Pine Ridge statt Pina Colada

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Tauwetter

Am nächsten Morgen war Sannah, Jetlag sei Dank, um halb fünf wach. Hellwach. Da sie, um Gewicht zu sparen, keine Bücher dabei hatte, mit Ausnahme des Sprachführers, fiel Lesen aus. Wieder einschlafen klappte auch nicht. Also zog sie sich an, nahm ihre neuen Stiefel in die Hand und schlich die Treppe hinunter, um Josh nicht zu wecken. In der Küche suchte sie Kaffee und Filtertüten und schmiss die Kaffeemaschine an. Kurze Zeit später saß sie auf der Veranda und schlürfte genüsslich die erste Tasse Kaffee. Draußen herrschte eine himmlische Ruhe. Ein paar Vögel, die mit ihrem Gesang den anbrechenden Tag begrüßten, waren zu hören, ab und an schnaubte eines der Pferde drüben auf der Koppel und der ewige Wind der Great Plains raschelte in den Bäumen, sonst nichts. Kein menschliches Geräusch war zu vernehmen. Man konnte den Eindruck gewinnen, der einzige Mensch auf Erden zu sein. Zuhause fuhr immer irgendein Auto, oder man hörte die Sirenen von Polizei- oder Rettungswagen. Manchmal trug der Wind die Motorengeräusche der Schiffe auf der Elbe bis in ihren Garten. Es war nie wirklich still. Hier konnte man die Stille fast körperlich spüren. Sie liebte diese frühen Morgenstunden, wenn die Natur die Oberhand hatte und die hektische Welt da draußen noch schlief.

Heute wollte sie Josh fragen, wann die Kinder kommen würden. Beim Gedanken an Josh bekam sie wieder ein flaues Gefühl im Magen. Sie bewunderte seine Art, mit Pferden umzugehen, und seinen offenkundigen Sachverstand. Er war bestimmt auch ein guter Lehrer, sonst würden die Kinder nicht kommen. Aber seine deutliche Abneigung ihr gegenüber konnte sie sich nicht erklären. Sie kam sich vor wie ein Eindringling. Genau genommen war sie das ja auch. Er lebte hier draußen wie ein Eremit, kein Nachbar weit und breit. Er war bestimmt so alt wie sie selbst, hatte aber weder Frau noch Kinder. Sannah ging plötzlich auf, dass sie nicht viel anders lebte. Seit der Scheidung hatte sie sich zurückgezogen. Annegret und Jonas waren von dem ursprünglich großen Freundeskreis übrig geblieben. Das reichte ihr völlig. Vielleicht ging es Josh ja ähnlich? Sie beschloss, seine übellaunige Art nicht so ernst zu nehmen. Sie wollte hier eine ruhige und friedliche Zeit verbringen, also würde sie sich freundlich und höflich verhalten, wie es sich für einen Gast gehörte, und ihm ansonsten aus dem Weg gehen. Langsam, aber sicher knurrte ihr Magen. Sie ging in die Küche und durchforstete den Kühlschrank.

Schinken, Toastbrot, Majonäse, Eier, Milch und Cola. Ganz hinten in der Ecke fristeten ein paar Tomaten ein einsames Dasein. Im Küchenschrank entdeckte sie noch die obligatorische Packung Cornflakes. Den Bäcker um die Ecke würde sie hier wohl vergeblich suchen, und so überlegte sie, was Amerikaner, oder speziell amerikanische Ureinwohner, wohl zum Frühstück aßen. Halber Büffel auf Toast, schoss es ihr durch den Kopf und sie grinste. In Anbetracht der Lasagne-Berge vom Vorabend kam das mengenmäßig schon mal hin. In Ermangelung eines Büffels entschied sie sich dann doch für Eier mit Schinken, dazu Toast und Kaffee. Vielleicht würde ein Frühstück den Griesgram da oben etwas freundlicher stimmen.

Der Griesgram wälzte sich stöhnend in seinem Bett herum und schlug auf den wehrlosen Wecker ein. Josh war eine Nachteule, früh aufstehen gehörte nicht zu seinen bevorzugten Tätigkeiten. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, denn die Tiere mussten versorgt werden. Völlig verschlafen quälte er sich aus dem Bett und rieb mit den Händen über sein Gesicht. Noch schlaftrunken tappte er gewohnheitsmäßig die Treppe runter und blieb wie erstarrt in der Küche stehen. Er hatte Sintéchla tschik‘ala völlig vergessen. Sie stand am Herd und wendete ein Omelette, hatte den Tisch gedeckt und Kaffee gekocht.

Als sie ihn auf der Treppe hörte, sagte sie ohne vom Herd aufzusehen: „Guten Morgen, Frühstück ist …“, sie drehte sich zu ihm um, „ … fertig.“

Ihr Lächeln machte eine Vollbremsung und kippte vornüber. Josh hatte nicht nur die kleine Klapperschlange vergessen, sondern auch sich anzuziehen. Und so stand er, nur mit Unterhose bekleidet, in der Küche. Er drehte auf dem nicht vorhandenen Absatz um und ging zurück in sein Schlafzimmer.

‚Ups‘, dachte Sannah und rief sich selbst zur Ordnung. Sein Anblick in Shorts, mit Sixpack und offenen Haaren, die ihm bis auf die breite Brust fielen, hatte ihr limbisches System abrupt aus dem Winterschlaf gerissen. Es räkelte sich nun genüsslich auf der Satin-Bettwäsche in ihrem Oberstübchen und zückte Puderdose und Lippenstift.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“, schimpfte sie mit sich selbst. Die Rottenmeier konnte ihr da nur beipflichten und klopfte hektisch auf die Anzeige des Thermostaten, der jetzt mollige siebenunddreißig Grad anzeigte.

Einige Augenblicke später erschien Josh angezogen und mit Zopf wieder in der Küche. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte es ihm gründlich die Petersilie verhagelt. Notorischer Morgenmuffel, lautete Sannahs fachmännische Diagnose. Sie ließ sich nichts anmerken und stellte ihm wortlos das Omelette mit knusprigem Schinken vor die Nase und goss ihm frischen Kaffee ein. Er nahm einen Schluck Kaffee und fing an zu essen.

„Warum bist du schon auf?“, wollte er wissen. Josh konnte nicht verstehen, warum jemand freiwillig so früh aufstand.

„Jetlag“, erklärte sie. „Bei mir zu Hause ist es schon zwei Uhr Nachmittags.“

Er nickte nur, an die Zeitverschiebung hatte er nicht gedacht. Aber immerhin hatte er diesem Umstand ein gutes Frühstück zu verdanken, und das versöhnte ihn ein wenig mit der Szene in Unterhosen. Josh konnte sich nicht daran erinnern, wann ihm zuletzt jemand Frühstück gemacht hatte. War verdammt lang her. Der ungewohnt starke Kaffee ließ ihn langsam wach werden.

„Ich will gleich bei einigen Pferden die Hufe schneiden, danach den Stall ausmisten, und heute Nachmittag muss ich einkaufen. Du kannst ja solange deine Fotos machen.“

Er erläuterte ihr seine Pläne nur, weil er hoffte, dann für den Rest des Tages seine Ruhe vor ihr zu haben. Doch Josh machte seine Rechnung ohne die Wirtin.

„Nimmst du mich mit zum Einkaufen?“, fragte Sannah. „Ich brauche Duschgel und ein paar andere Sachen. Dann kenne ich auch den Weg, fürs nächste Mal“, fügte sie noch schnell hinzu, als sie sah, wie sich seine Miene verfinsterte.

Böse Falle! Der Supermarkt war im nächsten Ort und praktisch der Hauptumschlagplatz für Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch. Der Moccasin Telegraph sorgte dafür, dass jeder auf der Rez bestens über alles und jeden informiert war. Wenn er mit Sannah im Schlepptau dort auftauchte, würde am nächsten Tag ganz Pine Ridge darüber Bescheid wissen, und so wie sie aussah, würde ihm niemand glauben, dass sie aus Deutschland kam, um Fotos zu machen. Man würde ihm wissende Blicke zuwerfen und die wildesten Spekulationen anstellen. Monatelang. Ganz böse Falle! Er stöhnte im Geiste. Auf der anderen Seite würden am Mittwoch die Kinder kommen und spätestens dann dafür sorgen, dass niemandem der Gesprächsstoff ausging. Es war nur eine Frage der Zeit.

‚Was soll‘s‘, dachte Josh. Er nickte ihr zu und schob den Teller beiseite. Als er seine Stiefel anzog, fiel sein Blick auf Sannahs neue Stiefel. „Wie ich sehe, hast du meinen Rat angenommen.“

„Klar“, erwiderte sie grinsend. Er war schon auf der Veranda, als sie ein „Danke fürs Frühstück!“ hörte. Hoppla, da war doch nicht etwa ein Tröpfchen Tauwasser vom Eisberg gefallen? Oder gar zwei? Sannah grinste und betrachtete dann das Schlachtfeld in der Küche. Offenbar hatte Josh zum Ausgleich für die Eisschmelze eine neue Regel eingeführt: Einmal abwaschen, immer abwaschen.

Nachdem sie ihren Küchendienst geleistet hatte, ging Sannah vor die Tür. Josh hatte mit „einige“ fast alle Pferde gemeint. Er war immer noch damit beschäftigt, die Hufe zu schneiden, und etwa zehn Tiere warteten noch auf ihre Pediküre. Sie überschlug die Zeit, die es noch dauern würde, und beschloss, die Wartezeit bis zum Einkaufen zu verkürzen, indem sie den Stall ausmistete. Sie suchte sich eine Mistgabel und eine Schubkarre und fing mit den Boxen der Ausbildungspferde an. Karre um Karre füllte sich mit Mist und wurde auf dem Misthaufen ausgeleert. Da Sannah normalerweise unter sterilen Bedingungen in gekachelten Räumen mit Kunstlicht arbeitete, machte es ihr Spaß, zur Abwechslung mal im Dreck zu wühlen. Als sie mit den Boxen fertig war, machte sie im Laufstall weiter. Eine große Halle, in der sich die Tiere gemeinsam frei bewegen konnten. Sie war damit beschäftigt, Mist zu schaufeln, und merkte nicht, dass Josh sie beobachtete. Grinsend lehnte er am Türrahmen und kaute auf einem Strohhalm herum. Er kletterte auf ein paar aufgestapelte Strohballen, streckte die Beine aus und gönnte sich eine Pause.

‚Doch kein schlechter Tag‘, dachte er sich. Erst machte sie Frühstück und nun seine Arbeit. Daran könnte er sich gewöhnen. Sie erstaunte ihn schon wieder. Offenbar hatte sie nicht zum ersten Mal eine Mistgabel in der Hand, und sie scheute sich auch nicht, sich die Hände schmutzig zu machen. Die meisten Frauen, die er kennengelernt hatte, hätten den Stall nicht einmal betreten. Ausmisten? Undenkbar! Dabei könnte man sich die Fingernägel abbrechen. Blöde Weiber. Sannah hingegen schien auf so etwas wie Fingernägel keinen gesteigerten Wert zu legen. Auch auf die übliche Kriegsbemalung verzichtete sie. Der ganze Firlefanz, der Frauen normalerweise so wichtig war, fehlte bei ihr. Hatte sie auch nicht nötig. Sie war hübsch. Er legte den Kopf schief und nahm genauer Maß: sogar sehr viel mehr als nur hübsch. Josh lehnte sich zurück und genoss die „schöne Aussicht“.

Sannah wuchtete die schwere Schubkarre zum Ausgang. Als sie an den Strohballen vorbeikam, sprang Josh von seiner Aussichtsplattform und landete genau hinter ihr. Sie fuhr erschrocken zusammen.

 

„Oh, Gott!“, keuchte sie. „Mir ist fast das Herz stehengeblieben!“

Er nahm ihr die Schubkarre ab und raunte unheilvoll: „Ist eine gefährliche Gegend hier! Viele Indianer!“

Sie bewarf ihn mit Stroh. „Dann vergiss beim nächsten Mal dein Messer nicht!“, rief sie ihm lachend hinterher. „Vielleicht schreie ich dann hysterisch, das wirkt authentischer.“

Und Humor hatte sie auch, stellte er auf dem Weg zum Misthaufen fest – ein paar abgebrochene Eisschollen im Kielwasser.

Josh verfrachtete sie, so wie sie war, in seinen Truck.

„Ich bin dreckig und stinke!“, hatte Sannah protestiert, als sie auf dem Weg zum Supermarkt über die Zufahrt rumpelten.

„Stimmt!“, meinte er trocken. „Aber das stört da niemanden, außerdem wirkt das so authentischer“, äffte er sie nach. Insgeheim hatte er die Hoffnung, das die Gerüchte eine andere Richtung nehmen würden, wenn Sannah nach Arbeit aussah. Sie erreichten die Hauptstraße, und das Rumpeln hörte auf.

In einiger Entfernung entdeckte Sannah auf einer Anhöhe ein paar Tipis.

„Lebt da jemand?“, fragte sie ungläubig.

Josh nickte. „Ein paar Waschítschu vom Stamm der City Slicker.“

„Was sind Waschítschu?“, wollte sie wissen. Dieses Wort stand nicht in ihrem Sprachführer.

„Weiße“, erklärte er. Irgendwie wurde ihm nicht bewusst, dass Sannah auch eine Waschítschu war. „Für siebzig Dollar pro Nacht bekommen die Wannabes, die Möchtegern-Indianer, echtes Wild West Feeling geboten. Inklusive Frühstück, Taranteln und kalter Füße“, spottete Josh.

„Halber Büffel auf Toast?“, scherzte sie.

„So ungefähr“, erläuterte er feixend. „Aber dann kommst du mit siebzig Dollar nicht mehr aus. Büffelfleisch ist scheißteuer.“

Er bog auf den Parkplatz vor dem kleinen Supermarkt ab. Direkt neben Joshs Truck standen ein paar von den Tipi-Bewohnern und machten Erinnerungsfotos. Auf einer Bank neben dem Eingang saßen einige Einheimische und hielten ein Schwätzchen. ‚Moccasin Telegraph vollständig anwesend‘, dachte Josh genervt. Die weiblichen City Slicker starrten ihn mit offenem Mund an.

Sannah grinste, er war ganz offenbar nicht nur Annes Typ. Sannah indes wurde die volle Aufmerksamkeit der Truppe auf der Bank zuteil. Man musterte sie überaus gründlich.

Josh grüßte mit einem Kopfnicken und beeilte sich, sie samt Einkaufskorb möglichst schnell durch die Tür zu schieben, um dem üblichen Palaver zu entgehen. Drinnen war es allerdings auch nicht besser. Er grüßte wieder und ignorierte die neugierigen Blicke. Nach und nach füllte sich der Einkaufskorb.

Als Josh einige Fertiggerichte aus der Tiefkühltheke nehmen wollte, meinte Sannah: „Ich könnte doch was Frisches kochen. Wenn du einverstanden bist“, fügte sie noch hinzu, als sie seine finstere Miene sah. Seit dem Parkplatz spielte Joshs Laune wieder Verstecken im Keller, und sie wusste nicht, warum.

„Wenn du willst“, brummte er.

Sie zogen weiter durch die Gänge. Josh schmiss ein Paket Kaffee in den Korb, Sannah legte ihren heißgeliebten Tee dazu.

Er verzog angewidert das Gesicht.

„Den gibt es doch wohl hoffentlich nicht zum Frühstück?“, fragte er entsetzt und stellte bei der Gelegenheit gleich klar, wer in den nächsten Wochen für den Küchendienst zuständig war.

Sannah setzte ein beleidigtes Gesicht auf. „Nein, mein Tee ist nur für nette Leute!“ Sie ließ ihn stehen und verschwand im nächsten Gang.

‚Aber hallo! Die Kleine kann ja doch klappern‘, dachte Josh und grinste in sich hinein. „Ich bin nett!“, versicherte er ihr, als er sie eingeholt hatte.

„Aber nur, wenn gerade keiner hinsieht“, gab sie zurück und legte Seife und Shampoo in den Korb. Duschgel gab es nicht. Er griff nach einer Dose Rasierschaum, Marke Moschus brutal, matt schwarz, die Schrift in Blau metallic, mit futuristisch designtem Sprühkopf.

‚Typisch Mann‘, dachte Sannah, selbst Rasierschaum kam nicht ohne Heckspoiler und Alufelgen aus. Er wollte gerade etwas erwidern, als sie mit einem kleinen boshaften Lächeln eine Packung Tampons genau daneben legte und damit den Kampf der Geschlechter im Einkaufskorb eröffnete. Josh war das sichtlich peinlich. Nicht nur, dass er jetzt vor aller Augen mit Tampons durch den Supermarkt lief, ihm ging auch für den Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, wo die Dinger landen würden. Er schluckte seinen Kommentar runter und maulte nun hauptamtlich vor sich hin. An der Kasse wurde Josh von der Kassiererin mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Die ältere Dame unterhielt sich mit ihm auf Lakota, während er seine Sachen auspackte. Sannah verstand kein Wort, aber der weiche, kehlige Singsang dieser Sprache gefiel ihr. Als Sannah an die Reihe kam und ihre Einkäufe auf den Tisch legte, schenkte die Kassiererin ihr ein wohlwollendes Lächeln. Sannah überließ es Josh, auch ihre Einkäufe einzupacken, und lächelte zurück. Als sie zahlte, sagte die ältere Dame: „Anpétu washté yuhá pe.“ – Habt einen schönen Tag. Sannah strahlte, das hatte sie, Sprachführer sei Dank, verstanden.

„Pilámaya ye, Tóksha aké“ – Danke, tschüss, bis bald, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.

Josh knallte der Unterkiefer aufs Brustbein. Sie nahm eine der Tüten und ging Richtung Ausgang, er folgte ihr verblüfft mit dem Rest. Draußen wartete der Moccasin Telegraph schon auf die Neuigkeiten der Kassiererin. Persönliche Fragen zu stellen wäre unhöflich gewesen, und so blieben Josh und Sannah unbehelligt. Man begnügte sich damit, beide wieder gründlich zu mustern. Diesmal von hinten.

„Du sprichst Lakota, aber weißt nicht, was Washícu heißt?“, fragte er erstaunt, als sie im Auto saßen.

Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne nur ein paar Höflichkeitsfloskeln aus einem Sprachführer.“

„Nicht schlecht!“, meinte er anerkennend.

Zurück auf der Ranch machte sich Sannah im Bad etwas frisch. Als sie wieder herunter kam, hatte Josh den Kühlschrank geplündert und kaute mit vollen Backen. Er drückte ihr ein Käsesandwich in die Hand.

„Iff waf!“, nuschelte er. Dann fischte er sich noch einen Apfel aus Sannahs neu angelegtem und sündhaft teuren Obstvorrat und verschwand nach draußen. Sie kochte sich einen Tee und setzte sich zum Essen auf die Veranda.

Josh führte gerade eins der Ausbildungspferde auf den Reitplatz – einen wunderschönen Appaloosa Wallach. Seine Grundfarbe war ein dunkles Kastanienbraun, die Kruppe war, für diese Rasse typisch, weiß mit schwarzen Sprenkeln, auch die Fesseln wiesen diese Einfärbung auf. Obwohl noch jung, war der Wallach schon stark bemuskelt und sah vom Gebäude her eher aus wie ein Quarter Horse – nur etwas größer und langbeiniger. Er hatte einen schönen, keilförmigen Kopf und ausdrucksvolle Augen. Ein echter Eyecatcher. Josh redete beruhigend auf das junge Pferd ein, kraulte ihm den Hals und klopfte sanft mit der Hand gegen den Bauch. Er stellte vorsichtig einen Fuß in den Steigbügel und zog sich langsam am Sattelhorn hoch. Allerdings setzte Josh sich nicht in den Sattel, sondern lehnte sich zunächst nur darüber und klopfte diesmal die andere Seite des Pferdes. Der junge Wallach blieb ruhig stehen und lauschte Joshs Stimme. Erst jetzt hob Josh das andere Bein über den Sattel und setzte sich. Er ließ das Pferd zum Aufwärmen Schritt laufen und nahm nur ein klein wenig die Zügel an.

‚Eine gute Gelegenheit für die ersten Fotos‘, überlegte Sannah. Sie lief in ihr Zimmer und holte die Kamera.

Wieder draußen, näherte sie sich vorsichtig dem Reitplatz, um das Pferd nicht zu erschrecken. Sie hob fragend die Kamera, und Josh nickte zustimmend. Sannah begann ihre Fotos zu schießen, während er mit dem Pferd arbeitete. Der Wallach hatte viel Temperament und versuchte seine Grenzen auszutesten. Er fing an, hektisch zu tänzeln und riss den Kopf hoch. Josh zeigte sich unbeeindruckt, ritt einfach weiter und korrigierte die Kopfhaltung. Nie wurde er wütend oder grob, obwohl das Pferd es ihm nicht leicht machte. Der Wallach fing an zu buckeln und versuchte seinen Reiter loszuwerden, doch Josh blieb ungerührt im Sattel kleben und ließ zu, dass das Pferd seine Kraft verschwendete. Der vierbeinige Temperamentsbolzen merkte, dass seine Gegenwehr keinen Erfolg hatte und beruhigte sich. Geduldig wiederholte Josh die Lektion, ließ das Pferd Fehler machen, um diese dann wieder sanft zu korrigieren.

Sannah war völlig fasziniert, nicht nur von Joshs Reitkunst, sondern vor allem von der Ruhe, die dabei von ihm ausging. Sie war selbst keine schlechte Reiterin, aber verglichen mit ihm kam sie sich vor wie eine Anfängerin.

Als das Pferd eine Übung fehlerfrei absolvierte, stieg Josh ab, lobte den Wallach überschwänglich und gab ihm den Rest des Apfels. Das Pferd war schweißgebadet, Josh nicht.

„Reitest du ihn trocken?“, fragte er. „Dann hab ich Zeit für das Nächste.“

Sannah schluckte. Ebenso gut hätte er ihr eine brennende Dynamitstange in die Hand drücken können, mit dem Kommentar: „Halt mal fest!“ Sie legte ihre Kamera beiseite und kroch zögernd unter dem Zaun durch. Er hielt das Pferd, während sie vorsichtig aufstieg. „Keine Sorge“, meinte Josh grinsend. „Der hat sein Pulver für heute verschossen.“

Sie sah ihn erstaunt an, konnte er jetzt auch Gedanken lesen? „Reite ihn einfach am langen Zügel, bis sich seine Atmung beruhigt hat“, wies er sie an und machte die Fender kürzer. Sie nickte und begann ihre Bahnen zu ziehen. Josh verschwand, um das nächste Pferd zu satteln.

Sannah wurde es etwas mulmig, als er sie allein ließ, aber der Wallach lief brav seine Runden, ließ entspannt den Kopf hängen und kaute zufrieden auf dem Gebiss. Sie beruhigte sich und genoss das Gefühl, wieder im Sattel zu sitzen. All die Jahre hatte sie es vermisst, ohne es zu merken. Kummer und Sorgen lösten sich hier oben in Luft auf, man konnte wieder frei atmen und einfach nur glücklich sein.

Josh schien es genauso zu gehen, seine Laune war wieder deutlich besser, seit er auf dem Pferd saß. Sannah lächelte, eigentlich waren sie gar nicht so verschieden.

Irgendwann kam Josh mit dem nächsten Pferd zurück. Sie stieg ab und brachte den Wallach nach dem Absatteln wieder auf die Weide. Dieses Prozedere wiederholte sich noch vier Mal. Sannah fotografierte, während Josh im Sattel saß, und ritt dann trocken, damit er das nächste Pferd holen konnte. Als alle Ausbildungspferde wieder auf ihrer kleinen Weide standen, sah Josh zufrieden auf seine Uhr. „Du hast mir heute eine Menge Arbeit abgenommen. Als Dankeschön lade ich dich beim nächsten Einkauf auf ein Eis ein.“

Sannah strahlte. „Hab ich gern gemacht. Hast du irgendwann mal Zeit, mir etwas Unterricht zu geben?“, fragte sie.

Er sah sie erstaunt an. „Klar! Aber du machst das doch gut“, stellte er fest.

Sannah schüttelte den Kopf. „Man lernt nie aus, und verglichen mit dir bin ich ein blutiger Anfänger.“

Josh lächelte, etwas verlegen über das Kompliment, das sie ihm gemacht hatte. „Ich hole jetzt die Herde von der Weide, möchtest du wieder mit?“, fragte er.

Sannah winkte ab. „Wenn du nachher was zu essen haben willst, sollte ich besser anfangen zu kochen“, sagte sie bedauernd.

„Selber schuld!“, meinte er.

Nach dem Abendessen saß Sannah am Küchentisch und speicherte die Fotos auf ihrem Laptop. Josh hatte geduscht und setzte sich dazu. Sein Haar war noch nass, und er roch nach Shampoo.

„Die sind gut geworden“, lobte er anerkennend und rückte noch ein bisschen näher, um besser sehen zu können. Sie schob den Computer ein wenig zu ihm rüber; ihn so dicht neben sich zu haben, machte sie plötzlich nervös. Die Wärme, die von ihm ausging, spürte sie so deutlich wie eine Berührung. Ein heißes Kribbeln lief ihr über den Nacken. Fahrig lud sie die letzten Fotos von der Kamera und überließ ihm den Laptop.

„Sieh sie dir in Ruhe an, ich geh solange duschen“, entschuldigte sie sich und flüchtete die Treppe hoch.

„Das Wasser ist noch kalt!“, rief er warnend hinterher.

‚Kalt ist gut‘, dachte Sannah.

Einen Augenblick später vernahm er grinsend ihren kurzen Schrei aus dem Bad. Das Wasser war offenbar noch sehr kalt. Es war ihm nicht entgangen, dass er sie nervös machte.

Nach dem ersten Kälteschock ließ Sannah sich das Wasser über das Gesicht laufen und fluchte. Normalerweise hatte sie nie Probleme damit gehabt, potentielle Verehrer in die Wüste zu schicken. Sie war fertig mit dem Thema Männer. ‚Ein für alle Mal‘, dachte sie grimmig. Abgesehen davon war Josh kein Verehrer. Er machte sich weder mit absurdem Balzverhalten noch mit postpubertärem Imponiergehabe lächerlich. Hatte er auch nicht nötig. Aber genau das war der springende Punkt. Kaum war ihr Annegrets Traumtyp vor die Füße geknallt, der zudem noch notorisch schlecht gelaunt war, sie ignorierte und ganz sicher nie auf die Idee käme, ausgerechnet an ihrer Türschwelle zu kratzen, bekam sie weiche Knie und Nervenflattern wie ein Teenager mit hormoneller Dysfunktion. Ihr limbisches System saß währenddessen auf dem Bett im Oberstübchen und feilte sich gutgelaunt die Fingernägel. Sannah führte ihre Reaktion auf einen rudimentären Urinstinkt zurück, der ihr signalisieren wollte: Starker Mann schwingt Keule und schleppt Mammut in Höhle. Heutzutage waren Frauen, dank der Erfindung der Tiefkühlpizza und des Aussterbens der Mammuts, nicht mehr darauf angewiesen, dass ein Keule schwingender Typ das Essen ranschaffte. Sannah erklärte Pizza zur Krönung der Emanzipation und sich selbst zum irrationalen Hormonopfer. Ihr limbisches System schüttelte missbilligend den Kopf und lackierte sich derweil die Fußnägel knallrot.

 

„Blöde Kuh!“, schimpfte Sannah. Bibbernd vor Kälte rubbelte sie sich trocken und wickelte sich in das Handtuch. Nach dem Zähneputzen war sie noch ganz in Gedanken, als sie die Tür öffnete und gegen Josh prallte. ‚Auch das noch‘, dachte Sannah.

‚Gleiches Recht für alle‘, dachte Josh.

„Morgen gibt es Pizza“, stammelte sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen und flüchtete mit roten Ohren in ihr Zimmer. Er erhaschte noch einen Blick auf ihre nackten Beine und schüttelte grinsend den Kopf. Frauen verstehen zu wollen, war seiner Meinung nach reine Energieverschwendung.

Sannah biss sich auf die Lippe. Jetzt hatte sie sich auch benommen wie ein Teenager. Sie steckte noch mal den Kopf durch die Tür. „Gute Nacht“, sagte sie.

Josh drehte sich um. „Schlaf gut!“