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Borgia

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XV

Alexander VI. ist außer sich vor Glück. Er hat das höchste Spiel mit dem höchsten Einsatz gewonnen.

Wir sind im Anmarsch, wir Borgia. Im Anmarsch, Gott, zu Deinem Thron. Wir haben die erste Sprosse der Jakobsleiter schon betreten.

Nun geht es aufwärts, unaufhaltsam aufwärts, durch Wolken und Winde, Gewitter und Hagel, Blitz und Sterne hindurch:

bis zu Dir, denn Du bist der Vater im Himmel,

und der Vater der Borgia.

Wenn wieder ein Gottessohn auf die Erde steigen wird, die Menschheit zu erlösen, so wird es ein Borgia sein.

Rom machte Cäsar groß, aber nun hebt Alexander kühn es zum Gipfel empor, Mensch jener – dieser ein Gott.

So jubelte und lästerte der Papst.

Ich werde Juan zum weltlichen Herrscher Italiens machen. Cesare soll bald den Kardinalshut bekommen und mir einmal als Papst nachfolgen. Ich will den päpstlichen Thron erblich machen. Er soll in alle Zukunft den Borgia gehören. Cesare muß der dritte Borgiapapst werden.

Füttere Tauben, Kindchen, sagte er zu Lucrezia, die neben ihm auf dem Balkon des Vatikans stand und hinunter auf den Petersplatz sah, wo ein Hund und eine Hündin, die sich eben geliebt hatten, nicht auseinanderkamen und sich schon zu hassen begannen —, füttere Tauben! Die Taube ist der mystische Vogel der Heiligen Dreifaltigkeit! Wir müssen ihm was zu picken geben.

Der Stier ist das heraldische Tier der Borgia. Pinturicchio muß in den Wohngemächern des Papstes Fresken malen, die die Prozessionen der Apisstiere darstellen. Rodrigo Borgia, nunmehr Papst Alexander VI., veranstaltet zu Ehren seiner Wahl und zur Freude des italienischen Volkes und Pöbels

eine Corrida,

einen Stierkampf,

in den Ruinen des Colosseums, das zur Plaza de Toros wird.

Ich bin ein Spanier, sagt der Papst. Ich will meine spanischen Vergnügungen nicht mehr missen. Lange genug habe ich sie entbehren müssen. Ich will den Römern eine festa di Borgia geben.

Cesare Borgia, sein Sohn, schritt in spanischer Tracht als Toreador an den Tribünen vorbei, mit gesenktem Degen, und die Herzen der schönen Frauen schlugen stärker, wo er vorbeikam.

Che bellezza!

Lucrezia warf ihm gelbe Rosen zu.

Sie saß links neben dem Papst in einer mit rotem Samt ausgeschlagenen Prunkloge. Rechts neben ihm saß Julia Farnese in ihrer neunzehnjährigen Schönheit, die ihn bis zur Raserei entzündete. Sie versagte sich ihm noch immer. Der Papst hatte schon seine Zuflucht zur Mandragora, zum Liebestrank, genommen, den sein Leibarzt aus einer von einem schwarzen Hund bei Vollmondschein aus der Erde gezogenen Alraunwurzel gewonnen hatte. Aber der Trank hatte bisher nicht gewirkt.

Lucrezia wandte sich an den Papst:

Höre, papa di Roma e papa di Borgia, der Stier tut mir so leid. Gib ihm doch vor dem Tod noch eine Kuh. Es stirbt sich dann leichter.

Der Papst lachte.

Julia errötete.

Dein Wille geschehe – wie im Himmel, also auch auf Erden. Er ließ drei Kühe in die Arena treiben, und alle drei besprang der rasende, tobende Stier.

Die Galerie brüllte.

Julia hielt die Augen geschlossen.

Dann wurden die Kühe hinausgetrieben, und die Picadores ritten in die Arena. Sie reizten mit kurzen Lanzenstichen vom Pferd herab den Stier, der sie mit gesenkten Hörnern schnaubend anging.

Es kam der Schwärm der Banderilleros, zu Fuß; sie stießen dem Stier die mit Widerhaken versehenen Banderillas ins schon zuckende und blutende Fleisch. Mit dem Schwarm der Banderilleros kamen Schwärme von Fliegen, die sich in die Wunden des Stieres krallten oder ihn surrend umschwirrten.

Durch Schwingen roter Mäntel suchten Capeadores den Stier von einem gefährdeten Picador abzulenken.

Zu spät.

Der Stier hatte seinem Pferd schon die Hörner in den Bauch gebohrt und warf Pferd und Reiter wie Bälle in die Luft.

Mit seinen erhobenen Hörnern fing er den Picador auf, dem sie in den Rücken drangen. Dann schleuderte er ihn in den Sand, der sich rot zu färben begann.

Ein Entsetzensschrei brach aus dem Publikum, da kam Cesare Borgia gelaufen.

In der Linken trug er einen Stock, an dem ein Fetzen rotes Tuch flatterte und mit dem er im Zickzack den Stier hier- und dorthin lenkte.

In der Rechten hielt er fest die Espada.

Als der rasende Stier gerade vor ihm stand und die Hörner senkte, stieß Cesare ihm plötzlich den Degen zwischen den Hörnern durch.

Der Stier schwankte und zitterte.

Er hob den Kopf und sah mit glasigen Augen in die grelle Sonne.

Er fühlte noch einmal die wohlige Wärme des göttlichen Gestirns, dann brach die ewige Dunkelheit in seine Augen.

Er stürzte, von der riesigen Faust des Todes niedergedrückt, platt zu Boden.

Cesare hob den Degen und grüßte zur Papstloge.

Lucrezia war blaß vor Angst.

Der Papst war in der Erregung des Kampfes aufgestanden.

Jetzt klatschte er besessen in die Hände, und alles Volk fiel applaudierend ein.

Am nächsten Tag wurde Cesare, gegen den Willen des Kollegiums, mit dem Purpur des Kardinals geschmückt, obwohl er nie die Weihen empfangen hatte.

Cesare ging zum Barbier:

Scher mir eine Tonsur! Aber nicht zu groß! Damit ich sie bald wieder zuwachsen lassen kann!

XVI

Julia, die Schöne, liebte Orso, den Einäugigen, den Sohn der Adriana.

Als der Papst davon erfuhr, richtete er ihnen eine prächtige Hochzeit und traute sie höchstselbst. Alexander Farnese, Julias Bruder, ernannte er zum Kardinal. Der Volksmund pflegte ihn bald Kardinal Fregnese zu nennen.

Der Papst veranlaßte, daß das junge Ehepaar im Palaste San Martinelli Wohnung nahm, der dicht beim Vatikan gelegen ist. Eine Pforte führte von ihm in die vatikanischen Gärten.

In einer Vollmondnacht, ohne Alraunwurzel und schwarzen Hund, ergab sich Julia, die Junge, Alexander, dem Alten.

Orso, der Einäugige, erblindete.

Alexander Borgia ließ Julia Farnese als lebendige Heilige in feierlicher Prozession im Reliquienkasten einhertragen.

Alexander Borgia hatte das Vertrauen auf die Mandragora verloren und beschloß, in Zukunft wie bisher nur an sich selbst zu glauben und jedem andern Glauben abzusagen.

Während die Menschen seiner Zeit in Aberglauben verrannt waren, machte es Alexander Borgia von nun an Vergnügen, alle Dämonen der Unterwelt und Oberwelt keck herauszufordern.

Sein Schlafzimmer hing voll ausgestopfter Unglücksvögel, voll Eulen, Kuckucke, Fledermäusen. Eine weiße Rose, die Totenblume, lag jeden Abend auf seinem Kopfkissen.

Er liebte es, im Kreise von dreizehn Personen zu speisen. Die Bestecke bei Tisch waren kreuzweise übereinandergelegt. Bei Beginn des Mahles pflegte er, scheinbar unachtsam, Wein auf das Tischtuch zu vergießen.

Er liebte es, wenn ihm Katzen über den Weg liefen.

Und freute sich, wenn er einer hübschen Nonne begegnete.

Meist nahm er sie gleich mit in den Vatikan, oder wenn es zu weit war, ging er mit ihr in die nächstgelegene Kirche, in einer Seitengalerie sich mit ihr zu vergnügen.

Der Deutsche Dr. jur. et. theol. Johannes Burcardus aus Haßlach bei Straßburg schrieb über den neuen Papst ein Flugblatt in gemeiner deutscher Sprache, das in Deutschland weiteste Verbreitung fand und dem Papst viele Freunde gewann.

‚Der neue babst ist ein man gross gemüets und grosser klugheit. Er ist ein nachfolger babst Calixti seines † vetters seliger gedechtnus in Weisheit tugent und aufrichtigem leben. In ime ist holdseligkeit, glawbwirdigkeit, gottesdienstlichkeit und kundschaft aller der ding, die zu einem solchen hohen stand gepürlich sind. Wir hoffen dass er dem gemaynen christlichen stand forderlich und nutzper sein und über die geferlichen meerfelsen wandern und die himmlische glori ergreifen werd.‘

Johannes Burcardus wurde alsbald vom Papst an den päpstlichen Hof zum Schreiber im päpstlichen Zeremonienamt und zum Hofzeremonienmeister berufen.

Die Schriftsteller sind es, die den Ruhm machen, sagte er zu Cesare.

Johannes Burcardus war dem Papst devotest zugetan und Untertan und führte ein schlichtes, ehrliches, deutsches Tagebuch der täglichen vatikanischen Begebenheiten.

Er aß und trank gern gut, besonders rote Weine, und zog sich neben der Gunst des Papstes eine dunkelrote Barberinonase und den Spottnamen Johannes der Säufer zu.

Aber in besonders wichtigen und diskreten Angelegenheiten traute der Papst auch ihm nicht. In solchen Fällen pflegte Alexander Borgia ihm zwei, drei Briefe mit dem entgegengesetzten Inhalt zu diktieren, und er ließ ihn im Ungewissen, welchen er schließlich abschickte.

XVII

Einige Tage nach seiner Wahl zum Papst beschied Alexander Cesare und Lucrezia in sein Schloß von Nepi.

Er schickte für einen Nachmittag sämtliche Bedienstete fort, und es blieb niemand im Haus als die drei Borgia.

Sie saßen im großen Saal um den großen Tisch, auf dem die Karte Italiens, ein Globus und ein Totenkopf lagen.

Niemand lauschte ihnen als die dicken Mauern.

Ein Sonnenstrahl fiel durch das schmale Fenster auf den Scheitel Lucrezia, der hell aufleuchtete.

Mit Wohlgefallen betrachteten sie Alexander und Cesare. Im Strahl tanzte eine grüne spanische Fliege.

Als der Papst die erste offizielle Messe las, bestiegen mit ihm die schönsten Frauen Roms die Sitze der Chorherren von Sankt Peter. Ich will die Priester, diese grauen Raben, nicht zu dicht vor mir sehen: sie riechen auch schlecht, die ungewaschenen Heiligen, mir und Gott wohlgefälliger sind die wohlduftende Julia Farnese, meine innigst Geliebte, meine Madonna, die ich malen lassen werde, mich selbst davor in Anbetung versunken, Lucrezia, mein Töchterchen, und all die anderen reizenden Rotkehlchen, Nachtigallen und Kolibris.

Sie zwitscherten und lächelten und lachten in seine Messe hinein.

 

Sie lächelten nach oben, er nach unten, und Julia Farnese warf eine Kußhand in sein Amen. —

Unter dem Publikum, das die Kirche füllte und diese Messe mit Erstaunen teils und teils mit Abscheu sah, befand sich der Florentiner Mönch Fra Girolamo, der während der unheiligen Handlung ohnmächtig zu Boden stürzte und von seinen Nachbarn hinaus ins Freie getragen werden mußte. Sie ließen ihn zwischen den Säulen der Vorhalle liegen.

Als er erwachte und aus einem wahnwitzigen Traum zu erwachen glaubte, stand er auf und lehnte sich an eine Säule.

Die Tränen rannen ihm, als er wieder zu sich kam, und er umarmte die Säule und küßte sie.

O Säule! Wie froh bin ich, daß du kein Mensch bist! Sei auch du dessen froh! Du hast keine Augen, die Schande Roms und der Welt zu sehen. Du hast kein Herz, die Qual dieses Lebens zu empfinden. O Stein, o kühler Stein, o lieber Stein! Kühle meine heiße Stirn, hinter der das Fieber brennt und die Simsonsehnsucht, dich und alle Säulen dieser Kirche an mich zu reißen, daß Sankt Peter über den Papst und seinen Päpstlingen krachend zusammenstürze!

Aber ach – er preßte seufzend die Säule an seine Brust —, ich bin zu schwach.

Zu schwach und zu feige.

XVIII

Audienz beim Papst. In langer Reihe, vom Magister ceremoniarium, Hof- und Zeremonienmeister Burkhard, geleitet, einem dürren, phlegmatischen Mann, der unfähig war, sich zu wundern, und alle Ereignisse des Lebens mit dem gleichen Gleichmut an sich vorüberziehen ließ – so auch diese Reihe Menschen: zogen sie vorüber und küßten auf türkische Art den Boden zu Seiner Heiligkeit Füßen – Geistliche, Nonnen, Ritter, Bauern, Frauen, Damen, Huren.

Auf letzteren weilte das Auge des Papstes mit besonderem Wohlgefallen.

Er sprach mit der einen und andern ein paar halblaute Worte, nannte eine jede Magdalena und bestellte sie in den Vatikan: die eine um vier, die andere um fünf, die dritte um sechs.

Man kann nicht zuviel von einem Gang vertragen. Abwechslung macht die Küche reizvoll. Ein Schnepfchen, ein Hühnchen, ein Täubchen! Das schmeckt. Aber drei Täubchen – die verderben einem den Magen. Als letzter der Reihe, der Papst wollte sich schon zurückziehen, trat der Florentiner Mönch Fra Girolamo auf ihn zu. Er warf sich nicht wie die andern zu Boden. Er küßte nicht den Saum seines Mantels oder seine Sandalen.

Er blieb stehen, und in seinen glühenden Augen brannte eine Forderung mehr als ein Wunsch.

Der Papst räusperte sich:

Ja – also – du bist der letzte. Was willst du, mein Sohn?

Der Mönch erwiderte:

Du bist der Erste – und siehe an – denke nach, was du tust.

Der Papst:

Willst du ein philosophisches Gespräch mit mir führen? Ich habe keine Zeit. Mein hohes Amt – Du hast keine Zeit – und willst die Ewigkeit erringen und begreifen, die aus nichts als Zeit und Zeit und Zeit besteht? Man muß Zeit haben, um die Ewigkeit zu haben. Der Mönch sprach in einem singenden, melodischen Tonfall, der den Papst einzulullen begann.

Ja, ich höre, sagte der Papst, ich höre. Und er hörte den römischen Brunnen des vatikanischen Gartens rauschen.

Weißt du, fuhr der Mönch fort, wie tief du dein hohes Amt erniedrigt hast?

So tief, dachte der Papst, so tief – er war auf eine sonderbare Art bewegt, den Anklagen des Mönches widerstandslos beizupflichten.

Durch schändliche Simonie hast du die Tiara erworben – durch Stimmenkauf —, o Schande über die Kardinale, die sich kaufen ließen! Du handelst mit Kardinalshüten wie ein Mützenmacher, mit Hirtenstäben wie ein Schreiner. Du buhlst mit allen Huren Roms, und nachts schläft der Teufel in weiblicher Gestalt bei dir. Du streust den verfluchten Samen der Borgia in alle Himmelsrichtungen. Zahllos und unzählbar sind deine Töchter und Söhne. Es gelüstet dich, auch sie zu verführen, Töchter und Söhne, du stillst deine Triebe ja nicht nur bei den Weibern – auch junge Burschen und Mönche und Ziegen und Hennen sind dir erwünscht. Es steht eine junge Stute in deinem Stall, sie wird in Milch gebadet und mit Wein abgerieben. Es ist deine Geliebte.

Borgia! Borgia! Steig hernieder vom angemaßten Thron und erweise Gott dem Herrn und Herrscher wieder die Ehre, die ihm gebührt. Laß freiwillig fahren, was deine Gold- und Machtgier sich angemaßt. Geh mit Cesare, mit Lucrezia und den Deinen aus freien Stücken in die Verbannung. Dann mag ein ökumenisches Konzil über den verwaisten Papstthron beschließen und ihm den würdigen Nachfolger Petri geben.

Der Papst hatte sich vom Sessel erhoben. Dann fiel er vor dem Mönch nieder und küßte den Saum seiner Soutane.

O – welch ein herrliches Gefühl war in ihm – wie süß, einmal erniedrigt zu sein – die Wonnen der Erniedrigung zu schmecken, getreten zu werden, beschimpft und bespien wie einst Christus, als er sein eigenes Kreuz zur Richtstätte schleppte.

Ja, zertritt mich, schrie er zum Mönch empor, bespei mich, geißle mich mit Dornen und Ruten. Ich will tun, wie du gesagt: von dannen gehen, in die Wüste fliehen. Erhebe doch die Faust und laß sie auf meinen tonsurierten Kopf niedersausen wie einen Hammer. Ich will dein Amboß sein. Speichel lief ihm aus den Mundecken.

Er fühlte, wie er der Erlösung nahe war – ah – jetzt – jetzt —

Apage, Satanas! schrie entsetzt der Mönch, schlug das Kreuz und floh.

Er sah nicht, wie der Papst sich erhoben hatte und ihm lächelnd eine geballte Faust nachsandte.

Auf den Korridoren des Vatikans begegnete Lucrezia dem Mönch, wie er umherirrte. Er fand den Ausgang nicht —

aus dem Vatikan nicht —

und nicht aus den Irrwegen seiner Seele.

Sie hielt ihn an:

Wo willst du hin? Zum Heiligen Vater?

Ich komme von ihm.

Nun, und jetzt?

Er verstummte.

Ihre Schönheit brannte wie eine Fackel in der Dämmerung vor ihm auf.

Möchtest du nicht auch der unheiligen Tochter des Heiligen Vaters deine Aufwartung machen? Sie lächelte ihm zu.

In diesem Lächeln war Gewähren, noch ehe er verlangt hatte, Erfüllung noch vor der Sehnsucht, Liebe noch vor der Begierde.

Sie sah den Gang nach links und rechts schnell herauf.

Komm – und sie zog den nicht Widerstrebenden in eine Seitenkammer, die voller Gerümpel war: alte Bilder, Kommoden, Fahnen, Gipsabdrücke.

Sie riegelte ab.

Im Halbdunkel sah er eine nackte weiße Figur vor sich. Es war ein Gipsabdruck nach einer Statue, die Umberto von Lucrezia gemacht hatte.

Willst du den Stein, lächelte Lucrezia, oder willst du mich? Du darfst wählen!

O Stein, o kühler, lieber Stein!

Und er barg den Kopf in den Schoß der steinernen Lucrezia.

XIX

An Mariä Verkündigung zog der Papst im feierlichen Zug der Kardinale, Prälaten und Adeligen nach Santa Maria sopra Minerva.

Er hielt das Hochamt und schenkte nach alter Sitte hundertfünfzig armen Mädchen die Aussteuer.

Sie mußten nach Vollzug der feierlichen Handlung an Alexander vorüberziehn: ein Zug des Harmes, des Leides, der Häßlichkeit und Schönheit.

Alexander musterte sie sehr aufmerksam. Die fünf Schönsten beschied er zur Privataudienz in den Vatikan.

Auf dem Rückweg harrten die Juden an der Tiberbrücke geduckt und demütig des Papstes. Sie waren aus den dunklen Winkeln ihres Ghettos gekrochen wie Maulwürfe.

Sie standen dichtgedrängt, wisperten und flüsterten.

Als der Papst über die Brücke geritten kam, warfen sie sich alle vor ihm nieder.

Der Älteste der Judenschaft, ein gewisser Ephraim, trat hervor und überreichte ihm die jüdische Gesetzesrolle, den in Gold gebundenen Pentateuch.

Er bat in devoten, wimmernden Worten, den Juden das Gesetz Mose zu bestätigen. Der Papst nahm die Rolle, betrachtete einen Augenblick wohlgefällig das Gold, zögerte, sprach:

Confirmamus, sed non consentimus – und ließ die Rolle in den Staub fallen.

Dann ritt er weiter.

Am Nachmittag des gleichen Tages mußten die Juden mit Pferden, Eseln, Büffeln um die Wette laufen.

Die Rennbahn ging vom Arco Domiciano bis zur Kirche San Marco.

Manche der Juden wurden vorher betrunken gemacht oder vollgestopft wie Mastgänse, so daß sie während des Rennens zu kotzen und zu scheißen begannen.

Der Papst saß am Ziel bei der Kirche San Marco und lachte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.

Den ersten Preis, ein Stück rotes Tuch, gewann ein Jude, der sich an den Schwanz eines Pferdes gekrallt hatte und kurz vorm Ziel auf das Pferd und über den Hals des Pferdes gesprungen war, so daß er als erster ankam.

Er wurde in einer gnädigen Laune des Papstes zum Fußkuß zugelassen.

Es wurde im Vatikan ein Kind geboren, von dem nach außen weder der Name der Mutter noch der des Vaters verlautbart wurde. Es erhielt in der heiligen Taufe, die der Papst selbst vornahm, den heidnischen Namen Narziß und wurde im Volke bald der römische Infant genannt.

Das Kind hatte sich der Gunst und Zärtlichkeit aller Borgia zu erfreuen.

Lucrezia hielt es oft auf den Armen, trug es im Garten umher und spielte mit ihm. Cesare blieb, wenn es ihm mit der Amme begegnete, im Gang stehen und fuhr mit seiner schmalen Hand dem Kind fast innig über den zart beflaumten Hinterkopf.

Der Papst selbst kroch, als der Knabe älter wurde, mit ihm auf allen Vieren auf dem Fußboden herum, ließ ihn auf sich reiten und schnitzte ihm aus Weidenruten Flitzbogen und Pfeile, mit denen der kleine Narziß nach den Heiligenbildern schoß und manchen Sankt Paulus und Sankt Johannes in einen Sankt Sebastian verwandelte.

Im römischen Volk kam bald das Gerücht auf, der geheimnisvolle römische Infant sei der Sohn Lucrezias, ihrem blutschänderischen Verkehr mit Alexander oder Cesare entsprossen. Denn mit beiden, so munkelte man, unterhalte sie ein widernatürliches Liebesverhältnis; das spanische Blut rase und glühe in den Borgia bis zur Siedehitze und treibe sie einander zu wie brünstige Stiere zur brünstigen Kuh. Und so maßlos sei ihre verzehrende Gier, daß sie nur untereinander Erfüllung und Befriedigung fänden. So daß nur ein Borgia eine Borgia völlig zu lieben vermöge.

XX

Um diese Zeit sollte Lucrezia mit dem erlauchten Herrn Gasparro aus dem Hause Proscida vermählt werden. Es gingen allerlei Gerüchte über die Art, wie der Plan dieser Eheschließung zustande gekommen sei und daß Lucrezia nach ihrem Vater mit dem Dolch geworfen habe.

Sie bildeten auch die stoffliche Veranlassung zu dem ersten großen, gegen die Borgia gerichteten Pamphlet, das in Flugblättern in Rom, Neapel, Florenz und bis nach Deutschland und Frankreich Verbreitung fand.

Der Titel lautete:

Idyll im Vatikan

Ein lustiges Trauerspiel

von

einem, der nicht den

Ehrgeiz hat,

genannt und – gehängt

zu werden

Garten des Vatikans

Lucrezia auf einer Schaukel. Ihre Gouvernante Julia. Alexander Borgia sitzt an einem Steintisch, mit allerlei Dokumenten vor sich, Gänsefeder, schreibt, rechnet, ißt währenddessen aus einem Korb Kirschen.

Alexander (aufblickend): Du solltest nicht so unzart schaukeln, Lucrezia – du hast ja fast nichts an – du bist ja halbnackt.

Lucrezia: Die Nymphen – waren noch nackter —

Alexander: Da hast du recht – aber damals war die Nacktheit etwas Natürliches, und damals gingen die jungen Mädchen auch noch nicht darauf aus, ihre Brüder und sogar Väter zu verführen.

Lucrezia: Was soll das heißen?

Alexander: Das heißt, was es heißt!

Lucrezia (schaukelt): Ich fliege – fliege.

Julia: Bis in den Himmel.

Lucrezia: Bis in die Hölle.

Alexander (aufblickend): Was soll das heißen ?

Lucrezia: Das heißt, was es heißt! —

Alexander: Willst du es mir nicht erklären?

Lucrezia: Wozu ?

Alexander: Man beantwortet nicht eine Frage mit einer zweiten Frage.

Julia (zu Lucrezia): Durchlaucht behnehmen sich gegen Seine Heiligkeit unqualifizierbar – un-qua-li-fi-zier-bar.

Lucrezia: Beiß dir nicht die Zunge ab, Julia!

Alexander: Wenn du dich schon gegen mich schlecht benimmst, so gewöhne dir gegen deine Erzieherin gefälligst ein anderes Betragen an.

Lucrezia (schaukelt).

Alexander: Was hast du da vorhin gemeint, mit der Hölle?

Lucrezia: Daß wir alle einmal hineinkommen …

Alexander: Wer – wir alle?

Lucrezia: Wir Borgia – an der Spitze Seine Heiligkeit Papst Alexander der Sechste – (schaukelt).

Julia: Das – ist – ja – unerhört —. Tragen Seine Heiligkeit einer armen Piemonteserin nicht die grenzenlose Unerzogenheit Ihrer Durchlaucht nach. Ich bin zuweilen machtlos.

 

Alexander: Das sind wir alle gegen dieses .... Geschöpf.

Lucrezia: Seine Heiligkeit haben mich ja – geschaffen, hätten mich eben anders machen sollen.

Julia: Lucrezia – Sie sind ein Teufel —

Lucrezia: Um so besser, dann brauche ich nicht erst einer zu werden – wie —

Alexander: Wie?

Julia: Nun – ?

Lucrezia (springt von der Schaukel): Wie Cesare. (Zu Alexander) Geben mir Eure Heiligkeit ein paar Kirschen ab – ich esse sie am liebsten leicht angefault – sind sie vergiftet? Ich hoffe nicht! (Spuckt Julia einen Kern ins Gesicht).

Julia: Eure Heiligkeit – ich bitte devotest um Entlassung aus dem päpstlichen Dienst – meine Menschenwürde wird hier in unqualifizierbarcr Weise mit Füßen getreten!

Alexander (blickt auf Lucrezia): Mit sehr hübschen Füßen.

Lucrezia: Schau, Julia, sei gescheit und bleib hier. Was soll das heißen: du willst aus unsern Diensten treten? Glaubst du, daß du lebend nach Piemont zurückkehrst? Dann kennst du uns schlecht. Du weißt zuviel von uns, Julia, um uns nicht bei unsern Feinden gefährlich werden zu können. Seine Exzellenz Cesare Borgia und Seine Heiligkeit dort am Tisch würden dich nicht weit kommen lassen. An der ersten Tiberbrücke schon würde dir ein bedauernswerter Unfall zustoßen – kannst du schwimmen? Sicher nicht. Bleib bei mir, Julia. Ich rate dir gut. Ich behandle dich schlecht, aber ich laß dich wenigstens leben. Ja, ich hab dich sogar gern. Weil ich dich gern hab, muß ich dich quälen. Aber um dich quälen zu können, muß ich dich am Leben haben. (Streichelt sie). Weine nicht, Julia. (Greift wieder in den Kirschenkorb). Mit uns Borgia ist nicht gut Kirschen essen.

Alexander: Für deine Jugend sprichst du wirklich anmaßend.

Lucrezia: Soll ich damit warten, bis ich so alt bin wie Seine Heiligkeit? Ich hoffe bis dahin weniger anmaßend zu sein.

Alexander: Wem soll ich dich eigentlich zwecks Bändigung überantworten? Einem Mann?

Lucrezia: Eure Heiligkeit waren Manns genug, mich zu machen. Eure Heiligkeit sollten auch Manns genug sein, mich – zu bändigen.

Alexander (nimmt sein Käppi ab und wischt sich die Glatze): Nein – nein – Lucrezia – damals, als ich dich machte, bin ich mit dir fertig geworden – seitdem, straf mich Gott, nicht mehr.

Lucrezia: Ja, Gott hat dich gestraft. Mit Cesare und mit mir.

Alexander: Hast du einmal daran gedacht, dich zu verheiraten?

Lucrezia: Oft.

Alexander: Mit wem, wenn man fragen darf?

Lucrezia: Mit Cesare.

Alexander: Mit Cesare? Bist du ganz von Sinnen? Cesare ist dein Bruder.

Lucrezia: Nun – und warum nicht? Er gefällt mir von allen Männern am besten.

Alexander: Kein Kompliment für mich. Hüte dich, ihm das auch nur zu sagen. Er ist sowieso schon größenwahnsinnig und eingebildet genug.

Lucrezia: Eure Heiligkeit sind auch nicht uneitel. Ich meine, wir Borgia sollten ganz unter uns bleiben – wir sollten auch nur von uns selbst Kinder bekommen – Borgia – immer nur Borgia – kein Tropfen fremdes Blut sollte in das unsere dringen – ich liebe auch Cesare nicht – auch Seine Heiligkeit nicht – aber die andern Menschen – die – die hasse ich – ja, ich hasse sie – und je mehr ihrer vernichtet werden, um so besser. Möchten Eure Heiligkeit nicht mir zuliebe einen kleinen Krieg anfangen? Geld ist doch in der Kasse, und wenn Geld da ist – finden sich auch Menschen, die sich dafür totschlagen lassen – geben mir Eure Heiligkeit ein paar tausend Dukaten, und ich führe selbst Krieg – ich weiß, Eure Heiligkeit sind geizig – leihen mir Eure Heiligkeit das Geld – ich zahle es von den Plünderungen zurück.

Alexander: Du bist entsetzlich, Lucrezia – und du weißt es nicht.

Lucrezia: Eure Heiligkeit bekommen moralische Anwandlungen? O! O! Eure Heiligkeit sind vergeßlich.

Darf ich Sie erinnern?

Alexander (hält sich die Ohren zu): Sei still – (Cesare kommt).

Cesare: Gut geschlafen, Alterchen? Morgen, Lucrezia!

Alexander: Schlecht geschlafen – dieses – Kind .... da macht mir so viel Sorgen, daß ich nachts stundenlang wach liege.

Cesare: Unsere kleine Lucrezia? Aber Lucrezia, du solltest Papa nicht solche Sorgen machen.

Lucrezia: Wenn ich Seiner Heiligkeit keine Sorgen mache, so macht sie ihm jemand anders. Das kommt auf eins heraus. Seine Heiligkeit sind Hypochonder.

Alexander: Sie nimmt mich nicht ernst, Cesare. Ein Kind, das seinen Vater nicht ernst nimmt. Furchtbar! Die Welt ist reif zum Untergang.

Lucrezia: Wir Borgia tun jedenfalls alles, um sie dafür reif zu machen.

Cesare: Wenn sie dich nicht ernst nimmt, darfst du ihr auch nicht die Ehre erweisen, sie ernst zu nehmen, Papa.

Alexander (jammernd): Sie nicht ernst nehmen – heißt, sie komisch nehmen – und damit tut man ihr nur wieder einen Gefallen – denn sie wird die tollsten Dinge anstellen, unter dem Vorwand, daß das alles komisch gemeint sei. Schließlich wird sie alle Kardinäle bezaubern oder bestechen – sie werden sie zum Papst wählen – zur Päpstin Lucrezia – meine Wahl wird für ungültig erklärt werden – sie wird uns noch alle unter die Erde bringen.

Cesare: Wenn wir es nicht vorziehen, sie vorher unter die Erde zu bringen.

Lucrezia (lacht).

Alexander: Lach nicht!

Lucrezia (lächelt).

Alexander: Lächle nicht! Dieses süffisante Lächeln macht mich ganz nervös.

Lucrezia: Eure Heiligkeit sollten wegen Ihrer Nervosität Ihren Leibarzt konsultieren.

Alexander: Cesare – hör dir dies an – so muß sich der oberste Hirte der christlichen Herde von seinem letzten Schaf behandeln lassen.

Cesare: Lucrezia – man müßte dich schlagen.

Lucrezia (blitzend, reißt ihm seinen Dolch aus dem Gehenk): Wag‘s! (Setzt ihm den Dolch an die Kehle, wirft den Dolch fort).

Alexander: Sie muß heiraten. Sie hat zu hitziges Blut.

Cesare: Du hast recht. Es gibt nur zweierlei: sie vergiften – oder sie verheiraten.

Alexander: Hier – hier ist die Liste der römischen und außerrömischen Edelleute – ich ging sie gerade durch, um zu sehen, ob nicht der eine oder andere zu höherer Steuer an den päpstlichen Stuhl veranlagt werden könnte. – Wer kommt als Mann für Lucrezia in Betracht? Ein Barberini? Ein Malatesta? Ein Sforza – haben wir schon gehabt – ein Medici – sind heruntergekommen – ein Orsini – sind mit uns böse – ein Colonna – dito – ein Este – hätte was für sich – ein Aragon – war nicht so übel, verwandt mit dem Königshaus von Neapel – ein Rovere – ein Proscida.

Lucrezia (hat den Dolch wieder aufgehoben): Ich mache Euch einen Vorschlag. Wir wollen das Gottesurteil sprechen lassen. Cesare, halte die Liste der Adeligen dort an den Baum.

Cesare: Weshalb?

Lucrezia: Du wirst sehen. Va bene. So, und jetzt werf ich mit dem Messer nach der Liste, und wen ich treffe – den heirate ich.

Cesare: Und wenn er schon verheiratet ist?

Lucrezia: Wird Seine Heiligkeit die erste Ehe kraft seiner apostolischen Machtvollkommenheit trennen und die zweite Ehe segnen.

Alexander: Sie verfügt über mich wie über ein Stück Vieh —

Lucrezia: Ein Stück Vieh – das du bist. (Wirft das Messer und trifft Alexander, der neben dem Baum stand, in die Brust).

Alexander: Hilfe! Ich bin ermordet! (Sinkt ohnmächtig zu Boden).

Cesare: Lucrezia!

Lucrezia (läuft zu Alexander, kniet nieder): Ist er tot? Ist er tot? Oh, wie ich ihn hasse, der mich in dieses Leben hineingestoßen hat – ohne mich zu fragen, ob ich seine Tochter werden wollte – o Gott im Himmel – wenn du bist – und wenn du den Schrei einer Borgia hörst – und dir vor ihm nicht die Ohren verstopfst – o laß ihn tot sein – laß ihn nicht mehr aufwachen zu neuen Schandtaten und neuen Greueln – o ich bin schon ganz behangen mit Schmerzen wie mit Perlenschnüren – ich bin ja ganz elend, Gott, ganz schlecht, weil er so schlecht ist, der mich schlecht gemacht hat – gestern nacht ist er zu mir gekommen – zu mir geschlichen auf seinen feisten Sohlen – mich – mich wollte er vergewaltigen – seine Tochter – o Cesare, Bruder, wie hab ich nach dir gerufen und gewünscht, daß du mein Mann wärst, ihm den Degen durch den fetten Bauch zu rennen – Cesare – hilf mir doch – er ist ja gar nicht schwach – er tut nur schwach – er heuchelt selbst seine Schwäche, um uns zu belügen – um mit uns zu spielen – wie er mit allen Menschen spielt.

Alexander (schwach): Cesare.

Lucrezia: Er lebt.

Cesare: Vater?

Alexander: Was ist mit mir geschehen?

Cesare: Nichts – nichts Schlimmes – Lucrezia wird sofort den Leibarzt rufen – der Dolch ist nur in die obere Brust gefahren – über dem Herzen – ein paar Tage Ruhe – und alles ist wie zuvor.

Lucrezia: Und alles ist wie zuvor.

Alexander: Wie ist denn das Messer in meine Brust gekommen? Sind Meuchelmörder im Palast?

Cesare: Keine Meuchelmörder! Nur gute Freunde.

Alexander: Und wer hat das Messer geworfen?

Lucrezia: Ich.

Cesare: Ja – Lucrezia – Lucrezia hat das Messer geworfen.