Im Eissturm der Amsel

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Pierre nickte nur und wartete dann ab, was Lisa und die anderen entscheiden würden. Vazquez wedelte ungeduldig mit der Hand. „Die Feuer sind gut zu sehen! Wir müssen unbedingt Wachen aufstellen! Außerdem sollte jede Mannschaft in der Nähe ihres Bootes bleiben – für den Fall, dass wir angegriffen werden. Im Moment wären wir leichte Beute.“

„Die Feuer brauchen wir aber, um uns aufzuwärmen!“, wandte Manuel Lisa ein. „Ich gehe rum und sag den Jungs Bescheid, dass sie aufpassen sollen! Bei dem Scheißwetter werden sich auch die Indianer hier nicht herumtreiben. Die sind ja nicht lebensmüde.“

Vasquez nickte. „Und morgen sehen wir nach, ob wir stromabwärts etwas von der verlorengegangenen Ladung bergen können. Hoffentlich findet der Suchtrupp noch Überlebende.“ Seine Augen blickten sorgenvoll in die Runde.

„So ein Sauwetter!“, brachte es Pierre auf den Punkt.

„War so nicht vorhersehbar“, meinte Vasquez auf seine ruhige Art. Er lebte lange genug in der Wildnis, um solche Zeichen zu deuten, aber manchmal wurde auch er von den Wetterkapriolen überrascht. „Kam wohl von den Bergen runter. Dabei hätten mich meine Narben eigentlich vor dem kalten Wetter warnen müssen. Sie jucken sonst immer, wenn Schnee kommt.“

Lisa lächelte kurz und wurde dann wieder ernst. Er hatte lange genug Expeditionen geleitet, um sich durch einen späten Wintereinbruch aus dem Konzept bringen zu lassen. „Wir warten ab, wie es morgen wird und setzen dann unsere Fahrt fort!“, sagte er leidenschaftslos. „Ich will den Missouri erreichen und die Blackfeet hinter uns lassen.“

Pierre legte leicht den Kopf schief. „… glaube nicht, dass wir da in Sicherheit sind. Da müssen wir schon noch ein paar Meilen mehr zurücklegen.“

Manuel Lisa gab ihm grinsend recht. „Das meine ich auch! Ich dachte an die Mandan! Dort haben wir schon mehrfach Rast gemacht. Sie mögen unsere Handelswaren und sind treue Freunde. Wahrscheinlich wäre es gut, dort einen Handelsposten zu eröffnen.“

Vasquez nickte beipflichtend. „Ich dachte eigentlich an eine Stelle, wo der Yellowstone in den Missouri mündet. Dort wäre es günstig, ein Fort zu bauen. Aber wahrscheinlich hast du recht, dass dies noch zu nahe bei den Blackfeet ist. Weiter stromabwärts gibt es viele Möglichkeiten. Die Hidatsa, Mandan, selbst die Arikara und Pawnee, wollen den friedlichen Handel mit uns. Versuchen wir es erst einmal dort!“

„Sheheke shote, ein Häuptling der Mandan, ist sogar bis nach Washington gereist, um den Präsidenten zu treffen. Er hilft uns bestimmt.“

„Ach, wahrscheinlich sind die anderen Häuptlinge eher eifersüchtig auf ihn. Darauf würde ich mich nicht verlassen“, wandte Vasquez ein.

Lisa zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen, wie viel Macht er tatsächlich hat, wenn er zurückkehrt.“

Pierre ging zu seinem Lagerplatz zurück und blickte auf die Männer, die auf einigen Kisten saßen. Sie hatten die Ladung einfach um das Feuer gestellt und freuten sich über die trockenen Sitzplätze. Grinsend setzte sich Pierre ebenfalls auf eine Kiste und ließ sich eine Schüssel von der Suppe geben. „Habt ihr auch Kaffee?“, fragte er mit einem Seufzen. Nichts half besser gegen Kälte und Gliederschmerzen als eine heiße Tasse Kaffee. „Mais oui!“, meinte einer der Voyageure und reichte ihm einen Zinnbecher mit der dampfenden Flüssigkeit. Pierre nahm einen tiefen Schluck und sah dann prüfend in den Himmel, an dem erste Sterne zu sehen waren. Es klarte also auf! Als wäre nichts gewesen, hatten sich die Wolken verzogen.

Es verging eine Weile, in der alle mit Essen beschäftigt waren oder sich um ihre Ausrüstung kümmerten. Dann brach Unruhe aus, als einige der Trapper mit Überlebenden zurückkehrten. Die Männer liefen zusammen und versammelten sich um die Geretteten. Insgesamt sechs Männer konnten sich ans Ufer retten und waren nun froh, sich an den warmen Feuern aufwärmen zu können. Hilfsbereite Hände reichten ihnen Schüsseln mit Suppe, die gierig gegessen wurde. Die Männer waren froh, mit dem Leben davongekommen zu sein, und gedachten derer, die nicht so viel Glück gehabt hatten. „Vielleicht finden wir morgen noch Überlebende?“, hoffte Lisa. Jeder Verlust schwächte die Expedition.

Einer der Männer schüttelte den Kopf. „Wir haben nach ihnen gerufen, aber keine Antwort bekommen.“

„Vielleicht sind sie weiter stromabwärts an Land gegangen?“

„Dann sind sie tot. Es war viel zu kalt. Ich konnte fast nicht an Land schwimmen, so langsam wurden meine Bewegungen. Ich hätte keine Minute länger durchgehalten.“

Es wurde still nach dieser Bemerkung. Alle wussten, dass die Einschätzung wohl richtig war. „Und das Boot?“, erkundigte sich Pierre.

Einer der Männer zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Der Fluss ist ja nicht tief. Das Wrack wird schon irgendwo liegen.“

„Dann können wir vielleicht noch einen Teil der Ladung bergen!“, hoffte Lisa.

Der Mann zuckte mit den Schultern, und sein Ton wurde aggressiv. „Mich kriegst du jedenfalls nicht mehr ins Wasser!“ Leises Gelächter antwortete ihm, und niemand nahm ihm die Äußerung übel. Gebadet hatte dieser Mann jedenfalls genug.

Ree
Frühjahr und Sommer am Cannonball- und Grand-Fluss

Wambli-luta blickte auf das riesige Dorf, das sich vor ihm ausbreitete. Er kam gerade von einem Erkundungsritt zurück, und er freute sich auf seine Freunde. Hunkpapa, Sihasapa und Itazipco hatten sich für die große Sommerjagd zusammengefunden und ihre Dörfer in einigen großen Kreisen aufgeschlagen, die lose miteinander verbunden waren. In der Mitte standen die Zelte der Kriegergesellschaften, und fast jeden Abend gab es Tänze und Festessen. Ansonsten hatten die Krieger der einzelnen Gesellschaften ihre Tipis in den vier Himmelsrichtungen am Rand der Dörfer aufgestellt, um bei einem Angriff schnellstmöglich die Verteidigung zu gewährleisten. Als Akicitas waren wieder vier Krieger der Canté-tinza, der Strong-Heart Gesellschaft, gerufen worden, die nun über die Ordnung im Dorf der Hunkpapa wachten und weitere Männer ihrer Society als Helfer erwählten. Sie hatten alle Hände voll zu tun, denn einige Jungen machten in ihrem Eifer die Männergesellschaften nach und wollten nun ebenfalls die Bisons jagen. Sie hatten sich Ponys geholt, waren einer kleinen Herde gefolgt und hatten zwei Kälber isoliert, um sie mit ihren Kinderbögen zu erlegen. Die Mutterkühe fanden das wohl nicht so lustig und gingen mit gesenkten Häuptern auf die Jungen los. Die Kinder hieben den Ponys die Fersen in den Bauch, doch eine aufgebrachte Bisonkuh war mindestens so schnell wie ein Pferd, und so gerieten die Kinder in Lebensgefahr. In ihrer Angst waren sie ins Dorf zurückgeprescht – leider mit den wütenden Bisons, die ihnen folgten. Nur durch das beherzte Eingreifen einiger dieser Männer konnte das Schlimmste verhindert werden. Die Kühe wurden verjagt, doch bei ihrer Flucht warfen sie Kochgestelle und Ausrüstung um.

Ein kleines Mädchen konnte nur im letzten Augenblick vor den donnernden Hufen in Sicherheit gebracht werden. Natürlich hatten die Menschen im Dorf mit so einer Gefahr gerechnet, denn Späher überwachten die weitere Umgebung, doch dass eine wütende Bisonkuh bis ins Dorf stürmte, war eine ziemliche Überraschung. Die Eltern der Knaben gaben großzügige Geschenke an die Familien der Geschädigten. Es wäre nicht nötig gewesen, da Knaben schon früh mit der Jagd vertraut gemacht wurden. Dass es dabei zu Unfällen kommen konnte, gehörte zum Leben. Die Familien aber freuten sich über die Großzügigkeit, und so war der Vorfall schnell vergessen.

Wambli-luta überließ sein Pferd einem Knaben, der vor Stolz platzte, als er das Pferd zur Herde reiten durfte. Hungrig und müde schlüpfte der Mann in das Tipi, das in der Gruppe der Tinazipe-Sica an der dritten Stelle des Kreises stand. Es war nicht weit vom Fluss entfernt. Für die Mutter war das praktisch, denn so hatte sie es nicht weit, um Wasser zu holen. Er ließ sich auf sein Lager plumpsen und wartete höflich ab, bis die Mutter ihm etwas zum Essen reichte. Der Vater saß vermutlich wieder im Zelt der Wakincun und beriet sich mit den anderen Ältesten. Wambli-luta sah auf, als die Mutter ihn fragte, ob er Bisons gesehen hätte.

„Hiya“, verneinte er mit ruhiger Stimme. Er machte sich noch keine Sorgen, denn die Bisons würden schon kommen.

Die Mutter dagegen konnte sich noch an Zeiten erinnern, als die Jagd schlecht gewesen war und sie sogar Mais bei den Ree oder Miwatani eintauschen mussten. „Ich hoffe, sie kommen bald?“

„Wir werden sie rufen!“, erklärte Wambli-luta zuversichtlich. Er wandte sich dem Essen zu und hing seinen Gedanken nach. Seine Mutter arbeitete still vor sich hin, und er wunderte sich, wo seine Schwester steckte. „Wo ist Anpao-win?“

Er lächelte leicht, denn er vermutete, dass sie im Zelt ihrer Freundin steckte. Trotzdem kam sie langsam in das Alter, in dem junge Männer ein Auge auf sie warfen und es besser war, wenn die Mutter oder Großmutter sie stets begleitete. Als älterer Bruder wurde von ihm erwartet, dass er auf die Tugendhaftigkeit der jüngeren Schwester achtete.

„Sie ist bei Unci und hilft ihr beim Beerensammeln“, erzählte die Mutter. „Ich habe mir den Fuß verstaucht und bleibe lieber im Tipi. In ein paar Tagen wird es besser sein. Dann kann ich sie wieder begleiten.“

„Es ist gut, dass sie Großmutter hilft. Die Beeren sind reif und schmecken bestimmt lecker zum Bisonfleisch.“ Er warf einen Blick auf ihr Bein. „Was ist passiert?“

„Ach, nichts!“, wehrte sie ab. „Ich bin am Ufer ausgerutscht und habe mir am Knöchel wehgetan.“

„Er ist nicht gebrochen?“

„Nein, nein … nur ein wenig geschwollen. Ich habe einen Stock, um das Bein etwas zu entlasten. Aber am besten ist es, wenn ich still halte. Ich habe eine Salbe aus Bärenfett, mit der ich den Knöchel einreibe.“

 

„Das ist gut!“

Wambli-luta verließ das Tipi und schlenderte zum Versammlungszelt der Tokala-Gesellschaft. Einige Männer waren mit Vorbereitungen für den Abend beschäftigt, und er half ihnen dabei, die Regalia herzurichten. Die Tage waren bereits lang, und viele Menschen waren noch unterwegs, um Beeren zu sammeln, zu jagen oder Holz zu holen. Er horchte auf, als weitere Reiter ins Dorf zurückkehrten und sich schnell die Kunde verbreitete, dass Ree in der Nähe waren. Mato-ska-cikala berichtete, dass er einen großen Trupp gesehen hätte, der wohl ebenfalls Bisons jagen wollte. Die Häuptlinge ließen sofort durch einen Herold das Dorf warnen, und einige Männer brachen auf, um die Frauen zurückzuholen, die noch in der Umgebung unterwegs waren. Auch Wambliluta holte seine Waffen und ritt los, um nach seiner Großmutter und Schwester zu suchen. Dabei stieß er auf weitere Frauen, die bereits von der Gefahr gehört hatten und zum Dorf zurückhasteten. „Habt ihr meine Schwester und Großmutter gesehen?“, fragte er besorgt.

Eine Frau wedelte mit der Hand in die Richtung weiter stromabwärts. „Dort vorne.“

„Hohch!“ Wambli-luta holte sicherheitshalber seinen Bogen aus dem Köcher, nahm einen Pfeil in den Mund, einen zweiten in die Bogenhand und trieb sein Pony zum Galopp an. Zwischen einigen Büschen entdeckte er schließlich die beiden und brachte sein Pony mit rutschenden Hufen zum Stehen. Erschrocken blickten die beiden Frauen auf und ließen die Zweige zurückschnellen, von denen sie gerade die Beeren zupften. „Toka he?“, fragte die Großmutter. Was ist los?

„Lauft schnell ins Dorf. Späher haben Ree in der Nähe entdeckt …“ Er brach ab, als erkannte, dass es zu spät war. Durch das Tal kam bereits eine größere Gruppe der Feinde. Vielleicht hatten sie hier nicht mit einem Dorf der Tituwan gerechnet, aber drei Feinde außerhalb des Schutzes eines Dorfes vorzufinden, war immer eine gute Gelegenheit. Unvermittelt gingen die Ree zum Angriff über.

Wambli-luta zögerte keinen Augenblick. Er rutschte vom Pferderücken und befahl mit harscher Stimme, dass die beiden Frauen aufsitzen sollten. Er hob die Schwester einfach auf den Pferderücken und hielt dann die verschränkten Hände hin, damit die Großmutter hinter dem Mädchen aufsitzen konnte. Er gab dem Pferd einen Klaps und sah kurz zu, wie es in Richtung des Dorfes jagte. Entschlossen steckte er ein paar Pfeile in den Boden und wartete auf das Unausweichliche. Er wusste, dass er gegen die gut zwanzig Männer keine Chance haben würde. Aber es war sein Schicksal. Er hoffte nur, dass er die Feinde lange genug aufhalten konnte, damit seine Familie es ins Dorf zurück schaffte. Er sah, wie zwei dieser Feinde sich von der Gruppe absetzten und dem Pferd mit den beiden Frauen hinterhergaloppierten. Sie stießen Kriegsrufe aus und hatten ihre Speere erhoben, um die Frauen vom Pferd zu stoßen. Wambli-luta überblickte die Situation, legte einen Pfeil auf und schickte ihn dem ersten Mann hinterher. Der Pfeil war gut geschossen, denn er traf dem Mann in die Schulter. Durch die Wucht des Aufpralls stürzte er kopfüber vom Pferd. Er rappelte sich wieder auf, war aber kampfunfähig. Der andere stutzte kurz und wandte sich dann mit einem Wutschrei gegen den Krieger. Wambli-luta wurde nun von zwei Seiten angegriffen. Wieder schnellte ein Pfeil von der Sehne, und er traf den Krieger, der ihn fast erreicht hatte. Mit einem Gurgeln stürzte dieser ins Gras, doch Wambli-luta wusste, dass er noch höchstens ein- oder zweimal schießen konnte, ehe die anderen ihn erreicht hätten. Er sprang kurz zur Seite, wich zwei Pfeilen aus, die ihn fast getroffen hätten, und zielte erneut. Ehe er schießen konnte, hatte der Trupp ihn erreicht. Schreiend drangen sie mit Keulen, Tomahawks und Lanzen auf ihn ein. Wambli-luta riss einen Mann vom Pferd, wich einem Lanzenstoß aus und konnte endlich seine Steinkeule ergreifen, die im Gürtel steckte. Er hatte sein Todeslied auf den Lippen und verhöhnte die Feinde, die in solcher Überzahl auf ihn einhieben. „Ihr feigen Aasfresser. Kämpft ihr nur gegen kleine Mädchen und alte Frauen? Kommt nur her! Ich habe keine Angst. Seht, wie ein Tokala kämpfen kann.“

Ein Tomahawk erwischte ihn am Arm und hinterließ eine tiefe Schramme. Der Schock traf ihn, sodass er den Schmerz nicht fühlte. Benommen kniff Wambli-luta die Augen zusammen, um sich wieder zu fangen. Gleich hatten sie ihn! Schweiß tropfte von seiner Stirn, als er herumwirbelte und sich den nächsten Angreifer vom Leibe hielt. Er hatte den Vorteil, dass die Krieger sich gegenseitig behinderten, als sie gegen ihn vorgingen. Jeder wollte den ersten Coup gegen ihn anbringen oder den wertvollen Skalp erbeuten. Vielleicht wollten sie den Sieg auch nur auskosten, denn sie stachen auf ihn ein, als wäre er ein wildes Tier, das man reizen konnte. Eine Lanze traf ihn seitlich gegen die Rippen und rutschte etwas ab, ohne größeren Schaden anzurichten. Die Feinde lachten höhnisch, als er sich den Schweiß aus den Augen wischte. Wambli-luta hoffte, dass es schnell gehen würde. Keinesfalls wollte er ihnen lebend in die Hände fallen! Ohne Vorwarnung ging er mit seiner Keule auf einen der Männer los, der nicht schnell genug zurückweichen konnte, weil ein Krieger hinter ihm stand. Wambli-luta hieb ihm die Keule auf den Schädel und beobachtete zufrieden, wie der Mann röchelnd in die Knie ging. Die anderen schrien ihren Zorn heraus und hieben nun ihrerseits auf den Feind ein. Wambli-luta wirbelte mit der Keule herum, sodass die Krieger nicht nahe genug an ihn herankamen. Einer hob seinen Speer, während zwei andere Pfeile auflegten. Einer hatte sogar ein Gewehr dabei, mit dem er nun auf den Feind zielte.

„Es ist vorbei!“, dachte Wambli-luta ohne Bedauern. Er war Tokala! Er würde tapfer im Kampf sterben, wie es seine Pflicht war. Er wunderte sich nur, warum der Krieger mit dem Gewehr nicht schoss. Stattdessen traf ihn ein Speerstoß gegen die Schulter. Der Schmerz explodierte so heftig, dass ihm kurz schwindelig wurde. Er taumelte rückwärts, was von einem höhnischen Lachen begleitet wurde. Blindlings ließ er die Keule kreisen, was jedoch keinen Schaden mehr anrichtete. Blut tropfte aus den Wunden und trieb die Schwäche in seine Glieder. Er kämpfte dagegen an, in die Knie zu gehen, obwohl seine Beine ihm nicht mehr gehorchen wollten. In seinen Ohren rauschte es, als würde der Regen gegen das Tipi prasseln, und die Gesichter der Feinde verschwammen vor seinen Augen. Wieder erhob er die Stimme, um sein Todeslied zu singen, doch außer einem heiseren Krächzen brachte er nichts mehr hinaus. Dann brach der Ring der Angreifer auf, als einige Krieger der Hunkpapa rücksichtslos in die Schar der Feinde ritten. Die Angreifer flogen auseinander und ließen verdutzt von Wambli-luta ab. Es waren nur vier Hunkpapa, aber schon wurde der Kampf ausgeglichener. Außerdem erschienen in der Ferne weitere Reiter.

Die Arikara, von den Lakota verächtlich nur Ree genannt, erkannten, dass die Situation sich zu ihren Ungunsten veränderte. Dieses Dorf würde sich in ein Hornissennest verwandeln! Sie stutzten kurz, doch dieses Zögern reichte einem der Hunkpapa, um nach Wambli-luta zu greifen und ihn auf ein Pferd zu ziehen. Vor den Augen der Feinde stießen die Krieger ihre Kriegsschreie aus, drohten mit ihren Waffen und galoppierten mit dem Verwundeten davon. Die Arikara antworteten ebenfalls mit Kriegsrufen, sprangen dann aber auf ihre Ponys und suchten das Weite. Eine größere Schar wütender Krieger hängte sich an ihre Fersen, während die vier Männer mit Wambli-luta ins Dorf zurückkehrten.

Wambli-luta krallte sich haltsuchend an den Schultern des Mannes fest, der ihn zu sich auf das Pferd gezogen hatte. Ihm schwindelte, und er brauchte all seine Kraft, um nicht wieder vom Pferd zu rutschen. Hoh! Erst langsam wurde ihm bewusst, dass seine Freunde im letzten Augenblick gekommen waren. Er erkannte seinen Freund Thimahel-okile, der die Gruppe angeführt hatte. Als sie das Dorf erreichten, war er es, der ihm vorsichtig vom Pferd half. Wambli-luta musste sich auf ihn stützen, sonst wäre er zu Boden gestürzt. Menschen liefen zusammen, und er erkannte auch seine Großmutter. Die Erleichterung ließ ihn erneut wanken. Die beiden hatten es also geschafft! „Takoza!“, rief die Großmutter bestürzt, als sie die schlimmen Wunden sah. Enkelsohn!

Wambli-luta machte eine beruhigende Handbewegung. „Es ist nichts!“

Die umstehenden Männer fanden ihren Humor wieder. „Woh, seht diesen jungen Krieger! Er hat sich gegen zwanzig Feinde gestellt! Seht seinen Mut!“ Die Frauen trällerten ihr hohes Lililil und einige Jungen drängten näher heran, um den tapferen Krieger zu sehen.

Wambli-luta dagegen kämpfte mit seiner Schwäche, aber auch seiner Erleichterung. „Hoh, gut, dass ihr rechtzeitig gekommen seid!“, meinte er dankbar.

Thimahel-okile winkte großzügig ab. „Deine Großmutter meinte, dass du Ärger hast und vielleicht unsere Hilfe brauchst.“ Seine tiefliegenden Augen schmunzelten vergnügt.

„Ärger?“ Wambli-lutas Stimme wurde hoch vor Empörung. Nach Ärger hatte das nicht ausgesehen!

Thimahel-okile grinste amüsiert. „Anders kann man die Ree kaum bezeichnen!“

Oh, da hatte er natürlich recht. Wambli-luta nickte bestätigend und ließ sich dann von seinem Freund in sein Zelt führen. Erst als er aus den Augen der anderen war, zeigte er seine Erschöpfung und ließ sich auf sein Lager plumpsen. „Hohch!“, stöhnte er unterdrückt. Sofort beugte sich die Großmutter über ihn und begutachtete die Wunden. „Hunhunhe!“, äußerte sie besorgt. „Das sieht schlecht aus! Wir holen besser den Pezuta-Wakan.“

Wambli-luta schloss die Augen und überließ sich den fürsorglichen Händen der Großmutter. Er sah nicht, wie auch sein Vater sich neben ihn setzte und die Mutter erschrocken die Hand vor den Mund hielt. „Wo ist meine Schwester?“, flüsterte er matt.

Die Schwester näherte sich aus dem Hintergrund des Tipis und strich ihrem Bruder ganz kurz über die Wange. „Ich bin hier!“, flüsterte sie leise.

Wambli-luta lächelte, ohne die Augen zu öffnen. „Das ist gut!“ Dann verließen ihn die Sinne. Seine Träume waren wirr und manchmal auch schweißtreibend. Immer wieder tauchten der Fuchs und der Adler aus seiner Vision auf, die um das Kaninchen stritten. Dann schreckte er auf, als wilde Krieger mit seltsamen Zeichnungen im Gesicht auf ihn einstürmten und ihn mit ihren Messern verletzten. Am wildesten waren jedoch die Träume, die ein Mädchen der Miwatani ihm schickte: Sie starrte ihn aus schwarzen Augen an, hob dann abwehrend die Hand und schleuderte ihm plötzlich einen Blitz entgegen.

Wambli-luta schlief fast zwei Tage, ehe er wieder orientierungslos die Augen öffnete. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war ein greller Blitz, der seine Augen geblendet hatte, aber er hatte nichts mit dem tatsächlichen Geschehen zu tun. Seine Wunden waren gut versorgt, ohne dass er wusste, wer sich darum gekümmert hatte. Der Speerstich pulsierte unangenehm, obwohl die anderen Wunden gut zu heilen schienen. Die Mutter saß bei ihm und sah ihn mit großen Augen an. „Bist du wieder bei uns?“

Wambli-lutas Stimme krächzte etwas, als er antwortete. „Ich bin bei euch.“

„Das ist gut. Wir dachten schon, dass die Geister dich holen würden. Du hast mit ihnen gesprochen.“ Ihre Stimme klang hell und ängstlich.

Er machte mit der Hand ein Zeichen, dass er Durst hatte, und sie führte eine Schale mit Wasser an seine Lippen. Sogleich führte er sich besser und versuchte sich aufzurichten. Die Mutter stoppte diesen Versuch mit einer energischen Handbewegung. „Bleib liegen. Die Wunden sind schwer!“

„Hohch!“ Er stöhnte unwillig. Er war doch kein Baby, das man in der Trage festband. „Ich will sitzen!“, murrte er uneinsichtig.

„Dann roll dich auf die Seite und richte dich etwas auf. Du darfst die Rippen nicht anstrengen!“, sagte die Mutter streng. „Sonst geht die Wunder wieder auf. Der Pezuta-Wakan musste sie nähen.“

„Hohch! Ich bin doch kein Fell, das man zunähen kann.“

Zum ersten Mal kicherte die Mutter erleichtert. Wenn ihr Sohn dermaßen meckern konnte, dann musste es ihm besser gehen. „Doch!“, widersprach sie forsch. „Du hast so eine lange Narbe!“ Mit ihren Händen zeigte sie die Länge der Verwundung. Dann holte sie sein Backrest, damit er sich dagegenlehnen konnte. Stöhnend fiel der Körper des Sohnes dagegen und er schloss die Augen, um das Schwindelgefühl zu vertreiben. „Huh!“, meinte er kurzatmig.

Die Mutter wartete einen Augenblick, dann reichte sie ihm eine Schüssel mit Essen. Hungrig löffelte der junge Mann das Essen in sich hinein, und die beiden schwiegen. Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, erkundigte er sich nach den feindlichen Kriegern. „Habt ihr diese Hunde erwischt?“

 

Die Mutter senkte traurig den Blick. „Es waren viele! Sie hatten sich in mehrere Gruppen aufgeteilt“, erzählte sie. „Unsere Krieger haben sie verfolgt, dabei wurden Schneller-Dachs und Hohes-Pferd getötet. Die Ree hatten es auf unsere Pferde abgesehen. Sie haben viele Pferde geraubt und dabei zwei Jungen getötet.“

„Hunhunhe!“ Wambli-luta senkte traurig den Blick. „Wen haben sie getötet?“

„Graue-Wolke und Rennt-immer. Springender Büffelstier konnte gerade noch entkommen. Sein Vater Thimahel-okile hat die beiden getöteten Jungen gefunden. Die Familien sind in großer Trauer!“

Wambli-luta schluckte schwer. Springender-Büffelstier war keine neun Winter alt! Seine Freunde waren etwas älter, aber viel zu jung, um von Feinden getötet zu werden. Sie hatten noch nie eine Bisonjagd oder einen Kriegszug begleiten dürfen. Er fühlte Hass in sich aufsteigen, als er an die Kinder dachte. „Wir werden sie rächen!“, schwor er mit bitterem Herzen.

„Thimahel-okile will einen großen Kriegszug gegen die Ree anführen“, erzählte Hübsche-Nase. „Sie wollen sich die Pferde zurückholen und die Gefallenen rächen.“

Wambli-luta nickte. „Wir werden sie finden!“, meinte er kaltblütig. „Wir wissen, wo ihre Dörfer sind, und unsere Pfeile werden in ihren Körpern stecken.“

„Erst musst du genesen!“, warnte die Mutter. „Und die Ältesten sagen, dass wir zuerst die Bisons jagen sollten. Dann sei Zeit für den Kampf.“

Wambli-luta schloss die Augen. Bisons! Im Moment würde er diese Aufgabe wohl dem Vater überlassen müssen. Er konnte weder den Bogen spannen noch sein Pony mit den Schenkeln lenken.

Es dauerte einige Tage, ehe er in der Lage war, wieder an den Versammlungen der Tokala teilzunehmen. Seine Freunde hatten ihn regelmäßig besucht und sich nach seinem Befinden erkundigt. Sein Mut hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und die Tokala waren stolz, einen solchen Krieger unter sich zu wissen. Er hatte ohne zu zögern sein Leben gegeben, um seine Großmutter und Schwester zu retten, und alle wussten, dass er diesen Einsatz auch bei allen anderen gezeigt hätte. Als er wieder laufen konnte, wurde ihm zu Ehren ein Festessen gegeben, und der Herold verkündete seine Heldentaten. Wambli-luta nahm die Ehrung gelassen hin, denn er hatte tatsächlich ohne groß zu überlegen gehandelt. Seine Dankbarkeit galt den Tokala und Thimahel-okile, die ihn ebenso wagemutig gerettet hatten.

Als dann endlich der Bisontanz getanzt wurde, um die großen Verwandten zu rufen, ging es ihm bereits wieder so gut, dass er reiten konnte. Kundschafter wurden in alle Richtungen ausgesandt, um die Ankunft der Bisons zu melden und damit den Beginn der Jagd zu verkünden. Die Zeremonien hatten etwas warten müssen, weil die Familien vier Tage um die Getöteten trauern mussten. Die herzerweichenden Schreie der Verwandten drangen durch das Dorf und erinnerten die Lebenden daran, wie schnell der Tod einen ereilen konnte. Die Leichen wurden aufgebahrt, und nach vier Tagen fanden sie ihre letzte Ruhestätte in den Hügeln und wurden mit Steinen bedeckt.

Schließlich versammelten sich die Männer, um die Wana-sapa, die traditionelle Bisonjagd, durchzuführen. Eine riesige Herde war gesichtet worden und die Akicitas verhinderten mit eiserner Disziplin, dass jemand das Dorf vorzeitig verließ. Der gesamte Jagderfolg wurde gefährdet, wenn jemand gegen diese Regeln verstieß, und so waren die Akicitas nicht zimperlich. Besonders einige Knaben, die trotz aller Warnungen ihren Mut beweisen wollten, wurden von ihren Peitschen getroffen und in die Zelte der Eltern zurückgeführt. Obwohl die Jungen noch um ihre Freunde trauerten, schien der Angriff der Arikara schon vergessen zu sein.

Wambli-luta versuchte indessen, seinen Bogen zu spannen, und musste einsehen, dass ihm dazu noch die Kraft fehlte. Also blieb es dem Vater überlassen, genügend Bisons für seine Familie zu schießen. Gebrochene-Lanze war zwar Wakincun, aber immer noch jung genug, die Waffe zu heben. Er hatte ein Gewehr, zog es jedoch vor, mit dem Bogen zur Bisonjagd zu gehen. Er setzte sich zu seinem Sohn, der bedrückt zu sein schien, weil er nicht teilnehmen konnte. „Du bist Tokala! Deine Aufgabe ist es, das Volk zu beschützen. Du bist der Erste im Kampf und der Letzte, der sich zurückzieht. Deshalb wurdest du verwundet! Das ist eine Ehre! Sorge dafür, dass du bald wieder kämpfen kannst, und ich sorge dafür, dass wir im Winter alle satt werden.“

Wambli-luta nickte einsichtig. „Ich schütze das Volk!“ Er sah seinem Vater nach, der – nur mit einem Lendenschurz bekleidet – das Tipi verließ. Trotzdem wurmte es Wambli-luta, bei den Frauen, Kindern und alten Leuten bleiben zu müssen. Er massierte den verletzten Muskel am Arm und hoffte, dass er bald seine Stärke wiederfinden würde.

Die nächsten Tage verbrachte er damit, zumindest über die Frauen und Mädchen zu wachen, die überall in der Nähe des Flusses an den Fellen arbeiteten, die sie am Boden festgepflockt hatten. Der Sommer war heiß, obwohl stets eine leichte Brise wehte. Die Jagd war gut gewesen, und überall standen Gerüste, an denen das Fleisch trocknete. Darunter brannten schwelende Feuer, um die Fliegen zu vertreiben. Der ewige Wind fegte über das Land und trocknete Fleisch und Beeren in kurzer Zeit. Auch der Vater hatte zwei junge Bisonkühe, einen Stier und ein Kälbchen geschossen, sodass die Familie gut versorgt war.

Die Mutter wollte die Häute nutzen, um später das Tipi auszubessern und einige Rohhauttaschen herzustellen, die sie mit bunter Farbe bemalen würde.

Als es Wambli-luta besser ging, schoss auch er noch zwei Weißwedelhirsche, sodass die Mutter aus den Häuten ein schönes Kleid für Anpao-win nähen konnte. Das Hirschfleisch war ein besonderer Genuss nach all dem Bisonfleisch, und so kamen oft Freunde, um an dem Essen teilzunehmen. Hübsche-Nase kochte es mit wilden Zwiebeln, Prärierüben und Beeren, die sie tagsüber sammelten und trockneten. Die Natur zeigte sich großzügig gegenüber den Menschen. Überall reiften Kirschen, Beeren, wilde Zwiebeln, selbst Kürbisse und Bohnen, die von den Frauen gesammelt wurden. Nur Maisfelder legten die Tituwan keine an. Vor einigen Jahren, als die Zeit der Hungerwinter gekommen war, hatten sie es versucht, doch dann wieder aufgegeben. Sie folgten lieber den Herden der Bisons.