Der kleine Fup

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Eine Ballerei

Zusammen mit Fup gehe ich nichts ahnend aus dem Haus und gerate in eine Schießerei. »Psiuu, Psiuu«, pfeifen uns die Kugeln um die Ohren. Sogar eine Granate wird geworfen. Wenn ich das richtig mitbekomme, geht es zunächst um hundert Euro, dann um »das Doppelte«, nämlich um genau »zweihundertzwanzig Euro«, was sich dann aber rasant auf »Zweihunderttausendmilliarden« steigert. Diese Summe, die nirgendwo zu sehen ist, ist verständlicherweise schwer umkämpft.

Ein gewisser Jakob wird dabei, wenn ich richtig mitgezählt habe, dreizehnmal erschossen und dreimal erwürgt. Er selbst wiederum ist auch nicht gerade zimperlich und feuert auf Daniel, der von den Kugeln durchsiebt sich auf dem Boden wälzt, während noch eine dritte Person mit dem Namen Noah ebenfalls aus allen Rohren feuert beziehungsweise aus einem kleinen Ast, der ihm als Ersatz für eine Pistole dient.

Fup ist sehr interessiert und guckt fasziniert zu. Dann fragt er: »Was ist ›Psiuu‹?«

Ich sage ihm, dass das früher »Peng« hieß, aber seit das außer Mode gekommen sei, hätte man sich international noch nicht auf ein bestimmtes Wort einigen können, weshalb heute in der Regel das Geräusch einer abgefeuerten Kugel sehr individuell gestaltet wird. Und auch in den entsprechenden Ballereifachsendungen würde es nicht mehr knallen, sondern unter anderem pfeifen, wummern, dröhnen, heulen, was natürlich letztlich von den jeweiligen Waffen und Kalibern abhängig sei, die zum Einsatz kämen. Eine P38, die 1977 von den italienischen Jugendlichen bevorzugte Waffe, hört sich natürlich anders an als eine großkalibrige M16, mit der Hunter S. Thompson in der Talkshow von Conan O’Brien auf sein neues Buch ballerte.

Fup hört mir nicht zu. Er beobachtet lieber, wie Jakob schließlich mit einem aufgesetzten Schuss in den Hinterkopf hingerichtet wird und nach vorne fällt, allerdings nicht, ohne sich mit den Armen abzustützen.

Nach zwanzig Minuten ist die Ballerei vorbei. Jakob, Noah und Daniel müssen nach Hause. Zum Abendbrot. Die Neuaufführung des alttes­tamentarischen Themas ist vorbei.

Fup und ich gehen auch. Er will jetzt auch eine Pistole. Jedenfalls sagt er jedem, der ihm über den Weg läuft, dass ich ihm eine basteln würde. Und das mach ich doch gerne. Allerdings eine Beretta. Die liegt besser in der Hand.

Freilaufende Viren

Draußen laufen gleich drei Viren frei herum. Da bleiben wir besser in der Wohnung. Und außerdem haben wir schon einen Virus. Den hat Fup mit nach Hause gebracht. Und der muss natürlich in Quarantäne. Damit der Virus nicht noch Zulauf kriegt oder sich mit einem anderen Virus kreuzt.

Ich bin allein zu Hause mit Fup, dem man so gar nicht anmerkt, dass er einen Virus hat. Der Erzieher der Kita wünscht mir starke Nerven. Das macht mich skeptisch. Erstmal frühstücken. Fup will Toastbrot.

Ich sage, wir haben kein Toastbrot, nur ein Sonnenblumenkernbrot.

Fup sagt: »Ich will Toastbrot.«

Ich sage: »Wie haben kein Toastbrot.«

»Ich will aber Toastbrot«, sagt Fup wieder.

Der Dialog zieht sich eine halbe Stunde hin. In der Zwischenzeit sitzt Fup unter dem Tisch und ich kann mir in aller Ruhe einen Kaffee machen und ein Brot mit »Malle« essen, wie Fup sagen würde, wenn er nicht damit beschäftigt wäre, »Ich will aber Toast­brot« zu sagen.

Ich bin geübt in solchen etwas eintönigen Dialogen. Der Text ist leicht zu merken und geht ganz automatisch von den Lippen, man muss sich nichts merken und die Argumentation erfordert keine große Konzentration. Und wenn man seinen Part oft genug gesagt hat, kommt er einem bald vor wie ein Rap-Song.

Dann spielen wir Einkaufen. Fup hat eine aus einem Karton bestehende Einkaufstüte besorgt. Er zerrupft eine Rolle Klopapier, zerknüllt eine Lage und sagt dann, um was es sich handelt.

»Das ist eine Gurke, du alte Gurke«, sagt er zu mir.

Ich sage: »Jetzt mal halblang.«

»Das ist eine Mohrrübe«, sagt er. »Und noch eine Mohrrübe.«

Ich sage »Okay« und lege die Klopapierknäuel in die Pappschachtel.

Dann schnappt sich Fup das Kabel eines Ladegeräts, befestigt es am Griff eines Wäschekorbs mit schmutziger Wäsche und zieht den Wäschekorb durch die Wohnung hinter sich her.

»Was soll das denn werden?«, frage ich.

»Das ist ein schwieriges Unterfangen«, sagt Fup.

Langsam frage ich mich, was das eigentlich für ein Virus ist.

Fup hinterherlaufen

Ich muss Fup hinterherlaufen wie eine türkische Ehefrau mit Kopftuch ihrem Mann. Er geht zum Biobäcker. Als ich dort ankomme, hat er schon seine Laugenstange in Empfang genommen. Die Verkäuferin will sie gerade einer Frau berechnen, die als nächstes drankommt.

Ich treffe schon wieder nicht Harald Martenstein. Seit er mal in der Zeit geschrieben hat, ich hätte ihn nicht gegrüßt, gucke ich immer, ob er in der Schlange vor dem Biobäcker steht. Dafür sehe ich aber jede Menge Franzosen und Engländer, die ich nicht verstehe. Ich hätte nicht gedacht, dass ich 40 Jahre später immer noch bereuen würde, in der Schule nicht besser im Englischunterricht aufgepasst zu haben.

Andererseits ist es gar nicht so schlecht, die Leute nicht zu verstehen. Das wird mir klar, als ich Fup gegenüber im Brandi verschwinden sehe. Die Frau hinter dem Tresen hat Fup bereits eine Orangina gegeben als ich komme. Im Brandi ist Harald Martenstein auch nicht, aber mal jemand, den ich verstehe, weil er auf sein Smartphone guckend zu seinem Gegenüber sagt: »Im März? Das ist schlecht, da bin ich in Elternzeit. Da würde ich ungern Termine machen.« Im März? Das ist ein halbes Jahr hin. Ich hab noch nicht mal einen Termin für nächste Woche. Nicht mal einen Terminkalender, und Elternzeit hatte ich auch nie. Ich fühle mich hoffnungslos im Hintertreffen. Ich glaube, ich bin desorganisiert. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur neidisch auf den Termin im März, der nicht zustande kommt.

Fup hat auch einen Kommentar. Er sagt: »Ich muss Kacka.«

Also gehe ich mit ihm auf die Toilette und helfe ihm auf die Kloschlüssel. Dann sieht er zwischen seine Beine hindurch und sagt: »Gleich kommt die Kacka. Da, ich seh sie schon.« Schön, denke ich. »Siehst du sie auch?« Ich sage, ich würde sie auch sehen. Dann geht Fup zurück in den Raum mit den frühstückenden Zeitungslesern und Smartphoneguckern und ruft: »Ich hab Kacka gemacht.«

Alle kichern. Sogar die Franzosen.

Zimtschneckenabhängigkeit

Vielleicht haben die vielen Räuber- und Piratengeschichten doch mehr Einfluss auf Fup, als ich bisher angenommen habe. Oder es liegt an den Genen. Auch das wäre eine Erklärung, denn es ist zwar schon ein bisschen her, aber es gab eine Zeit, da war ich ein Meisterdieb. Aber nur ein kleiner.

Ich hole Fup vom Kinderladen ab, und da er zimtschneckenabhängig ist, stürmt er ins »Monsieur Imbrahim« und verlangt in Piratenmanier eine Zimtschnecke, die ihm sofort ausgehändigt wird. Er setzt sich ans Fenster und stopft sich die Zimtschnecke in den Mund. Draußen sieht er einen Freund. Er klettert behend vom Barho­cker herunter, reißt die Tür auf und schreit: »Hallo! Ich bin hier! Es gibt noch Zimtschne­cken!«, als hätte er gerade einen Goldschatz entdeckt, den es mit seinem Kumpel zu heben gälte.

Aber nicht nur Zimtschnecken sind für ihn Gold wert, sondern auch kleine Spielzeugautos. Ich verstehe diese Leidenschaft nicht, und schon gar nicht habe ich einen Überblick über die inzwischen stattliche Sammlung an den unterschiedlichsten Modellen. Wenn ich ihn frage, woher dieses Auto schon wieder herkomme, sagt Fup meis­tens, er hätte es sich ausgeliehen und er würde es wieder zurückgeben. Vom Ausleihen aber wissen seine Kumpels meistens nichts, und man kann nicht behaupten, dass er viel Engagement aufbringt, die Autos ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Manchmal, wenn seine Kumpels ihn besuchen, fliegt die Sache auf, aber das stört ihn nicht. Er bleibt eisern bei seiner Version. Oder anders ausgedrückt: Er lügt, dass sich die Balken biegen. Aber er hat auch eine andere Strategie auf Lager.

Vom Kinderladen zu Hause angekommen, greift er in seine Jackentasche und zieht ein Auto heraus. Dann noch eins. Und noch eins. Und ein viertes auch noch. Dabei sieht er mich an und fragt mich verwundert: »Weißt du, wie die ganzen Autos in meine Tasche gekommen sind?«

Gallery Weekend

Schon wieder ein Ereignis in Berlin, das man nicht verpassen darf. Und das heißt Gallery

Week­end. Die meisten Events verpasse ich, ohne dass ich das Gefühl hätte, etwas verpasst zu haben. Aber wie der Name Gallery Weekend schon sagt, findet das Ereignis am Weekend statt und da ist Programm manchmal nicht schlecht, um nicht den ganzen Tag mit Fup auf dem Spielplatz herumzuhängen. Außerdem wird Fup ein bisschen Kunst und Kultur schon nicht umbringen. Jedenfalls tut er immer so, als wollte ich ihn umbringen, wenn ich das Wort »Ausstellung« in den Mund nehme. »Komm, wir gehen in eine Ausstellung«, sage ich. »NEIIIIIN!«, schreit Fup außer sich. Also sage ich: »Los, lass uns Bilder angucken.«

Vorher müssen wir uns noch im Café Einstein für die Kunst mit einem Schnitzel stärken. Die erste Station ist die Galerie Buchholz in der Fasanenstraße. Belle Étage. Eine große Großbürgerwohnung mit großen Fenstern und Parkett und Balkon, die mir sehr gut gefällt. Ich sage Fup, dass er bloß nichts anfassen soll, denn das ist Kunst. Im Berliner Zimmer stehen vier Bisons. Eigentlich sind es zusammengenagelte Holzgerüste, die auf unterschiedliche Weise mit Material behangen sind, damit man gerade noch so erkennt, dass es sich um Bisons handelt. Fup ist begeistert. Aber da er sie nicht anfassen darf, ist seine Begeisterung schnell verflogen. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, mir längere Gedanken über die unvollendeten Holzbisons zu machen. Also verlassen wir nach ein paar Minuten die Galerie und fahren zu Johann König in die Dessauer Straße, eine Gegend, wo ich jetzt nicht unbedingt eine Gallery vermutet hätte.

 

Johann König ist sehr angetan von Fups Mantel. Offenbar hält er mich für einen Käufer, aber ich habe weder das Geld noch das Bedürfnis, mir ein Bild zu kaufen, das ein Künstler schwarz grundiert und dann weiß überstrichen hat. Außerdem bin ich damit beschäftigt, Fup zu ermahnen, die Kunst nicht anzufassen.

Auf dem Weg zur nächsten Gallery lässt Fup seine Finger miteinander reden. Der eine Finger sagt bedrohlich: »Du hast die Kunst angefasst!« Der andere erwidert kleinlaut: »Aber ich hab doch hier nur geputzt.«

Fups Tränen

Ich gehe jeden Tag mit Fup auf den Spielplatz und trainiere seine Schusstechnik und Ballbehandlung, damit er später mal die ganzen Lücken füllen kann, die die Weggänge reißen, sobald jemand beim BVB zum guten Spieler herangereift ist. Bevor wir allerdings mit dem Training beginnen können, muss Fup einige Dinge klären.

»Du bist Frankreich und ich bin Dortmund«, sagt er.

Ich sage: »Solange ich nicht Bayern sein muss, ist mir alles recht.«

Wer wer ist, ist deshalb wichtig, weil er dann eins der beiden BVB-Trikots anzieht. Auf einem steht »Rosicky«, und der, versichere ich ihm, »war einer der besten Spieler Dortmunds«. Denn irgendein Spieler will Fup nicht sein. Auf dem anderen Trikot steht »Lucas«. Von Lucas Barrios. Ich weiß nicht, warum »Lucas« draufsteht und nicht »Barrios«, denn Barrios ist schließlich nicht so kompliziert wie Błaszczykowski, weswegen bei Błaszczykowski »Kuba« auf dem Trikot steht. Aber ich hatte das »Lucas«-Trikot nur gekauft, weil »Götze« ausverkauft war.

Und im Nachhinein war das auch gut so. Wenn Fup Frankreich ist, zieht er ein Frankreich-Tri­kot mit dem Namen »Henry« an. Nachdem die Kleiderfrage geklärt ist, muss noch geklärt werden, wer ins Tor geht und wo das Tor überhaupt steht. Das zieht sich. Fup gewinnt immer 2:2 oder 3:3, manchmal auch 4:4.

Beim Pokalfinale BVB gegen die Bayern sitzt Fup auf einem BVB-Ball im BVB-Trikot und fragt alle fünf Sekunden: »Wer gewinnt?« Da zunächst keine Tore fallen, beziehungsweise nur das eine, das der Schiedsrichter nicht anerkennt, schießt Fup selber ein paar Tore. Am Ende aber, als Bayern gewonnen hat, weint Fup ganz schlimm.

»Das ist so gemein«, schluchzt er.

Nadja macht ein Foto von Fups Tränen.

Fup sagt, wir sollen das dem BVB schicken, damit die sehen, wie schlimm das war. Ich schicke es dann aber nur Friedrich Küppersbusch, der mir schreibt, ich solle Fup zum Trost ein Foto von Hoeneß zeigen, wie er in den Knast muss.

Als Superman unterwegs

Statt Einladung per Mail oder Facebook kommt der Künstler Klaus Theuerkauf persönlich vorbei und bringt das Plakat seiner Veranstaltung auf einem Stick zum Runterladen mit. Damit ich das bis zum nächsten Tag nicht vergesse. Das ist echter Einsatz. Klaus Theuerkauf betreibt die Galerie »endart« und stellt dort seine eigenen Werke aus. Fup war mal an einem seiner Werke interessiert und fragte: »Was kostet das?« »Für dich zweieinhalbtausend«, sagte Klaus Theuerkauf. Und Fup sagte: »Papa, kannst du mir das kaufen?«

Jetzt aber tritt Klaus Theuerkauf mit den Nasenflöten vor dem Kuchenkaiser auf dem Ora­nienplatz auf. Natürlich gehen wir hin. Aber wir kommen kaum durch, weil Sven Regner gerade einen Auftritt hat und außerdem noch ein eher freudloser CSD-Ableger durch die Ornanienstraße wallfahrtet, der aussieht wie eine Autonomendemo. Fup hingegen hat ein Supermankostüm an und slalomt mit dem Laufrad durch die Menge. Überall raunt es »Superman ist da«. Vor allem die Touristen raunen das. Echte Kreuzberger wundern sich über gar nichts.

Als Sven Regner aufhört, fängt es an zu regnen. Typisch. Aber nicht nur deshalb lichten sich die Reihen, so dass wir bis an die Bühne herankommen.

Ich sage zu Klaus Theuerkauf: »Jetzt kannst du erzählen, dass Sven Regner deine Vorgruppe gewesen ist.« Ich meine, wer kann das schon. Dann wird »der wahre Heino« angekündigt. Der trägt Sonnenbrille, ein orangenes Hemd und eine gelbe Krawatte und singt in getragenem Heino-Ton »Deutschland muss sterben«, und der Nasenflötenchor flötet »damit wir leben können«. Auf dem Nachhauseweg sind viele Deutschländer in Deutschlandfarben unterwegs und trinken Bier. Sieht so aus, als ob der wahre Heino sich völlig vergeblich ins Zeug gelegt hat.

Wir treffen Fups Freund Vicco. Vicco hat eine interessante Neuigkeit parat: »Ich trinke nicht den Schaum vom Bier. Ich trinke nur das unten. Nur das Gelbe. Lecker.«

Polizeieinsatz

Ich lese Fup im Bett was vor. Eine blutrünstige Geschichte von Tomi Ungerer über einen Riesen, der kleine Kinder frisst, die er säckeweise abschleppt und die daraufhin in dunklen Verliesen versteckt werden müssen.

Aber dann klingelt es Sturm. Fup springt auf und drückt den Türöffner. Herein kommen acht kugelsichere Beamte. Also nicht alle auf einmal, denn einige stehen auch vor dem Haus und sichern das Objekt.

Aus unserem Haus sei geschossen worden, sagt einer der Beamten. Ob ich etwas wüsste. Ich weiß natürlich nichts. Fup auch nicht. Aber das ist mal was anderes als ein Menschenfresser, der sich jeden Abend vor dem Schlafen dann doch lieber von seiner Liebsten bekochen lässt. Wir bleiben natürlich in der Wohnungstür stehen und gu­cken, obwohl wir nichts zum Tathergang beisteuern können.

Schließlich kommt der Angeschossene, der die Polizei gerufen hat. Er blutet aber nicht, und Einschusslöcher sieht man auch keine. Er sagt einem Polizisten, der sich ein Bild zu machen versucht, dass er am Auge getroffen worden sei und dass das ganz schön ins Auge hätte gehen können, wenn das Auge direkt getroffen worden wäre. Vielleicht sei es eine Erbse gewesen. Das kommt ihm dann aber doch etwas zu läppisch vor, weshalb er hinzufügt, dass es vielleicht auch ein Luftgewehr war.

Die Polizeibeamten gehen die Treppe hoch zu der Wohnung, aus der geschossen wurde. Es gibt jetzt außer den leeren Hausflur nichts mehr zu sehen. Den kennen wir zur Genüge, weshalb ich Fup wieder ins Bett zu bringen versuche. Dazu hat Fup keine Lust mehr.

»Papa, kannst du mit mir spielen?«

»Und wenn nicht?«, frage ich.

»Dann musst du trotzdem.«

Da ihm auch sonst noch das ein oder andere einfällt, um nicht ins Bett zu gehen, schimpfe ich.

Fup sagt: »Papa, morgen wird es dir wieder leid tun.«

»Kann schon sein«, sage ich, »aber du musst trotzdem ins Bett, sonst hole ich einen von den Polizisten da draußen, damit der dich ins Bett bringt.«

Das wirkt.

Weltuntergang

»Wasser!«, ruft Fup, und immer wenn er das ruft habe ich den Eindruck als ob er in zehn Sekunden verdurstet ist, wenn er nicht in dieser knapp bemessenen Zeitspanne Wasser bekommt. Manch­mal ruft er das auch mitten in der Nacht. Auch das hört sich an wie das Röcheln eines Verdurs­tenden in der Wüste, der mit letzter Kraft zur Oase robbt, aber dann doch im Sand stecken bleibt.

Wasser ist aber alle. Nicht das Wasser an sich natürlich, aber das in Flaschen abgefüllte Mineralwasser. Ich schnalle den leeren Wasserkasten auf den Fahrradgepäckträger und transportiere ihn zu Getränke Hoffmann. An einer engen Stelle des ansonsten breiten Bürgersteigs der mit Gartenmöbeln von Restaurants und mit Bierkastentürmen vollgestellten Dieffenbachstraße steht breitbeinig ein junger Mann und ich will schon sagen: Gehen Sie bitte aus dem Weg, dies ist ein Notfall. Es geht um Leben oder Tod.

In Wirklichkeit denke ich bloß, während ich mich an ihm vorbeiquetsche: Steht mal wieder ein Tourist dumm im Weg rum. Das geht bei mir ganz automatisch, weil sich die zahlreichen Touristen mit Vorliebe an genau solchen Stellen verabreden, um längere Palaver abzuhalten und Anwohner wie mich daran zu hindern, zügig ihre Besorgungen zu erledigen.

Als ich mit dem vollen Wasserkasten wieder zurück komme, steht der junge Mann immer noch breitbeinig da. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und Jeans und schwankt ein bisschen. Er hat aber kein Bier in der Hand. Stattdessen isst er Chips. Er sieht etwas ungepflegt aus und ich denke: Doch kein Tourist, sondern einer, der professionell im Weg herumsteht und dem überdeutlich anzusehen ist, wie es in ihm denkt: Na los, komm schon, trau dich, sag doch, wenn ich dir im Weg bin, du Wichser. Aber niemand will der Wichser sein. Alle sind stumm und gehen um ihn herum, sogar die Bierkästenschlepper, die die Bierkastentürme abtragen.

Zurück in der Wohnung, ist Fup bereits ver­durs­tet. Zu spät. Zu spät? Nein, doch nicht. Da glimmt noch ein letzter Rest Leben. Auch wenn er die Oase nicht mehr erreicht und bereits angefangen hat zu delirieren.

Er fragt: »Papa, wenn die Welt untergeht, geht das Meer dann auch unter?«

»Jedenfalls gibt es dann so oder so nichts mehr zu trinken«, sage ich und halte ihm die Flasche Wasser an den Mund, wie ich das in den Western immer gesehen habe, wenn jemand in der Wüste mit rissigen Lippen liegt.

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