Im Eissturm der Amsel

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Sheheke shote
Spätsommer 1809 im Dorf der Mandan

Mato-wea erntete zusammen mit der Tante den Mais ihres kleinen Feldes. Auch auf den anderen Feldern waren Frauen zu sehen. Sie hatten den Maistanz getanzt und der Frau, die niemals stirbt und für alles Wachstum verantwortlich ist, für eine gute Ernte gedankt. Es war ein guter Sommer gewesen. Die erste Bisonjagd im Frühsommer hatte gutes Fleisch gebracht, und die Vorratsgruben waren schon gefüllt mit Bohnen und Kürbis; auch Beeren, wilde Zwiebeln und Prärierüben hatten die Frauen schon gesammelt. Der Mais würde ebenfalls helfen, den langen Winter gut zu überstehen. Mato-wea trug einen Korb aus Weiden am Rücken, in den sie die Kolben warf, die sie von den Stängeln brach. Ihre Cousine Sisohe-wea hütete im Dorf die Kinder. Es war zu gefährlich, die Kinder auf die Felder mitzunehmen. Zu leicht wären sie Opfer der vielen Überfälle der Feinde geworden. Zweimal waren sie schon angegriffen worden, sodass nun stets einige Krieger in der Nähe der Frauen blieben. Mato-wea schmerzte der Rücken, und sie streckte sich mit einem Seufzen.

Sie wollte gerade den nächsten Kolben brechen, als ein Wächter einen lauten Warnruf ausstieß. Sofort ließen die Frauen die Körbe vom Rücken rutschen und rannten zum Dorf zurück. Auch andere Frauen verließen fluchtartig die Felder. Dann blieben sie erstaunt stehen, als die Männer den Schutz der Palisaden verließen und in Richtung des Flusses schritten. Einige hatten ihre Waffen dabei, die anderen holten ihre Pferde und galoppierten sogar zum Wasser. Sie stießen laute Rufe aus und schienen jemanden begrüßen zu wollen.

Mato-wea folgte der Tante, die nun ebenfalls neugierig zum Ufer des Missouri ging. Dann blieb sie blinzelnd stehen, als die Sonne vom Wasser reflektiert wurde. Was sie dort sah, erstaunte sie zutiefst. Mehrere große Boote der weißen Händler näherten sich dem Ufer, und auf dem ersten stand aufrecht und in voller Pracht ihr Anführer, der vor drei Wintern mit den Weißen gegangen war, um den Großen Weißen Vater weit im Osten des Landes zu treffen. Sheheke shote, Weißer Kojote, war endlich zurückgekehrt! Er hatte immer noch seine langen Haare, aber ansonsten trug er den Anzug eines weißen Mannes. Stolz stand er da, hob grüßend sein Gewehr und genoss augenscheinlich die Aufregung, die seine Ankunft auslöste. Im Hintergrund des Häuptlings standen dessen Frau Gelber-Mais und sein Sohn, die beide ebenso die Kleidung der Weißen trugen.

Mato-wea schlug vor Staunen die Hand vor den Mund. Alle hatten geglaubt, dass Sheheke shote von Feinden getötet worden war. Ihn nun hier unversehrt zu sehen, bewies, dass er mächtige Schutzgeister hatte, die ihn beschützten. Gespannt verfolgte sie, wie die Boote anlegten und die Weißen an Land sprangen. Sie hatte dies schon einmal miterlebt, als vor drei Wintern der Mann, der sich „Clark“ nannte, zu ihnen gekommen war. Damals war sie noch ein Kind gewesen und hatte nur aus weiter Entfernung die Fremden beobachtet. Der Anblick dieser Männer war immer noch ungewohnt. Ihre fremdartige Kleidung, ihre Gesichter, ihr ungepflegtes Äußeres erschienen ihr eher abstoßend. Die Männer und Frauen der Mandan legten großen Wert auf ihr Erscheinungsbild. Die Haare waren gekämmt, und die Krieger schmückten sich ohnehin mit allerlei Zierrat und Federn. Die Weißen dagegen hatten strubbelige Haare, und manche trugen sogar Haare im Gesicht. Ihre Kleidung wirkte alt und zerschlissen, nur die Waffen schienen im guten Zustand zu sein. Was Mato-wea aber am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass diese Männer stets ohne Frauen reisten. Wer flickte ihre Kleidung? Es war ja kein Wunder, wenn sie so zerrupft aussahen, denn wahrscheinlich mussten sie es selber tun. Überhaupt schienen nur die Anführer einen ordentlichen Eindruck zu vermitteln. Sie erkannte einen Mann, der ähnliche Kleidung trug wie damals Clark, der neben Sheheke shote stand. Auch er hatte einen seltsamen Hut auf dem Kopf. Seine Füße steckten in hohen Mokassins, und er hatte knappe Leggins an. Sie wusste inzwischen, dass die Weißen so etwas „Hosen“ nannten. Sie kicherte leicht, denn sie fand das Kleidungsstück sehr unpraktisch. Wie sollte denn der Mann sein Geschäft verrichten? Dazu musste er die Hose ja jedes Mal ausziehen.

„Warum lachst du?“, wunderte sich die Tante.

„Sieh mal, diese seltsamen Beinkleider … er muss sich ja immer entblößen, wenn sein Bauch ihn drückt.“

„Hasch!“, schimpfte die Tante. „Sei still. Was weißt du schon, was für diese Männer Sinn macht? Sie haben bestimmt ganz andere Sitten, und keiner weiß, welche Medizin sie schützt.“

Mato-wea verstummte und beobachtete, was weiter geschah. Einige Krieger waren an Bord der Boote geklettert und sahen sich dort neugierig um. Niemand hinderte sie daran, und die Krieger hoben stolz ihre Waffen, als hätten sie die großen Boote erobert. Ihre braunen Körper glänzten in der Sonne, und sie vermittelten einen kampfbereiten Eindruck. Die Voyageure waren an Bord geblieben und bemühten sich um ein ruhiges Auftreten, ebenso die mitgereisten Trapper. Nur der Anführer mit seinen Soldaten hatte sich von Bord begeben. Währenddessen erreichte die Prozession das Dorf und wurde dort von Kleine-Krähe, dem Kriegshäuptling, begrüßt. Er freute sich sichtlich, einen so angesehen Krieger wiederzusehen. Alle verschwanden in der großen Behausung des Anführers, die von dessen jüngerem Bruder gehütet worden war. Auch der lächelte, obwohl ihm anzusehen war, dass er nicht ganz daran geglaubt hatte, seinen Bruder je wiederzusehen. Mit natürlicher Autorität forderte Sheke shote seine Rolle als Führer und angesehener Sprecher des Dorfes zurück. Der Anführer der Weißen trat mit einigen Männern hinein, während die anderen Männer draußen warteten. Es gefiel Mato-wea nicht, wie diese die Frauen und Kinder mit unverschämten Blicken musterten. Hatten sie denn nicht gelernt, den Blick höflich zu senken?

Einige Kinder kletterten auf das Dach der Hütte und versuchten durch den Rauchabzug zu erhaschen, was da vor sich ging. „Sie rauchen die Pfeife!“, signalisierten sie. Dann hieß es: „Sie essen!“

Geduldig warteten die Menschen darauf, dass der Heimkehrer zu ihnen sprechen würde. Es dauerte eine ganze Weile, doch dann trat Sheheke shote aus dem Erdhaus und richtete seine Worte an die Umstehenden. „Ich habe den Großen Weißen Vater im Osten des Landes besucht! Er sieht uns als seine Kinder, die er vor allem Bösen beschützen will. Ich habe viele Dinge gesehen, die so erstaunlich sind, dass ich sie kaum zu beschreiben vermag. Es kommen neue Zeiten auf uns zu, und es ist gut, wenn wir starke Verbündete haben. Ich verlasse mich auf das Wort des Großen Weißen Vaters, der Jefferson heißt. Er hat dafür gesorgt, dass ich wohlbehalten wieder zu meinem Volk zurückkehren konnte. Seht! All diese Krieger wurden geschickt, damit ich den langen Weg durch das Gebiet unserer Feinde machen kann. Einmal mussten wir schon umkehren, und viele ihrer Männer sind gefallen, als sie mich verteidigten. Ich sage euch: Das sind gute Menschen! Sie haben ihr Wort gehalten. Jean Chouteau und Andrew Henry sind nun meine Freunde, denn sie haben die Reise hierher geleitet. Es wird gut sein, in Zukunft mit ihnen Handel zu treiben.“

Beifälliges Gemurmel antwortete ihm. Die Augen der Menschen blitzten erwartungsvoll, denn sie hofften auf interessante Geschichten. Sheheke shote winkte seine Frau heran, die einen seltsamen Behälter herbeischleppte. „Seht, was die Weißen mir gegeben haben!“

Unter den staunenden Augen packte der Häuptling die seltsamsten Dinge aus: eine flache Scheibe, so klar wie das Wasser des Sees, in der man sein Antlitz sehen konnte; ein seltsamer Gegenstand, in dem ein kleiner Pfeil tickend auf Wanderschaft ging; Ketten aus seltsamem Material, die wunderschön glitzerten; eine Dose, aus der eine fremde Melodie erklang, wenn man sie öffnete. Stolz zeigte der Häuptling ihnen Decken, Stoffe, Kleidung, scharfe Messer und Beile; aber auch seltsame Mokassins – und ein Rohr, das immer länger wurde, wenn man daran zog.

Einige Menschen wichen zurück, denn es erschien ihnen wohl wie Zauberei. Der Häuptling schien sich darüber zu amüsieren, denn er schwenkte den Gegenstand vor ihren Augen hin und her. „Das ist keine schlechte Medizin! Die Weißen vermögen Dinge zu vollbringen, die auch uns helfen werden. Sie schmieden Waffen in heißem Feuer, und sie haben Boote, die so groß sind wie ein ganzes Dorf!“

Ungläubiges Gemurmel war zu hören, dann lachten einige Männer und schüttelten die Köpfe. Boote, so groß wie ein Dorf! So etwas konnten sie sich einfach nicht vorstellen. Alle warteten darauf, dass der Häuptling die Geschenke verteilen würde, doch Sheheke shote packte die Dinge wieder ein und ließ sie in die Hütte zurücktragen. Eisige Stille breitete sich aus, denn das war gegen die Tradition. Viele waren entsetzt, wie der Häuptling sich verändert hatte und schlugen einen Umhang vor ihr Gesicht.

„Er wurde von den Weißen vergiftet!“, flüsterte die Tante. „Er weiß nicht mehr, was unsere Vorfahren uns gelehrt haben.“ Sie nickte ihrer Nichte zu, ihr zu folgen, und Mato-wea gehorchte schweigend.

Auf dem Rückweg zu ihrer Hütte schloss sich auch Sisohe-wea an. „Hast du die Weißen gesehen?“, fragte sie aufgeregt.

Mato-wea nickte leicht. „Ich habe sie gesehen. Warum?“ Sisohe-wea kicherte. „Ihre Kleidung!“

Mato-wea fiel in das Lachen ein. „Ja, ich habe auch schon lachen müssen. Aber es ist nicht an uns, darüber zu urteilen. Wir sollten lieber zu den Feldern zurückgehen und den Mais ernten. Kommst du mit?“

Sisohe-wea schüttelte den Kopf „Die Kleinen sind zuhause. Ich muss zurück!“ Hurtig machte sie sich auf den Weg und rannte ihrer Mutter voraus, als würde ihr mit Schrecken einfallen, dass sie vielleicht ihre Aufgaben vernachlässigt hatte. Die Mutter folgte ihr und erreichte fast gleichzeitig mit der Tochter das Erdhaus. Dort saßen die beiden Kinder brav auf ihren Schlafdecken und sahen ihnen mit großen Augen entgegen. Sie hatten wohl geschlafen und waren gerade eben erst wieder aufgewacht. Matowea setzte sich zu ihnen und ließ sich ebenfalls etwas zu essen geben. Sie hatte Hunger und wollte erst etwas essen, ehe sie auf das Feld ging.

 

Die Großmutter setzte sich hinzu und nickte dem älteren Enkelkind auffordernd zu. „Ich achte auf die Kleinen, dann könnt ihr alle den Mais ernten.“

Sisohe-wea nickte gehorsam, obwohl sie sichtlich zögerte. Sie war nicht faul, aber nach dem Angriff der Tituwan hatte sie Angst, das Dorf zu verlassen.

Mato-wea drückte sie tröstend an sich. „Die Wächter passen doch auf. Keine Sorge!“

„Ach, ich möchte so gern hören, was der Häuptling zu erzählen hat!“

„Das wirst du! Heute Abend, wenn die Feuer brennen, wirst du die Geschichten hören. Sicherlich hat seine Frau auch viel zu erzählen. Warte nur, bis die Frauen zusammensitzen.“

Schon leuchteten die Augen von Sisohe-wea wieder. „Ob sie auch von diesen riesigen Booten erzählt?“

Mato-wea sah sie unsicher an. „Glaubst du, dass es so etwas gibt?“

„Warum sollte er es sonst erzählen?“ Sisohe-wea blickte die Cousine verblüfft an. „Niemand denkt sich so etwas aus.“ Sie wedelte aufgeregt mit der Hand. „Stell dir vor, wir hätten solche Boote. Oder so eins, mit dem die Weißen hierhergekommen sind. Da wäre es leichter, das Treibholz aus dem Fluss zu ziehen.“

Da musste ihr Mato-wea recht geben. Es war nicht ungefährlich, im Frühjahr, wenn das Hochwasser die entwurzelten Stämme brachte, mit ihren runden Bullbooten in den Fluss zu paddeln, um die Stämme ans Ufer zu ziehen und als Feuerholz zu trocknen. Ihre Boote waren ein Gerüst aus stabilen Zweigen, über die ein Bisonfell gezogen wurde. Sie waren weder wendig noch besonders sicher. Wenn eine größere Welle kam, kippten sie manchmal um oder liefen voll. Für die Jungen war es ein großer Spaß, doch immer wieder kam es vor, dass ein Junge in das Treibgut geriet und ertrank.

Mato-wea schwieg, als sie an einem Stück Fleisch kaute. Ja, so ein großes Boot wäre keine schlechte Sache! Sie stand auf und folgte den beiden wieder auf das Feld. Jede Familie hatte ihr eigenes Feld, und so hatten sie bis zum Abend allen Mais abgeerntet und in das Erdhaus zurückgetragen. Ein Teil wurde am Kolben gelassen und getrocknet. Andere Körner wurden getrocknet und zu Mehl gemahlen. Das war schwere Arbeit, denn die Körner auf einem flachen Stein zu mahlen erforderte Geduld. All diese Arbeiten aber waren notwendig und wurden ohne zu klagen getan.

Manchmal schlenderte einer der Soldaten oder Trapper vorbei, doch die Frauen ignorierten die Fremden. Die Männer blieben auf Abstand, denn offensichtlich hatte Jean Chouteau ihnen untersagt, die Frauen zu belästigen. Der Anführer der Soldaten begleitete den Häuptling, als dieser am Nachmittag die anderen Dörfer besuchte. Die Krieger hatten dem Häuptling sein bestes Pferd gebracht, und Sheheke shote hatte es mit wertvollem Zaumzeug und prächtigen Satteldecken geschmückt. Er sah aus wie bei einer Parade, als er all die Häuptlinge zu den bevorstehenden Verhandlungen einlud. Selbst Pose-cop-sa-he, was übersetzt ungefähr „Schwarze-Katze“ bedeutete, der Häuptling des Dorfes auf der anderen Seite des Missouri, war zugegen, um über die Handelsbeziehungen zu sprechen. Das Dorf hieß Roop-tarhee, und Lewis und Clark hatten es bereits vor Jahren besucht. Wahrscheinlich stammte der Name „Schwarze-Katze“ von einem Übersetzungsfehler, und sollte eher „Schwarzer-Puma“ heißen, oder irgendein Händler hatte schon früher den Mandan ein Kätzchen geschenkt.

Die beiden Häuptlinge stritten um die Vormachtstellung und mochten sich nicht besonders. Durch die lange Abwesenheit von Sheheke shote sah nun Schwarze-Katze seine Position als angesehener Sprecher und Anführer gefährdet.

Sheheke shote, als Sprecher von Mitutanka, ignorierte diese Ansprüche. Die Weißen hatten ihn zum Häuptling erklärt, nicht wissend, dass es diese Führungsrolle so nicht gab. Sie lösten damit Rivalitäten und Kämpfe um die Vormachtsstellung aus. Jeder wollte beweisen, dass er die besseren Beziehungen zu den Weißen hatte. Auch Schwarze-Katze hatte bereits Verhandlungen mit den Hidatsa und Arikara aufgenommen, weil er Lewis und Clark beim Aufbau eines amerikanischen Handelsnetzwerks helfen wollte. Ihre Feinde, besonders die Ojibwe, Cree und Tituwan handelten mit der Hudson‘s Bay Company – also war es gut, neue Verbündete zu finden.

Als die Menschen sich am Abend an dem großen Platz einfanden, saßen die Häuptlinge bereits mit Chouteau und Henry zusammen. Ein Métis-Händler stand aufmerksam neben den Sprechern, um zu übersetzen. Gespannt saßen die Männer in zwei großen Kreisen auf ihren Decken, während sich die Frauen und Kinder dahinter einfanden. Zuerst erzählte Sheheke shote von seinen Erlebnissen auf der langen Reise. „Der Große Weiße Vater in Washington hat mich zum Essen eingeladen. Er lebt in einem Haus, das viele Male größer als unsere Hütten ist, und es ist so gebaut, dass drei Hütten übereinander stehen, die man über Stufen erreicht! Von diesem Haus führen Wege aus Stein wie die Strahlen des Morgensterns in alle Richtungen.“

Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge, und die Menschen schüttelten die Köpfe. Drei Hütten konnte man nicht übereinander bauen. Das wusste doch jeder!

Unbeirrt sprach Sheheke shote weiter: „Ich durfte mit einer Kutsche fahren. Das ist ein seltsames Ding, das vier große Reifen aus festem Holz hat und von Pferden gezogen wird. Es ist sehr seltsam, darin zu reisen, denn man sitzt nicht am Boden.“

Die Menschen schwiegen verunsichert und zeigten kaum eine Reaktion. Zu fremd waren die Dinge, die er beschrieb. „Die Weißen bauen viele dieser großen Hütten. Sie haben Dörfer und Wege aus Stein, und sie sind so zahlreich, dass man sie nicht zählen kann. Ihre Dörfer und Felder bedecken den Boden, und sie arbeiten mit Werkzeugen aus Eisen. Es ist gut, wenn wir von ihnen lernen können. Ich habe so viel gesehen, was ich vorher noch nie erblickt habe! Es wird viele Abende dauern, davon zu berichten. Die Amerikaner sind ein mächtiges Volk, viel mächtiger als die Briten im Norden. Sie wollen mit uns Handel treiben und suchen den Frieden mit uns. Doch hört selbst die Worte unserer Freunde!“ Er machte eine großzügige Handbewegung und gab das Wort an Jean Chouteau weiter.

Das Gesicht von Schwarze-Katze blieb ausdruckslos, obwohl es eine klare Herabsetzung war. Chouteau merkte davon nichts und trat in seiner eindrucksvollen Uniform vor. Mit salbungsvollen Worte, die von dem Méti übersetzt wurden, sprach er von einem ewig währenden Frieden. „Wir sind Verbündete, und als Verbündete werden wir euch im Kampf gegen eure Feinde unterstützen!“, versprach er zum Schluss.

Zum ersten Mal erhob sich Schwarze-Katze. „Und wie sieht diese Unterstützung aus?“, fragte er. Wieder ging ein Raunen durch die Menge, denn die Frage klang eher nach einer Herausforderung.

Chouteau ließ sich nicht beirren. „Wir bringen euch Waffen, damit ihr euch besser verteidigen könnt. Wir werden ein Papier aufsetzen, das euch zu Freunden der Amerikaner macht. Seht das Zeichen unseres Bündnisses!“ Er wickelte eine amerikanische Flagge aus und überreichte sie Sheheke shote. Dann ließ er eine weitere Flagge kommen und übergab sie Schwarze-Katze. „Wenn dieses Symbol über euren Dörfern weht, dann wissen alle Stämme, dass ihr mit uns verbündet seid! Sie werden zum Handeln kommen, und ihr werdet wichtige Partner sein.“

Schwarze-Katze machte eine abfällige Handbewegung. „Es kamen schon vorher Menschen, die uns diese Fahnen brachten und uns den Handel versprachen. Die Hidatsa und Arikara werden kommen, aber die Tituwan werden ihr räuberisches Leben fortsetzen.“

Chouteau wartete auf die Übersetzung und nickte dann voller Verständnis. „Es wird Zeit brauchen, aber eines Tages werden auch diese Stämme merken, dass es besser ist, sich mit uns zu verbünden.“

Schwarze-Katze kniff die Lippen zusammen. „Wir werden sehen.“

Am nächsten Tag ließ sich Schwarze-Katze über den Fluss rudern, was eher ein schlechtes Zeichen war. Die Weißen verluden frische Vorräte und machten sich für den Aufbruch bereit. Sie wollten noch vor dem Winter weiter den Strom hinauf und einen guten Platz für einen Handelsposten finden.

Mato-wea beobachtete diese Tätigkeiten mit Genugtuung. Die vielen fremden Menschen verunsicherten sie. Sie wollte mit der Tante noch Pilze und letzte Beeren sammeln, doch die Frauen trauten sich ohne Begleitung nicht aus dem Dorf. Die fremden Männer boten den Mädchen hübsche Sachen an und verschwanden dann mit ihnen hinter irgendwelchen Büschen. Es war nicht verboten, aber Mato-wea verstand nicht, warum die Männer nicht wirklich um ein Mädchen warben. Sie wollte nicht angesprochen werden, weil sie nicht wusste, wie sie sich verständlich machen konnte. Selbst das Baden am Morgen erschien ihr lästig, denn die Weißen respektierten offensichtlich die Badeplätze der Frauen nicht und stellten sich ungeniert dazu, um sie zu beobachten.

Mato-wea hüllte sich stets in eine Decke und zeigte so, dass sie kein Interesse hatte.

Ihre Cousine zeigte sich da unbesorgter, aber sie galt ja auch noch als Kind. Mato-wea nahm sie und die beiden Kinder stets zum Baden mit, weil ihr das am sichersten erschien. Sie wusch die beiden Nackedeis, kämmte ihnen die kurzen Haare, legte ihrer Cousine die Haare in ordentliche Zöpfe und kehrte dann schnell mit ihnen ins Dorf zurück. In Begleitung der Kinder erschien sie diesen Fremden offensichtlich nicht begehrenswert.

Kurz vor der Abreise der Expedition erschallte erneut der Warnruf durch das Dorf und kündigte ein weiteres Boot an. Es war ein kleineres Boot, das von einigen Weißen gerudert wurde und keinen Aufbau hatte. Es kam aus westlicher Richtung stromabwärts, also aus der anderen Richtung als die Boote der Expedition von Chouteau und Henry.

Laute Rufe klangen über das Wasser, als die Weißen sich schon aus einiger Entfernung begrüßten. Mato-wea stand da und beobachtete verwundert, wie das Boot anlegte und die Männer sich um den Hals fielen und manchmal sogar auf beide Wangen küssten. So etwas hatte sie noch nie gesehen! Immer mehr Menschen trafen ein und schauten sich das Spektakel an, das dort stattfand. Ein junger Mann mit lockigem braunen Haar und einem leichten Bart schien der Anführer zu sein. Er reichte dem anderen Anführer die Hand, und die beiden gingen an Bord eines der größeren Boote. Es war unhöflich, denn eigentlich hätte der Ankömmling zuerst mit dem Häuptling sprechen müssen. Sheheke shote stand bereits vor dem Dorf und versammelte die Männer hinter sich. Schweigend standen nun alle da und warteten mit ausdruckslosen Gesichtern auf die Begrüßung. Die anderen Männer, die an Land gesprungen waren, stellten sich ihnen gegenüber, und eine gewisse Spannung entstand.

Mato-wea gesellte sich zu den Frauen und wartete ab, was nun geschehen würde. Flüsternd spekulierten sie über die Absichten der Fremden. „Ob diese da auch handeln wollen?“, fragte Sisohewea leise.

„Da sind keine Soldaten dabei!“, stellte Mato-wea fest. Es stimmte. Während die Expedition von Chouteau aus Soldaten, Voyageuren und Trappern bestand, steckten die Ankömmlinge nur in praktischer Lederkleidung. Mato-wea dagegen fand die Uniformen der Soldaten, die aus blauen Jacken und hellen Hosen bestand, viel schöner. Sie dachte, dass jeder einzelne ein Anführer wäre.

Der Anführer der Trapper kam nun in Begleitung von Jean Chouteau, Andrew Henry und dem Méti wieder von Bord. Gemeinsam schritten sie zum Häuptling und begrüßten ihn in der Sprache der Mandan. Der Méti entschuldigte sich für die Unhöflichkeit, erst untereinander gesprochen zu haben, und erklärte es damit, dass die beiden Anführer nach ihm gesucht hätten, damit ihre Worte sogleich übersetzt wurden. Sheheke shote lächelte verbindlich und nickte erfreut. „Es ist gut, wenn unsere Worte verstanden werden!“

Mit einer Handbewegung lud er die drei ein, ihm ins Dorf zu folgen. „Lasst uns rauchen und dann sprechen.“ Er sagte nichts zu den anderen, sodass diese am Ufer stehen blieben und sich erst einmal nicht ins Dorf trauten. Etwas verdattert schauten sie ihrem Anführer nach, der sich kurz umdrehte und mit Handzeichen das Signal gab, dass sie sich nicht rühren sollten.

Mato-wea kicherte leicht und blieb ebenfalls stehen, um die Trapper weiter zu beobachten. So eine seltsame Begrüßung hatte sie noch nie erlebt. Es war, als würde eine Klapperschlange vor einer Maus sitzen und nicht wissen, ob sie zubeißen sollte. Genauso wie die Maus nicht wusste, ob sie lieber weglaufen sollte. Beide Parteien belauerten sich, ohne sich zu rühren. Erst nach einer ganzen Weile kam Sheheke shote mit seinen Gästen wieder heraus. Er wirkte sehr zufrieden und wandte sich nun an die Männer. „Die weißen Händler wollen Vorräte eintauschen. Nördlich von hier wird ein Handelsposten errichtet, zu dem wir kommen können, um Pelze zu tauschen. Diese Männer hier sind Freunde von Chouteau und Henry. Der Handelsposten wird von Manuel Lisa geführt, den wir alle kennen und mögen. Es sind ehrliche, gute Menschen!“

 

Die Menschen entspannten sich bei diesen guten Neuigkeiten. Die Frauen sahen zu, wie die Männer einige Ballen von Bord holten, um sie gegen Vorräte zu tauschen. Die Weißen wollten Bisonfleisch, und das hatten die Mandan zur Genüge. Einige Kinder kamen näher und wurden eingeladen, das Boot zu besichtigen. Vergnügt kletterten sie über die Ruder, tasteten nach den Tauen und Seilen und inspizierten das Innere des Bootes. Die Frauen näherten sich den Waren, die auf Decken angeboten wurden und gegen Fleisch und Mais eingetauscht werden sollten. Nachdem die Frauen den Mais selbst gepflanzt und geerntet hatten, bestimmten sie selbst, was sie dafür haben wollten. Energisch schickte die Tante Mato-wea los, um einen Korb zu holen. „Sieh nur, was es hier für schöne Dinge gibt!“, schwärmte sie.

Auch der Onkel kam, um sich an dem Tausch zu beteiligen. Er bot getrocknetes Fleisch an, für das er Pfeilspitzen, ein Messer und ein Beil erhielt. Die Tante suchte sich für den Mais einen bunten Schal und Perlen aus, mit denen sie ihr Kleid verzieren wollte. Sie waren auf Ketten gezogen, sodass man die Perlen auch als Kette tragen konnte, solange man sie nicht zum Sticken brauchte. „Sind die nicht schön?!“, freute sie sich. Sie kicherte leicht, als sie von dem Trapper auch noch einen kleinen Spiegel erhielt. Der Trapper schien das nicht ohne Hintergedanken zu machen, denn immer wieder streifte er Mato-wea mit einem flüchtigen Blick. Manchmal lächelte er sie auch an.

Mato-wea blickte dann immer zu Boden, denn diese Blicke waren ihr unangenehm. Was wollte dieser Mann von ihr? Er sprach ein paar Brocken Mandan und machte sogar Scherze. Es wirkte harmlos, denn inzwischen brachten mehr Menschen ihre Vorräte und tauschten sie gegen Kessel und manchmal sogar Waffen. Dann blieb ihr Herz stehen, als der Trapper einen besonderen Wunsch äußerte: Er wollte eine Frau eintauschen! Er kannte das richtige Wort nicht und behalf sich mit der Zeichensprache. Da war es eindeutig: Er suchte nach einer Frau! Der Onkel war sichtlich überrascht und hob verneinend die Hand. Er schien es für einen Scherz zu halten, doch der Trapper gab nicht auf. Wieder deutete er auf Mato-wea und wiederholte sein Angebot. Er lächelte freundlich und legte ein Gewehr auf die Decke – ein unglaublich wertvolles Geschenk!

Der Onkel konnte die Gier in seinen Augen kaum verbergen. Ein Donnerstock war ein Angebot, das kaum auszuschlagen war. Trotzdem legte er den Kopf schief und taxierte den Mann aus seinen schwarzen Augen. Würde dieser Mann seine Frau auch gut behandeln? Ein Gewehr war immerhin wertvoll genug, dass er die Nichte auch zurücknehmen würde, wenn sie den Mann verließ, aber er wollte trotzdem prüfen, ob der Mann großzügig war. „Was gibst du ihr?“, fragte er herausfordernd.

Der Trapper lächelte wieder und zog einen Kessel und eine schöne Decke hervor. Beides übergab er Mato-wea, die hilflos neben ihrer Tante stand, als der Handel besiegelt wurde. Die Tante nahm die Geschenke entgegen und lobte den Händler. „Sieh nur, was er dir schenkt!“

Mato-wea pochte das Herz. Sie bekam keine Luft, als ihr klar wurde, dass sie gerade mit dem Fremden verheiratet wurde. Ja, ihr Onkel hatte davon gesprochen, einen Mann für sie zu suchen, vielleicht sogar einen Weißen, aber dass es nun so schnell ging, erschütterte sie. Ihr Onkel kannte doch diesen Weißen gar nicht! Woher wollte er wissen, ob sie in gute Hände kam? Andererseits waren es wirklich wertvolle Geschenke, die zeigten, dass dieser Weiße sie gut versorgen würde. Ob er sie auf diesen Boot mitnahm? Würde er ihr noch mehr von diesen hübschen Stoffen und Perlen geben? Der weiße Trapper war jung und hatte ein nettes Lächeln, das zeigte, dass er vielleicht ein guter Ehemann wäre. Sie schluckte schwer, denn auch bei einem Ehemann der Mandan würde ihr Onkel entscheiden und auf ihre Gefühle wenig Rücksicht nehmen. Dieser Weiße war vielleicht keine schlechte Wahl, denn er schien ausgeglichen und freundlich zu sein.

Der Onkel machte das Zeichen für einen Vertrag, was die Heirat besiegelte. Er nahm das Gewehr und hielt es prüfend vor die Augen, dann sah er den Mann wohlwollend an. „Heute bist du mein Gast, und morgen wird Mato-wea mit dir gehen!“

„Bien!“, meinte der Trapper strahlend vor Freude. Er winkte einen Mann herbei, der weiter mit den Wartenden handeln sollte, während er sich dem Onkel anschloss, der ihn zu seiner Hütte führte.

Die Tante nahm Mato-wea an der Hand und führte sie ebenfalls ins Dorf zurück. Vielleicht hatte sie Angst, dass ihre Nichte einfach davonlaufen würde.

Mato-wea folgte der Tante wie betäubt und setzte sich auf die Frauenseite des Erdhauses. Die beiden Kinder spielten dort und verkrochen sich dann, als sie den Trapper in ihrem Haus sahen. Auch Sisohe-wea versteckte sich lieber bei den Kindern. Der Händler lächelte ihr freundlich zu und sah sich dann vorsichtig um. Dabei streifte er seine Braut immer wieder mit einem flüchtigen Blick. Vielleicht konnte auch er nicht ganz glauben, dass sie bald ihm gehören würde.

„Pierre!“, stellte er sich höflich vor. „Ich heiße Pierre DuMont!“

„Pär!“, wiederholte der Onkel, und alle lachten fröhlich.

Der Weiße hatte alle Mühe, die Namen der Familienmitglieder auszusprechen, nur bei Mato-wea gab er sich sichtlich Mühe. „Mato-wea!“, flüsterte er ohne Akzent. „Was bedeutet das?“, erkundigte er sich.

„Bärenfrau!“, zeigte der Onkel in Zeichensprache. „Ihre Mutter war eine große Heilerin, daher der Name.“

Pierre war etwas irritiert. „Du bist nicht ihr Vater?“

„Nein, Bruder von Vater!“, erklärte der Onkel. „Vater starb vor zwei Wintern! Mutter starb vor vielen Wintern.“

„Oh!“ Der Weiße zeigte ehrliche Betroffenheit. „Das macht mein Herz schwer!“

Mato-wea senkte den Blick und wurde ruhiger. Es war eine nette Geste, und das zeigte ihr, dass dieser Mann wohl nicht brutal sein würde. Trotzdem fürchtete sie sich. Sie kannte ihn nicht und wusste nicht, wohin er sie führen würde. Bisher kannte sie nur dieses Dorf und wusste nichts von der Welt der Weißen. Sie blieb mit ihren Gedanken allein, denn Onkel und Tante ließen sich zu gerne mit weiteren kleinen Geschenken verführen. Es wurde spät, ehe der Mann zu seinem Boot zurückkehrte. „Morgen!“, freute er sich.

„Morgen!“, bestätigte der Onkel den Vertrag.

Die Tante aber setzte sich zu Mato-wea und begann, das Bündel für ihre Nichte zu packen. Sie plapperte dabei unentwegt und gab ihr gute Ratschläge. „Nimm warme Kleidung mit und ein warmes Fell. Und sieh nur, was der Weiße dir für Geschenke gemacht hat!“

Auch der Onkel setzte sich dazu und nahm ihre Hand in die seine. „Er wird dir ein guter Mann sein! Er ist großzügig und freundlich. Bei ihm wirst du gut versorgt sein. Sei freundlich zu ihm, so wie wir es dich gelehrt haben; sei fleißig und schenke ihm Kinder.“

Mato-wea nickte gehorsam und versuchte die Angst zu kontrollieren, die in ihr hochstieg. Mit fahrigen Bewegungen suchte auch sie nach Dingen, die sie mitnehmen wollte. Dabei drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf, sodass sie ihre Tante hilflos ansah. Ihre Tante nahm es nur als Aufregung vor der bevorstehenden Hochzeit und kicherte leise. „Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut werden. Dieser Weiße wird dir ein guter Ehemann sein, denn er will ja gute Beziehungen zu uns haben.“