Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

2. Die juristische Methode der Falllösung
2.1 Die Reihenfolge der rechtlichen Prüfung

12

Rechtsfälle handeln meist von Ansprüchen, schon in der Ausbildung und erst recht in der Prozesspraxis. Der Rechtsfall besteht aus einem – unstreitigen oder streitigen – Sachverhalt und wirft die Frage auf, wer was von wem verlangen darf. Ein Anspruch kann mehrere Rechtsgrundlagen haben, also prüft man sie alle, wegen der unterschiedlichen Reichweite und Stärke aber in folgender Reihenfolge:


- Ansprüche aus Vertrag, entweder auf Vertragserfüllung oder auf Schadensersatz wegen Vertragsverletzung;
- Ansprüche aus vertragsähnlicher Beziehung nach §§ 122, 179, 683 und aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen nach §§ 280 I 1, 311 II;
- dingliche Ansprüche aus §§ 861 f., 985, 987 ff., 1007, 1004;
- Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Gefährdungshaftung nach §§ 823 ff.;
- Bereicherungsansprüche nach §§ 812 ff.

Der Vertrag steht deshalb an erster Stelle, weil er spezieller ist als das Gesetz und die gesetzlichen Ansprüche beschränken oder gar ausschließen kann. Der dingliche Anspruch ist oft stärker als der außervertragliche schuldrechtliche, der deliktische Anspruch stärker als der Bereicherungsanspruch.

Bild 5: Die Methode der Falllösung


[Bild vergrößern]

Sind mehrere Anspruchsgrundlagen nebeneinander anwendbar, begründen sie in der Regel auch mehrere selbstständige Ansprüche; man nennt dies Anspruchskonkurrenz[10].

Von Gesetzeskonkurrenz spricht man, wenn die eine Anspruchsgrundlage, weil sie spezieller ist, die andere ausschließt[11].

Jeden einzelnen Anspruch prüft man in fünf Schritten:


- Ist der Anspruch entstanden (Anspruchsgrundlage)?
- Ist der Anspruch, obwohl alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ausnahmsweise nicht entstanden (anspruchshindernde Gegennormen)?
- Ist der entstandene Anspruch erloschen (anspruchsvernichtende Gegennormen)?
- Ist der entstandene Anspruch gehemmt und deshalb nicht oder nur beschränkt durchsetzbar (anspruchshemmende Gegennormen)?
- Ist der Anspruch, obwohl alle Voraussetzungen einer Gegennorm erfüllt sind, ausnahmsweise voll erhalten geblieben (anspruchserhaltende Ausnahme von der Gegennorm)?

Dass der Jurist alle Anspruchsgrundlagen, die auch nur entfernt in Betracht kommen, prüfen soll, heißt nicht, er müsse auch leeres Stroh dreschen. Überflüssige Prüfungen sind vielmehr falsch. So ist es in aller Regel überflüssig, nach einem Verkehrsunfall neben den §§ 7, 18 StVG auch noch § 823 heranzuziehen, denn § 823 gibt auch nicht mehr als die §§ 7, 18 StVG, verlangt aber mehr, nämlich ein Verschulden des Anspruchsgegners.

2.2 Der Prozessfall

13

Die ZPO verteilt die Prozessarbeit klug auf Parteien und Gericht. Die Parteien sind für den Lebenssachverhalt, der aus Tatsachen besteht, zuständig, das Gericht für die Rechtsanwendung: Es prüft, ob die Klage zulässig und begründet sei.

Bild 6: Die Arbeitsteilung im Zivilprozess


[Bild vergrößern]

Die Klage ist zulässig, wenn sie die Prozessvoraussetzungen erfüllt, welche ZPO und GVG aufstellen. Die unzulässige Klage wird durch Prozessurteil abgewiesen[12].

Die zulässige Klage ist begründet, wenn dem Kläger der Anspruch, den er mit der Klage verfolgt, nach materiellem Recht zusteht. Er steht ihm dann zu, wenn er wenigstens eine Anspruchsgrundlage vollständig mit passenden Tatsachen ausfüllt und diese Tatsachen unstreitig oder bewiesen sind. Im Prozess prüft das Gericht, bevor es Beweis erhebt, die Schlüssigkeit der Klagebehauptungen. Denn wenn schon die Behauptungen des Klägers die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen, helfen auch die schönsten Beweise nichts, die Klage ist unbegründet, ohne dass es noch auf die Verteidigung des Beklagten ankäme. Die schlüssig begründete Klage hingegen ist ohne Beweisaufnahme begründet, wenn der Beklagte ihr nichts Brauchbares entgegensetzt, weder die eine oder andere Klagebehauptung bestreitet noch eine schlüssige Einwendung erhebt. Beweis erhebt das Gericht nur über streitige, entscheidungserhebliche Parteibehauptungen[13].

Die Beweisaufnahme kann gelingen oder scheitern. Entweder ist die streitige Tatsache bewiesen, oder sie ist es nicht. Entweder stützt das Gericht seine Entscheidung gemäß § 286 I ZPO auf die bewiesene Tatsache, oder es entscheidet gegen die Partei, welche nach materiellem Recht die streitige Tatsache hätte beweisen müssen, aber nicht bewiesen hat (RN 20 ff.).

3. Die Auslegung des Gesetzes
3.1 Die Auslegungsmethoden

14

Gesetze sind Texte und bestehen aus Wörtern und Sätzen. Die Sprache aber deckt sich weder mit den Gedanken, die sie in Worte fassen, noch mit den Dingen, die sie bezeichnen soll. Und sie ist ständigem Wandel unterworfen. Ein Gesetz auslegen heißt, den rechtlichen Gehalt des Gesetzestextes erforschen. Juristen unterscheiden eine ganze Reihe von Auslegungsmethoden: die sprachliche, die systematische, die historische und die teleologische. Diese Methoden stehen aber nicht zur beliebigen Auswahl, sondern führen nur gemeinsam zum Ziel. In der Praxis freilich bestimmt oft das gewünschte Auslegungsergebnis die Auslegungsmethode.

Am Anfang steht das Wort. Jede Auslegung beginnt mit dem Wortlaut[14]: den Sprachregeln der Grammatik, dem allgemeinen Sprachgebrauch und den Eigenheiten der juristischen Fachsprache. Gesetzliche Definitionen sind verbindlich (§§ 121 I 1, 122 II, 276 II, 434, 435, 633 II, III). Je klarer der Wortsinn, desto geringer die Freiheit der Auslegung[15]. Freilich gibt es keinen Text, der sprachlich für alle Zeiten exakt das ausdrückt, was er ausdrücken soll.

Die systematische Auslegung erforscht den Bedeutungszusammenhang mehrerer Texte. Jede Rechtsnorm hängt rechtlich mit anderen zusammen, und dieser Zusammenhang erschließt ihren Sinngehalt. Die verfassungskonforme Auslegung ist das markanteste Beispiel. Das BGB steht nicht mehr für sich allein, sondern auf dem Fundament des höherrangigen Grundgesetzes, dessen Wertordnung alle Staatsgewalten bindet. Das BGB ist, gewissermaßen optisch, „im Lichte“ des Grundgesetzes so auszulegen, dass die Grundwerte der Verfassung sich auch im Zivilrechtsverkehr durchsetzen (RN 10)[16].

Die historische Auslegung fahndet nach dem Willen des Gesetzes. Freilich hat es wenig Sinn, den Willen des modernen Gesetzgebers zu erforschen. Dieser Wille zählt nur, soweit er sich im Wortlaut des Gesetzes kundtut[17]. Letztlich fahndet man nach dem objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes[18]. Die Gesetzesmaterialien liefern wichtige Hinweise.

Gleichermaßen beliebt wie gefährlich ist die teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes (ratio legis)[19]. Sie unterstellt, dass jede Rechtsnorm nicht nur ihren speziellen Zweck verfolge, sondern auch Bestandteil einer zweckmäßigen und gerechten Gesamtregelung sei, und entscheidet sich im Zweifel für diejenige Auslegung, die im Zusammenhang der Rechtsordnung am vernünftigsten, zweckmäßigsten und gerechtesten erscheint[20]. Die Versuchung ist groß, den gesuchten Gesetzeszweck selbst in die Rechtsnorm hineinzulegen, um ihn dann als vernünftig und gerecht wieder herauszulesen[21].

3.2 Die richterliche Rechtsfortbildung

15

Stößt der Richter auf eine Gesetzeslücke, darf er die Entscheidung nicht einfach verweigern, weil sein Fall gesetzlich nicht geregelt sei, sondern muss gemäß Art. 20 III GG selbst das Recht finden[22]. Voraussetzung freilich ist eine planwidrige Lücke[23], denn geplante Lücken sind zu respektieren. Das Gesetz kann von Anfang an lückenhaft sein oder durch wirtschaftliche, soziale oder technische Veränderungen nachträglich lückenhaft werden[24]. Durch ergänzende Gesetzesauslegung denkt der Richter die unvollständige gesetzliche Regelung zu Ende und schließt die Lücke aus dem Geiste des Gesetzes. In diesem engen Rahmen ist die richterliche Rechtsfortbildung auch verfassungsrechtlich unbedenklich[25]. Dagegen darf sie weder eine vollständige gesetzliche Regelung überspielen noch die Grundwerte der Verfassung missachten.[26]

 

Das klassische Mittel der Rechtsfortbildung ist die Analogie: die entsprechende Anwendung des Gesetzes auf einen Fall, den es planwidrig nicht erfasst[27]. Sie tritt in zwei Formen auf: als Gesetzes- und als Rechtsanalogie. Die Gesetzesanalogie besteht aus der entsprechenden Anwendung einer einzelnen Rechtsnorm, die Rechtsanalogie aus der entsprechenden Anwendung mehrerer gleichartiger Vorschriften.

Das Erst-recht-Argument (argumentum a majore ad minus) besagt: Gilt die Rechtsnorm für den einen Fall, dann erst recht für den anderen, der den Gesetzeszweck noch besser erfüllt[28].

Die teleologische Reduktion wendet eine Rechtsnorm gegen ihren Wortlaut nicht an oder schränkt sie ein. Und der Umkehrschluss argumentiert: Wenn das Gesetz eine Rechtsfolge an einen bestimmten Tatbestand knüpft, gilt es für andere Tatbestände auch dann nicht, wenn sie ähnlich sind[29].

5. Kapitel Der Anspruch

1. Das System des Zivilrechts

16

Das Zivilrecht lässt sich – im Großen und Ganzen – als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen, von Regeln und Ausnahmen begreifen. Was im Zivilrecht Regel ist und was Ausnahme, bestimmt die gesetzliche Beweislast: Der Anspruchsteller muss die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs beweisen, der Anspruchsgegner die tatsächlichen Voraussetzungen der Gegennormen, die den Anspruch verhindern, auslöschen oder hemmen; es sind dies die Einwendungen und Einreden des materiellen Rechts (RN 22).

Anspruchsgrundlage, Einwendung und Beweislast bilden so das Rückgrat des BGB und des gesamten Zivilrechts.

Die gesetzlichen Beweislastregeln sind, auch wenn sie erst im Prozess wirksam werden, Bestandteile des materiellen Rechts (RN 22).

Dieses System gilt nicht nur für Ansprüche, sondern auch für alle anderen subjektiven Rechte.

2. Das subjektive Recht

17

Das Zivilrecht ist objektives Recht, besteht aus Rechtsnormen, die für alle gelten, und regelt die privaten Rechtsbeziehungen zwischen Personen. Daraus entstehen subjektive Rechte und Pflichten. Subjektiv nennt man das Recht des Einzelnen, seine Rechtsmacht zur Befriedigung persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen. Ohne subjektive Rechte gäbe es keine Selbstbestimmung (Art. 2 I GG). Man unterscheidet vier Arten: Persönlichkeitsrechte, Sachenrechte, Gestaltungsrechte und Ansprüche.

Zur Kategorie der Persönlichkeitsrechte gehören das Namensrecht (§ 12) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die Rechtsprechung aus Art. 1, 2 GG ableitet und als „sonstiges Recht“ nach § 823 I schützt.

Sachenrechte (dingliche Rechte) verleihen eine unmittelbare rechtliche Herrschaft über eine Sache. Gesetzliches Vorbild ist das Eigentum. Nach § 903 S. 1 darf der Eigentümer mit seinen Sachen machen, was er will, und Dritte von ihnen völlig ausschließen. Die anderen Sachenrechte vom Nießbrauch bis zur Grundschuld sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie berechtigen zur ausschließlichen Nutzung oder Verwertung einer fremden Sache. Sachenrechte wirken absolut, weil jeder sie respektieren muss und das Gesetz sie nach allen Seiten schützt (§§ 985, 1004 I, 823 I).

Gestaltungsrechte berechtigen dazu, die Rechtslage durch bloße Willenserklärung unmittelbar zu ändern. Durch Anfechtung kann man seine fehlerhafte Willenserklärung rückwirkend vernichten (§ 142), durch Rücktritt sich von einem Verpflichtungsvertrag lösen (§ 349), durch Kündigung ein Dauerschuldverhältnis wie Miet-, Dienst- oder Gesellschaftsverhältnis beenden (§§ 573, 626, 723).

3. Der Anspruch des BGB

18

§ 194 I definiert den Anspruch verbindlich als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, regelt die Verjährung und steht im Allgemeinen Teil des BGB, weil es nicht nur schuldrechtliche, sondern auch sachenrechtliche (dingliche), familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche gibt. Der schuldrechtliche Anspruch, von dem dieses Buch zum größten Teil handelt, heißt nach § 241 I Forderung.

Der Anspruch beherrscht das Zivilrecht dermaßen, dass es sich – cum grano salis – als ein System von Anspruchsgrundlagen und Gegennormen darstellt. Zivilrechtsnormen begründen Ansprüche oder schließen Ansprüche aus. Gesetzestechnisch ist die Anspruchsgrundlage der gesetzliche Normal- oder Regelfall, die Gegennorm die gesetzliche Ausnahme. Freilich gehört die Mehrzahl aller BGB-Vorschriften weder zu der einen noch zu der anderen Kategorie, sondern zu den Hilfsnormen, die entweder Anspruchsgrundlagen oder Gegennormen ergänzen und sich so zwanglos in das Anspruchssystem einfügen.

Unbestreitbar regelt das Schuldrecht von vorne bis hinten Ansprüche. Sein Thema ist das Schuldverhältnis. Das Schuldverhältnis aber besteht nach § 241 I hauptsächlich aus der Forderung des Gläubigers und der Verpflichtung des Schuldners. Die Forderung ist der schuldrechtliche Anspruch und die Verpflichtung die Kehrseite der Forderung, denn was der Gläubiger fordern darf, soll der Schuldner leisten und umgekehrt. Ob man das Schuldrecht als ein System von Forderungen oder von Verpflichtungen begreift, ist gehopst wie gesprungen. Das BGB handelt durchweg von Verpflichtungen und formuliert die §§ 433, 535, 611, 631, 812, 823 als Verpflichtungsgrundlagen. Die Praxis hingegen denkt in der Kategorie des Anspruchs und sieht in den zitierten Bestimmungen Anspruchsgrundlagen. Der Grund liegt im Prozessrecht. Mit der Leistungsklage verfolgt der Kläger einen Anspruch und das prägt den Prozess. Das Gericht prüft, ob der Kläger vom Beklagten die begehrte Leistung fordern dürfe. Genauso gut könnte es fragen, ob der Beklagte dem Kläger zu der geforderten Leistung verpflichtet sei.

Im Allgemeinen Teil des BGB, der auch Gegenstand dieses Buches ist, sind die Ansprüche freilich dünn gesät (§§ 12, 27 III, 31, 31a, 31b, 53, 54 S. 2, 82, 89, 102, 122 I, 160, 179, 228 S. 2, 231). Aber den Allgemeinen Teil darf man nicht isoliert, sondern nur zusammen mit dem Schuld- und Sachenrecht lesen. Denn er formuliert vorweg die allgemeinen Regeln für Willenserklärung, Rechtsgeschäft und Vertrag. Sie aber sind das Fundament aller vertraglichen Ansprüche. Technisch handelt es sich um Hilfsnormen für die Anspruchsgrundlagen und Gegennormen des Schuld- und Sachenrechts.

Um diesen Zusammenhang sichtbar zu machen, beginnt dieses Lehrbuch nicht mit dem Rechtsgeschäft des Allgemeinen Teils, sondern mit dem Kauf des Besonderen Schuldrechts und mit der Anspruchsgrundlage des § 433. Methodisch führt der Weg vom Kaufvertrag als der Anspruchsvoraussetzung des § 433 über den Verpflichtungsvertrag des allgemeinen Schuldrechts (§§ 311 ff.) zum Vertrag des Allgemeinen Teils (§§ 145 ff.), der aus Willenserklärungen besteht (§§ 116 ff.) und ein Rechtsgeschäft ist (§§ 104 ff.). Das Rad der Rechtsgeschichte lässt sich freilich nicht zurückdrehen. Die große Leistung des BGB besteht darin, dass es allgemeine Regeln für alle Verträge formuliert und vor die Klammer gestellt hat. Vor dieser Klammer sollen sie auch bleiben. Das BGB ist aber kein Lehrbuch, sein Aufbau zwar logisch, aber schwer durchschaubar. Ein Lehrbuch hingegen soll den Stoff ungeniert so gliedern, dass der Leser die rechtlichen Zusammenhänge verstehen kann.

4. Der Anspruch im Rechtsstreit

19

Ein Blick in die ZPO und die Prozesspraxis bestätigt die Vorherrschaft des Anspruchs auch im Zivilprozess. Die ZPO kennt nur drei Klagearten: die Leistungs-, die Feststellungs- und die Gestaltungsklage. Die Leistungsklage, die auf eine Verurteilung des Beklagten zielt, verfolgt ausschließlich Ansprüche. Die Verurteilung besteht aus der rechtskraftfähigen Feststellung des Anspruchs und dem staatlichen Leistungsbefehl, der als Vollstreckungstitel die Zwangsvollstreckung rechtfertigt. Die Leistungsklage beherrscht den Zivilprozess. Feststellungs- und Gestaltungsklage spielen nur Nebenrollen. Die Feststellungsklage soll streitige Rechtsverhältnisse klären, ist nach § 256 I ZPO aber nur zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung hat. Dieses Interesse fehlt in der Regel schon dann, wenn der Kläger auf Leistung klagen kann. Die Gestaltungsklage ist einer Hand voll Gestaltungsrechten aus dem Sachen-, Erb- und Gesellschaftsrecht vorbehalten, die man ausnahmsweise nicht durch Willenserklärung, sondern nur durch Klage ausüben kann.

Wenn aber Anwälte in den meisten Prozessen über Ansprüche streiten und Richter über Ansprüche entscheiden, bewältigen sie diese Aufgabe nur, wenn sie das System der Anspruchsgrundlagen und Gegennormen kennen und die Beweislastregeln beherrschen.

6. Kapitel Die Behauptungs- und Beweislast

1. Das gesetzliche Fundament des Zivilrechts

20

Streitige Ansprüche verfolgt man mit der Leistungsklage nach den Regeln der ZPO im Zivilprozess vor dem Amts- oder Landgericht. Dort herrscht der ungeschriebene Beibringungsgrundsatz[30]: Das Gericht ermittelt den Sachverhalt, auf den es rechtlich ankommt, nicht von sich aus, sondern überlässt es den Parteien, die nötigen Tatsachen zu behaupten und im Streitfalle zu beweisen. Was eine Partei behaupten und beweisen muss, wenn sie den Prozess gewinnen will, sagt ihr die gesetzliche Behauptungs- und Beweislast. Sie trennt zwischen Anspruchsgrundlagen und Gegennormen. Im Zivilprozess denkt der Jurist in den Kategorien von Anspruch, Einwendung und Gegeneinwendung, von Regel, Ausnahme und Gegenausnahme. Das ist auch das didaktische Konzept dieses Buches.

2. Eine Last, keine Pflicht

Zu Recht spricht man nicht von einer Beweispflicht, sondern von einer Beweislast. Die Last oder Obliegenheit unterscheidet sich von der Verpflichtung durch die Rechtsfolge. Wer eine zivilrechtliche Verpflichtung verletzt, macht sich leicht schadensersatzpflichtig, weil er fremde Interessen stört. Wer hingegen eine Last oder Obliegenheit missachtet, verletzt nur sein eigenes Interesse und büßt dafür mit unmittelbarem Rechtsverlust. Klassisches Beispiel ist das Mitverschulden nach § 254 I einschließlich der „Schadensminderungspflicht“ nach § 254 II, die ihrem Namen zum Trotz auch nur eine Last oder Obliegenheit ist. Die Behauptungs- und Beweislast wirken genauso.

Die Behauptungslast ist die Last, im Prozess so viele Tatsachen zu behaupten, als man zum Prozesssieg braucht. Behauptet man zu wenig, ist die Klage oder Verteidigung rechtlich unbrauchbar und der Prozess verloren, bevor er richtig begonnen hat.

Die Beweislast ist die Last, für streitige, entscheidungserhebliche Behauptungen Beweis anzutreten und zu führen. Wer den nötigen Beweis nicht führt, verliert den Prozess. Denn wenn der Richter sich von der Wahrheit einer streitigen, erheblichen Tatsachenbehauptung nicht überzeugen kann, darf er sein Urteil auf sie nicht stützen, sondern muss gegen die Partei entscheiden, der das Gesetz den Beweis aufbürdet.