PLATON SIEHT CHEMTRAILS

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Selbstwirksamkeit: AfD

Ich gehe den Müllsammlern hinterher. Mache ich nicht das Gleiche? Sammle ich den mentalen Müll der anderen?

»Wat los, Kolleje, wieso ziehste sone Flunsch?«

Einer hat mich bemerkt. »Viel Glück und viel Fegen« steht auf seinem orangefarbenen T-Shirt. Es erinnert mich an das siebente Gebot des V. Parteitags des Staatssekretärs Walter Ulbricht in Berlin: »Du SOLLST stets nach Verbesserung deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festlegen.«30 Arbeit war damals wie heute Freiheit. Aber heute wird wenigstens Lustigkeit mit Steuergeldern finanziert. Entmannt ihn hinreichend, verzweifelt stülpt sich seine Goldkette aus dem Kragen. Aufgedunsenes Gesicht, die Augenschlitze wie eine chinesische Großmutter, grobe Finger, die das ganze Leben als Schaufelimitate missbraucht wurden.

»Menschen eben.«

»Die da voone, wa? Ja, det isn Pack. Deswejen wähl ick AfD. Damit sich ma wat ändert.«

»Sind Sie ein Nazi?«

»Wat, ick?« Er sieht sich theatralisch um. Gesten, die über Jahrzehnte an klebrigen Theken einstudiert sind und sich zu einer Charakterpampe verfestigt haben. »Nee, ick doch nich. So wat sacht man ooch nich. Dit verletzt meen …«

»Safe Space?«

»Jenau! Dit is nur Protest, damit sich ma wat ändern tut. Ick fadiehn hia kaum jenuch zum Leben und meene Miete is viermal mehr als zu Ostzeiten. In Westmark … zehnmal? Und in Ostmark noch viel mehr!«

»Und du wählst AfD, damit die Armen noch ärmer werden?«

»Wat, wieso?«

»Steht im Parteiprogramm.«31

»Ach, det gloobe ick nich.«

»Na, dann ist ja gut. Hitler wollte bestimmt auch nur das Beste.«

»Der is faalsch fastandn wordn. Eijntlich wa dea n Linka, hört ma ja schon an NationalSOZIAList. Immerhin hat der ma wat jemacht!«

»So kann man es auch sehen. Töten ist machen.«

»Ach, Quatsch, det is doch alles jelojen. Und det faletzt außadem wiedo meen sefspeß. Ick bin ja nich so mit die Internet, aber es jibt da Videos von die fehlende Blausäure, dit kann ja keene Vagasung jewesen sein. Und wenn waren et da ooch nich sechs Millionen Tote, sondan nur sechzichtausend.«

»Der fingierte Leuchter-Report? Das lässt sich alles relativ einfach mit dreimal Googlen entkräften.32 Einfach die Verschwörungstheorie.«

»Is det nich! Dit daaf man nich sagn!«

»Gut, die These eingeben und ›Psiram‹ dahinter. Das ist das frühere Esowatch.«

»Wenn alle so denken würden, wie wäre et bald zu Ende mit uns …«

»Wer ist denn uns? Die Arier? Ich bin Grieche.«

»Ah so? Sieht man ja nich.«

»Ich bin schon eine Weile ausgewandert. Seitdem das Attika an seiner Arroganz und seinem Ressourcenverbrauch zugrunde ging … Würde euch sicher nie passieren.«33

»Ah. Na, ick meen wir Deutschen.«

»Ach, und wer ist deutsch? Bin ich deutsch, wenn meine Mutter hier geboren ist, mein Vater aber nicht? Wenn ich aus Ostpreußen komme, aber fünfzig Jahre in Polen gelebt habe? Und kein Deutsch mehr kann? Wenn meine Familie seit drei Generationen hier ist, ich aber schwarz bin? Wenn ich ein ›linksgrünversiffter‹ Antideutscher bin und in einem besetzten Haus wohne?«

»Wer Doitschland nich liebt, soll Doitschland falassn! Und wa nich Doitsch kann, kann keen Doitscha sain!«

Kurzes Schweigen. Keine Einsicht. Längeres Schweigen. Ich knacke meine Finger. Er fegt.

»Verschwörungstheorien sind der Ausdruck einer Zeit, in der sich der Verstand mit Grausen abwendet. Einer Zeit, in der es durch das Internet mehr Informationen gibt, als unser auf Überleben in der Steppe getrimmtes Gehirn aufnehmen kann.«

»Als ick oofjewachsen bin, da jab et nur zwei Fernsehkanäle. Und aina davon wa vabooten!«

»Besonders als das Gehirn von Leuten aufnehmen kann, die noch zwei Fernsehkanäle, zwei Weltmächte und zwei Geschlechter gewohnt sind.«

»Oh nee, die mit die Transen und so, det jeht ja ja nich …So sterben wa aus.«

»Verschwörungstheorien sind der Ausdruck eines … deines verzweifelten Hasses, weil einen keiner beachtet. Weil man nicht mehr selbstwirksam ist. Egal ob tausend Twitter-Klicks, tausend Goldketten oder tausend Bier am Stammtisch. Die Welt dreht sich weiter und du bist ihr egal. Deine einzige Möglichkeit ist, im Einkaufszentrum tausend Tote mit der Uzi zu hinterlassen. Aber dafür hast du nicht den Arsch in der Hose. Und deswegen erzählst du lieber moderne Märchen.«

»Wat? Nee, ick bin doch keen Unmensch. Ick sach doch, ick bin keen Nazi, aber …«

»Reicht schon danke. Weißt du, mein Mitleid mit euch Verschwörungstheoretikern ist gelinde gesagt stark strapaziert. Ihr hinterlasst mental nichts als verbrannte Erde. Ihr geht unter und wollt, dass alle mit ihnen untergehen. Genau deswegen kann ich das Geheimnis der Unsterblichkeit noch nicht verraten. Ihr seid FUBAR: Fucked Up Everything Beyond All Repair. Und das ist an einem guten Tag.«

»Unsteablichkeit? Man is noch nicht jestorben, solange sich wer an dich erinnert!«

»Nach der gleichen Logik leben Jesus, Schneewittchen und der Attentäter von Columbine auch noch. Leben ist die aktive Bewusstseinsillusion, nichts anderes.«

»Na, und wie looft et in dea Zukunft?« Er findet sich lustig.

»Wie soll ich das wissen, ich war ja noch nicht da.«

»Und janz früher?«

»Beschissen. Wer hat schon Lust, an einem Splitter zu verrecken oder Zähne ohne Betäubung gezogen zu bekommen? Außer Hippiekriten natürlich. Aber ich schätze mal, wir werden in der Zukunft biologische Verjüngungskur für das Gehirn haben oder es gleich hochladen und optimieren. Aber bis es soweit ist, will ich meine Zeit nicht mit euch verbringen. So traurig es ist, Fortschritt kam bisher nur durch den Tod von Idioten in Machtpositionen. Nur so treten Diktatoren, Könige und Bundeskanzler ab.«

»Die Volksfarräterin!«

»Alter ist das Einzige, was man nicht mit der erlaubten Korruption namens Lobby und der erlaubten Propaganda namens Werbung wegwurschteln kann.«

»Die Judenmafia!«

»Vorsicht! Sonst holt die dich gleich ab!«

Er blickt sich nervös um.

»Alter ist auch der Motor für Verschwörungstheorien. Mit über fünfzig verkalkt das Gehirn nicht nur, es ist auch einer Folge aus kleinen Schlaganfällen ausgesetzt, besonders wenn man Fleisch und Zucker in sich rein stopft.«34

»Dit mit die Ahnärunk ändert sich doch alle paar Jahre!«

»Ja, wenn man glaubt, was die Boulevardzeitungen und GMX versprühen. Wissenschaftler studieren aber zum Beispiel Veganismus seit über hundert Jahren und da verfestigen sich die Ergebnisse seit Langem. Es passt den Leuten eben nur nicht, Vollkorn und Gemüse zu essen. Jede noch so wahnsinnige Theorie nehmen sie mit Kusshand an, nur um weiter Dreck fressen zu können.«

»Aber et schmeckt auch bessa!«

»Alles eine Sache der Gewöhnung. Iss mal drei Monate kein Fleisch, danach merkst du, dass das Leiche ist. Und dass Wildtiere zum Bewundern, Haustiere zum Streicheln und Nutztiere zum Töten da sind, kommt dir dann so absurd vor, wie es ist. Du siehst die geometrischen Formen im Supermarkt, dann als das, was sie sind: Leichenteile.«

»Dit sagt man doch so nich.«

»Genau, weil es ein Tabu ist. Weil töten und genießen schwer zusammengeht. Weil Tiere bei den meisten nur knapp über Negern stehen.«

»Auf jeden Fall Doitschland zuerst! Man muss ja nich alle töten, ick bin ja keen Unmensch. Aber Doitsche sollten schon mea Kinda kriegn.«

»Apropos Kinder: Die, die keine Süßigkeiten im Haus hatten, haben später kein Verlangen danach.«

»Aber dit is doch in den Jenen, Kinda mögn ebn Süßes.«

»Kinder in Thailand essen auch Heuschrecken gerne. Ist das bei denen in den Genen?«

»Weeß ick nich …«

»Und außerdem werden Kinder ohne Zucker und Fleisch nicht so schnell alt – auch im Kopf. Das wirkliche Problem ist, dass Altern bei uns zwangsweise Verdummen heißt.«

»Ick bin noch superfit!«

»Wie alt bist du … fünfzig?«

Damit bin ich noch schmeichelhaft. Aus seiner zerfurchten Haut triefen Talgrinnsale. Die Tränensäcke sind prall gefüllt von Dekaden Pegelsaufen. Seine Hautfarbe ist so gespenstisch, dass selbst die schwarze Tonne neben ihm wie Ricky Martin daherkommt.

»Zweiundvierzig.«

»Ah. Naja, es ist kein Wunder, dass auf Chemtrail-Demos und Messen für alternative Heilung grau die Haarfarbe der Wahl ist.«

»Und bei AfD-Parteiversammlungen!«

»Da besonders. Die meisten – gefühlten – Rentner verhalten sich so, als würde Grau sich nicht darum kümmern, ob du lebst oder stirbst. Als würden sie ein letztes Mal einen Gedanken ausbrüten, aus dem ein Kind schlüpft, dass sie ›Hoffnung‹ nennen und dann töten. Vorbei ist die Zeit, als alte Leute das Rückgrat der Gesellschaft waren. Jetzt sind sie deren Geißel. Zumindest die neunzig Prozent, die sich aufgegeben haben. Die jetzt nichts anderes möchten, als das alles so bleibt, wie es ist. Und verschwörungstheoretische Märchen beschwören, damit es so bleibt.«

»Aber früher war et ja bessa!«

»Welches Früher? Das von Hänsel und Gretel, des neuen sozialistischen Menschen oder der blühenden Landschaften?«

»Na, die kamen ja ooch nich …«

»Na klar, weil die Westtreuhand euch mit Ansage ausgeraubt hat. Niemand bei Verstand sagt, dass das fair oder auch nur geschäftlich vorausschauend war. Wie bei den Verschwörungstheorien, es gibt immer Quacksalber. Fitzek, Icke und Stibal verdienen sich dumm und dämlich an noch und Dumm- und Dämlicheren.«

»Dit es eben Wirtschaft.«

 

»Geht alles ins Bruttosozialprodukt ein? Bringt uns also voran? Wie Krieg, Tankerunglücke und nukleare Kernschmelzen? Sogar der Drogenhandel fließt passiv ins Bruttosozialprodukt ein!«

»Mensch, in so eena Welt leben wia.«

»Wer Kapitalismus sagt, muss auch Faschismus in Form von Verschwörungstheorien sagen.«

»Mia platzt echt gleech dea Kopf.«

»Das, was dann am Boden kleben bleibt, sind die Verschwörungstheorien. Die sind nicht nur das Rettungsboot der geistig Ertrinkenden …«

»Flüschtlingä?«

»Fast. Sie sind auch eine Riesenindustrie. Sie machen im wahrsten Sinne aus Nichts Geld. Was können einem Marketingleute und Verschwörungstheoretiker denn bieten? Hat man danach bessere Computerkenntnisse? Insidereinsichten in den Markt? Kann man besser kraulen?«

»Naja, ne jute Ainstellunk?«

»Sie können einem nichts außer heiße Luft bieten. Aber davon viel. 2010 waren alleine siebenundzwanzig Autoren in den Untiefen der Verschwörungstheorien und Heilsversprechen zugange. Zwar versicherten die Größten von denen selbst, dass man natürlich nicht mit seinen Gedanken die Physik außer Kraft setzen kann, aber das interessiert die Anhänger längst nicht mehr. Ebenso wie die Bibel wahrscheinlich irgendwann nur aus ›seid nett zueinander und tötet euch nicht unbedingt, wenn einer eure Ziege falsch anguckt‹ bestand, verselbstständigen sich die Lehren. Der Wahnsinn bricht sich Bahn und dann stehen Extremisten vor dir, die behaupten, wenn du Krebs hast, wäre es deine eigene Schuld. Du hättest ja mal positiver denken können, nicht wahr?«

»Nee, dit mit dem Krebs kommt von die Juden und dearen Chemo!«

»Was hast du denn da am Arm?«

»Ein Bändschn.«

»Hat dir das Wolfgang Petry geschenkt?«

»Nee, dit soll mia positiv machen.«

»Natürlich möchte auch die althergebrachte Religion ein Stück vom Aas haben.«

»Dit is von die Priesta aus Amerika.«

»Der in seiner Gemeinde Negativität und Sarkasmus verboten hat?«35

»Jenau.«

»Ich erinnere mich. Mit seinen Armbändern, die symbolisieren sollten, dass man sich nicht beklagen würde. Das ging um die ganze Welt. Sicher sind die verhungernden Kinder in Darfur glücklich, jetzt so schöne Armbänder zu haben. Und halten endlich die Schnauze. Was wäre, hätten die Franzosen vor der Revolution diese Bändchen getragen? Oder die Kinder in den Kohleminen? Es ist nur ein kleiner Schritt, bis man sich nicht mehr über die Kündigung beklagt.«

»Mir hamse auch jekündigt! Nach zwanzich Jahren!«

»Und, hast du auf den Tisch gehauen?«

»Nee, aber ick hätte, wenn ick noch mal hin jekommen wäre! Aber et jab Stau.«

»Warst du wenigstens in der Gewerkschaft?«

»Nee, keene Zeit.«

»Stau, nicht wahr?«

»Imma! Mitm Rad wäre man schnella!«

»Kann man aber nicht fahren, weil …?«

»Det is ja lebensjefährlich!«

»Mit den ganzen Autofahrern … Und wegen der Kündigung: Dass man sich nicht beklagen sollte, stand auch in einem der Lebenshilferatgeber (und Bestseller!), die kostenlos von Arbeitgebern verteilt wurden.«36

»Dit is ne Veschwörung!«

»Ja, wer eine Verschwörung sehen will, der kann sie in den Verschwörungen selbst sehen. Allerdings ist die um einiges zu offen, als sie eine Verschwörung nennen zu können. Sie ist eine Begleiterscheinung der neoliberalen Politik der Dehumanisierung und des Sozialabbaus.«

»Die Kommunistn, die vadammtn!«

»Fast … anstatt sich dagegen aufzulehnen, versuchen ihre Opfer extremer zu sein, als die Ideologie selbst. Wenn man schon nicht aus einem paranoiden Staat heraus kommt, dann geht man wenigstens zur Stasi.«

»Dit hättick nie jemacht!«

»Aber AfD wählen geht? Natürlich erzeugt die zwanghafte Selbstmotivation zerstörte Reste von Charakterkrüppeln. Besonders, weil man für den Erfolg nicht wirklich glücklich oder freundlich sein muss, sondern weil man es nur darstellen muss. In einer Studie wurde bewiesen, dass Stewardessen durch das ständige Fröhlich- und Höflichsein den Kontakt zu den eigenen Emotionen verloren und depressiv wurden.«37

»Det gloob ick. Der Searwiß wird auch imma schlechta!«

»Das passiert jetzt mit einer ganzen Gesellschaft. Kein Wunder, dass Protofaschisten wieder Auftrieb haben. Die Menschen sind so abgestumpft, dass selbst Konzentrationslager ihren Schrecken verlieren.«

»Na det is noch übatriebn!«

»Tatsächlich? Alexander Gauland sagte neulich, ›wir [haben] das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen‹.«38

»Na, man kann aba ooch nich einfach eine Lebnslaistunk aina janzn Jeneration schlecht machen. Die meestn haben von nix jewusst!«

Ich bekomme Lust auf drei Liter Kerosin. Ich gehe grußlos weg. Manchen kann man nicht mehr helfen. Ich bin nicht Jesus. Den Typ konnte keiner länger ausstehen, ohne ihn zu verraten.

Vor mir tut sich die Dämmerung über einem endlosen Nichtort auf. Eine Tankstelle, stuckbereinigte gedrungene Häuserzeilen, SPIEL-SPASS UND FUN IN RONNYS KLAUSE. Ich muss daran denken, dass das Vorkommen des Namens Ronny mit hohen AfD-Wahlergebnissen korreliert. Allerdings tun das auch Waldbrandvorkommen und Otter. Korrelation, Kausation, kann mich mal. Ich brauche ein Bier.

Polemik

Wenn man sich zerstören will, dann ist Verschwörungstheoretiker hassen die Überholspur. Es bringt so viel, wie auf Säure einzuschlagen. Die haben einfach zu viele Ressourcen. Wie Lemminge, es kommen immer neue nach. Alle zu erschlagen ist eine Heidenarbeit. Warum nicht dasitzen und genießen, wie sie in den Abgrund springen? Mit meiner Hilfe natürlich. Wo ein Wille (zur Vernichtung) ist, ist auch ein Weg (nach unten).

Von den drei Arten, wie man in einem guten Drama auf ein Problem reagieren kann, zerstören einen die ersten zwei. Resignation zerstört dich nicht direkt, sondern du dieses Ding um dich, die Welt. Früher oder später musst du in die innere Resignation, wenn dir mal wieder ein Reptiloidenfeminist mit seinem Gesabbel eine Schaumkrone aus Speichel auf dein schales Bier zaubert. Schön ab in die innere Emigration, autistisch alleine an der Wand schaukeln ist ja auch ein Zeitvertreib. Kann man machen. Dann kann man aber auch sterben. Und das Widerliche ist: So werden es immer mehr. Bis schließlich alle mit Aluhüten herumlaufen oder du ins KZ geschickt wirst. Menschen hassen die, die anders sind und wenn du dich nicht wehrst, bist du bald die Minderheit.

Vielleicht muss man Wahnsinn mit Wahnsinn bekämpfen. Mit Spott. Dem Verschwörungstheoretiker mit der gleichen Struktur beikommen und ihm zeigen, wie kaputt er ist. Das Wichtigste ist aber: Du hast verloren, wenn du dich aufregst. Du hast verloren, wenn du keinen Spaß hattest. Du hast verloren, wenn er seine grässliche Welt zu deiner werden lässt. Der Urfehler aller Gelehrten: Irgendwann werden sie verstockt und humorlos. Das liegt sicher auch am wegfaulenden Gehirn, aber das ist kein Problem für mich, den Alterslosen. Ich kann allen zeigen, dass ihr Gehirn in jungen Jahren schon am Faulen ist und mich dabei vor Lachen bepissen. Weisheit mit einem Schuss Bosheit. Der Cocktail der Gewinner.

Logische Fehlschlüsse: RONNYS KLAUSE

RONNYS KLAUSE sieht minimal anders aus, als ich sie erwartet hätte. Der Patchouligestank und die rosa und blauen Matten auf dem Boden sind für eine Kneipe doch eher unüblich. Statt Spielautomaten stehen Pflanzen in der Ecke, statt festgeschraubten Barhockern Sitzkissen und auf der Bar steht kein Bier, sondern »isotonische Energydrinks«. Was aussieht wie eine ehemalige Kegelbahn, ist jetzt ein Yoga-»Retreat«. Ein Grinsender schiebt sich mir ins Sichtfeld. Lockige Haare, Stirnband, er trägt eine Mischung aus Yogitüchern und Aerobicuniformen aus den tiefsten Achtzigern. Safran und Socken bis zum Knie, barfuß, aber Nike-Armband in Neongrün. Das erste Gebot des Sports: Sieh immer maximal verhaltensauffällig aus. Es kann ja sein, dass du in einer verregneten Nacht in den Vororten von Glasgow sonst vom herannahenden Kleintransporter übersehen wirst, in dem schon dein Vergewaltiger das Klappmesser ausfährt.

»Willkommen in RONNYS KLAUSE! Ich bin RONNY.«

»Du?«

»Künstlername.«

»Das ist doch nicht ernsthaft RONNYS KLAUSE?«

»Doch, es steht geschrieben, an dem Fenster, also ist es wahr.«

»Das ist ein logischer Fehlschluss.« Ich bekomme das dumpfe Gefühl, dass ich davon noch einige erklären muss. »Non sequitur: Es folgt nicht. RONNYS KLAUSE ist eine Kneipe. Hier steht RONNYS KLAUSE an der Scheibe. Folglich bin ich in einer Kneipe.«

»Ja, voll witzig, nicht? Wir haben das dran gelassen, ironisch natürlich.«

»Wie das Leben.«

»Ja.«

»Herzallerliebst.«

Er platzt fast vor Selbstzufriedenheit.

»Yoga ist das neue Bier! Das ist gut für alle. Und günstig! Wir bieten Wochenkurse an …«

»Falsche Prämisse: Yoga tut allen gut. Ich bin im Yogaknast. Also geht es mir gut.«

»Na, mal nicht so negativ! Fühle ich da innere Spannungen? Bei uns ist Yoga Kunst, die Kunst des Loslassens.«

Du fühlst gleich Aufprallspannungen im Gesicht, denke ich.

»Seit einer Woche bieten wir in den historischen Räumen von RONNYS KLAUSE auf über dreihundert Quadratmetern sechzehn riesige Porträtfotografien von Gesichtern in meditativen Momenten höchsten Gewahrseins. Ich machte mich vor fünf Jahren auf die Spurensuche nach den Quellen der ältesten dokumentierten Weisheitslehren und traf dabei die vielleicht letzte Generation von Menschen, die noch im natürlichen Bewusstsein tiefer Allverbundenheit leben. Das Außergewöhnliche an diesen Bildern ist die spürbare Nähe zwischen dem Fotografen und seinem Gegenüber, die man nicht nur sehen, sondern auch selbst erfahren und fühlen kann. Ein Kunstwerk mit magischer Anziehungskraft, das tief im Innersten berührt!«

»Argument aus Unwissenheit.«

»Was?« Er wacht aus seinem selbst induzierten Wachkoma auf.

»Wir kennen nicht den Grund für A und daraus folgt B. Leute in Indien sitzen zu lange auf einer Stelle. Also müssen sie im Bewusstsein tiefer Allverbundenheit leben.«

»Wie erklärst du dir sonst …«

»Jetzt kommt bestimmt was wissenschaftlich Reproduzierbares!«

»Was? Nein, was sollte es denn sonst sein?«

»Ein falsches Dilemma. Ist dir in den Sinn gekommen, dass es mehr als zwei Möglichkeiten gibt? Dass die zum Beispiel nur dasitzen und daran denken, wie schön RONNYS KLAUSE früher war?«

»Aber woher kommt denn das alles? RONNYS KLAUSE, die Welt, das All-Eins? Da muss es eine größere Kraft geben.«

»Es muss gar nichts, es kann auch einfach ein Fehler im extragalaktischen Schleuderprogramm sein, der unsere Seifenblase von Universum ausgespuckt hat. Was du versuchst, ist ein ›Gott in der Lücke‹ – Fehlschluss. Du gehst bis an den Rand des Erklärbaren und fügst da Gott ein. Haben die Menschen seit der Steinzeit getan und hat sich nie bewahrheitet.«

»Kann ja noch kommen, nur weil …«

»Nur weil zwanzigtausend Jahre kein Beweis geliefert wurde, dass der Herrgott uns jeden Morgen den Kaffee macht und nicht die Maschine, ist es nicht ausgeschlossen? Verschieben des Zaunpfahls, ein Fehlschluss und sogar einer der weniger eleganten.«

Wie Neonzombies haben sich aus den Matten Kursteilnehmer geschält. Viele junge Mädchen, die ihre potenzielle Schönheit nach Kräften mit Müllkleidung verstecken. Viel zu viel Glauben und Bewunderung in ihren Augen, die darauf wartet, enttäuscht zu werden. Nennt mich Apollo, Gott der Zerstörung.

»Das haben die Menschen doch schon immer getan!«, wiederholt er. Die Redundanz rieselt auf uns wie ein Schwefelregen.

Langsam weicht sein lockeres Showkarma.

»Und siehe, wo wir hingekommen sind!« Ich schwenke mit der Hand über die Katastrophe, die die hier Existenz nennen. Über die Beleidigung, die hier Einrichtung heißt. Teile des krebs- und ekelerregenden Dunstes aus Plastikpartikeln und Schweiß. »Außerdem ist das ein Traditionsfehlschluss. Richtig, weil schon lange so. Denkt jeder Dorfdepp, die CSU und die Vereinigung Deutscher Schlagermadln auch.«

»Meinst du im Ernst, all die tausende Jahre alten Weisheiten sind falsch? Sollen wirklich alle so dumm gewesen sein?«

»Das würde mich, wenn ich mich heute so umsehe, nicht wundern.«

Eine Yogaschülerin kichert. Dann ist es ihr so voll ultrapeinlich. Sie gibt vor zu niesen, hält sich die Hand vor den Mund, ekelt sich vor dem imaginären Schleim auf der Hand, traut sich aber nicht, ihn abzuwischen, weil sich inzwischen ein paar zu ihr umgedreht haben. Sie nimmt die Hände auf den Rücken, wo sie sie unbemerkt abwischen kann und präsentiert das Grinsen der Unbedarften. Das Grinsen der Hundestreichler und Schweinefresser, der am Strand Urlaub Machenden, während Flüchtlinge angeschwemmt werden, der Elektro-SUV-FahrerInnen.

 

»Außerdem«, ficke ich nach, »ist das ein Popularitätsfehlschluss. Nur weil alle es tun, muss es nicht richtig sein. Ich muss nicht den Holocaust erwähnen, oder? Außerdem: Nur weil du recht hättest, heißt das nicht, dass du nicht voreingenommen wärest.«

»Jede Perspektive hat ihre Berechtigung!«

Er erntet zustimmendes Nicken, als wäre die Feinmechanik in seinen Groupies ausgefallen.

»Wie konkret, ich bin erschüttert. Nein, es gibt eine ganze Menge Perspektiven, die keine haben. Zumindest nicht, wenn Sinn ein Kriterium ist und nicht nur …« Ich sehe mich um. »Esoschick.«

»Dann ist es keine Perspektive!«

Gespanntes Luftanhalten. Korax, der alte Rhetorikbegründer (und erster bezahlter Privatschullehrer), würde sich im Grab umdrehen.

»Kein echter Schotte.«

»Was?«

Seine Darstellung bricht zusammen.

»Kein echter Schotte. Eine Abwandlung vom Verschieben-des-Zaunpfahls-Fehlschlusses. Nach der allgemeinen Aussage ›alle A sind B‹ werden nach und nach alle A ausgeschlossen, die nicht B sind. Dadurch verliert die ursprüngliche Aussage letztlich an Sinn und Wert. Die Perspektive ist keine Perspektive mehr. Wenn alles Sinnvolle Perspektive ist, ist nichts sinnvolle Perspektive.«

»Genau! Die diamantene Sutra! A ist nicht A, deswegen ist es A!«

»Beim Zeus, Postmoderne? Es ist nicht mehr 1992, such dir ein neues Spielzeug. Ultrarelativismus sagt exakt nichts aus, außer dass er sich selbst bestätigt. Die Verschwörungstheorie, die jede Wahrheit zur Fiktion und jede Fiktion zur Wahrheit werden lässt. Auf einmal ist alles Rückwärts: Doktoren zerstören die Gesundheit, Anwälte Gerechtigkeit, Universitäten Bildung und die Medien Information.«

»Du hast noch nie Yoga gemacht, oder?«

»Nein …«

»Also kannst du gar nicht wissen, wie das ist!«

Ich höre die Windmühlenflügel der Verblödung flappen.

»Also erst mal ist das ein Ad-hominem-Fehlschluss gegen den Menschen. Aus einem Makel an mir leitest du ab, dass meine Argumente falsch sein sollen. Beste Safe-Space-Linken-Tradition. Führt zu nichts, außer, dass man sich im eigenen mentalen Inzest suhlen kann. Argumente entkräftet man nicht. Dazu ist es ein Fehlschluss, den ich mal Bundeskanzlerfehlschluss nenne: Wenn du nicht Bundeskanzler warst, kannst du ihn nicht kritisieren. Passabel, wenn man auf Monarchien und geistige Monokultur steht.«

»Woher hast du überhaupt das ganze Klugscheißerwissen?«

»Oh, wird da jemand emotional? Über die Zeit angereichert. Wie Kalk in der Kloschüssel.«

»Aha! Jeder vergisst laufend was! Die Erinnerung ist nur eine Illusion!«

»Schön, du vergiftest den Brunnen. Ein präventives Argumentum ad hominem. Greif ruhig das Wissensgebiet oder den Personenkreis an. Am Argument ändert das aber nichts.« Ich trete einen Schritt an ihn heran und schiebe mein Gesicht ganz nah vor seines. »Wer hat Angst vorm Argument?«

Er bebt vor Wut, aber wie würde es aussehen, wenn er sein Zen, Chakra oder die Weltenseele mit der Fassung verliert?

Ich richte mich wieder auf. »Dachte ich mir.«

»Ihr seid … was bist du überhaupt für ein Typ? Läufst hier in deiner Robe rein, vielleicht bist du ein Exhibitionist?«

»Glaub mir, wenn ich vorhätte, mich zu entkleiden, müsstest du zahlen. Ich bin nur ein ganz normaler unsterblicher Philosoph, der Bullshit nicht ertragen kann. Und besonders Yoga.«

»Aha! Stimmt es nicht, dass die Evolutionstheorie sagt, dass eine Art aus einer anderen Art entstehen kann.«

»Ja?«

»Man hat aber noch nie beobachtet, dass ein Hund eine Katze zur Welt bringt. Deshalb ist die Evolutionstheorie falsch und die Schöpfertheorie des All-Einen richtig – und mit ihr Yoga!«

»Was? Wo kommt denn das her? Das ist ein Argument gegen einen Pappkameraden. Niemand hat behauptet, dass ein Hund eine Katze zur Welt bringt! Dafür, dass die Natur nicht clever genug sein soll, uns erschaffen zu haben, habt ihr aber eine Menge Pflanzen hier.« Ich streiche einer todtraurigen Palme über die Blätter, ein paar fallen ab.

»Die Natur spiegelt unser Innerstes wieder!« Jetzt legt er sich tatsächlich die Hand aufs Herz. Das heißt, die Stelle, wo er es vermutet.

Er sucht Blickkontakt zu seiner Meute. »Wir spüren das Gute, das All-Eine in der Natur!«

»Wirklich? So gut wie Arsen, Darmparasiten oder der Ebolavirus? Das ist ein naturalistischer Fehlschluss. Was würden wohl die vier anderen Menschenarten davon halten, die wir vor wenigen Tausend Jahren ausgerottet haben? War das auch Natur? Was ihr hier macht, hat nichts mit Natur und schon gar nicht mit Wissenschaft zu tun. Es ist Wohlfühlhokuspokus. Motivationsverarsche.«

»Die feinstofflichen Wirkungen von Yoga können nicht in klinischen Studien getestet werden. Deshalb sind die negativen Ergebnisse dieser Studien bedeutungslos!«

»Und da haben wir den Fehlschluss einer unbegründete Ausnahme. Du bist wirklich ein Lexikon des schlechten Denkens.«

»Du verstehst nicht. Die Sutren, Yoga enthält die Wahrheit. Weil die Yoga das Wort des All-Einen ist.«

»Und wieso ist sie das Wort des All-Einen?«

»Sie ist das Wort des All-Einen, weil das in den Sutren steht.«

Ich klatsche ganz langsam. »Tautologie, Zirkelschluss. Dafür wärst du in Attika von der Bühne gebuht worden. Hier bekommst du schmachtende Blicke.«

»Aber es ist wahr! Wie kann etwas, das funktioniert, falsch sein?«

»Schon mal was von Placebo gehört?«

»Und was ist daran das Problem?« Er wittert Oberwasser.

»Gar nichts. Außer dass, wenn du Krebs hast, dir jemand statt einem Medikament vielleicht potenzierte Hundescheiße verabreicht. Außer, dass du belogen wirst. Und außer, dass der Nichtarzt dir danach noch sagen kann, du wärst selbst schuld, wenn es nicht wirkt. Das ist ganz einfach der Unterschied zwischen Zaubertricks und Medizin.«

»Aber die Menschen fühlen sich durch Yoga so viel besser, wie kann es dann falsch sein?«

»So falsch wie deine Prämisse eben. Das nennt man falsche Äquivalenz. Zum Fehlschluss wird so ein Argument, wenn A (›gut‹) und C (›richtig‹) nicht gleichzusetzen sind, insbesondere wenn es um den Aspekt geht, der die Folgerung B (›funktioniert‹) bedingt. Die Gleichsetzung von A und C ist also eine spezielle Form der ›falschen Prämisse‹.«

»Du hast keine Ahnung.« Jetzt wird er richtig wütend. Er ballt ganz unerleuchtet die Fäuste. »Wir sind viele und wir sind im Recht! Die Zeit wird uns recht geben!«

»Wenn die im All-Eins zirkulär ist, klatscht euch der Dreck dann nicht an den Hinterkopf?«

»DU WEISST, WAS ICH MEINE«, schreit er. Seine Jünger sind sichtlich erschrocken über so viel Un-Zen.

»Über Galileo haben sie früher auch gelacht und ihr wisst ja, wie das ausging?«

»Was?«

»Der Galileo-Gambit. Der mentale Fehlschluss, mit dem sich alle in die Zukunft retten, die hier keine Logik zusammenbekommen. Die nicht wahrnehmen, dass die Geschichte von Siegern und Rechthabern geschrieben wird, nicht von falsch Liegenden oder denen, die täglich Wasser schleppen, Felder bestellen oder im Callcenter sitzen müssen.«

Ich sehe es im Arm zucken. Er holt aus: »DU …«

Der Moment verzieht sich peinlich berührt ins All-Eins.

Harald fällt ins Haus, mit der Tür. Die schwingt auf, klatscht einen Yogajüngling wie eine Mücke an die Wand und da ist er: »Harald hia! Eh, Ronny, wie imma, wa!?!« Es ist Drohung und Frage. Harald läuft, ohne aufzusehen, zur Bar, erst als er sich im Gewurschtel aus Neonlappen der Meute verheddert, scheint er wahrzunehmen, wo er ist.

»Wat is det für ’n Schaiß hia?«

Ronny und ich starren ihn bloß an, überwältigt, dass das Schicksal ein pockennarbiger Alkoholiker ist. Typ Bauarbeiter mit akuter Cholerik. Die fleischgewordene Antigentrifizierung. An seiner Halsschlagader könnte man ein Kreuzfahrtschiff anketten.

»Das ist … Ronnys Klause«, fiept das niesende Yogamädchen.

»SACH MA WOLLT IAH MICH VAASCHEN? WO IS RONNY?«

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