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Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland

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Liliencronas Heim

Unter den Kavalieren war einer, den ich oft als großen Musiker erwähnt habe. Er war ein hochgewachsener, grobknochiger Mann mit gewaltigem Kopf und schwarzem, buschigem Haar. Er war um diese Zeit sicher nicht mehr als vierzig Jahre, aber er hatte ein grobes Gesicht und ein gemessenes Wesen. Das machte, daß ihn viele für alt hielten. Er war ein guter Mann, aber schwermütig.

Eines Nachmittags nahm er seine Violine unter den Arm und verließ Ekeby. Er sagte niemand Lebewohl, und doch war es seine Absicht, nie wiederzukommen. Ihm ekelte vor dem Leben dort, seit er Gräfin Elisabeth in ihrem Unglück gesehen hatte. Er ging, ohne auszuruhen, den ganzen Abend und die ganze Nacht, bis er früh am Morgen um Sonnenaufgang an ein kleines Gehöft namens Löfdala kam, das ihm gehörte.

Es war so früh, daß dort noch kein Mensch wach war. Liliencrona setzte sich auf die grüne Wippe vor dem Hauptgebäude und betrachtete sein Eigentum. Großer Gott, ein schöneres Heim gab es doch nicht auf Gottes Erdboden. Der Rasen vor dem Hause war mit feinem, hellgrünem Gras bedeckt. Einen ähnlichen Rasen gab es nicht mehr. Die Schafe durften darauf grasen, und die Kinder tummelten sich dort mit ihrem Spielzeug, er hielt sich aber immer gleich dicht und grün. Er wurde niemals gemäht, aber mindestens einmal in der Woche ließ die Hausfrau alle Zweige, alles Stroh und alle welken Blätter von dem frischen Gras fegen. Er beschaute den Kiesweg vor dem Hause und zog plötzlich die Füße zurück. Die Kinder hatten ihn spät am Abend hübsch bunt geharkt, und seine großen Füße hatten in der feinen Arbeit eine wahre Zerstörung angerichtet. Wie doch auf diesem Fleck alles wuchs! Die sechs Ebereschen, die den Hofplatz bewachten, waren so hoch wie Buchen und hatten so breite Kronen wie Eichen. Solche Bäume hatte man sicher nie zuvor gesehen. Prächtig waren sie mit den dicken, von gelben Flechten überwucherten Stämmen und mit den großen weißen Blütentrauben, die aus dem dunklen Laub hervorragten. Er mußte an den Himmel und seine Sterne denken. Es war wirklich wunderbar, wie die Bäume dort wuchsen. Da stand eine alte Weide, so dick, daß zwei Männer sie nicht zu umspannen vermochten. Sie war jetzt hohl und geborsten, und der Blitz hatte ihr die Krone geraubt, aber sie wollte nicht sterben. Jeden Frühling sproßten frische grüne Büschel aus dem geknickten Hauptstamm auf, um zu zeigen, daß sie lebte.

Der Faulbaum an dem östlichen Giebel des Hauses war so groß geworden, daß er das ganze Haus überschattete. Das ganze mit Grassoden belegte Dach war weiß von den herabfallenden Blütenblättern, denn der Faulbaum hatte ausgeblüht. Und die Birken, die in kleinen Gruppen hier und da auf dem Felde wuchsen, für die war sein Gehöft sicher ein Paradies. Sie wuchsen dort auf so viele verschiedene Weisen, als hätten sie es sich vorgenommen, allen andern Bäumen nachzuäffen. Eine ähnelte einer Linde, dicht und blätterreich, mit einer großen Krone, eine andere stand schlank und pyramidenförmig da wie eine Pappel, wieder eine andere ließ die Zweige hängen wie eine Trauerweide. Nicht zwei waren sich gleich, aber schön waren sie alle.

Und dann erhob er sich und ging rund um das Haus herum. Dort lag der Garten so wunderbar schön, daß er stillstehen und tief aufatmen mußte. Die Apfelbäume blühten. Ja, das wußte er; das hatte er auch auf anderen Gütern gesehen. Es war nur der Unterschied, daß sie nirgends so blühten wie auf seinem Gut, wo er sie hatte blühen sehen, seit er ein kleiner Knabe war. Er ging mit gefalteten Händen und vorsichtigen Schritten die Kieswege auf und nieder.

Die Erde war weiß, und die Bäume waren weiß, hier und da mit einem blaßrosa Anflug. Etwas so Schönes hatte er nie zuvor gesehen. Er kannte jeden Baum, so wie man seine Geschwister und Spielkameraden kennt. Die Blüten der Winteräpfel waren ganz weiß, aber die Sommerapfelbäume blühten rosenrot, und die Paradiesäpfel hatten ganz rote Blüten. Am schönsten war der alte wilde Holzapfelbaum, dessen Früchte so bitter waren, daß niemand sie essen konnte. Der sparte nicht an Blumen, er glich einer großen Schneeschanze in der Morgensonne.

Bedenkt, daß es um die Morgenstunde war, ganz früh! Der Tau ließ die Blätter erglänzen, aller Staub war fortgespült. Über die waldbestandenen Hügel, an deren Fuß das Gehöft lag, kamen die ersten Sonnenstrahlen geschlichen. Es sah aus, als hätten sie die Tannenwipfel in Brand gesteckt. Über den frischen Kleewiesen, über den Roggen- und Gerstenfeldern und über den zarten Haferkeimen lag der leichteste Nebel, der zarteste Schönheitsschleier, und die Schatten fielen scharf wie im Mondenschein.

Und dann stand er stille und beschaute die großen Gemüsebeete zwischen den Gartenwegen. Er weiß, daß die Hausfrau diese Arbeit mit ihren Dienstmädchen verrichtet hat. Sie haben gegraben, geharkt, gejätet, gedüngt und die Erde bearbeitet, bis sie fein und leicht geworden ist. Wenn sie das Beet geglättet und die Kanten abgestochen haben, nehmen sie Schnüre und Pflöcke und grenzen Streifen und Vierecke ab. Dann haben sie die Gänge mit munteren Schritten zurechtgetreten und gesät und gepflanzt, bis alle Streifen und Vierecke voll waren. Und die Kinder sind mit dabeigewesen und waren eitel Freude und Eifer, weil sie helfen durften, obwohl es eine schwere Arbeit für sie gewesen ist, krumm zu stehen und die Arme über die breiten Beete zu strecken. Und unglaublich vielen Nutzen haben sie gestiftet, wie ein jeder begreifen wird.

Jetzt fangen die Pflanzen an zu sprossen.

Gott segne sie! Wie keck sie dastanden, die Erbsen wie die Bohnen mit ihren zwei dicken Keimblättern, und wie gerade und hübsch die gelben Wurzeln und die Rüben aufgelaufen sind! Am lustigsten waren die kleinen, krausen Petersilienblätter, die die Erddecke ein ganz klein wenig in die Höhe hoben und noch ein Weilchen Versteck mit dem Leben spielten.

Und hier war ein kleines Beet, wo die Streifen nicht so gerade liefen und wo die kleinen Vierecke aussahen wie eine Probekarte von allem, was gepflanzt und gesät werden konnte. Das war der Garten der Kinder.

Und Liliencrona preßte schnell die Violine gegen das Kinn und begann zu spielen. Die Vögel in dem großen Gebüsch, das den Garten gegen den Nordwind schützte, fingen an zu singen. Es war allen Wesen, die mit einer Stimme begabt waren, ganz unmöglich zu schweigen, so schön war der Morgen. Der Bogen ging ganz von selber.

Liliencrona ging im Garten auf und nieder und spielte. »Nein,« dachte er, »einen schöneren Fleck Erde gibt es nicht.« Was war Ekeby gegen Löfdala? Sein Heim war mit Grassoden gedeckt und war nur ein Stockwerk hoch. Es lag am Waldesrande, den Berg dicht hinter sich und das lange Tal vor sich. Es war nichts Bemerkenswertes dort: da war kein See, kein Wasserfall, da gab es keine Strandwiesen und Parks, aber schön war es doch. Es war schön, weil es ein gutes, friedliches Heim war. Das Leben war dort leicht zu leben. Alles, was anderwärts Bitterkeit und Haß erzeugt haben würde, wurde dort durch Milde ausgeglichen. So sollte es in jedem Hause sein.

Und drinnen im Hause liegt die Hausfrau und schläft in einem Zimmer, das nach dem Garten hinaus wendet. Sie erwacht plötzlich und lauscht, aber sie rührt sich nicht. Sie liegt lächelnd da und lauscht. Dann kommt die Musik näher und näher und schließlich ist es, als sei der Spielmann unter ihrem Fenster stehengeblieben. Es ist nicht das erstemal, daß sie Violinspiel unter ihrem Fenster gehört hat. Ihr Mann pflegt auf diese Weise zu kommen, wenn sie drüben in Ekeby einen ungewöhnlich wilden Streich ausgeführt haben.

Er steht dort und beichtet und bittet um Verzeihung. Er erzählt ihr von den bösen Mächten, die ihn von dem fortlocken, was er am heißesten liebt: von ihr und den Kindern. Aber er liebt sie! Ja, wahrlich, er liebt sie.

Während er spielt, steht sie auf und kleidet sich an, ohne eigentlich zu wissen, was sie tut. Sie ist so ganz von seinem Spiel erfüllt.

»Es ist nicht Luxus, nicht Wohlleben, das mich fortgelockt hat,« spielt er, »nicht Liebe zu andern Frauen, nicht Ehre, sondern die verlockende Vielfältigkeit des Lebens: seine Schönheit, seine Bitterkeit, seinen Reichtum muß ich um mich fühlen. Aber nun habe ich genug davon, jetzt bin ich satt und müde. Ich will mein Heim nicht mehr verlassen. Verzeih mir, hab Nachsicht mit mir!«

Da zieht sie die Gardine zur Seite und öffnet das Fenster, und er sieht ihr schönes, gutes Gesicht.

Sie ist gut und sie ist klug. Ihr Blick fällt segnend wie der Blick der Sonne auf alles, was ihr in den Weg kommt.

Sie lenkt und sie behütet. Wo sie ist, muß alles wachsen und gedeihen. Sie trägt das Glück in sich.

Er schwingt sich auf das Fensterbrett zu ihr und ist glücklich wie ein Liebender.

Dann hebt er sie hinab in den Garten und trägt sie unter die Apfelbäume. Dort erklärt er ihr, wie schön alles ist und zeigt ihr die Blumenbeete und die Pflanzungen der Kinder und die kleinen, lustigen Petersilienblätter.

Als die Kinder erwachen, entsteht ein Jubel und ein Entzücken über die Heimkehr des Vaters. Sie belegen ihn ganz mit Beschlag. Er muß all das Neue und Merkwürdige in Augenschein nehmen. Das kleine Mühlwerk, das sie sich am Bach gemacht haben, das Vogelnest im Weidenbaum und die jungen Karauschen im Teich, die zu Tausenden dicht unter dem Wasserspiegel schwimmen.

Und dann machen der Vater, die Mutter und alle Kinder einen langen Spaziergang durch die Felder. Er muß sehen, wie dicht der Roggen steht, wie der Klee wächst, wie die Kartoffeln anfangen, ihre krausen Blätter aus dem Boden zu stecken.

Er muß die Kühe sehen, die vom Felde heimkehren, muß die Neugeborenen in der Kälberkoppel und im Schafstall begrüßen, nach Eiern suchen und allen Pferden Zucker geben.

Die Kinder hängen den ganzen Tag an seinen Rockschößen. Keine Schule, keine Arbeiten – nur Umherstreifen mit dem Vater!

Am Abend spielt er ihnen Polkas vor, und den ganzen Tag ist er ihnen ein so guter Freund und Spielkamerad gewesen, daß sie mit dem Gebet entschlummern, der Vater möge doch stets bei ihnen bleiben.

 

Er bleibt auch ganze acht Tage und ist während der ganzen Zeit fröhlich wie ein Kind. Er ist in alles daheim verliebt, in seine Gattin, seine Kinder; er denkt gar nicht an Ekeby.

Aber dann kommt ein Morgen, an dem er fort ist. Er konnte es nicht länger ertragen – es war zu viel Glück für ihn. Ekeby war tausendmal geringer, aber Ekeby lag mitten in dem Wirbel der Begebenheiten!

Ach, wie viel war da, wovon er träumen, worüber er spielen konnte! Wie konnte er getrennt von den Taten der Kavaliere leben, getrennt von dem langen Löfsee, den die wilde Jagd des Märchens umbrauste?

Auf seinem Gut ging alles seinen ruhigen Gang. Alles wuchs und gedieh unter der Obhut der milden Hausfrau. Alle dort auf dem Hofe gingen in einem stillen Glück umher. Alles, was anderwärts Bitterkeit und Streit hervorgerufen hätte, ging hier ohne Klage und Schmerz. Alles war, wie es sein sollte. Wenn nun der Herr des Hauses sich einmal danach sehnte, als Kavalier auf Ekeby zu leben, was dann? Kann es vielleicht nützen, sich über die Sonne des Himmels zu beklagen, weil sie an jedem Abend im Westen verschwindet und die Erde im Finstern zurückläßt?

Was ist unbezwinglich außer der Unterwürfigkeit! Was ist siegesgewiß außer der Geduld!

Die Hexe vom Hochgebirge

Die Hexe vom Hochgebirge ist an die Ufer des Löfsees hinabgekommen. Man hat sie dort gehen sehen, klein, rundrückig, im Fellkittel und mit silberbeschlagenem Gürtel. Weshalb ist sie aus den Wolfshöhlen in die Behausungen der Menschen hinabgekommen? Was sucht die Alte aus den Bergen in den grünen Tälern?

Sie geht betteln! Sie ist auf Gaben erpicht trotz ihres Reichtums. In den Bergschluchten hat sie große, weiße Silberbarren versteckt, und auf saftigen Wiesen tief drinnen zwischen den Bergen grasen ihre großen Herden von schwarzen, goldgehörnten Kühen. Und doch geht sie in Holzschuhen und in einem fettigen Pelzwams, dessen bunte Kante eben noch zu erkennen ist, durch den Schmutz der Jahrhunderte. Sie stopft ihre Pfeife mit Moos und bettelt von den Ärmsten. Der Teufel mag einem solchen Weibe geben, das nie dankt, das nie genug bekommt!

Alt ist sie. Wie lange ist es her, seit der helle Glanz der Jugend über dem breiten Gesicht mit der braunen Haut gelegen, die vor Fett glänzt, über der flachen Nase und den schmalen Augen, die unter dem Schmutz leuchten wie glühende Kohlen unter grauer Asche? Wie lange ist es her, seit sie als kleines Mädchen auf dem Zaun vor der Sennhütte saß und mit den Tönen ihres langen Horns dem Hirtenknaben Antwort auf seine Liebesmelodien sandte? Mehrere hundert Jahre hat sie gelebt. Die Ältesten können sich der Zeit nicht entsinnen, da sie nicht durchs Land ging. Ihre Väter haben sie alt gesehen, als sie selber noch jung waren. Und sie ist noch nicht tot! Ich, die ich dies schreibe, habe sie selbst gesehen.

Mächtig ist sie, die Tochter der zauberkundigen Finnen; sie beugt sich vor niemand. Ihre breiten Füße hinterlassen keine ängstlichen Spuren auf dem Kies des Weges. Sie beschwört den Hagel herauf, sie lenkt den Blitzstrahl. Sie kann die Kühe irreleiten und die Wölfe auf die Schafe hetzen. Sie kann viel Böses tun, aber nur wenig Gutes. Es ist am besten, sich gut mit ihr zu stehen. Bettelt sie dir deine einzige Ziege ab, so gib sie ihr, sonst stürzt dein Pferd oder dein Haus brennt, sonst wird deine Kuh krank oder dein Kind stirbt, sonst bringt sie die sparsame Hausfrau um Sinn und Verstand.

Willkommen ist sie nie; und doch ist es am besten, sie mit lächelndem Munde zu empfangen. Wer weiß, um wessentwillen sie gekommen ist! Ihr Zweck besteht nicht allein darin, sich ihren Bettelsack füllen zu lassen. Böse Vorbedeutungen folgen ihr auf den Fersen; Füchse und Wölfe heulen unheimlich in der Dämmerstunde, und das ekelhafte rote und schwarze Gewürm, das Eiter speit, kommt aus den Wäldern und kriecht bis an die Türschwelle.

Stolz ist sie. Ihr Kopf umschließt der Väter mächtige Weisheit. So etwas erhebt den Sinn. Starke Runen sind in ihren Stab geritzt; sie verkauft ihn nicht um alles Gold des Tals. Zauberlieder kann sie singen, Zaubertränke kann sie brauen, sie kann Zauberschüsse über den See abfeuern und Sturmknoten schürzen.

Was denkt sie, die aus der Finsternis der Wälder, von dem gewaltigen Hochgebirge herabkommt, was denkt sie von den Leuten im Tal? Für sie, die an Thor glaubt, an den Riesentöter und die mächtigen Finnengötter, sind die Christen dasselbe, was zahme Hofhunde den Wölfen sind. Doch kommt sie häufig von den Bergen herab, um sich ihre Zwergsitten anzuschauen. Die Menschen schaudern vor Entsetzen, wenn sie sie sehen; aber die starke Tochter der Wildnis geht sicher zwischen ihnen dahin, sicher bei ihrem Entsetzen. Die Heldentaten ihres Stammes sind nicht vergessen, so wenig wie ihre eigenen. Wie die Katze sich auf ihre Krallen verläßt, so verläßt sie sich auf die Weisheit ihres Gehirns und auf die Kraft, die in den Zaubergesängen der Götter liegt. Kein König ist seiner Macht sicherer als sie des Schreckensreiches, über das sie herrscht.

So ist die Hexe durch viele Ortschaften gewandert. Jetzt ist sie nach Borg gekommen, und sie zaudert nicht, das Grafenschloß zu besuchen. Durch die Küche geht sie nur selten. Sie steigt geradeswegs die Terrassenstufen hinan, sie setzt ihren breiten Holzschuh auf die blumenumhegten Kieswege, so ruhig, als wandere sie den Sennpfad hinan.

Und es trifft sich gerade so, daß Gräfin Märta auf die Terrasse hinausgetreten ist, um sich an der Pracht des Junitages zu erfreuen. Auf dem Kiesgange unterhalb der Treppe sind gerade zwei Mädchen auf dem Wege zum Vorratshause stehengeblieben. Sie kommen aus der Räucherkammer, wo der Speck im Rauch hängt, und tragen die frischgeräucherten Schinken auf einer Stange zwischen sich. »Will die gnädige Frau Gräfin die Schinken einmal besehen und riechen, ob sie stark genug geräuchert sind?« fragt eins der Mädchen.

Gräfin Märta, die zurzeit Hausfrau in Borg ist, beugt sich über das Treppengeländer und betrachtet den Speck, aber im selben Augenblick legt die Finnin die Hand auf einen der Schinken.

Ei, seht doch diese braune, glänzende Schwarte, diese dicke Fettschicht! Dieser frische Duft von Wacholderzweigen, der dem Schinken entströmt! Das ist ein Festschmaus für Götter! Den muß die Hexe haben! Sie legt ihre Hand auf die Speckseiten.

Die Tochter der Berge kennt kein Bitten oder Betteln. Ist es nicht die Folge ihrer Gnade, daß die Kräuter wachsen, daß die Menschen leben? Frost und Unwetter und Hochflut – alles vermag sie zu senden. Deswegen geziemt es sich nicht für sie, zu bitten oder zu betteln. Sie legt ihre Hand auf das, was sie wünscht, und es gehört ihr.

Aber Gräfin Märta weiß nichts von der Macht der Alten. »Weg mit dir, du Bettelweib!« ruft sie.

»Gib mir den Schinken!« sagt die Wolfsreiterin aus dem Hochgebirge.

»Sie ist verrückt!« ruft die Gräfin und befiehlt den Mägden, mit ihrer Last ins Vorratshaus zu gehen.

Die Augen der Hundertjährigen flammen vor Zorn und Begierde. »Gib mir den braunen Schinken,« ruft sie, »oder es wird dir übel ergehen!«

»Lieber gebe ich ihn den Elstern als so einer wie dir!«

Da erbebt die Alte vor Zorn. Sie hebt ihren Stab mit den Runen in die Höhe und schwingt ihn wild. Ihre Lippen stoßen wunderliche Worte aus. Das Haar steht ihr zu Berge, die Augen sprühen Funken, ihr Antlitz verzerrt sich.

»Dich selbst sollen die Elstern fressen!« schreit sie schließlich.

Und dann geht sie, Flüche murmelnd und den Stab schwingend. Sie wendet ihre Schritte heimwärts; weiter nach Süden wandert sie nicht. Jetzt hat die Tochter der Wildnis den Zweck erfüllt, um dessentwillen sie aus den Bergen herabgestiegen ist.

Gräfin Märta bleibt auf der Gartentreppe stehen und lacht über ihr verrücktes Gebaren, aber das Lachen soll gar bald auf ihren Lippen verstummen. Denn da kommen sie! Sie kann ihren eigenen Augen nicht trauen. Sie glaubt, daß sie träumt, aber da kommen sie, die Elstern, die sie fressen sollen.

Aus Park und Garten kommen sie auf sie herabgesaust, Elstern zu Dutzenden mit ausgestreckten Klauen und gierigen Schnäbeln, bereit, auf sie einzuhauen. Sie kommen mit Lärmen und Schreien. Schwarze und weiße Flügel flimmern vor ihren Augen. Sie sieht wie im Schwindel hinter diesem Schwarm alle Elstern aus der ganzen Gegend heranfliegen, sieht den ganzen Himmel voll schwarzer und weißer Flügel. Die Metallfarben der Federn schimmern in der scharfen Mittagssonne. Die Schwanzfedern brausen wie bei kämpfenden Raubvögeln. In dichteren und dichteren Kreisen umfliegen die Ungetüme die Gräfin und zielen mit Schnabel und Krallen nach ihrem Gesicht. Sie muß auf die Diele fliehen und die Tür hinter sich schließen. Sie taumelt gegen die geschlossene Tür, atemlos vor Angst, während die schreienden Elstern draußen flattern und fliegen.

Damit war sie aber abgeschlossen von der lichten Schönheit des Sommers, von allen Freuden des Lebens. Für sie gab es hinfort nichts mehr als geschlossene Türen und herabgelassene Rouleaus, für sie gab es nur Verzweiflung, Angst, Verwirrung, die an Wahnsinn grenzte.

Auch diese Erzählung mag wie Wahnsinn erscheinen, aber wahr muß sie doch wohl sein. Es leben Hunderte von alten Leuten, die die Geschichte kennen und bezeugen wollen, daß die Sage so lautet.

Die Vögel ließen sich auf dem Geländer der Terrasse und auf dem Dache nieder. Sie saßen da, als warteten sie nur darauf, daß die Gräfin sich zeigen sollte, um sich über sie zu stürzen. Sie schlugen ihre Wohnung im Park auf und da blieben sie. Es war unmöglich, sie vom Hof zu verjagen. Schoß man auf sie, so ward es nur schlimmer, denn für jede, die fiel, kamen zehn neue geflogen. Zuweilen entfernten sich wohl große Scharen, um Futter zu schaffen, aber es blieben stets zuverlässige Schildwachen zurück. Wenn sich Gräfin Märta nur zeigte, wenn sie nur zu einem Fenster hinaussah oder die Gardine einen Augenblick zur Seite zog, wenn sie es nur versuchte, auf die Treppe hinauszugehen, gleich waren sie da. Der ganze fürchterliche Schwarm kam mit lärmendem Flügelschlag auf das Wohnhaus zugefahren, und die Gräfin mußte in ihr innerstes Zimmer fliehen.

Sie hielt sich im Schlafzimmer hinter dem roten Saal auf. Ich habe das Zimmer oft beschreiben hören, so wie es in dieser Schreckenszeit aussah, als Borg von Elstern belagert war. Schwere Vorhänge vor Türen und Fenstern, dicke Teppiche auf dem Fußboden, schleichende, flüsternde Menschen!

Im Herzen der Gräfin wohnte der leichenblasse Schrecken. Ihr Haar war ergraut. Ihre Haut war voller Runzeln. In einem Monat war sie eine alte Frau geworden. Sie konnte ihr Herz nicht stählen gegen diesen entsetzlichen Zauber. Laut schreiend fuhr sie aus ihren nächtlichen Träumen auf, in dem Wahn, daß die Elstern über sie herstürzten. Sie weinte den ganzen Tag über dies Schicksal, dem sie nicht entgehen konnte. Sie scheute die Menschen aus lauter Angst, daß der Vogelschwarm jedem Eintretenden auf den Fersen folgen würde, und saß gewöhnlich stumm da, die Hände vor dem Gesicht, sich in ihrem Lehnstuhl hin- und herwiegend, krank und verstimmt durch die eingeschlossene Luft, um dann plötzlich mit Schreien und Klagen aufzuspringen.

Keines Menschen Leben konnte härter sein. Wer wird die Ärmste nicht beklagen?

Ich habe jetzt nicht mehr viel von ihr zu erzählen, und das, was ich erzählt habe, ist nicht gut gewesen. Es ist mir fast, als schlüge mir das Gewissen. Sie war doch gutmütig und lebensfroh, als sie jung war, und viele ergötzliche Geschichten von ihr haben mein Herz erfreut, wenn sie hier auch keinen Platz gefunden haben.

Aber es geht so, obwohl diese Arme es nicht wußte, daß die Seele stets hungert. Von Tand und Spiel kann sie nicht leben. Bekommt sie keine andere Nahrung, so zerreißt sie gleich einem wilden Tier erst andere und dann sich selber.