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Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland

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Hochsommer

Der Hochsommer war dazumal heiß wie jetzt, während ich dies schreibe. Die herrlichste Zeit des Jahres war gekommen.

Das war die Zeit, in der Sintram, der böse Gutsherr, auf Fors trauerte und litt. Er grollte über den Siegeszug des Lichtes während der Stunden des Tages und über die Niederlage der Dunkelheit, und er grämte sich über die Blätterpracht, in die die Bäume gekleidet waren, und über den bunten Teppich, der die Erde bedeckte.

Alles war in Schönheit gehüllt. Der Weg, so grau und steinig er auch war, erhielt doch einen Rand von Blumen; gelbe und violette Sommerblumen, Wicken und Löwenzahn.

Als die Kraft des Hochsommertages über den Bergen lag und die Glockentöne von der Broer Kirche durch die Luft bis nach Fors herabgetragen wurden, als der unsagbare Friede des stillen Tages über den Landen herrschte, da erhob er sich im Zorn, da meinte er, daß Gott und die Menschen sich erkühnten, zu vergessen, daß er existierte, und er beschloß, nun auch in die Kirche zu gehen. Alle, die über den Sommer jubelten, sollten ihn sehen, ihn, Sintram, der die Finsternis ohne Morgen, den Tag ohne Auferstehung, den Winter ohne Frühling liebte.

Er zog den Wolfspelz an und die Fausthandschuhe aus Pelz. Er ließ ein rotes Pferd vor einen Schlitten spannen und befestigte Schellen an dem blanken Geschirr mit den Schlangenköpfen. Ausgerüstet, als seien es dreißig Grad Kälte, zog er zur Kirche. Wenn es unter den Schlittenkufen knirschte, glaubte er, daß das von der Kälte käme. Er glaubte, daß der Schaum auf dem Pferderücken Reif sei. Er fühlte keine Wärme. Von ihm ging Kälte aus, wie Wärme von der Sonne ausstrahlt.

Er fuhr über die breite Ebene nördlich von der Broer Kirche. Große, helle Dörfer lagen auf seinem Wege und Felder mit singenden Lerchen darüber. Niemals habe ich die Lerchen so singen hören wie über diesen Feldern, und ich habe oft darüber nachgegrübelt, ob er sich auch taub machen konnte für diesen hundertstimmigen Sängerchor.

Auf seinem Wege kam er aber an vielem vorüber, was ihn geärgert haben würde, wenn er ihm einen Blick geschenkt hätte. Vor der Tür einer jeden Hütte würde er zwei sich neigende Birken gesehen haben, und durch die geöffneten Fenster würde er in Stuben geblickt haben, deren Wände mit grünen Zweigen geschmückt waren.

Das kleinste Bettelmädchen ging mit einem Fliederzweig in der Hand auf der Landstraße, und jede Bauernfrau hatte einen ganz kleinen Blumenstrauß in das Taschentuch hineingesteckt.

Maienbäume mit Blumen und grünen Kränzen standen auf den Höfen. Das Gras ringsumher war niedergetreten, denn der Tanz war in der Mittsommernacht lustig über sie dahingegangen.

Unten auf dem Löfsee wimmelte es von Holzflößen; kleine weiße Segel waren zur Ehre des Tages gehißt, obwohl kein Wind sich rührte; da war keine Mastspitze, die nicht einen grünen Kranz trug.

Auf allen den vielen Wegen, die nach Bro führten, kamen die Leute zur Kirche gewandert, namentlich die Frauen in zierlich geschmückten, hellen, selbstgewebten Sommerkleidern, die gerade für den heutigen Tag fertig geworden waren. Alle waren festlich gekleidet.

Und die Menschen konnten gar nicht fertig werden, sich über den Feiertagsfrieden und die Ruhe von der Alltagsarbeit zu freuen, über die liebliche Wärme, über die vielversprechende Ernte und die Erdbeeren, die am Wegrande sich zu röten begannen. Sie sprachen von der Stille der Luft, von dem wolkenlosen Himmel und dem Lerchengesang und sagten: »Ja, wahrlich, dies ist der Tag des Herrn!«

Da kam Sintram dahergefahren. Er fluchte und schwang die Peitsche über dem schweißtriefenden Pferde. Der Sand knirschte häßlich unter den Schlittenkufen, der scharfe Klang der Schellen übertönte den Laut der Kirchenglocken. Die Stirn lag in zornigen Falten unter der Pelzmütze.

Da stutzten die Kirchengäste und meinten, sie hätten den leibhaftigen Gottseibeiuns gesehen. Nicht einmal heute, an dem Festtage des Sommers selbst, durften sie die Kälte und die Bosheit vergessen. Es ist ein bitteres Los, auf Erden zu wandern.

Die Leute, die im Schatten der Kirchhofsmauer standen oder auf den Kirchhofsteinen saßen und darauf warteten, daß der Gottesdienst beginnen sollte, sahen mit stiller Verwunderung, wie er dort auf die Kirchentür zuschritt. Eben noch hatte der schöne Tag ihre Herzen mit Freude darüber erfüllt, daß es ihnen vergönnt war, auf Gottes grüner Erde zu wandern und die Schönheit des Daseins zu genießen. Jetzt, wo sie Sintram sahen, wurden sie von der Ahnung eines geheimnisvollen Unglücks ergriffen.

Als er durch die Schar ging, bemerkten sie mit abergläubischer Angst die Art und Weise, wie er grüßte. Froh war jeder, an dem er vorüberging, ohne ihn anzusehen, denn er grüßte nur diejenigen, die seiner Sache dienten. Vor dem Brobyer Pastor nahm er die Mütze tief ab, und vor Marianne Sinclaire und den Kavalieren lüftete er sie, aber für den Probst in Bro und für den Amtmann hatte er keinen Gruß.

Sintram trat in die Kirche, setzte sich in seinen Stuhl und warf die Fausthandschuhe auf die Bank, so daß man in der ganzen Kirche das Rasseln der Wolfsklauen hören konnte, die in das Fell eingenäht waren. Und einige von den Frauen, die sich in die vorderen Stühle gesetzt hatten, wurden ohnmächtig, als sie die zottige Gestalt sahen, und mußten hinausgetragen werden.

Aber niemand wagte Sintram hinauszujagen. Er störte die Andacht der Gemeinde, aber er war zu sehr gefürchtet, als daß jemand es gewagt hätte, ihm zu befehlen, daß er die Kirche verlassen solle.

Vergebens redete der alte Probst von dem lichten Fest des Sommers, niemand hörte ihm zu. Alle dachten nur an Bosheit und Kälte und an das geheimnisvolle Unglück, dessen Vorbote der böse Gutsherr war.

Als alles vorüber war, sah man den Bösen an den Abhang des Hügels treten, auf dem die Broer Kirche liegt. Er sah auf den Brobyer Strand nieder und folgte ihm mit den Augen, vorbei an den drei Landzungen des westlichen Ufers, bis in den Löfsee hinein. Und man sah ihn die Hand ballen und über den See und die grünen Ufer hinüberdrohen. Dann glitt sein Blick gen Süden, über den südlichen Löfsee hinab, bis zu den blauenden Landzungen, die den See abzuschließen schienen. Und meilenweit flog er gen Norden hinauf, vorbei an dem Gurlitaberge und bis Björnidet, wo der See endet. Er sah nach Westen und Osten, wo die Berge das Tal umkränzen, und er ballte die Hand von neuem. Und alle fühlten, daß, wenn er ein Bündel Blitze in der Rechten gehabt hätte, er sie in wilder Freude über die friedliche Landschaft geschleudert und Tod und Jammer verbreitet haben würde, so weit seine Macht reichte. Denn nun hatte er sein Herz so an das Böse gewöhnt, daß er an nichts Freude fand als am Elend. Er hatte sich allmählich selbst gelehrt, alles zu lieben, was häßlich und böse ist. Er war wahnsinniger als der unbändigste Tolle, aber das begriff niemand, hinterher machten wunderliche Gerüchte die Runde in der Umgegend. Man erzählte, daß, als der Küster kam, um die Kirche zu schließen, der Bart an dem Schlüssel abbrach, weil ein hart zusammengerolltes Papier in das Schloß hineingesteckt worden war. Er brachte es dem Propst. Es war, wie man wohl begreifen kann, ein Brief, der für ein Wesen in der anderen Welt bestimmt war.

Man flüsterte davon, was auf dem Papier zu lesen gestanden hatte. Der Propst hatte es verbrannt, aber der Küster hatte zugesehen, während der Teufelskram brannte. Die Buchstaben hatten hellrot auf schwarzem Grund geleuchtet. Er hatte nicht umhin können, es zu lesen. Er las, so erzählte man, daß der böse Mann das Land zerstören wolle, so weit, wie der Broer Kirchturm sichtbar war. Er wollte den Wald über die Kirche hinwegwachsen sehen. Er wollte Bär und Fuchs in den Wohnungen der Menschen hausen sehen. Die Felder sollten öde daliegen, und weder Hund noch Hahn sollte man mehr in diesen Gegenden hören. Der Böse wollte seinem Herrn dienen, indem er über jedermann Unglück brachte. Das hatte er gelobt.

Und die Menschen sahen der Zukunft in stummer Verzweiflung entgegen, denn sie wußten, daß die Macht des Bösen groß war, daß er alles Lebende haßte, daß er wünschte, die Wildnis sich über das Tal ausbreiten zu sehen, und daß er gern die Pest oder die Hungersnot oder den Krieg in seinen Dienst nahm, um jeden zu vertreiben, der die gute, freudebringende Arbeit liebte.

Frau Musika

Als nichts Gösta Berling erheitern konnte, nachdem er der jungen Gräfin zur Flucht verholfen hatte, beschlossen die Kavaliere, Hilfe bei der guten Frau Musika zu suchen – die ist eine mächtige Fee und hat gar manche getröstet.

Deswegen ließen sie eines Abends im Juli die Türen zu dem großen Saal auf Ekeby öffnen und die Fensterläden entfernen. Sonne und Luft wurden eingelassen, die große, rote Sonne des Spätabends, die milde, dufterfüllte Luft der kühlen Abendstunde. Die gestreiften Überzüge wurden von den Möbeln genommen, das Klavier wurde geöffnet und der Flor von den venezianischen Kronleuchtern entfernt. Die goldenen Greife unter den weißen Platten der Marmortische durften wieder im Licht blitzen. Die weißen Göttinnen tanzten in dem schwarzen Feld über den Spiegeln. Die verschieden geformten Blumen des Seidendamasts schimmerten in der Abendröte. Und es wurden Rosen gepflückt und in Wasser gesetzt, der ganze Saal war von ihrem Duft erfüllt. Es waren wunderbare Rosen, deren Namen niemand kannte, die aber aus fremden Landen nach Ekeby gekommen waren. Da waren die gelben Rosen, in deren Adern das Blut so rot schimmert wie in denen eines Menschen, und die sahnefarbigen mit dem faserigen Rand und die rosaroten mit den großen Blättern, die am äußersten Rande farblos wie Wasser werden, und die dunkelroten mit den schwarzen Schatten. Alle Rosen Altringers brachten sie herein, die aus fernen Landen gekommen waren, um die Augen schöner Frauen zu erfreuen.

Und dann schaffen sie Noten und Notenpulte herbei und Messinginstrumente und Bogen und Violinen in allen Größen, denn jetzt soll die gute Frau Musika auf Ekeby herrschen und versuchen, Gösta Berling zu trösten.

 

Frau Musika hat die Oxfordsymphonie des guten Vater Haydn gewählt, und die Kavaliere üben sie ein. Patron Julius schwingt den Taktstock, und die andern spielen jeder sein Instrument. Alle Kavaliere können spielen – sonst wären sie ja keine Kavaliere!

Als alles fertig ist, wird Gösta geholt. Er ist noch immer matt und mutlos, aber er freut sich über den prächtigen Saal und über die schöne Musik, die er bald hören wird. Denn es ist ja eine bekannte Sache, daß die gute Frau Musika für den, der leidet, die beste Gesellschaft ist. Sie ist munter und fröhlich wie ein Kind. Sie ist feurig und einnehmend wie eine junge Schöne. Sie ist gut und klug wie die Alten, die ein segensreiches Leben gelebt haben.

Und dann spielten die Kavaliere so leise, so mild wie ein Sausen.

Der kleine Ruster nimmt die Sache sehr ernsthaft. Er liest die Noten mit der Brille auf der Nase, küßt sanfte Töne aus der Flöte und läßt die Finger auf den Klappen und Löchern spielen. Onkel Eberhard sitzt krummgebeugt über dem Violoncell, die Perücke ist ihm auf das eine Ohr geglitten, die Lippen zittern vor Gemütsbewegung. Bergh steht stolz da mit seinem langen Fagott. Hin und wieder vergißt er sich und setzt mit der vollen Kraft seiner Lungen ein, dann aber schlägt Patron Julius ihn mit dem Taktstock auf den dicken Schädel.

Es geht gut, es geht brillant. Sie zaubern Frau Musika selber aus den toten Notenzeichen hervor. Breite deinen Zaubermantel aus, liebe Frau Musika, und führe Gösta Berling zurück in das Land der Freude, wo er zu leben pflegte.

Daß es wirklich Gösta Berling ist, der da bleich und mutlos sitzt und den die alten Herren jetzt amüsieren müssen, als wäre er ein Kind! Jetzt wird es kärglich aussehen mit der Freude im Wermland!

Ich weiß, weshalb die Alten ihn liebten, ich weiß wohl, wie lang der Winterabend werden und wie die Finsternis auf den öden Gehöften die Sinne beschleichen kann. Ich kann wohl begreifen, wie es war, wenn er kam.

Stellt euch einen Sonntagnachmittag vor, wenn die Arbeit ruht und die Gedanken schlaff sind. Stellt euch einen hartnäckigen Nordwind vor, der Kälte in das Zimmer peitscht, eine Kälte, der kein Feuer abhelfen kann. Stellt euch das einsame Talglicht vor, das unaufhörlich geputzt werden muß. Stellt euch den einförmigen Gesang geistlicher Lieder draußen von der Küche hervor.

Nun, und dann ertönt plötzlich helles Schlittengeläute, schnelle Füße stampfen den Schnee draußen auf der Treppe ab, und herein tritt Gösta Berling. Er lacht und treibt Kurzweil. Er ist Leben, er ist Wärme. Er öffnet das Klavier und spielt so, daß man sich über die alten Saiten wundert. Er kann alle Lieder singen, kann alle Melodien spielen. Er beglückt alle Hausbewohner! Ihn fror nie, er war niemals müde. Der Betrübte vergaß seine Sorgen, wenn er ihn sah. Und welch ein gutes Herz er doch hatte! Welch Mitleid hatte er mit den Armen und Schwachen! Welch ein Genie er war! Ja, ihr hättet die Alten nur hören sollen, wenn sie von ihm erzählten!

Es mochte wohl ein solcher Abend sein, als er nach Munkerud hinabkam, wo der gute Amtmann wohnte, nach dem stillen, liebenswerten Heim, das so wenig in dieser Erzählung erwähnt ist, weil die Stürme der Zeit sein Glück nicht zu erschüttern vermochten, und wo er mit dem Pfarrer von Bro zusammentraf.

Und sobald der Probst ihn sah, setzte er ihn ans Klavier. »Setz dich ans Klavier, Gösta Berling,« sagte er, »dort stiftest du am meisten Nutzen.« Und dann spielte und sang Gösta, und als er eine kleine Weile gespielt hatte, konnten die Leute nicht mehr stillsitzen. Die alten, vernünftigen Herren und Damen mußten aufstehen und tanzen. Es prickelte ihnen in allen Gliedern. Sie konnten nicht stillsitzen. Und so tanzten sie denn rundherum, und als Gösta ein Bellmannsches Lied anstimmte, stimmten sie mit ein, und die Pröpstin, so alt und dick sie war, hob den Kleiderrock in die Höhe, hüpfte und drehte sich im Kreise, als sei sie ein zwanzigjähriges Mädchen mit zierlichem Spann gewesen. Und dazu sang sie falsch und mit heiserer Stimme:

 
»Hurrah! Seht Ulla tanzen!
In Spitzen, Flor und Fransen,
Mit weißen Beinen, mit weißen Beinen,
Wie hell die Kerzen und Lampen scheinen!«
 

Der Probst und alle die andern lachten so herzlich über sie: »Ja, der Schelm dort am Klavier, der kann alte Leute zu Narren machen!«

Aber nun sitzt Gösta Berling still und traurig da und lauscht Frau Musikas Bemühungen, ihn zu ermuntern. Vielleicht wäre er am liebsten mit seinem Kummer allein gewesen, aber er mußte ja der alten Herren wegen die Musik anhören. Er kann sehr wohl einsehen, wie traurig es für sie ist, daß er jetzt nicht mehr fröhlich sein kann. Sie haben keine Freude daran, Herren auf Ekeby zu sein, seit er sich so verändert hat. Er glaubt, bemerken zu können, daß sie alt geworden sind.

Und wie sie gerade am allerschönsten spielen, bricht er in Tränen aus. Das ganze Leben erscheint ihm so traurig. Er hält die Hände vor das Gesicht und weint. Die Kavaliere erschrecken. Dies sind nicht die sanften, heilenden Tränen, die Frau Musika hervorzulocken pflegt. Er schluchzt wie ein Verzweifelter. Ganz ratlos legen sie die Instrumente hin.

Da gibt ihnen Frau Musika den Gedanken ein, daß sie es mit etwas Heiterem versuchen sollen, und Patron Julius nimmt seine Gitarre hervor und fängt an, eins seiner lustigen Tischlieder zu singen. Er verdreht sein Gesicht und ahmt Kühe und Schafe nach.

Aber das ist kein guter Einfall von der guten Frau Musika. Gösta schlägt plötzlich mit der geballten Faust auf den Tisch, so daß Julius ängstlich zusammenschrickt, und dann sagt er ihnen seine Meinung.

»Wenn ich auch ein ausgestoßener Elender bin, der nur hier auf Erden weilt, um Unheil anzustiften,« sagt er, »so solltet ihr Kavaliere doch nicht euern Spott mit meinen Leiden treiben. Bessere Leute als ihr würden sich wohl davor hüten.«

Er ist ungerecht. Er weiß das sehr gut selber, aber er kann sich nicht beherrschen. Und dann bleibt er schweigend und beschämt sitzen. Auch die andern schweigen. Sie sind tief verletzt, aber was kann es nützen, sich zu verteidigen? Selbst die gute Frau Musika, die Gösta Berling so liebhat, ist nahe daran, den Mut zu verlieren, aber dann fällt ihr plötzlich ein, daß sie noch einen gewaltigen Recken unter den Kavalieren hat.

Das ist der sanfte Löwenberg, der seine Braut in dem lehmigen Strom verloren hat und der jetzt Gösta Berlings Sklave ist – mehr als irgendeiner von den andern. Er schleicht jetzt nach dem Klavier hin. Er umkreist es scheu, befühlt es vorsichtig und streicht mit weicher Hand über die Tasten.

Oben im Kavalierflügel hat Löwenberg einen großen, hölzernen Tisch, auf den er eine Klaviatur gemalt und ein Notenpult gestellt hat. Dort kann er stundenlang sitzen und die Finger über die schwarzen und weißen Tasten gleiten lassen. Dort übt er Tonleitern und Etüden, und dort spielt er seinen Beethoven. Frau Musika hat ihm mit ihrer besonderen Gnade beigestanden, so daß er viele von den sechsunddreißig Sonaten hat abschreiben können.

Aber der alte Mann wagt sich niemals an ein anderes Instrument als an den hölzernen Tisch. Vor dem Klavier hat er eine entsetzliche Angst. Das lockt ihn, aber es schreckt ihn noch mehr ab. Das schrille Instrument, auf dem so viele Polkas gespielt sind, ist ihm ein Heiligtum. Er hat nie gewagt, es zu berühren. Dies wunderbare Ding mit den vielen Saiten, das den Werken des großen Meisters Leben verleihen kann! Er braucht nur das Ohr daranzulegen, gleich hört er Scherzos und Andantes darin brausen. Ja, das Klavier ist der rechte Altar, auf dem Frau Musika angebetet werden soll. Aber er hat niemals auf einem Klavier gespielt. Er selber wird ja niemals so reich, daß er sich eins kaufen kann, und auf diesem zu spielen, hat er niemals Mut gehabt. Die Majorin ist auch nicht gerade sehr geneigt gewesen, es ihm aufzuschließen.

Er hat wohl Polkas und Walzer und Bellmannsche Melodien darauf klimpern hören. Aber bei so unheiliger Musik konnte das herrliche Instrument ja nur einen unreinen Klang von sich geben, konnte nur jammern. Nein, wenn Beethoven kam, würde es erst seinen richtigen hellen Klang ertönen lassen.

Jetzt denkt er, daß die Zeit für Beethoven und für ihn vielleicht gekommen ist. Er will Mut fassen, will das Heiligtum berühren und seinen jungen Herrn und Gebieter durch den schlummernden Wohllaut erfreuen.

Er setzt sich hin und fängt an zu spielen. Er ist ganz unsicher und benommen, aber er tastet sich durch ein paar Takte hindurch, sucht den richtigen Klang zu finden, runzelt die Stirn, beginnt von neuem – und bedeckt dann das Gesicht mit den Händen und fängt bitterlich an zu weinen.

Ja, liebe Frau Musika, es ist hart für ihn. Das Heiligtum ist ja kein Heiligtum. Es liegen keine klaren, hellen Töne darinnen und träumen, da ist kein dumpfer, mächtiger Donner, kein gewaltig brausender Orkan. Nichts von dem unendlichen Wohllaut, der die Luft des Paradieses durchströmte, ist dort zurückgeblieben. Es ist ein altes klapperiges Klavier und nichts weiter.

Da aber gibt Frau Musika dem klugen Oberst einen Wink. Er nimmt Ruster mit; sie gehen in den Kavalierflügel und holen Löwenbergs Tisch mit den gemalten Tasten.

»Sieh hier, Löwenberg!« sagt Beerencreutz, als sie zurückkehren. »Da hast du dein Klavier, spiel jetzt Gösta etwas vor.«

Da versiegen Löwenbergs Tränen, er setzt sich hin und spielt seinem jungen, betrübten Freunde Beethoven vor. Jetzt sollte er schon wieder froh werden.

In dem Kopf des alten Mannes klingen die lebhaftesten Töne. Er kann nicht anders glauben, als daß Gösta hört, wie gut er heute abend spielt. Jetzt hat er alle Schwierigkeiten überwunden. Er führt seine Läufe und Triller ohne die geringste Beschwerde aus. Er wünschte, daß der Meister selber ihn hören könnte.

Je länger er spielt, je mehr steigert sich seine Begeisterung. Er hört jeden einzelnen Ton mit überirdischer Stärke.

»Leid, Leid,« spielt er, »weshalb sollte ich dich nicht lieben? Weil deine Lippen kalt sind und deine Wangen bleich, weil deine Umarmung erstickt, deine Blicke versteinern?«

»Leid, Leid, du bist eine jener stolzen, schönen Frauen, deren Liebe schwer zu gewinnen ist, die aber stärker brennt als die aller andern. Du Verstoßene, ich legte dich an mein Herz und liebte dich. Ich liebkoste dich, bis die Kälte aus deinen Gliedern entwich, und deine Liebe hat mich mit Glückseligkeit erfüllt.

»Ach, wie habe ich gelitten! Ach, wie habe ich mich gesehnt, seit ich die verlor, die ich zuerst geliebt! Es war finstere Nacht in mir, finstere Nacht um mich her. Ich lag versunken im Gebet, in endlosen, unerhörten Gebeten. Der Himmel war meinem langen Warten verschlossen. Kein guter Geist kam von der sternenübersäten Himmelswölbung herab, um mich zu trösten.

»Aber meine Sehnsucht zerriß den verschleiernden Vorhang. Du kamst zu mir herabgeschwebt auf einer Brücke von Mondstrahlen. Du kamst im Lichtglanz, Geliebte, und mit lächelnden Lippen. Frohe Genien umringten dich. Sie trugen Kränze von Rosen. Sie spielten auf der Zither und der Flöte. Es war eine Seligkeit, dich zu schauen.

»Aber du verschwandest, du verschwandest! Und es gab keine Brücke und keine Mondstrahlen für mich, als ich dir folgen wollte. Auf der Erde lag ich, flügellos, an den Staub gebunden. Meine Klage war wie das Brüllen eines wilden Tiers, wie der polternde Donner des Himmels. Ich wollte dir den Blitz als Boten senden. Ich verfluchte die grüne Erde. Möge Feuer ihr Wachstum verzehren, Pest die Menschen ausrotten! Ich rief den Tod an und den Abgrund. Ich meinte, die Qualen im ewigen Feuer müßten Seligkeit sein gegen mein Ende.

»Leid, Leid, da war es, daß du mein Freund wurdest! Weshalb sollte ich dich nicht lieben, wie man diese stolzen, strengen Frauen liebt, deren Liebe schwer zu erringen ist, die aber stärker brennt als die anderer?«

So spielte er, der arme Mystiker. Er saß dort, strahlend vor Begeisterung, während die wunderbaren Töne vor seinen Ohren klangen, fest überzeugt, daß Gösta ihn auch hören und Trost finden müsse.

Gösta saß da und sah ihn an. Zuerst war er ärgerlich über diese neue Komödie, allmählich aber ward er milder. Er war unwiderstehlich, der Alte, wie er dasaß und seinen Beethoven genoß. Und Gösta mußte daran denken, daß auch dieser Mann, der jetzt so sanft und sorglos war, in Leid versenkt gewesen, daß auch er die Geliebte verloren hatte. Und nun saß er dort, strahlend heiter, an seinem hölzernen Tisch. Es bedurfte also nicht mehr, um einen Menschen glücklich zu machen.

Er fühlte sich gedemütigt. Gösta, sagte er zu sich selber, kannst du nicht mehr dulden und leiden? Du, der du dein Leben lang in Armut abgehärtet bist, du, der du jeden Baum im Walde, jeden Hügel auf dem Felde hast Entsagung und Geduld predigen hören, du, der du in einem Lande aufgewachsen bist, wo der Winter streng ist und der Sommer geizig, hast du die Kunst auszuharren denn ganz verlernt?

 

Ach, Gösta, ein Mann muß alles, was das Leben bietet, mit mutigem Herzen und lächelnden Lippen ertragen; sonst ist er kein Mann. Entbehre so viel du willst, wenn du die Geliebte verloren hast, so laß Gewissensbisse an deinem Innern nagen und zehren, zeige dich aber als Mann, als echter Wermländer! Laß deinen Blick vor Freude strahlen und begegne deinen Freunden mit fröhlichen Worten.

Das Leben ist hart, die Natur ist hart. Beide erzeugen sie Mut und Freude als Gegengewicht gegen ihre Härte, sonst würde es wohl niemand ertragen können.

Mut und Freude! Es ist, als seien diese beiden die ersten Pflichten des Lebens. Du hast sie bisher niemals verleugnet und darfst es auch jetzt nicht tun.

Bist du geringer als Löwenberg, der dort an seinem hölzernen Klavier sitzt, als alle die andern Kavaliere, die mutigen, die sorglosen, die ewig jungen? Du weißt ja, daß das Leid keinen von ihnen verschont hat.

Und dann sieht Gösta sie an. Ach, welch ein Anblick! Da sitzen sie alle ganz ruhig und ernsthaft und lauschen dieser Musik, die niemand hören kann.

Plötzlich wird Löwenberg durch ein munteres Lachen aus seinen Träumereien aufgeschreckt. Er hebt die Hände von den Tasten und lauscht ganz begeistert. Das ist Gösta Berlings altes Lachen, sein gutes, freundliches, ansteckendes Lachen. Das ist die schönste Musik, die der Alte in seinem ganzen Leben gehört hat.

»Wußte ich doch, daß Beethoven dir helfen würde, Gösta«, ruft er aus. »Nun bist du ja wieder genesen!«

So geschah es, daß die gute Frau Musika Gösta Berlings Melancholie heilte.