Küstengold

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Drei schwarze Punkte

Manchmal stehen Pressekonferenzen unter keinem guten Stern. Hansens Chef, der Polizeidirektor Magnussen, zog an diesem Montagvormittag eine unglückliche Miene, denn die Veranstaltung war dem Pressesprecher vollends entglitten.

Sein Versuch, die Reporter in der Kieler Polizeidirektion mit vertraulichen Informationen über die Morde in Kiel und Eckernförde auf seine Seite zu ziehen, endete nahezu mit einem Aufruhr. Die Reporter waren aufgebracht und warfen der Kripo Unfähigkeit vor, ihre Bürger im nördlichsten Bundesland ordentlich zu schützen.

Dabei war die Sachlage weitaus schlimmer, denn nach 14 Tagen, in denen die Presse an der Nase herumgeführt worden war, gab es immer noch keine einzige erfolgversprechende Spur.

Hansen konnte sich plastisch die nachfolgende Dienstbesprechung ausmalen, denn Magnussen nahm solche Dinge immer ausgesprochen persönlich. Bei der letzten Besprechung hatte ihm sein Chef vor versammelter Mannschaft theatralisch eine virtuelle Blindenbinde überreicht.

Dabei war sich Kommissar Hansen absolut sicher, keine Spur übersehen zu haben. Oberkommissar Stüber hatte ihn gestern Abend noch angerufen und darauf hingewiesen, dass der Täter zunehmend auf die Führungsetagen von Energieunternehmen zu zielen schien: Erst traf es einen Mitarbeiter, dann einen Werkstattleiter, jetzt einen Abteilungsleiter. Das nächste Opfer könnte ein Vorstandsmitglied oder ein Direktor sein, aber das war nichts für die Presse.

Wieder einmal platzte Hansens Chef der Kragen. Kurzerhand übernahm er die Leitung der ihn unzufrieden stimmenden Versammlung und begann, die Vertreter der Presse anzuschnauzen. »Bei allem Respekt vor Ihrer Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren, meine Damen und Herren. Wir können am nächsten Wochenende nicht ein ganzes Bundesland in Angst und Schrecken versetzen und an jede Ecke einen Polizisten stellen. Oder kann einer von Ihnen voraussagen, wo der Täter nach den Morden in Kiel, Eckernförde und Rendsburg erneut zuschlagen wird?«

Sein verdutzter Chef musste verschiedene spontane Zurufe von den Pressevertretern zur Kenntnis nehmen.

»Neumünster.« – »Ja klar, Neumünster!«

Polizeidirektor Magnussen fragte irritiert nach. »Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf Neumünster?«

Der Vertreter des Rendsburger Tagesspiegels antwortete als Erster: »Das ist das N der ehemaligen KERN-Region. Sie wissen, Kiel, Eckernförde, Rendsburg und Neumünster hatten diesen Verbund gebildet, um sich besser bei Investoren zu verkaufen. Neumünster wird der nächste Tatort sein. Garantiert. Hundert zu eins.«

Hansen fluchte innerlich. N war sicherlich Neumünster. Wieso war er nicht selber darauf gekommen?

Die Konferenz geriet zum Tumult. Die Pressevertreter warfen dem Polizeichef Unfähigkeit vor, auch nur allerkleinste Zusammen­hänge zu erkennen. Der brach undiplomatisch die Konferenz ab und eilte zornig zum Ausgang.

Hansen hatte Mühe, seine Schadenfreude zu unterdrücken, als sich Magnussen näherte. Beim Vorbeigehen zischte er unfreundlich: »Kommen Sie gleich in mein Büro. Unverzüglich!« Dann war sein Chef im Treppenhaus entschwunden.

Das Handy des Kommissars vibrierte. Er flüchtete in die Herrentoilette und nahm das Gespräch an. Es war Stuhr, der sich nach dem Stand der Dinge erkundigte.

Hansen versicherte ihm, dass der gesamte Polizeiapparat mit Hochdruck dabei war, den Aufenthaltsort der jungen Rumänin zu ermitteln. Dann berichtete er Stuhr von den Vermutungen auf der Pressekonferenz über den nächsten Tatort Neumünster.

Der Kommissar nahm das Gerät vom Ohr, weil Stuhr aus Verärgerung fluchte.

»So ein Mist. Warum bin ich nicht darauf gekommen? Man hätte die Anfangsbuchstaben der drei Städte nur einmal in der Reihenfolge der Taten nebeneinander schreiben müssen, dann hätte jedes Kind blind den vierten Buchstaben dahinter geschrieben. Zudem war der vierte Buchstabe auf dem Ortsschild am letzten Tatort eingekreist.«

Hansen musste zustimmen. »Genauso ist es. Was meinst du, wie mein Chef mich nachher falten wird?«

Das Brummen von Stuhr deutete Hansen als Mitleidsbezeugung. Dann erfolgte die Nachfrage. »Hansen, hast du dir schon einmal überlegt, warum der Täter seinen nächsten Tatort preisgegeben hat? Er scheint das alles sehr bewusst zu machen. Natürlich kann man nicht hinter jeden Laternenpfahl in Neumünster einen Polizisten stellen, aber die Ausfallstraßen könnte man schon abriegeln. Der Täter säße dann in der Falle.«

Das leuchtete Hansen ein. Dass der Täter Neumünsteraner war, mochte Hansen nicht glauben. Der Mörder musste sich sehr sicher sein, denn er spielte mit der Polizei Katz und Maus. Er würde das alles noch einmal in Ruhe überdenken müssen. Aber erst nach dem Gespräch bei seinem Chef.

»Stuhr, hast du schon in der Staatskanzlei Erkundigungen wegen der Nordstrom AG einziehen können? Wir müssen schnell an Informationen gelangen.«

Stuhr grummelte etwas Unverständliches in den Hörer. Zweimal fiel der Name Jenny.

»Jenny Muschelfang? Treibt die sich auch in Sankt Peter herum? Mein Gott, könnt ihr denn nicht die Finger voneinander lassen?«

Stuhr beendete unerwartet das Gespräch.

Kommissar Hansen kehrte in den menschenleeren Saal zurück, der jetzt ungeschminkt den herben Charme der Fünfzigerjahre verströmte. Das Interieur von Zweckbauten aus dieser Bauperiode kann ein tiefes Gefühl von Langeweile erzeugen. Die kam aber nicht auf bei ihm, weil die forsche Stimme seines Herrn aus dem Treppenhaus gellte.

»Wachtmeister Hansen!«

Der Kommissar zuckte zusammen. Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Aber vorwerfen lassen wollte er sich von Magnussen nichts, schließlich hatte auch er keine Spur gefunden. Und wer sagte denn, dass die Vermutung Neumünster stimmte? Nein, es gab überhaupt keinen Grund, mit gesenktem Kopf das Büro des Chefs zu betreten.

Er holte tief Luft und betrat das Vorzimmer, aber bevor er Fräulein Schönerstedt einen Gruß entbieten konnte, wurde er von einer herauseilenden Person weggedrängelt.

»Dieser Vollidiot!«, fluchte Hansen.

Fräulein Schönerstedt fragte interessiert nach. »Meinen Sie den Ratsherrn Meyer? Der war nur kurz beim Chef im Büro.«

Hansen lächelte ihr kurz zu. »Nein. Wenn sie es genau wissen möchten, ich meine den Obervollidioten dort drin.«

Das Fräulein Schönerstedt senkte betreten den Kopf.

Entschlossen betrat Kommissar Hansen das Chefbüro von Magnussen.

Das Ende des Abendlands

Es war Montagmorgen, und wieder hatte Stuhr einen schmerzenden Schädel. Dieses Mal wusste er wenigstens, woher. In einer kleinen Kaschemme hatte er gestern Abend seinen Kummer mit Bier betäubt.

Nach dem Artikel in der Sonntagspostille mochte er sich auf den Straßen im Badeort nicht mehr sehen lassen. Er hatte sich fest vorgenommen, zukünftig die Sachen anders anzugehen. Schließlich stand am kommenden Wochenende sein Umzug bevor, und er hatte noch nichts geregelt.

Der Himmel über Sankt Peter hielt sich bedeckt, und so hatte er nach dem Frühstück Gelegenheit, die anstehenden Dinge aus seinem Hotelzimmer zu regeln. Er holte sich eine Dose Cola aus dem Eisschrank und setzte sich an den kleinen Couchtisch.

Zunächst galt es, Kommissar Hansens Drängen nachzugeben und diesen Meyer-Riemenscheidt ans Telefon zu bekommen. Stuhr nestelte sein Handy aus der Hosentasche und rief die Vermittlung der Landesregierung an, die ihn durchstellte.

»Wirtschaftsministerium. Mein Name ist Meyer-Riemenscheidt«, meldete sich eine dienstbeflissene Stimme am Telefon. Dabei wusste Stuhr noch aus früherer Zeit, dass sich in Meyer-Riemenscheidts verräuchertem Büro die Aktenberge bis zur Decke türmten. Nach eingehender Prüfung, hieß es dann Monate später in seinen ablehnenden Antwortschreiben. Als wenn Zigarilloqualm Akten prüfen könnte.

Stuhr gab sich freundlich. »Moin, Herr Kollege. Helge Stuhr hier, wissen Sie noch? Ehemals Staatskanzlei, jetzt außer Dienst. Haben Sie vielleicht einen Moment Zeit für mich?«

Erfreut meldete sich die Stimme eine halbe Oktave höher wieder: »He, Stuhr, Sie Glückspilz. Vorzeitige Pension, Haupttreffer. Sie haben es geschafft, stimmt doch, oder? Was kann ich für Sie tun? Dienstlich kann es ja kaum sein.«

Es war ungewöhnlich, dass Meyer-Riemenscheidt sich für seine Pensionierung interessierte. Der musste mindestens noch 25 Jahre bis zur Pension vor sich haben. Stuhr wechselte das Thema.

»Richtig, Herr Kollege. Es ist dienstprivat, sozusagen. Wie damals, als mein früherer Mitarbeiter Dreesen mehrfach hilfreich für Sie tätig sein konnte. Sie erinnern sich?«

Das kurze Brummen genügte Stuhr als Zustimmung. »Ich stecke an einer Frage fest, die mich beschäftigt. Kollege Dreesen meinte, Sie könnten mir helfen.«

Meyer-Riemenscheidt zeigte sich zutraulich: »Warum sollte ich Ihnen denn nicht helfen können? Worum geht es?«

Stuhr fiel mit der Tür ins Haus: »Um die Nordstrom AG in Rendsburg, verehrter Kollege. Laufen bei Ihnen irgendwelche Anträge wegen Übernahme?«

»Nordstrom, Nordstrom, Nordstrom. Da muss ich einmal nachdenken. Irgendetwas war da. Jetzt weiß ich es. Warten Sie, es muss auf dem rechten Stapel liegen. Augenblick, bitte dranbleiben.«

Stuhr ging zum Kühlschrank und schnappte sich eine zweite Coladose. Die hatte er fast ausgetrunken, bevor sich Meyer-Riemenscheidt wieder meldete. »Lieber Kollege, ich habe den Vorgang gefunden. Er lag auf der Heizung, da packe ich immer die Sachen hin, die wirklich heikel sind. Aber hier ist die Akte. Es ist ein Antrag der Fairstrom GmbH aus Hannover auf Übernahme der Rendsburger Nordstrom AG. Er stammt noch aus dem letzten Jahr. Ich soll für den Staatssekretär einen Verfahrensvorschlag erarbeiten, aber das dauert seine Zeit.«

 

Das verwunderte Stuhr bei der Lethargie von Meyer-Riemenscheidt nicht.

Aber der schien sich keinerlei Schuld bewusst zu sein, denn er plapperte munter drauflos. »Jetzt fällt mir der gesamte Vorgang wieder ein. Sehr komplex. Viele kommunale Stadtwerke bilden Verbünde, um sich besser gegen die großen multinationalen Energiekonzerne behaupten zu können. Gleichzeitig drängen die russischen Energieerzeuger auf den europäischen Markt und beteiligen sich an Stadtwerken oder Verbünden. Das allerdings muss vorher bei uns angezeigt und genehmigt werden. Wenn wir Bedenken haben, dann setzen wir uns auf dem kurzen Dienstweg mit den Inhabern der Stadtwerke zusammen. Das sind in Schleswig-Holstein zum Glück noch oft die Städte selbst.«

Stuhr versuchte, den Entscheidungsstand aus Meyer-Riemenscheidt herauszukitzeln. »Und was werden Sie letztendlich empfehlen?«

Lange Zeit war nichts außer schwerem Atmen am anderen Ende der Leitung zu hören, bis ein heftiges Aufstöhnen die Stille beendete. »Wenn ich das nur wüsste. Das macht es ja so schwer, Stuhr. Ich bin schließlich kein Detektiv. Nach Aktenlage spricht nichts gegen die Übernahme der Nordstrom AG durch die Fairstrom GmbH. Aber der Hauptgesellschafter dieser Firma ist die UniProm aus Nowgorod, und das ist immerhin der zweitgrößte russische Gasproduzent. Wenn die erst einmal die Mehrheit bei der Nordstrom AG haben, dann ist der gesamte Kreis Rendsburg-Eckernförde von den Blähungen eines russischen Oligopolisten abhängig. Damit wird das Ende des Abendlandes eingeläutet, zumindest für Rendsburg.«

Das hielt Stuhr für übertrieben, denn deutsche Firmen unterhielten schließlich auch Tochterfirmen auf der ganzen Welt und strebten nach Beteiligungen an den russischen Gasproduzenten.

Meyer-Riemenscheidt machte aus seinem Herz aber keine Mördergrube. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ein Erdgas förderndes Unternehmen vom Bohrloch in Sibirien über die Pipelines hin bis zum Gasherd in Kleinkummerfeld die Wertschöpfungskette komplett beherrscht. Bei solchen komplexen Zusammenhängen muss man intensive Nachforschungen anstellen und lange überlegen, bevor man eine ablehnende Begründung schreibt. Das geht nicht so von heute auf morgen wie früher bei Ihnen in der Staatskanzlei.«

Stuhr bedankte sich trotz des kleinen Seitenhiebes artig und wünschte Meyer-Riemenscheidt viel Kraft für eine richtige Entscheidung. Er beendete das Gespräch.

Sein Blick glitt auf den hellblauen Frauenroman. Sollte er nicht nachher beginnen, ihn zu lesen?

Zunächst rief er jedoch nochmals den Kommissar an, um von dem aufschlussreichen Gespräch mit seinem Kollegen im Wirtschaftsministerium zu berichten. Hansen klang ausgeglichener als vorhin und berichtete seinerseits über das Verhör von Sörensens Frau und deren Mutter.

»Eigentlich keine ungewöhnliche Geschichte, Stuhr. Am Anfang ihrer Ehe durchlitten die Sörensens schwere Zeiten mit den kleinen Kindern und wenig Geld. Dann folgte sein schneller Aufstieg zum Abteilungsleiter in der Firma, und sie konnten ein kleines Häuschen bauen. Die Autos wurden neuer und größer, aber der Mann musste immer öfter länger arbeiten. Sie schöpfte keinen Verdacht, denn die ganzen Jahre war Sörensen für Frau und Kinder dagewesen, bis er plötzlich auf dieses junge rumänische Flittchen abgeflogen war. So gab sie es jedenfalls zu Protokoll.«

»Hältst du ihre Aussagen für glaubhaft?«

»Glaubhaft? Mensch Stuhr, bei solchen Affären versucht jede Seite, die Wahrheit für sich zu beanspruchen. Die Nachfrage bei Sörensens Verwandten verlief ähnlich. Seine Schwiegermutter machte allerdings keinen Hehl daraus, dass sie Sörensen gehasst hatte, weil er einen Keil in die gute Beziehung zu ihrer Tochter getrieben hatte. Sie hatte beide oft sonntags zum Kaffee eingeladen, mitgekommen war er nur selten. Um die Ehe der beiden zu retten, hatte sie sogar einen Wünschelrutengänger bestellt, der unter dem Ehebett ihrer Tochter die Ursache aller Probleme feststellte: eine unterirdische Wasserader. Selbst das Erdungsgerät, das sie heimlich gegen die negativen Ströme der Wasserader unter dem Ehebett aufstellen ließ, hatte die Schwiegermutter bezahlt. Ihre Tochter hatte sogar ihren Rat befolgt, jegliche Intimitäten mit Sörensen so lange einzustellen, bis die Wirkung des Erdungsgerätes einsetzte, auch wenn es länger dauern würde. Was soll man schon dazu sagen?«

Stuhr konnte das nicht fassen. »Und seine Kollegen?«

»Die befanden, dass Sörensen ein prima Kollege war, und berichteten, dass er vor seinem gewaltsamen Tod seit einigen Wochen endlich wieder lachen konnte.«

Stuhr versuchte, für sich ein Fazit zu ziehen. »Normales Geschäft also und keine neuen Hinweise, auch nicht auf die Rumänin.«

»Richtig, Stuhr. Wir stehen mit leeren Händen da.«

Stuhr nicht, denn er griff sich jetzt den Roman und schlug die erste Seite auf. ›Abschied von der Vergangenheit.« Das klang interessant. Er musste Hansen abschütteln.

»Ich muss leider auflegen, Hansen. Habe hier dringend etwas aufzuarbeiten. Tschüß. Wir hören voneinander.«

Trotz der Proteste von Kommissar Hansen beendete Stuhr das Gespräch und begann interessiert zu lesen.

Ein kleiner Direktor

Der Direktor der Neumünsteraner Stadtwerke war auf den ersten Blick ein feiner Mann. Seine weißgrauen, gepflegten vollen Haare passten gut zu seinem braungebrannten Gesicht. Auf so etwas standen die jungen Dinger, wie er selbstgefällig befand. Er war 60 Jahre alt, im besten Alter also. Nun gut, seine 1,56 Meter Körpergröße störten ihn manchmal, aber mit seiner Macht als Vorgesetzter konnte er selbst die jungen langen Kerle in seinem Verwaltungsapparat aushebeln. Sprüche wagten die ihm gegenüber nicht.

Gern stand Direktor Bergfeld auf der obersten Treppenstufe und schrie nach irgendeinem Mitarbeiter, den er auf der Stelle sehen wollte. Der Flurfunk sorgte dann dafür, dass derjenige kurze Zeit später tatsächlich vor ihm stand. Sie wollten schließlich alle etwas bei ihm werden.

Gut, er wusste, dass man ihn deswegen nicht gerade liebte. Aber dafür bekam er sein Gehalt nicht. Er musste den Laden auf Trab halten. Immerhin wollten fast 80.000 Menschen in der Stadt mit Wasser und Energie versorgt werden. 35 andere Gemeinden wurden zusätzlich außerhalb des Stadtgebiets mit Strom beliefert, viele davon auch mit Gas und Wasser. Aus den ehemaligen Neumünsteraner Baltischen Licht- und Wasserwerken des 19. Jahrhunderts war ein moderner Dienstleistungsbetrieb entstanden, der von ihm optimal straff geführt wurde. Alles Wichtige ging über seinen Schreibtisch.

Er regierte mit eiserner Hand. Allein schon, damit niemand Einblick in die Freiräume gewinnen konnte, die seinen Posten ein wenig erträglicher machten. Denn es wurde für seine Stadtwerke als regionales Energieversorgungsunternehmen immer schwieriger, die Selbstständigkeit zu bewahren. Vielen benachbarten Stadtwerken drohte die Übernahme durch einen der international agierenden Energieriesen, und selbst bei ihm in Neumünster war unlängst die Hansestream mit 24,9 Prozent Beteiligung eingestiegen. Noch hatte er das Sagen, aber mit einer Aktie mehr von denen hätte er eine echte Laus im Pelz.

So spendete er immer wieder großzügig für die unter chronischer Geldnot leidende Stadt Neumünster, damit diese nicht das Interesse an ihrer Mehrheitsbeteiligung verlor.

Mit seiner ersten Frau stand Arnold Bergfeld wegen der strittigen Abfindung nach der Scheidung immer noch vor Gericht. Geld wollte sie von ihm. Richtig viel. Dabei hätte sie arbeiten gehen können. So wie er. Das hatte sie aber schon die ganze Ehe über nicht getan. Er würde es ihr noch zeigen.

Seine jetzige Frau Katja war erheblich jünger und ein wenig größer als er. Er zeigte sich gern mit ihr, und um seinen kleinen Sohn kümmerte sie sich rührend. Allerdings war sie nach der Geburt ein wenig aus den Fugen geraten. Er bedauerte das, denn jetzt wurde jeder Sexualakt ein Vabanquespiel. Er hatte ein wenig die Lust an ihr verloren.

Mit Anja dagegen, dieser kleinen schlanken Brünetten aus der Personalverwaltung, hatte er diese Probleme nicht, wenn er sie in ihrer kleinen Wohnung im Staatsforst besuchte. Sie war ledig geblieben und immer für ihn da, wenn er es wollte. Gut, sie war schon älter, knapp über 40, aber sie hatte immer noch eine ordentliche Figur. Anja hatte nie Kinder gehabt, deswegen konnte sie ihm auch die weitaus bessere Biometrie bieten.

Der Staatsforst von Neumünster hieß Iloo und lag außerhalb des Stadtgebietes. Die Neumünsteraner Stadtwerke besaßen das Recht, dort ein kleines Umspannwerk zu betreiben, aber auch die Pflicht, die Waldwege zu beleuchten. An einem Bach wurde sogar eine alte Wassermühle betrieben. Das Rad wurde zwar noch vom Wasser gedreht, aber Energie produzierte sie schon lange nicht mehr. Es war ein romantischer Ort, den er gern für andere Zwecke ausgenutzt hätte. Aber er hatte auf seinen guten Ruf zu achten.

Er stellte seinen Dienstwagen nahe der Wassermühle ab und betrachtete ihn ärgerlich. Ein richtiger Chef fährt einen dicken schwarzen Mercedes und keinen blauen Audi A4, befand er. Kopfschüttelnd machte er sich zu Fuß auf den kurzen Weg zu Anja.

Sie würde sich über seinen Besuch freuen. Sie hatte sonst doch nichts. Es gab zwar Gerüchte, die er auf der letzten Betriebsfeier aufgeschnappt hatte, dass sie angeblich unglücklich verliebt sein sollte in Fries, den Leiter vom Werkschutz. Der soll sie angeblich unlängst nach einer kurzen Affäre verlassen haben, um seine Familie zu retten. Bergfeld gab nicht viel auf das Gerücht. Gewäsch! So etwas wie ihn würde Anja sowieso nie wieder bekommen.

Er stand jetzt vor dem Haus und schaute sich um, aber es war niemand zu sehen. Er klingelte an ihrer Haustür. Zweimal kurz, einmal lang. Das verabredete Zeichen. Der Summer brummte. Eilig hastete er die Stufen hoch, denn er hatte Druck.

Sie trat ihm in der Wohnungstür völlig aufgelöst entgegen. »Schön, dass du endlich da bist. Arnie, du bist in Gefahr! Nimm mich in die Arme!« Sie warf sich an ihn.

Bergfeld ärgerte sich darüber. Manchmal war sie eben eine hysterische Ziege. Sie hatte bestimmt durch die Gerüchteküche der Hauptverwaltung von den Sicherheitsmaßnahmen gehört, die von der Polizei seit gestern eingeführt wurden, weil angeblich am Wochenende ein Anschlag auf die Stadtwerke erfolgen könnte. So ein Quatsch. Zudem war ein Direktor bisher noch nicht das Ziel eines Anschlags in der von der Presse marktschreierisch veröffentlichten Mordserie der letzten Wochen gewesen, sondern die niederen Chargen.

Außerdem wollte er am Wochenende wegfahren. Geschäfte machen. Er würde im Sauerland Verhandlungen führen. Eine Beteiligungsgesellschaft wollte ihm ein lukratives Angebot unterbreiten. Freitagmittag würde er wegfahren und erst am Montagmorgen zurück sein. Natürlich würde alles bezahlt werden, auch die Spesen. In seiner Firma würde er es erst im Nachhinein als Dienstreise deklarieren, damit er doppelt abkassieren konnte. Frauen kosten Geld.

Das musste Anja aber nicht wissen. Er freute sich immer, wenn sie ihn Arnie nannte. Ja, dieser Vergleich mit Arnold Schwarzenegger machte ihn stolz. So entschloss er sich, sie dennoch in die Arme zu nehmen und die Sache herunterzuspielen.

»Ach, Anja, wenn ich vor jedem Gerücht Angst hätte, dann säße ich sicherlich nicht auf meinem Chefsessel.«

Sie umschlang ihn leidenschaftlich. »Bleib bei mir, Arnie. Ich melde mich krank, und wir verschanzen uns, bis die Bedrohung vorüber ist. Bei mir bist du in Sicherheit.«

Sie konnte ihn auf eine Art ansehen, der er nur wenig entgegenzusetzen hatte. Er zog sie fest an sich und kniff ihr anschließend in die Pobacken. Er fühlte, wie ihre Muskeln zuckten.

»Nicht jetzt, Arnie«, wehrte sie seine Kniffe ab. »Nimm mich erst einmal richtig in den Arm.«

Bergfeld wehrte ab. »Ach, Dummerchen. Seit wann bist du so ängstlich? Am Wochenende muss ich große Geschäfte abschließen. Da kann ich mich nicht ängstlich in einem Mauseloch verstecken.«

Anja schien eine andere Antwort erhofft zu haben, denn sie begann, an seiner Brust zu schluchzen. Bergfeld fand das ein wenig übertrieben. Er bemerkte, dass ihre Wimperntusche sein Hemd schwarz einfärbte und drückte sie zurück. »Nun sieh doch, das Hemd ist versaut.«

Jetzt heulte Anja richtig los. Bergfeld war sich nicht sicher, ob er diese Stimmung noch umbiegen konnte. Wenn er bei ihr nicht zum Stich kommen konnte, warum sollte er sich das Gejammer überhaupt antun?

Er entschloss sich zum geordneten Rückzug, denn mit Anja würde heute nichts mehr laufen. »Engel­chen, ich wollte sowieso nur einmal hereingucken und sehen, wie es dir geht. Wird alles gut, glaube mir. Ich muss noch einmal zurück ins Büro.«

 

Anja reagierte nicht. Also nahm er sie wieder in den Arm und drückte sie. »Ich muss jetzt wirklich los. Ich schicke dir noch eine SMS. Einverstanden, Engelchen?«

Er wollte sich lösen, aber sie hielt ihn weiter fest umklammert. Mit aller Macht wollte sie ihn bei sich behalten. Bergfeld schüttelte energisch den Kopf und löste sich sanft, aber bestimmt aus ihrem Griff. Wortlos drehte er sich um und ging.

Vor der Haustür ärgerte er sich über Anja. Frauen können schon seltsame Wesen sein, befand er. Warum verderben sie sich selbst die schönsten Momente? Na ja, er würde sie zunächst einmal kurzhalten müssen. Frauen brauchten das, sonst bekamen sie Oberwasser. Wer seine Frau schont, der schont sie für andere. Das sagte sein Schwiegervater schon immer.

Er beschloss, nach Hause zu fahren. Nach einem Vierteljahr könnte sich seine Frau einmal wieder liebevoll zeigen. Wenn nur der Bengel schon im Bett wäre. Um das sicherzustellen, würde er Katja am besten gleich aus dem Auto anrufen. Dann wären sie nachher allein, und er käme endlich zum Stich.

Er drehte sich nicht mehr um, als er in den Wagen stieg.

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