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99: Die Athener: Wir glauben nicht, dass die uns gefährlicher werden könnten, die auf dem Festland wohnen, … als die Inselbewohner, sei es, dass sie wie ihr noch frei sind, sei es, dass sie durch die erzwungene Unterwerfung verbittert werden. Denn die einen wie die anderen könnten sich am ehesten zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen und sich und uns in eine offensichtliche Gefahr stürzen.

100: Die Melier: Wenn ihr nun so große Risiken auf euch nehmt, eure Herrschaft nicht zu verlieren, und es die Unterworfenen tun, von ihr befreit zu werden, dann würden wir, die wir noch frei sind, doch sehr schmählich und feige handeln, wenn wir uns nicht mit allen Mitteln dagegen wehren würden, unterworfen zu werden.

101: Die Athener: Nein, wenn ihr es vernünftig bedenkt. Denn es geht für euch ja nicht darum, mit uns von gleich zu gleich um den Preis der Tapferkeit zu kämpfen, und nicht darum, dass ihr euch nicht dem Vorwurf der Schande aussetzt, sondern es geht vielmehr um euer Leben, und das bedeutet, sich uns, den viel Stärkeren, nicht entgegenzustellen.

102: Die Melier: Wir wissen aber, dass im Krieg das Glück unparteiischer ist, als es die Stärke der Gegner erwarten lässt. Wenn wir jetzt gleich nachgeben, gibt es keine Hoffnung mehr; wenn wir aber handeln, dann besteht noch Hoffnung, dass wir uns behaupten.

103: Die Athener: Die Hoffnung, in der Gefahr ein Trost, mag denen, die aus der Position der Stärke auf sie vertrauen, zwar einmal schaden, aber sie vernichtet sie nicht. Wer aber alles aufs Spiel setzt, denn die Hoffnung ist von Natur aus verschwenderisch, erkennt ihr trügerisches Wesen erst, wenn er scheitert. Dann lässt sie ihm aber noch nicht einmal so viel zurück, dass er sich künftig vor ihr, die er doch jetzt durchschaut hat, hüten kann. Ihr, die ihr schwach seid und alles auf eine Waagschale legt, hütet euch vor einer derartigen Erfahrung. Seht zu, dass ihr es nicht macht wie die Vielen: Obwohl sie im Vertrauen auf ihre menschlichen Möglichkeiten ihr Leben noch retten könnten, wenden sie sich, sobald sie in Bedrängnis geraten und die Hoffnungen, auf die sie blickten, schwinden, unbegründeten Hoffnungen zu, der Weissagung, den Orakelsprüchen und allem, was sich zum Unheil mit den Hoffnungen verbindet.

104: Die Melier: Seid versichert, dass auch wir es nicht für eine leichte Aufgabe halten, gegen eure Macht und das Glück zu kämpfen, wenn es nicht seine Gunst auf beide Seiten gleich verteilt. Dennoch vertrauen wir darauf, dass wir vom Glück auf Grund göttlichen Ratschlusses nicht benachteiligt werden, da wir fromm sind und uns gegen Ungerechte zur Wehr setzen, und dass das, was uns an Macht fehlt, durch den Beistand der Lakedaimonier ausgeglichen wird. Sie müssen uns helfen, wenn sie auch sonst keinen Grund haben, dann doch wegen der Verwandtschaft und aus Ehrgefühl. So ist es also nicht gänzlich unvernünftig, wenn wir zuversichtlich sind.

105: Die Athener: Was das gute Verhältnis zu den Göttern angeht, glauben auch wir nicht, es an etwas fehlen zu lassen. Denn wir fordern und tun nichts, was dem üblichen menschlichen Verhalten gegenüber den Göttern und der Gesinnung der Menschen im Umgang miteinander widerspricht. Wir halten es nämlich im Hinblick auf die Götter für wahrscheinlich, im Hinblick auf die Menschen für sicher, dass beide in jedem Fall dort, wo sie Macht haben, infolge einer Naturnotwendigkeit herrschen. Wir haben dieses Gesetz weder erlassen, noch, nachdem es erlassen worden ist, als erste befolgt; wir haben es vielmehr als ein geltendes Gesetz übernommen und werden es als ein ewig gültiges hinterlassen. Wir befolgen es, weil wir wissen, dass ihr wie alle anderen, wenn ihr ebenso mächtig würdet wie wir, genauso handeln würdet. Und so ist es nicht wahrscheinlich, dass wir uns davor fürchten müssen, von den Göttern benachteiligt zu werden.

Wenn ihr nun aber eure Hoffnung auf die Lakedaimonier setzt und zuversichtlich glaubt, dass sie euch aus Ehrgefühl beistehen werden, so beglückwünschen wir euch zu eurer Gutgläubigkeit, beneiden euch aber nicht um eure Torheit. Denn die Lakedaimonier verhalten sich untereinander und in den Belangen, die ihre heimischen Gewohnheiten betreffen, meistens zwar edel; zu ihrem Verhalten anderen gegenüber gäbe es aber viel Kritisches zu sagen. Alles in allem könnte man sie so charakterisieren: Von allen Völkern, die wir kennen, hält keines so offensichtlich das Angenehme für das sittlich Gebotene und das Nützliche für das Gerechte. Eine derartige Einstellung kommt eurer grundlos erhofften Rettung nicht entgegen.

106: Die Melier: Gerade deswegen glauben wir zuversichtlich, dass sie die Melier, ihre Stammesverwandten, um ihres Nutzens willen nicht preisgeben werden, damit sie nicht ihren Freunden in Griechenland treulos, ihren Feinden nützlich werden.

107: Die Athener: Meint ihr also nicht, dass Nutzen etwas mit Sicherheit zu tun hat und dass es mit Gefahren verbunden ist, gerecht und gut zu handeln? Ein solches Wagnis gehen die Lakedaimonier in der Regel nicht ein.

108: Die Melier: Wir sind überzeugt, dass sie diese Gefahren für uns eher auf sich nehmen werden als für andere und dass sie sie in unserem Fall für weniger risikoreich halten werden, weil wir – und das ist für Kriegshandlungen nicht unbedeutend – nahe an der Peloponnes wohnen und durch unsere Stammesverwandtschaft in unserer Gesinnung zuverlässiger sind als die anderen.

109: Die Athener: Verlass bietet für die, die Hilfe leisten sollen, nicht der gute Wille derer, die um Hilfe bitten, sondern sie sehen darauf, ob der Bittsteller auch über große Machtmittel verfügt. Gerade die Lakedaimonier achten darauf noch mehr als die anderen. Sie trauen ja ihrer eigenen Streitmacht so wenig, dass sie nur gemeinsam mit vielen Bundesgenossen in das Gebiet ihrer Nachbarn einfallen.

110: Die Melier: Sie könnten auch andere schicken … oder sich gegen euer Land wenden; dann hättet ihr es statt mit einer Insel, die euch nichts angeht, mit eurem eigenen Land zu tun…

111: Die Athener: Mit solchen Unternehmungen haben wir Erfahrung, und ihr wisst gut, dass die Athener auch nicht eine einzige Belagerung aus Furcht vor anderen jemals abgebrochen haben…

Ihr werdet doch nicht auf das „Ehrgefühl“ verfallen, das sehr oft so viele Menschen zugrunde richtet, weil sie voraussehbare Gefahren auf sich nehmen, um Schande abzuwehren. Viele haben nämlich vorausgesehen, worauf sie sich einließen, und doch hat sie das sog. „Ehrgefühl“ durch die Macht des in die Irre führenden Namens dazu getrieben, sich, besiegt von einem Wort, mit aller Kraft freiwillig in unheilbares Unglück zu stürzen und dazu noch Schande auf sich zu laden, die mehr ihrem Unverstand als dem Schicksal geschuldet war.

Davor werdet ihr euch, wenn ihr gut beraten seid, hüten und nicht meinen, es sei mit eurer Ehre nicht vereinbar, wenn ihr euch der mächtigsten Stadt unterwerft, zumal da sie maßvolle Forderungen stellt: Ihr behaltet, was ihr habt, und werdet lediglich tributpflichtige Bundesgenossen. Aber entscheidet euch, da ihr die Wahl zwischen Krieg und Sicherheit habt, nicht aus falsch verstandenem Ehrgefühl für das Schlechtere. Denn wer vor dem Gleichstarken nicht zurückweicht, sich mit dem Stärkeren gut stellt und sich gegenüber dem Schwächeren maßvoll verhält, verzeichnet wohl die meisten Erfolge.

Wenn wir uns nun zurückziehen, bedenkt das und macht euch immer wieder klar, dass ihr über euer Vaterland beratet. Ihr habt nur das eine, und mit einem einzigen Beschluss entscheidet ihr über sein Schicksal.

112: Die Athener zogen sich aus der Verhandlung zurück.

Die Melier fassten, als sie unter sich waren, einen Beschluss, der dem entsprach, was sie in der Verhandlung gesagt hatten, und gaben folgenden Bescheid: Ihr Männer aus Athen, wir haben unsere Meinung nicht geändert. Wir wollen unsere Stadt, die schon seit 700 Jahren bewohnt wird, nicht der Freiheit berauben, sondern wir werden versuchen, sie ihr zu erhalten. Dabei vertrauen wir auf das göttliche Geschick, das sie bisher geschützt hat, und auf Menschen, die Hilfe der Lakedaimonier.

Wir schlagen euch vor: Wir sind eure Freunde, niemandes Feinde, und ihr schließt mit uns einen Vertrag, der beiden Seiten annehmbar erscheint, und zieht ab.

113: Das war der Bescheid der Melier.

Die Athener brachen die Verhandlungen mit folgenden Worten ab: Nach eurem Beschluss zu urteilen, seid ihr, wie uns scheint, die Einzigen, die die Zukunft deutlicher sehen als die Gegenwart, die das Ungewisse, weil sie es sich wünschen, für schon gegenwärtiges Geschehen halten und im Vertrauen auf die Lakedaimonier, auf das Geschick und auf Hoffnungen so gut wie alles aufs Spiel setzen und scheitern werden.

116: Als die Athener alle Macht auf die Belagerung konzentrierten und dann noch Verrat von Seiten der Melier hinzukam, ergaben sich die Melier den Athenern auf Gnade und Ungnade. Die Athener töteten alle erwachsenen Männer, deren sie habhaft werden konnten, verkauften die Frauen und Kinder in die Sklaverei und besiedelten später selbst die Insel, indem sie 500 Siedler auf sie entsandten.

In Athen lebte damals der aus Melos stammende Dichter und Philosoph Diagoras. Es heißt, er habe aus Trauer und Zorn die Existenz der Götter geleugnet und die Mysterien verspottet. Er sei daraufhin wegen Asebie (Gottlosigkeit) angeklagt und verurteilt worden und habe Athen verlassen. Eineinhalb Jahrzehnte später musste sich Sokrates gegen dieselbe Anklage verteidigen.

Als Thukydides den Dialog schrieb, wusste er, dass den Athenern bald nach der Eroberung von Melos in Sizilien eine Niederlage drohte, die die Stadt an den Rand des Abgrunds brachte. Das Schicksal der Soldaten, die als Gefangene in den Bergwerken von Syrakus oder auf der Flucht elend umkamen, lehrte die Athener, wie es die Melier prophezeit hatten, dass unmenschliches, machtbesessenes Verhalten auf die Täter zurückschlägt. Thukydides selbst hat diesen Zusammenhang hergestellt, indem er unmittelbar nach dem Melierdialog über die sizilische Expedition berichtet.

 

Nach der Niederlage in einer Seeschlacht 405 v. Chr. schließlich „glaubten die Athener, dass ihnen nun dasselbe widerfahren werde, was sie den Meliern, Stammesverwandten der Lakedaimonier, angetan hatten, die sie belagert und besiegt hatten.“ (Xenophon – ca. 430 – nach 355 – Hellenika, 2,2,3). Sollten die Götter vielleicht doch eine Instanz sein, die Unrecht straft?

Thukydides nutzt den Dialog zur Analyse der Bedingungen rücksichtsloser Machtpolitik. Dem seebeherrschenden Athen stand eine relativ kleine Insel gegenüber. Mit einem unverhältnismäßig großen Aufgebot zogen die Athener gegen sie zu Felde und ließen an der Absicht, sie zu beherrschen, keinen Zweifel. Es ging um die Alternative: Freiwillige Unterwerfung oder Krieg, Vernichtung und Versklavung.

Die Argumentation der Athener beruht auf der Überzeugung, dass das Begehren, immer mehr haben zu wollen, nach immer mehr Einfluss und Macht zu streben – die Griechen nannten es Pleonexia – im Menschen von Natur aus angelegt ist. Es beherrscht die Einzelnen wie die Staaten gleichermaßen und stellt ein Weltgesetz dar, das nicht weiter begründet werden kann als durch die Feststellung des Tatbestands. Da das Streben nach Macht prinzipiell unbegrenzt ist, kollidiert es notwendig mit dem Selbstbehauptungswillen anderer. Geschichte ist folglich ein permanenter Prozess von Konflikten. Im Kontext dieser Prämisse gibt es Menschen verbindende Werte und Tugenden nur dann, wenn die Machtverhältnisse ausgeglichen sind. Teilen sich die Menschen in Starke und Schwache auf, bestimmt der Starke, was Recht und Moral ist, der Schwache muss sich fügen. Nützlich bedeutet für den Starken etwas anderes als für den Schwachen. Jeder Schwache, der nicht weicht und nachgibt, stellt für den Mächtigen eine potentielle Bedrohung dar. Seine Unabhängigkeit könnte als Unfähigkeit und Schwäche des Starken interpretiert werden. Im Machtbereich des Mächtigen darf es niemanden geben, der sich nicht unterwirft. Für den Schwachen ist dagegen das Leben, das Überleben, das höchste der Güter, es zu bewahren, der einzige Nutzen. Sich von Werten, von einem Ehrgefühl leiten zu lassen, ist gefährlich, weil es das Leben kosten kann. Der Schwache handelt töricht, wenn er seine Hoffnung auf die Hilfe anderer setzt, Freunde, Bundesgenossen, Verträge, Freundschaften und Verwandtschaften sind keine Handlungsmotive, sondern jeder agiert nach Maßgabe seines Nutzens. Ebenso wertlos wie eitle Hoffnungen ist der Glaube an gute Götter. Auf dem Olymp geht es nicht anders zu als auf der Erde. Zeus hat das Sagen, und die Götter sind stets auf der Seite der Starken und Mächtigen.

So, lehrt der Dialog, verhält es sich auf und über der Erde. Der Historiker kommentiert nicht mit Worten, er kommentiert durch die Art der Darstellung und die Komposition seines Werks. Nur aus einer einzigen Bemerkung, die die Athener machen, könnte man eine Mahnung gerade an die herauslesen, die sie äußern: „Wer sich gegenüber den Schwachen maßvoll verhält, dürfte wohl die meisten Erfolge erzielen.“ So beeindruckend es ist, das Wesen der Geschichte durch das Machtstreben des Menschen monokausal zu erklären, so muss man dennoch kritisch anmerken, dass damit stets nur ein Teilaspekt erfasst werden kann.

Angesichts der Grausamkeit, mit der die Athener gegen die Melier vorgegangen sind, hat Jacob Burckhardt (1818 – 1897) in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ festgestellt, dass von allen Kulturvölkern die Griechen das seien, „welches sich das bitterste, empfundenste Leid zugefügt haben“. Auch diese dunkle Seite gehört zu dem Bild der in vieler Hinsicht mit Recht so bewunderten Griechen.

Warum gilt der Dialog noch heute als ein Meisterstück der antiken Literatur? Doch wohl, weil wir in ihm auch eine Analyse politischen Handelns in der jungen und jüngsten Gegenwart entdecken.

Ende der Geschichte

Am Ende bezahlten auch die attischen Siedler ihre Rechnung. Denn sie wurden vertrieben und die geflüchteten Melier, die auf der Peloponnes Zuflucht gefunden hatten, zurückgeführt. Dank der Bodenschätze kam die Insel in der Folgezeit trotz der Verheerungen rasch wieder zu Wohlstand. In der byzantinischen Zeit gab man allerdings wegen drohender Gefahren vom Meer her gegen ca. 800 n. Chr. die Hafenstadt an der Bucht schließlich auf und siedelte stattdessen aus Sicherheitsgründen an einem neuen Ort im Landesinnern, der heute Zephyria, Chora oder Palaiopolis heißt. 1207 wurde Melos Teil des Herzogtums Naxos. Mit der Herrschaft venezianischer Fürstenhäuser begann eine Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs, der sich auch im Bau vieler Kirchen niederschlug. Noch im 13. Jh. errichteten die Venezianer oberhalb der antiken Stadt Melos eine Burg (Kastro), von der aus sie den Norden der Insel leichter unter ihrer Kontrolle halten konnten. 1580 endete aber die Herrschaft der Venezianer, und von da an hatten die osmanischen Türken das Sagen. Unterhalb Kastros entstand Plaka, das heute amtlich wieder Melos heißt, und sich rasch zum Zentrum der Insel entwickelte, während Zephyria dagegen wieder weitgehend in der Bedeutungslosigkeit versank.

1821 nahm Melos am griechischen Befreiungskrieg teil und 1824 kamen viele Kreter auf die Insel, nachdem ihr Aufstand gegen die Türkei gescheitert war. Als sich Ludwig Ross, der seit 1843 Oberkonservator der griechischen Altertümer war, 1843 in Plaka aufhielt, notierte er:


Die Bevölkerung hat sich während des letzten Menschenalters teils durch Übersiedlung der meisten Familien aus der ungesunden alten Stadt in das Kastron mit seinen Vorstädten und Dörfern Plaka, Tripyti und Trion Vasallon, teils durch Einwanderer, namentlich Kreter, von 250 Familien auf 450 – 500, also 2500 Seelen, gehoben. Der größere Teil der Einwanderer lebt von Ackerbau, Viehzucht und Bergbau.

Im 20. Jh. setzte sich die kriegerische Vergangenheit der Insel weiter unrühmlich fort. So diente Plaka im Ersten Weltkrieg der englischen, der heutige touristische Hauptort Adamas im Zweiten Weltkrieg hingegen der deutschen Flotte als Operationsbasis. Heute kommen Auswärtige zwar nicht in Scharen, dafür aber wenigstens in friedlicher Absicht nach Melos.

Santorin / Thera –
Ein Geschenk des Meergottes Triton


Abb. 16 Blick über die moderne Inselhauptstadt Fira auf das Meer

Santorin (neugriechisch Santorini) gilt als eine der Bilderbuchkykladeninseln schlechthin und gehört infolgedessen auch zu den meist besuchten. Der italienisch klingende Name stammt von den Venezianern und ist erstmals 1153 bezeugt. Als Namenspatronin fungierte die von Kaiser Diokletian (284 – 305 n. Chr.) dorthin verbannte Heilige Irini (Santa Irini), eine Christin aus Thessaloniki, die 304 n. Chr. in ihrem Exil starb und bald als Schutzpatronin verehrt wurde. Ob die Römer die Insel mit dem bei Plinius (1. Jh. n. Chr.) überlieferten Namen „Strongyle“, die Runde, bezeichneten, lässt sich dagegen nicht zweifelsfrei sagen.

Besonders eindrucksvoll ist die äußere Form der Insel. Herodot (Historien 4,47) nennt sie gar „Kalliste“, die Schönste. Sie gleicht einer nach Westen geöffneten Sichel, die die sogenannte Caldera (spanisch: Kessel) umgibt und 200 bis 300 m steil zum Meer abfällt. An diesem Steilrand wohnen die Menschen in typisch strahlend weißen würfelförmigen Häusern, die häufig ein farbiges, meist blaues Kuppeldach haben, – zusammengefasst in vom Tourismus pulsierenden Ortschaften wie Fira (Abb. 16), der heutigen Inselhauptstadt, und Oia. Nach Osten erstreckt sich dagegen eine flache Ebene bis hin zum Meer mit zum Teil ausgedehnten vulkanischen Sandstränden. Aus ihr ragt der knapp 600 m hohe Prophet-Elias-Berg heraus.

Dass diese einzigartige Gestalt das Resultat einer großen antiken Naturkatastrophe ist, kommt einem angesichts der pittoresken Schönheit und des lebhaft-ausgelassenen Treibens nicht so leicht in den Sinn, entspricht aber dennoch den Tatsachen. Die Caldera entstand durch einen gewaltigen Vulkanausbruch, der wohl ins 17. Jh. v. Chr. datiert werden muss. Die Sichel ist mit den Inseln Thirasia und Aspronisi der stehen gebliebene Rand des einstigen Vulkans, in dessen Krater das Wasser einströmte. Aus diesem mit dem Meer verbundenen See tauchten im Lauf der Jahrhunderte kleine Inseln auf, die Palaia und die Nea Kameni, die Alte und die Neue Verbrannte (Insel). Die Explosion hat möglicherweise einen Tsunami ausgelöst und war so gewaltig, dass Bimsstaub bis nach Kreta, Ägypten, Kleinasien und an die Südküste des Schwarzen Meeres getragen wurde.

Die antiken Menschen dachten sich die Entstehung der Insel gleichwohl ganz anders. So kennt die griechische Mythologie die Geschichte des Euphemos, eines Sohnes des Poseidon: Er gehörte zu der Schar der Argonauten, die unter Iasons Führung nach Kolchis am Schwarzen Meer aufgebrochen waren, um ein goldenes Vlies, das dort aufbewahrt und streng bewacht wurde, nach Griechenland zurückzuholen, was mit Hilfe der Königstochter Medea gelang. Auf der Rückfahrt erhielt Euphemos in Libyen von Triton – er war ein Meergott und auch ein Sohn Poseidons – ein merkwürdiges Gastgeschenk: eine Erdscholle.

Die Geschichte der Argonauten erzählt Apollonios Rhodios, der um 300 v. Chr. geboren wurde und nach 246 starb. Ob er Rhodios hieß, weil er einen großen Teil seines Lebens als Verbannter auf Rhodos verbracht hatte oder weil er von der Insel stammte, weiß man nicht. Bevor er nach Rhodos kam, war er in Alexandria Prinzenerzieher und Leiter der Bibliothek. Sein Werk, ein Epos in Hexametern, steht in der Nachfolge Homers. Der Dichter lässt das Argo genannte Schiff der Helden bei der östlich von Thera gelegenen kleinen Insel Anaphe ankern.


Als sie dort bei ruhiger See die Taue lösten,

dachte Euphemos an ein nächtliches Traumgesicht. … In dem

Traum war folgendes geschehen: Die göttliche Scholle,

die er an seiner Brust trug, war in der Hand durch weiße

Milchtropfen flüssig geworden. Aus der Scholle war, so

klein sie war, eine Frau entstanden, die wie ein junges

Mädchen aussah. Ihn hatte großes Verlangen ergriffen,

und in Liebe hatte er sich mit ihr vereinigt.

Jammernd hatte er so geklagt, als habe er seine

Tochter liebend umarmt, die er selbst mit seiner Milch einst

aufgezogen hatte. Sie sprach mit freundlichen Worten:

„Freund, ich bin vom Geschlecht des Triton, die Amme deiner

Kinder, nicht deine Tochter. Libye und Triton

nenne ich meine Eltern. Übergib mich des Meeresgottes Nereus

Töchtern, den Nereiden. Im Meer will ich wohnen, nahe

bei Anaphe. Später werde ich aufsteigen zu den

Strahlen der Sonne; ich werde für deine Kinder bereit sein.“

An den Traum erinnerte Euphemos sich und erzählte

ihn dem Iason. Der dachte sogleich an die göttlichen Sprüche

des Apollon, des Schützen, erhob seine Stimme und sagte:

„Wahrlich, da hast du großen und herrlichen Ruhm empfangen.

 

Denn die Götter werden für dich, wenn du die Scholle

in das Meer geworfen hast, eine Insel schaffen.

Auf dieser Insel werden deine Nachkommen wohnen.

Triton hat dir diese Insel als ein Geschenk des

libyschen Landes verliehen. Es war kein anderer Gott als

Triton, dem wir begegnet sind und der dir die Scholle

überreicht hat.“ Als Iason so gesprochen hatte,

führte Euphemos aus, was Iason ihm geraten

hatte. Er freute sich über die Göttersprüche und warf die

Scholle in das Meer, und aus dem Meer erhob sich

eine Insel, Kalliste, die „Schönste“, des Euphemos Kindern

eine heilige Amme. Diese hatten vorher

Lemnos bewohnt. Sie waren von Tyrseniern vertrieben

worden und hatten in Sparta um Schutz gebeten. Als sie

Sparta wieder verließen, hatte sie Theras, der Sohn des

Antesion, ein tüchtiger Mann, zur Insel Kalliste

mit sich geführt. Sie änderte ihren Namen. Sie nannte

sich nach dir nun, Theras, “Thera“. Als das geschah, war

Euphemos schon gestorben. (4, VV. 1731 – 1764).

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