Gott Go Home!

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Immerhin: El Al, die betroffene Fluglinie, hat nach dem Vorfall Farbe bekannt und angekündigt, in Zukunft jeden von Bord zu werfen, der seinen Sitzplatz verweigert, weil er neben irgendjemandem nicht sitzen möchte. Halleluja! Bis es so weit kam, musste allerdings der Chef der israelischen Tech-Firma Nice, Barak Eilam, massiv drohen: Seine Firma werde bei keiner Fluglinie mehr buchen, die sexistisch, rassistisch oder religiös diskriminierend sei. Hier hat das Toleranzgebot einer aufgeklärten Moderne glücklicherweise einmal den Sieg davongetragen. Dass alle Menschen gleichberechtigt seien, gleich welchen Glaubens, welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechts, gehört in dieser Moderne zu den zentralen Überzeugungen, und es sind gute Überzeugungen. Gott und Moses waren vor dreitausend Jahren eben noch nicht so weit, vielleicht sollten sie mal eine aktualisierte Version ihres Buchs vom Himmel fallen lassen.

Solange sie das nicht tun, sind die Religionen weiterhin auf ihre angestaubten Märchenbücher angewiesen, und so müssen sie also die Menschen da abholen, wo man Menschen eben noch mit Märchenbüchern abholen kann. In der Kindheit zum Beispiel. Im Erwachsenenalter käme ja kaum wer auf die Idee, an einen unsichtbaren Zauberer im Himmel zu glauben. Die Religiösen müssen also früh anfangen, auf die Hirne der nachwachsenden Kundschaft einzuwirken, und das mit immer neuen, bunten, peppigen Ideen, die ein wenig über die Kerntristesse der vermeldeten Botschaft (Sünde! Tod! Erlösung durch Hinrichtung und Folter, hooray!) hinwegtäuschen. So gab es bei der Eröffnung der ersten »Kinderkirche« in Bottrop viele bunte Stühle zu bewundern. Auf den Fotografien des Ereignisses lassen sich zudem erstaunlich farbenfroh gemusterte Erwachsenenpullis und -blusen erkennen, die vermutlich böse Dämonen fernhalten sollen, sowie fröhliche und neugierige Kinder, die an dieser Zeitenwende des christlichen Glaubens teilhaben durften. Jetzt kommt die Kinderkirche, ein Konzept, das die Kita-Leiterin Petra Eberhardt ausgearbeitet hat und das vom zuständigen Bischof Franz-Josef Overbeck, der dem Militäreinsatz in Afghanistan seinen Segen gab, homosexueller Liebe hingegen nicht, ausdrücklich gelobt wird: »Ich würde mich freuen, wenn dort viele Kinder Gott mit allen Sinnen erleben.«

Gott? »Mit allen Sinnen«? Das sagt ein katholischer Priester? Da muss man erstmal leise schlucken und sich wieder erinnern, dass ja doch sogar, wenn die Zahlen so bleiben, die Mehrheit seiner Diener die ihnen anvertrauten Kinder nicht sexuell missbraucht hat, wiewohl dies Vergehen in der Bibel eine ehrwürdige Tradition besitzt. Aber wie geht das, Gott mit seinen Sinnen erleben? Wäre nicht ein mit Sinnen erlebbarer Gott das Ende aller Religion, da das Göttliche, nun nachweisbar, mit dem Irdischen zusammenfiele? Gott entzieht sich. Oder vergeht. Er spricht immer nur zu den Einzelnen, den Zeugenlosen, oder eben tief hinten in einer mythischen Vergangenheit, die ebenfalls keiner mehr nachprüfen kann. Den Sinnen im Jetzt erlebbar wäre dieser Gott wohl immer nur, wenn der Heilige Geist einige der Seinen befiele, und selbst da pflegt dieser sich entschieden wirr und unverständlich zu äußern, was man dann »in Zungen reden« nennt.

Wie also erfahren Bottroper Kinder Gott? An einer Stelle sind Decken und Kissen auf dem Steinboden ausgebreitet, mit einem Baldachinlaken darüber, das ist dann ein Beduinenzelt. Im Beduinenzelt kann man sich Geschichten aus der Bibel erzählen lassen, die durch das authentische Zelt erst ihre volle Wirkmacht entfalten. Beduinen! Weiß man ja. Nächtelang lesen die sich Bibelgeschichten vor. Darüber hinaus macht Gott sich erlebbar in der Benutzung von großen bemalbaren Papierrollen. Auch stellt er dem Nachwuchs Instrumente bereit, damit sie frühzeitig durch Hits wie »Einfach spitze, dass du da bist (Komm, wir loben Gott den Herrn)« oder »Bärenstark – dubidubidu« ihre beeinflussbaren Hirne auf das richtige Empfangsniveau herunterpegeln. Und ein Treppchen ist ans Taufbecken gestellt. Die Kinder können sich hier, wie die inspirierte Kitaleiterin mitteilt, gegenseitig oder einfach selbst segnen. Wie praktisch! Wenn der Trend zur Selbstsegnung geht, ist die Kirche bald alle Personalsorgen los.

Am tollsten aber ist der selbstgebastelte große Hahn, der neben dem Altar steht. Hahn, denkt man, wieso nochmal, was hat der mit dem hiesigen Gott zu tun? Das zu ergründen ist gar nicht so leicht, da das Hirn sich noch mit einer anderen praktisch unlösbaren Frage beschäftigt. Wenn der Name dieses Events wirklich »Kikeriki« lautet und wenn das tatsächlich bedeuten soll: »Kinder kennen richtig Kirche« – ist das dann noch Deutsch? Oder braucht man eine Einbildungskraft religiösen Ausmaßes, um den Slogan für schlüssig zu halten? Ohne Einbildungskraft wird man ja eh nichts in der Welt des entschlossenen Glaubenwollens. Na gut. Bleibt also aber der Hahn. Der steht da. Und erinnert uns, nach einigem Wühlen im Gedächtnis:

Stimmt. Der Hahn ist der eigentliche Gründervater der Kirche. Er ist das Fundament des ja doch recht bizarren christlichen Glaubens. Das Universum inklusive aller, die dies lesen, sei von einer Art unsichtbarem, allmächtigem Mann erschaffen worden, und demgegenüber müssten wir Menschen, aus Gründen, die auszuführen sich kaum lohnt, ein massiv schlechtes Gewissen haben. Die Kirche, die diesen Glauben in die Welt hinauspustet, wurde nun gegründet von Gottes Follower Petrus. Und wenn wir uns recht entsinnen, ist es ein Hahn, der ihn an seine Fehlerhaftigkeit erinnert, an seine unanständige Leugnung des Gottes.

Aus dieser tief empfundenen Scham heraus, möglicherweise, wurde Petrus dann Gründervater, und offensichtlich war er emotional zu verwickelt oder hat rein intelligenzmäßig nicht verarbeiten können, dass das ein Fluch ist, den die Gottheit ihm da angetan hat. Wenn ein allmächtiger Weltenschöpfer mir sagt, dass ich ihn verleugnen werde, dann tue ich nicht nur gut daran, ich komme nicht umhin, diesen Auftrag zu erfüllen. Verleugne ihn also. Und weine dann bitterlich, vielleicht ja auch ob der Ungerechtigkeit und der selbstherrlichen Art, in der der Gott immer schon mit den Seinen verfuhr.

Der Hahn jedenfalls wird seitdem von Religionskennern als Symbol der Reue gesetzt. Reue desjenigen, der von der Gottheit verflucht wurde, darüber, was er der Gottheit angetan hat. Hier also beginnt Kirche. Im Zeichen des Hahns dürfen die Kleinsten jetzt wieder gutmachen, was der arme Gott zu leiden hatte. Indem sie hüpfen, malen und leicht verständliche Lieder singen. Ein vom Bösen verführter Schelm, wer da im Hintergrund die aktuelle Studie desselben Bistums Essen annimmt, die dem Mitgliederschwund entgegenwirken soll und letztlich empfiehlt, an junge, solvente Seelen durch »niedrigschwellige spirituelle Angebote« heranzutreten und während der »Betreuung des Kindes«. Die Kinderkirche Kikeriki könnte eine wunderbare Möglichkeit sein, an religiös ausgebohrte Geister heranzukommen und sie in der Kirche zu halten, je niedrigschwelliger desto besser, das hat schon Jesus gesagt, oder hätte es doch, wenn ihm das eingefallen wäre. Kommt alle zu mir, hätte er gesagt, die ihr geldbeladen seid, Kinder und wirklich erstaunliche Pullis und Blusen im Schrank habt.

Schalarassabahalabankaboboh!

Prediger in den USA sieht Hexerei-Attacke auf Trump und redet in Zungen

Gott der Herr hat ein seltsames Vergnügen am Katz-und-Maus-Spiel mit den Menschen. Da er allmächtig ist, sollte es ihm ein Leichtes sein, endlich mal alle Leute auf Linie zu bringen. Er müsste ja nur ein eindeutiges Wunder zum Besten geben, einen Nachweis seiner Existenz. Einmal bloß die Pyramiden in die Luft heben und in Wuppertal wieder absetzen. Einmal, für alle Handys auf der Welt abfilmbar, per Wolkenformation in den Himmel schreiben: »Hej, es gibt mich, und jetzt vertragt euch endlich, sonst wird Papa sauer!« Es gäbe so viele Möglichkeiten, und wenn einer sie alle nutzen können sollte, dann doch wohl er. Dann müsste jeder Mensch an ihn glauben, und nicht an ihn zu glauben wäre nah am Irrsinn, so wie es heute das Glauben ist, das ohne jeden Realitätsbezug auskommt, weil es muss.

Dass Gott all diese Wunder nicht tut, legt den Verdacht nahe, dass er gerne Spielchen mit uns spielt. Bei denen unser Seelenheil der Einsatz ist. Er selbst hat nichts zu verlieren, sein Zugewinn liegt wohl in unserer Unsicherheit, im schlimmsten Fall: Zerrissenheit, die ihn anscheinend ergötzt, sonst hätte er sie ja längst beendet. Er, dessen Botschaft lautet, er liebe uns so sehr, zieht dennoch vor, möglichst wolkig zu bleiben, möglichst wenig Präsenz zu zeigen. Man muss schon feste glauben wollen, um auch glauben zu können. Man muss über sehr viel Leid und Sorgen auf Gottes Erde hinwegsehen, um in ihm einen liebenden Vater zu erkennen. Vielleicht ist es eine Art Stockholmsyndrom missbrauchter Seelen, wenn man diejenige Instanz verehrt, die allen Kummer mit einem Fingerschnippen beenden könnte und darauf verzichtet.

Nun denn. Gottes Menschen sind suggestibel, they want to believe. Sie freuen sich über das kleinste biss­chen, das sich mit ein wenig Fantasie und viel Glaubenswillen zu einem Zeichen göttlicher Zuwendung zurechtdeuten lässt. Besonders gern genommen wird dabei alles, was angesichts eines seit Jahrtausenden schweigenden Gottes (doch noch beleidigt wegen des Apfels?) irgendwie nach Kommunikation aussieht. Menschen gehen auf die Knie, schließen die Augen, falten die Hände. Menschen drücken die Stirn auf Teppiche. Menschen drehen sich im Kreis, tanzen, singen, nehmen Drogen. Und in diesen Momenten meinen sie, jener Gott spreche zu ihnen. Endlich mal. Unhörbar natürlich, unsichtbar natürlich und nicht nachweisbar. Ließe er sich nachweisen, wäre das Glauben ja kein Glauben mehr. Es wäre Wissen, und alle Religion müsste verpuffen. Ließe er sich nachweisen, so wäre es eine vernunftgemäße Selbstverständlichkeit, sich ihm zu beugen, ihm zu folgen.

 

Gott aber scheut die Beweisbarkeit wie sein Ex-Mitarbeiter das Weihwasser. Offensichtlich liebt er es, uns im Unklaren zu lassen. Außerhalb seiner Gemeinden zeigt er sich nirgends. In seinen Gemeinden zeigt er sich so, dass nur ein äußerst fester Glaubens­entschluss darin eine Göttlichkeit erkennen kann. Für den Rest der Welt sieht es nämlich oft einfach nur kindisch aus. Der unbedingte Wille zu glauben ist es, der die Menschen in den Gemeinden einander näherbringt, der ihnen, wie auch Verschwörungstheoretikern, den festen Boden eines Kinderglaubens verschafft. Er ist es aber auch, der sie ein Stückchen aus der neutral erlebbaren Welt aller anderen Menschen herausrückt. Gott trennt, er unterteilt die Menschen in Gruppen, und man muss es ja leider sagen: Sein ist das Reich der Leichtgläubigkeit. In etwa so wie E-Mail-Scammer ihre Anschreiben bewusst krude gestalten, um unter den Empfängern wirklich die Dümmsten herauszufiltern, weil sich mit den Dümmsten später besser arbeiten lässt, in etwa so gehen auch Gottes Staubsaugervertreter auf Erden vor: Wer mir diesen gequirlten Quatsch abnimmt, der gibt mir sicher auch noch sein Geld.

Dass das Einsammeln und Dirigieren von Leicht­gläubigen nicht nur eine Frage von Massen­psychologie und Strafgesetz ist, sondern auch ein Politikum, wurde kürzlich wieder einmal in den Vereinigten Staaten deut­lich. Dort hat der Prediger John Kilpatrick vor versammelter Mannschaft, sich dabei den Schweiß aus dem Gesicht tupfend, kundgetan, Donald Trump werde von Hexerei bedroht, die das Land übernehmen wolle, genauer, Trump stehe kurz vor einem Angriff durch den »Deep State«. Man müsse diesem Mann nun sofort, durch gemeinsames Beten – ob Gott wohl sonst keine Lust hat zu helfen? – Unterstützung zukommen lassen. Kilpatrick, ein Mann, der aus Jim Jones und Sigmar Gabriel zusammengemorpht erscheint, verkündet also Informationen, die nicht nur bizarr anmuten, sondern die er offensichtlich auch exklusiv vom Herrgott oder einem seiner Leute erfahren hat. Warum aber sollte man ihm glauben?

Die Antwort ist: Er kann in Zungen reden. Das In-Zungen-Reden ist biblisches Kulturgut, die Jünger des verstorbenen, dann wieder zombieartig im ganzen Land herumgeeierten, dann in den Himmel geflogenen Jesus fingen auf dem Markplatz an, in fremden Sprachen zu reden. Das war das Pfingstwunder und des Christengottes erster größerer Rekrutierungserfolg unter den Millionen Menschlein, die er geschaffen hat und von denen er sich wünscht, dass sie an ihn glauben, ohne dass er sich ihnen aber zeigen möchte. Die Jünger sprachen also anders daher als sonst, die Bibel meint, dass sie von allen Anwesenden auf einmal verstanden worden seien, vermerkt allerdings, dass es durchaus andere Deutungsansätze ihres Verhaltens gab: »Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.« (Apostel­geschichte, 2 : 13)

Davon lässt sich der Prediger Kilpatrick natürlich nicht abhalten, und während er also zum Gebet für Donald Trump aufruft, obwohl das Gesetz ihn zu politischer Neutralität verpflichtet, überkommt ihn immer mal wieder, wie ein Störsender, der Heilige Geist, und der Heilige Geist teilt also mit: »Schadabataradassaja!«, »Schadabararatodossajanda!«, »Goramamanu!«. Man sehe uns nach, wenn wir nicht jede Silbe korrekt wiedergegeben haben, andererseits sind Fragen der Rechtschreibung in diesem Fall wohl auch zu vernachlässigen. Denn der Heilige Geist im Jahr 2018 hat die Verwendung real vorhandener Sprachen offensichtlich aufgegeben, er äußert sich derzeit exakt so wie auch kleine Kinder sprechen würden, die sich ausmalen, sie sprächen ein Ausländisch.

Vielleicht dringt Gott auf diese Weise gar leichter in die Seelen ein? Ließe er den Prediger wie noch in der Bibelgeschichte in allen Sprachen der Welt sprechen, verblüffenderweise, so kämen in diesen Zeiten der Vernetzung auch die Übersetzer aus allen Ecken der Welt hinzugeeilt, und das Gesagte würde also profanisiert: »Jetzt steigt Donald Trump gerade in sein Auto ein. Der Deep State lauert drei Straßenecken weiter …«, »Die Hexenmeister, die dem Präsidenten ans Leder wollen, haben folgende Namen und Adressen … «, »Tut bitte etwas, Leute, der liebe, gute Oberhexenmeister im Himmel hat leider gerade keine Zeit. Am besten: Beten! So wird seine Zauberkraft wieder erhöht.«

Will der Mensch so etwas hören von seinem Gott? Aus der Erfahrung der letzten Jahrtausende lässt sich schließen: Klare, verständliche Aussagen sind von höheren Wesen nicht wirklich erwünscht. Anweisungen und Gesetze helfen niemandem, der gerade die elterliche Nähe der Gottheit erfahren will, weil die ihm ein wenig Trost spendet, so dass er dann im Gegenzug sein Geld spenden mag. Die Gotteserfahrung verlangt immer schon unverständliches Murmeln, geheimnisvolle Sprache, die als Mitteilung erkennbar, aber nicht verständlich ist, ob nun Schwundlatein oder inspiriertes Gebrabbel. Das erregt in uns ein Gefühl wohliger Geborgenheit, denn wir haben den Zustand eines Säuglings wieder erreicht, ach wie herrlich, dass da diese übergroßen, nicht verstehbaren Mächte sind! Die sorgen für alles. Sie wissen alles. Sie teilen sich mit, selbst wenn ich keine Silbe kapiere. Sie lassen mich ein Teil von ihnen sein, irgendwie, danke, danke! Schalarassabahalabankaboboh.

Hü, totes Kamel, hü!

Wie alle sich ihren Glauben so hinbiegen, dass er gut reinpasst

Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Hunderttausende jedes Jahr, allein in Deutschland. Und die Kirchen können nicht begreifen, warum das geschieht. Ihre Vertreter stehen um ihre Religion herum wie um ein totes Kamel in der Wüste, und sie überlegen, wie sie es wieder zum Laufen bringen. Vielleicht sollte man ihm die Hufe polieren? Eine neue Frisur verpassen? Ihm gut zureden? Einen Kamelpsychologen befragen? Gott, warum riecht das hier so komisch? Lasst uns das Kamel zunächst mal parfümieren.

Das Bistum Essen hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, aus der ist ein Buch geworden, und schon im Titel wird spürbar, wie sehr das Denken sich um das Unsagbare herumbiegen muss, wenn man im Jahr 2018 weiterhin für einen antiken Aberglauben kämpfen will. »Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss« (Herder 2018). All dem Räsonnement liegt die Annahme zugrunde, das Kamel mache nur gerade ein Nickerchen. Gut, dass immerhin noch Geld da ist, um eine Studie in Auftrag zu geben. Geld ist ja immer da, der Staat schafft es herbei in der Kirchenrepublik Deutschland, und wohltuend, hier mal die klare Ansage zu finden, was den Kirchen am Massenexodus derart Angst macht. Geht es um die armen Seelen, die jetzt nicht in den Himmel kommen? Schnickschnack. Selbstverständlich geht es: um Geld. Da wird erstmal ein bisschen rumgemaunzt, dass »die Frage der Mitgliedschaft so eng an die Frage der Finanzierung geknüpft ist« – eine Geld-Flatrate vom Staat wäre wohl schöner. Da kann jeder mitfühlen. Money for nothing, Oblaten for free, das wäre ja das reinste Paradies. Am Ende stünde dann eine Kirche mit nur noch einer Handvoll Popanzen, die ein bisschen in ihren leeren Kathedralen vor sich hin singen und den Rest der Zeit mit Vermögensverwaltung beschäftigt sind.

So aber muss man sich leider immer noch mit den Kunden der Kirche, den so genannt Gläubigen befassen. Es gibt im Bistum Essen eine »Initiative für den Verbleib in der Kirche«, diese habe »einen ungewöhnlichen, eher Ökonomie-logischen Ansatz«, aber es gebe ja auch eine »starke Abhängigkeit des Bistums Essen von der Kirchensteuer als zentraler Einnahmequelle«. Also wird hier, fernab der Himmelschöre, einmal vorgerechnet, was eine zahlende Mitgliedschaft für das Bistum bedeutet. Auf jede abgeflatterte Seele kommt pro Jahr, und vorsichtig gerechnet, ein »Betrag von mindestens 500 Euro, der dem Bistum nachhaltig fehlt«. Und da die Lust am Zahlenspiel erstmal geweckt ist, die Angstlust am Untergang natürlich auch, lässt man in einem Beispiel einen 30-Jährigen austreten, addiert dann und verzinst »bis zu dessen Ruhestand«, so »entsteht gar ein Verlust von mindestens 27500 Euro pro Austritt«. Allein die 4304 Austritte des Jahres 2016 im Bistum Essen werden, nach einiger gottgefälliger Rumrechnerei, bis zum Jahr 2026 einen Verlust von mehr als 26 Millionen Euro bedeuten. Für solch ein treuloses Volk hat sich der Heiland nun also ans Kreuz schlagen lassen!

Demnach gilt es, den Money Drain zu stoppen. Aufgabenstellung: Wie kann man Austritte verhindern und ausgetretene Schäfchen zurückholen (solvente Kunden bitte zuerst)? Zunächst gibt es eine Meta-­Studie zur durchaus überschaubaren Forschung dieses Themas. Warum Leute auszutreten wagen, scheint die Würdenträger bislang nicht sonderlich interessiert zu haben. Die Metastudie arbeitet sich durch einige kirchenrelevante Themenfelder hindurch und fördert dabei wenig Überraschendes zu Tage: »Je enger die Kirchenbindung, desto wahrscheinlicher ist die Teilnahme am Gottesdienst«. Sprachlich gerät man immer wieder in theologische Wolkigkeit, die eine Ahnung vom Himmelreich aufkommen lässt. So werden zum Abschluss des Kapitels »schemenhafte Schlaglichter« geworfen auf sechzehn Bereiche, in denen die Kirche an sich arbeiten sollte.

Das liest sich dann oft in seiner Mischung aus pastoralem Geblubber, pseudoakkuratem Wissenschaftsdeutsch und modernem Marketingjargon recht komisch: »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine gemeinschaftliche, familienorientierte und doch individuelle Kirche« – »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine Mutter Teresa« – »Eine Kirche, die zum Verbleib einlädt, ist eine biographie- und milieuorientierte Dienstleisterin«.

Eine Kunstturnerin ist diese Kirche übrigens auch: »Sie muss den Spagat schaffen zwischen Biographie­orientierung und Tradition, Multioptionalismus und Konservatismus, gesellschaftszentrierter Immanenz und theozentrischer Transzendenz. Solche aporetischen Paradoxien müssen wahrgenommen und produktiv in ein kirchliches pluralitätsfähiges Selbstverständnis integriert werden.« Sie sprechen, mal wieder, in Zungen. Whatever. Noch was? Ach ja, »Marketing-Champion«: »Das gegenwartsbezogene Image der Kirche ist durch Skandale und lehramtliche Stellungnahmen zu Sexualität etc. negativ belastet. Retrospektiv lastet die Gewaltgeschichte des Christentums auf ihren Schultern. Für eine Stärkung bzw. Ermöglichung einer emotionalen Kirchenbindung bedarf es daher einer strategischen Positionierung. Selbst eine hohe Mitgliederzufriedenheit kommt ohne ein entsprechendes Gesamtimage nicht aus. ›Katholisch‹ muss sich verkaufen können.« Sehr hübsch zu lesen ist auch der Unterpunkt 13, in dem die Kirche »eine Meisterin moderner Glaubenskommunikation ist«. Das dort dann Ausgeführte legt den Verdacht nahe, dass »Glaubenskommunikation« eben in erster Linie darauf angelegt sei, die Leute in Ohnmacht zu schwurbeln. Zitat: »Eine lebensweltbezogene und pluralitätsfähige Glaubenskommunikation in den kirchlichen Binnenraum hinein und darüber hinaus in die Gesamtgesellschaft gibt der religiösen Diversität aber einen Sitz im Leben der Kirche. Die kirchlichen Grundvollzüge sind davon durchwirkt.«

»Sexualität etc.«, »durchwirkt«, »theozentrische Transzendenz« – solche Dinge stehen in einem Buch, das sich darum bemüht, dem toten Kamel des Götterglaubens irgendwie Anschluss ans Heute zu verschaffen. Hat der ganze Weihrauch sich gesenkt und hat man beim Lesen zu Ende gekichert, bleibt die entscheidende Frage im Raum: Katholisch muss sich verkaufen können – aber wie? Um hier einer Antwort näherzukommen, hat das Bistum Essen eine neue, eigene Studie in Auftrag gegeben. Mit Hilfe persönlicher Auskünfte war der Frage nachzugehen: Warum treten die Leute eigentlich aus? Und wie können wir sie also daran hindern?

Top-Nennung dabei war die Kirchensteuer, kein Wunder bei den Summen, die da fließen. Nur da die ja ein chronisches Ärgernis ist, sind die akuten Auslöser für den Kirchenaustritt meist andere Dinge. Etwa wird ausgetreten, weil »die katholische Kirche den Anschluss an die moderne Welt verpasst hat« bzw. »weltanschaulich 2000 Jahre zurück geblieben ist«, weil »sie zum Teil mittelalterliche Positionen vertritt: Frauen, Homosexualität uvam.«, weil »ich nicht an Gott glaube und die politische Agenda des Vatikans missbillige«, weil »ich die von patriarchalischen Narzissten dominierte römische Kurie ablehne«, weil »ich zu der Auffassung gekommen bin, dass der Hauptzweck der Kirche ein Selbstzweck ist, nämlich Reichtum und Prunk«. Die freiwillige Teilnahme an der Umfrage löst hier und dort nachhaltig die Zunge: »Ihr seid milliardenschwer, hockt auf goldenen Bischofsstühlen und schließt Kindergärten. Ihr seid Sozialschmarotzer! Fett und unbeweglich (…) Von den ganzen Pädophilen wollen wir gar nicht reden.«

Das ist so ungefähr die Richtung, in die es bei dieser Studie geht. Weltfremd und unglaubwürdig sei die Kirche, einen Gott gebe es nicht, und wenn, dann finde man ihn sicher besser anderswo als im offiziellen Katholizismus. So tönt der Chor der Ausgetretenen, natürlich ein wenig verzerrt: Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und dürfte eher diejenigen angezogen haben, die eine Wut und Enttäuschung in sich spüren. Dass das nur ein paar Hundert von jährlich Tausenden waren, die meist einfach so, schweigend, achselzuckend, dem Essener Bistum den Rücken kehren, wie man ein totes Kamel eben liegenlässt in der Wüste, da es wichtigere Dinge zu tun gibt, sei nur am Rande bemerkt. Wirklich bemerkenswert ist, mit welcher Offenheit das Bistum seine Schlüsse zieht. Macht man sich Sorgen um die vielen Seelen, die nun nicht im Himmel ankommen? Wird der Ruhrpott bei den Vollversammlungen der Engel peinlich unterrepräsentiert sein? Rücken die letzten Tage heran?

 

Aber nicht doch. Darin dann wieder ganz modern, folgt man hier ökonomischer Logik. Vor der Kirche und ihrer Kasse sind nicht alle gleich, und noch weniger ist der verlorene Sohn ein besonders erwünschter Gast: »Angesichts des Aufwands, den es bedeutet, Ausgetretene wieder für die Kirche zu gewinnen, liegt es nahe, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die noch in der Kirche sind.« Dieses Konzept scheint mit der Führungsetage im Himmel abgesprochen, denn weiter heißt es: »Unbeschadet des Heilsangebots Gottes an alle Menschen scheint es aus ökonomischer Per­spektive günstiger, Menschen in der Kirche zu halten als Menschen wieder für diese zu gewinnen.«

Aus dieser Erkenntnis ergeben sich verschiedene Möglichkeiten des Handelns, die die Heilsangebot-Anbieter nun durchspielen. Ran an die Moneten, ehe sie türmen! Zur optimierten Kundenbindung wird die Einrichtung einer Beschwerdestelle empfohlen, eine »neue Beachtung« von Kasualien oder Festtagsgottesdiensten: »Solche punktuellen, in der Regel affektiv wirksamen Erfahrungen mit Kirche können ein ausschlaggebender Punkt im Kosten-Nutzen-Kalkül der Menschen sein, also dazu führen, in der Kirche zu verbleiben.« Weitere Mittel wären dann »niedrigschwellige spirituelle Angebote (z.B. Nacht der Lichter, Orgelmeditation zu bestimmter Tageszeit)«, zudem sollen die Vertreter der Kirchen gezielt an bestimmten Lebenspunkten auf die Leute zugehen – »Umzug in eine neue Stadt, die Betreuung des Kindes, die Einschulung des Kindes, etc.«. An solchen biografischen Punkten sei »die Wahrscheinlichkeit groß«, dass die »Betroffenen« offen für »echtes Interesse« sind: »Ganz praktisch könnte dies bedeuten, dass katholische Neubürgerinnen und Neubürger ein Begrüßungspaket zum Einzug bekommen mit relevanten Informationen und Gutscheinen vom Bistum.« Was zu den relevanten Informationen zählt, wird nicht ausgeführt, aber ein paar Seiten später stellt das Buch auf jeden Fall klar, dass etwa die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität »theologisch relevant« und »nicht beliebig verhandelbar« sei.

So weit, so innovativ. Gutscheine vom Bistum. Nacht der Lichter. Ein Umdenken hat begonnen! »Berührende Momente« zu schaffen ist für den Glauben nicht minder wichtig als für die RTL-Telenovela, um die Kunden zu halten: »Deshalb sind Maßnahmen zu entwickeln, die (…) eine gute Service-Qualität garantieren, um die ›Performance‹ pastoralen Handelns an Lebenswenden zu erhöhen.« Wobei manche Menschen hier bessere Chancen auf Zuwendung haben als andere. Aus »ökonomischer Logik« sei nämlich »eine Konzentration auf gut gebildete und gut verdienende Frauen und Männer im Alter von 20–35 Jahren anzuraten.«

Das ist dann Kirche heute, die neue, verstanden habende. Eher kommt ein gut verdienender, junger Mensch ins Himmelreich als irgendwer sonst. Was der dann im Einzelnen glaubt und wie er den Glauben in seinem Leben verankert, spielt weniger eine Rolle. Letztlich, das zeigt die Erfahrung, kann ja auch jeder und jede sich mit ihrem Tun auf den lieben Gott berufen, ganz egal, was das sei. Ein Buch aus den letzten Jahren weist das eindrucksvoll nach: »Evangelisch. Erfolgreich. Wirtschaften.« ist nicht nur ein neuer Höhepunkt der Werbesprech-Betitelung, die ihre Einfallslosigkeit durch Überinterpunktion kaschieren möchte. In diesem Fall deuten die. Vielen. Punkte. Sogar. Einen verborgenen Sinn an: Sie trennen, was getrennt bleiben sollte. Denn wie soll das zusammengehen, »evangelisch« und »erfolgreich« bzw. »wirtschaften«? Jesus, dessen angeblich gesprochenes Wort ja wohl für den Protestanten zählen müsste, ist kaum als Wirtschaftstheoretiker in Erscheinung getreten. Kramt man als Ungebildeter ein wenig in den Erinnerungen aus der Konfirmandenzeit, drängt sich nur das Bild eines Heilands in Rage auf, der die Vertreter von Handel und Kreditwesen, eine Geißel schwingend, mit üblen Beschimpfungen überzieht und, wenn ich mich recht entsinne, ihre Tische umschmeißt. Händler haben im Tempel nichts zu suchen, so die Botschaft, die Sphären des Glaubens und Wirtschaftens sind strikt zu trennen.

Dennoch strotzt das vorliegende Buch von Unternehmern, die es auf je eigene Weise schaffen, ihr berufliches Tun als christlich motiviert erscheinen zu lassen. So ist sich etwa Werner Michael Bahlsen, dessen Großvater, wie es heißt, »den Keks erfunden hat«, ganz sicher: »Die Soziale Marktwirtschaft ist die Gesellschaftsordnung, die dem christlichen Menschenbild am besten entspricht.« Stolpert man zunächst über die tückische Gleichsetzung von Wirtschaft und Gesellschaft, so wird man durch die nachfolgende Erklärung in weitere Verwirrung versetzt: »Der Glaube lehrt uns, dass alle Menschen Abbild Gottes sind. Und Gott ist Schöpfer. Menschsein im christlichen Sinn bedeutet die Freiheit und auch die Verpflichtung, die Welt zu gestalten.«

Da geht ja nun alles durcheinander. Erstens behauptet der Glaube seine Inhalte eher, als dass er im engeren Sinne etwas lehren, also auf nachvollziehbarem Wege erworbene und überprüfte Erkenntnisse weiterreichen würde. Zweitens kann der Mensch, so sehr man das Hirn auch benebeln oder verrenken mag, nicht das Abbild des Christengottes sein, der doch allmächtig ist sowie einsam und also für jedwede Gesellschaftsordnung das wohl am wenigsten geeignete Individuum. Drittens werden aus den bislang bekannt gewordenen Eigenschaften der Gottheit nicht etwa seine Allmacht, seine Vernichtungswut, sein Sexismus, sein Narzissmus herausgegriffen. Sondern eben, dass er Schöpfer sei. Und damit ungefähr dieselbe Rolle spielt wie der Erfinder des Kekses. Die Welt gestalten, einem Gott gleich – ja, das klingt schön. Und das übersieht vollkommen, dass in der so genannt »sozialen« Marktwirtschaft eben nicht jeder die Möglichkeit hat, gestalterisch einzugreifen, wie es der Erbe eines Familienunternehmens kann.

Das Buch enthält 35 Porträts von Menschen, die sich als evangelisch-christlich motivierte Unternehmer betrachten, und ja, es sind gerade einmal vier Frauen darunter. Wie die alle sich als in der Wolle gefärbte Christen begreifen, das ist schon lesenswert, denn es erhellt einmal mehr, wie biegbar und letztlich nichtssagend religiöse Bekenntnisse in den allermeisten Fällen doch sind. Schon die Kapitelüberschriften sorgen für die Komik des Selbstwiderspruchs: »Mit der Bergpredigt erfolgreich wirtschaften«, sagt jemand, der mit seiner Beratungsgesellschaft »Unternehmenskäufe und Restrukturierungen begleitet« und vermutlich die zu entlassenden Menschen mit den Worten des Wanderpredigers tröstet: »Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?«

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