Mailys' Entscheidung

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Ich versuchte, mich nicht künstlich aufzuregen und nickte die Antwort nur ab. Zuletzt war ich nur froh darüber, dass er kein Spion oder gar ein Stalker war.



Im Kopf machte ich also einen grünen Haken hinter Ramona!



»Wie alt bist du?«



»Dreiundzwanzig.« Er wirkte unverkrampft und ging bravourös mit meiner Vernehmung um.



Schade

, dachte ich,

er ist ja noch ein Kind!

 »Was machst du beruflich?«



»Ich bin im dritten Jahr meines Medizinstudiums.«



Oh, er war also ein angehender Arzt. Kurz überrechnete ich die Jahre, die er in etwa benötigen würde, um seinen Facharzt in der Tasche zu haben. Dabei wäre es weitaus interessanter gewesen, von was im Fall der Fälle er gedachte, die Miete für das Zimmer zu bezahlen.



»Na, ich bekomme Unterhalt von meinen einkommensstarken Eltern. Und außerdem jobbe ich abends als Barkeeper.«



Barkeeper erzeugten in mir überwiegend ein unangenehmes Gefühl. Nicht, dass ich viele kennen würde (ich ging nicht aus in Bars), aber ihr Ruf eilte ihnen nun einmal voraus.



»Hast du eine Freundin?« Ich musste das fragen, denn ich wollte mich darauf einrichten, wer künftig innerhalb meiner Privatsphäre verkehren würde. »Oder bevorzugst du mehr noch wechselnde Partner?« Okay, okay, ertappt, das interessierte mich auch ganz persönlich. Und er schien das auch zu bemerken. Deshalb fügte ich hintendran: »Ich bestehe nämlich darauf, dass es hier so ruhig und stressfrei wie möglich zugeht und will nicht das Gefühl haben, mein Leben wäre eine einzige Party«, auch wenn sich das für ihn sterbenslangweilig anhörte.



Er schmunzelte. Ein wenig verlegen sah er dabei aus, was in mir erneut das Gefühl auslöste, ich wäre seine Erziehungsberechtigte.



»Ich habe keine Zeit für eine Freundin. Ich lebe für die Arbeit.« Er wies mich darauf hin, dass er in seiner Freizeit zumeist schlief und dass ich erstaunt wäre, wie selten ich ihn zu Gesicht bekäme. Das beruhigte mich einigermaßen.



Dann beschloss ich, mich nicht weiter wie eine alte Glucke aufzuführen. Letztendlich hatte ich nicht vor, Philipp zu erziehen, sondern einen Mitbewohner zu finden, der zu mir passte. Es fiel mir auch nicht länger schwer, mich auf ihn einzulassen, denn die Chemie zwischen uns stimmte.



Ich erlöste ihn und klärte ihn dafür über die Wohnsituation auf. Eigentlich gab es fast gar keine Bedingungen. »Mein Schlafzimmer ist tabu. Es gibt keine Haushaltskasse – jeder sorgt für sich. Den Kühlschrank unterteilen wir. Es gibt keinen Putzplan, denn jeder ist für sich verantwortlich.« Mehr wollte mir zunächst nicht einfallen.



»Heißt das etwa, ich bekomme das Zimmer?« Es schien ihm jede Bedingung recht zu sein, wenn er dafür nur dieses Zimmer bekäme.



»Tja, ich schätze schon.« Ich war selbst von mir überrascht, denn es war ein viel zu spontaner Entschluss. Ich fürchtete, dass ich diesen eines Tages bereuen könnte, aber im Moment fühlte es sich schlichtweg richtig an.



Er war sprachlos. Hatte es doch anfänglich nicht danach ausgesehen, dass ich, die spröde Klosterfrau, aufgeschlossen genug für neue Wege sein könnte.



»W-w-wann darf ich einziehen?«, stammelte er vor Begeisterung, wirkte so, als müsste er sich beherrschen, mir nicht um den Hals zu fallen. Es bestärkte mich darin, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.



»Zum ersten Juli.« Das war in einer Woche. »Inzwischen mache ich den Mietvertrag fertig und sorge dafür, dass alles geregelt ist.«





***





Genervt schleuderte ich die beiden Taschen mit den Lebensmitteln auf die Ablagefläche der Küche. Es schepperte einmal kräftig, und ich hoffte, dass die Einweckgläser heil geblieben waren. Gleichzeitig klingelte unermüdlich das Telefon. Es hatte bereits geklingelt, als ich zur Tür hereingekommen war. Ich blieb hart und ging nicht dran, denn im Moment hatte ich nur ein einziges Ziel: die tiefgefrorene Pizza Funghi in den Ofen zu schieben und dann mir in den Mund. Nichts und niemand könnte mich jetzt davon abhalten!



Während die Pizza im Ofen endlich aufbuk, sortierte ich alle anderen Lebensmittel ein. Nur den Streukäse, den ich später zusätzlich auf die Pizza geben würde, ließ ich auf der Ablage liegen. Ich inspizierte den Kühlschrank von oben bis unten. Sollte ich besser kleine Namensschilder vorn an den Gittereinsätzen anbringen, damit Philipp von vornherein den Regeln gegenübergestellt sein würde? Oder wäre das zu albern? Schließlich könnte ich ihm auch so viel Verstand zutrauen, das Seinige und das Meinige auseinanderhalten zu können, nicht wahr?



Erneut klingelte das Telefon. Ich rang mich durch, wenigstens einmal einen Blick auf das Display zu riskieren, nur um mich zu vergewissern, dass es kein Notfall war. Es war Beck, mein penetranter Bruder. Obwohl alles in mir Widerstand leistete, schnappte ich mir das Telefon und ging dran. Wenigstens könnte das Gespräch mir die Zeit bis zum Essen verkürzen.



»Alles in Ordnung? Ich wollte mal hören, ob sich denn heute eine passende Mitbewohnerin gefunden hat?«



Selbstverständlich ging es nur darum! Schon seit dem ersten Besichtigungstag rief er mich jeden Abend an, um die Lage zu checken.



Ich blickte auf die Uhr. Beinahe acht. Mir war zuvor gar nicht bewusst gewesen, dass es schon so spät war.



»Entschuldige, ich bin ein wenig überreizt. Ich will nur noch etwas essen und dann ab ins Bett.«



Beck traute seinen Ohren nicht. »Ins Bett? Es ist noch strahlend hell draußen.«



»Wofür gibt es Jalousien?«



»Na hör mal!« Dem Vernehmen nach konnte er nicht fassen, dass ich um diese Zeit nichts Besseres zu tun hatte. »Dann ist es trotzdem noch strahlend hell. Aber verleugne du ruhig weiter die Realität mit deiner Jalousie.«



Ich ließ mir ungern in meine Lebensweise reinreden, deshalb stöhnte ich muffelig. »Erstens bin ich seit fünf Uhr in der Früh auf den Beinen und zweitens kann ein Besichtigungstag ganz schön schlauchen.«



Er meinte, mir anhören zu können, dass wieder niemand meinen Anforderungen gerecht geworden war. »Du bist aber auch überaus anspruchsvoll!«



Ich lachte. Ich hielt den Hörer von meinem Mund fern, damit Becks Trommelfell nicht zerfetzt würde. Natürlich kannte er die Ursache meines Ausbruchs nicht, lachte jedoch mit mir, wenn auch nur verhalten. Ich gedachte auf sein Urteil zu antworten: »Man kann wohl kaum von Anspruch sprechen, wenn man nach allem Übrigen auf einen Kerl zurückgreifen muss«, doch dann fiel mir noch gerade rechtzeitig auf, wie männerfeindlich das klänge.



»Die Suche hat ja jetzt ein Ende«, berichtete ich mit großer Erleichterung in meiner Stimme. Und jetzt, da ich es ausgesprochen hatte, wurde es mir erst so richtig klar.



Beck war nicht ganz sicher, ob er sich verhört hatte. Er wollte jeden Zweifel ausräumen: »Willst du damit sagen, du warst heute erfolgreich?« Es wirkte, als hätte ich sein ganzes Weltbild durcheinandergebracht.



»Bin ich wirklich so hoffnungslos?«



Mein Bruder räusperte sich. Er brauchte viel zu lange für eine Antwort. Na vielen Dank auch! »Ich würde das nicht unbedingt hoffnungslos nennen.«



»Sondern?« Warum wollte ich das so genau wissen? Es würde ja wohl nicht sehr viel besser werden, oder?



»Du musst eben erst wieder mit dem Leben vertraut werden. Das geht nicht von jetzt auf gleich.« Er wirkte selbst nicht ganz von seinem Argument überzeugt. »Allerdings«, warf er hinterher, »ist dir die Freiheit ja schon seit einem Jahr wiedergegeben. Eigentlich ...«



Ich fiel ihm ins Wort: »Nun ist aber gut!« Er machte mich ganz zornig. »Du tust ja gerade so, als wäre ich zu gar nichts zu gebrauchen.« Zugegeben, ich war nicht gerade ein Energiebündel und vielleicht nahm ich mir für Entscheidungen ein bisschen mehr Zeit als andere, da ich ungern Dinge übers Knie brach, doch deshalb musste man ja nicht so tun, als wäre ich völlig weltfremd und müsste nun wie eine Blinde ans Leben herangeführt werden. Wieso glaubte mein Umfeld immerzu, man würde im Kloster völlig verdummen?



Beck stieß den Atem grantig aus. »Lassen wir das, es bringt uns immer wieder an diesen Punkt. Und darauf habe ich keine Lust.« Richtig, das war nicht das erste Mal, dass wir das Thema durchzudiskutieren versuchten.



»Ich möchte dich daran erinnern, dass

du

 wieder mit den unterschwelligen Bemerkungen angefangen hast.« Ich erschrak vor mir selbst, denn kaum war der Satz beendet, kam ich mir vor wie ein Baby. Manchmal führte ich mich wirklich unreif auf. So entschuldigte ich mich auf der Stelle für mein kratzbürstiges, überempfindliches Verhalten und nahm meinen exorbitanten Hunger als Vorwand. Und jetzt, da sich der Raum mit dem Pizzaduft nach und nach füllte, lief mir das Wasser im Munde zusammen und machte die Gesamtlage noch unerträglicher.



Er kannte mich nicht erst seit gestern und machte deshalb auch keinen Staatsakt draus. Ich konnte sein Lächeln durch die Hörmuschel hören. »Was ich nur sagen möchte, ist, dass es dir gehörig an Selbstbewusstsein fehlt. Aber lass uns von etwas anderem reden, in Ordnung? Zum Beispiel von deiner zukünftigen Mitbewohnerin.« Tatsächlich war Beck eine recht zänkische Person, die immer alles totdiskutieren wollte und kaum mit seiner Meinung hinterm Berg halten konnte. Doch sein Interesse an die »Mitbewohnerin« war jetzt einfach viel größer.



Erst jetzt registrierte ich, dass ich ihn noch gar nicht darüber aufgeklärt hatte, dass es keine Sie, sondern ein Er war. Plötzlich scheute ich mich davor, weil ich befürchtete, Beck könnte mich für verrückt halten. Außerdem spielte er sich gern wie ein Vater auf, was sich, wie zu vermuten war, daraus ergab, dass Vater seine Familie schon in frühen Jahren für eine andere Frau hinter sich gelassen hatte. So hatte Beck auch noch heute das große Bedürfnis, die Hand schützend über mich zu halten.

 



»Es ... es ist keine Sie!« Ich hielt inne. Nach außen hin könnte es eine Kunstpause gewesen sein, doch der eigentliche Sinn dahinter war, dass ich mir eine klitzekleine Reaktion erhoffte, die mir vermittelte, dass alles bestens war.



War diese Stille am anderen Ende nun ein gutes oder eher ein schlechtes Zeichen? Ich wollte es herausfinden und redete weiter.



»Er heißt Philipp, ist dreiundzwanzig Jahre alt, studiert Medizin, jobbt als ...«



»Wie um alles in der Welt kam es denn dazu?«, fuhr er mir fassungslos ins Wort, als hätte er mir gar nicht zugehört, nein, vielmehr, als hätte er gar nicht bemerkt, dass ich überhaupt ein Wort gesprochen hatte.



»Ich weiß auch nicht.« Natürlich wusste ich es, ich wollte nur vermeiden, dass Beck mich für naiv hielt. Doch leider musste ich feststellen, dass ich mir mit meiner aktuellen Antwort auch keinen Gefallen getan hatte.



»Du weißt auch nicht?«



Augenblicklich fühlte ich mich, als hätte ich irgendetwas verkehrt gemacht. Warum bloß ließ ich mich immer so kleinkriegen, selbst dann, wenn es niemand darauf abgesehen hatte? »Na-na-natürlich weiß ich es«, stotterte ich geistlos.



Völlig perplex fragte Beck: »Was ist bei dir da drüben los?«



Ich fürchtete, dass er sich ins Auto setzen und in rasender Geschwindigkeit zu mir kommen würde, um höchstpersönlich nach dem Rechten zu sehen. Der Gedanke daran spornte mich an, ihm zu signalisieren, dass alles seine Richtigkeit hatte. »Er hat sich klammheimlich eingeschlichen. Aber das ist gut so, Beck«, erklärte ich, während ich die Backofentür aufklappte, um nach meiner Pizza zu schauen. Die flirrende Hitze, die dabei entwich, war kaum auszuhalten und ich ging zwei Schritte zurück. Dabei griff ich nach dem Streukäse, der auf der Arbeitsplatte noch immer auf seinen Einsatz wartete. Um die Tüte problemlos aufschneiden zu können, klemmte ich das Telefon zwischen Ohr und Schulter. Dann verteilte ich den Käse großzügig auf der Pizza und schloss den Ofen wieder mit einem Fußtritt. »Ich meine, ich scheine ja nicht besonders gut mit Mädels zurande zu kommen. Und mit Philipp bin ich gleich warm geworden.«



Beck wurde das Gefühl nicht los, den Anschluss verpasst zu haben und fragte nach Hintergrundinformationen. Und ehe die Geschichte im heillosen Durcheinander enden würde, begann ich, sie von vorn zu erzählen – so wie es sich gehörte. Als ich fertig war, erntete ich zuvor ewiges Schweigen.



»Das klingt alles sehr sonderbar.« Ich hätte wissen müssen, dass er nichts davon halten würde.



»Was ist denn daran sonderbar?«



Becks Atem ging schwer. »Ach, egal! Ich möchte dir da nicht reinreden.« Diese Antwort ließ unmissverständlich verstehen, dass er sehr wohl danach dürstete, sich jedoch alle Mühe gab, es nicht zu tun. Vermutlich fiel ihm von Zeit zu Zeit mein Alter wieder ein und dass ich durchaus in der Lage war, Entscheidungen allein zu treffen.



Ich ersparte mir, auf irgendeine Weise darauf einzugehen. Stattdessen erklärte ich ihm, dass meine Pizza fertig sei. Er reagierte etwas verschnupft. Aber ich war wirklich hungrig und hatte keine Nerven mehr, mich wieder einmal umfassend belehren zu lassen.



»Lass es dir schmecken, Püppi«, verabschiedete er sich einigermaßen erhaben. Ich ahnte, dass ihm diese Neuigkeit eine unruhige Nacht bescheren würde.



Aber das brachte mich nur zum Schmunzeln.




3



Seit einer Stunde leistete ich Hanna Gesellschaft. Die letzten Tage war es bedenklich still um sie geworden. Jetzt kannte ich auch den Grund. Nein, ausnahmsweise ging es nicht um ihren dreißigsten Geburtstag. Es ging um einen Mann!



»Ich bin nicht vorbeigekommen, um mir den ganzen Abend lang deine Trauermiene reinziehen zu müssen«, zehrte mich ihr nicht enden wollender Trübsinn aus. Eigentlich hatte ich im Sinn gehabt, ihr von Philipp zu berichten, der morgen bei mir einziehen würde. Aber das stand nun hinten an.



»Ich weiß, ich bin zurzeit eine weinerliche Memme«, erklärte sie schluchzend und schnäuzte sich laut in ihr Tempo, »aber momentan steckt einfach der Wurm drin.« Ich erkannte, dass sie mit dem Pflaumenwein in der Vitrine liebäugelte. »Als hätte ich nicht schon Komplexe genug, verlässt mich der Scheißkerl auch noch!« Sie hielt mir eine Hand vor die Nase, zog mit der anderen an dessen Rücken eine Hautfalte hoch, um zu demonstrieren, wie ledrig sie

jetzt

 schon wäre. »Hundertpro bin ich dem Affenarsch zu alt! Ich habe letztens einen Test gemacht, den ich im Internet gefunden habe. Dabei soll man die Hautfalte zehn Sekunden lang halten. Und je nachdem, wie schnell alle Spuren wieder verschwinden, verrät es dir dein biologisches Alter.« Sie machte mir diesen Test vor. Ich folgte ihrer Darbietung aufmerksam und geduldig, da ich sie in ihrem heiklen Zustand nicht auch noch zu kränken beabsichtigte.



»Da!«, kreischte sie, als sie die Hautfalte endlich losließ, und deutete mit dem Zeigefinger auf die etwas gerötete Stelle am Handrücken. »Hast du das gesehen? Das waren mindestens vier Sekunden! Laut Test bedeutet das, ich habe ein biologisches Alter von fünfzig.« Sie warf sich in ihren Sessel zurück und fing wieder fürchterlich zu heulen an.



Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass ihre Traurigkeit echt war und sie nicht nur eine Show abzog, um das Ego mit erzwungenen Komplimenten gestreichelt zu bekommen. Ihre Augen waren schon ganz rot und aufgequollen. Nun verstand ich auch, warum sie heute ganz auf Schminke verzichtete. Und das war ein wahrlich seltenes Phänomen.



Trotzdem machte ich klar: »Das war nicht mal eine Sekunde, Hanna!« Wie sie auf die vier Sekunden gekommen war, war mir schleierhaft. »Du siehst nur, was du sehen willst.«



Heftig schüttelte sie den Kopf. Ihre Haare, die sich heute sogar etwas kräuselten, flogen dabei wild umher. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich fraglos glauben, dass in drei Tagen keine drei, sondern eine eins vor der Null stünde.



Jetzt schielte ich zum Pflaumenwein. »Lass uns auf das Scheißleben anstoßen, einverstanden?«, schlug ich vor und bekam leichtes Herzrasen. Ich und Alkohol?



Na schön, was würde schon ein winziges Schlückchen schaden, wenn ich meiner allerbesten Freundin somit beistehen könnte? Nichts ging über Solidarität.



Also gut, und ein bisschen aufgeschmissen kam ich mir momentan auch vor, erwischt! Nicht, dass ich nicht trösten könnte, doch seit Hanna mich einst darauf hingewiesen hatte, dass meine Art des Trosts wie ein nerviges Überbleibsel aus meiner Klosterzeit wirkte – nämlich scheinheilig und aufgesetzt –, ging ich lieber auf Nummer sicher und hielt mich im Zaum.



Hanna war hellauf begeistert von der Idee. Sie sprang im hohen Bogen vom Sessel und holte den Pflaumenwein und zwei Flötengläser (sie besaß schlichtweg keine anderen) herüber. Ihre Finger fummelten flink am Verschluss – Simsalabim – die Flasche war auf.



»Sicher wird das für Ablenkung sorgen.« Sie nahm den ersten Schluck noch im Stehen. Schwelgend schloss sie die Augen und wackelte leicht, als verlöre sie das Gleichgewicht. Erst dann ließ sie sich wieder auf dem Sessel nieder.



Ich wusste lediglich, dass Hanna und dieser … dieser ... Tatsächlich musste ich in den tiefsten Tiefen meines Unterbewusstseins nach seinem Namen wühlen. Nun gut, ich kam gerade nicht drauf, wollte allerdings auch nicht nachfragen, da dieser Aussetzer nicht das beste Licht auf mich warf. Als beste Freundin müsste ich das schließlich unbedingt wissen. Ich wusste also lediglich, dass Hanna und der sogenannte Scheißkerl oder auch Affenarsch noch nicht auffallend lange miteinander liiert gewesen waren. Genau genommen waren sie mehr noch in der Phase gewesen, in der man die/den Erwählte(n) für keinen Normalsterblichen hielt.



Ich simulierte Ahnung, wollte es jedoch noch einmal genau wissen. »Wie lang ...« Weiter kam ich nicht.



»Drei Wochen.« Unheimlich, wie sie mir meine Ahnungslosigkeit von den Augen ablesen konnte.



Vor Verlegenheit wurde mein Gesicht ganz heiß. Davon verunsichert nippte ich an meinem Glas Wein. Prompt wurde mir noch heißer. Meine Ohren begannen zu glühen, stellte mir vor, wie sie feuerrot leuchteten.



»Toni war mein Traummann.« Sie registrierte meinen skeptischen Blick, denn das sagte sie nicht zum ersten Mal. Gleichzeitig erinnerte ich mich vage daran, den Namen Toni schon einmal aus ihrem Mund gehört zu haben. »Ja, das war er wirklich!«



»Ich sag ja nix!« Ich stellte das Glas wieder auf den Couchtisch zurück. Solange ich diesen leichten Schwindel verspürte, traute ich mir keinen weiteren Schluck zu. Die gesamte Situation schüttete Adrenalin aus: Hannas Geheule, meine Erinnerungslücken und der Wein.



Sie zog eine Augenbraue hoch. »Deine Mimik spricht für sich, Püppi.« Dann zuckte sie mit den Schultern und leerte ihr Glas bis auf den letzten Tropfen. »Das tut verdammt gut. Musst du auch mal probieren, vielleicht wirst du dann etwas lockerer.«



»Ich

bin

 locker«, verteidigte ich mich mit heller Stimme. »Nur weil ich mein Glas nicht auf ex trinke?« Außerdem sah es ja im Moment eher danach aus, als wenn Hanna Heulsuse hier die Verspanntere von uns beiden wäre.



Okay, das war fies: Ihr ging es wirklich miserabel!



Sie schenkte sich nach und warf einen flüchtigen Blick auf mein Glas. »Klar, du kannst mit diesem Thema nichts anfangen. Für dich läuft Liebe und Sex auch jetzt noch unter ferner liefen.« Ihrem Ausdruck nach zu urteilen erklärte sie sich gerade für verrückt, weil sie ausgerechnet mich – hochgradig unqualifiziert für Beziehungsprobleme – angerufen und um Beistand gebeten hatte.



Meine Züge verfinsterten sich, denn mit ihrer Äußerung traf sie einen wunden Punkt. Durchaus war es unleugbar, aber das hieß noch lange nicht, dass sie meine Meinung dazu in Frage stellen musste.



»Toni ist nur einer von vielen Traummännern. Immer steigerst du dich in deine Liebschaften so rein.«



Entgeistert riss sie die Augen auf. Hatte sie mir meine Offenheit nicht zugetraut oder hasste sie es, mit Fakten konfrontiert zu werden? Doch sie sagte nichts, setzte nur das Flötenglas an die Lippen und leerte es wieder in einem Zug. Als sie es auf die Tischplatte zurückstellte, hatte sie schon die ersten motorischen Schwierigkeiten und kippte beinahe nach vorn über. Es sah so aus, als würde sie sich an dem kleinen, zerbrechlichen Glas festzuhalten versuchen. Das gelang ihr auch irgendwie. Nur kurz wippte sie und schwang sich dann wieder nach hinten.



Auf einmal umging sie meine Äußerung und gab mir dafür eine Info, die mich möglicherweise endgültig davon überzeugen sollte, dass ihre Trauer sehr wohl berechtigt war. »Er hat mich für dieses Flittchen Cäcilia verlassen.« Sie schaute mich erwartungsvoll an, doch ich kapierte nicht das Mindeste. »Kennst du sie denn nicht mehr? Das junge Ding von der Tanke.«



Ich wusste noch immer nicht, von wem sie sprach, besonders da ich gar kein Auto besaß und auch anderweitig keinen Grund hatte, mich an einer Tankstelle blicken zu lassen. Nur vorsichtshalber gab ich ihr das zu verstehen, damit sie nicht glaubte, ich wäre restlos bescheuert.



Dann fasste sie sich an die Stirn. »Natürlich kennst du sie nicht. Ich habe dich mit Kristin verwechselt.« Kristin war Hannas ältere Schwester. Dass sie mich mit ihr verwechselte, erschütterte mich nicht, denn das Verhältnis zwischen Hanna und mir war nicht weniger geschwisterlich nach so vielen Jahren der Freundschaft. »Kristin hat sie nur vom Auto aus gesehen, und auch ihre Silikontitten und Tonis unnötigen Aufwand beim Bezahlen. Er hat in den höchsten Tönen von ihr gesprochen, obwohl er sie gar nicht kannte. Cäcilia hier, Cäcilia da. Ich hätte es wissen müssen!«



Sie hätte es wissen müssen? Sollte ich mich darüber wundern, dass Hanna Tonis offene Schwärmerei für dieses Silikonwunder nicht schon vor der Trennung äußerst suspekt gefunden hatte?



Ich hielt mich besser zurück, denn sie war gerade so in Redelaune.



»Als er sich von mir getrennt hat, hat er keinen Hehl draus gemacht, dass Cäcilia der Grund dafür ist.« Eine einsame Träne kullerte über Hannas Wange. Sie kniff die Augen kurz und fest zusammen. »Was hat sie, was ich nicht habe?« Sie sah an sich herunter und zeigte mit beiden Händen auf ihre Brüste. »Ich habe genauso viel wie die! Also habe ich ihn direkt gefragt. Das hätte ich lieber nicht machen sollen.« Von Neuem platzte sie los, noch viel herzergreifender als die Male davor.



Ich blieb stumm, ließ ihr die Zeit, sich wieder zu fangen, auf dass sie mit der Geschichte an der Stelle fortfahren konnte, an der sie diese unterbrochen hatte. Um mich zu beschäftigen, nahm ich mein Glas auf. Mehr als ein Nippen traute ich mir nach wie vor nicht zu. Doch unverhofft stellte ich fest, dass ich die Süße des Weins nun sehr angenehm fand. An den Geschmack konnte ich mich glatt gewöhnen.

 



Mit zitternder, aufgeregter Hand füllte sie ihr Glas ein drittes Mal bis oben hin, nahm es zur Hand und sprach mit einigen Schluchzern mittendrin weiter. »Er schwärmte von ihrem neunzehnjährigen, knackigen Hintern. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass sie fünfzehn Jahre jünger ist als er, aber er nennt das schlicht Herausforderung.«



Sie prostete mir zu, da ich noch immer mein Glas in der Hand hielt. Ich nippte weiterhin, während sie ihr Glas bis zur Hälfte leerte. Allmählich war ich ernsthaft besorgt.



Was Toni genau unter Herausforderung verstand, war mir ein Rätsel. Wie viel Mühe kostete es schon, mit Geldscheinen offen vor Cäcilias niedlichem Püppchengesicht herumzuwedeln, nur um sie langfristig für sich zu begeistern? Außerdem war nicht zu übersehen, dass er die Sorte Mann war, die sich nur solange reinkniete, bis seine Beute ihm willenlos verfiel. Danach war jeder Reiz verflogen. Genuss empfand er lediglich im Zusammenhang mit unverbindlichen Kontakten. Denn um ehrlich sein, war Hanna schon eine echte Wucht. Ihre Augen waren rund, offen und honigbraun, ihre Haut war selbst in der Winterzeit leicht gebräunt (ohne dafür etwas tun zu müssen, versteht sich) und butterweich, sie war fünf Zentimeter größer als ich (mit ihren sieben Zentimeter hohen Keilabsatz-Sandaletten, die sie den Sommer über fortlaufend trug, überragte sie mich allerdings um stolze 12 Zentimeter), hatte damit endlos lange Beine, eine Figur wie ein Topmodel, nur mit der Ausnahme, dass sich die Rundungen dort zeigten, wo sie auch hingehörten, und war geschmeidig wie eine Katze; ja sogar in ihrem gegenwärtigen Zustand – meistens. Sie war das, was man im Volksmund eine Märchengestalt nennt, zu schön, um wahr zu sein. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte: es lag weder an ihrem Alter noch an ihrem Erscheinungsbild, dass Toni sie sitzengelassen hatte. Es lag ganz allein an dem Affenarsch selbst. Anderenfalls hätte er längst erkannt, dass es ihn besser als mit Hanna nicht hätte treffen können.



Ich fuhr mir vorsichtig über meine gepuderte Stirn. Eine Geste, die meine nervliche Anspannung durchblicken ließ. Mit mitleidigem Blick begutachtete ich das Häufchen Elend mir gegenüber. Ich suchte nach Worten, doch es kamen mir nicht die richtigen in den Kopf. Ich wusste natürlich, dass ich sie aufbauen müsste. Ich war nur völlig außer Fassung geraten, weil sie sich selbst so viel vormachte und nicht von selbst sah, wie irrational ihre Sicht der Dinge war. Derart platt kannte ich sie gar nicht, wenngleich sie schon immer eitel und ihr Männergeschmack recht primitiv gewesen war. Es schien mir fast, als wäre sie gar nicht darauf aus, etwas Festes zu finden, als würde sie selber nur nach Abenteuern suchen, um sich nicht festlegen zu müssen. Sich festzulegen, bedeutete nämlich auch, dafür ein kleines Stück von sich selbst aufgeben zu müssen.



»Willst du denn gar nichts dazu sagen?«, ermahnte Hanna mich jetzt und schaute mich erwartungsvoll an.



Ich war wie aufgerüttelt, schwenkte meinen Blick hysterisch über ihre gesamte Gestalt. Dabei fiel mir auf, wie zuckersüß sie in diesem Augenblick aussah: kindlich, fragil und unbescholten, wie das fünfzehnjährige Mädchen, das ich einst kennen gelernt hatte. Statt Empathie, löste ihr Anblick in mir das große Bedürfnis aus, in schallendes Gelächter auszubrechen.



Ich tat mich schwer, das Schmunzeln zu verbergen, gab mir wirklich die allergrößte Mühe.



Mein Kinn zuckte.



Und jetzt auch noch meine Unterlippe.



Wie kam ich da bloß wieder raus? Sie musste ja denken, dass ich mich über sie lustig machte? Wie sollte ich ihr denn verständlich machen, dass sie im Moment bloß zum Abknutschen goldig aussah, weiter nichts? Natürlich war der Zeitpunkt der denkbar schlechteste …



Hanna unterbrach meinen Gedankenzug: »Ziehst du mich etwa ins Lächerliche?« Sie hatte mich ertappt.



»Entschuldige bitte«, überschlug ich mich beinahe vor Freundlichkeit, »das kommt dir nur so vor.« Ich konnte diese Worte gerade einigermaßen flüssig aussprechen, da prustete ich auch schon los. Mir stiegen die Tränen in die Augen. »Sorry«, warf ich atemlos dazwischen. Mein ganzer Körper vibrierte, fühlte den klebrigen Wein über meine Finger la