Donnergrollen im Land der grünen Wasser

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Maisblüte legte schützend ihre Arme um den Bruder und weinte ihre Verzweiflung heraus. „Bitte, er ist mein Bruder! Er ist doch nur ein Knabe!“ Sie hob bittend die Hand, von der das dunkle Blut tropfte.

Der Capitán steckte das Rapier weg und hob ebenfalls die Hände in einer begütigenden Geste. „Ich tue ihm doch nichts!“, versicherte er. Seine dunklen Augen waren vor Ärger zusammengekniffen, als er ihre Verzweiflung sah. „Ich tue ihm nichts!“, wiederholte er und trat dabei einen Schritt zurück. Der Kampf war vorbei und sah er keinen Sinn darin, einen kleinen Jungen zu töten.

Maisblüte verstand kein Wort, aber sie erkannte das Zeichen des Friedens und beruhigte sich ein wenig. Sie nahm ihren Bruder an die Hand und legte den Kopf an seine Wange. „Darf er bei mir bleiben?“, fragte sie den Soldaten. Sie hielt den Bruder fest und zeigte dem Mann so, was sie wollte. Ihr ganzer Körper zitterte vor Verzweiflung. Der Bruder war das Letzte, was ihr geblieben war. Es war ein Zeichen, dass er überlebt hatte! Ein Zeichen von Hashtali!

Der Mann runzelte nachdenklich die Stirn und musterte das verschreckte Kind. Es musste in irgendeiner Verbindung zu dem Mädchen stehen, obwohl es offensichtlich nicht der Sohn sein konnte. Er war ziemlich klein und vermutlich eher ein unnützer Esser, aber wahrscheinlich wäre das Mädchen dankbar und ihm mehr zugetan, wenn er erlaubte, dass das Kind bei ihr blieb. „Bueno“, murmelte er. Er machte eine leichte Handbewegung und verzog sein behaartes Gesicht zu einem leichten Lächeln. „Bringe ihn ins Zelt mit!“

„Yokoke!“, hauchte Maisblüte. Wieder liefen Tränen über ihr Gesicht, aber dieses Mal vor Dankbarkeit. Es war bestimmt ein Zeichen der Großen Sonne, dass ihr Bruder überlebt hatte! Bestimmt! Wenigstens der Bruder war ihr geblieben. Sie war jetzt verantwortlich für ihn. Ihre Augen hefteten sich auf den fremden Mann, immer noch voller Angst, was er tun würde. Durfte der Bruder wirklich bleiben? Immer noch drückte sie das Kind an sich, fühlte das Zittern und Weinen des kleinen Jungen. Auch ihr liefen die Tränen über das Gesicht und sie schluchzte unkontrolliert. Der Soldat trat tatsächlich näher und wischte ihre Tränen beiseite.

„Wie heißt denn der kleine Kerl?“, fragte der Capitán. Maisblüte verstand die Frage nicht und der Mann seufzte ungeduldig.

„Juan, Maria … und der da?“, wiederholte er.

„Nanih Waiya!“, antwortete Maisblüte. Würde es helfen, wenn der Soldat den Namen des Bruders kannte?

Der Mann lachte laut und schüttelte sichtlich erheitert den Kopf.

„Das kommt ja gar nicht in Frage! Das kann sich kein christlicher Mensch merken! Er heißt jetzt Nana, verstehst du? Nana!“

Maisblüte nickte und drückte ihren Bruder an sich. „Nana!“, wiederholte sie gehorsam. Der Mann nahm seufzend ihre Handverletzung wahr und deutete auf das Kind. „Sag ihm, dass er die Wäsche tragen soll. Du versaust sonst alles mit deinem Blut.“ Er zeigte auf das Wäschebündel und dann auf das Kind, damit sie verstand, was er wollte.

Maisblüte beugte sich zu ihrem Bruder hinunter, der immer noch vor Angst schlotternd neben ihr stand. „Wir gehören diesem Mann und müssen ihm gehorchen. Du trägst die Kleidung zu dem Zelt, in dem wir nun leben.“

Nanih Waiya verzog schmollend den Mund, gehorchte aber ohne zu widersprechen. Sein verweintes Gesicht drückte das Entsetzen aus, das er empfunden hatte. In nur einem Tag war seine ganze Welt zerstört worden. Er verstand nicht, warum. Er ahnte, dass er die Mutter und den Vater nie wiedersehen würde, ebenso wenig wie den großen Bruder, aber er verstand noch nicht, wie lange das „nie“ war. Er vermisste seine Eltern und hätte ihres Trostes bedurft. Er trottete neben Maisblüte her und trug die nasse Wäsche des Mannes, der geholfen hatte, sein Dorf auszulöschen. Sein Gesicht drückte Hass, aber auch Unverständnis aus.

Am Zelt angekommen gab der Soldat Maisblüte ein Stück Tuch, damit sie ihre Hand verbinden konnte. Dann zeigte er ihr, wie sie die Wäsche über einer Leine aufhängen konnte. Nanih Waiya hatte sich an ihren Schurz geklammert und wich nicht von ihrer Seite. Mit sicherem Instinkt wusste er, dass er besser still war, bis der Mann gegangen war. Kurze Zeit später saßen die beiden auf der Decke des Zeltes und warteten weitere Anweisungen ab. Maisblüte hatte keine Vorstellung davon, was jetzt geschehen oder wie ihr Leben verlaufen würde. Sie hoffte nur, von einem Tag zum nächsten zu überleben und die schrecklichen Demütigungen zu vergessen, die ihr angetan worden waren. Gleichzeitig wusste sie, dass dies erst der Anfang war. Wie sollte sie ihren Bruder in dieser grausamen Welt schützen? Und wie sollte sie verbergen, was der Mann ihrem Körper wieder antun würde?

Der Mann warf seine Ausrüstung vor ihre Füße und zeigte ihnen, wie man sie reinigte. Zum ersten Mal fasste Maisblüte den seltsamen Hut aus dem Käferpanzer an. Er war hart wie Stein, fühlte sich aber glatt an. Auch die anderen Teile waren aus diesem Material. Der Soldat wollte, dass sie geputzt und eingeölt wurden. Auch der Junge sollte dabei helfen. Mit einer herrischen Geste drückte er ihm die hohen Schuhe in die Hand, damit er sie putzte. Dann verließ er das kleine Zelt.

Zum ersten Mal konnte Maisblüte mit ihrem Bruder reden. Sie ließ den Lappen sinken und betastete den Körper des Jungen. Er hatte Brandblasen, schien aber sonst unverletzt zu sein. „Chim achukma?“, fragte sie besorgt. Wie geht es dir?

Der Junge wischte mit der Hand über sein Gesicht. „Es ist nichts!“, wehrte er ihre Sorge ab. „Ich bin nur hungrig.“

„Was ist geschehen?“, flüsterte Maisblüte. „Wie konntest du dem Feuer entkommen?“

„Mutter hat mich nach oben gehoben, damit ich auf das Dach klettere. Aber dann wurde es so heiß und stickig, dass ich weg musste. Mutter hat geschrien und die anderen auch! Aber ich konnte doch nicht helfen, nicht wahr?“ Er blickte trostsuchend zu seiner Schwester.

Maisblüte schüttelte nur den Kopf. Sie wusste längst, dass ihre Mutter nicht mehr lebte und schluckte schwer. „Und dann?“ Ihre Stimme war brüchig.

„Es war dunkel und ich schlich bis zum Fluss, um mich dort zu verstecken. Ich kam erst raus, als ich dich sah!“

„Das war sehr gefährlich, denn der Fremde hätte dich töten können.“

„Aber was soll ich denn tun?“ Das Kind schluchzte unterdrückt. Maisblüte senkte den Kopf. „Wir gehören jetzt diesem Mann und müssen tun, was er sagt. Manchmal wird er mir wehtun, dann wartest du draußen, bis ich dich rufe. Hörst du?“

„Aber warum tut er dir weh?” Die Augen des Knaben waren groß vor Unverständnis.

„Er tut das, was Männer eben tun. Du bist noch zu klein, um das zu verstehen. Aber ich möchte, dass du bei mir bleibst. Vielleicht gelingt uns bald die Flucht. Dann sind wir wenigstens zusammen.“

„Und Mutter und Vater?”

Maisblüte schüttelte den Kopf. „Trage die Erinnerung an sie in deinem Herzen. Alles ist nun anders. Wir müssen einen Weg finden, um zu überleben. Ich weiß auch nicht, was wir tun können. Wir warten ab und lernen mehr über diese Fremden. Jetzt mach, was er dir gesagt hat.“

Trotzig warf Nanih Waiya die Bürste zu Boden. „Ich bin kein Sklave!“

Maisblüte fasste ihn eindringlich an der Schulter. „Doch, wir sind nur Sklaven. Diese Menschen können mit uns tun, was immer ihnen beliebt. Sie haben in ihren Donnerstöcken den Blitz gezähmt und haben Waffen, die uns alle vernichten. Du bist nur ein kleines Kind und hast keinen Wert. Wenn du dich widersetzt, dann wird er dich töten oder mich bestrafen. Bitte! Sei still und tue, was von dir verlangt wird. Das ist unser einziger Schutz. Verstehst du?” Der Junge nickte unglücklich. „Auch wenn er dir wehtut?”

„Auch, wenn er mir wehtut!“, wiederholte Maisblüte mit Nachdruck. „Du musst leben! Versprich mir das!“

„Ich werde dir gehorchen!”, antwortete das Kind. Er war so unglücklich, dass Maisblüte ihn kurz in die Arme nahm. „Du bist doch mein kleiner Bruder!“, meinte sie tröstend. Nur wegen ihres Bruders würde sie ihr Schicksal ertragen, denn sie war für das Kind verantwortlich. Nur das würde ihr die Kraft geben, zu überleben. Allein das gab ihr einen Sinn. Sie putzte weiter an der Käferkleidung und nickte Nanih Waiya zu, seine Arbeit zu machen.

Juan kehrte in Begleitung eines anderen Mannes wieder, der ein rasselndes Teil mit sich trug. Er setzte sich zu ihren Füßen und schnappte sich einen ihrer Knöchel. Maisblüte wollte ihn zurückziehen, doch ein scharfer Befehl von Capitán Juan ließ sie innehalten. Mit großen Augen starrte Maisblüte auf die Fesseln, die der Soldat ihr anlegen ließ. Sie waren aus dem gleichen Material wie der Helm. Mit einem Hammer legte der fremde Mann die Fesseln an, die mit einer Kette verbunden waren. Sie war schwer und rasselte, als sie die Beine zurückzog. Maisblüte überkam das heulende Elend, als sie die Fesseln betrachtete. Sie war eine Gefangene! Mit diesen Fesseln konnte sie unmöglich fliehen! Nanih Waiya saß still daneben und starrte den Soldaten mit großen Augen an. Dann rannte er in plötzlicher Panik einfach davon.

„Bleib hier!“, schrie Maisblüte voller Verzweiflung. „Bleib doch hier!“

Der Capitán lachte dunkel und machte eine lässige Handbewegung. „Der kommt schon wieder, wenn er Hunger hat!“ Er zeigte mit der Hand auf seinen Mund und rieb sich den Bauch. Er machte sich nicht die Mühe, dem Kind zu folgen, weil es keinerlei Wert für ihn hatte. Er verabschiedete sich von dem Fremden und kniete sich dann sichtlich zufrieden vor sein Opfer. Besitzergreifend tätschelte er ihre Wange und lächelte. „Maria!“, säuselte er. Die scharfe Hakennase und die dunklen Augen wirkten bedrohlich, sodass sie angeekelt zurückzuckte.

Eine Bewegung am Eingang des Zeltes lenkte den Mann ab und so erhob er sich in gebückte Haltung. Ein Soldat hatte Nanih Waiya eingefangen und führte ihn am Nacken gepackt wieder zu seinem Herrn zurück. Das Kind wehrte sich dagegen und beide Männer lachten über seine vergeblichen Versuche, sich zu befreien. Der Capitán packte das Kind am Handgelenk und zerrte es auf die Decke neben Maisblüte. „Schluss jetzt!“, rief er ungeduldig.

 

Nanih Waiya klammerte sich an die Schwester und starrte den Mann hasserfüllt an. Der hob drohend seinen Finger. „Du kleine Bestie! Wenn du dich nicht benimmst, verkaufe ich dich! Ist das klar?”

Maisblüte erkannte am Tonfall, dass der Capitán keine Geduld mehr haben würde. „Hör auf!“, zischte sie warnend. „Bitte, hör auf!“

„Aber deine Fesseln!“, klagte der Junge. Sein kleiner Körper schlotterte vor Angst und Entsetzen.

„Es ist doch sein Recht! Sitze endlich ruhig, ehe er dir auch noch Fesseln anlegt.“

Nanih Waiya erstarrte und schaute hilflos von einem zum anderen. Der Soldat hob mahnend die Augenbrauen und beließ es dabei. Mit einer befehlenden Handbewegung forderte er Maisblüte auf, ihm beim Wechseln des Verbandes zu helfen. Maisblüte erhob sich und bewegte sich vorsichtig. Die Fesseln waren schwer und behinderten sie, aber sie konnte kleine Schritte machen. Sie versorgte die Verletzung des Mannes und erkannte nicht ohne Schadenfreude, dass es sich um einen Pfeilschuss handelte. Aber es verheilte bereits und so würde der Mann nicht lange eingeschränkt in seinen Bewegungen bleiben.

Anschließend führte Capitán Juan die beiden in die Mitte des großen Lagers. Maisblüte sah sich aufmerksam um, als sie neben dem Mann her schlurfte. Sie hatte Nanih Waiya an sich gepresst, der von all den fremden Eindrücken völlig überwältigt war. An mehreren Feuern hingen große Töpfe, in denen Suppe köchelte. Die Infanterie mit ihren Hellebardenträgern, Arkebusieren und Armbrustschützen machte einen Großteil der Expedition aus. Sie saßen um die Feuer und versuchten, ihre Waffen wieder in Ordnung zu bringen, oder kümmerten sich um ihre Verletzungen. Dazwischen hockten Sklaven, Köche, Mägde, christliche Frauen, Hundeführer, Trommler, Priester, Pferdepfleger, Schweinehirten und Handwerker. Es war ein unübersichtlicher Haufen, der ausgezogen war, um in Amerika sein Glück zu finden.

Juan schickte Maisblüte los, um Essen zu holen. Auf einen Teller wurde die Suppe eingeschenkt und ehrerbietig brachte Maisblüte das Essen ihrem neuen Herrn. Anschließend durfte auch sie sich einen Teller holen, den sie sich mit dem Bruder teilte. Maisblüte hatte Angst vor den riesigen Hunden, die an ebensolchen Ketten hingen wie sie und jeden anknurrten, der ihnen zu nahe kam. Sie waren genauso furchteinflößend wie die Pferde, nur mit dem Unterschied, dass sie vermutlich einen Menschen in Stücke reißen konnten. Sie vermied es, ihnen zu nahe zu kommen, und schöpfte die Suppe in eine Schale. Die fremden Laute verwirrten sie und die gierigen Blicke auf ihren Körper ließen sie erschauern. Die Ketten behinderten sie stark und Maisblüte unterdrückte die Tränen. Sie war der Besitz dieses Mannes. Es war klar, dass er verhindern wollte, dass sie eines Tages die Flucht wagte. Aber wohin denn?

Maisblüte kostete die Suppe, die aus Mais und Schweinefleisch bestand. Das Fleisch war fetter als das Fleisch der Stachelschweine, das ihre Männer manchmal aus den Wäldern holten, aber es schmeckte gut. Mit vollem Magen ließ es sich auch besser denken. Nanih Waiya schlürfte gierig die Suppe in sich hinein und schien halbwegs versöhnt zu sein. Er schielte nach dem großen Topf und hoffte wohl auf mehr. Juan lachte dröhnend und gab mit einem Zeichen zu verstehen, dass Maisblüte dem Kind noch mehr geben durfte. Er erntete daraufhin ein scheues Lächeln, was ihn sehr zu erheitern schien. Maisblüte seufzte erleichtert. Anscheinend fand der Soldat Gefallen an dem Kind. Vielleicht gelang es auch ihr, das Herz dieses Mannes zu berühren, damit er eines Tages diese Fesseln wieder entfernte. Nur dann konnte sie die Flucht wagen.

* * *

Dann wurde sie von einem anderen Spektakel abgelenkt, das alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Einige Wachen brachten einen Gefangenen, der mit gefesselten Händen und einem Seil um den Hals durch die Mitte des Lagers gezerrt wurde. Es war ein junger Krieger, der an vielen Stellen blutete. Er wehrte sich nach Kräften, aber es gelang ihm nicht, sich loszureißen. Er trug nur einen Schurz um seine Lenden und war ansonsten nackt. Er spuckte und schrie seine Verachtung heraus. Die Menschen bildeten einen Kreis und drohten wutentbrannt mit ihren Fäusten. Dann schichteten sie auf einen Befehl hin einen großen Haufen Holz auf. In der Mitte wurde ein Pfahl angebracht und der junge Mann daran festgebunden. Maisblüte stockte der Atem, als ihr klar wurde, was dort geschah. Dann wurden zwei weitere Gefangene herbeigezerrt und ebenfalls dort festgebunden. Man machte sich gar nicht die Mühe, sie auch an einen Pfahl zu binden, sondern band sie nur an Armen und Beinen fest. Mit einer Kette, die um den Pfahl gewickelt wurde, verhinderte man, dass sie sich wegwälzten. Maisblüte erkannte, dass es sich um einen Jungen und eine Frau handelte.

Die Menschenmenge jubelte sich in eine wahre Ekstase und feuerte den Soldaten an, der mit einer Fackel das Holz in Brand setzte. Sie ereiferten sich daran, wie die beiden sich qualvoll hin und her wälzten und ihre Schmerzen heraus schrien. Ihre Haare fingen Feuer und die Menschen lachten vor Begeisterung und Schadenfreude. Der junge Mann am Pfahl hob die Füße, als die Flammen ihn erreichten, was die Zuschauer noch mehr zu erheitern schien. Einige Soldaten warfen noch mehr Scheite ins Feuer, bis die Flammen bis zu seinen Haaren hochzüngelten. Der Mann wollte tapfer sein, doch sein Schreien überstieg sogar noch den Jubel der Menge. Das Zappeln und Winden der anderen beiden hatte schließlich aufgehört und Maisblüte hoffte, dass auch der Todeskampf des Mannes endlich vorbei war. Er bäumte sich in den Flammen auf, doch die Fesseln gaben nicht nach. Er schrie noch, als seine Haut Blasen schlug, dann wurde daraus ein ersticktes Keuchen und Gurgeln. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe er endlich zusammensank und die hohen Flammen die Sicht auf seinen geschundenen Körper verbargen. Maisblüte war dankbar, dass die grausame Szene endlich ein Ende gefunden hatte. Tod gehörte für ihr Volk dazu. Ihr ganzes Leben wurden sie auf den Tod vorbereitet und man gedachte der Ahnen. Auch bei ihnen gab es manchmal Opfer, die auf glühenden Kohlen zu Tode kamen, aber es geschah, um den Mut des Feindes zu proben. Es gab auch Feinde, die so tapfer waren, dass man sie von den Kohlen zerrte und leben ließ. Maisblüte hatte diese Zeremonien immer mit großen Augen verfolgt. Einerseits hatte es ihr einen Schauer über den Rücken laufen lassen, andererseits hatte sie den Mut und die Ausdauer der Gefangenen bewundert. Sie sah zu, wie sich die Menschen verstreuten, als das Schauspiel vorbei war. Ruhe kehrte ein und es war, als hätte der Tod dieser drei Menschen Frieden zu diesen Fremden gebracht. Ihr Rachedurst war hoffentlich gestillt worden. Maisblüte nahm den Bruder an der Hand, der merkwürdig still geworden war und sie nur mit großen Augen anstarrte. „Hörst du!“, zischte sie warnend. „Das passiert mit uns, wenn wir nicht gehorchen.“

Steinemacher

(Menominee im Norden)

Machwao steuerte das Kanu bedächtig den Manomäh-Sipiah hoch. Sie paddelten gegen die Strömung und so halfen auch Wakoh und Wapus, das Kanu voranzutreiben. Gleichmäßig glitten die Paddel durch das Wasser, das ihnen mit leicht gekräuselten grauen Wellen entgegenkam. Zwischen ihnen lag Awässeh-neskas mit geschlossenen Augen. Er fieberte leicht und sie hatten ihn gefesselt, damit er nicht durch eine plötzliche Bewegung das Kanu zum Kentern brachte. Um ihn warm zu halten, hatten sie ihn in ein warmes Elchfell gewickelt. Manchmal wälzte er sich mit ruckartigen Bewegungen hin und her, sodass das Kanu gefährlich hin und her schwankte. Machwao glich die schlingernde Bewegung dann mit seinem Gewicht aus. Er sehnte den Augenblick herbei, an dem sie endlich das Dorf erreichten, denn ihrem Freund ging es schlecht.

Es war der dritte Tag nach dem Angriff. Sie hatten die beiden Feinde mit Steinen bestattet und sich ihrer Waffen bemächtigt. Dann hatten sie Tabakopfer niedergelegt und Salbei verbrannt, damit die Geister der Toten sie nicht verfolgten. Machwao bedauerte die kurze Auseinandersetzung, denn sie würde Racheakte nach sich ziehen. Irgendwer würde diese Männer vermissen und sich auf die Suche nach ihnen begeben. Und irgendwer würde nach Rache dürsten. Es musste nicht unbedingt sein, dass sein eigenes Dorf damit in Gefahr war, aber es war sehr wahrscheinlich, dass irgendein Dorf dafür büßen musste. Der Ort lag im Gebiet der Menominee und diese Feinde würden die Mörder also bei den Menominee suchen.

Machwao seufzte tief, denn es war nicht in ihrer Absicht gewesen, jemanden zu töten. Sie waren darauf vorbereitet worden, die heiligen grünen Steine zu sammeln, und nicht gegen Feinde zu kämpfen. Ein Kriegszug musste stets wohlüberlegt sein und durfte nicht ohne lange Zeremonien und Vorbereitungen durchgeführt werden. Wenn sie heimkehrten, dann mussten sie sich reinwaschen und die Geister um Verzeihung bitten. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Freund aus seiner kurzen Ohnmacht erwachte und sich stöhnend hin und her wälzte. Machwao steuerte das Ufer an und ließ das Kanu in den Sand rutschen. Wapus und Wakoh hatten erkannt, was er tun wollte, und legten die Paddel bereits in das Innere. Wakoh sprang an Land und zog das Kanu noch ein Stück höher. Dann blickte er Machwao fragend an. Die roten Striche auf seiner Stirn kräuselten sich dabei.

Mit vorgeschobenen Lippen deutete Machwao auf den Verletzten. „Er braucht Wasser! Außerdem sollten wir nach der Wunde sehen. Es sieht aus, als würde sie wieder bluten.“

* * *

Wapus legte besorgt die Stirn in Falten, denn es war nicht gut, dass die Wunde sich einfach nicht schloss. Auch er hoffte auf den nächsten Tag, wenn sie endlich das Dorf erreichten. Er beugte sich über den Freund und schob vorsichtig die blutigen Baststreifen zur Seite. Machwao hatte recht. Die Wunde blutete wieder. Jede kleine Bewegung verhinderte, dass die Wunde sich endlich schloss. Die fiebrigen Augen zeigten ihm, dass Awässeh-neskas bereits mit den Geistern sprach. Stöhnend wälzte der Freund sich hin und her. Seine Arme und Beine waren gefesselt, sodass er nur kleine Bewegungen machen konnte, aber er lag nicht ruhig genug, damit die Wunde sich endlich schließen konnte. Wapus flößte dem Mann etwas Wasser mit einer Kürbisschale ein und richtete sich auf, um die weiteren Schritte zu überlegen. Als Metewin-Mann wusste er, dass man eine Wunde auch nähen könnte, doch er hatte dies noch nie selbst gemacht. Außerdem fürchtete er, dass dann das Böse, das die Heilung verhinderte, nicht mehr hinaus konnte. Nein, er brauchte die Stöcke, die ihnen einst der Großmuttergeist der Erde gegeben hatte, um die Heilkräfte von Awässeh-neskas zu stärken. Sein Freund hatte sein Medizinbündel dabei und durch Lieder und Singen würde es ihnen gelingen, dass es ihrem Freund wieder besser ging. Er legte neue Kräuter auf die Wunde, die die Hitze aus dem Körper ziehen würden, nahm zwei Stöcke, die er in der Nähe fand, und begann einen eintönigen Takt zu schlagen. Mit lauter Stimme sang er die Lieder, die sein Vater ihm in der Metewin Hütte gelehrt hatte. Wakoh und Machwao standen neben ihm und beobachteten die kleine Zeremonie. Auch Awässeh-neskas lag still und schien mit klarem Verstand den Liedern zu lauschen. Das Wasser hatte ihm gutgetan.

* * *

Wakoh trat einige Schritte zur Seite und beobachtete sorgsam die Umgebung. Das Letzte, was sie gerade gebrauchen konnten, war ein weiterer Überraschungsangriff. Nach seinem Geschmack waren die Anishinabe viel zu weit südlich. Die Menominee hatten schon einmal, vor langer Zeit, ihre Dörfer verlegt, um dem Druck dieses mächtigen Volkes auszuweichen. Vielleicht war es an der Zeit, sich tiefer in die Wälder zurückzuziehen? Seine Muskeln waren angespannt, seine Augen leicht zusammengekniffen, als er aufmerksam den Blick schweifen ließ. So leicht entging ihm nichts! Er war schon mehrmals zu seinem Kriegsanführer ausgewählt worden, denn die Menschen vertrauten seiner Kampfkraft. Es waren kleinere Geplänkel gewesen, die mehr den Zweck verfolgt hatten, ihre Jagdgründe zu sichern. Besonders nachdrücklich gingen sie hierbei jedoch nicht vor. Die Menominee waren eher als Händler und friedliebendes Volk bekannt. Kämpfer wie Wakoh waren daher die Ausnahme. Die meisten Männer waren geschickte Jäger, vermieden aber Konflikte mit anderen Völkern, außer sie wurden angegriffen. In ihrem Kosmos waren alle Lebewesen und Dinge miteinander verwandt und wurden respektvoll behandelt – selbst Feinde.

 

Die Aufmerksamkeit von Wakoh ließ nach, als er nichts Verdächtiges bemerkte. Bald hätten sie ohnehin ihr Dorf erreicht und er glaubte nicht daran, dass Feinde sich so nahe heranwagten. Zu leicht konnte man hier auf spielende Kinder oder Jäger stoßen, die dann das Dorf warnten. Andererseits konnte er seinem Freund im Moment kaum helfen und so kletterte er ein Stück das Ufer hoch und verschwand zwischen den Bäumen. Er erreichte eine felsige Anhöhe und kletterte hinauf, um von dort den Fluss zu überblicken. Sie waren kurz vor der Stelle, an der der Fluss sich zu einem See erweiterte. Dichtes Schilf verdeckte einen Teil des Ufers und im Wasser ragten die Halme des wilden Reises heraus. Es war still, denn die Ernte war vorbei, und viele Wasservögel hatten bereits die Reise in den Süden angetreten. Nur vom Ufer unter ihm erklangen der eintönige Singsang von Wapus und das rhythmische Schlagen der Stöcke.

Er lauschte kurz der Zeremonie und kletterte dann die Felsen wieder hinunter. In Gedanken versunken ging er ein Stück in den Wald. Seine weichen Sohlen vermieden jedes Geräusch, sodass er wie ein Geist über die Ranken und Flechten schwebte. Unhörbar, als würde er sich an ein Tier schleichen. Es war nicht beabsichtigt, sondern gehörte zu seinen ureigenen Bewegungen wie das Atmen. Sein Überleben hing davon ab, dass er nicht gesehen oder gehört wurde, gleichgültig ob er jagte oder gejagt wurde. Aber diese Dinge waren ihm vertraut. Hier fühlte er sich wohl. Er ging gern mit Freunden zur Jagd oder auf Reisen, denn dann vermied er unangenehme Begegnungen im Dorf. Er ahnte, dass junge Frauen ihn eher mieden, weil er als unnahbar galt, dabei sehnte er sich nach einer Gefährtin. Bei Kämenaw Nuki spürte er diese Vorbehalte nicht und so hatte er beschlossen, auf ihre ersten Riten zu warten. Es freute ihn, wenn sie ihn mit einem langen Blick aus ihren Augen verfolgte, wenn sie glaubte, dass er es nicht bemerken würde. Er ließ sie stets in diesen Glauben und lächelte dann voller Glück. Dass Machwao keine Einwände hatte, wenn er irgendwann um das Mädchen werben würde, hatte ihn erfreut. Kämenaw Nuki war bereits wie eine Knospe erblüht und es war absehbar, dass sie bald zur Frau heranreifte. Er hatte Geduld!

Seine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück und er richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung. Er schlug einen leichten Bogen und kehrte schließlich zum Fluss zurück, um sich seinen Freunden anzuschließen. Der Gesang war verstummt und er wusste, dass sie aufbrechen wollten. Awässeh-neskas gehörte in die Hände erfahrener Medizinleute.

Mit einer schnellen Bewegung ließ Wakoh sich zu Boden gleiten, als etwas in einiger Entfernung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war nur ein Lichtreflex gewesen, wie wenn ein Blatt sich im Sonnenlicht wendete, und doch hatte es ihn aufgeschreckt. Sein Herz pochte plötzlich Blut durch seine Adern und seine Atmung wurde schneller. Es waren kaum noch Blätter an den Bäumen! Etwas hatte sich bewegt und dadurch das Licht unterbrochen! Kurz überlegte er, ob er zum Ufer zurückrennen sollte, um seine Freunde zu warnen. Andererseits wäre es besser, wenn er wirklich wüsste, ob tatsächlich eine Gefahr drohte. Wo zwei Anishinabe waren, lungerten vielleicht noch andere herum. Waren sie nur einer Vor- oder Nachhut begegnet? Sie waren nur langsam vorwärtsgekommen, weil sie immer wieder hatten halten müssen, um ihren Freund zu versorgen. Also wäre es durchaus möglich gewesen, dass andere Anishinabe sie überholt hatten.

Auf allen vieren kroch er durch das Unterholz, sorgsam darauf bedacht, sich nicht durch unvorsichtige Bewegungen zu verraten. Hinter einigen Felsen richtete er sich vorsichtig auf und wagte einen Blick in die Richtung, aus der die Lichtreflexion gekommen war. Zwischen den Bäumen konnte er die deutlichen Umrisse einer Elchkuh und ihres Kalbes erkennen, die friedlich ästen und dabei in langsamen Schritten vorwärtsgingen. Ein dunkles, erleichtertes Lachen stieg in ihm hoch, das die beiden natürlich sofort in die Flucht trieb. Krachend brachen sich die beiden ihren Weg durch das Unterholz, trampelten bei ihrer panischen Flucht alles nieder, was ihnen entgegenkam, während Wakoh sich vor Lachen den Bauch hielt.

Das Kälbchen stakste dabei auf seinen dürren Beinen neben der Mutter her und bei dem Versuch, unter ihren Bauch zu schlüpfen, brachte es die Elchkuh fast zum Stürzen. Mit einem hohen Sprung brachte sich die Kuh in Sicherheit, während das Kälbchen kläglich blökte.

Hohhoh! Wenn er jemandem erzählte, dass er sich vor einer Elchkuh und ihrem Kalb gefürchtet hatte, dann wäre es um seinen Ruf geschehen. Kopfschüttelnd drehte Wakoh sich um und lief schnellen Fußes zum Kanu zurück. Seine Freunde sahen ihn fragend an und er machte eine beruhigende Handbewegung.

„Nichts! Ich habe eine Elchkuh und ihr Kalb erschreckt.“ Machwao grinste frech. „Oder haben sie dich erschreckt?“

Wakoh steckte die Anspielung mit einem Lächeln weg. „Vielleicht! Ich war in Sorge, ob vielleicht noch mehr Anishinabe in der Nähe sind.“

„Und?“

Die forschenden Augen ließen Wakoh ernst werden. „Nein! Wo eine Elchkuh mit ihren Kalb friedlich frisst, sind sicherlich keine Feinde.“

„Wieso nicht? Du warst ja auch in der Nähe!“

Wakoh lachte dunkel. „Ja, aber ich habe gelacht, als ich sie gesehen habe. Erst dann sind sie weggelaufen.“

„Auch unsere Feinde sind geschickt darin, sich lautlos anzuschleichen“, gab Machwao zu bedenken.

Wakoh nickte nur. Dazu gab es nichts zu sagen. Er half Wapus und Machwao, das Kanu ins Wasser zu schieben, und setzte sich wieder nach vorne. Vorsichtshalber legte er den Bogen griffbereit neben sich. Das Kanu schaukelte leicht, als auch Machwao und Wapus an Bord kletterten. Machwao steuerte das Kanu in die Mitte des verbreiterten Flusses, um es außerhalb der Pfeillänge möglicher Feinde zu bringen. Hier konnten sie aber auch bereits von weitem entdeckt werden. Im Schilf wären sie versteckt gewesen. Alles hatte seine Vor- und Nachteile. Aber Machwao wollte nicht durch die Uferpflanzen aufgehalten werden, sondern das Dorf möglichst schnell erreichen. Sie paddelten wieder zu dritt. Mit ruhigen, kräftigen Schlägen trieben sie das Kanu über das Wasser. Im Westen neigte sich die Sonne bereits dem Horizont zu und sie wussten, dass die Nacht schnell kommen würde. Die Tage waren bereits kurz.

* * *

Es war Abend, als sie endlich das Ufer ihres Dorfes erreichten. Wakoh rief um Hilfe und sogleich näherten sich die Bewohner, um zu sehen, was sich ereignet hatte. Wakoh deutete mit einer Kopfbewegung auf die am Boden liegende Gestalt und erzählte kurz, was passiert war. „Anishinabe haben uns überrascht und Awässeh-neskas schwer verletzt. Bringt ihn in die Metewin-Hütte.“

Ein spitzer Schrei erhob sich aus der Menge und eine junge Frau drängte sich durch die Anwesenden. Es war die hochschwangere Ehefrau von Awässeh-neskas, die sich bestürzt über das Kanu beugte. „Mein Mann, mein Mann, was ist geschehen?“ Ihr Wehklagen war weithin zu hören, als die Männer den Verletzten vorsichtig aus dem Kanu bargen und zur Hütte der Metewin-Männer brachten. Der Eintritt wurde ihr verwehrt und so blieb sie klagend davor stehen, schlug die Hände vors Gesicht und sank schließlich in die Knie. Aber es war besser so. Die Medizinleute brauchten all ihr Wissen, all ihre Gesänge und all ihre spirituelle Kraft, um Awässeh-neskas zu helfen. Eine Frau, die kurz davor stand, ein Baby zu gebären, wäre keine Hilfe. Sie musste sich auf andere Dinge vorbereiten. Mehrere Frauen kamen zu Hilfe und führten die Frau in ihren Wigwam zurück. Die Schwiegermutter nahm die Frau tröstend in die Arme und es waren ihre Worte, die Regen-auf-dem-Wasser aus der Trauer rissen, denn auch die Schwiegermutter machte sich sicherlich große Sorgen um den Sohn. „Mutter, Mutter, wir müssen flehen!“, bat sie mit tränenerstickter Stimme.