Pine Ridge statt Pina Colada

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Brot und Spiele

Sannah kletterte mit geradezu ekelhaft guter Laune aus dem Bett. Der kindische Streit war aus der Welt geschafft, sie freute sich auf den Ausritt mit den Kindern, und vom Brotteig war mehr als genug da, um noch frische Brötchen zu backen und endlich mal wieder „richtig“ zu frühstücken.

Obwohl es noch früh am Morgen war, war es schon recht warm, und so entschied sie sich für ein Frühstück auf der Veranda. Es war schließlich Wochenende, auch wenn das am Arbeitspensum auf der Ranch nichts änderte. Sie zog ihre Stiefel an, um als Erstes die Pferde zu tränken und auf die Weide zu lassen, danach machte sie sich an die Brötchen.

Bei Josh war auch Wochenende. Mit offenen Haaren und barfuß kam er die Treppe runter, verschlafen wie immer.

„Gott sei Dank, der Morgenmuffel ist wieder da“, bemerkte Sannah grinsend. „Als gut gelaunte Hausfrau warst du mir unheimlich.“

Er gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Danke für die Blumen!“, knurrte er scherzhaft. „Was riecht hier so gut?“

„Brötchen“, sagte sie auf Deutsch.

„Was für‘n Ding?“

„Wirst du schon sehen, Frühstück gibt‘s draußen“, meinte sie, schnappte sich die Kaffeekanne und schob ihn vor die Tür.

Josh sah auf den gedeckten Tisch und dann hinüber zur Weide. „Betrachte dich hiermit offiziell als geraubt“, verkündete er breit grinsend und setzte sich an den Tisch.

„Hört, hört, White Cloud hat gesprochen!“, rief sie im Originalton der Fünfziger-Jahre-Western.

„Ho, hécetu welo!“ – Nun, so sei es, sagte er und griff nach einem Brötchen. „Aber das mit dem Jeansflicken, das üben wir noch mal!“ Er lachte.

„Das mit dem Smartphone-Einrichten auch“, frotzelte sie zurück.

„Hast du denn gestern ein Pferd verkauft?“, erkundigte sie sich. Josh nickte zufrieden.„Sogar zwei. Prinzessin konnte sich nicht entscheiden, und da hat Daddy tiefer in die Tasche gegriffen.“

Sannah prustete los. „Dich hätte sie am liebsten gleich mit eingepackt“, stellte sie lachend fest. „Frei nach dem Motto: Safe your horse, ride a cowboy.“

Er verzog angewidert das Gesicht. „Danke, verzichte! Vor dieser Kriegsbemalung hatte ich Angst!“

Sie kringelte sich vor Lachen. „Wo war denn da der furchtlose Lakota?“

„Der hatte gestern frei“, erklärte er beleidigt. „Deswegen musste ich ja auch die Schmach ertragen, mich von einer halben Portion wie dir retten zu lassen. Aber dein fieser Blick hat gesessen. Danach packte sie ihr Silikon ein und gab Ruhe.“

„Gern geschehen, aber die halbe Portion merke ich mir!“ Sie hob drohend ihren Zeigefinger.

„Dann solltest du vielleicht mal anfangen zu essen“, mahnte Josh und schwang dabei das Buttermesser.

Sie schmierte sich ein Brötchen und schlug ein Ei auf. Schmunzelnd fing sie an zu essen.

„Das letzte Mal gab es am Tag meiner Abreise Brötchen zum Frühstück. Vor lauter Aufregung hab ich kaum was runtergekriegt“, erzählte Sannah.

Josh lächelte und fragte: „Warum warst du aufgeregt?“

„Ich wusste ja nicht, was mich hier erwarten würde. Ich hatte mir irgendwie alles ganz anders vorgestellt. Ein älteres Ehepaar mit mindestens sieben Kindern, jede Menge Trubel und ich mittendrin.“

Josh fing an zu lachen.„Da wärst du bei meinem Freund Randall an der richtigen Adresse gewesen. Er leitet das Horsemanship-Projekt in Pine Ridge. Jede Menge Kinder und Enkel, aber er hätte Schwierigkeiten gehabt, dich unterzubringen, deswegen bist du jetzt bei mir. An den sieben Kindern muss ich aber noch arbeiten“, räumte er ein. „Bist du jetzt enttäuscht, dass du stattdessen bei einem einsamen knurrigen Wolf gelandet bist?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ganz im Gegenteil. Ich liebe die Ruhe hier draußen und ich bin froh, dass ich noch was anderes zu tun habe als nur zuschauen und fotografieren. Außerdem bist du nicht knurrig. Jedenfalls meistens“, gab sie lachend zu.

Er starrte nachdenklich in seinen Kaffeebecher. „Na ja, jetzt ist Frühsommer, alles ist grün, und hier ist viel zu tun. Aber die Winter hier draußen sind hart und einsam. Manchmal kommt man tagelang nicht raus, weil alles zugeschneit ist, und die Blizzards sind lebensgefährlich. Im Winter würde es dir hier nicht mehr gefallen“, meinte er überzeugt. Schließlich konnte er nicht ahnen, dass es Sannah nie zu kalt sein konnte.

„Darf ich dich mal was Persönliches fragen?“, wollte sie wissen. Die Geschichte mit den Klapperschlangen und Kornnattern hatte sie neugierig gemacht. Josh nickte zustimmend.

„Warum lebst du ganz allein hier draußen?“

Josh atmete tief ein und senkte den Blick. Ihm war klar, dass sie sich mit einer kurzen Antwort nicht zufrieden geben würde. „Meine Mom ist abgehauen als ich fünf war, sie hat es hier nicht ausgehalten. Deswegen habe ich auch keine Geschwister. Dad hat mich allein großgezogen, wollte aber nie wieder heiraten. Er hat sein ganzes Leben lang gespart, um mich auf eine Universität außerhalb der Rez zu schicken, damit ich rauskomme und ein anderes Leben kennenlerne. Aber je länger ich dort war, desto mehr vermisste ich das Leben hier. An der Uni lief mir Chloe über den Weg. Mein Verstand setzte aus, und es dauerte Jahre, bis er wieder funktionierte. Sie hierher zu bringen, war dann der nächste Fehler. Ich wollte keinen Job in irgendeiner Stadt, dafür hätte ich mich zu sehr verbiegen müssen. Ich wollte aus mir keinen Apple machen lassen.“

„Was ist ein Apple?“, fragte Sannah irritiert.

„Außen rot, innen weiß. Chloe war ein Apple, ich habe das zu spät erkannt. Ich bin sehr traditionell aufgewachsen und stolz auf das, was ich bin. Ein Lakota. Ich will mich nicht schämen müssen, wenn ich einmal im Jahr zu Besuch auf die Rez fahre und mich ein zweites Mal schämen, wenn ich sie wieder verlasse. Das hier ist mein Land. Es war schon immer unser Land, und das gebe ich nicht auf. Sie hat das nie begriffen. Vor ein paar Jahren starb dann mein Vater, kurz danach ist Chloe auch abgehauen, genau wie meine Mutter. Seitdem bin ich hier allein. Als ich zehn war hatte meine Unci, meine Großmutter, einen Traum. Sie sagte, ich würde nie die richtige Frau finden, sie würde mich finden.“ Er lächelte, als er an seine Großmutter dachte. „Und dann sagte sie noch etwas, das ich bis heute nicht verstanden habe. Sie sagte, diese Frau käme aus dem ewigen Eis.“

Sannah erstarrte.

„Was auch immer sie damit gemeint haben mag, der erste Teil stimmt jedenfalls, ich habe die Suche aufgegeben“, beendete er seine Geschichte.

Sannah schwieg betroffen; sie konnte die Resignation in seiner Stimme hören, und es machte sie traurig.

Tröstend legte sie ihre Hand auf seine und meinte: „Wer weiß, vielleicht behält Unci ja recht.“ Dabei lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, als hätte sie einen Geist gesehen.

Josh lächelte versonnen und machte sich an das nächste Brötchen. Er war froh, das Thema wechseln zu können. „Die Dinger sind sehr gut. Ich freue mich schon auf die Stockvariante. Aber wir machen das Feuer besser hier auf dem Hof. Ich will keinen Flächenbrand auslösen, sonst brauche ich mich beim Footballspiel gar nicht erst blicken zu lassen.“

„Was ist noch zu tun, bis die Kinder kommen?“

„Mein neues Spielzeug in Betrieb nehmen.“

„Machen wir gleich – und sonst?“, bohrte sie weiter.

„Nichts, heute faulenzen wir mal. Bei der Hitze könnten wir auch schwimmen gehen“, schlug er vor.

„Daraus wird leider nichts, ich habe keinen Badeanzug dabei“, meinte sie enttäuscht.

„Das stört mich nicht“, versicherte er frech.

„Dachte ich mir. Aber mich!“, stellte sie klar.

„Spielverderber!“, murrte Josh. „Ich muss demnächst noch mal nach Rapid, ich nehme dich mit und setzte dich für ein paar Stunden im Shoppingcenter aus, dann kaufst du dir einen knappen Bikini und ich erledige meinen Kram.“ Josh hatte ein verräterisches Funkeln in den Augen.

„Badeanzug!“, korrigierte sie ihn.

Er zog demonstrativ eine Flunsch und schmollte. „Du gönnst mir aber auch gar nichts.“

„Ich bin auch sehr traditionell aufgewachsen, und das bedeutete, dass ein Mädchen nicht zu viel zeigen sollte. Weihnachtsgeschenke wickelt man ja auch nicht in Klarsichtfolie.“

„Nein, aber die darf man auspacken“, hielt er lachend dagegen.

Dann stand er auf und holte sein Handy. Es dauerte keine fünf Minuten, und er saß zufrieden mit dem Ding auf der Bank und suchte sich den passenden Klingelton aus.

Sannah flüchtete vor dem Gedudel in ihr Zimmer und holte das Buch. Sie zeigte ihm noch, wie man seine Visitenkarte verschickt, und er begann damit, alle Telefonnummern abzuspeichern. Josh zauberte zwei alte Liegestühle aus dem Schuppen, und sie verbrachten den restlichen Vormittag faul im Schatten der Veranda. Mit einem skeptischen Blick schnappte er sich ihr Buch und verzog spöttisch das Gesicht. Er las ein paar Zeilen der Liebesschnulze und fing an zu lachen. „Du hattest schon lange keinen Freund mehr, oder?“

Sannah lief rot an. „Was anderes hatten sie im Supermarkt nicht“, verteidigte sie sich empört.

„Ausrede! Man muss echt verzweifelt sein, um das zu lesen“, frotzelte er weiter und amüsierte sich köstlich über ihren verkniffenen Gesichtsausdruck.

Gegen Mittag tauchte unvermittelt Tyler auf, zwei Stunden zu früh.

„Hey, Tyler, geht deine Uhr falsch?“, fragte Josh.

Tyler schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, mein Dad hat schlechte Laune, da hab ich mich lieber verzogen.“

Joshs Miene verfinsterte sich. Er wusste, was das bedeutete. Daryl war wieder betrunken.

Sannah sah die beiden verwirrt an. Sein Dad? Sie würde immer noch Stein und Bein schwören, dass Josh Tys Vater war.

 

Josh bemerkte ihren ratlosen Gesichtsausdruck. „Hast du heute schon was gegessen?“, fragte er den Jungen, um Sannahs Augenmerk auf etwas Anderes zu lenken. Wieder schüttelte Tyler den Kopf.

Sie reagierte, wie Josh es erwartet hatte: Sannah stand auf und schob Tyler vor sich her. „Komm, Ty. Du bekommst jetzt erst mal einen Eistee, und dann kannst du mir beim Tisch decken helfen, wenn du magst.“

Tyler lächelte dankbar und ging mit Sannah in die Küche.

Als die beiden um die Ecke verschwunden waren, ballte Josh die Fäuste und biss die Zähne aufeinander. Er kochte vor Wut.

Kurze Zeit später stand das Essen auf dem Tisch. Tyler futterte drauflos und strahlte. „Das ist lecker, was ist das?“

„Schlangenfraß“, blödelte Josh mit einem Augenzwinkern.

Tyler, der den Wortwitz nicht verstanden hatte, sah Josh empört an. „Das ist doch kein Fraß!“, protestierte er.

Sannah lächelte süffisant, solidarisierte sich mit Tyler und warf Josh einen pikierten Blick zu.

Der hob lachend die Hände und deutete auf Sannah. „Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen!“, beteuerte er unschuldig.

„Das ist Hähnchen-Ragout“, erklärte sie.

„Schön, dass ich das jetzt auch weiß“, stellte Josh grinsend fest. Sannah spendierte noch ein bisschen Schokolade zum Nachtisch. Normalerweise war sie kein Freund davon, Kinder mit Süßigkeiten vollzustopfen, aber bei Tyler hatte sie den Eindruck, dass er so etwas sonst nicht bekam. Er hatte sich ausgehungert aufs Essen gestürzt, seine Kleidung war alt und verschlissen, die Schuhe kaputt. Der Junge lebte unterhalb der Armutsgrenze, wie so viele im Reservat.

Nach dem Mittagessen klopfte Josh Tyler auf die Schulter. „Du kannst mir helfen, ich will vor unserem Ausritt noch den Wallach bewegen, damit er nachher nicht mit Sannah nach Nebraska rennt.“ Er grinste breit, und die Jungs ließen sie konsterniert zurück.

Sannah sah den beiden hinterher und räumte mit einem mulmigen Gefühl im Magen den Tisch ab. Den sechshundert Kilo schweren Kindskopf auf dem Platz zu reiten, war eine Sache. Im offenen Gelände sah das schon ganz anders aus. Deswegen hatte Josh ihn wohl auch gestern mit auf die Weide genommen, vermutete sie, um zu testen, ob sich das Pferd benehmen würde.

Als sie auf der kleinen Weide angekommen waren, grinste Tyler Josh an. „Sie ist echt nett, ist sie deine Freundin?“

„Nein“, antwortete Josh mit einem kleinen Lächeln im Gesicht.

„Schade!“, meinte Tyler, dem der leicht bedauernde Tonfall in Joshs Stimme nicht entgangen war. „Dann solltest du dich besser ranhalten, bevor ein anderer sie dir wegschnappt“, riet er altklug. Josh traute seinen Ohren kaum und sah Tyler verblüfft an. „So, so, und was macht dich zum Experten in puncto Frauen?“, fragte er schmunzelnd.

„Na, ich bin ja schließlich schon dreizehn und kein Baby mehr! In der Schule laufen mir alle Mädchen hinterher“, erklärte Tyler selbstbewusst.

Josh verkniff sich das Lachen und sah Tyler ernst an. „Lass dir aber noch ein paar Jahre Zeit, bevor du mit einem Mädchen ins Bett gehst, sonst hast du nämlich ganz schnell ein eigenes Baby!“ Tyler lief schlagartig rot an und nickte verlegen.

Josh drückte ihm ein Halfter in die Hand und schickte ihn los, den Wallach zu holen. Er grübelte vor sich hin, bis Tyler mit dem Pferd zurückkam.

Eine Stunde später setzte sich der ganze Trupp in Bewegung. Josh ritt voran, und Sannah bildete die Nachhut. Die Kinder hatten, trotz der Hitze, gute Laune und freuten sich auf einen schönen Nachmittag. Josh hatte ihnen noch nichts vom geplanten Lagerfeuer erzählt, das sollte eine Überraschung werden. Er sah immer wieder nach hinten, um sich zu vergewissern, dass Sannah mit der Dynamitstange zurecht kam. Aber das Pferd trottete vergnügt mit den anderen mit, und Sannah saß entspannt im Sattel und freute sich darüber, die Gegend zu erkunden. Die Gruppe ritt entlang des Baches und blieb daher meistens im Schatten der Büsche und Bäume.

Tyler ließ sein Pferd zurückfallen, bis er neben Sannah angelangt war. „Du bist mutig. Ich würde mit dem noch nicht ausreiten“, gab er offen zu, während er auf ihr Pferd deutete.

Sannah versuchte, ihr mulmiges Gefühl zu unterdrücken. „Josh hätte ihn mir nicht gegeben, wenn er sich nicht sicher wäre, dass ich das überlebe“, sagte sie und versuchte, möglichst überzeugt zu klingen.

Tyler warf ihr einen schelmischen Blick zu. „Du musst ihn sehr mögen, wenn du ihm dein Leben anvertraust.“

Ihr entging nicht sein neugieriger Gesichtsausdruck, aber sie wollte auch nicht lügen. „Ja, ich mag ihn“, erwiderte sie schmunzelnd und fragte sich, was der Junge wohl im Schilde führte.

Tyler lächelte zufrieden. „Er mag dich auch“, stellte er fest. „Zieh doch mal ein hübsches Kleid an, das würde ihm bestimmt auch gefallen.“

Sannah fing an zu lachen.

„Hast du noch mehr gute Ratschläge?“

Tyler schüttelte mit einem frechen Grinsen den Kopf. „Erst mal nicht, aber mir fällt bestimmt noch was ein.“

„Da bin ich mir sicher. Wohin reiten wir eigentlich?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.

Tyler zog die Schultern hoch. „Keine Ahnung, ich kenne mich hier auch nicht aus.“

„Aber du wohnst doch hier?“, fragte sie erstaunt.

„Noch nicht lange. Wir sind erst im Winter von der Cheyenne River Reservation hierher gezogen. Erst wollte ich nicht, aber hier ist es besser. Ich muss nicht mehr so weit zur Schule laufen, und wir haben jetzt Strom und fließendes Wasser im Haus. Früher brauchte ich über eine Stunde zur Schule, und nachmittags musste ich Wasser holen. Jetzt habe ich Zeit für die Hausaufgaben und zum Reiten.“ Sannah versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie erschüttert sie war. Sie dachte an die Kinder zu Hause, die den halben Tag vor ihrem Computer saßen und sich gar nicht klar darüber waren, in welchem Luxus sie lebten. Für Tyler waren fließendes Wasser und Freizeit Luxus.

„Finde ich gut, dass dir die Schule wichtig ist“, lobte sie.

Er nickte. „Seit ich weiß, dass in Kyle ein College ist, will ich dahin. Ich weiß noch nicht, ob ich das schaffe, aber ich will es wenigstens versuchen.“

„Das schaffst du bestimmt, und ich bin sicher, dass Josh dir dabei hilft, wenn es mal schwierig wird“.

„Hat er auch schon gesagt, und ich darf immer auf die Ranch kommen, wenn Dad miese Laune hat. Früher bin ich dann immer draußen herumgelaufen, auch im Winter.“ Er schluckte den Kloß im Hals runter. „Willst du nicht nach vorne zu Josh reiten?“, schlug Tyler vor und deutete auf ihre Kamera, die Sannah sorgfältig am Sattel festgebunden hatte. „Dann kannst du wieder Fotos machen, wenn wir an dir vorbeireiten.“

„Gute Idee! Dann bleibst du aber hier hinten und passt auf, dass die Jüngeren nicht verlorengehen.“ Sie trieb ihr Pferd vorwärts, an den Kindern vorbei, bis sie Josh erreicht hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er und strahlte sie an.

„Alles bestens. Ty hat vorgeschlagen, ein paar Fotos zu machen, während ihr an mir vorbeireitet.“

„Das kannst du nachher machen“, sagte er. „Jetzt wollen wir galoppieren.“

Sie hatten offenes Gelände erreicht, und das Grasland breitete sich scheinbar endlos, in sanften Wellen vor ihnen aus. Der Anblick war unbeschreiblich schön.

„Wir galoppieren jetzt, bis wir die Furt am Creek erreichen“, rief Josh den Kindern zu. „Bleibt möglichst zusammen.“ Er galoppierte an, hielt aber ein gemäßigtes Tempo.

Das ließ sich Sannahs Teenager auf vier Beinen nicht zweimal sagen. Beim Anblick der freien Fläche ging sein Temperament mit ihm durch. Josh sah sich gerade nach den Kindern um, als der Wallach Gas gab und über die Ebene auf den nächsten Hügel zu raste. Sannah geriet nicht in Panik, sondern ließ ihn laufen und versuchte gar nicht erst, ihn zurückhalten zu wollen. Sie wusste, er würde sich nicht bremsen lassen. Je schneller das Pferd wurde, desto flacher wurden die Bewegungen seines Rückens. Sie gab ihm mehr Zügel und ging in den leichten Sitz, um den Sattel zu entlasten. Der Wallach galoppierte fast ungebremst mit ihr den Hügel hinauf und verschwand hinter der Kuppe aus der Sichtweite der anderen.

Josh hatte erst im letzten Moment bemerkt, was los war, und wendete sich wieder nach vorn. Gerade noch rechtzeitig, um Sannah hinter dem Hügel verschwinden zu sehen. Panik erfasste ihn. „Ihr bleibt hier!“, schrie er laut. „Ty passt auf!“ Dann trieb Josh sein Pferd an und jagte ihr hinterher.

Sannah war wie im Rausch. Der Wind wehte ihr ins Gesicht und zerrte an ihrem Haar und der Mähne des Pferdes. Die Landschaft zog an ihr vorbei, und sie hörte nur noch das dumpfe Geräusch der Hufe auf dem Grasboden, wie einen Herzschlag, der sie regelrecht in Trance versetzte. Sie hatte das Gefühl zu fliegen, frei wie ein Vogel. Die schier unendliche Landschaft vor Augen, wollte sie am liebsten nie wieder anhalten. Ihr Pferd jagte den nächsten sanften Hügel hinauf.

Josh war gerade auf der Kuppe des ersten angekommen, als er sah, dass sie mit unverminderter Geschwindigkeit schon wieder drohte, aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Wenigstens war das Pferd nicht gestürzt, und sie saß noch im Sattel. Einen Augenblick später war sie nicht mehr zu sehen. „Verdammt“, fluchte er und folgte ihr.

An der Furt holte er sie ein. Sannah hatte es geschafft, ihr Pferd vor dem Bach zum Stehen zu bringen, und sah völlig entrückt auf das glitzernde Wasser. Als sie Josh hinter sich hörte, wendete sie ihr Pferd und strahlte ihn an. Ihr Atem ging keuchend, das unbändige Gefühl von Freiheit stand ihr ins Gesicht geschrieben und ihre großen dunklen Augen funkelten wie die Wasseroberfläche des Bachs. Sie sprühte geradezu vor unerschöpflicher Lebensfreude.

„Das war himmlisch!“, rief sie übermütig.

Ihr Anblick raubte ihm den Verstand. Er stieg vom Pferd, zog sie aus dem Sattel und drückte sie an sich, unendlich erleichtert, dass ihr nichts passiert war. Allein die Vorstellung, er hätte Sannah am Boden liegend gefunden, jagte ihm Schauer des Entsetzens über den Rücken. Josh sah sie an und strich ihr sanft das zerzauste Haar aus dem Gesicht. „Ich hatte Angst um dich“, sagte er einfach, obwohl das längst nicht alles war, was in seinem Inneren an Gefühlen tobte.

Sannah war immer noch atemlos, und der Umstand, dass er sie im Arm hielt und sie mit seinen schwarzen Augen förmlich auffraß, trug auch nicht gerade dazu bei, dass sie sich beruhigte. Sie schluckte trocken.

„Wir sollten zurückreiten, die Kinder sind allein“, appellierte sie an sein Verantwortungsgefühl.

Josh löste nur zögernd seine Umarmung. „Du hast recht“, meinte er und steuerte auf Sannahs Pferd zu.

„Nichts da! Das ist meiner!“, protestierte sie energisch und schob ihn mit sanfter Gewalt von ihrem Pferd weg.

„Du willst da wieder drauf?“, fragte er freudig überrascht.

„Na klar!“, erwiderte sie, immer noch ganz euphorisch von dem wilden Ritt. „Wie hast du so schön gesagt? Der hat sein Pulver für heute verschossen. Außerdem war das besser als Sex!“ ‚Ups, an diesem Freudschen Versprecher hätte Sigmund seine wahre Freude gehabt‘, dachte sie und biss sich auf die Lippe.

Josh war für den Bruchteil einer Sekunde das Lächeln aus dem Gesicht gekippt und hatte dem Erstaunen Platz gemacht, bevor er anfing schallend zu lachen. Seine ganze Anspannung löste sich und schüttelte ihn derart durch, dass er kaum noch dazu fähig war, in den Sattel zu steigen.

Sannah saß mittlerweile wieder auf ihrem Pferd und strafte ihn mit einem missbilligenden Blick. „Nun krieg dich mal wieder ein. So lustig war das jetzt auch nicht.“ Mit einem Kopfschütteln setzte sie ihr Pferd in Bewegung.

Josh japste nach Luft und rang vergeblich um Fassung. „Doch!“ Er lachte und hangelte sich am Sattel hoch. „Erst recht nach deiner Moralpredigt über knappe Bikinis! Wenn ich auch nur geahnt hätte, was in deinem Kopf vorgeht, hätte ich dich eben geküsst und dir die Klamotten vom Leib gerissen!“

Sannah lief rot an, was ihn nur zu einer neuerlichen Lachsalve anfeuerte. Sie ritten den Hügel empor und waren fast schon oben angekommen, als sich sein Lachen in ein hämisches Grinsen verwandelte und das Raubtier mit einem riesigen Satz aus ihm herausbrach. „Aber das kann ich ja nachholen“, drohte er amüsiert. Sannah kreischte und floh im Galopp vor ihm davon.

Die Kinder hatten inzwischen auf der Hügelkuppe Position bezogen, um einen besseren Überblick zu haben, als sie sahen, wie Sannah kreischend auf die andere Kuppe galoppierte. Einen Moment später jagte Josh mit einem wilden Kriegsschrei hinter ihr her.

 

Sie raste den Hügel hinab, direkt auf die Kinder zu, und rief: „Ómakiya pe! Tóka! Ómakiya pe!“ – Helft mir! Ein Feind! Helft mir! Dabei deutete sie auf Josh.

Die Kinder johlten vor Vergnügen und galoppierten auf Josh zu, um ihn von Sannah abzudrängen. Sannahs Wallach war schneller, weil er weniger Gewicht zu tragen hatte, und so erreichte sie die wilde Horde der Kinder, die nun anfingen Josh zu verfolgen. Der hatte, angesichts der Übermacht, die Sannah mobilisiert hatte, abgedreht und schlug nun mit seinem Pferd Haken, die nur ein gut ausgebildetes Cutting-Pferd fertigbrachte, um Rinder einzufangen.

Die Kinder hefteten sich entschlossen an seine Fersen und begannen eine wilde Hetzjagd auf Josh. Sannah ließ sich ein wenig zurückfallen, um den Kids nicht in die Quere zu kommen. Außerdem konnte sie sich vor Lachen kaum noch im Sattel halten. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatte. Die Kinder saßen ihm immer noch im Genick und trieben ihn, mit wildem Geschrei, über den Hügel. Sie beeilte sich hinterherzukommen. An der Furt hatten sie Josh umzingelt und zum Stehen gebracht. Sie stürzten sich begeistert auf ihn und zerrten ihn lachend vom Pferd. Er spielte amüsiert mit und ergab sich.

Sannah stieg aus dem Sattel und warf dem am Boden liegenden Josh einen verschmitzten Blick zu. Er konnte sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen und spielte weiter den Gefangenen. Die Mädchen hatten mittlerweile einen Strick aus den langen Grashalmen geflochten und fesselten Josh kichernd die Handgelenke. „Was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Tyler barsch. Seine Augen leuchteten vor Vergnügen.

„Wir machen hier Rast, bis sich die Pferde erholt haben, dann brechen wir auf und nehmen ihn mit in unser Lager. Dort werden wir am Feuer beraten, was mit dem feindlichen Krieger geschehen soll“, verkündete Sannah bierernst.

„Hécetu!“, stimmte Tyler zu.

„Kühlt euch ab und tränkt die Pferde“, sagte sie zu den Kindern. „Ich bewache ihn!“

Josh hatte sich hochgerappelt, und Sannah schob ihn vor sich her in den Schatten eines Baumes, während die Kinder vergnügt im Wasser planschten. Sie holte ihre Kamera und machte ein paar Fotos, unter anderem auch von Josh, der sich Mitleid heischend, mit gefesselten Händen hingesetzt und an den Stamm gelehnt hatte. Die Kinder schöpften Wasser in ihre Hände, kamen nun auf Josh zu und spritzten ihn damit voll.

„Hécunpi schni yo! – Tut das nicht, brüllte er grimmig und schlug die kichernden Kinder in die Flucht.

Sannah drückte lachend weiter auf den Auslöser und befestigte die Kamera dann wieder am Sattel. Ihr Wallach stand mittlerweile am Bach und löschte seinen Durst, und so kühlte sie sich auch ein bisschen ab und kehrte dann zu dem Gefangenen zurück. Sie setzte sich neben Josh unter den Baum, grinste frech und amüsierte sich köstlich bei diesem Spiel.

„Das wirst du mir heute Abend büßen!“, raunte er ihr schmunzelnd zu.

„Drohe mir lieber nicht, Machpíya-Ska!“, sagte sie und nannte seinen Namen, White Cloud, auf Lakota. „Du weißt nicht, wozu ich noch fähig bin“, drohte sie unheilvoll.

„Na, so langsam geht mir ein Licht auf, dass man kleine Mädchen nicht unterschätzen sollte. Jedenfalls ist dein Sprachführer bemerkenswert. Ich wusste gar nicht, dass „Helft mir, ein Feind!“ zu den Höflichkeitsfloskeln gehört.“

„Man muss für alles gewappnet sein, schließlich kann man ja nie wissen, ob das mal nützlich ist. Ich kann sogar nach dem Klo fragen“, versicherte sie stolz.

„Nur blöd, dass hier keins ist“, frotzelte er zurück.

Die Pferde zupften genüsslich das frische Grün am Bachufer, die Kinder hatten sich abgekühlt und lagen im Gras.

Josh sah auf seine Uhr. „Wir sollten allmählich zurück, sonst wird es für das Feuer ein bisschen spät.“

Sannah rief die Kinder zusammen und blies zum Aufbruch. Ein paar Minuten später setzte sich der Trupp in Bewegung. Tyler ritt voraus, Sannah und Josh bildeten das Schlusslicht. Er fummelte an seinen Fesseln aus Gras herum.

„Willst du dich befreien und flüchten?“, unterstellte Sannah.

Josh sah sie vorwurfsvoll an. „Hältst du mich für einen Feigling? Das hat sich vorhin schon in Wohlgefallen aufgelöst. Ich halte es nur fest, damit die Kids nachher nicht enttäuscht sind!“

Sie lächelte versonnen. „Der Ausritt erinnert mich an meine Kindheit. Ich habe mit den Kindern aus der Nachbarschaft immer Cowboy und Indianer gespielt, aber es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht wie heute.“

„Liegt vielleicht daran, dass du heute mit echten Indianern gespielt hast und nicht ein Cowboy dabei war“, höhnte Josh lachend.

„Vielleicht“ sagte sie. „Echte Pferde hatten wir damals auch noch nicht.“

„Wer hat gewonnen?“, wollte Josh wissen.

„Die Indianer natürlich! Die Cowboys wurden am Marterpfahl festgebunden, und wir tanzten laut schreiend drumherum und haben unseren Sieg gefeiert. Hinterher hat mein Vater dann ein Feuer gemacht und es gab Stockbrot und Würstchen.“

Er fing an zu lachen und fragte ungläubig: „Marterpfahl?“

Sannah biss sich auf die Zunge und schalt sich selbst, weil sie den Fettnapf mal wieder zu spät erkannt hatte. „Entschuldige. Ich wollte nicht unhöflich sein. Wir waren Kinder! Alles, was ich über eure Kultur zu wissen glaubte, stammte aus Büchern von Karl May, und der hatte ja bekanntlich auch keine Ahnung!“

Josh lächelte versöhnlich. „Hab ich auch gelesen. Das Buch hat mir mal ein Tourist geschenkt. Ich konnte diesen weichgespülten Apachen nicht leiden. Er nannte uns die feigen Kröten der Ogallallahs. Oglala auch noch falsch geschrieben“, spottete er. „Was hast du denn gespielt, den Cowboy oder den Indianer?“

„Wir haben uns immer abgewechselt, jeder musste mal den bösen Cowboy spielen, aber ich hatte als kleines Mädchen langes Haar. Es reichte mir fast bis zum Hintern. Deswegen war ich immer ein Indianer, ganz einfach, weil ich wie einer aussah“, antwortete sie. „Tust du immer noch, ich bin auch darauf hereingefallen, als ich dich zum ersten Mal sah. Nur schade, dass du die langen Haare nicht mehr hast.“ Dabei versuchte er sich vorzustellen, wie sie wohl mit langen Haaren aussehen würde.

„Als ich meine Facharztausbildung begonnen hatte, habe ich sie abgeschnitten. Sie passten nicht unter die OP-Haube“, erklärte sie ein bisschen traurig.

„Scheiß Job!“, stellte Josh grinsend fest.

Kurze Zeit später erreichten sie die Ranch. Sannah spielte, zur Begeisterung der Kinder, das Spiel weiter.

„Der Gefangene soll Feuer machen! Zwei von euch bewachen ihn dabei, die anderen bringen die Pferde zurück auf die Weide, eure eigenen Pferde stellt ihr auf den Reitplatz“, verkündete sie und nahm die Kamera vom Sattel, um später noch Fotos vom Lagerfeuer zu machen.

„Wie soll ich Feuer machen, wenn meine Hände gefesselt sind?“, warf Josh ein. „Schneidet mich los! Oder habt ihr Angst vor mir?“, fragte er provozierend und streckte stolz das Kinn vor.

Tyler hatte ein Einsehen und riss die Graszöpfe von Joshs Handgelenken, ohne zu bemerken, dass Josh die losen Enden festhielt. Josh machte einen Satz auf die Kinder zu und brüllte wie ein Stier. Die Kinder rannten lachend und kreischend davon und kümmerten sich dann um die Pferde.

Josh begann mit Tyler und einem anderen Jungen Feuer zu machen. Er hatte den Grillplatz schon am Vorabend vorbereitet, und so fehlte nur ein Feuerzeug und ein bisschen Papier, um das aufgestapelte Holz in Brand zu setzten. Er klopfte vorher noch auf den Stapel, um sicher zu gehen, dass sich in der Zwischenzeit keine Schlange darunter verkrochen hatte. Niemand wollte sich beißen lassen, aber eine Schlange verletzen wollte er auch nicht. Sannah kümmerte sich indessen um das Essen. Sie lud Würstchen, Brotteig, Getränke und die Stöcke in einen großen Wäschekorb und trug alles zum Grillplatz.

Nach und nach trudelten die Kinder wieder ein und setzten sich auf die Stämme, die im Quadrat um das Feuer herum lagen. Ihre Augen blitzten vor Neugier, was als Nächstes geschehen würde. Sannah verteilte die Stöcke, erklärte, wie man am besten die Würstchen aufspießt, und half den Jüngeren dabei, den Teig um die Stöcke zu wickeln. Die Kinder strahlten, plapperten fröhlich durcheinander und freuten sich auf das ungewöhnliche Essen. Bald saßen alle gespannt am Feuer und drehten sorgfältig ihre Spieße, damit die Würstchen nicht verbrannten.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?