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Kunstprojekt (Mumin-)Buch

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b) Layout

Eine weitere Gruppe von Dokumenten widmet sich Überlegungen zum Layout, mit anderen Worten Überlegungen zur konkreten Seitengestaltung, dem mise en page. Vor allem folgende Punkte stehen bei der Analyse im Mittelpunkt: Satzspiegel, Schrift, Verhältnis von Text und Bild sowie Farbklima. Ausgewählt wurden Beispiele von den Arbeiten zu den Muminbüchern wie auch den Bilderbüchern.

Kapitel strukturieren nicht nur die Erzählung auf inhaltlicher Ebene, sondern auch das Buch als Objekt. Unter den Arbeiten zu Muminpappans memoarer ist ein Dokument, welches sich mit der optischen Gestaltung der Seiten befasst, die jeweils den Auftakt für ein neues Kapitel bilden (Abb. 10). Die Kapitel sind nummeriert und untereinander aufgelistet. Der Text neben den Nummern ist der Anfang des jeweiligen Kapitels. Anschliessend skizziert Jansson, wie der Anfangsbuchstabe jeden Kapitels als Initiale grafisch hervorgehoben werden soll. Hinzu kommt weiter der Name der Figur, deren Bild sie am Anfang des jeweiligen Kapitels zu positionieren gedenkt. Doch damit nicht genug, Jansson fügt ebenfalls die Silhouette der Illustration hinzu, die die Kapitelüberschrift begleitet. Jedes Kapitel erhält so eine doppelte Überschrift – eine in Wort, die andere in Bild. Der Entwurf zeigt deutlich die geplante Orchestrierung der zentralen Gestaltungskomponenten der einzelnen Seiten. Einige der skizzierten Elemente sind den Umarbeitungen zum Opfer gefallen, so ist etwa die als Auftakt für das Kapitel 6 geplante Illustration einer Insel in der neusten Version nicht mehr zu finden und durch eine andere ersetzt worden. Es handelt sich hier offensichtlich um eine Arbeit, bei der das ästhetisch dominierte Schaffen, das Bewusstsein um die grafische Konzeption der ganzen Buchseite, evident wird.

Abb. 10:

Entwurf Inhaltsverzeichnis Muminpappans memoarer. Detail.

Weitaus umfassender was Reflexionen bezüglich des Seitenlayouts angeht, ist eine Vorarbeit zu Sent i november. Unter dem ungedruckten Material findet sich ein Buchdummie, dieser besteht aus ausgeschnittenen Textpassagen und Illustrationen, die neu zusammengefügt wurden. Abbildung 11 zeigt das Cover. Ganz oben ist der Vermerk zu lesen: Text-typer och avstånd som tidigare (Texttypen und Abstand wie vorher) (Abb. 12). Der Rest erinnert beinahe an kalligrafische Schriftproben, denn auf dem Blatt werden unterschiedliche Typografien verwendet. Als Schreibwerkzeug verwendet Jansson einen Bleistift. Von oben nach unten ist zuerst der Autorname, dann der Titel und schliesslich der Name des Verlags zu lesen. Der Autorname ist in einer Schrift ohne, der Titel in einer Schrift mit Serifen geschrieben. Sowohl der Autorname als auch der Titel steht zwischen zwei, ebenfalls mit Bleistift gezogenen, Linien, die die Versalhöhe definieren. Der Name des Verlags unten an der Seite ist in einer Schreibschrift geschrieben. Zwischen dem Titel und dem Namen des Verlags ist Platz für ein Titelbild ausgespart. Abbildung 13 zeigt die Seite, die für die Karte geplant ist. In der gedruckten Version befindet sie sich auf der Versoseite des Schmutztitels. Die Karte selbst ist darauf nicht skizziert, jedoch ist deren angedachte Grösse markiert, mit dem Vermerk: „Gör den så stor det går utan att sidan blir för tung. Denna kliché kommer senare“ „Mach sie so gross wie es geht, ohne dass die Seite überladen wird. Dieses Klischee kommt später)“.

Abb. 11:

Entwurf Layout Sent i november.

Abb. 12:

Entwurf Layout Sent i november. Detail.

Abb. 13:

Entwurf Layout Sent i november.

Abbildung 14 zeigt, wie schliesslich Seiten mit Hilfe unterschiedlicher Fragmente (Textpassagen wie auch Illustrationen) neu komponiert werden. Deutlich zu sehen sind Klebestreifen, die im Beispiel bei beiden Illustrationen jeweils rechts angebracht wurden. Die Illustrationen sind weiter mit einem Titel und einer Nummer versehen. Auf der linken Seite ist unten in Klammern zu lesen: Sovande Mymla Nr. 34X (schlafende Mymla). Auf der rechten Seite oben entsprechend: (Snusm.) Nr. 35X. Ausserdem ist zu erkennen, wo die Kapitelnummer gedacht ist und wie genau diese aussehen soll. Inhaltliche Korrekturen finden sich keine. Dadurch, dass die Illustrationen lediglich an einer Seite befestigt sind, lassen sie sich aufklappen. Darunter offenbaren sich nochmals die gleichen Illustrationen, die vorher jedoch direkt auf die Seite vorgezeichnet wurden. Auch sonst lassen sich zwischen den eingeklebten Fragmenten Bleistiftmarkierungen erkennen, die darauf hindeuten, dass das Layout vor dem Einkleben direkt auf der Seite skizziert wurde.

Abb. 14:

Entwurf Layout Sent i november.

Alle handschriftlichen Anmerkungen im Dummie betreffen ausschliesslich das Layout und nicht etwa den Inhalt. Abbildung 15 zeigt, wie detailliert diese Instruktionen diesbezüglich sind, geht es bei der Anmerkung doch um die Position eines einzelnen Wortes, das Janssons Ansicht nach auf die nächste Zeile gehört. Unter dem Text steht mit Bleistift geschrieben: „Här är det bara 27 rader. Spärra den sista så att ordet ,fisk‘ kommer på 28de raden“ „Hier sind es nur 27 Zeilen. Sperre die letzte so, dass das Wort ,Fisch‘ auf die 28. Zeile kommt“. Als Ganzes ist diese Version von Sent i november ein Paradebeispiel einer haptischen Reorganisation des Buchs. Haptisch meint in diesem Sinne eine Überarbeitung mit Hilfe von präparierten Ausschnitten, welche von Hand zusammengefügt werden. Dabei werden Text und Bild als gestalterische Elemente zu einer Einheit verflochten.

Abb. 15:

Entwurf Layout Sent i november. Detail.

Das Bilderbuch als Gattung erfreut sich mittlerweile eines regen Forschungsinteresses, jedoch wurde hingegen der Genese von Bilderbüchern kaum Beachtung geschenkt. „Das Vorstellungsbild vom Bilderbuch ist an das Fertigprodukt gebunden“, erklärt Jens Thiele dies.1 Im Falle von Janssons Bilderbüchern zeigt sich eine vergleichbare Situation. Dies obwohl etwa Erik Kruskopf Hur gick det sen? gar ein Meisterwerk buchtechnischer Planungskunst nennt.2 „Illustrationerna representerar en ny, modern konstsyn och placerar verket jämsides med tidens bästa konstverk. Inom den grafiska konsten och i barnlitteraturen var verket originellt och nyskapande, utan motstycke i sin tid.“ „Die Illustrationen repräsentieren einen neuen, modernen Blick auf Kunst und platzieren das Werk neben die besten Kunstwerke seiner Zeit. In der grafischen Kunst und in der Kinderliteratur war das Werk originell und innovativ, ohne seinesgleichen.“, lobt Tuula Karjalainen Hur gick det sen?.3 In der Handschriftenabteilung der Åbo Akademi gibt es zu den Bilderbüchern Vorstudien, was Layout und Farbgestaltung betrifft. Jedoch ist die Materiallage sehr unterschiedlich. Während es zu Den farliga resan zu diesem Aspekt keine Dokumente gibt, sind es zu Vem ska trösta knyttet? ein paar wenige und zu Hur gick det sen? zahlreiche. Aus diesem Grund dominieren nachfolgend die Beispiele zu Hur gick det sen?.

Sowohl für Vem ska trösta knyttet? als auch für Hur gick det sen? existieren ausführliche Schemen, die Aufschluss über deren „Bauplan“ geben. Abbildung 16 zeigt das Schema von Vem ska trösta knyttet?. Das Buch besteht aus 12 Doppelseiten, respektive 12 Szenen. Die Szenen sind über dem Schema aufgelistet und beschrieben. Darunter symbolisieren Rechtecke die einzelnen Doppelseiten. Sie sind alle nummeriert. Teilweise wird eine Illustration darauf angedeutet. Die Mitte des Buchs ist auf der Doppelseite 6 mit einer gestrichelten Linie markiert.

Das Schema für Hur gick det sen? zeigt Abbildung 17. Es ist weitaus komplexer als dasjenige von Vem ska trösta knyttet?. Dargestellt sind vier grosse Papierbögen, die jeweils in acht Seiten unterteilt sind. Dazu wird akribisch festgehalten, welcher Bogen in welchen Farben gedruckt wird. Jansson erarbeitete in diesen Schemen ein Konzept, welches sie gegenüber dem Verlag auch vehement verteidigte. In der Korrespondenz mit dem Verlag weist Jansson explizit darauf hin, dass Abweichungen von diesem Plan das ganze gestalterische Projekt gefährden könnten und die Produktion daher ihren Anweisungen zu folgen hat.

Abb. 16:

Konzeptarbeit Vem ska trösta knyttet?. Detail.

Abb. 17:

Konzeptarbeit Hur gick det sen?. Detail.

Neben diesen Dokumenten, die das Grundkonzept des gesamten geplanten Kunstwerks offenlegen, gibt es auch Vorarbeiten zu den einzelnen Bildern, jedoch lediglich zu Hur gick det sen?. In der gedruckten Form umfassen diese meist zwei Doppelseiten, sind monoszenisch, im Format A4. Dies hat zur Folge, dass die Anzahl Bilder überschaubar bleibt, wie Ulla Rhedin festhält.4 Ferner ist zu konstatieren, dass die Vorstudien bereits in Originalgrösse gefertigt wurden.

Der Blick auf die Vorstudie zeigt quasi das „Skelett“ des Bildes. Beim ausgewählten Bild handelt es sich um die Szene, in der Mumintrollet und Mymlans dotter von Hemulen mit einem Staubsauger eingesaugt werden (Abb. 18). Lilla My befreit sie mit einer Schere aus ihrer misslichen Lage. Das dominanteste Bildelement, der Schlauch des Staubsaugers, ist bereits ganz zu erkennen. Er zieht sich quer über das ganze Bild, verbindet die beiden Seiten. Ebenfalls skizziert sind Mumintrollet, im Schlauch des Staubsaugers gefangen, und Mymlans dotter, die sich in der finalen Version mit Lilla Mys Hilfe aus dem Staubsauger befreit. Weiter ist Lilla My mit der Schere in der Hand zu sehen. Hemulen hingegen, ist in diesem Stadium lediglich angedeutet. So fehlt etwa die ganze untere Hälfte seines Körpers. Dies sind Elemente, die in der Bildkomposition offensichtlich nicht von gleicher Relevanz sind. Dazu gehören auch die Textfelder. Deren Position ist mit den kurzen Textauszügen angedeutet, jedoch gibt es noch keine Hinweise auf deren Form.

 

Abb. 18:

Entwurf Layout Hur gick det sen?

Der übrige Text bezieht sich auf die Farbgestaltung. So steht in Abbildung 19 bei Hemulen etwa „stämmer rödorange + gult“ „stimmt Rotorange + Gelb“. Dasselbe ist auf der rechten Seite, beim Schlauch des Staubsaugers, nochmals zu sehen. Das Beispielbild macht ebenfalls deutlich, welch zentrale Rolle das markanteste Merkmal des Buchs, die Perforationen, in Bezug auf die Farbgebung spielen. Die Löcher finden sich auf jeder Seite an unterschiedlicher Stelle und in verschiedenen Grössen und Formen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass diese bereits markiert sind. Auf dem Beispielbild ist das Loch auf der linken Seite gar kein Loch, es wurde lediglich eine Ecke herausgeschnitten. Diese markante Form ist dort ebenfalls bereits zu sehen. Die Perforation auf der rechten Seite ist im Entwurf rechteckig eingezeichnet, ist in der gedruckten Version aber schliesslich rund. Dazu ist jeweils ein Muster der Farbe hinzugefügt, die durch das Loch sichtbar wird: auf der linken wie auch auf der rechten Seite sind dies die Farben Blau und Rot. In der gedruckten Version ist es auf der linken Seite lediglich das Blau, das hinzu kommt. Auf der rechten Seite bleibt es bei Blau und Rot.

Entsprechend wird ebenfalls das Farbkonzept als essenzielles Gestaltungselement sorgfältig erarbeitet. Konkret stellt Jansson die Farbauswahl für dieses Buch in einer Tabelle zusammen. Auf diese Weise fertigt sie eine Übersicht, ähnlich wie sie dies bei der Planung für die Illustrationen im diskutierten „Illustrationsspiegel“ bereits getan hat. Die Tabelle enthält ein Farbmuster wie auch die genaue Bezeichnung des Farbtons, inklusive Anmerkungen zu dessen Herstellung (Abb. 19).

Abb. 19:

Konzeptarbeit Hur gick det sen?

Transkription Abbildung 19:

(på samtliga bilder)

svart

mörkgrått av svart

ljusgrått av svart

rött

ljusrött av rött, svagast tänkbara ton

ljusblått av blått

rödbrunt

varmgult

ljusgult

violett

en mörkviolett ton av rött och blått tryckta på varandra

orange av ljusgult och rött tryckta på varandra.

(auf allen Bildern)

schwarz

dunkelgrau aus schwarz

hellgrau aus schwarz

rot

hellrot aus rot, schwächster denkbarer Ton

hellblau aus blau

rotbraun

warmes gelb

hellgelb

violett

ein dunkelvioletter Ton aus rot und blau aufeinander gedruckt

orange aus hellgelb und rot aufeinander gedruckt.

2.2.3. Zusammenfassung

Die konzeptionelle Arbeit Janssons zeigt sich in den Manuskripten sowohl für die Bilderbücher als auch für die Muminbücher äusserst aufwendig, detailliert und dementsprechend umfangreich. In der Vorbereitungsphase scheint Jansson nichts dem Zufall zu überlassen. Janssons Überlegungen gelten einerseits der Gestaltung des Buchs als Objekt, weshalb sich planerische Arbeiten zu unterschiedlichen buchgestalterischen Aspekten finden. Dabei werden etwa Gedanken betreffend der Positionierung der Illustrationen und des Layouts formuliert. Andererseits finden sich Zeugnisse des Erarbeitens von Inhalten, sowohl auf der Makro- wie auch auf der Mikroebene. Sie enthalten also Ideen zur groben Struktur der Erzählung wie auch Details, beispielsweise im Bereich der Figurenkonzeption. Ferner finden sich Aufzeichnungen von Recherchearbeiten, die meist inhaltliche Stringenz und faktische Korrektheit sicherstellen. Die Untersuchung umfasst Beispiele der frühen wie auch der späten Muminbücher sowie den Bilderbüchern und widerspiegelt so auch die Arbeit mehrerer Jahrzehnte. Was die Beschaffenheit der Dokumente angeht, brachte die Analyse vor allem folgende Charakteristiken zutage: eine hohe Professionalität, Selbstreferenzialität und eine konstante Spannung zwischen Schrift und Bild.

Was die Professionalität ihrer Planungsarbeiten betrifft, so erweist sich diese während der langen Zeit ihres Schaffens als konstant. Sie beweisen ein profundes fachliches Verständnis Janssons vom Buch als Kunstwerk und den Arbeitspraktiken, die dieses konstituieren. Dieses Fachwissen verdankt sie nicht nur ihrem Talent, sondern vor allem einer gezielten Ausbildung in diesem Bereich. Die Professionalität beinhaltet obendrein eine klare Vorstellung des Endprodukts, welche sich in den Vorarbeiten äussert. Dies wiederum lässt ebenfalls auf ein vorhandenes Rezipientenbewusstsein schliessen, obwohl das Janssons eigene Aussagen widerlegt, in denen sie negiert, für ein spezifisches Publikum zu schreiben.

Die Selbstreferenzialität der Dokumente offenbart sich konkret in den Gesprächen mit sich selbst, die sich auf dem Papier als eine Art Frage-und-Antwort-Dialog materialisieren. Dies macht die Dokumente zu einer Plattform für den persönlichen Diskurs über das Kreieren eines Kunstwerks, im vorliegenden Fall eines Buchs. Er liefert wertvolle Informationen bezüglich Janssons Rollenbild von sich als Künstlerin. Eines nämlich, das den Produktionsakt penibel kontrolliert und so eine konstante Qualitätssicherung durchführt. Besonders evident wird dies beispielsweise bei den Checklisten für Pappan och havet, anhand derer sie unterschiedlichste Aspekte des Narrativs reflektiert. Gleichzeitig jedoch sind die untersuchten Handschriften die Materialisierung eines kreativen Prozesses. Folgendes Zitat von Herbert Kraft fasst diese zentrale Erkenntnis zusammen: „Sie [die Entstehungsgeschichte] ist die Rekonstruktion eines Arbeitsprozesses, aber eben auch eines Bewusstseinsprozesses.“1 Entsprechend wird die Werkgenese auch nicht von einem Beginn und einem Ende flankiert.

Ferner ist hervorzuheben, in welch hohem Mass die Vorarbeiten sowohl von schriftlichen als auch von visuellen Komponenten geprägt sind. Janssons unterschiedliche Künstleridentitäten, so zeigt es sich auf dem Papier, stehen in einer engen Symbiose zueinander. Gerade dieses Zusammenspiel erweist sich als eine äusserst potente Inspirationsquelle. Kruskopf sieht diese enge Vernetzung gar als eine Notwendigkeit für künstlerisches Schaffen: „Dialogen mellan den verbala och den visuella delen av människans gestaltningsförmåga är viktig och nödvändig för all kreativ verksamhet.“2 „Der Dialog zwischen dem verbalen und visuellen Teil des menschlichen Gestaltungsvermögens ist wichtig und notwendig für jegliche kreative Wirksamkeit.“ Konkret äusserte sich dies auch in einem diagrammatischen Denken, etwa in Form unterschiedlicher Mindmaps. Dabei wird anhand einer bildnerischen Darstellungsstrategie neues Wissen generiert, in Tove Janssons Fall Textinhalte.

2.3. Textproduktion

Nach der Analyse der konzeptionellen Dokumente folgt diejenige der Dokumente der Textentwicklung. Dabei interessieren die Handschriften nicht in erster Linie auf inhaltlicher Ebene, denn die „[…] Handschrift wirkt zunächst nicht als Textträger, sondern vielmehr als Materialität und als Symbol. Jede Handschrift ist als materieller Gegenstand immer ein Unikat, ein Original, ein Schrift-Bild […].“1 Sie werden also vielmehr als Kunstwerke betrachtet, die sich durch eine spannende Architektur auszeichnen.

Auf Janssons Passion für das Schreiben wurde bereits mehrfach hingewiesen. Entsprechend zahlreich sind die Textentwürfe. Neben losen Blättern unterschiedlichster Art verwendete sie gerne Hefte als Schriftträger. Darin ist jedoch häufig nur jede zweite Seite beschrieben. Das heisst, auf einem Seitenaufschlag ist die rechte Seite beschrieben, während die linke leer bleibt oder mit Anmerkungen für Änderungen versehen ist. Korrekturen finden sich auch in bereits gedruckten Exemplaren. Die Textentwürfe wie auch die Korrekturen sind immer von Hand geschrieben, obwohl Jansson einer Generation angehörte, der bereits technische Hilfsmittel zum Verfassen von Texten zur Verfügung standen. Die Dokumente der Textproduktion spiegeln Janssons Experimentieren mit unterschiedlichen Textgattungen wider, genauer Lyrik und Prosa. Daher wird in der folgenden Analyse zwischen diesen beiden Textgattungen unterschieden, um eine differenzierte Betrachtung zu ermöglichen.

2.3.1. Lyrik

Die Lyrik, das Spiel mit Worten, hat in der Kinderliteratur eine lange Tradition. Als prominentes Beispiel aus Skandinavien wäre da etwa Lennart Hellsing zu nennen, dessen Werke sich durch kreative Sprachspiele auszeichnen. Auch in Janssons Schaffen nimmt die Lyrik eine bedeutende Rolle ein. Ihre Bilderbücher sind gänzlich in gereimter Form verfasst. Janssons Lyrikaffinität führte in der Zusammenarbeit mit den Verlagen gar zu Konflikten. So macht sie ihrer Empörung über den Schweizer Benziger Verlag in einem Brief Luft, der eine Prosaversion von Vem ska trösta knyttet? verlangte, weil er dies für das Zielpublikum als passender erachtete. Auch die Muminbücher, grösstenteils Prosaerzählungen, sind immer wieder gespickt mit Gedichten, oft in Form von Liedertexten. Diese verfügen in der Regel über ganz zentrale Funktionen im Narrativ. Nachfolgend werden Beispiele von Vorarbeiten zu Gedichten sowohl zu den Bilder- als auch den Muminbüchern diskutiert.

Aleida Assmann weist auf die Wichtigkeit von Typografie und Schriftbild in der Lyrik hin. Als Grund nennt sie den Zeilenumbruch als wichtigstes Strukturmerkmal des Gedichts. Von vornherein werde der Blick damit auf das Schriftbild gerichtet.1 Auch Per Ridderstad beschreibt eine bestimmte grafische Struktur als klares Erkennungszeichen für ein Gedicht.2 Dies gilt auch für die janssonsche Textarbeit. In der gedruckten Version von Den farliga resan finden sich, mit Ausnahme der ersten und der letzten Seite, doppelseitige Bilder. Darunter verläuft jeweils der Text horizontal unter dem Bild in einer Art Textstreifen. Zusätzlich ist der Text auch grafisch deutlich in kurze Vierzeiler geteilt. Dabei sind immer zwei Verse pro Seite gesetzt, das heisst also vier pro Doppelseite. In den Vorarbeiten zeigt sich, wie bereits während des Erarbeitens in diesem Muster gedacht wurde. Dies sei nachfolgend an einigen Beispielen erläutert.

Die Abbildung 20 offenbart, wie ein Vers viermal in immer leicht veränderter Form niedergeschrieben wurde. Die verschiedenen Strophen sind in Almuth Grésillons Terminologie bildlich im Schreibraum verteilt.3 Das heisst, die Versblöcke strecken sich „wild“ über die ganze Seite aus, eine eindeutige Lesereihenfolge der einzelnen Blöcke ist optisch nicht auszumachen. Die erste und die dritte Zeile sind bei allen Varianten identisch. Von den unterschiedlichen Varianten sind jedoch drei durchgestrichen. Eine Version ist eingerahmt, hat bereits ein Auswahlverfahren bestanden. Dabei handelt es sich um die Version, welche, bis auf eine Zeile, dem Vers in der edierten Version entspricht. Grésillon weist darauf hin, dass hier indirekt, durch den Wiederholungseffekt, von einer Streichung gesprochen werden kann.4 Indem die verschiedenen Versionen stehen gelassen werden, manifestiert sich ein Ringen um die finale Version auf dem Papier. Durch die zahlreichen Wiederholungen erhalten die Versentwürfe den Charakter von Wortspielereien, bei denen Janssons Gefühl für Rhythmus und Satzmelodie deutlich zum Ausdruck kommt. Diese Tatsache fügt den oft erwähnten Komponenten ihrer Kunst, Malerei und Literatur, die der Musik hinzu. Eine Tatsache, die von der Forschung bis anhin kaum beachtet wurde, für die Materialitätsdiskussion jedoch einen interessanten Aspekt darstellt. Geht es bei der Lyrik doch gerade darum, diese zentrale Dimension der Lautlichkeit auf einer gestalterischen Ebene widerzuspiegeln. Denn, Lyrik ist laut Johan Svedjedal „[…] ljudande litteratur som fästes på tigande papper […]“ „[…] klingende Literatur, die auf schweigendem Papier festgemacht wird […]“.5

 

Abb. 20:

Textentwurf Den farliga resan. Detail.

So wird in den Entwürfen überdeutlich, dass Jansson ihre „Formulierungen nicht nur als gedankliche Einheiten, sondern auch als graphisch-visuelle und zugleich als rhythmisch-akustische Gebilde erlebte“6, wie dies Jost Schillemeit für Kafka postuliert. Gerade bei den Bilderbüchern kommt dies auch in den edierten Versionen zum Ausdruck, wo grossen Wert auf die Darstellung von Mündlichkeitsmerkmalen wie Lautstärke, Betonung oder Rhythmik gelegt wird, die etwa durch Schriftart und Schriftgrösse oder Interpunktion dargestellt werden. Bei Hur gick det sen? geschieht dies in einem Masse, dass die Grenzen zwischen Bild und Schrift zu schwinden scheinen. Rainer Totzke spricht in diesem Zusammenhang von Assoziagrammatik:

Mit Assoziagrammen sind schriftbildlich-diagrammatische Artefakte gemeint, bei denen Begriffswörter bzw. Wortgruppen auf einer Fläche gegeneinander positioniert und miteinander über graphische Elemente wie Linien oder Einkapselungen verbunden sind.[…] Sie sind Formen der Veranschaulichung und ermöglichen Synopsen bzw. „Übersichten“.[…] Sie ermöglichen das Konzipieren von Texten ebenso, wie sie deren Rezeption stützen und oder steuern können. 7

Abbildung 20 führt genau dies vor: Versblöcke werden auf der Seite verteilt und dadurch in ein Spannungsverhältnis gesetzt. Auf der Abbildung 21 ist zu sehen, wie links neben dem ersten Vers auch die Hebungen und Senkungen vermerkt sind. In anderen Beispielen ist neben der Zeile jeweils auch die Silbenanzahl vermerkt. Dies beweist, dass Jansson als Künstlerin neben Talent auch über fundiertes fachliches Know-how verfügte.

Abb. 21:

Textentwurf Den farliga resan. Detail.

Lyrik findet sich, wie bereits erwähnt, jedoch nicht nur in Janssons Bilderbüchern, sondern auch in den Muminbüchern. Die Fertigkeit zu dichten kommt dabei nur wenigen ausgesuchten Figuren zu. Berühmte Poeten aus dem Mumintal sind etwa Snusmumriken oder Too-ticki. Diese Gedichte sind jeweils anhand der oben erwähnten grafischen Merkmalen Typografie und Schriftbild in den gedruckten Versionen auch deutlich als solche erkennbar. Beim Beispiel handelt es sich um die Arbeit an einem Lied, welches Too-ticki in Trollvinter singt. Mumintrollet trifft auf ein furchteinflössendes Pferd aus Schnee und Eis. Too-ticki, die er darauf kennen lernt, beschreibt dessen Funktion in einem Gedicht. In diesem Fall wird das Gedicht also zum Medium, durch das wichtige Informationen übermittelt werden (Abb. 22).

Abb. 22:

Textentwurf Trollvinter.

Bei der Schaffung der Muminlyrik zeigt sich ein vergleichbares Szenario wie bei den Bilderbüchern: Für nicht gut befundene Zeilen werden durchgestrichen, bleiben jedoch optisch Teil des Gedichts. Ebenfalls findet sich eine Streichung in Form einer Wiederholung. Ein Entwurf ist mit Tinte geschrieben. Darunter wurde eine neue Version mit einem anderen Schreibgerät, einem Bleistift, begonnen. In der gedruckten Version ist das Gedicht jedoch bedeutend kürzer, lediglich vier Zeilen lang.