Mailys' Entscheidung

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Nein, ich bin mit einer Freundin zusammen ...«

»Dann hat deine Freundin Kummer, ja?«, bestand er darauf, dass mindestens einer Kummer haben musste.

Da ich Hanna nicht zu denunzieren gedachte, erwiderte ich: »Hier hat keiner Kummer! Wir haben lediglich einen Mörderkohldampf.«

»Wenn Mädchen eine Riesenpizza wollen, haben sie immer Kummer«, kannte er sich aus, vermutlich der Berufserfahrung wegen. »Wie darf ich sie belegen, Heidi?«

Ich war erleichtert, dass seine Äußerung keine Antwort erforderte und gab unsere Wünsche an. »Und eine Hälfte bitte mit extra viel Käse.« Hanna hasste zu viel Käse auf der Pizza. Sie fand, dass er unangenehm fettig schmeckte.

Als ich auflegte, schlich Hanna sich von hinten heran und schlang ihre Arme um mich. Dabei legte sie ihren Kopf auf meine Schulter.

»Ich wollte doch nur ein paar aufmunternde Worte von dir«, jammerte sie und blies ihren Atem schwer und traurig aus. »Stattdessen lachst du mich aus.«

»Du wirst in meinen Worten keinen Trost finden, weil sie nicht heilen können und nichts gut oder ungeschehen machen.«

»Schwester Jordana hat gesprochen. Amen!« Warum hatte ich geahnt, dass sie dieses Lied wieder anstimmen würde?

»Ist das denn nicht wahr?«

Sie löste sich von mir, ging zum Sessel hinüber und ließ sich darauf plumpsen. Mutlos zuckte sie mit den Schultern und ließ sie dann hängen, als würde der gesamte Weltschmerz darauf lasten. »Und worin findet man in einem so schrecklichen Zustand Trost?«

Ich leistete ihr Gesellschaft und fläzte mich aufs Sofa. »Zum Beispiel in meinen Armen.«

Sie zischelte. »Das ist alles?«

Sollte ich sie für undankbar erklären?

Nun, wenn sie unbedingt etwas hören wollte, dann bitte schön, hier: »Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, wenn Mister Right je dabei gewesen wäre, würdest du nicht heulen wie ein Schlosshund und sinnlos Pflaumenwein in dich hineinschütten.« Natürlich hätte ich so viel mehr sagen können, doch was hätte es gebracht?

»Sehr aufbauend!«

Mit einem offenen Augenrollen signalisierte ich meinen Ärger. »Deinen Herzschmerz musst du schon allein ausstehen. Ich kann ihn dir leider nicht wegquatschen.« Ich erkannte an ihrem Blick, dass sie endlich begriff, was ich ihr mitteilen wollte.

»Nun sag schon«, klang Hanna viel fröhlicher, seit die Pizza da war, »bin ich wirklich so eine lächerliche Figur?«

Während sie auf dem Sessel vor der Pizzaschachtel harrte und dessen Deckel schon ganz ungeduldig öffnete, um den Duft zu inhalieren, holte ich zwei Teller aus ihrer Küche. Nicht, dass ihre Gastgeberqualitäten immer so bescheiden ausfallen würden.

»Wie meinst du das?« Ich verstand den Hintergrund nicht, was vielleicht auch ein bisschen daran lag, dass die Pizza mir das Wasser im Mund zusammentrieb und meine Sinne raubte.

»Was sollte dein Lachanfall vorhin?« Die Pizza war schon in gleichmäßige Dreiecke zerteilt worden. Hanna manövrierte ein Stück ihrer Hälfte auf ihren Teller. Dabei zog der Käse Fäden.

Bevor ich etwas darauf erwiderte, beförderte ich ebenfalls ein Stück von meiner käselastigen Seite auf meinen Teller und biss herzhaft hinein. Was für ein Genuss.

»Du bist halt manchmal knuffig«, sprach ich mit vollem Mund. »Ja, ja, ich weiß, das war etwas taktlos, aber das war gar nicht so negativ gemeint, wie du es aufgefasst hast.«

»Mmh«, schwärmte Hanna vom Essen, »das tut sooo gut!« Ich war froh, dass ihr Alkoholspiegel immer weiter sank und sie wieder Vernunft annahm. »Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass du mich und meine Lage nicht ernst nimmst.« Die Harmonie trog, denn plötzlich trieb sie mich in die Enge.

Mit einer schnellen, nervösen Handbewegung strich ich mein Haar hinter die Ohren. Mittlerweile war es schulterlang. Im Kloster hatte ich sie kurz wie ein Bursche getragen, hatte der äußerlichen Schönheit vollkommen abgeschworen. Als ich dann mein Klosterleben aufgegeben hatte und wieder nach Hause gekommen war, hatte Hanna mich nicht wie jeder andere normale Mensch willkommen geheißen, sondern hatte mich erst einmal mit sich ins Badezimmer geschliffen, um mir die Augenbrauen zu zupfen, Make-up aufzutragen und aus meiner Frisur das Beste herauszuholen. Sie war derart verzweifelt gewesen, dass sie mir befohlen hatte, die Haare wachsen zu lassen. »Jenseits von Gut und Böse« hatte sie meinen natürlichen Look genannt.

Jedenfalls war ich entschlossen, ihren Vorwurf sofort abzuschmettern, war mir aber nicht ganz sicher, ob sie nicht sogar recht hatte. Zumindest wenn es um das Thema Männer ging. »Deine Liebesbeziehungen nehme ich auch nicht ernst.« Ich gab mich kleinlaut, da ich sie nicht erneut kränken wollte. »Aber was ich sehr wohl ernst nehme, ist, dass es dir nicht gut geht.«

»Okay«, gab sie sich mit meiner Antwort zufrieden. Sie nahm den nächsten Happen und lächelte glücklich. Ihr Blick ging über die Pizza. »Die ist selbst für zwei Leute zu groß.«

Wieder einmal musste ich bemerken, wie arglos und wenig nachtragend sie war. Ich war dankbar dafür, dass sie mir ganz selbstverständlich vertraute.

»Es sei denn, wir wären zwei große, dickbäuchige Bauarbeiter.«

Sie lachte laut: »Ich wünschte, ich wäre ein Mann.«

Eine Theorie, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte. Wieso sollte ich mir auch ein Leben als Mann vorstellen, wenn es doch als Frau viel mehr Spaß machte? Na schön, es war anstrengender, doch dafür viel bunter. »Ich stelle mir ein Leben als Mann verdammt eintönig vor«, konnte ich mich ihr also nicht anschließen.

Hanna grübelte. Zu lang.

Also erklärte ich: »Schau mal, was macht das Leben eines Mannes schon aus?« Ich legte das Stück Pizza auf dem Teller ab, damit ich alle meine Finger zur Verfügung hatte, um die Punkte zusammenzuzählen. »Saufen«, tippte ich Punkt eins mit dem Zeigefinger einer Hand auf den Daumen der anderen an, »Autos, Fußball und Frauen!« Ich konnte die Punkte an einer Hand abzählen. »Und wenn ein Mann halbwegs in Ordnung ist, und diese recht unkomplizierten Punkte auf ihn nicht zutreffen, beschränken sich andere wichtige Punkte seines Lebens aber auch nur auf drei oder vier.«

»Ich verstehe. Dann bleibe ich doch lieber eine Frau.« Sie machte eine kleine Pause und blickte mich beschwörend an. »Püppi, ich rate dir, dir erst gar keinen Mann ins Haus zu holen.« Ich starrte sie erschrocken an, glaubte, dass ich knallrot anlief und nahm fix den Teller mit dem Stück Pizza zur Hand. »Ich meine, all die Zeit belächle ich deine Jungfräulichkeit und übergehe deine Standpunkte, weil du einfach keine Erfahrung mit Männern hast, aber im Grunde genommen sollte ich dich beneiden.« Sie seufzte. »Ja, ich sollte dich darum beneiden, dass du so prüde bist.«

Und da machte ich mir Vorwürfe, weil ich sie mit meiner flapsigen Art und Weise gekränkt hatte? Wütend biss ich in die Pizza und kaute.

»Ach, nun sei doch nicht sauer.« Sie lächelte allerliebst. Wenn Hanna etwas gut konnte, dann war es, rein mit den Augen zu schmeicheln. Manche Menschen hatten einfach von Natur aus den Niedlichkeitsfaktor. Man konnte ihnen nie richtig böse sein.

»Woher willst du wissen, dass ich prüde bin?«

»Entschuldige mal, du hattest dich dafür entschieden, ein Leben in Keuschheit zu führen«, erinnerte sie mich schnippisch daran, dass es immerhin neun lange Jahre angehalten hatte. »Wer tut so etwas, wenn er nicht prüde ist?«

Da ich unter dem Begriff »Prüde« scheinbar etwas anderes verstand als sie, klärte ich sie, noch immer übellaunig, auf: »Nur weil ich abstinent leben wollte, heißt es noch lange nicht, dass ich verklemmt bin.«

So wie schon damals verstand sie auch heute nur Bahnhof. Schon allein die Tatsache, dass der Liebesakt selbst nicht grundsätzlich mit Sünde behaftet war, überforderte sie gewaltig. Da ich allerdings das Klosterleben hinter mir gelassen hatte, war es wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: egal!

Ich beschloss, die Materie für mich zu nutzen und endlich von meinem neuen Mitbewohner zu erzählen, und zwar, bevor sie mir wieder dazwischenfunkte. »Und ich bin sogar dermaßen aufgeschlossen, dass deine Warnung, mir keinen Mann ins Haus zu holen, leider zu spät kommt.« Stolz auf diesen Erguss, grinste ich in mich hinein und klopfte mir imaginär auf die Schulter.

Allein für ihren erstaunten Gesichtsausdruck hätte ich gern die Zeit angehalten. »Nicht dein Ernst?«

»Klar, warum sonst sollte ich das sagen?«

»Wer ist es?« Sie fixierte mich mit skeptischem Blick. Denn woher dieser Mann plötzlich kam, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären.

»Er heißt Philipp und ist stolze fünf Jahre jünger als ich.« Ich hielt absichtlich damit hinterm Berg, dass es sich hierbei nicht um einen festen Freund handelte, wie Hanna augenblicklich annahm, nur um sie endgültig zu verstören.

Schlagartig stiegen ihr wieder Tränen in die Augen. Mürrisch schmiss sie den letzten Bissen der Pizza auf den Teller vor ihr. »Du lügst«, murmelte sie erst, und als sie sah, dass ich etwas zu entgegnen gedachte, sprang sie schon wieder vom Sessel, wiederholte ihren Vorwurf, doch nunmehr brüllend, und schloss sich erneut im Badezimmer ein.

Kurz überdachte ich meine Haltung gegenüber Männern, sie wären zu einfach gestrickt, denn soeben konnte ich nachvollziehen, wie strapaziös eine einzige Frau sein konnte. Vielleicht tat ich Männern Unrecht, vielleicht könnten wir Frauen gar froh sein, dass sie sich wegen Frauen wie Hanna noch nicht reihenweise vom Hochhaus gestürzt hatten?

Ich meine, wo war denn nun schon wieder der Fehler im System? Allmählich glaubte ich, dass heute nicht der richtige Tag dafür war, ein friedliches Beisammensein zu zelebrieren. Wenn nicht gerade sie diejenige war, die gereizt war, war ich es, und wenn ich nicht diejenige war, war sie es. Ich täte wohl besser daran, nach Hause zu gehen, ehe wir die Messer zu wetzen begännen. Doch zuvor war ich bemüht, das Problem zu klären, damit man mir nicht nachsagen konnte, ich hätte es nicht wenigstens versucht.

 

Mit erhobenem Haupt stellte ich mich vor die Badezimmertür und hämmerte laut und entschlossen mit der geballten Hand dagegen. »Hast du zu lange in der Sonne gelegen, oder was?«

»Und willst du mich jetzt auch noch fertigmachen?«, brüllte sie und heulte bitterlich.

»Auch?«, rief ich und konnte mir nicht erklären, mit wem sie mich in Parallele stellte.

»So wie Toniii!«

Oje, einen kurzen Moment lang war mir doch tatsächlich ihr gebrochenes Herz entfallen. Natürlich wollte sie als Letztes hören, dass jemand anderes eine glückliche Beziehung führte, nachdem dieser Affenarsch gerade mit ihr Schluss gemacht hatte. Da hätte ich auch wirklich von allein drauf kommen können, ich dummes Huhn! Doch das allerschlimmste an der Situation war, dass ich nicht einmal eine Beziehung hatte. So war dieses ganze Geschrei am Ende zu nichts nütze.

»Komm schon«, quengelte ich, »das ist nicht fair. Du kannst doch anderen nicht in die Suppe spucken, nur weil du gerade unglücklich bist.« Na gut, das klang ein klein wenig abgebrüht, aber wenn ich mir ausmalte, ich hätte tatsächlich einen Mann kennen gelernt und das hier ihre Reaktion darauf gewesen wäre, hätte ich nicht weniger als sie allen Grund dazu gehabt, sauer zu sein.

»Darum geht es nicht«, schluchzte sie.

»Nicht? Worum dann?« Ich hörte nur ein kaum wahrnehmbares Zischeln durch die massive Tür dringen. Das hieß wohl, dass sie es unerhört fand, dass ich nicht von allein darauf kam. Auch auf die Gefahr hin, dass sie mir die Freundschaft kündigen würde, machte ich sie darauf aufmerksam, dass ich keine Gedanken lesen konnte.

»Boah«, motzte sie, »es geht darum, dass du partout erwähnen musstest, dass er fünf Jahre jünger ist als du. Als wolltest du mir damit veranschaulichen, wie jung und dynamisch du noch bist, im Gegensatz zu deiner alten, runzeligen Freundin, deren Kerl sie für eine neunzehnjährige Tussi verlassen hat.«

Die ganze Aufregung also wieder nur wegen ihres Alterskomplexes? »Mannomann, ich habe mich nur ungünstig ausgedrückt, mehr nicht.« Genervt trat ich gegen die Tür. »Darf ich dir jetzt niemanden mehr vorstellen, der jünger ist als du?«

»Nein!«

»Du spinnst ja!«

»Du hast ja gut Reden, du bist ja gerade erst achtundzwanzig geworden.« Mehr und mehr war ich davon überzeugt, dass ich heute nichts mehr erreichen würde. Sie war dermaßen festgefahren, dass sie auf meinen Beistand nun verzichten musste.

»Nur zu deiner Information, ich gehe jetzt«, wartete jedoch noch, falls sie es sich anders überlegen und herauskommen würde.

»Dann geh doch, beste Freundin!« Sie riss die Tür auf, da sie davon ausging, dass ich schon auf dem Weg zum Ausgang war, und brüllte mir versehentlich direkt ins Gesicht: »Du kannst mir den Buckel runterrutschen.« Sie war wie erstarrt und machte ein erschrockenes Gesicht.

Ich ergriff die Gelegenheit und drängte mich zu ihr ins Badezimmer, ehe sie wieder hinter die Tür flüchten und sich vor mir verstecken könnte. Sie sah nicht erfreut aus.

»Ich wollte dich doch nur ein wenig auf die Folter spannen, Hanna.«

»Lass es gut sein.« Sie wandte sich von mir ab und verließ das Badezimmer. Jetzt, da sie nicht mehr allein sein konnte, war es ihr hier anscheinend zu blöd.

»Kann ich denn vorhersehen, dass du heute so überempfindlich bist und jedes Wort auf die Goldwaage legst?« Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie sich sofort auf ihren heißgeliebten Sessel fallenließ.

»Entschuldigung, mein Freund hat gerade erst vor ein paar Tagen mit mir Schluss gemacht. Selbstverständlich bin ich überempfindlich.« Okay, okay, da hatte sie ausnahmsweise mal recht.

Ich blieb im Raum stehen, da ich noch immer fest entschlossen war zu gehen. Nebenher überlegte ich noch, ein Stück Pizza mit nach Hause zu nehmen, obgleich mir der ganze Stress allmählich auf den Magen schlug.

»Na schön, aber Fakt ist, dass du dich wenigstens etwas zusammennehmen könntest. Das rechtfertigt nämlich nicht, dass du mir mein Glück scheinbar missgönnst.«

»Das stimmt doch gar nicht. Ich gönne dir sehr wohl einen Freund. Es kommt nur so plötzlich ... und ungünstig.«

»Er ist doch gar nicht mein Freund«, machte ich lieber ein für allemal klar, damit die schlechte Stimmung endlich ein Ende hatte.

»Wie bitte?«

»Denkst du, ich hätte ihn nicht schon längst bei dir erwähnt?« Mir fiel erst jetzt auf, wie unglaubwürdig meine Geschichte eigentlich war. Doch vermutlich hatte Hannas Überempfindlichkeit geradewegs ihre Sinne getrübt, so dass sie außerstande war, es zu durchschauen.

Sie sah mich ungläubig an. »Was ist er dann?«

»Mein zukünftiger Mitbewohner.«

Sie stutzte. »Und warum lässt du mich in dem Glauben, dass es sich um deinen Freund handelt?«

»Na, weil ich dich auf die Folter spannen wollte?« Machte man das nicht so, wenn man für Verwirrung sorgen wollte? Tja, in diesem Fall war es gründlich in die Hose gegangen.

Obgleich Hanna trotzdem verwirrt war. »Und wann hast du dir überlegt, einen Typen bei dir einziehen zu lassen?«

Ich setzte mich nun doch wieder. Um keine weiteren Fehler zu begehen, erzählte ich ihr die ganze Geschichte von vorn. Und Hanna sorgte für eine Überraschung, als sie meiner Theorie, ich könnte mit einem Mann besser auskommen, am Ende beipflichtete. »Das hat was zu heißen, wenn du ihn auf Anhieb sympathisch fandest, während kein einziges Mädchen nur im Ansatz eine Chance hatte.«

»Du hältst mich also nicht für verrückt?«

Baff schüttelte sie den Kopf. »Nein, wieso sollte ich?«

Ich zuckte mit den Schultern und legte meinen Kopf ein Stück schief. »Beck war bei der Nachricht etwas neben der Spur.«

»Ach, das ist dein Bruder doch immer. Sein Beschützerinstinkt ist stark übertrieben. Lass dich nicht verunsichern.« Auf jeden Fall war Hanna wieder besser drauf, was die folgende Frage noch einmal bekräftigte: »Sieht er gut aus?«

Ich lachte: »Ist das denn so wichtig?«

»Für mich schon.« Sie zwinkerte mir neckisch zu.

Ich atmete tief durch, um nicht ins Stottern zu geraten, denn ich merkte, wie mein Herz schneller pochte, als ich mir Philipp ins Gedächtnis rief. »Er ist schon ganz niedlich.«

»Aber?«

»Nichts aber ...«

»Sag schon!«

Ich traute mich nicht. »Mach dir doch einfach ein eigenes Bild von ihm«, erwiderte ich, statt zu betonen, dass er zu jung sei. Für mich!

Darum ließ sie sich nicht zweimal bitten. »Gern. Wann zieht er ein?«

»Morgen.«

»Morgen schon?«

Den weiblichen Untermieter hatte ich zum ersten Juli gesucht, was nichts daran änderte, dass es jetzt ein männlicher war. Ungern merkte ich das an, da ich befürchtete, dass sie darin wieder eine Anspielung auf irgendetwas sehen könnte. Alles, was nur ansatzweise nach Kritik roch, übersprang ich in nächster Zeit einfach großzügig.

»Ja, das geht alles ziemlich schnell, deshalb bin ich auch verunsichert und hoffe, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.«

»Warum denn nicht? Wenn es nachher doch nicht passt, kannst du ihm ja immer noch kündigen.«

Wie unbarmherzig.

»Ich denke, das wird nicht Not tun.«

Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie umgänglich er bei der Zimmerbesichtigung gewesen war. Selbstverständlich konnten Menschen sich auch verstellen, mussten es womöglich sogar, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, wenn es um entscheidende Dinge im Leben ging, aber für gewöhnlich hatte ich für die üble Sorte Mensch recht sensible Antennen.

»Und warum dann deine Unsicherheit?«

»Es liegt nicht an ihm.« Ich schnaufte durch. »Für mich ist das was ganz Neues. Manchmal ist es eben schwer, sich auf Veränderungen einzulassen. Und diese Veränderung ist ja schon ganz schön gravierend, findest du nicht?«

Hanna nickte zustimmend. »Was hältst du davon, wenn ich dir morgen bei seinem Einzug zur Seite stehe? Und wenn es dir ganz unwohl wird, bleib ich einige Tage über Nacht bei dir.«

»In Ordnung.« Ich fürchtete, dass ich das noch bereuen würde, doch ich war gewillt, das in Kauf zu nehmen, nur damit ich das nicht allein durchstehen musste. Ich betete nur, dass sie sich nicht allzu sehr anbiedern, sondern sich nur ein wenig von ihrem Liebeskummer ablenken würde.

4

So schnell konnte das gehen! Toni war Schnee von gestern und Philipp der tollste Typ, dem Hanna je begegnet war. Nur sein Alter hielt sie davon ab, ihm nicht auf der Stelle einen Heiratsantrag zu machen. Philipp war nicht dumm und spürte sehr wohl ihre Blicke, wenn er einen Karton nach dem anderen in sein Zimmer trug. Er reagierte abgeklärt, als wüsste er ganz genau um seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht, und warf Hanna immer mal wieder ein charmantes Lächeln zu. Zwischendurch hatte er sich sogar seines T-Shirts entledigt, um ihr eine nette Show zu bieten.

Ich war heilfroh, dass es ihn nicht bedrängte und er so sportlich damit umging. Je aufdringlicher Hanna wurde, desto mehr beschäftigte ich mich mit der Küche. Es gab hier kaum etwas zu tun, aber ich mochte Philipp nicht das Gefühl geben, unter ständiger Beobachtung zu stehen.

Dann kam mir ein glänzender Einfall. »Hast du schon etwas gegessen, Philipp?«, fragte ich, ehe er wieder aus der Wohnung verschwand, um den nächsten Karton aus dem Transporter zu holen.

Er bremste scharf und wandte sich mir zu. »Nein, noch nicht.« Er blickte auf seine Armbanduhr.

»Ich könnte etwas kochen«, schlug ich vor, wenn ich schon nicht beim Tragen half. Nicht, dass wir uns nicht eifrig angeboten hätten, doch er beteuerte, dass seine Kommilitonen Yannik und Levi Hilfe genug waren. Ich vermutete, er wollte uns nicht mit der Grundhaltung vor den Kopf stoßen, dass er Frauenhände für viel zu kraftlos hielt und wir die Jungs deshalb eher behindert als unterstützt hätten.

Sein Lächeln drückte Dank aus. »Mach dir aber keine zu großen Umstände, okay?« Und schon war er wieder fort. Das beirrte mich, denn ich wusste gar nicht, ob er mit Nudeln, die mir im Kopf herumschwirrten, überhaupt einverstanden war.

»Wo bleibt denn bitte dein Anstand?«, betrachtete Hanna mich kritisch.

»Machst du Witze?«

»Nein! – Was ist mit Yannik und Levi?«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Was soll mit denen sein? Die ziehen doch hier nicht ein?«

Hanna stöhnte, stürmte zu mir in die Küche und fasste mir an die Stirn, um zu testen, ob ich krank wäre. »Aber sie helfen deinem zukünftigen Mitbewohner. Und du würdest Philipp damit ganz bestimmt entgegenkommen, denn so muss er sich später nicht revanchieren.«

Halten Sie mich ruhig für rücksichtslos, doch so hatte ich das noch nicht gesehen, schließlich waren das ja nicht meine Freunde. Ich hatte meine ganze Aufmerksamkeit auf Philipp gerichtet, weil er derjenige war, der bei mir einzog. Doch ich versprach, dass ich Yannik und Levi zum Essen einladen würde, sobald sich die Gelegenheit bot.

»Könntest du mir einen Gefallen tun?«

»Sag schon«, stellte sich Hanna bereit.

»Könntest du Sahne und Auberginen besorgen?« Ich plante eine Tomaten-Sahne-Sauce mit Auberginenwürfeln zu den Nudeln. Ich war mir bewusst darüber, dass dies kein Steak ersetzen konnte, doch Fleischgerichte zuzubereiten, lag mir nun mal nicht.

Sofort hetzte Hanna los und rannte beinahe Levi über den Haufen, der gerade mit dem nächsten Karton zur Tür hereinkam. Es gehörte schon einiges dazu, Levi zu übersehen mit seiner braunen Achtzigertolle, die er mit reichlich Wachs und Haarspray auf dieses Volumen getrimmt hatte. Sein Gesicht war genauso jungenhaft wie Philipp seines.

Levi bemerkte, dass ich ihn unter die Lupe nahm. Er lächelte mir zu und fragte mich irgendetwas. Ich verstand allerdings nicht, was, denn jetzt, da er mir so tief in die Augen schaute, war ich ganz fasziniert von seinen. Die waren nämlich stahlblau. Wie konnten Augen nur so blau sein? Ich musste kräftig blinzeln, weil es schien, als würde ich blind davon.

»W-wie bitte?«, fand ich allmählich wieder ins Hier und Jetzt zurück.

»Hast du vielleicht etwas zu trinken für mich?« Die Klangfarbe seiner Stimme ließ erahnen, dass er ein sehr geruhsamer Charakter war. »Mir ist mein Sodawasser leider schon ausgegangen.«

 

Ich nickte wie eine Idiotin, kramte eine Flasche aus dem Nischenschrank heraus und stolperte beinahe über meine eigenen Füße, als ich ihm entgegenkam.

»Bleibt ihr – also du und Yannik – auch zum Essen?«

Bevor er mir antwortete, setzte er erst einmal an und leerte die Flasche zur Hälfte, solch einen Durst hatte er. Mit dem ganzen Unterarm wischte er sich erst über seinen Mund, dann über die schweißüberströmte Stirn. Sollte ich ihm obendrein noch eine Dusche anbieten?

»Das ist wirklich nicht nötig.«

Das findet Hanna allerdings schon!

»Ich weiß«, gab ich zurück, immer wieder seinem Blick ausweichend, »aber ihr werdet Hunger haben, wenn ihr mit der ganzen Schlepperei fertig seid.« Sollte ich vielleicht ergänzen, dass ich darauf bestand, damit wir nicht noch übermorgen hier stehen und diskutieren würden?

Er stellte die Wasserflasche auf dem Esstisch ab und warf mir ein hinreißendes Lächeln zu. »Das ist ein schlagendes Argument.« Dann lief er mit langen Schritten davon, um den nächsten Karton zu holen.

Es war ein stetiges Hin und Her. Ich fragte mich, wo Philipp mit all den Sachen hin wollte. Das Zimmer war nicht klein, doch auch nicht so groß, dass es die Menge der Kartons rechtfertigte.

Nun hörte ich die Stimme von 007 auf dem Treppenhaus. Ich war erschüttert, rannte hinaus und lehnte mich über das Treppengeländer, damit ich den Stand der Dinge peilen konnte. Dort standen Philipp und Levi mit dem massiven Kopfteil eines Bettes in den Händen. Ich sah den Jungs von hier aus an, dass das Teil immer schwerer wurde in ihren Händen, während 007 sich darüber informierte, welcher der Burschen nun einziehen würde. Denn es war ihm ein dringendes Bedürfnis, die Hausregeln zu erklären und dass es hier hauptsächlich ruhig zuzugehen hätte.

Ich bemerkte Yannik nicht, der sich auf Zehenspitzen von hinten aus meiner Wohnung an mich heranpirschte und mir mit seinen Zeigefingern sachte in die Seiten stach. Vor Schreck schrie ich auf und fuhr wild herum. Dabei wirbelten meine Arme derart unkontrolliert umher, dass ich ihm versehentlich ins Gesicht schlug. Er rief kurz: »Aua!«, fasste sich an die Wange, schüttete sich dann aber aus vor Lachen, während er mit dem Zeigefinger auf mich deutete. Mit dieser Geste wollte er zu verstehen geben, wie komisch er mein erschrockenen Gesichtsausdruck fand.

Just brüllte 007 herauf, was hier los sei. Umgehend gewann ich meine Fassung wieder und winkte herunter.

»Entschuldigen Sie den Tumult.«

Mit schmerzerfülltem Gesicht fasste er sich an den Nacken, denn beim Heraufsehen verrenkte er sich beinahe den Hals. »Das geht auch leiser, Fräulein Halbeck.«

Philipp und Levi hatten ihre Chance ergriffen und sich inzwischen mit dem Kopfteil ins zweite Stockwerk gequält.

Ich kam nicht dazu, etwas darauf zu erwidern, da Yannik nun eine Etage tiefer angekommen war, 007 einen Arm um die Schultern warf und ihn mit den Worten: »Wir haben es ja gleich geschafft und dann hören Sie nie wieder etwas von uns« in seine Wohnung führte. Wenn ich das versucht hätte, wäre ich wohl quer durch das Treppenhaus geflogen. Es musste an Yanniks unbefangene Art gelegen haben, dass sich der Motzkopf das gefallen ließ. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er als Einziger der drei Kumpels eine gewisse Männlichkeit ausstrahlte. Er war sehr groß, sportlich, doch nicht sehr schlank, hatte tiefschwarzes Haar und einen Dreitagebart. Wobei ich nicht genau wusste, ob er nachlässig war oder diesen aus modischen Gründen trug.

Mir fiel auf, dass durchweg alle drei Jungs gutaussehend waren. Es war beängstigend, dass diese Tatsache ein wildes Kribbeln in mir auslöste, welches sich rasant zwischen Brust und Bauch auf und ab bewegte. Es entfachte eine ungewohnte Neugierde in mir. Ich konnte nicht enträtseln, auf was genau ich neugierig war, doch es zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen und machte mich ganz leicht und ungezwungen.

Ich lehnte mit dem Hintern am Treppengeländer, hatte meine Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete Philipp und Levi, die eine kurze Pause in der Küche einlegten. Beim Reden steckten sie die Köpfe zusammen, so dass ich kein einziges Wort aufschnappen konnte.

Plötzlich riss Vincent mich aus meinen Gedanken. Seine Schritte wirkten zögerlich, als wolle er mir auf gar keinen Fall begegnen. Doch Mailys musste für kleine Mädchen und zwang ihn somit, weiterzugehen.

»Hallo«, bemühte ich mich, ihm die Begegnung so angenehm wie möglich zu machen. Erst jetzt bemerkte ich, dass er Mailys an der Leine führte. Sofort blitzte in mir die Erinnerung an das Malheur auf, bei dem Mailys durch meine Wohnung gewirbelt war. Offenbar wollte Vincent um alles in der Welt vermeiden, dass so etwas noch einmal passieren konnte.

»Hi«, sprach er kaum hörbar durch die Zähne, während er beim Vorbeigehen damit beschäftigt war, die Hündin von mir fernzuhalten, indem er die Leine kurz hielt und Mailys hinter sich herzog.

Ich war gewillt, über meinen Schatten zu springen und ihn auf sein ungebührliches Verhalten anzusprechen, doch schon wieder wurde mein Plan von Yannik, der mit einem weiteren Teil des Bettes herannahte, durchkreuzt.

»O Mist. Entschuldige«, wandte er sich an Vincent, dem er das Brett um ein Haar über den Schädel gezogen hätte, da er ihn zu spät wahrgenommen hatte.

Vincent lachte. Er l-a-c-h-t-e! Ich traute meinen Ohren kaum. Hatte ich ihn jemals lachen gehört? Ich war zutiefst getroffen. Er sah mich nicht einmal an, aber dem fremden Yannik schenkte er ein so munteres Lachen? Nein, ich war nicht nur getroffen, ich war entsetzt.

»Halb so schlimm.« Vincent drückte sich flach an die Wand, um Yannik ein besseres Durchkommen zu ermöglichen.

»Mann, das Teil ist aber auch echt sperrig.«

»Und schwer sieht es dazu auch noch aus«, erkannte Vincent obendrein. »Soll ich dir eben helfen?«

»Quatsch«, stöhnte Yannik angestrengt und hievte das Brett Stufe für Stufe hoch. Natürlich wäre er dankbar gewesen über etwas Hilfe, es war jedoch augenfällig, dass er keinem Fremden den Umzug aufhalsen wollte.

Gerade als ich vorhatte, die Jungs, die noch immer in der Küche Smalltalk abhielten, darüber zu informieren, dass das Rückgrat ihres Kumpels schon vollkommen ausgeleiert war, ließ Vincent die Hundeleine fallen, krempelte die Ärmel seines Hemdes auf und packte sich das hintere Teil des Brettes.

»Nichts für ungut, aber ich kann mir das nicht weiter mit ansehen.« Mit schleifender Leine lief Mailys ihnen völlig irritiert nach. Mich würdigte sie keines Blickes, da sie ihre Konzentration ganz auf ihr Herrchen und den merkwürdigen Typ mit dem »gefährlichen« Teil legte.

Yannik war sichtlich erleichtert über die Hilfe.

Währenddessen stemmte ich meine Hände empört in die Hüften. Schade, dass ich meinen Ärger keine Luft machen konnte. Die Jungs würden das nicht verstehen. Mit ihnen schien Vincent ja bestens zurechtzukommen.

Als ich vernahm, dass Hanna vom Einkauf zurückkam, atmete ich befreit auf. Wenigstens einer, der mich und mein Problem mit Vincent verstand.

Sie entdeckte mich am Treppengeländer und rief schon aus dem untersten Stockwerk: »Was machst du da? Wartest du etwa schon ungeduldig auf mich? Ich habe mich wirklich beeilt, Püppi!«

»Nein«, raunte ich, »hier war nur gerade der Teufel los.«

»Hab ich etwa irgendwas verpasst?«, war sie gleich darauf in heller Aufruhr und übersprang bei jedem Schritt mindestens eine Stufe, damit sie möglichst schnell oben ankam.

Mit einem saloppen Fingerzeig deutete ich in die Wohnung hinein. »Tadaaa!«

»Träume ich?« Hannas Kinnlade klappte herunter. »Was will der denn hier?«

Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern, war förmlich erschöpft vor Ratlosigkeit. Es stimmte mich gar traurig.

Wie viele Gefühlsbewegungen war ich seit Vincents Erscheinen durchlaufen? Ich wusste es nicht mehr.

Hanna zerrte mich mit sich in die Wohnung. An irgendeiner Stelle im Raum ließ sie von meinem alten, verwaschenen Shirt ab und steuerte schnurstracks auf Vincent zu, der sich mittlerweile hemmungslos in das Gespräch der Jungs eingebracht hatte. Sie tippte ihm auf die Schulter, denn er war der Eingangstür mit dem Rücken zugewandt und hatte sie nicht kommen sehen.