Gleichnisse

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g) Allegorie

Für Adolf Jülicher ist die Allegorie das negative Pendant zum Gleichnis (→ 2.1.1; vgl. 1.4.3). Die Allegorie ist für ihn, neben ihrem Baustein Metapher (→ 1.4.4b), ‚uneigentliche‘ Rede par excellence. Jülicher definiert die Allegorie als diejenige

Redefigur, in welcher eine zusammenhängende Reihe von Begriffen (ein Satz oder Satzkomplex) dargestellt wird vermittelst einer zusammenhängenden Reihe von ähnlichen Begriffen aus einem andern Gebiete.1

Ihre ‚Uneigentlichkeit‘ mache die Allegorie deutungsbedürftig, sie habe allenfalls einen ästhetischen Reiz, sei aber pädagogisch wertlos und daher dem auf Eindeutigkeit bedachten Lehrer Jesus abzusprechen. Historisch ist sie für Jülicher das Ergebnis eines Missverständnisses bzw. einer Verfälschung (→ 2.1.1).

Beispiele für Allegorien im Sinne Jülichers: das Gleichnis von den bösen Winzern Mk 12,1-12parr., vom Sämann Mk 4,3-9parr. sowie im Grunde jedes andere Gleichnis in seiner vorliegenden, verschriftlichten Form.

Jülichers anti-allegorischer Affekt wirkt bis heute nach. In der formkritischen Unterscheidung von Gleichnistypen wird die Allegorie weiterhin als Literaturgattung, die nach dem Reißverschluss-Prinzip funktioniere, geführt. Sie verwende eine Reihe thematisch passender Metaphern und habe damit mehrere Vergleichspunkte zwischen Bild und ‚Sache‘, die nacheinander zu entschlüsseln seien.2 Im Gegensatz dazu habe die Parabel nur ein einziges tertium comparationis.3

2.1.4 Das bleibende Vermächtnis Jülichers

Jülicher hat nicht nur die Gleichnisauslegung für die Gefahr allegorisierender Textauslegung sensibilisiert. Sein Beharren darauf, die Bedeutung eines Gleichnisses aus dem Text selbst zu erheben, statt textfremde Kategorien auf ihn zu applizieren, gehört zu seinen bleibenden Verdiensten. Darüber hinaus hat Jülicher der Gleichnisforschung wichtige Impulse und Fragestellungen mit auf den Weg gegeben, was den Zweck der Gleichnisrede, die Klassifikation vergleichender Texte, das Wesen von Metapher und Allegorie, den theologischen Bezugsrahmen (‚Sache‘), das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, den Einfluss antiker Rhetorik oder das Alleinstellungsmerkmal der Gleichnisbotschaft Jesu anbelangt. Das gilt, auch wenn die Forschung im Einzelnen heute zu anderen Ergebnissen kommt. Jülichers Werk bleibt in seiner Nachhaltigkeit und Breitenwirkung bis heute unerreicht.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

Die folgende Darstellung beschränkt sich auf wichtige Zwischenschritte der Gleichnisforschung seit Jülicher: Erstens, die Frage nach dem jüdischen Kontext Jesu und der Gleichnisse; zweitens, die Frage nach dem eschatologischen Charakter der Gleichnisbotschaft; drittens, die ‚metaphorische Wende‘; viertens, die kritische Auseinandersetzung mit ihr; fünftens, neuere integrative Ansätze. Der Überblick mündet in die Darstellung der aktuellen gleichnistheoretischen Diskussion.

2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung

Jülichers Rückbezug auf die griechisch-römische Rhetorik zur Bestimmung von Gleichnisform und -zweck wurde schon früh kritisiert. Nicht die antike Rhetorik, sondern die rabbinischen Talmud-Gleichnisse (hebr. meschalím) seien der adäquate Bezugsrahmen der Gleichnisse Jesu. Gleichnisforscher wie Paul Fiebig (1876-1949), David Flusser (1917-2000) und Peter Dschulnigg (1943-2011) stehen für diese Position. Sie verweisen auf die jüdische Prägung Jesu und auf die große Nähe zwischen rabbinischen und neutestamentlichen Gleichnissen.

Wir verstehen die Gleichnisse Jesu nur dann richtig, wenn wir sie als der rabbinischen Gleichnisgattung zugehörig betrachten. Aus dem Wort Jesu über den Zweck der Gleichnisse [Mk 4,10-12parr.] erfahren wir, dass Jesus die Gleichnisse aus denselben Gründen wie die Rabbinen erzählte.1

Das Argument, die Talmudtexte seien deutlich jünger als die Evangelien, wird unter Verweis auf die lange mündliche Vorgeschichte der relativ konstanten und prägnanten Erzählform der Gleichnisse zurückgewiesen. – Der Vergleich zwischen neutestamentlichen und talmudischen Gleichnissen führt zu einer grundsätzlichen Kritik an Jülichers Postulat eines Gleichnis-Idealtyps: Die frühjüdischen Gleichnisse sind allesamt auslegungsbedürftig und weisen mehr als ein tertium comparationis zwischen Erzähl- und Deutungsebene auf. Ohne nachweisbaren Gleichnis-Idealtyp ist aber auch die Kontrastierung zur Allegorie hinfällig.

2.2.2 Die eschatologische Deutung

Jülicher sieht den theologischen Bezugsrahmen (‚Sache‘) des Gleichnisses in einer sittlich-religiösen, zeitlos gültigen Satzwahrheit. Die darauffolgende Generation erkennt ihn in der Verkündigung der anbrechenden Herrschaft Gottes. Schon Jülichers Altersgenosse Johannes Weiß (1863-1914) wies auf den eschatologischen Charakter der Gleichnisbotschaft Jesu hin.1 Unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs, der sämtliche Illusionen über die innergeschichtliche Realisierbarkeit sozialer Zustände im Sinne des Gottesreiches zunichte machte, stellten Charles Harold Dodd (1884-1973) und Joachim Jeremias (1900-1979) die eschatologische Ausrichtung der Gleichnisbotschaft in den Vordergrund.2

Mit der eschatologischen Deutung rückt der Begriff der Krise (gr. krísis – Unterscheidung, Entscheidung, Gericht) ins Zentrum der Gleichnisauslegung. Das nahe Kommen Gottes stelle die Hörerinnen und Hörer der Gleichnisse in die existenzielle Entscheidung für oder gegen Gottes basileía.

Alle Gleichnisse Jesu zwingen den Hörer, zu Seiner Person und Seiner Sendung Stellung zu nehmen.3

Jeremias sieht den Kern der Gleichnisbotschaft in der Proklamation des anbrechenden Heils, in Gottes Vergebungsbereitschaft, im Ruf zur sofortigen Buße (gr. metánoia), in der Aussicht auf die nahe Erlösung und in der Warnung vor dem kommenden Gericht. Diese Inhalte provozierten konkrete Verhaltensänderung.

Jülichers rhetorische Zweckbestimmung der Gleichnisse, ihre Entgegensetzung zur Allegorie und die Missverständnistheorie bleiben indes unangetastet.4 Jeremias sieht sich besonders in einem Punkt als Vollender der Jülicherschen Gleichnistheorie: in der konsequenten Rekonstruktion des mündlichen Gleichnis-Idealtyps. Dessen Merkmale übernimmt Jeremias von Jülicher (Einfachheit, Anschaulichkeit, Realistik des Erzählten). Zusätzlich entwickelt Jeremias insgesamt zehn Umformungsgesetze, die bei der Verschriftlichung (und zugleich Übersetzung aus dem Aramäischen ins Griechische) leitend gewesen seien.5 Die Rückgewinnung der ipsissima vox Jesu ist Jeremias’ Erkenntnis leitendes Hauptinteresse. Der O-Ton Jesu samt seinem situativen Entstehungskontext (Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern) ist für ihn der Verstehenscode der Gleichnisse.

2.2.3 Die ‚metaphorische Wende‘

Die nachhaltigste Zäsur in der Geschichte der Gleichnisforschung ist die ‚metaphorische Wende‘ seit den 1960er Jahren. Kern der Wende ist die Neubestimmung der Metapher als po(i)etischer Sprachform im eigentlichen Sinne.

a) ‚Eigentliche‘ statt ‚uneigentliche‘ Rede

Während die ältere Gleichnisforschung die Metapher als ‚uneigentliche‘, für argumentativ-rhetorische Zwecke letztlich unbrauchbare Sprachform wertet, die im Deutungsprozess durch ‚Klartext‘ zu ersetzen sei (Substitutionsmodell), sieht die neuere Forschung in der Metapher eine ‚eigentliche‘ Sprachform, die im Unterschied zu unmetaphorischen Sprachformen Wirklichkeit konstituiere. Ein weiterer Vorzug metaphorischer Sprache sei ihre emotional-affektive Ausrichtung: Metaphern und Gleichnisse sprechen auch das Herz an, nicht nur den Verstand. In diesem Sinne sei die Metapher eine poetische bzw. poietische Sprachform (gr. poieín – machen, erschaffen).1 Metapher gilt nicht mehr als einzelner Begriff, als semantischer Fremdkörper, der zu ersetzen sei, sondern als Satzphänomen, das von der kontextuellen Spannung lebt (Interaktionsmodell, Metapher als Phänomen der Prädikation), deutungsoffen ist und einen bleibenden Sinnüberschuss in sich trägt. Daher und wegen ihrer poietischen Sprachkraft sei die Metapher unersetzbar.

b) Metaphorische Sprache als Grundmodus der Erschließung von Wirklichkeit

Die Federführung bei dieser Neubewertung lag bei der Sprach- und Literaturwissenschaft.1 Protagonisten waren Max Black (1962), Robert Funk (1966), Ivor A. Richards (1967) und Harald Weinrich (1976). Sie erkannten in der Metapher den Grundbaustein von Sprache, mit dessen Hilfe Wirklichkeit erfasst und verstanden werde, und zwar durch analogische Verknüpfung von Bekanntem mit Unbekanntem.2 Die Metapher ist Gerhard Sellin zufolge

der deutlichste Ausdruck des analogischen Charakters der Sprache überhaupt, der menschlichen Fähigkeit, Beziehungen zu sehen, zu verbinden, zu interpretieren, Sinn zu erfassen.3

Während Jülicher und seine Nachfolger Sprache als Mittel präziser Informationsübermittlung verstanden, wird Sprache jetzt als schöpferischer (poietischer) Akt bewertet, der Wirklichkeit allererst hervorbringe und neuen Sinn konstituiere.4

c) Gleichnis als ‚erweiterte Metapher‘

Der Bereich des Religiös-Transzendenten ist nur mittels metaphorischer Sprache zu erschließen.1 Diese Erkenntnis führt zu einer Neubestimmung des Gleichnisses als einer ‚erweiterten Metapher‘:2 Gleichnis und Metapher verknüpfen unabhängige Wirklichkeitsbereiche miteinander und sind konterdeterminiert (→ 1.5.7). Der theologische Bezugsrahmen wird über den Umweg der in sich schlüssigen Bild- bzw. Erzählebene mithilfe subtiler Hinweise (Transfersignale) erschlossen. Dieser Vorgang wird als metaphorischer Prozess bezeichnet (zur Kritik → 2.2.4).

 

d) Gleichnis als ‚Sprachereignis‘

Fokussiert wird in diesem Neuansatz der ästhetisch-po(i)etische Charakter des Gleichnisses: Im Erzählen und Hören des Gleichnisses realisiere sich die Gottesherrschaft. Das Gleichnis avanciert hier zum Offenbarungsmedium sui generis, es gilt als Sprachereignis, vergleichbar einem performativen Akt (→ 1.5.11).1 Hierdurch erhält die Gleichnisform eine exklusive hermeneutische Wertigkeit.

Jesus von Nazareth hat aber nicht in Gleichnissen gesprochen, weil er eine Wirkung erzielen wollte, sondern weil das Gottesreich, das er verkündigte, eine Wahrheit ist, die gar nicht ‚an sich‘ besteht, sondern wesentlich auf das Einverständnis des Hörers abzielt. Die Sprachform Gleichnis entspricht dieser Wahrheit, und nur deshalb ist sie auf Wirkung bedacht. Wahrheitsaussage und Wahrheitsansage sind eine Einheit, so wie Form und Inhalt des Gleichnisses eine Einheit sind.2

Anders gesagt: Der theologische Bezugsrahmen lässt sich nur in der Form des Gleichnisses ausdrücken; verändert man die Form, verändert man auch den Inhalt. – Als methodische Konsequenz der neuen Betrachtungsweise verbietet sich die Suche nach einem tertium comparationis zwischen Erzähl- und Deutungsebene:

Es gibt kein Drittes, das zwischen der Basileia und dem Gleichnis vermittelt. Vielmehr ist die Basileia nur im Gleichnis und nur als Gleichnis da.3

Die Anschauung vom Gleichnis als Sprachereignis wird zum Teil auf die mündlichen Gleichnisse Jesu begrenzt. Nur die mündliche Gleichnisrede sei, dank fehlender kontextueller und textinterner Transfersignale, von den Hörerinnen und Hörern Jesu unvoreingenommen, mit maximaler Fokussierung auf das Erzählte rezipiert worden. Diese idealen Rahmenbedingungen seien conditio sine qua non für den ‚metaphorischen Prozess‘, in dessen Verlauf das, wovon das Gleichnis eigentlich handelt, für die Rezipienten Wirklichkeit werde.4 Im Gegenzug wird der Verschriftlichungsprozess mit der damit einhergehenden (Re-)Kontextualisierung als ‚Sprachverlust‘ gewertet.5

e) Gleichnisse und Bilderverbot

Die metaphorisch-poetische Rede von Gott trägt dem alttestamentlichen Bilderverbot Rechnung, denn sie legt Gott nicht in Formulierungen der Art ‚Gott ist XY‘ fest. Sie bringt vielmehr zugleich Analoges und Differentes zum Ausdruck. Das Gottesbild der Gleichnisse oszilliert in den po(i)etischen Sprachbildern und entspricht damit der dynamischen Unverfügbarkeit Gottes.1

f) Existenziale Interpretation

Der theologische Bezugsrahmen wird in diesem Ansatz neu bestimmt. Hob die ältere Gleichnisforschung auf eine sittlich-religiöse Satzwahrheit (Jülicher) oder auf die eschatologische Ansage der Gottesherrschaft (Dodd, Jeremias) ab, gilt jetzt die Gottesherrschaft im Sinne einer Gegenwirklichkeit bzw. einer neuen, von Jesus gestifteten Existenzmöglichkeit unter dem Vorzeichen der Liebe als Kern der Gleichnisbotschaft. Für Dan Otto Via kommt die Gleichnisverkündigung dem Angebot gleich, die eigene Situation in der Geschichte neu zu verstehen.1

g) Ästhetische Autonomie

Die existenziale Interpretation verweist auf zeitunabhängige, unmittelbar einsichtige Existenzialien wie Angst, Freude, Hoffnung, Liebe, Furcht vor dem Tod etc. Die Gleichnisbotschaft erscheint dadurch unabhängig von ihrem historischen Verstehenszusammenhang. Sinngebend sind, so die Vertreter einer ‚ästhetischen Autonomie‘ der Gleichnisse, das Ensemble der einzelnen Erzählelemente und die jeweiligen Rezipienten. Diese deuteten das Gleichnis als Kunstwerk, das jenseits der Autorintention, autonom sein Wirkungspotenzial entfaltet, mithilfe eines eigenen ‚hermeneutischen Entwurfs‘.1 Die ästhetische Autonomie der Texte verdanke sich vor allem ihrer Kürze und ihrer narrativen Geschlossenheit.2

Die Wirkung des Kunstwerks auf die Betrachter bestehe in einer durch Dramaturgie und Geschlossenheit ermöglichten, ästhetischen Erfahrung, die die Sicht auf den Alltag nachhaltig verändere. Transfersignale und überhaupt die Frage nach einer Deutungsebene spielen in diesem Ansatz keine Rolle. Die Deutung sei ausschließlich auf der Erzählebene selbst zu suchen und zu finden. Nicht die basileía Gottes sei der Bezugsrahmen, sondern eine unmöglich erscheinende Möglichkeit der Existenzführung.3 François Vouga definiert die Gleichnisse als

dramatische Geschichten mit einer oder mehreren Personen, charakterisiert durch die Klarheit ihrer Handlung, durch die Univozität ihrer Sprache und durch die Unabhängigkeit von jedem Kontext.4

Wolfgang Harnisch verbindet das Konzept mit Erkenntnissen der Theaterwissenschaften und der Fabeltheorie. Jülichers Postulat eines Gleichnis-Idealtyps wird aufgegriffen und modifiziert: Eine bestimmte Figurenkonstellation sowie eine Szenenfolge in drei Akten, mit dem erzählerischen Schwerpunkt auf dem dritten, dialogisch angelegten Akt der narratio sei typisch für die Gleichnisse im Munde Jesu. Dieses Arrangement verleihe ihnen eine einzigartige Sprachkraft: Die Adressaten würden wie in einem gelungenen Bühnenstück in den Handlungsverlauf verwickelt. Das führe zur Entdeckung einer überraschend möglich erscheinenden, befreienden Existenzweise, welche in einem metaphorischen Prozess mit der Gottesherrschaft verknüpft werde.5 Merkmale dieser neuen Existenzmöglichkeit seien unbedingte Liebe, unbegrenzte Freiheit und maßlose Hoffnung. In der performance des Gleichnisses werde die Möglichkeit verwirklicht (Sprachereignis). Das textpragmatische Ziel des Gleichnisses formuliert Harnisch so:

Der Hörer, dem Jesu Erzählung als eine ihn treffende Anrede widerfährt, soll sich im Akt der Rezeption zu einem Glauben ermutigen lassen, der das sprachlich Eröffnete als eine ihm extra se ipsum zukommende, verdankte und damit auf Gott verweisende Möglichkeit wahrnimmt, zu einem Glauben also, der die Sphäre des Möglichen mit der Gottesherrschaft identifiziert.6

Harnisch bindet seine Theorie an die mündliche Idealform der Gleichnisse, die noch frei von (zentrifugal wirkenden) Transfersignalen sei. In dieser Form begegneten die Rezipienten den Gleichnissen mit einer Unvoreingenommenheit, die den genannten ‚metaphorischen Prozess‘ allererst ermögliche. Die Verschriftlichung der Texte und die damit einhergehende Anreicherung mit nach außen ablenkenden Transfersignalen (Allegorisierung) wertet Harnisch als ‚Sprachverlust‘, in dem das Sprachereignis in ein rhetorisches Argument umgewandelt werde. Jülichers Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie lebt damit modifiziert weiter (weiter zum Gleichnis als Bühnenstück → 2.2.6e).

h) Bleibende Kontinuität mit Jülicher

Die Hochschätzung der Gleichnisform gilt exklusiv für die mündlichen Gleichnisse. Kontextualisierung, Verschriftlichung und Transfersignale machten die ursprüngliche Sprachkraft des Gleichnisses zunichte (‚Sprachverlust‘). So finden Jülichers anti-allegorischer Affekt und seine Verfäschungstheorie eine Fortsetzung.1

i) Fazit: Gleichnisse als Offenbarungsmedium und ‚Sprachereignis‘

Die ‚metaphorische Wende‘ führt zur Wiederentdeckung der po(i)etisch-ästhetischen Sprachkraft und der Unersetzbarkeit von Metapher und Gleichnis. Form und Inhalt, narratio und theologischer Bezugsrahmen bilden eine unauflösliche Einheit. Jesus als Gleichniserzähler etablierte eine unvergleichliche, dem Inhalt und dem Bilderverbot adäquate Form der Rede von Gott. Indem er die anbrechende Gottesherrschaft verkündigte, ließ er sie bei den Menschen Wirklichkeit werden. So gelten die Gleichnisse als Offenbarungsmedium sui generis und als einzigartiges, performatives Sprachereignis. Das in → 1.5.11 zitierte Diktum Jüngels bringt den Kern der ‚metaphorischen Wende‘ auf den Punkt. Inhaltlicher Kern der Gottesherrschaft ist demzufolge die Liebe als den Menschen neu geschenkte Existenzmöglichkeit (existenziale Interpretation). Die Suche nach einem Vergleichspunkt und einer Deutungsebene jenseits des Erzählten ist in diesem Ansatz obsolet.

2.2.4 Kritik an der ‚metaphorischen Wende‘

Die Gleichnisforschung seit den 1970er Jahren findet weiterhin in Auseinandersetzung mit Jülichers Ansatz und zusätzlich mit dem Konzept der ‚metaphorischen Wende‘ statt. Gegen Letztere wurden folgende drei Punkte kritisch eingebracht1:

Erstens, eine Gleichsetzung der Metapher als Satzphänomen der Lyrik und des Gleichnisses als narratio sei nicht zulässig:

Wird das Metaphernphänomen der Lyrik auf Gleichnisse übertragen, muss dies fast notwendig zu Verkürzungen im Gleichnisverständnis führen, da hier gleich zwei Grenzen überspielt werden: die Grenze vom Satz zur Erzählung und diejenige von der Gattung Gedicht zur Gattung Gleichnis.2

Ein wichtiger Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis bestehe darin, dass die Metapher lediglich Analogien, ein Gleichnis aber auch Differenzen zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen sichtbar machen könne.3 Diese Beobachtungen sprechen gegen die Definition des Gleichnisses als einer ‚erweiterten Metapher‘. Ein Gleichnis sei vielmehr eine fiktionale Erzählung, die einzelne Merkmale mit der Metapher gemeinsam hat (Konterdetermination, bleibender Sinnüberschuss, mehrere mögliche Vergleichspunkte und Deutungsbedarf).

Zweitens, das Gesagte gilt auch für die Rede von der po(i)etischen Sprachkraft der Metapher: Die Ansicht, Metapher und Gleichnis hätten eine besondere Sprachkraft und ein Gleichnis sei ein performatives Sprachereignis, wird als unangemessen und apologetisch gewertet.

It would be difficult to document cases of people who in reading a parable or having it read to them experienced in that moment their lives being ‚torn apart‘.4

Die Sprachkraft von Metapher und Gleichnis beschränke sich auf ihre Fähigkeit, bereits vorhandene Analogien sichtbar zu machen.5 Von einem ‚Sprachverlust‘ bei der Verschriftlichung der Gleichnisse zu sprechen (Harnisch 1985), sei daher unsachgemäß, auch weil die Annahme eines kontextfreien, mündlich vorgetragenen Gleichnisses eine Fiktion ist – im Gegenteil: Auch für die Gleichnisse im Munde Jesu seien Kontextmarker ([Vor-]Wissen der Hörerschaft um Jesu Vollmacht, Jesu Taten als situativer Kontext der Gleichnisse u. a.) vorauszusetzen, die das Verstehen der Gleichnisrede vorprägen. Die Gleichnisse seien von Jesus nicht in einem luftleeren Raum, sondern im Kontext seines sonstigen Wirkens gesprochen worden. Absolute Unvoreingenommenheit der Hörerschaft als Voraussetzung dafür, dass das mündlich vorgetragene Gleichnis eine performativ-po(i)etische Wirkung entfalten könne, sei Fiktion.6 Diese Erkenntnis führt in der Folge zur Fokussierung auf die schriftliche Endgestalt der Texte und ihres Kontextes.7

Drittens, die Fokussierung der Metapherntheorie auf poetische Anteile wird als Engführung eingestuft, vergleichbar der rhetorisch-argumentativen Engführung bei Jülicher. Schon Quintilian ordne Metaphern und Gleichnisse dem rhetorischen und dem poetischen Bereich zu.8 Metaphern eigneten sich demnach sowohl zur sachlichen Beschreibung von Sachverhalten als auch zur emotionalen Steuerung der Hörerschaft. Gemeinsam mit der Beobachtung des grundsätzlichen Kontextbezugs ergebe sich daraus methodisch die Aufgabe, Metaphern und Gleichnisse aus ihrem Kontext heraus zu deuten. Die Sprachformen ließen sich durch Interpretation zwar nicht substituieren, aber im Sinne der Autorintention interpretieren. Wesentlich für den Interpretationsrahmen seien der literarische Kontext und der Verstehenskontext der Erstadressaten; deren theologische und zeitgeschichtliche Assoziationen beim Hören von Metaphern und Gleichnissen seien zu rekonstruieren. – Die Rückbesinnung auf die argumentativ-rhetorische Funktion von Gleichnis und Metapher führt im weiteren Verlauf zu einer verstärkt redaktionskritischen bzw. kommunikationstheoretischen Betrachtungsweise.9