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Borgia

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XXXIX

Nicolo Macchiavelli, aus einer einfachen Popolanenfamilie stammend, humanistisch gebildet, Sekretär des florentinischen ‚Rates der Zehn‘, wird in außerordentlicher Botschaft zu Cesare Borgia gesandt.

Florenz, zu schwach, um einem drohenden Angriff des Fürsten zu widerstehen, will sich gütlich mit ihm einigen. —

Nicolo Macchiavelli lebte auf einem kleinen Landgute bei Florenz.

Er stand früh am Tage auf, jagte Krammetsvögel, betätigte sich in seinem kleinen Wäldchen als Holzhauer, saß den halben Tag im Wirtshaus, um mit dem Wirt, mit dem Bauern Gismondo Buonarotti (einem Bruder des Bildhauers Michel Angelo Buonarotti), mit Metzger, Bäcker, Fuhrherrn und Ziegelbrenner zu schwatzen und Cricca oder Tricktrack zu spielen.

Er stritt sich mit ihnen um jeden Quattrino, und man hörte ihr Geschrei die Landstraße auf und ab eine halbe Meile.

Abends, bei Einbruch der Dämmerung, stapfte er nach Hause, zog den Bauernkittel aus, und im bloßen Hemd saß er an seinem Schreibtisch, las Dante und Petrarca, Tibull und Ovid.

Er las Ovids Ars amandi, und seufzend gedachte er seiner eigenen früheren Liebschaften.

Das war vorbei.

Er hatte eine Frau und vier Kinder, und nur hin und wieder trieb ihm der günstige Wind in seinem Wäldchen eine Bauernfrau oder Magd ins Gehege.

Wenn er des Ovid überdrüssig war, klappte er ihn zu und seine Schreibmappe auf und setzte seine Studien fort ‚sul arte del stato‘: ‚über die ‚Staatskunst‘.

Er konnte sein Bauernanwesen kaum verwalten, aber über Republiken und Monarchien regierte souverän sein Geist:

Der Geist eines klugen, scharfsichtigen, scharfsinnigen, unbestechlichen Menschen – bestechlich nicht durch Gold und nicht durch Schmeichelei, unbeeinflußbar durch Sympathien und Antipathien.

Ihn bewegte die ‚Politik an sich‘, ihre Methodologie. Und das Maß seiner Maßstäbe gab allein der Mensch, der Politik und Geschichte macht.

Wie war das Wesen des niedrigen Menschen beschaffen? Er war dumm, feige, selbstsüchtig, treulos —

Wie war das Wesen des höheren Menschen beschaffen? Er war klug, tapfer, selbstisch und sich selbst treu. Seine Klugheit gebot, die Dummheit der andern zu benutzen, seine Tapferkeit, ihre Freiheit zu unterwerfen, seine Treue gegen sich selbst konnte als Treulosigkeit andern gegenüber in Erscheinung treten. Töricht, wer Wortbrüchigen Wort hielt, dumm, wer Klugen dumm kam, feige, wer vor Meuchelmord zurückschreckte – wenn die andern ihm schon den Gifttrank bereitet und den Galgen errichtet hatten. Es kam darauf an, der erste zu sein: bei einer Frau, bei der Politik.

Früh zu Bett gehen – und früh aufstehen: Wenn die andern erwachten, mußte die Hälfte des Tagwerks schon getan sein.

Er hatte dann schon sieben Krammetsvögel gefangen – und Cesare Borgia sieben verräterische Condottieri.

Die Florentiner wußten, was sie taten, als sie Macchiavelli zu Cesare Borgia sandten. Es war nicht das erste Mal, daß der bäurische Kerl mit der Seele eines Staatsmannes ihnen in wichtigen Missionen diente.

Im Palast Cesare Borgias fand jenes denkwürdige Gespräch zwischen Cesare und Macchiavelli statt, das dem Florentiner die Anregung zu seinem Traktat über den ‚Fürsten‘ geben sollte.

Es war noch sehr früh am Tag. Dämmerung hing noch im Zimmer. Cesare hatte Macchiavelli um sechs Uhr früh zur Audienz gebeten. Seit Monaten zeigte sich der Borgia nicht mehr bei Tageslicht.

Die Krankheit hatte sein Gesicht mehr und mehr verwüstet. Es war von eitrigen Pusteln über und über bedeckt. Die Nase war angefressen. Nur seine hellen blauen Augen funkelten unversehrt und herrisch.

Nehmen Sie Platz, sagte der Borgia. Er setzte seinen Gast so, daß dessen Gesicht im Licht war, während er selbst im Dunkeln blieb.

Macchiavelli nahm Platz: in einem tiefen Sessel, in dem der kleine, beleibte Herr fast ganz verschwand.

Cesare lachte:

Ja, da haben Sie gleich ein Beispiel meiner politischen Methode: Ich zwinge meine Gäste immer, tief unter mir in einem weichen Lehnstuhl zu versinken. Das macht sie mir untertänig und ihren Verstand weich und nachgiebig. Ich selbst pflege auf einem harten, hohen Holzstuhl zu sitzen.

Macchiavelli sah von unten nach oben und sprach dorthin, wo er im Dunkeln den Borgia vermutete:

Ich bewundere Sie, Hoheit.

Der Borgia fragte:

Was macht Florenz? Man ist uns nicht besonders wohl gesinnt dort, Seiner Heiligkeit und mir.

Macchiavelli versuchte, eine abwehrende Handbewegung zu machen.

Cesare fuhr fort:

Man sieht es nicht gern, daß ich mich in Umbrien und der Romagna festsetze, daß ich mit Ludwig XII. von Frankreich d‘accord bin. Man schimpft mich den Grausamen. Aber diese Grausamkeit hat die Romagna zusammengehalten, während die überaus gerühmte Milde der Florentiner die Zerstörung von Pistoja auf dem Gewissen hat. Wer ist nun in Wahrheit grausamer? Meine Grausamkeit hat in der Romagna vielleicht fünfzig Menschen getötet. Aber die Milde der Florentiner in Pistoja: zweitausend!

Und er zitierte Virgil:

Res dura et regni novitas me talia cogunt Moliri, et lati fines custode tueri.

Macchiavelli:

Es muß das Bestreben von Florenz sein, sich als autonomer Staat in dem Wirrwarr der Zeit zu behaupten, solange —

Der Borgia:

Nun, solang – ?

Macchiavelli fuhr vorsichtig fort:

Solange sich diese Zeit nicht geändert hat.

Der Borgia lachte leise.

Nun, diese Zeit ist ein abstrakter Begriff. Sie wird sich nicht selbst ändern. Wir sind berufen, sie zu ändern. Wir Menschen.

Ja, schmeichelte Macchiavelli. Ihr Menschen, ihr großen Menschen! Ihr Borgia!

Cesare wandte sich einen Moment angewidert ab:

Hat Florenz Sie gesandt, mir Weihrauch zu schwingen und Zuckerstücke wie einem tanzenden Jahrmarktsbären zu reichen? Ich verabscheue beides.

Der Rat der Zehn von Florenz schickt mich, Ihnen seine Hochachtung zu bezeigen – auch wenn zwischen Ihren und seinen politischen Überzeugungen ein Abgrund klafft.

Borgia:

Was für ein Abgrund?

Macchiavelli:

Wir Florentiner sind Republikaner.

Der Borgia lächelte:

Ich nicht. Ich bin Borgia.

Macchiavelli:

Ob Republik, ob Monarchie – gute Gesetze sind das Fundament des Staates.

Cesare:

Gute Gesetze können nicht bestehen ohne ein gutes Heer.

Macchiavelli:

Ein gutes Heer bedarf vor allem der Disziplin, also wiederum – des Gesetzes.

Cesare:

Ein gutes Heer setzt sich aus guten Soldaten zusammen. Gute Soldaten sind eigentlich nur Landeskinder, das heißt Menschen, die ihre Heimat lieben, die ausziehen, ihren eigenen Grund und Boden, ihr Gewerbe, ihre Frauen und Kinder zu verteidigen.

Macchiavelli:

Aber Sie haben sich oft der Söldner und fremder Kriegsknechte bedient.

Cesare:

Die Not zwang mich dazu. Das Ideal eines Heeres ist das Nationalheer. Nur aus diesem Grunde konnte Karl VIII. von Frankreich Italien so schnell überrennen, weil seinem disziplinierten französischen Heer unsere zügellosen Haufen Mietlinge und Knechte aller Länder nicht gewachsen waren.

Macchiavelli:

Aber wie kann ein Nationalheer ohne Nation aufgestellt werden?

Cesare sprang auf, und nun glänzte sein fahles Gesicht plötzlich grell im stärker einströmenden Morgenlicht:

Sie haben recht. Hier liegt der Kardinalpunkt der italienischen Politik. Italien muß eine Nation werden. Das ist mein und meines erlauchten Vaters innigstes Ziel. Ein geeintes Italien, ein einiges italienisches Heer.

Macchiavelli unterbrach höflich:

Und ein König?

Cesare stand jetzt am Fenster und sah einer Amsel zu, die den Morgentau aus ihrem Gefieder stäubte:

Jawohl.

Macchiavelli fragte zögernd:

Und wer soll dieser König sein?

Cesare:

Ein – ein – er brach den Gedanken ab, – Ein schöner Tag wird heute.

Macchiavelli erhob sich:

Ein Borgia, Hoheit, wollten Sie sagen.

Cesare schnitt das Gespräch mit einem Hieb der Reitgerte ab, die er durch die Luft sausen ließ:

Wir werden sehen, kommt Zeit, kommt Rat.

Macchiavelli:

Kommt Borgia.

Cesare: Nach Florenz.

Macchiavelli:

Ich habe die Ehre, Eurer Hoheit ein Bündnis der Stadt Florenz anzubieten. Sie würde sich glücklich schätzen, Eure Hoheit als Condottiere, als Truppenführer, zu gewinnen, Sie bietet Eurer Hoheit ein Jahresgehalt von sechsunddreißigtausend Golddukaten.

Cesare geleitete den Gesandten der florentinischen Republik bis an die innere Tür:

Ich bitte Sie, mir im Namen der Signoria einen Vertragsentwurf vorzulegen. Ich habe mich vortrefflich mit Ihnen unterhalten; besuchen Sie mich gelegentlich wieder. Macchiavelli verneigte sich tief.

Macchiavelli ging, erschüttert von dem Gespräch, durch den frühen Morgen.

Er lief planlos durch die Gassen und stieg dann auf den Monte Pincio, die Stadt Rom im Morgenglast zu betrachten.

Er dachte: Ein Ungeheuer – wenn man will – und wenn man die eine Seite der Medaille sieht —, aber dreht man sie um: ein Genie – ein politisches Genie wie sein Vater. Sie tun alles nur für sich, aus einem fanatischen sacro egoismo. Aber siehe: ihre Gedanken und Taten münden organisch in das große Weltgeschehen.

Er will die Einigung Italiens – für sich – um König zu werden —, aber ist sie nicht das größte und würdigste Ziel eines heutigen Italieners?

Seine Gedanken sind scharf wie spanische Klingen.

Auch was sein Vater tut und plant – die hypertrophische Machtübersteigerung des Heiligen Stuhls —, ist nur gedacht im Sinne Borgias. Aber später einmal werden seine Nachfolger noch davon zehren, daß er dem Papsttum an sich das feste politische Fundament gelegt. Wo sind sie hin, die Orsini, die Colonna, die generationenlang den Papst in seiner eigenen Stadt zur Ohnmacht verdammten? Nein, dumm sind diese Borgia nicht, es sind – es sind —

 

und er suchte nach einem Wort, da hörte er eine Amsel.

Es sind Genies der Amoralität. Sie wissen nicht, was böse oder gut ist. Sie kennen nur den Nutzen einer Sache, soweit sie sie selbst betrifft.

Der Kentaure Chiron ist ihr Lehrer gewesen: halb Mensch, halb Tier, und sie selbst sind Kentauren geworden.

Sie empfangen ihre Bestimmung und ihr Licht vom Sternbild des Kentauren.

Vier Jahre braucht das Licht, um vom Kentauren zur Erde zu gelangen.

Eine Ewigkeit dauert es, um von den Borgia Licht und Wärme zu empfangen.

Sie haben ihr Herz hundertfach umpanzert.

Er neigte sich zur Erde.

Sieh da! Eine Blüte der Centaurea! Was haben die Kentauren, die Borgia damit zu tun? – Es gibt eine Art der Centaurea, deren bittere Wurzel als Gegenmittel gegen – Gift angewendet wird.

Und er begann sich Notizen auf ein paar Zettel zu schreiben, die er aus dem Rock kramte:

Die Borgia verstehen sich darauf, beide Naturen, die menschliche und die tierische, gut zu verwenden, weil eine ohne die andere nicht lange besteht. Sie verstehen sich darauf, Bestien zu sein, und nehmen vom Fuchs und Löwen, was ihnen paßt. Die Fuchsgestalt ist nötig, um die Schlingen kennenzulernen, die Löwenmaske, um die Wölfe zu verjagen. Wer nur den Löwen spielt, versteht seine Sache nicht.

XL

Wir brauchen einen Heiligen unter uns, einen heiligen Borgia. Weißt du keinen? fragte der Papst, als er eines Tages in der Legenda aurea blätterte, den Sohn Cesare.

Cesare lachte hellauf, um sich sofort zu fassen.

Ich bitte für mein unziemliches Verhalten um Vergebung. Man darf die Form nie außer acht lassen – sagte der Glockengießer, aber da war es schon zu spät, und die Glocke war verpatzt. Ja – wen soll ich dir da empfehlen? Calixtus macht keine besondere Figur. Der Herzog von Gandia ist zwar tot, aber nicht heilig zu kriegen. Lucrezia – wäre eine schöne Heilige —, aber sie lebt ja noch. Ebenso dieser Knabe Narziß. Warten wir ein paar hundert Jahre, Papa di Roma. Wenn wir Borgia uns ausgetobt haben, werden wir auch noch einen Heiligen zustande bringen. Und er wird genauso heilig sein, wie wir unheilig waren. Denn ein Borgia tut nichts Halbes. Addio, Rodrigo!

Er nannte seinen Vater nur in besonders zärtlichen Momenten Rodrigo.

Der Papst sah ihm innig nach:

Ein kluger Kopf, dieser Cesare —

Er rieb die Hände aneinander.

Er fror zum erstenmal in seinem Leben. Ich werde alt.

Draußen war Juni. Der 27. Juni 1500.

Er befahl, im Kamin Feuer zu machen.

Es war ein uralter Kamin, an dem schon Calixtus III. seinen Borgiacorpus gewärmt hatte.

Wann war das gewesen?

Vor – vor etwa fünfzig Jahren – dachte der Papst erstaunt.

Das sind schon fünfzig Jahre her!

Er lehnte sich an den Kamin.

Und plötzlich war ihm, als ob der Kamin ein feuerspeiender Krater sei.

Die Erde begann zu zittern.

Mit donnerndem Gepolter brach der Sims des Kamins über ihn zusammen.

Lucrezia fand ihn und schrie laut um Hilfe. Ihre Zofe und einige Soldaten der Schweizergarde zogen ihn unter dem Schutt hervor. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den Wunsch, der alte Mann dort, ihr Vater, der sie in dieses Leben gezerrt hatte – er möchte tot sein, ganz und für immer tot. Aber er war bärenstark, stierkräftig. Der Kamin hatte seinen Schädel nur geschrammt. Er hatte ihn nicht zerschlagen können.

Lucrezia pflegte ihn.

Nach seiner Wiedergenesung zelebrierte er ein Hochamt in der Kirche Santa Maria del Popolo.

In seinen noch zitternden Händen hielt er einen mit dreihundert Dukaten gefüllten Pokal und schüttete ihn vor dem Altar der Jungfrau aus:

Dreihundert, drei – hun – dert Dukaten opfere ich dir als Dank für meine Genesung, allerheiligste, allerjungfräulichste, allergnädigste Madonna! —

Die Dukaten rollten über die Altarstufen hinab.

Des Nachts aber überkam ihn plötzlich die Reue.

Er fuhr aus Träumen auf, zumal er abends eine schwerverdauliche Langustenpastete gegessen hatte.

Dreihundert Dukaten! dachte er. Die Madonna wäre auch mit zweihundert zufrieden gewesen. Oder – hundertfünfzig.

Schweiß stand ihm vor der Stirn. Er klingelte.

Aber der wachthabende Offizier der Schweizergarde im Vorzimmer schlief.

Der Papst knüpfte sich einen Knoten in sein Bettuch und beschloß, sofort am nächsten Tag zweihundert Dukaten von der Santa Maria del Popolo zurückholen zu lassen.

Als er sich schlaflos von einer Seite auf die andere wälzte, machte er nochmals Licht, griff zu seinem Notizbuch und begann, sich allerlei zu notieren:

Mein Ziel ist – die Autorität des Kirchenstaates unter meinem Zepter unverrückbar zu gestalten.

Wer sich von den Fürsten mir entgegenstellt, den zerschmettere ich. Meine Feinde sind dem Untergang geweiht. Ich fluche ihnen mit dem päpstlichen Fluche. Vide Karl VIII. und Fra Girolamo.

Die Orsini und Colonna, meine inneren Feinde in Rom, werden im Jenseits eine Ewigkeit an mich zu denken haben.

Die Unterwerfung der Este zu Ferrara gelingt nicht? Gut, wird Lucrezia einen Este heiraten, und wir gewinnen sie so und borgisieren sie auf diese Weise.

Man muß die Menschen gegeneinander ausspielen: die italienischen Fürsten und Städte gegen die ausländischen Mächte und umgekehrt. Innen beständig sein, aber sich nach außen nicht festlegen. Das heißt Politik. Im Klaren die Angel werfen und im Trüben fischen. Alles versprechen und den Teil halten, den man zu eigenem Nutzen halten muß. Mag Italien dabei mager werden, wir Borgia mästen uns. Italien muß in Unordnung gebracht werden, damit wir in unserer Ordnung verbleiben.

Und er stand auf, schlüpfte in seine Pantoffeln und schlürfte in den Keller hinab, wo er sich eine Zelle als seine Schatzkammer hatte herrichten lassen.

Niemand durfte sie betreten. Auch Cesare und Lucrezia nicht.

Die Schränke an den Wänden waren gefüllt mit Säcken voll Dukaten, Kästen voll Edelsteinen, Smaragden, Rubinen, Saphiren, goldenen Schalen, Kreuzen, Figuren. Altargeräte, Abendmahlpokale standen auf Regalen. Der Papst schüttete einen Sack Dukaten auf den Tisch und wühlte darin.

Von seinen Lippen troff Speichel dazwischen. Seine Augen öffneten sich gierig wie die eines Habichts, der einen Hasen erspäht.

Und vor Wollust des Besitzes und Geizes ergoß er seinen Samen in ein goldenes Gefäß.

Alexander rief Lionardo da Vinci, den bekannten Militäringenieur und Erfinder, der in Diensten Cesares stand, zu sich.

Lionardo, der gerade an einer Federzeichnung ‚Der Gehängte‘ strichelte, kam sehr unwillig.

Der Borgia ließ sich vernehmen:

Ja, die Erde kenne ich nun,

Berge, Täler, Städte, Dörfer, Männer, Weiber. Du hast mir einen Globus verfertigt,

er steht auf meinem Schreibtisch,

und manchmal fährt meine Hand zärtlich über die Rundung der Kugel,

als wäre es eine Frauenbrust.

Dies alles

ist mir tributpflichtig, zollt mir Achtung, Ehre, Gut und Geld:

Italiener, Spanier, und wie ich höre, sogar Deutsche und Mohren.

Nun aber will ich einmal Sterne um mich haben.

Bau mir ein Planetarium!

Und als das Planetarium gebaut war, saß der Borgia unter den Sternen, unter Uranus, Neptun, Saturn, Sonne, Mond, unter Planeten und Fixsternen.

Er griff mit seinen immer leicht schweißigen Händen danach, und sie ließen sich in die Hand nehmen wie kaum flügge Vögel.

Dann ließ er sie wieder los:

Flieg, Sonne! Flieg, Mond!

Und sie kreisten in edler Ellipse um seine Stirn.

XLI

Bevor Lucrezia nach Ferrara abreiste, rief sie den römischen Infanten, der inzwischen fünf Jahre alt geworden war, zu sich.

Mit Tränen in den Augen verabschiedete sie sich von ihm.

Ich kann dich nicht mitnehmen, mein liebes Kind. Ich muß dich hier beim Heiligen Vater und beim unheiligen Bruder lassen, Narziß. Sie werden dich schützen und behüten, und ein Erzengel wird über dich wachen.

Der Knabe sah mit großen Augen zu Madonna Lucrezia auf und begriff nicht, warum sie weinte.

Ich werde nie nach Rom zurückkehren. Behüte dich Gott, wenn er einen Borgia behüten mag. Der Heilige Vater hat dich auf meinen Wunsch heute zum Herzog ernannt und dir das Lehen von Nepi verliehen. Narziß, Herzog von Nepi. Aber das begreifst du alles noch nicht und wirst es erst später begreifen. – Leb wohl, mein kleiner Herzog!

Sie hob den Knaben an ihre Brust und küßte ihn stark auf den Mund.

Es war drei Uhr nachmittags, als Lucrezia Rom verließ.

Sie ritt auf einem Schimmel. Ihr Kleid, mit Hermelin besetzt, war von roter Seide und floß schillernd an den Flanken des Pferdes herab.

Ihr blondes Haar zitterte im Wind.

Den Reisehut hatte sie herabgerissen und hielt ihn mit den Zügeln an den Hals des Pferdes gepreßt.

Alle Kardinäle, viele Adelige, viel Volk gaben ihr bis zur Porta del Popolo das Geleite. Links neben ihr ritt auf einem Falben Cesare.

Vor dem Tore richtete er sich im Steigbügel auf und reichte ihr die Hand.

Sie nahm sie nicht an und blickte ihm nur düster ins Auge.

Er blieb mit den andern Römern zurück, und noch lange sah er ihr blondes Haar in der Nachmittagssonne glitzern.

Wie Herbstfäden, dachte er. Die Herbstfäden der Borgia.

Sie deuten auf baldigen Winter —

Zwanzig Miglien von Ferrara entfernt, vor dem Kastell Bentivoglio, begegnete Lucrezia ein Jäger zu Pferd. Er hatte Hasen am Sattel hängen, und sie ließ durch einen Ritter ihres Gefolges ihn bitten, ob er nicht zur Abendmahlzeit ihr ein paar Hasen ablassen wolle.

Der Jäger zeigte sich mit größter Artigkeit dazu bereit.

Er lüftete den Hut.

Man stellte sich vor,

und es stellte sich heraus, daß der Jäger Don Alfonso, Erbprinz von Ferrara, war, der ihr eben in absentia angetraute Gemahl. Überrascht, aber dann schnell gefaßt, um sich vor dem Gefolge keine Blöße zu geben, musterten sich die Ehegatten, die sich vorher noch nie gesehen hatten.

Lucrezia war dem Erbprinzen von Ferrara aufgezwungen worden, aus politischen Gründen.

Es genügten zehn Minuten höflichen, oberflächlichen Gespräches, und er war von Lucrezia bezaubert wie jeder Mann zuvor.

Der Einzug Lucrezias in Ferrara bot eines der prächtigsten Schauspiele jener Zeit.

Es ritten voran fünfundsiebzig Bogenschützen zu Pferde, gekleidet in den Farben des Hauses Este: weiß und rot. Danach kamen hundert Trompeter und Pfeifer. Hinter ihnen ritt, ganz allein, Don Alfonso, der Bräutigam, gekleidet in roten Samt, ein schwarzes Samtbarett mit einer goldenen Agraffe auf dem Kopf, schwarze Samtgamaschen und schwarze Stiefel.

Es folgten die Adeligen Ferraras auf kostbar aufgezäumten Pferden, dann Pagen, spanische Granden, Bischöfe, die Abgesandten Roms.

Drei Hofnarren Lucrezias kobolzten nun einher an der Spitze eines Zuges von dreißig Zwergen, die alle fortgesetzt Rad schlugen und andere Possen trieben.

Dann kamen zehn auserlesen schöne Pagen, in den Farben des Regenbogens gekleidet. Und dann

Lucrezia,

die Braut,

auf ihrem Lieblingsschimmel.

Sie trug ein glattes, schwarzes Samtkleid, mit goldenen Borten besetzt, über das Kleid einen Mantel von Goldbrokat.

Ihr volles blondes Haar war in ein schleierartiges Netz von dünnem Gold gehüllt, so daß man die Haarfäden und Goldfäden nicht unterscheiden konnte. Eine Sonne flammte über ihrer Stirn.

Sie ritt unter einem purpurnen Baldachin, den die ordentlichen Professoren und Doktoren der Universität Ferrara trugen, da es an Dienern mangelte.

Der Gesandte Frankreichs ritt hinter ihr, neben dem Herzog Ercole von Este. Es folgten wieder Prinzen, Edle und Pagen und dann in vierzehn Galakarossen die Ehrendamen und Hofdamen des Hofes von Ferrara.

Sechsundachtzig Maultiere, darunter zwei weiße, führten die Garderobe der Braut.

Mit vielen Ah! und Oh! bewunderten die gaffenden Weiber Ferraras die kostbaren Gewänder, Teppiche, Schmuckgegenstände. Aber manch ein Bauer und Bürger stand am Weg und dachte:

Dies sind die Steuern und Abgaben, die eine heilige Kirche von uns erpreßt hat – für die Borgia.

Da – da – auf dem Rücken der Maultiere ziehen sie dahin: meine und deine ‚Sankt Peterspfennige‘. Aus Pfennigen werden Gulden, aus Gulden Dukaten, und viele Dukaten machen jene breitärmelige Camorra von grünem Samt oder jene fünffach um den Hals des einen weißen Maultiers geschlungene Kette von Rubinen und Perlen. Neben den beiden weißen Maultieren schritt auch ein roter Stier, das Wappentier der Borgia.

Er wurde von der Volksmenge gehänselt und gestichelt, da sie sich an die Borgia selbst nicht wagten. Aber stolz, unnahbar, schritt er vorüber, den Kopf gesenkt, um die Menschen, die er verabscheute, nicht sehen und riechen zu müssen.

 

Auf dem Domplatz, wo Seiltänzer, die zwischen zwei Kirchtürmen tanzten, sie begrüßten, stieg Lucrezia vom Pferd.

Der Rektor der Universität, Professor Nicolò Leoniceno, Ordinarius für Mathematik, ein alter, kurzsichtiger Herr, hielt ihr die Steigbügel.

Pfeifer, Trompeter, Trommler, Pauker, Posaunisten begannen mit den Glocken der Kirchen um die Wette zu lärmen.

Lucrezia, der alles Laute verhaßt war, zog ein wenig den Mund schief, ließ aber dann ein Lächeln um ihre Lippen spielen, das jedermann entzückte.

Im Empfangssaal nahmen Lucrezia und Alfonso auf den rosengeschmückten Thron Platz.

Nach alter Sitte durfte die Braut einen Wunsch äußern, der sofort erfüllt wurde. Lucrezia bat, sämtlichen Gefangenen der Stadt Ferrara die Freiheit zu schenken.

Spanische Buffoni begannen, sie anzusingen. Als erster Orator begrüßte sie der Dichter Ariost:

 
O Rom! O armes Rom, in Nacht gestürzt,
Da dich die Sonne Borgias jäh verließ
Und in Ferrara nun ihr Licht entzündet:
Lucrezia, holdestes Gestirn, erkoren,
Uns künftig Flamme, Wärme, Glück zu spenden —
O geuß den Krug des Feuers auf uns hin
Und brenne uns zu Fackeln, Königin!
Daß wir zu deiner Ehre himmlisch brennen
Und noch als Asche uns zu dir bekennen!
 

Unnatürlich bleich verneigte sich der junge siebenundzwanzigjährige Dichter und trat mit linkischer Grandezza zurück.

Lucrezia sandte ihm einen sanften Blick nach – aus ihren occhi bianchi – ihren hellblauen Augen.

Noch am gleichen Abend, in seine einsame Kammer zurückgekehrt, schrieb er den Vers:

Das Weib ist ein gefährliches, großes Kind, sie hat die Augen der Taube und den Griff der Pantherin.

Das Hoftheater von Ferrara, im Saal des Podestà, faßte dreitausend Personen.

Es war am Abend der Festvorstellung zu Ehren der Vermählung des Erbprinzen überfüllt.

Vor Beginn der Vorstellung traten sämtliche Schauspieler an die Rampe und stellten sich dem Publikum devotest vor. Der Direktor verkündete das zu spielende Stück.

Ariost hatte seine ‚Cassaria‘ eingereicht, aber sie war als zu modern abgelehnt worden. Der Herzog und das Publikum waren für ‚das Klassische‘.

Die Vorstellung begann damit, daß Plautus selbst auftrat und es mit besonderer Freude begrüßte, daß eine seiner Komödien gespielt werden sollte.

Man spielte den ‚Epidicus‘.

Der größte Teil des Publikums langweilte sich und wurde erst bei den Balletts munter, die zwischen die Akte eingeschoben wurden.

Da tanzten zehn Neger mit Kerzen im Munde. Da tobte ein Gladiatorenkampf. Besonders applaudiert wurde ein feuerspeiender Drache und eine schöne, nackte Jungfrau auf einem Einhorn.

Zum Schluß aber gab es ein unbeholfenes frühchristliches Legendespiel von der Hetäre Thais, das Lucrezia im innersten Herzen erregte.