Burn-In statt Burn-Out

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Alles bloß Chemie?

Nichts erreicht das Herz,

das nicht von Herzen kommt.

Quelle unbekannt

Forscher am Max-Planck-Institut suchten nach biochemischen Ursachen für psychische Erkrankungen. Sie entwickelten einen Bluttest, der zeigt, wie gut ein Mensch mit Stress umgehen kann und wie hoch das Erkrankungsrisiko des Einzelnen ist; dazu wird der Gehalt von Cortisol im Blut gemessen. Cortisol ist das bekannteste Stresshormon, dessen Produktion aber in unserem Gehirn durch ein anderes kleines Eiweißmolekül ausgelöst wird.

Dieses Corticotropin (CRH) erzeugt Angst, unterdrückt Schlaf und Appetit und fokussiert uns auf die Stresssituation. In einer solchen, so fanden die Wissenschaftler heraus, veranlasst das Gehirn die Nebennierenrinde, Cortisol zu bilden, das dann den gesamten Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Herz, Gehirn und Lunge werden aktiviert, andere Systeme wie Verdauung oder Sexualtrieb werden reduziert. Bei Dauerstress kann es dann zu einer gefährlichen Überproduktion von Cortisol kommen, zudem wird das Gehirn geschädigt, was sich wiederum auf das Verhalten auswirkt.

Dass Stress eine wahrhaft haarige Angelegenheit ist, hat eine Dresdner Forschergruppe um den Biopsychologen Prof. Clemens Kirschbaum herausgefunden – die Forscher haben Stress im Haupthaar nachgewiesen. Dass dies bei Drogenmissbrauch funktioniert, wusste man bereits. Ich erinnere da nur an einen bekannten ehemaligen Bundesligatrainer. Seit dem Jahr 2004 waren die Dresdner nun auch dem Cortisol auf der Spur. Da die Kopfhaare im Durchschnitt um einen Zentimeter pro Monat wachsen, konnte man sogar den Zeitraum bestimmen, in dem der Stress bei der betroffenen Personen aufgetreten war – und zwar auf drei Monate genau. Hiermit hatte man eine objektive Beurteilung über das Auftreten von Stress.

Dass Stress besser als sein Ruf ist, konnten Forscher der Universität Bochum belegen. Probanden, die unter Stress gesetzt worden waren, konnten sich an Dinge, die während der Stresssituation auftraten, besser erinnern als entspannte Probanden. Für das Lernen hieße das, dass ein gesundes Maß an Stress sich positiv auf das Langzeitgedächtnis auswirke, also durchaus hilfreich sein könne. Beim Abfragen des Gelernten ist Stress hingegen hinderlich. So empfiehlt es sich, Prüfungssituationen so entspannt wie möglich zu gestalten; hierbei kommt es vor allem auf die Atmosphäre des Raumes und das Auftreten der Prüfer an.

In Anbetracht dessen, dass unser Geist stärker als Materie ist, stellt sich die Frage, wer das Corticotropin produziert. In der Bibel steht bei Johannes: »Am Anfang war das Wort … und das Wort ward Fleisch.« Das heißt ja nichts anderes, als dass der Geist Materie formt – denn dem Wort muss ja ein Gedanke vorausgegangen sein. Kein Auto würde auf unseren Straßen fahren, kein Flugzeug würde fliegen und wir würden auch nicht telefonieren, hätte es keine Menschen gegeben, die genügend Vorstellungskraft hatten, sich das alles auszudenken. Besaßen Sie als Kind eine Kiste voller Legosteine? Dann haben Sie gelernt, dass Gedanken zu Bauplänen und diese zu Materie werden können.

Werner Heisenberg erkannte bereits als Zwanzigjähriger, dass wir die Wirklichkeit vollkommen anders sehen müssen. Nicht mehr materiell, sondern viel offener. Jesus sagte: »Ihr seid alle schlafende Götter.« Könnte dieser Satz nicht als Aufforderung gelten, zu erwachen und sich all seiner Möglichkeiten bewusst zu werden? Ebenso prophezeite er: »Ihr werdet Gleiches tun wie ich und Größeres.« Vielleicht hätte er einen ungefähren Zeitrahmen dafür angeben sollen. Dieses geistige Erbe wartet inzwischen nämlich seit mehr als 2000 Jahren darauf, dass wir uns auf die Reise machen, um zu entdecken, wer wir wirklich sind und welches Potenzial in uns schlummert.

Unser Denken, unsere Art zu fühlen und unser Körper interagieren und beeinflussen sich stets gegenseitig. Wenn Sie an etwas Unangenehmes denken, wird dies unmittelbar im Körper messbar sein. Angenommen, Sie träumen im Schlaf, dass Sie auf dem Dach eines Hochhauses stehen und jeden Moment hinunterfallen werden. Dieses Traumbild wird bei Ihnen augenblicklich körperliche Reaktionen wie Umherwälzen, Schweißausbruch, erhöhten Blutdruck und schnelleres Atmen auslösen. Kurz darauf mag das Traumbild zu einer sehr romantischen Szene wechseln, was wiederum völlig andere körperliche Effekte hervorrufen wird. Ähnliches gilt für den umgekehrten Fall, etwa einer körperlichen Verletzung durch einen Unfall. Sofort wird dies Einfluss auf Ihr Denken, Fühlen und Handeln nehmen.

Eines steht bei allen Betrachtungen über Burn-out fest: Über die Hintergründe wird zu wenig geforscht. Die zugrunde liegende Schwierigkeit ist mir durchaus bewusst – da die Ursachen nämlich so individuell sind, lassen sie sich mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden nicht messen. Jeder Betroffene muss sich also die Mühe machen, selbst nachzuforschen. Was bei der Lösung auf keinen Fall weiterhilft, sind Schuldzuweisungen wie: Der Arbeitgeber, der Vorgesetzte oder das Projekt ist schuld.

Im Leben geht es unter anderem darum, zu lernen. Wir häufen dabei eine große Menge von Wissen an. Zu der Meinung zu gelangen, man wisse genug und habe ausgelernt, wäre jedoch ein fataler Fehler. Viele Menschen sind sich da aber bereits nach Beendigung des Studiums oder ihrer Lehre sicher. Gefestigtes Wissen wird dann schnell zu einer Art Landkarte der Realität; auf dieser Basis werden anschließend Entscheidungen getroffen. Alles, was dort nicht hineinpasst, wird ignoriert oder abgewehrt. Die einfachste Form, die Landkarte anderer abzuwehren, ist, sich darüber lustig zu machen, zu behaupten, das Ganze sei Spinnerei oder ›schlaue‹ Gegenargumente zu liefern. Es kann sogar vorkommen, dass eine andere Landkarte unser Zutrauen in unser Weltbild massiv stört. Dann versuchen wir, das Ganze herunterzuspielen, und beruhigen uns wie Kinder, denen man sagt, dass es die böse Hexe in Wirklichkeit gar nicht gibt. Obwohl wir wissen, dass das nicht stimmt, können wir zunächst einmal ruhig schlafen und unser Weltbild ist wieder in Ordnung. In tiefer Meditation kann man allerdings erkennen, dass das bisherige Weltbild und das Leben, das man nach diesem geführt hat, so nicht stimmen und dass es ganz anders sein könnte. Manchmal entdeckt man sogar, dass man einer gigantischen Fälschung aufgesessen ist.

Lässt man neues Wissen zu, kann Nützliches geschehen und gestaltet werden. Wissen und Lernen vertragen sich allerdings nicht immer gut, da man Gelerntem gegenüber in der Regel loyal ist. Die Wiederverwendung alten Wissens verhindert oft Veränderungsprozesse. Ich weiß schon, wie es geht, warum soll ich das ändern, das ist sowieso nicht möglich ist die Haltung, die von Wissen leicht erzeugt wird.

»Gerade wenn man glaubt, etwas zu wissen«, ruft Robin Williams als Lehrer seinen Schülern zu, »muss man es aus einer anderen Perspektive betrachten, selbst wenn es einem albern vorkommt oder unnötig erscheint. Man muss es versuchen. Sie müssen Ihre eigene Perspektive finden und je länger Sie damit warten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie sie finden.« (aus dem Film Club der toten Dichter)

Wer lernen will, muss neugierig sein wie ein Kind, um zu erfahren, was er noch nicht weiß. Insofern geht es immer auch hier um eine Balance zwischen Wissen und Nichtwissen. Ein Zeichen dafür, ob Sie ausgelernt haben: Da Sie leben, dürfen Sie noch dazulernen. Sich selbst immer besser kennenzulernen, ist nicht nur die beste Behandlungsmethode bei Burn-out, sondern auch die sinnvollste Prophylaxe.

Der Schritt verrät, ob einer schon auf seiner Bahn schreitet.

Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt.

Friedrich W. Nietzsche

Burn-out-Phasen

Burn-out-Phasen der Erschöpfung nach Dr. med. Mansmann

1. Drang nach Anerkennung und übertriebener EhrgeizDer Betroffene erfüllt seine Aufgaben mit sehr großer Begeisterung. Allerdings überfordert er sich oftmals dabei und setzt sich zu hohe Ziele.­­

2. Übertriebene LeistungsbereitschaftUm den eigenen Ansprüchen zu genügen, wird noch mehr Energie aufgebracht und alles dafür getan, den Ansprüchen doch noch gerecht zu werden. Das Gefühl, unersetzbar zu sein, steigt. Deshalb werden kaum Aufgaben abgegeben und Arbeitsentlastung findet kaum statt.

3. Ausblenden der eigenen BedürfnisseIn dieser Phase tritt das Verlangen nach Ruhe, Schlaf und Regeneration immer weiter in den Hintergrund. Häufig nimmt der Konsum von Alkohol, Nikotin und Kaffee zu.

4. Ausblenden von Warnsignalen und ÜberforderungUm weiterhin leistungsstark zu funktionieren, blendet der Betroffene alle Warnsignale und Anzeichen des eigenen Körpers aus. Unzuverlässigkeit und Fehler häufen sich im Arbeitsalltag.

5. Verzerrte Wahrnehmung der RealitätAlte Grundsätze verlieren an Wert, Freundschaften und berufliche Kontakte, die vorher eher Entlastung und Unterstützung waren, werden nun mehr als Belastung empfunden. Die Wahrnehmung wird reduziert auf ein Minimum. Probleme in der eigenen Beziehung treten auf.

6. Ausblenden von ersten BeschwerdenProbleme häufen sich im Leben des Betroffenen und auch körperliche Beschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Angst setzen ein. Jedoch werden diese Probleme ignoriert oder es wird ihnen kaum Beachtung geschenkt.

7. RückzugsphaseHoffnungslosigkeit breitet sich aus und verdrängt alle positiven Gefühle. Alkohol und Medikamente dienen nun häufiger zur Ablenkung. Das soziale Umfeld wird als Bedrohung angesehen und als überfordernd empfunden.

 

8. Beratungsresistenz baut sich aufDer Betroffene wird unflexibel im Denken und schränkt sich immer mehr ein, was sein eigenes Verhalten anbelangt. Kritik wird komplett zurückgewiesen und als Angriff auf die eigene Persönlichkeit empfunden. Er zieht sich immer weiter zurück.

9. EntfremdungIn dieser Phase fühlt sich der Betroffene sich selbst gegenüber fremd. Es kommt ihm vor, als würde er nur noch automatisch wie ein Roboter funktionieren, ohne freien Willen.

10. Innere LeereMutlos und erschöpft bezwingt der Betroffene seinen Alltag. Angst und Panikattacken verfolgen ihn. Mitunter versucht er, seine Probleme mit Kauftouren und Fressorgien zu bewältigen.

11. Auftretende DepressionenDauerhafte Verzweiflung und Niedergeschlagenheit stellen sich ein. Andere Erkrankungen wie Magersucht können auftreten.

12. Totale ErschöpfungDie andauernde geistige und körperliche Müdigkeit lähmt und beeinflusst das gesamte Leben: Das Immunsystem ist geschwächt, die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Magen-Darm-Leiden steigt erheblich. Die Suizidgefahr ist in diesem Stadium am höchsten.

Sind Sie Führungskraft oder Arbeitgeber?Wenn Sie den leisen Verdacht haben, dass einer Ihrer Mitarbeiter auf einen Burn-out zusteuert, dann machen Sie von Ihrer Fürsorgepflicht Gebrauch, indem Sie sich folgende Fragen stellen:

 Fehlt der Mitarbeiter häufiger am Arbeitsplatz?

 Braucht er längere Pausen als früher?

 Sind seine Arbeitsleitungen nicht mehr so effizient?

 Kommt er häufiger zu spät?

 Spricht er zunehmend schlecht von seinen Kunden?

 Verschiebt er immer häufiger Kundentermine?

 Reagiert er verärgert oder genervt, wenn Kunden anrufen?

 Kann er sich immer weniger auf seine Kunden konzentrieren?

 Isoliert er sich zunehmend von Kollegen oder Feierlichkeiten im Betrieb? Geht er Diskussionen aus dem Weg?

 Oder/und bemerken Sie bei Ihrem Mitarbeiter einen stetig zunehmenden Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen?

 Bemerken Sie Gefühle des Versagens, Ärgers und Widerwillens?

 Ist Ihr Mitarbeiter entmutigt oder gleichgültig?

 Ist der Mitarbeiter frustriert?

 Erleben Sie Stimmungsschwankungen?

 Stellen Sie Widerstand gegen Veränderungen fest?

 Kann sich der Mitarbeiter immer schlechter konzentrieren?

Wo deine Talente und die Bedürfnisse der Welt sich kreuzen,

dort liegt deine Berufung.

Aristoteles

Ratespiel Diagnose

Was nennen die Menschen am liebsten dumm?

Das Gescheite, das sie nicht verstehen.

Marie von Ebner-Eschenbach

Weltweit wird an Tests gearbeitet, um Burn-out präzise diagnostizieren zu können, doch sind die Forscher sich untereinander nicht einig. Mehr als 130 Symptome wurden bislang gesammelt – eine klare medizinische Definition des Begriffes fehlt aber bis heute.

Burn-out wird im ICD-10, der internationalen Klassifikation der Erkrankungen, nach wie vor nicht als eigenständiges Krankheitsbild geführt. Dr. Manfred Lütz spricht da eher von einer Befindlichkeitsstörung. Wie immer man dieses Phänomen auch nennen mag – inzwischen leiden Millionen Menschen daran. In Deutschland schätzt man die Zahl der Betroffenen auf neun Millionen, mehreren Untersuchungen zufolge gehört fast ein Drittel aller Ärzte dazu. So kann es sein, dass ein Patient mit einem Burn-out in der Praxis eines Leidensgenossen sitzt. Laut der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtsfragen ist die Zahl der Behandlungsfehler stark angestiegen. 2013 hatten mehr als 2.000 Beschwerden Erfolg, jede vierte Behandlung oder Diagnose war fehlerhaft. Und dies sind nur die Fälle, die zur Anzeige kamen.

Eine Mutter hatte einen Sohn, der süchtig nach Datteln war. Sie hatte von einem berühmten Heiler gehört, der weit draußen in der Wüste lebte. Als Mutter und Sohn nach zwei Tagesreisen bei diesem angekommen waren, sagte der Heiler: »Kommt morgen wieder.« Sie übernachteten in der Nähe. Am nächsten Tag heilte er den Sohn. Auf die Frage der Mutter, warum er das nicht schon gestern getan habe, war seine Antwort: »Da hatte ich selbst Datteln gegessen.«

Falsch behandelt oder lange ignoriert kann Burn-out zu permanenter Berufsunfähigkeit und Invalidisierung mit all ihren zerstörenden Konsequenzen für das soziale wie berufliche Leben führen, in manchen Fällen auch zum Suizid.

Bei fast allen traditionellen Behandlungsmethoden versucht der Arzt, das Problem einzukreisen, indem er seinem Patienten Fragen zu den Symptomen stellt. Der Begriff Patient kommt aus dem Lateinischen und bedeutet erdulden, ertragen, ausharren, was viel über das Rollenverständnis der klassischen Schulmedizin aussagt. Der Arzt fragt immer weiter nach Details. Auf diese Weise erfährt er zunehmend mehr über die Geschichte des Problems und beginnt auf der Basis seines während der Ausbildung erworbenen Wissens, seiner Einstellungen und Glaubenssätze innerlich Hypothesen zu bilden. Was folgt, ist seine Diagnose, die ungefähr so ausfallen kann: »Nach allem, was ich gehört habe, handelt es sich hier um eine Depression.« Und schon ist der Patient mit einem Etikett versehen, das er nur sehr schwer wieder los wird. War er bis dahin nicht depressiv, so wird er es aufgrund der Diagnose. Die suggestive Macht von Menschen in weißen Kitteln ist nicht zu unterschätzen – im positiven wie im negativen Sinne.

Glaubt der Arzt herausgefunden zu haben, was das Problem ist, so überlegt er, mit welcher Lösung man diesem Problem begegnen könnte und welche Barrieren aus dem Weg geräumt werden müssen; somit steht er auf der Position des Experten. Was dann folgt, ist eine Verschreibung. Der Arzt teilt dem Patienten mit, worauf er achten sollte, welche Medikamente er nehmen oder dass er mehr Sport treiben müsse, dass er möglicherweise die Ernährung umstellen oder sich am besten einmal eine Auszeit nehmen sollte. Wenn diese Verschreibungen nicht ausreichen, wird meist die Dosis erhöht – also mehr vom Selben gemacht, anstatt neue Wege zu gehen.

Dieser ganze Ansatz erweckt dann den Anschein, als sei er ganz und gar auf das Individuum bezogen. Bei dieser Vorgehensweise gibt es eine klare Trennung: Ich bin hier der Doktor, beobachte dich dort und beschreibe, wie ich dich beobachte. Dann gebe ich dir mein Rezept.

Dieser Ansatz ist ein beliebtes Modell der klassischen Schulmedizin. Sie schaut sich den menschlichen Körper vornehmlich als Maschine an. Dabei betrachtet man zum Beispiel, wie das eine Teil der Maschine zu einem anderen Teil in Beziehung steht. Menschen funktionieren aber anders. Wir sind nicht lineare Systeme und als solche nicht vorhersagbar. Mit dem Ursache-Wirkung-Prinzip kommt man hier nicht weit. Noch nie ist nur ein Körper in eine Arztpraxis gekommen – Geist und Seele waren immer dabei, und mehr noch, die Systeme, in denen dieser Mensch lebt und von denen er ein Teil ist, ebenfalls. Alles ist untrennbar miteinander verbunden. Das bedeutet: Alle Phänomene, die sich im Geist abspielen, finden ebenfalls auf der körperlichen Ebene statt und sind dort sogar unmittelbar beobachtbar, spürbar und messbar. Denken Sie nur an das Erröten, wenn man sich schämt, oder das Zittern vor Angst.

Der Arzt stellt also seine Diagnose aus seinem eigenen Modell der Wirklichkeit heraus. Das Dumme ist nur, dass auch der Patient ein Modell hat, nämlich seines. Er hat sich Gewohnheiten zu eigen gemacht, die er auch dann beibehält, wenn sie zu Problemen führen. Versucht also der Arzt oder Therapeut, sein Modell gegen das des Patienten durchzusetzen, reagiert der Patient oft so, dass er den sein eigenes Modell störenden Einfluss auszugleichen versucht oder es unwirksam werden lässt. Dies wird dann oft als Widerstand gedeutet.

Demzufolge muss bei der Behandlung anders vorgegangen werden. Arzt und Patient sollten die Netzwerke betrachten, die Wechselwirkungen innerhalb der Systeme, von denen der Betroffene ja ein Teil ist. Und das kann nur gemeinsam geschehen. Indem Arzt und Patient also gemeinsam Lösungen suchen, machen sie den ersten Schritt in die richtige Richtung. Falls sie den lösungsfokussierten Ansatz wählen, schauen sie sich zunächst das Ziel an, beginnen praktisch am anderen Ende, indem sie als allererstes herausfinden, wie die Idee des Patienten über das gewünschte Ergebnis aussieht.

Natürlich werden die meisten sagen: »Ich möchte wieder gesund sein.« In der Regel nickt der Arzt dann, als wisse er genau, was sein Gegenüber damit meint. Das weiß er aber nicht, das kann nur der Patient selbst wissen. Also sollte der Arzt die Frage anschließen, woran genau sein Patient denn bemerken würde, dass er wieder gesund ist. Hier gilt es, genau hinzuhören. Daraufhin sollten Arzt und Patient gemeinsam nach Ausnahmen und Erfolgen in der Vergangenheit suchen. Der Arzt forscht also nicht nach Defiziten, die beseitigt werden müssen, sondern richtet sein Augenmerk auf Ressourcen und ungenutzte Potenziale seines Patienten. Bei dieser Vorgehensweise wird der Begriff Patient ad absurdum geführt, da dieser ja aktiv daran beteiligt ist, seine Lösung zu finden, die er längst in sich trägt. Er weiß nur nicht, dass er sie hat, dies ist ihm schlichtweg entfallen – vor lauter Stress.

Bei diesem Ansatz stellt der Arzt beispielsweise folgende Fragen: »Gab es schon Zeiten, in denen Sie sich gesund gefühlt haben?« Oder: »Welche dieser kleinen Erfolge aus Ihrer Vergangenheit wollen Sie wiederholen? Und wie haben Sie es denn damals geschafft?« Oder: »Woran würden Sie als Erstes bemerken, dass es in die gewünschte Richtung geht? Würden andere Menschen in Ihrer Umgebung dies ebenfalls bemerken, und wenn ja, woran?« Wenn man diesen Ansatz wählt, entsteht eine Zusammenarbeit. Da dem Arzt in der Regel aber nicht so viel Zeit für seine Patienten zur Verfügung steht – oft sind es nur wenige Minuten –, wird meist die schnellere Methode gewählt. (60–90 Patienten an einem Tag sind keine Seltenheit.) Bei dem beschriebenen zeitlich aufwendigeren Weg nimmt der Arzt keine Verschreibungen vor, indem er dem Patienten vorgibt, was er tun soll, sondern das Ganze wird vielmehr zu etwas, das beide gemeinsam konstruieren. Falls Sie schon einmal mit Familientherapie zu tun hatten, so wissen Sie, dass der Beobachter und die Person, die beobachtet wird, in Interaktion stehen. Es handelt sich um einen gemeinsamen Prozess – und im Ansatz bereits um systemisches Denken.

Burn-out klingt einfach besser als Depression, da man damit gemeinhin jemanden etikettiert, der sich für seine Arbeit und seine Firma aufgeopfert hat. Kaum einer ›Krankheit‹ wird so viel Respekt entgegengebracht wie dieser. Immerhin wird sich jeder Betroffene die Frage stellen müssen, ob es Sinn ergibt zu leben, um zu arbeiten, oder ob es sinnvoller ist, zu arbeiten, um zu leben. »Es traf mich ohne Vorwarnung. Ich konnte mit dem Gefühl gar nichts anfangen, hatte keine Ahnung, woher das plötzlich kam, ich war total unausgeglichen und nicht mehr fähig, zur Arbeit zu gehen. Ich habe mich an den freien Tagen einfach nicht mehr erholt.« Stellvertretend kann diese Aussage eines Klienten für viele andere stehen. Wenn Sie sich selbst nicht sicher sind, ob Sie zum gefährdeten Personenkreis gehören, stellen Sie sich doch selbst einmal folgende Fragen und beantworten Sie diese ehrlich und selbstkritisch! (Es hört ja niemand zu.)

 Fühle ich mich leer und ausgebrannt?

 Unternehme ich weniger als früher?

 Fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren?

 Brauche ich Schlaf- oder Beruhigungsmittel?

 Bin ich häufiger krank als früher?

 Fühle ich mich überfordert?

 Bin ich ängstlich oder depressiv geworden?

 Macht mir meine Arbeit keinen Spaß mehr?

 Bin ich chronisch müde?

 Leide ich mehr als früher unter Muskelverspannungen, Magen- oder Kopfschmerzen?

 Glaube ich, dass ich an meiner Arbeitssituation nichts ändern kann?

 Gehe ich in meiner Freizeit weniger als früher meinen Interessen und Hobbys nach?

 Fühle ich mich in der Arbeit alleingelassen?

 Bin ich eher gereizt als früher?

 Werde ich meinen Kunden gegenüber zunehmend zynischer?

 

 Trinke ich häufiger Alkohol, um mich zu entspannen?

 Rauche ich mehr?

 Fällt es mir schwer, morgens zur Arbeit zu gehen?

Bronnie Ware arbeitete jahrelang als Krankenschwester und begleitete viele Menschen in deren letzten Tagen vor dem Tod. Aus ihren Gesprächen mit den Patienten fasste sie fünf unerfüllte Wünsche zusammen:

1 Ich wünschte, ich hätte mehr Mut aufgebracht, ein Leben getreu mir selbst zu führen anstatt eines, das andere von mir erwarteten.

2 Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.

3 Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, meine Gefühle zu zeigen.

4 Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.

5 Ich wünschte, ich hätte mich glücklicher sein lassen.

Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, Burn-out zu betrachten: Was wäre, wenn die Betroffenen uns allen mit ihren Symptomen lediglich zeigten, dass wir mit unserem Denken und Handeln gerade dabei sind, unseren Omnibus gegen die Wand zu fahren? Ist es vielleicht ein gesamtgesellschaftliches Problem? Haben wir den Kontakt zu dem, was im Leben wirklich wichtig ist, verloren?

Ist Burn-out also gar kein individuelles Problem, sondern ein systemisches, das uns alle betrifft? Wenn dem so ist, welche Chance liegt wohl darin? Es lohnt sich sicher, darüber zu meditieren.

Einst lebte auf Zypern ein Bildhauer mit dem Namen Pygmalion. Er beschloss, sich ganz und gar seiner Kunst zu widmen, da er keine Frau finden konnte, die seiner Vorstellung von Schönheit entsprach. Bald darauf hatte er in seinem Atelier ein Stück sehr reinen weißen Marmors, aus dem er eine wunderschöne Frau formte – die all das verkörperte, was er für schön hielt. Er war so begeistert von seiner eigenen Schöpfung, dass er Aphrodite bat, ihm bei der Suche nach einer Frau zu helfen, deren Schönheit seiner Skulptur ebenbürtig war. Aphrodite wusste, dass ihm nur die Statue selbst genügen würde, und so hauchte sie der Statue Leben ein. Pygmalion nannte sie Galatea und heiratete seine eigene Schöpfung.

Sehr viele Therapeuten ähneln Pygmalion. Sie haben Methoden lieben gelernt, die Welt ihrer Patienten zu verstehen. Wenn sie ›gut‹ sind, werden sie in der Therapie dasselbe Verständnis vermitteln. So können Transaktionsanalytiker Ihnen beibringen, sich und Ihre Erlebnisse als Manifestationen des Eltern-, des Erwachsenen- und des Kind-Ichs zu verstehen. Ein Verhaltenstherapeut wird Ihnen erklären, dass Sie für jede ihrer Verhaltensweisen irgendwann einmal positiv verstärkt worden sind, ein Gesprächstherapeut wiederum wird Ihnen deutlich machen, dass in Ihnen ein positiver Kern steckt, der wertgeschätzt und akzeptiert werden muss. Als ich noch als Psychotherapeut tätig war, glaubte ich oft, meine Klienten hätten sich verändert, weil ich auf diese oder jene Weise interveniert hatte, heute sage ich manchmal, obwohl ich so interveniert hatte.

Würden die kleinen grünen Männchen vom Mars (oder woher auch immer) hier landen und uns fragen, wie wir Menschen unsere Probleme lösen, und erklärten wir ihnen dann all unsere psychologischen und therapeutischen Modelle, so würden sie uns vielleicht nach einer Weile fragen: Warum erforscht ihr denn nicht, wie das Leben ganz von selbst für Veränderungen sorgt?, bemerkte Paul Watzlawick einmal in einem seiner Vorträge. Doch es gibt Hoffnung. Immer mehr Ärzte nutzen neben der modernen Medizin auch überlieferte Praktiken: das Auflegen der Hände, Trancereisen zu inneren Bildern der Heilung, Meditation. Unikliniken arbeiten mit Heilern zusammen (in England und der Schweiz übrigens schon seit Langem) und Ärzte und Psychologen experimentieren mit neuen Methoden, die auf uraltem Wissen beruhen.

Wenn der Sinn fehlt Burn-out trifft nicht nur gestresste Arbeitnehmer aus der Wirtschaft oder dem Bankenwesen, sondern auch Menschen, die sich für andere aufopfern, wie Mütter, Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Ärzte und Seelsorger, und zwar insbesondere dann, wenn sie für ihren Einsatz zu wenig Wertschätzung und Anerkennung erhalten.

Betroffen sind nicht nur Menschen, die sich hauptsächlich über ihre Arbeit definieren und andere Lebensbereiche eher als nebensächlich betrachten, sondern auch in einem rein privaten Kontext werden Symptome eines Burn-out beobachtet, wenn es dort zu Konflikten kommt. Denn auch diese Bereiche berühren das Thema Sinngebung.

Eine Situation, von der man einmal glaubte, sie gebe einen Sinn, hat sich verändert; man erhält sie nun aus unterschiedlichen Gründen aufrecht, aber schöpft keine Kraft mehr aus ihr. Nehmen wir als Beispiel ein Ehepaar, das sich mit ganzer Energie auf das Großziehen der Kinder fokussiert und darin seine Bestimmung gesehen hat. Sind die Kinder aus dem Haus, kommt es danach oft zur Trennung.

Oder ein Paar hat sich voll und ganz auf den Hausbau konzentriert und dort viel Zeit und Kraft hineingesteckt. Kaum ist das Haus fertig, fehlt dieser Sinn und man muss sich entweder neu finden oder sich trennen. In beiden Fällen würde es eine Menge Kraft kosten, einfach so zu tun, als hätte sich nichts verändert; es käme sicherlich zu Erschöpfungszeichen. Geht es uns mit unseren Wünschen nicht ganz ähnlich? Einen Wunsch zu haben und etwas dafür zu tun, damit er sich erfüllt, gibt Energie. Kaum ist dieser Wunsch aber erfüllt, klopft bereits der nächste an. Der Weg ist meist interessanter als das Ziel.

Der Unterschied zu Menschen mit einem Bore-out-Syndrom (Langeweile) besteht darin, dass diese im Vorhinein schon keinen Sinn in ihrem Tun finden. Sei es, dass sie längere Zeit arbeitslos sind oder beispielsweise zu stumpfsinnigen Arbeiten herangezogen werden, ohne irgendeine Abwechslung. Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit mit Überzeugung ans Werk gingen, vielleicht sogar mit einer großen Portion Enthusiasmus. Sie sahen einen Sinn in dem, was sie sich als Profession ausgesucht hatten, oder hofften, einen Sinn darin zu finden.

Ich möchte stellvertretend den Beruf des Lehrers erwähnen, denn ich erinnere mich, dass in den 80er Jahren überdurchschnittlich viele Lehrer mit Symptomen wie Schlaf- und Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen, Beklemmungsgefühle, Dauermüdigkeit oder Tinnitus, Konzentrationsstörungen und Übellaunigkeit, die zu einem klassischen Burn-out gehören, in die Praxis kamen. Nur nannte man es damals noch nicht so. (Burn-out gilt übrigens bis heute als der häufigste Grund für Frühpensionierungen bei Lehrerinnen.) Sie berichteten von einer großen Begeisterung zu Beginn ihrer Laufbahn. Sie hatten hohe Ideale, als sie beschlossen, Pädagoge zu werden. Viele waren entweder durch negative Erfahrungen mit schlechten Lehrern aus ihrer eigenen Schulzeit motiviert oder hatten gute als Vorbild gehabt. Im Schulbetrieb angekommen, wurden sie schnell desillusioniert – durch mangelhafte Ausbildung, was den Umgang mit Menschen betrifft, durch überfrachtete Lehrpläne, zu große Klassen, resignierte Kollegen, die das alles schon hinter sich hatten, und vieles mehr. Ist es nicht traurig, dass die meisten Schüler auf die Frage, warum sie in die Schule gehen, antworten: Weil ich muss? Das hört sich doch nach fehlender Sinngebung auf beiden Seiten an.

Dass Lernen am nachhaltigsten freiwillig und unter positiven emotionalen Bedingungen möglich ist, dürfte sich inzwischen auch bei den Verantwortlichen herumgesprochen haben.

Non scholae, sed vitae discimus (Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir) wurde uns zwar in der Schule immer wieder gesagt, aber wirklich Nützliches für das Leben habe ich erst danach gelernt. Von der großen Menge an Stoff, der uns vermittelt wurde – und das wird auch heute meist noch versucht –, ist nicht viel hängen geblieben. Wissen Sie noch was ein Jambus ist oder die Goldene Bulle? Dabei weiß man aus der Hirnforschung und der Entwicklungspsychologie inzwischen, dass es viel zielführender ist, weniger Stoff durchzunehmen, den Schüler aktiv mitgestalten können. Ansätze waren durchaus auch an meiner Schule vorhanden. So züchteten wir mit Begeisterung Fruchtfliegen, um die mendelschen Gesetze zu lernen. Lernen fällt unglaublich leicht, wenn man für etwas begeistert ist, weil man dann emotional beteiligt ist; und dies macht dann den Unterschied zum Pauken aus. Frau Prof. Ellen Langer von der Harvard University hat gesagt, pauken sei, als wenn man Pakete schlucken müsse, die noch verschlossen sind. Das ist passives Konsumieren. Das Ziel von Pauken ist die Note, nicht das Wissen. Gehirngerechtes Lernen hingegen ist ein aktiver Prozess und eine angeborene Fähigkeit und es gibt keinen Grund, warum dies keinen Spaß machen sollte. Bei gehirngerechtem Lernen wächst das Interesse an dem Lehrstoff. Fast jedes Kind freut sich auf die Schule und kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. Es dauert in der Regel nicht sehr lange, bis es desillusioniert ist; es sei denn, es liebt die Lehrer und hat in seiner Klasse gute soziale Kontakte, was aber mit dem System Schule wenig zu tun hat. Wenn der Lernende aktiviert wird, wenn ihn der Stoff interessiert, wenn er selber denken und sich bewegen darf (das gilt insbesondere für Jungen), entstehen im Gehirn sogenannte Neurotransmitter, ohne die es kein Lernen gibt.

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