BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN

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Facettenreiche Literaturlandschaft

»Im 11. Jahrhundert beginnt die Geschichte Frankens als Literaturlandschaft«, und zwar mit dem christusfrommen Ezzo-Lied und dem Historienepos vom Herzog Ernst, schreibt Hermann Glaser. Wie zwei der bedeutendsten deutschen Dichter des Mittelalters, Wolfram von Eschenbach mit dem Parzival und Walther von der Vogelweide mit seinen Sangsprüchen, mit Franken verbunden sind, erläutert er eindringlich, und dass das 13. Jahrhundert »als die glänzendste Zeit der Region in der Literaturgeschichte« gelten kann, führt Glaser nicht nur an den Werken des Konrad von Würzburg oder des Wirnt von Grâvenberc einleuchtend vor.

Seinem beeindruckenden Mittelalter-Kapitel folgt eines zu Humanismus und Renaissance, und hier ist der Nürnberger auf seinem ureigensten Gebiet. In dieser »löblichen Stat« wirkten unter anderem Albrecht Dürer und Willibald Pirckheimer, vor allem aber die Handwerker-Poeten, die weithin bekannt, aber zu wenig gelesen sind und dennoch bis ins 20. Jahrhundert hinein nachwirkten, unter ihnen Hans Rosenplüt und Hans Folz, vor allem jedoch der große Hans Sachs. Hermann Glaser versteht es, ihre Dichtungen dem Leser auf wenigen Seiten derart nahezubringen, dass man sich seiner Unkenntnis zu schämen beginnt und sich fest vornimmt, seine Lektürelücken ganz schnell zu schließen. Nürnberg bleibt auch in der Barockzeit eine der wichtigsten Literaturstädte Deutschlands – hier entstand 1644 ein »Pegnesischer Blumenorden«, der es sich zur Aufgabe machte, die deutsche Sprache als Sprache der Literatur und der Wissenschaft zu pflegen. Glaser weiß manch Einleuchtendes zu sagen über Georg Philipp Harsdörffer, Philipp von Zesen, Johann Klaj oder Sigmund von Birken, und seine üppig präsentierten Zitate aus ihren Werken sind überlegt ausgewählt.

Die Bedeutung Frankens als Literaturlandschaft geht dann im 18. Jahrhundert ein wenig zurück, auch wenn der Ansbacher Dichter Johann Peter Uz überregional gelesen wird und Hermann Glaser den 1738 bei Leipzig geborenen Moritz August von Thümmel, der zwanzig Jahre lang Minister im coburgischen Staatsdienst war, als oft übergangenen Meister des ebenso heiter-empfindsamen wie sarkastisch-spöttischen Reiseromans zu seinem Recht kommen lässt. Interessant ist Glasers liebevolle Würdigung des Nürnberger Dialektdichters Johann Konrad Grübel – fränkische Mundartliteratur gibt es, wie er betont, keineswegs erst seit Fitzgerald Kusz. »Stürmer und Dränger hat Franken viele hervorgebracht, aber – mit einer Ausnahme – keinen bemerkenswerten Autor in der Epoche des Sturm und Drang«, heißt es am Anfang des vierten Kapitels. Dass diese Ausnahme, der berühmte Württemberger Literat und Zeitungsmann Christian Friedrich Daniel Schubart, nur mit Ach und Krach dem Frankenland zuzurechnen ist, nimmt der Leser gerne hin. Mit seinen luziden Ausführungen zu Goethe und dessen Dürer-Begeisterung ist Glaser dann ganz in seinem Element, und gerade hier wird deutlich, dass »Literaturlandschaft« weit mehr bedeutet als nur »Geburtsregion«. Das beweisen auch die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796), mit denen Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck zur Popularität der Ferienregion »Fränkische Schweiz« und zum Ansehen des Nürnberger Kunstgeists Entscheidendes beigetragen haben – wie später auch Joseph Victor von Scheffel, dem man in Gößweinstein ein sehenswertes Denkmal errichtet hat. Dass Hermann Glaser im Abschnitt über seinen Lieblingspoeten Jean Paul alle Register seines Könnens zieht, verwundert nicht. Dort, und auch in den Ausführungen zum Werk des zeitweiligen Bambergers E. T. A. Hoffmann und des Schweinfurter Dichtergelehrten Friedrich Rückert, findet auch der Kenner viel Neues. Das 19. Jahrhundert wird weitgehend mit den Philosophen Stirner, Hegel und Feuerbach bestritten, doch kommen auch später in München wirkende Franken wie Oskar Panizza, Michael Georg Conrad und Ludwig Derleth nicht zu kurz. Oder, später dann, wichtige Autoren des 20. Jahrhunderts wie Jakob Wassermann, Leonhard Frank, Bernhard Kellermann, Ernst Penzoldt oder Hermann Kesten.

Dass sich Glaser ausführlich der in den letzten fünfzig Jahren boomenden fränkischen Mundartdichtung zuwendet, versteht sich von selbst. Mit differenzierten Darstellungen von Schriftstellern, deren Wirken erst von einigen Jahrzehnten begann – Max von der Grün, Gisela Elsner, Hans Wollschläger, Peter Horst Neumann, Natascha Wodin, Ludwig Fels, Gerhard Falkner oder Kerstin Specht –, geht Hermann Glasers Parcours durch die Jahrhunderte dann seinem Ende entgegen.

Der zweite Teil von Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft bietet erheblich mehr, als hier aufzuzählen der Ort ist, und er bietet beileibe nicht nur Information über die Dichter, sondern auch Interpretation und begründete Verortung im Fränkischen – selbst Hans Magnus Enzensberger entkommt ihr nicht ganz. Kurzum, die Seiten 355 bis 562 offerieren genau das, was man sich von diesem Glaserschen Lebenswerk von Anfang an erwartet hatte.

Fränkische LiteraTour

Hatte ich schon erwähnt, dass Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft durchgängig illustriert ist? Ob Farbe oder Schwarz-Weiß – Kosten und Mühen wurden nicht gescheut, um Glasers Darstellung auch zu einem optischen Genuss zu machen. Das ist gelungen – und nicht hoch genug zu rühmen. Aber es kommt noch besser: Der zweite Teil des Buchs ist mit einer »LiteraTour« verlinkt – auf Seite 11 findet sich ein QR-Code, über den man die Verlagswebsite »www.buchhausschrenk.de« erreicht und damit auch das neue, noch im Aufbau befindliche »Franken-Literatur-Portal«. Hier stößt man auf oft erstaunliche Erinnerungsspuren, die Schriftsteller im Frankenland hinterlassen haben – Geburts- und Wohnhäuser natürlich, Denkmale und andere Memorabilien. Gut! Und sicher noch ausbaufähig, das Ganze! Immerhin – die »Bildpartitur«, wie Hermann Glaser das nennt, kann zu Reisen und Wanderungen zwischen Wolframs-Eschenbach und Joditz oder zwischen Aschaffenburg und Hilpoltstein animieren, die die per se schon sehenswerte Region um anregende Perspektiven bereichert. Wenn schon »Tour«, warum nicht »LiteraTour«?

Zuverlässiges Nachschlagewerk

Man kann meinen Haupteinwand gegen die Struktur des Werks auch ins Positive wenden und sich sagen: Mit dem Erwerb dieses Buches bekommt man eine faktenreiche Geschichte der deutschsprachigen Literatur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, und dazu erhält man noch eine äußerst kenntnisreiche und farbige Darstellung der Literaturlandschaft Franken, die es bisher in dieser Form nicht gab und in absehbarer Zeit wohl auch nicht geben wird. Dass es sich als zuverlässiges Nachschlagewerk behaupten wird – wozu der Anhang Wichtiges beiträgt –, steht außer Zweifel. Die Zahl derer jedoch, die Hermann Glasers Werk von vorne bis hinten durchlesen werden, wird sich vermutlich in engen Grenzen halten. Ist das schlimm? Nein. Man freut sich auch so über dieses opulente Kompendium – aufschlussreich, gelehrt, anregend und unterhaltsam ist es allemal.

Hermann Glaser: Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft. Epochen – Dichter – Werke. Gunzenhausen 2015: Schrenk-Verlag. 581 S.

Sapienti sunt Paioari. Der erste Band des neuen Spindler

Vor fünfzig Jahren begann es zu erscheinen, das Handbuch der bayerischen Geschichte, der legendäre »Spindler«. Nun liegt der erste Band in einer auf dem aktuellen Stand der Forschung vollständig neu geschriebenen Fassung vor. Ein stattlicher Buchziegelstein! Es geht um Bayerisches von der älteren Steinzeit bis zum hohen Mittelalter. Bayerisches? Na ja, was man halt so nennen kann. Dass die Generation von Max Spindler und Karl Bosl da manches zu simpel und vor allem zu eindeutig dargestellt hat, wird bald klar. Die Agilolfinger? Schon recht, aber … Es wäre mehr als vermessen, hier ins Detail zu gehen – es darf höchstens festgestellt werden, dass die »Migratio« in der Tat die »Mater Bavariae« war und ist. Eine kritische Würdigung des studierenswerten neuen Handbuchs überlassen wir natürlich den Historikern und anderen Fachwissenschaftlern.

Kapitel VII führt das kulturelle Leben jener Zeit vor Augen: Wissenschaft und Bildung, Literatur, Kunst, Musik. Man wird gewiss nicht ernsthaft behaupten können, dass dieses fragile frühe Bayern hier an der Spitze des europäischen Fortschritts marschierte. Dennoch schreibt Ludwig Holzfurtner ganz zu Recht, und das ist doch schon mal was: »Bayern stand zwar nie am Anfang, oft aber eben doch schon früh aufseiten der zukunftsweisenden Ideen und trieb diese in maßgeblicher Weise weiter voran, sie um eigene Aspekte erweiternd und mehr als einmal auch auf ein realistisches Maß korrigierend.« Einen lehrreichen Überblick über die lateinische, alt- und frühmittelhochdeutsche Literatur in Bayern bis ins 13. Jahrhundert hinein geben Mechthild und Hans Pörnbacher. Da geht es ums Wessobrunner Gebet, um Heiligenviten, Geistliche Lieder, Chroniken und frühe weltliche Epen, um Geistliche Schauspiele oder den frühen Minnesang. Zuerst aber um ein Wörterbuch aus der Freisinger Schreibschule, das eher seltene lateinische Wörter nicht nur durch geläufigere lateinische Wörter erklärt, sondern auch volkssprachliche Erläuterungen anfügt. Das erste Wort, von dem das Buch seinen Namen hat, nämlich »abrogans«, wird mit dem lateinischen »humilis« und den althochdeutschen »dheomodi« (demütig) erklärt. Öha! Allen Autoren in Bayern und weit darüber hinaus sei gesagt, mit den Worten der Pörnbachers: »Das erste Wort im ersten Buch, das in Bayern entstanden ist, heißt also ›demütig‹!« Bitte unbedingt merken, aufschreiben, über den Schreibtisch hängen! Demut und Klugheit gehören zusammen – ganz besonders in Bayern, wo es viele kluge Leute gibt und auch damals schon gab. In einem Gesprächsbüchlein aus dem frühen neunten Jahrhundert steht beim Eintrag »sapiens homo – spaher (= kluger) man« die ganz klare Aussage: »Stulti sunt Romani, sapienti sunt Paioari« – was man, mit Verlaub, so übersetzen kann: »Olle andern san bleed, mir Bayern san gscheid«. Frühes neuntes Jahrhundert? Ganz aktuell! Auch wenn es vielleicht doch »sapientes« heißen sollte.

 

Handbuch der bayerischen Geschichte. Band I, 1: Das Alte Bayern. Von der Vorgeschichte bis zum Hochmittelalter. Begründet von Max Spindler. Neu herausgegeben von Alois Schmid. München 2017: Verlag C. H. Beck 726 S.

Statt einer Literaturgeschichte. Eine durchwachsene Aufsatzsammlung zur Literatur in Bayern

Im Jahr 1987 erschien Albrecht Webers Handbuch der Literatur in Bayern. Dass deren literaturwissenschaftliche Erforschung auch danach nicht zum Erliegen gekommen ist, belegt ein Ende 2015 erschienener umfangreicher Sammelband. Sein Herausgeber Waldemar Fromm, der die »Arbeitsstelle für Literatur in München / Bayern« an der Universität München leitet, hat darin fünfzehn einschlägige Arbeiten zusammengestellt, die zwischen 1984 und 2005 zum ersten Mal publiziert wurden, also, wie er in seiner Einleitung schreibt, »nach dem Boom der Regionalforschung in den 1980er-Jahren«. Damit soll ein Forschungsüberblick gegeben werden, weshalb wohl auch der Untertitel des Bandes auf die berühmte Buchreihe Wege der Forschung Bezug nimmt, mit der die in Darmstadt ansässige Wissenschaftliche Buchgesellschaft Generationen von Studenten beglückt hat. Dass und wie sich die Literaturwissenschaft – und mit ihr natürlich auch die Herangehensweise an Regionalliteratur – in den drei zurückliegenden Jahrzehnten verändert hat, das versucht der Herausgeber in seinen sehr knapp geratenen einleitenden Bemerkungen zumindest ansatzweise zu skizzieren.

An einer wissenschaftlich fundierten, umfangreichen und aktuellen Geschichte der Literatur in Bayern wird intensiv gearbeitet. Dieses Buch ist kaum mehr als eine Vorarbeit dazu – der Titel ist hier Programm, und die für eine Darstellung der Literatur in Bayern unangemessene Dominanz der Landeshauptstadt ist auch nicht zu übersehen. Die Zeit vor dem 18. Jahrhundert wird durch einen instruktiven und anregenden Aufsatz von Ernst Hellgardt über den Beitrag Niederbayerns zur deutschen Literatur im frühen Mittelalter, durch einen Essay von Freimut Löser über die geistliche Literatur des Mittelalters am Beispiel von Würzburg und Melk und durch zwei eher akribisch ins Detail als in die Breite gehende Arbeiten von Dieter Breuer über das literarische Leben in München vor 1648 sowie über die oberdeutsche Erzählliteratur des 17. Jahrhunderts abgedeckt. Guillaume van Gemert analysiert die Dichtungslehre des Parnassus Boicus (1725/26), Manfred Knedlik untersucht die Schuldramen des Prüfeninger Abtes Rupert Kornmann (1757–1817), und Michael Schaich beschäftigt sich mit dem Thema »Staat und Öffentlichkeit im Kurfürstentum Bayern der Spätaufklärung«. In einem der besten Beiträge des Bandes skizziert Wilhelm Haefs, auf dessen ungemein aufschlussreiches und überdies extrem spannendes Buch über Leben, Werk und Wirkung von Lorenz Westenrieder nicht oft genug hingewiesen werden kann (Aufklärung in Altbayern, 1998), mit aufmerksamem Blick auf Georg Alois Dietl (1752–1809) die überraschend heterogene Literatur der Spätaufklärung in Bayern. Der älteste Beitrag in diesem Sammelband war schon 1984 nicht ganz unumstritten und hält jedenfalls nicht, was sein Titel verspricht: In »Die Münchner Romantik« umkreist Hans Graßl allerlei Philosophenkram, ohne dass diese wichtige Literaturbewegung insgesamt scharfe Konturen oder gar ein Gesicht erhält. Auch heute noch bestens lesbar hingegen ist die Darstellung von Literatur und literarischem Leben in München um 1855, die Walter Hettche und Johannes John beisteuern. Die Überlegungen von Gabriele Whetten-Indra zum literarischen Leben in der Isarmetropole zwischen 1918 und 1933 wird man ebenso mit Gewinn und Genuss zur Kenntnis nehmen wie die – wie immer ungeheuer materialreichen – Aufsätze von Altmeister Wolfgang Frühwald über die Literatur in der Prinzregentenzeit sowie über die kaum auf einen Nenner zu bringende Literatur in Bayern zwischen 1919 und 1960. Ein fast mustergültiges Beispiel dafür, wie ein literaturwissenschaftlicher Essay aussehen kann, liefert Reinhard Wittmann mit seinen brillanten Beobachtungen zur Münchner Literaturszene unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass man es für nötig erachtet hat, die komplett veralteten Bemerkungen von Helmut Kaffenberger und Waldemar Fromm über die Literatur in Bayern nach 1960 auch noch aufzunehmen, ist allerdings in keiner Weise nachzuvollziehen. Sie bilden einen im Jahr 2016 fast schon peinlichen Schlussakkord zu dieser oft anregenden, insgesamt eher durchwachsenen Sammlung von zuvor verstreut publizierten Bausteinen zu einer zeitgemäßen Geschichte der Literatur in Bayern. Hoffen wir, dass wir nicht zu lange auf eine solche Gesamtdarstellung warten müssen – man vermisst sie nach wie vor schmerzlich.

Waldemar Fromm (Hrsg.): Statt einer Literaturgeschichte. Wege der Forschung. Literatur in Bayern (= Bavaria. Münchner Schriften zur Buch- und Literaturgeschichte. Kleine Reihe 1). München 2015: Allitera Verlag, 432 S.

Männer des Wortes. In Bayern lief die Aufklärung anders

Nein, keinesfalls will ich mich in die Geschichtswissenschaft einmischen, selbst dann nicht, wenn sie bayerische Themen verhandelt. Aber deren Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und manches davon auch weitergeben – das schon! Zum Beispiel gibt es, neben unzähligen anderen einschlägigen Publikationen und oft sehr spannenden Büchern, eine gar nicht genug zu rühmende Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, und es gibt deren sogenannte Beihefte, grundsolide und immer stupend gelehrte Schriften. Sehr spezielle Bücher naturgemäß, zu ganz unterschiedlichen Themen. Niemanden wird da alles interessieren – wie denn auch! Das neueste Beiheft allerdings verdient vielleicht doch größere Beachtung, weil es über seinen engeren Gegenstand hinaus den Blick weitet für historische Prozesse, die auch im heutigen Bayern noch nachwirken.

Das Reichsstift St. Emmeram zu Regensburg erlebte im 18. Jahrhundert unter seinen letzten Fürstäbten eine wissenschaftliche Blütezeit und galt als eines der herausragenden Bildungszentren im gesamten oberdeutschen Raum. Mit seiner Aufhebung ein paar Jahre nach der Inbesitznahme der Stadt durch das Königreich Bayern fand diese benediktinische Glanzzeit ein ziemlich abruptes Ende. Danach dämmerte das bedeutende und höchst sehenswerte Ensemble von St. Emmeram viele Jahrzehnte hindurch vor sich hin, und so ganz aufgewacht ist es bis heute nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Das aus einer Tagung (2012) hervorgegangene Beiheft widmet sich dem Zeitalter der Aufklärung und enthält ein gutes Dutzend Abhandlungen, die die erstaunlich weitreichenden Netzwerke der gelehrten Mönche von St. Emmeram sowie die für deren Unterhalt wichtigsten Persönlichkeiten detailliert vorstellen. Unbedingt empfehlenswert ist die Lektüre der Beiträge von Alois Schmid und Ulrich L. Lehner. Dass sich, wie die meisten »nordlastigen« Epochendarstellungen bis heute nicht wahrhaben wollen, Katholizismus und Aufklärung eben nicht gegenseitig ausschließen und es eine in erster Linie von oberdeutschen Klöstern getragene »Katholische Aufklärung« durchaus gegeben hat, macht Alois Schmid an konkreten Beispielen sehr differenziert deutlich. Bestens dargelegt und begründet sind seine Urteile. Zum Beispiel: »Als Forschungsstätten übertrafen zumindest die großen Klöster ohne Zweifel die Universitäten an Bedeutung; sie entwickelten sich zu wahren Klosterakademien.« Oder: »In den Klöstern fühlte man sich einer zurückhaltenden und moderaten Form der Aufklärung verpflichtet … Von radikalen Brüchen wollten die Patres im Allgemeinen nichts wissen.« In Oberdeutschland habe man, anders als anderswo, vor allem versucht, »die Forderungen der Aufklärung mit denen des Katholizismus zusammenzubringen und für möglichst viele nutzbar zu machen«. Dabei sei die Wissenschaft meistens als »Beitrag zur Stärkung der Religion« angesehen worden: »Die Aufklärung wurde als entscheidendes Mittel zur Beförderung der Gotteserkenntnis verstanden.« Das hatte der Berliner Schriftsteller und »Erzaufklärer« Friedrich Nicolai in seiner einflussreichen Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 nicht kapiert. Oder nicht begreifen wollen. Was Ulrich L. Lehner über das Verhältnis der Benediktiner zur Aufklärung schreibt, entspricht in vielem der neuesten Forschung, wie sie etwa Steffen Martus in seinem 2015 erschienenen Epochenbild Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert zusammenfasst – dass es in Deutschland nämlich überhaupt keine einheitlich rationalistische Aufklärung gegeben hat, eher »Familien von Aufklärungen«, und dass zu denen eben auch die gelehrten Mönche Süddeutschlands zu rechnen sind. Und dass es für diese Wissenschaftler und Denker vor allem darauf ankam, »ihre Kirche in kritischer und positiver Auseinandersetzung mit dem akademischen Diskurs ihrer Zeit zu erneuern«. Lehner verschweigt nicht, dass das innerhalb des Benediktinerordens durchaus umstritten war. Der Freiheitsdrang der Klosterbrüder jedoch ließ sich nicht mehr effektiv einbremsen: »Mönche wollten ihre Lebensweise derjenigen der Welt anpassen. Gelehrte wollten nicht mehr die langen nächtlichen Gebete im Chor verrichten und Arbeiten im Kloster, sondern sich ganz ihrer Wissenschaft widmen können und so fort.« Am Prozess der Ausbreitung von Akademien, Leihbibliotheken, Kaffeehäusern und Salons als »Orte des gegenseitigen geistigen Austauschs« nahmen auch die Benediktiner teil, und letztlich haben sie zur »Etablierung Bayerns als Wissenschaftsstandort« maßgeblich beigetragen. Bemerkenswerte Ordenspersönlichkeiten hat es damals gegeben, im Bayernland und weit darüber hinaus, und auch zahlreiche Episoden und Anekdoten, denen man gerne näher nachgehen möchte. Und so ist, um das Mindeste zu sagen, dieser schöne Sammelband nicht nur außerordentlich lehrreich, sondern in vielfacher Hinsicht auch sehr anregend.

Bernhard Löffler / Maria Rottler (Hrsg.): Netzwerke gelehrter Mönche. St. Emmeram im Zeitalter der Aufklärung (= Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beiheft 44). München 2015: C. H. Beck Verlag. VIII/399 S.