Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen

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3.7 Störende Naturgewalten

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Für „Störungen“, die einzig und allein durch die Kräfte der Natur verursacht werden, ist niemand rechtlich verantwortlich, auch nicht der Eigentümer des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht[58]. Zum Störer wird der Eigentümer erst dann, wenn er selbst die Störung durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen mitverursacht[59].

Beispiele


- Vom oberen Hanggrundstück aus überschwemmt Regenwasser auf natürlichem Weg das untere Nachbargrundstück, ohne dass die Überschwemmung durch eine Veränderung des Hanggrundstücks: ein Abgraben oder Auffüllen des Geländes oder einen unzureichenden Regenwasserkanal begünstigt wird (BGH 114, 183).
- Ungeziefer in Gestalt von Wollläusen überschreitet die Grenze zum Nachbargrundstück (BGH NJW 95, 2633).
- Nach einem Gewitter lösen sich auf einem unbebauten Hanggrundstück Felsbrocken und zertrümmern auf dem tieferliegenden Grundstück den Gartenzaun (BGH NJW 85, 1773).
- Ein ungewöhnlich heftiger Sturm fällt zwei gesunde Fichten, die auf das Nachbargrundstück stürzen und dort das Garagendach demolieren (BGH 122, 283: ohne Abwehranspruch auch keine Geldentschädigung nach § 906 II 2). Gesunde Bäume, die ordentlich gepflegt werden und den gesetzlichen Grenzabstand einhalten, stören fremdes Eigentum nicht und der Nachbar muss sie nach § 1004 II dulden (BGH NJW 2018, 1542; 2020, 607). Fremde Baumwurzeln dagegen, die auf sein Grundstück übergreifen, muss er nicht dulden, sondern darf sie abschneiden (BGH 122, 283; NJW 2004, 603; 2004, 1035). Ebensowenig muss er altersschwache, morsche Bäume dulden, die sein Eigentum gefährden (BGH NJW 2003, 1732).

3.8 Mehrere Störer

228

Nicht anders als im Deliktsrecht können auch nach § 1004 I 1 mehrere Personen gemeinschaftlich oder getrennt fremdes Eigentum verletzen. Mehrere gleichermaßen wirksame Störungen begründen eine Art „Gesamtschuld“: Wenn einer die Störung beseitigt, werden auch die anderen frei.

Beispiele


- Vermieter oder Verpächter als mittelbarer Störer neben dem Mieter oder Pächter als unmittelbarem Störer (BGH NJW 67, 246; 67, 1609; 85, 2824; 2000, 2901; 2006, 992);
- Bauherr, Bauunternehmer, Architekt und Statiker für die Baugrube, die dem Nachbargrundstück die Stütze nimmt (BGH NJW 81, 50; 83, 872);
- alle Wohnungseigentümer, die willentlich an dem Grenzzaun festhalten, den einer von ihnen rechtswidrig auf das Nachbargrundstück gesetzt hat; zu verklagen ist nach § 10 VI 3 WEG die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (BGH NJW 2016, 1735);
- alle Miterben für den Abriss einer Grenzgiebelmauer durch einen Miterben, dem die anderen das Nachbargrundstück zur alleinigen Nutzung überlassen haben (BGH NJW 89, 2541);
- neben demjenigen, der unerwünschte Werbesendungen in den Hausbriefkasten einwirft, auch der Auftraggeber, der die Verteilung übernommen hat (BGH 106, 229);
- neben den Fahrgästen, die von einer Haltestelle aus ein fremdes Grundstück betreten, auch der Unternehmer der öffentlichen Buslinie (BGH NJW 60, 2335);
- neben dem Mieter, der gesundheitsschädliches Milchpulver in den Mieträumen lagert, auch der Auftraggeber, für den er es vereinbarungsgemäß einlagert (BGH 110, 313);
- neben dem Voreigentümer als Handlungsstörer auch der neue Eigentümer, der die Störquelle (Baugrube) aufrechterhält (BGH NJW 68, 1328);
- neben den Fahrern, die ihre Lkw mit laufendem Motor vor einem fremden Grundstück abstellen, auch der Kunde, den sie beliefern (BGH NJW 82, 440).

4. Der Einwand der Duldungspflicht des Eigentümers

4.1 Die Beweislast

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Nach § 1004 II ist der Beseitigungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Rechtsfolge ist eine anspruchshindernde Einwendung, denn § 1004 II ist, wie schon die negative Formulierung zeigt, eine Ausnahme von § 1004 I.

Die Beweislast trägt der Störer als Anspruchsgegner[60]. Man kann es rechtlich auch so sehen: Die Duldungspflicht des Eigentümers ist die Kehrseite des Rechts eines anderen, fremdes Eigentum zu stören. Nach § 1004 I i.V.m. § 903 – wie auch nach § 823 I – ist die Störung fremden Eigentums in der Regel rechtswidrig und nur ausnahmsweise gerechtfertigt. Rechtfertigungsgründe aber muss der Störer beweisen.

Wie schon § 986 gibt auch § 1004 II dem Anspruchsgegner nicht nur eine Einrede, sondern eine echte Einwendung: Der Anspruchsgegner muss die Beseitigung der Eigentumsstörung nicht auch noch verweigern, sondern zur Störung lediglich berechtigt sein.

4.2 Rechtsgrundlagen der Duldungspflicht des Eigentümers

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§ 1004 II sagt lapidar nur: „Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist“. Er sagt nicht, wann der Eigentümer welche Störung dulden müsse. Die Antwort muss man anderswo suchen. Rechtfertigungsgründe für eine Eigentumsstörung findet man nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im öffentlichen Recht.

Zivilrechtlich steht an erster Stelle die Einwilligung des Eigentümers in Gestalt eines beschränkten dinglichen Nutzungsrechts, einer schuldrechtlichen Vereinbarung oder auch nur einer schlichten Gestattung (RN 232-233).

Ein seltener Rechtfertigungsgrund ist der Notstand nach §§ 228, 904 (RN 239-240).

Sodann bestimmt das gesetzliche Nachbarrecht, was der Grundstückseigentümer zu Lasten seines Nachbarn tun darf und was er lassen soll. Was der eine von Rechts wegen tun darf, hat der andere zu dulden, auch wenn es sein Eigentum stört (RN 239-240).

Das öffentliche Recht steuert die Rechtfertigungsgründe des Gemeingebrauchs und des Sondernutzungsrechts an öffentlichen Sachen bei, während Baugenehmigung, Schankerlaubnis und öffentlichrechtliche Baulast die Störung fremden Eigentums noch nicht rechtfertigen (RN 241-247). Die öffentliche Hand ist auch als Eigentümerin unmittelbar an die Grundrechte gebunden und muss beispielsweise friedliche Demonstrationen auf ihrem Gelände dulden[61].

Abbildung 15: Duldungspflicht des Eigentümers


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4.3 Das Erlöschen der Duldungspflicht

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Die Duldungspflicht aus § 1004 II erlischt, sobald die rechtmäßige oder gerechtfertigte Eigentumsstörung nachträglich rechtswidrig wird[62].

Beispiele


- Das auf fremdem Grundstück rechtmäßig kraft Mietvertrags gelagerte Milchpulver gefährdet nach einem Brand die menschliche Gesundheit (BGH 110, 313).
- Infolge Einziehung des Wegs, in dem die Fernmeldekabel verlegt sind, erlischt das Fernmeldeleitungsrecht der Post und mit ihm die Duldungspflicht des Eigentümers (BGH NJW 94, 999).

5. Die Duldungspflicht des Eigentümers kraft seiner Einwilligung

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Ein klassischer Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung des Verletzten. Schon die alten Römer wussten: volenti non fit iniuria oder: Wer mit der Verletzung seines Rechts einverstanden ist, erleidet kein Unrecht. Auch die Eigentumsstörung wird durch Einwilligung gerechtfertigt. Im Einzelfall muss man freilich sorgfältig prüfen, womit der Eigentümer sich einverstanden erklärt habe. Jede Abweichung von einer beschränkten Erlaubnis stört das Eigentum rechtswidrig[63].

Stark ist die Rechtsstellung desjenigen Störers, der sich auf eine Grunddienstbarkeit oder beschränkte persönliche Dienstbarkeit stützen kann. Wozu im Einzelnen ein solches Recht berechtigt, steht im Grundbuch und in der Eintragungsbewilligung, die man objektiv so auslegt, wie jedermann sie verstehen kann und soll (RN 526). So deckt die Grunddienstbarkeit für ein gewöhnliches Geh- und Fahrrecht nicht mehr den Massenansturm von Kunden auf den Parkplatz eines Kaufhauses, das später auf dem begünstigten Grundstück errichtet wird[64].

Kraft schuldrechtlichen Miet- oder Pachtvertrags darf der Mieter oder Pächter nur im Rahmen seines Gebrauchsrechts auf die Mietsache einwirken.

Beispiele


- Der Jagdpächter darf auf einem Grundstück des gemeinschaftlichen Jagdbezirks einen Hochsitz errichten, und der Eigentümer kann es nicht aus Gewissensgründen verbieten (BGH NJW 2006, 984).
- Das Recht des Geschäftsraummieters, in den Mieträumen für seinen Auftraggeber Milchpulver zu lagern, erlischt, wenn nach einem Brand das verdorbene Milchpulver die Gesundheit gefährdet. Dies verpflichtet nicht nur den Mieter, sondern auch dessen Auftraggeber zur Beseitigung (BGH 110, 213).
- Mit Ablauf des Mietvertrags über ein Tankstellengrundstück erlischt das Recht des Mieters, Treibstofftanks auf diesem Grundstück zu halten. Sie sind zu entfernen. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 I 1 unterliegt freilich der kurzen Verjährung nach § 548 I (BGH NJW 97, 1984).

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Die Einwilligung des Eigentümers in die Eigentumsstörung erfordert indes keinen Vertrag, schon die einseitige Gestattung genügt, auch die mündliche, ja selbst die stillschweigende durch schlüssiges Verhalten. Eine derart formlose Gestattung ist im Streitfall aber nur schwer zu beweisen. Außerdem rechtfertigt sie nur die Störung gegenüber dem gestattenden Eigentümer und dessen Gesamtrechtsnachfolger, nicht auch gegenüber einem Sonderrechtsnachfolger[65]. Ihm gegenüber hilft nur die im Grundbuch eingetragene dingliche Dienstbarkeit oder § 566, so es sich um ein Miet- oder Pachtverhältnis handelt.

Beispiel

Ein Häuslebauer leitet sein Abwasser über das tiefer liegende unbebaute Nachbargrundstück in den öffentlichen Abwasserkanal. Der Nachbar ist einverstanden, verkauft aber Jahre später sein Grundstück als Bauplatz. Der neue Eigentümer bebaut es, entdeckt die fremde Abwasserleitung und verlangt unerbittlich deren Beseitigung, im Regelfall zu Recht, denn die Gestattung des Voreigentümers bindet ihn nicht. Eine Duldungspflicht lässt sich allenfalls aus § 917 (Notleitungsrecht), aus dem Landesnachbarrecht oder aus § 242 herleiten (BGH NJW 2003, 1392).

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Schließlich kann die entsprechende Anwendung des § 986 I 1 die Eigentumsstörung rechtfertigen.

Beispiel

Die Beklagte unterhält auf dem Grundstück des Klägers eine Tankstelle, die von T geführt wird. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Entfernung der Tankstelle und die Unterlassung des künftigen Tankstellenbetriebs auf seinem Grundstück.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 1004 I sind erfüllt. Die Abwehransprüche sind nur dann ausgeschlossen, wenn entweder die Beklagte oder T dem Kläger gegenüber berechtigt ist, die Tankstelle zu führen. In entsprechender Anwendung des § 986 I 1 genügt die Berechtigung des unmittelbar besitzenden T, denn es wäre „widersinnig“, die Beklagte zur Beseitigung und Unterlassung zu verurteilen, gleichzeitig aber dem T das Betreiben der Tankstelle zu erlauben (BGH NJW 58, 2061; 2007, 146: Einverständnis des berechtigten Mieters).

6. Die Duldungspflicht des Eigentümers im Notstand

6.1 Die Güterabwägung

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Wer unter den Voraussetzungen der §§ 228 S. 1, 904 S. 1 fremdes Eigentum stört, handelt nicht rechtswidrig. Der Notstand ist Rechtfertigungsgrund, die Beweislast trägt der Störer[66]. Und was der Störer tun darf, hat der Eigentümer nach § 1004 II zu dulden und darf es nicht verbieten[67].

Anders als die Notwehr nach § 227 folgt der Notstand dem Grundsatz der Güterabwägung: Das minderwertige Rechtsgut muss im Konfliktsfall weichen. Das Gesetz unterscheidet den Verteidigungsnotstand des § 228 vom Angriffsnotstand des § 904. § 228 ist gewissermaßen die allgemeine Regel, § 904 eine Sonderregel[68].

6.2 Der Verteidigungsnotstand

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Der Verteidigungsnotstand rechtfertigt nach § 228 S. 1 die Beschädigung oder Zerstörung einer gefährlichen fremden Sache, wenn sie erforderlich ist, um die Gefahr, die von der fremden Sache droht, von sich oder von einem anderen abzuwenden, und der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht. Notstandsfähig ist jedes Rechtsgut. Die Gefahr muss von der fremden Sache ausgehen[69] und derart drohen, dass ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist. Die Abwehrhandlung erfordert wie bei der Notwehr einen Abwehrwillen: die bewusste und gewollte Einwirkung auf die fremde Sache zwecks Gefahrenabwehr[70]. Der an der gefährlichen fremden Sache angerichtete Schaden muss nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Größe der Gefahr stehen, er darf nur nicht unverhältnismäßig größer sein. Leib und Leben haben stets Vorrang.

Die rechtmäßige Notstandshandlung verpflichtet nicht zum Schadensersatz, es sei denn, der Störer habe nach § 228 S. 2 die Gefahr verschuldet.

6.3 Der Angriffsnotstand

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Der Angriffsnotstand rechtfertigt nach § 904 S. 1 die Beschädigung oder Zerstörung einer ungefährlichen fremden Sache nur dann, wenn sie erforderlich ist, um die gegenwärtige Gefahr eines anderen Schadens abzuwenden, der unverhältnismäßig größer ist als der Schaden an der fremden Sache. Hier droht die Gefahr nicht von der fremden Sache, sondern anderswo[71]. Die Beschädigung oder Zerstörung der fremden Sache ist lediglich das notwendige Mittel, um die Gefahr abzuwenden. Deshalb muss der drohende Schaden unverhältnismäßig höher sein als der Schaden an der fremden Sache. Auch die Notstandshandlung nach § 904 erfordert einen Abwehrwillen[72].

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Da von der fremden Sache selbst keine Gefahr ausgeht, verpflichtet die Notstandshandlung – obwohl rechtmäßig – den Störer nach § 904 S. 2 zum Schadensersatz[73]. Das ist ein Fall reiner Erfolgshaftung. Anspruchsvoraussetzung ist eine Notstandshandlung mit Abwehrwillen nach § 904 S. 1[74]. Daran fehlt es, wenn ein Motorradfahrer einem kreuzenden Auto auf die Gegenfahrbahn ausweicht und dort unvermeidbar ein entgegenkommendes Auto streift[75]. Gegen hoheitliche Eingriffe in das Eigentum hilft § 904 nicht[76].

6.4 Notstandsexzess und Putativnotstand

Rechtswidrig ist sowohl die Grenzüberschreitung des nach §§ 228, 904 Erlaubten (Notstandsexzess) als auch die irrige Annahme einer Notlage (Putativnotstand)[77].

7. Die Duldungspflicht des Grundeigentümers kraft Nachbarrechts

239

Das gesetzliche Nachbarrecht der §§ 906-924, ergänzt durch die Nachbarrechtsgesetze der Länder (Art. 124 EGBGB), grenzt die Rechte und Pflichten der Grundstücksnachbarn gegeneinander ab und bestimmt, was der eine tun darf und der andere dulden soll. Die Fassung der einzelnen Tatbestände ist freilich verwirrend uneinheitlich. Manche Störungen darf der betroffene Eigentümer nicht verbieten (§ 906), andere hat er zu dulden (§§ 912, 917), wieder andere sind nicht verboten (§ 909). Gemeint ist stets das Gleiche.

Vor dem Hintergrund der umfassenden Rechtsmacht des Eigentümers, der nach § 903 andere von jeder Einwirkung auf seine Sache ausschließen darf, regelt das Nachbarrecht Beschränkungen des Grundeigentums als gesetzliche Ausnahmen von § 903[78]. Den einen Nachbarn verpflichtet es zur Duldung der Eigentumsstörung, dem anderen Nachbarn liefert es einen Anspruch auf Duldung der Störung und einen Rechtfertigungsgrund für die Störung[79], sowohl für § 823 I als auch für § 1004 II. Die Beweislast trägt stets der Störer[80].

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Das gesetzliche Nachbarrecht regelt die Duldungspflicht des Grundeigentümers durchaus erschöpfend; mehr muss er auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ dulden[81], denn dieser rechtliche Gesichtspunkt ist ein Phantom. Grundstücksnachbarn bilden keine Rechtsgemeinschaft[82], sondern müssen nur die Beschränkungen durch das gesetzliche Nachbarrecht hinnehmen. Übrig bleibt der alles beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242: Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung finden auch zwischen Nachbarn keinen Rechtsschutz[83]. Dieser Einwand sticht nach dem Rechtsgedanken des § 251 II oder des § 275 II vielleicht dann, wenn eine kleine Störung nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand beseitigt werden kann[84].

Das Recht des Eigentümers, eindringende fremde Baumwurzeln oder überhängende Zweige nach § 910 I abzuschneiden, befreit den Störer nicht von seiner Beseitigungspflicht, es sei denn nach § 910 II, wenn die Störung die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigt[85].

Schwerpunkte des gesetzlichen Nachbarrechts sind: Immissionen (§ 906) und Grundstücksvertiefung (§ 909), Überbau (§§ 912 ff.) und Notweg (§§ 917 ff.). Die Einzelheiten werden im Zusammenhang mit dem Grundeigentum dargestellt (RN 291 ff.)

8. Die öffentlichrechtliche Duldungspflicht des Eigentümers

241

Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums und seine Schranken nach Art. 14 GG werden an anderer Stelle beschrieben (RN 93 ff.). Hier interessiert nur, wann der Eigentümer eines Grundstücks im öffentlichen Interesse und kraft öffentlichen Rechts zur Duldung einer Eigentumsstörung verpflichtet sei.

8.1 Die Baulast

242

Die Baulast soll im öffentlichen Interesse die Verbindung eines öffentlichen Weges mit einem Privatgrundstück sichern oder für Parkraum auf einem Privatgrundstück sorgen. Sie ist eine rein öffentlichrechtliche Grundstückslast, keine privatrechtliche Dienstbarkeit, wird deshalb nicht im Grundbuch, sondern im Baulastenbuch eingetragen und berechtigt nur die öffentliche Verwaltung, nicht den begünstigten Nachbarn[86]. Dem Anspruch des Eigentümers aus §§ 985, 1004 kann der Nachbar äußerstenfalls den Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 242 entgegenhalten[87]. Ein privates Nutzungsrecht verleiht die Baulast nicht[88].

8.2 Baugenehmigung und Konzession

243

Auch Baugenehmigung und Schankerlaubnis berechtigen nicht zu Störungen anderer Grundstücke, denn als öffentlichrechtliche Genehmigungen werden sie stets und ausdrücklich „unbeschadet der privaten Rechte Dritter“ erteilt[89]. Ebensowenig berechtigt die behördliche Genehmigung einer Tontaubenschießanlage dazu, das Nachbargrundstück mit Schrotblei zu düngen[90].

 

8.3 Gemeingebrauch und Sondernutzungsrecht

244

Öffentliche Wege und Plätze dürfen im Rahmen ihrer Widmung zum Gemeingebrauch von jedermann benutzt werden und die öffentliche Hand hat dies zu dulden[91]. Jeglicher Gebrauch, der über den Gemeingebrauch hinausgeht, bedarf jedoch als Sondernutzungsrecht einer besonderen Erlaubnis[92].

Beispiele


- Werbung auf einem Bauzaun, der auf der Straße und/oder dem Bürgersteig errichtet ist (BGH 22, 395), es sei denn, diese Benutzung werde nach örtlichem Brauch noch dem Gemeingebrauch zugerechnet;
- in den Luftraum eines öffentlichen Gehwegs ragender Warenautomat an einer Hauswand (BGH 60, 366);
- Arbeits- und Materialplatz für Baustelle auf dem öffentlichen Gehweg (BGH 62, 362);
- „Klagemauer“ gegen 1. Golfkrieg auf dem Kölner Domplatz (OLG Köln NJW 98, 1405).