Za darmo

Kreidekreis

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(Haitang erscheint.)

HAITANG: Was will der fremde Mann am Zaun?

TSCHANG LING: Er bittet demütigst um eine Schale Reis. Ihn hungert.

HAITANG: Warte, fremder Mann.

(Geht und kommt im Augenblick mit einer Schale Reis wieder, die sie ihm bietet.)

Wer bist du, fremder Mann?

TSCHANG LING: Der Sohn eines Vaters, der sich erhängte, der Sohn einer Mutter, die in Kummer starb. Der Bruder einer Schwester, die sich verkaufte.

HAITANG: Bruder! Laß mich vor dir niederknieen und den Staub von deinen Füßen küssen. Wie weit bist du gewandert durch Schmutz und Kot?

TSCHANG LING: Kannst du mir verzeihen, daß ich dich einst schlug wie man ein Maultier schlägt? Wie darf Mensch den Menschen schlagen, Bruder die Schwester?

HAITANG: Unsere Mutter starb, als du in der Fremde warst. Herr Ma, mein Gebieter, hat ihr ein sieben Stock hohes Denkmal errichtet.

TSCHANG LING: Hätte Herr Ma unserm Vater ein einstöckiges Haus errichtet, da er lebte, und ihm die geringen Schulden erlassen, Herr Ma hätte besser gehandelt.

HAITANG: Er handelte, wie seine Natur ihm gebot.

TSCHANG LING: Gebot sie ihm, dich zu kaufen und als seine Sklavin zu halten, seinen bösartigen Trieben dienstbar?

HAITANG: Herr Ma kaufte mich als seine Sklavin, er hat mich als seine Gattin ehren und achten gelernt.

TSCHANG LING: Und worin besteht diese Achtung?

HAITANG: Er hat mir ein Kind geschenkt.

TSCHANG LING: Wie, du hast dich dazu hergegeben und erniedrigt, diese verfluchte Rasse der Ma fortzupflanzen?

HAITANG: Es ist auch mein Kind, und auch ich werde in ihm auf Erden wandeln, wenn mein Leib längst im Sarge fault. Ich flehe dich an, Ma nicht zu hassen. Dein Elend macht dich ungerecht gegen ihn. Ich werde Ma bitten, dir eine Stellung zu verschaffen. Er hat ausgedehnte Geschäfte, es wird sich gewiß etwas für dich finden.

TSCHANG LING: Ich will von seinen verbrecherischen Händen Güter nicht empfangen.

HAITANG: Er ist kein Verbrecher. Er ist weder gut noch schlecht. Dies ist sein Charakter. Er kennt weder das eine noch das andere. Er lebt wie der Panther im Busch.

TSCHANG LING: Das Raubtier, das sich vom Blute lebender Menschen nährt, muß zur Strecke gebracht werden.

HAITANG: Was willst du tun?

SCHANG LING (zieht ein Messer):

Sieh dieses Messer

HAITANG: Ich beschwöre dich

TSCHANG LING: Siehst du das Zeichen hier am Knauf ?

HAITANG: Es ist das Zeichen der weißen Lotosblume.

TSCHANG LING: Ich bin Mitglied der Bruderschaft vom weißen Lotos. Die Bruderschaft hat sein Todesurteil gesprochen. Sein Haus soll angezündet und in der Verwirrung geplündert werden. Der Verband der Feuerwehr ist von der Bruderschaft benachrichtigt. Er wird zum Löschen zu spät kommen.

HAITANG: Das Rad des Schicksalswagens rollt, und ich bin mit Stricken daran gebunden. Gewähre Aufschub, ihm und mir. Ich will mit ihm reden. Er wird der Bruderschaft eine Stiftung von tausend Taels in Gold machen; gewiß, das wird er.

TSCHANG LING: Er wird sich nicht vom Gericht loskaufen. Das Gericht der Bruderschaft ist unbestechlich.

HAITANG: Das Orakel laß mich das Orakel des Kreidekreises befragen.

(Sie zieht einen Kreis.)

Gib mir das Messer. Ich werfe mit dem Messer nach dem Kreis. Der Kreis umschließt sein Leben. Trifft das Messer den Raum innerhalb des Kreises, so haben die Götter gerichtet, so soll die Lotosblüte sich entfalten, so muß er sterben.

(Sie schleudert das Messer; das Messer trifft genau die Kreislinie.)

Das Messer hat nicht innen, nicht außen, es hat genau die Linie des Kreises getroffen. Bruder, nimm das Messer, und berichte der Bruderschaft von dem wunderlichen Orakel. Laß es die Weisesten der Bruderschaft deuten. Dies eine versprich mir, das Urteil nicht eher zu vollziehen, als bis der Sinn des Orakels geklärt.

TSCHANG LING: Ich werde es den Brüdern berichten. Ich werde wiederkommen.

HAITANG: Bruder, lieber Bruder, wie siehst du so armselig drein. Komm, nimm dieses Pelzgewand

(sie zieht es aus)

über deine Lumpen, und nun geh! Fo sei mit dir! Er gebe dem Pfeil deines edlen Willens das rechte Ziel.

TSCHANG LING: Kwanyin segne dich!

(Ab. Haitang sieht ihm am Gartenzaun nach, Frau Ma erscheint.)

FRAU MA: Sie sprachen am Gartenzaun mit einem fremden Mann. Wer war es?

(Haitang schweigt.)

FRAU MA: Ich kann mir wohl denken, wer es war. Es gehört keine üppige Phantasie dazu. Schämen Sie sich nicht, an der Straße mit Männern anzubändeln? Sie haben wohl Ihre Teehausmanieren noch nicht verlernt? Haben Sie vergessen, daß Sie die, wenn auch zweite, Gattin eines hochgeachteten Mannes geworden sind? Sie treten die Ehre des Herrn Ma, meines hohen Gebieters und Herrn, mit Füßen. Wissen Sie, was Ihnen gebührt? Dreißig Stockschläge auf die Sohlen! Und was sehe ich soeben? Wo ist der kleine Mantel geblieben, den Sie heut früh noch über dem Kleid trugen?

HAITANG: Ich habe ihn verschenkt.

FRAU MA: Ein Geschenk des Herrn Ma zu Ihrem Geburtstage haben Sie verschenkt?

HAITANG: Ich habe ihn jenem armen Mann am Zaun geschenkt. Er ist so arm, und wir sind so reich. Es war ein Bettler.

FRAU MA: Bettler hin, Bettler her. Sind Sie schon soweit heruntergekommen, daß Sie sich unter den Bettlern einen Liebhaber suchen?

HAITANG: Das Sittengesetz gebietet, den Armen wohlzutun.

FRAU MA: Das, was Sie »Wohltun« nennen, wird das Sittengesetz nicht gemeint haben.

HAITANG: Wie viel Elend ist in der Welt, wollen wir nicht versuchen, nach unsern schwachen Kräften dazu beizutragen, es zu lindern

FRAU MA: Herr Ma zahlt pünktlich seine Kirchensteuern, das genügt. Aber jetzt genug der überflüssigen Kontroversen. Herr Ma will hier im Garten bei dem schönen Wetter seinen Tee nehmen. Richten wir den Teetisch.

(Tun es, Ma kommt aus dem Hause. Frau Ma und Haitang verneigen sich.)

MA: Wo bleibt der Tee?

HAITANG: Sofort, lieber Herr. (Geht ins Haus.)

FRAU MA: Darf ich eine Frage an meinen Herrn richten?

MA: Ich bitte darum.

FRAU MA: Haitang scheint Ihrem Herzen seit einiger Zeit besonders nahe zu stehn?

MA: Sie schenkte mir einen Erben.

FRAU MA. Sie haben mir seit Monaten nicht mehr die Ehre eines nächtlichen Besuches erwiesen.

MA: Ich bin Ihnen Rechenschaft nicht schuldig.

FRAU MA: Haitang betrügt Sie! Ich sah sie mit einem fremden Menschen am Gartenzaun stehen. Vielleicht hat sie gar dunkle Pläne, wer weiß? Sie hat dem Fremden ihren mit Pelz besetzten Überwurf geschenkt, den Sie ihr zum Geburtstag verehrten.

MA: Ich werde Haitang sofort zur Rede stellen.

(Haitang kommt mit einer Tasse Tee.)

MA: Haitang, man hat mir eben schlimme Dinge berichtet.

HAITANG: Nicht alle Zungen reden wahr.

FRAU MA: Ich pflege nicht zu lügen.

MA: Du hast mit einem fremden Mann hier am Gartenzaun geredet?

HAITANG: Ich habe mit einem Bettler gesprochen.

MA: Du hast ihm den kleinen, mit Pelz besetzten Mantel geschenkt, ein Geschenk von mir? Achtest du so die Geschenke deines Mannes, der dich liebt?

HAITANG: Ich diene in Demut meinem Herrn und weiß seine Güte gebührend zu schätzen. Aber der Bettler hatte nur Lumpen auf seinem Leib. Er fror. Er dauerte mich.

MA: Sahst du den Bettler heut zum ersten Male?

HAITANG: Nein.

FRAU MA: Erkennen Sie nun ihre Treulosigkeit ?

MA: Wer war der Bettler?

HAITANG: Mein Bruder.

FRAU MA: Glauben Sie der lügnerischen Person ?

MA: Ich glaube, denn ich liebe. Seit ich dich kenne, Haitang, hast du mein Herz verwandelt. Du hast nichts dazu getan, mich zu überzeugen, dein einfaches Dasein wirkte. Hättest du mich, der ich deinen Vater in den Tod, deine Familie in Jammer und Elend gestürzt, nicht hassen müssen? Hättest du mir den Tod gewünscht, es wäre nur allzu natürlich gewesen. Ich habe dich aus dem Teehaus geraubt wie ein wilder Affe im Urwald ein Menschenweib. Du warst immer gleich, immer du, sanft wie eine Göttin. Daß es Göttinnen gibt, habe ich durch dich erfahren. Durch dich habe ich erst an das höchste Wesen glauben gelernt. Haitang, fühlst du, daß ich zu lieben vermag, und daß ich dich liebe ?

HAITANG: Tränen der Freude steigen mir ins Auge. Am Himmel die Sonne lächelt wieder. Es wird alles wieder gut werden, da du, Ma, wieder gut wurdest.

MA: Zum erstenmal sagst du »du« zu mir, Haitang. Wie bin ich froh darüber, daß die Wand zwischen uns fiel, daß ich wie im Hause des Herrn Tong nicht mehr durch die Wand zu kommen brauche. Himmel, Erde, Mensch sind die drei großen Mächte. Du, ich, das Kind – wir werden die drei kleinen Mächte sein. Eins und drei in der einen, seligen Dreieinigkeit.

FRAU MA: Sie wollten Tee trinken, gnädiger Herr.

HAITANG: Ich vergaß den Zucker. Wie nachlässig ich bin.

FRAU MA: Geben Sie die Tasse! Ich werde den Zucker hineintun.

(Sie nimmt die Tasse, geht bis zur Veranda, zieht die Büchse, die ihr Tschao gegeben, heraus; leise:)

Ich werde den Zucker hineintun, den mir Tschao gegeben.

(Schüttet das Gilt in den Tee.)

HAITANG: Die Liebe zu dir hat sich heut wie eine Lotosblume in mir entfaltet.

MA: Ich danke dir für deine Liebe.

HAITANG: Warum sprach ich soeben von einer Lotosblüte? Erinnere mich, wenn du den Tee getrunken hast, daß ich dir von einer Lotosblüte erzählen muß.

FRAU MA (gibt Haitang die Tasse mit Tee):

Kredenzen Sie ihm den Tee. Aus Ihren Händen mundet er ihm doppelt gut.

MA: Erzähle mir, während ich trinke, das Märchen von der Lotosblüte . . .

(Er trinkt, läßt die Tasse lallen, die in Scherben klirrt. Faßt Haitang am Handgelenk.)

Haitang ich sterbe

(fällt tot zusammen.)

HAITANG: Mein lieber Mann mein lieber Mann ich wollte dir noch das Märchen von der Lotosblume erzählen hörst du mich nicht? Siehst du mich nicht? Bist du nicht mehr bei mir?

 

(Sie kniet hin vor Ma, legt seinen Kopf in ihren Schoß.)

FRAU MA: Hilfe! Hier ist jemand ermordet. Herr Ma ist vergiftet.

(Hin und Herlaufen von Dienern und Dienerinnen. An der Straße tauchen Tschao und Tschang ling auf. Eine Polizeipatrouille erscheint.)

FRAU MA: Ma ist tot. Wir sind frei!

TSCHAO (entsetzt zurückweichend):

Wer hat ihn getötet?

(Polizei.)

EIN POLIZIST: Was gibt es?

FRAU MA: Diese Person da, Herrn Mas zweite Gattin, ehemals ein Teehausmädchen niedersten Ranges, hat meinen erlauchten Gatten, Herrn Ma, vergiftet.

POLIZIST: Bindet sie!

HAITANG: In der ersten Stunde, da ich dich kennen lernte, muß ich dich verlieren, Ma. Gebt mir mein Kind! Reißt mich nicht von meinem Kinde!

FRAU MA: Von ihrem Kinde? Ihr Geist ist verwirrt oder voll böser Anschläge. Sie hat kein Kind. Das Kind im Hause ist mein Kind, das ich von Herrn Ma empfangen, und das sie nur gewartet hat.

POLIZIST: Führt die Verbrecherin ab!

TSCHANG LING: Ein Gott hat gerichtet!

HAITANG (vor Mas Leiche):

Er wird abwischen alle Tränen von meinen Augen.

Vorhang

DRITTER AKT

Im Hintergrund Mitte Sessel des Hauptrichters mit Tisch. Links und rechts Sessel für Beisitzer. In der Mitte über dem Sessel Gobelin mit dem Bildnis des fünfklauigen Drachen. Rechts und links daneben lange schmale Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen. Vor dem Sessel des Richters ist ein Kreidekreis gezogen, in den die Angeklagte zu knien hat. Links und rechts im Vordergrund der Raum für Zeugen und Publikum, vom Mittelraum durch Barrieren getrennt. Tschu tschu, der Richter, sitzt auf dem Richterstuhl und frühstückt.

TSCHU: Mein Name ist Tschu tschu, ich bin der von Seiner Kaiserlichen Himmlischen Majestät

(erhebt sich, setzt sich wieder)

eingesetzte oberste Richter von Tscheu kong. Das Publikum erwarte deshalb nicht, von mir mit der üblichen Devotion begrüßt zu werden. Ich neige weder meine Kniee noch meine Stirn vor einer derartigen Gesellschaft miserabler Kreaturen, wie ich sie hier zu meinem Abscheu versammelt sehe. Es dürfte nicht einer im Publikum sein, der es mir an Rang, Ansehen und Bildung gleich tut, und deshalb dürfte es weit eher am Platze sein, wenn sich das Publikum zu meiner Ehre von seinen schmutzigen Bänken erhöbe und dem Prinzip des Staats, der Rangordnung, des Rechtes und der Sittlichkeit denjenigen Respekt bezeigte, der diesen er habenen Prinzipien der Menschheit zukommen dürfte. Um neun Uhr sollen die Gerichtsverhandlungen beginnen, jetzt will ich erst einmal in Ruhe frühstücken.

(Er knabbert an Früchten, beißt in ein Brot.)

Das Frühstück gehört zu den angenehmsten Dingen des Lebens. Mit vollem Magen kann man einen Angeklagten, einen Dieb etwa, der aus Hunger gestohlen, nochmal so leicht und mit doppelt gutem Gewissen zum Galgen verurteilen. Heute bin ich leider ein wenig verkatert. Ich habe Kopfweh. Ich habe die Nacht im Hause des Herrn Tong verbracht in Gemeinschaft mit den drei reizenden Mädchen Yü, Yei, Yau. Sie haben mich mit Gong, Flöte und Geige in den Schlaf musiziert, nachdem wir Reiswein in erheblichen Portionen zu uns genommen und die reizende Yau mir mit Seele und Leib, besonders Leib, hihi, angehört hatte. Ich habe hier eine kleine, farbige Tuschzeichnung, welche die drei Mädchen völlig unbekleidet in allerlei verfänglichen Stellungen zeigt. Die will ich mir jetzt in Muße betrachten, indem ich mich würdig auf den heutigen Abend vorbereite. Der Nacken von Yü, alle Achtung! Aber die Schenkel von Yau, auch nicht zu verachten! Aber erst die kleinen Brüste von Yei, ihnen muß ich doch den Preis zuerkennen!

(Tschao tritt ein.)

TSCHAO: Ich bitte um Vergebung, wenn ich Sie in Ihren Meditationen störe, Exzellenz. Frau Ma, die Klägerin in dem ersten der heute angesagten Prozesse, beauftragt mich, Ihnen als Zeichen ihrer devotesten Unterwürfigkeit unter Eurer Exzellenz richterliche Einsicht diesen kleinen Beutel übersenden zu dürfen.

(Überreicht ihm einen Beutel mit Gold und zieht sich zurück.)

TSCHU (läßt das Gold über den Tisch rollen):

Gold Gold keine schönere Musik, als wenn Gold über den harten Tisch rollt. Es klingelt wie Pagoden Glocken. Beim Geläut des Goldes werde ich förmlich fromm. Frau Ma ist eine überaus freigebige Dame. Sie dürfte ihr Recht finden. Man nennt mich im Volksmund nicht umsonst den Herrn Doppelkopf mit der gespaltenen Zunge. Ich werde schon alles so drehen und deuteln, daß der Schein des Rechtes hell leuchtet, und man mir auf keinen Fall an den Wagen fahren kann. jetzt will ich mich aber noch ein wenig in das Strafgesetzbuch vertiefen

(packt das Gold und sein Frühstückszeug zusammen)

und mich in das Beratungszimmer zurückziehen. Die Paragraphen über Beamtenbestechung werden mir keine Kopfschmerzen machen. Ich entferne sie einfach, ritsch, ratsch,

(reißt Blätter heraus)

aus meinem Buch. Da ich jedesmal dieses Buch, Gesetze und Verordnungen des Herrscherhauses der Mantschu, beschwöre, danach Recht zu sprechen, so werde ich keinen Meineid leisten, und mein Herz ist rein wie die Wolle eines jungen Lämmchens.

(Ab durch eine Tapetentür im Hintergrunde. Der Raum hinter der Barriere füllt sich. Frau Ma erscheint. Frau Ma winkt einer dicken Frau, der Hebamme; zieht sie in die Mitte des Raumes.)

FRAU MA: Vorsicht, treten Sie nicht in den Kreidekreis, sonst werden Sie selbst angeklagt, oder der Zauberkreis bannt Sie.

HEBAMME: O je, o je, wie habe ich's nur verdient, aufs Gericht zu kommen. Die Schande, die Schande! O je, o je, mein Herz schlägt, als sollte es mir die Brust zerschlagen. Was wird mein Mann sagen? Ich habe solche Angst, Frau Ma. Was wird mit mir geschehen? Wird man mich foltern?

FRAU MA: Reden Sie keinen Unsinn, Frau Lien. Sie sind nur hier als Zeugin geladen. Sie sollen zeugen

HEBAMME: O je, o je, ich glaubte immer, daß nur die Männer zeugen können, wovon ich ja in meinem Berufe mich hinlänglich überzeugen konnte, und nun soll ich selbst zeugen?

FRAU MA: Sie sollen Zeugnis ablegen, Frau Lien, daß der Knabe Li mein Kind ist, und nicht das der Haitang.

HEBAMME: Aber wie soll ich dieses Zeugnis ablegen, da es doch nicht wahr ist?

FRAU MA: Pst!

HEBAMME: War ich doch selbst es, die die Nabelschnur zwischen dem Kinde und der Frau Haitang trennte.

FRAU MA: Frau Lien, Sie irren sich! Hier haben Sie zwanzig Goldtaels, um Ihrem Gedächtnis auf die richtige Spur zu helfen.

HEBAMME. Frau Ma sind zu gütig, zu gnädig zu einer armen, alten Frau. ja, ja, ja, ja, jetzt dämmert es mir, mir ist da in der Dämmerung eine Verwechslung unterlaufen ich habe Sie und Haitang verwechselt! Diese Haitang ist eine stolze und hochmütige Person, und obwohl aus dem gleichen niedrigen Stande wie ich, hat sie nie ein freundliches Wort für mich gehabt. Immer von oben herab!

FRAU MA: Da ist es ja wohl kein Wunder, daß sie Herrn Ma,

(schluchzend)

meinen geliebten Mann, vergiftet hat.

HEBAMME: Was Sie nicht sagen! Vergiftet? ja, ja, ja, ja, es gibt böse Menschen auf der Welt. Da kann ja auch wohl das Kind nicht von ihr sein.

FRAU MA: Kommnen Sie nach Schluß des Prozesses zu mir nach Haus, ich habe noch einige abgelegte Kleider, glänzend erhalten, es wird sich gewiß noch ein Staatskleid für Sie dar unter finden.

HEBAMME: Meinen innigsten Dank, Frau Ma.

(Küßt ihr die Hand.)

Frau Ma sind zu gütig zu mir, zu herablassend.

(Frau Ma läßt sie gehen und zieht zwei Kulis nach vorn.)

FRAU MA: Ihr seid doch Männer, die wissen, was sich schickt?

ZWEI KULIS: Das wollen mir meinen!

(Spucken in den Saal und sprechen immer gleichzeitig.)

FRAU MA: Die der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen wollen?

ZWEI KULIS: Gerechtigkeit, was ist das?

FRAU MA: Gerechtigkeit ist, wenn ich Euch hier ein paar Taels gebe und ein Päckchen Kautabak, und Ihr sagt hier als Zeugen vor Gericht das aus, was ich Euch vorsagen werde.

ZWEI KULIS: Wir haben in der Schule immer gut auswendig gelernt. Also schießen Sie nur los. Wir werden es genau behalten, denn wir sind helle Köpfe, daran ist kein Zweifel. Wir haben in der Schule gelernt, uns in unserem moralischen Lebenswandel nach Sprichwörtern zu richten. Wir kennen einige treffliche Sprichwörter, nach denen wir uns richten werden Geld kommt vor allen Tugenden der Welt. Oder dieses . Hast du von jemand Geld bekommen, so handle ihm zu Nutz und Frommen.

FRAU MA: Ich sehe, ich kann mir weitere Belehrungen ersparen. Ihr seid in der Tat aufgeweckte Burschen. Ihr werdet also bezeugen, daß Ihr Nachbarn von Herrn Ma seid, der, als ich seinerzeit den Knaben Li gebar, ein Fest für das ganze Stadtviertel und jedem der armen Leute eine Unze Silber als Festgabe gab. Ihr werdet bezeugen, daß Ihr mich, Herrn Ma und den Knaben oft genug zum Tempel Fo habt pilgern sehn, wo wir zu Ehren des Fo, und daß er den Knaben in seine Hut nehme, Weihgeschenke niederlegten und Weihrauch entzündeten. Ihr müßt beschwören, daß der Knabe mein Kind, und nicht das Kind Haitangs ist.

ZWEI KULIS (heben grinsend die Finger zum Schwur): Haben wir den Schwur erst mal auf der Gabel hier, dann wird er auch heruntergeschluckt. Der Eid wird geschworen, darauf können Sie das Gift nehmen, das, wie wir hören, Haitang Herrn Ma in den Tee gerührt hat.

FRAU MA: Sie ist eine Mörderin, vergeßt das nicht! Sie verdient das Schlimmste.

(Kulis zurück in den Haufen.)

(Die Gerichtsglocke ertönt. Die Tapetentür öffnet sich, und es erscheinen in gemessenem Zug: Tschu tschu, Tschao und noch drei Richter. Sie nehmen ihre Plätze ein, bleiben stehen. Zwei Gerichtsdiener halten Zeugen und Publikum, darunter Tschang ling, im Schach.)

TSCHU: Im Namen Seiner Kaiserlichen Himmlischen Majestät

(brabbelt unverständliches Zeug)eröffne ich die heutige Sitzung.

(Die Richter setzen sich.)

739 Sitzung, 85o. Verfahren, Abteilung Ma contra Ma. Gerichtsdiener, führen Sie die Angeklagte herein.

(Gerichtsdiener führt aus einer zweiten Tür im Hintergrund Haitang herein.)

TSCHU: Angeklagte, nehmen Sie Ihren Platz dort innerhalb des Kreidekreises.

(Haitang macht einen dreimaligen Kotau und steht dann wieder aufrecht da.)

TSCHU: Herr Tschao, Sie protokollieren?

TSCHAO: Sehr wohl, Exzellenz.

TSCHU: Angeklagte, Sie heißen?

HAITANG Tschang Haitang, Tochter des Tschang, Frau des hochgeborenen Herrn Ma.

FRAU MA (unterbrechend):

Nebenfrau des hochgeborenenHerrn Ma, seine bloße Beischläferin, Konkubine sozusagen, aus einem Freudenhause aufgelesen, die Gattin ersten Ranges bin ich.

HAITANG: Ich war Herrn Ma rechtlich angetraut. Da ich ihm einen Knaben geboren hatte, der Schoß seiner ersten Gattin unfruchtbar geblieben war, gedachte er, mich in den Rang der Hauptfrau zu erheben und sich von Frau Ma zu scheiden.

FRAU MA: Sie lügt wie eine Elster. Seht nur die freche Person. Sie hat ihm ein Kind geboren? Ei, wann denn?

TSCHU: Beruhigen Sie sich, Frau Ma. Im Laufe der Verhandlung wird sich ja alles der Wahrheit gemäß herausstellen. Wer erhebt die Anklage?

FRAU MA: Ich, Yü pei, rechtmäßige Hauptgattin des verewigten Herrn Ma, klage Haitang, Tochter des Gärtners Tschang und Nebenfrau des hochgebornen Herrn Ma, des versuchten Kindesraubes und des vollendeten Giftmordes an Herrn Ma an.

(Bewegung im Zuschauerraum.)

TSCHU: Angeklagte, was haben Sie zu dieser außerordentlich präzisen Anklage zu bemerken

HAITANG (leise):

Ich bedaure, dieser Frau Unangenehmes sagen und sie Lügen strafen zu müssen.

TSCHU: Welches ist die erste der fünf Haupttugenden?

HAITANG: Liebe.

TSCHU: Haben Sie Ihren Gatten geliebt, wie es das Gesetz fordert?

HAITANG: Ich bin ihm stets mit Achtung begegnet und habe ihn lieben gelernt am letzten Tage seines Lebens. Da hat er mir die Kammer seines Herzens geöffnet und ein Licht darein gestellt, und ich konnte sehen, in diesem Herzen war ein Sessel für mich errichtet; der Sessel aber, auf dem einst jene Frau gesessen, war leer. Ein welker Pfirsichblütenzweig lag auf dem Polster.