strömten ihm über seine Lippen, und er redete über sein geliebtes Land:

»Ach, Wermland,« sagte er, »du schönes, du herrliches Land! Oft wenn ich dich auf einer Karte vor mir gesehen habe, dann habe ich darüber nachgedacht, was du eigentlich vorstellst; aber jetzt verstehe ich, was du bist. Du bist ein alter, frommer Eremit, der mit gekreuzten Beinen, die Hände im Schoß, still dasitzt und träumt. Du hast eine Zipfelmütze über deine halbgeschlossenen Augen gezogen. Du bist ein Grübler, ein heiliger Träumer, und du bist wunderbar schön. Große Wälder sind dein Gewand. Lange Bänder von blauem Wasser und gerade Reihen von blauen Bergen verbrämen es. Du bist so natürlich, daß der Fremde nicht sieht, wie schön du bist. Du hast die Armut, die die Frommen zu besitzen wünschen. Regungslos sitzest du da, während die Wellen des Wenersees deine Füße und deine gekreuzten Beine umspülen. Zur Linken breiten sich deine Erzlager und deine Gruben. Das ist dein pochendes Herz. Gen Norden liegen die dunklen, schönen Wiesen der Einsamkeit, des Geheimnisvollen. Das ist dein träumendes Haupt.

 

»Wenn ich dich sehe, du alter, ernsthafter Riese, so füllen sich meine Augen mit Tränen. Du bist strenge in deiner Schönheit, du bist Andacht, Armut, Entsagung, und doch sehe ich mitten in deiner Strenge die sanften Züge der Milde. Ich sehe dich und bete dich an. Sehe ich nur hinein in den tiefen Wald, berührt nur ein Zipfel deines Gewandes mich, so findet meine Seele Heilung. Stunde für Stunde, Jahr für Jahr habe ich in dein heiliges Antlitz geschaut. Welche Rätsel verbirgst du nicht unter den gesenkten Augenlidern, du Gottheit der Entsagung? Hast du das Rätsel des Lebens oder des Todes gelöst, oder grübelst du nach, du Heiliger, du Riesengleicher? Für mich bist du der Hüter ernster, großer Gedanken. Aber ich sehe Menschen auf dir und um dich wimmeln, Wesen, die nie die Hoheit des Ernstes auf deiner Stirn gespürt haben. Sie sehen nur die Schönheit deines Antlitzes und deiner Glieder und lassen sich davon betören, so daß sie alles vergessen.

»Wehe mir, wehe uns allen, uns Kindern Wermlands! Schönheit, Schönheit und nichts weiter verlangen wir vom Leben! Wir, Kinder des Entsagens, des Ernstes, der Armut, erheben unsere Hände in einem einzigen langen Gebet und begehren dies einzige Gut: Schönheit! Möge das Leben sein wie ein Rosenbusch, blühend von Liebe, Wein und Freude, und mögen seine Rosen einem jeden erreichbar sein! Siehe, dies wünschen wir, und unser Land trägt die Züge der Strenge, des Ernstes, der Entsagung. Unser Land ist das ewige Symbol der Grübelei, wir aber haben keine Gedanken.

»O Wermland, du schönes, du herrliches Land!«

So sprach er mit Tränen in den Augen und mit einer Stimme, die vor Begeisterung bebte. Die jungen Mädchen lauschten ihm voll Staunen, aber nicht ohne Rührung. Nur wenig ahnten sie die Tiefe des Gefühls, die sich unter dieser Oberfläche verbarg, die von Scherz und Lachen glitzerte.

Als der Abend nahte und sie wieder auf den Heuwagen stiegen, wußten die jungen Mädchen kaum, wohin Patron Julius sie gefahren hatte, ehe sie vor der Treppe von Ekeby hielten.

»Nun wollen wir hierhinein und ein Tänzchen machen, ihr kleinen Mädchen!« sagte Patron Julius.

Was sagten denn die Kavaliere, als sie Patron Julius herbeikommen sahen, einen welken Kranz um den Hut und den Wagen voll junger Mädchen?

»Dachten wirs uns doch, daß die jungen Mädchen mit ihm abgezogen wären,« sagten sie, »sonst hätten wir ihn schon vor Stunden wieder hiergehabt!« Denn die Kavaliere entsannen sich sehr wohl, daß dies genau das siebzehnte Mal war, daß Patron Julius den Versuch gemacht hatte, Ekeby zu verlassen, – regelmäßig einmal jedes Jahr. Jetzt hatte Patron Julius sowohl diesen Versuch als auch alles andere vergessen. Sein Gewissen schlief von neuem seinen einjährigen Schlaf.

Er war ein seltener Mann, dieser Patron Julius. Er war leicht im Tanz, munter am Spieltisch. Feder und Violinbogen lagen ihm gleich leicht in der Hand. Er hatte ein leichtbewegliches Herz und schöne Worte auf der Zunge, sein Mund war voll von Liedern. Aber was hätte ihm dies alles genützt, wenn er nicht ein Gewissen gehabt hätte, das nur einmal im Jahr von sich hören ließ, gleich jenen Eintagsfliegen, die sich aus der dunklen Tiefe erheben und die Flügel ausbreiten, um nur einige Stunden in Tageslicht und Sonnenschein zu leben.