Kreuzfeuer

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»Wie ist es um Ihre häuslichen Verhältnisse bestellt, Detective?«

Kate rührte sich auf ihrem Stuhl, spürte einen dumpfen Schmerz in der Schulter. Gott, wie sie das hasste. Sie sagte: »Wird meine Auskunft diesen Raum verlassen?«

»Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich Ihrem Captain ein kurzes Statement liefern muss. Ansonsten bleibt alles, was hier gesprochen wird, unter uns.«

»Wird das Gespräch aufgezeichnet?«

»Natürlich nicht.« Sichtlich gekränkt von der Frage sagte Calla Dearborn: »Ich bin ebenso wenig wie Sie darauf erpicht, das hier in die Länge zu ziehen. Ihre Dienststelle braucht Sie, und meine Zeit ist auch so schon knapp genug.«

Kate wusste, dass Calla Dearborns Abteilung neue Psychologen einstellte, um die völlig überarbeiteten Beamten zu entlasten. Sie wies auf die Ledermappe, die offen auf dem Schreibtisch lag. »Was geschieht mit Ihren Notizen, Ihren Akten?«

»Die sind nur für mich gedacht. Ich garantiere Ihnen Diskretion.«

Das alles hier sollte nur der Form halber geschehen, dachte Kate wütend. Andere Beamte, die in Schießereien gerieten, statteten dem Psychologen einen kurzen Besuch ab und waren zügig wieder im Einsatz. Torrie tat wieder Dienst, ebenso Hansen und Perez. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, eine gottverdammte verirrte Kugel ihrer eigenen Leute hatte sie hierher befördert. Aber so sicher, wie sie hier hockte, standen ihre Dienstmarke und Dienstwaffe auf dem Spiel. Sobald sie etwas preisgab, woraus die Psychologin schließen konnte, sie sei in irgendeiner Hinsicht nicht diensttauglich, würde ein Vermerk in ihrer Akte landen, und dann fror vermutlich die Hölle zu, ehe sie das Vertrauen ihrer Vorgesetzten zurückgewann, ehe sich die dunkle Wolke des Argwohns über ihrem Job und ihren Fähigkeiten zerstreuen ließ.

Sie sagte: »Ich verstehe nicht, warum ich mein Privatleben vor Ihnen ausbreiten muss.«

Calla Dearborn legte beide Hände flach auf den Schreibtisch. Sie lehnte sich vor. »Gestatten Sie mir eine Frage. Welches Ergebnis wünschen Sie sich am Ende dieser Sitzungen?«

»Das ist leicht. Sehr einfach. Ich will meinen Job zurück.«

»Sie haben ihn nicht verloren.«

»Sicher. Er sitzt mir genau gegenüber, steckt in Ihrer Hosentasche. Soweit ich weiß, läuft überhaupt nichts, ehe ich das hier nicht hinter mich gebracht habe.«

Der Anflug eines Lächelns blitzte in Dearborns Gesicht auf. »Ihr Job steckt genau genommen in Ihrer eigenen Hosentasche, Kate. Sie wurden in Ausübung Ihres Dienstes ernstlich verletzt. Meine Aufgabe ist, sicherzustellen, dass ein sehr wertvolles Mitglied unserer Organisation bald zurück zum Dienst kommt – mit völlig wiederhergestellter Gesundheit und mit dem Wissen, wie sie auch künftig gut mit sich umgehen kann.«

»Meine körperliche Genesung macht gute Fortschritte, und ich habe nie jemandem einen Grund gegeben, mich für geistig oder seelisch nicht gesund zu halten.«

»Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben, aber im Moment sind Sie kaum in der Lage, das zu beurteilen. Haben Sie es nicht so eilig, in Ihren Job zurückzukehren, Kate. Viele Polizisten wünschen sich hinterher, sie hätten sich etwas mehr Zeit gelassen. Sorgen Sie dafür, dass Sie sich alle Zeit nehmen, die Sie brauchen.«

»Ich versichere Ihnen, dass ich mit dem, was passiert ist, vollkommen im Reinen bin.«

»Eine Menge Polizisten – viel zu viele von euch – denken, sie seien mit allem im Reinen.«

Calla Dearborn legte ihren Stift hin und rieb sich die Augen. Sie hob dabei mit den Fingerspitzen die Brille an. »Wissen Sie, wie viele von euch Selbstmord begehen?«

Kate schluckte ihren Zorn hinunter, ehe sie düster antwortete: »Ich bin schon bei vielen Polizeibegräbnissen gewesen.«

»Jährlich vier bis sechs von euch.«

Kate fragte sich, ob einige der letzten vier bis sechs bei Calla Dearborn gewesen waren. Und ob Schwule oder Lesben darunter waren …

Dearborn sagte müde: »Ihr bringt euch selber schneller um, als die Verbrecher auf den Straßen euch erschießen können. Dies ist einer der Berufe mit dem höchsten Stressfaktor in der Welt, und Sie, Sie arbeiten in diesem Beruf an der Stelle, wo der Stress am allergrößten ist –«

»Ich weiß nicht, wie Sie das sagen können. Ich habe keineswegs den Job in der Schusslinie«, hielt ihr Kate entgegen. »Ich führe Verhaftungen durch, aber bei einer Verhaftung angeschossen zu werden – das ist wirklich die Ausnahme. Ich muss mich in keinen bewaffneten Bandenkrieg stürzen, ich muss keine Notruf-Einsätze durchführen, keine zusammengeschlagenen Frauen auflesen. Ich höre keine Schreie. In den Fällen, in denen ich ermittle, sind die Opfer tot.«

»Genau, Sie brauchen sich ja nur Leichen anzusehen wie die, die Sie vorhin beschrieben haben. Sie brauchen ja nur vor Schmerz halb wahnsinnige Menschen zu vernehmen – die Eltern, Ehefrauen, Ehemänner, Kinder –«

Zu Kates Erleichterung summte Calla Dearborns Telefon. Mit einem Ausdruck von Verärgerung riss sie den Hörer hoch, hörte aufmerksam zu und sagte: »Ich verstehe. Zwei Minuten.«

Sie legte auf und sagte leise zu Kate: »Ich fürchte, ich muss diese Sitzung vorzeitig abbrechen. Es tut mir wirklich leid, aber es lässt sich nicht vermeiden.«

»Kein Problem. Ich nehme an, es handelt sich um jemanden, der Ihre Hilfe wirklich braucht.«

Dearborn klappte die Ledermappe zu und sagte energisch: »Kate, gewöhnen Sie sich an den Gedanken: Ich werde nicht zulassen, dass Ihnen etwas zustößt, was ich mit der nötigen Zeit und Behandlung hätte verhindern können. Ich will und werde Sie nicht auf dem Gewissen haben.«

»Doktor, ich garantiere Ihnen, dass Sie mich nicht auf dem Gewissen haben werden.«

»Dann ordnen Sie das Ganze hier in dieselbe Kategorie ein wie das alljährliche körperliche Durchchecken. Alles, worum ich Sie bitte, ist die Gelegenheit, Ihre eigene Diagnose zu bestätigen.«

»Und dann kann ich wieder arbeiten gehen?«

»Und dann können Sie wieder arbeiten gehen.«

4. Kapitel

Die Santa Ana-Winde, die aus der Wüste herüberwehten, hatten die Temperatur auf achtundzwanzig Grad ansteigen lassen, ungewöhnlich warm für Anfang Februar, wie die Los Angeles Times kommentierte. Kate wusste es besser. Eine besonders denkwürdige Ermittlung in einem Hochhaus nahe der Wilshire Avenue, von ihrem früheren Einsatzpartner Ed Taylor ›unser Amateurmord‹ getauft, hatte diese Jahreszeit für sie geprägt. Seitdem hatte jeder Februar mit denselben »ungewöhnlich warmen« Santa Ana-Winden aufgewartet.

Kate hatte die Autofenster heruntergekurbelt, um die heißen, trockenen Böen in den Wagen zu lassen, als sie von der Melrose Avenue in die Kings Road einbog. Sie bremste ab und ließ den Saturn langsam rollen, um sich an der verschwenderischen Baumpracht zu weiden – Dattelpalmen und Fächerpalmen, Silberpappeln, Lorbeer und Pinien, hin und her gebogen vom Wind, der sie wegriss von den Eigentumswohnungen, denen sie gewöhnlich Schatten spendeten. Die vielen Abstufungen an Grüntönen auf diesem besonders breiten Teil der Straße waren einer der Hauptgründe gewesen, warum sie Aimee zugestimmt hatte, hier eine Wohnung zu kaufen, und wenn die zwei- und dreistöckigen Häuser auch nicht in dieselbe Liga gehörten wie die dezenten teuren Bauten entlang des Burton Way, war diese Straße doch so etwas wie eine Oase in einer Stadt, wo die Mehrheit aller Gebäude der erbarmungslosen Sonne ausgeliefert dastand.

Nach fast zwei Jahren fand sie ihr unprätentiöses zweistöckiges weißes Stuckhaus immer noch sehr annehmbar: seine dunklen Holzleisten und die großen Fenster, in die das durch die Bäume schimmernde Licht fiel; die Balkone, kunstvoll zurückgesetzt und vor neugierigen Blicken geschützt; der Garten vorn, strotzend vor roten, rosafarbenen und weißen Fleißigen Lieschen. Sie drückte die Fernbedienung für die Schiebetür zur Garage und dachte, dass sie damals zwar gern in Glendale und Santa Monica gelebt hatte, dass West Hollywood aber wie geschaffen für sie war.

Dann fuhr sie in die Tiefgarage und sah, dass sie an diesem frühen Freitagnachmittag am Ende einer Arbeitswoche nicht als Erste zu Hause war: Aimees roter Ford Escort stand auf einem der beiden Parkplätze, die ihrer Wohnung zugeteilt waren.

Kate betrat das Apartment und ging sofort in die Küche, weil sie wusste, dort würde Aimee sein. Wenn sie zu Hause arbeitete, setzte sich Aimee mit ihren juristischen Unterlagen am liebsten an den Küchentresen, statt den Schreibtisch im kleinen Arbeitszimmer zu benutzen.

In einem blauen T-Shirt, das ihr knapp über die Oberschenkel reichte, saß Aimee auf einem Barhocker, die Tür zum Esszimmerbalkon geöffnet, um den warmen Tag hereinzulassen.

Die Finger auf der Tastatur des Laptops vor ihr, aber den Blick prüfend auf Kates Gesicht und die Schlinge um ihren linken Arm gerichtet, sagte Aimee: »Ich habe Lou klargemacht, dass er mich gehen lassen muss, wenn er das hier erledigt haben will. Du bist früh zu Hause.«

»Sie musste die Sitzung vorzeitig abbrechen.«

»Also hat der dürre kleine gefühlsduselige Hohlkopf sich als Frau entpuppt.«

»Eine wirklich einschüchternde Afroamerikanerin, ungefähr eins achtzig groß.« Kate ging zu ihr und küsste ihren Scheitel. »Sie hat vor, mich an den Füßen aufzuhängen und mein Innerstes aus mir herauszuschütteln, ehe ich wieder arbeiten darf.«

»Klingt ja, als sei sie dafür gut gerüstet. Ist sie richtig furchtbar?«

Kate legte die Umhängetasche auf dem Frühstückstresen ab. »Sie verspricht eine gewaltige Nervensäge zu werden. Sie versteht meinen Standpunkt überhaupt nicht. Eine Psychologin – genauso gut kannst du versuchen, einer Beutelratte einzureden, dass manche Dinge besser nicht ausgebuddelt werden sollten.«

 

Aimee grinste, dann sagte sie ernst: »Schatz, vielleicht hat sie im Moment mehr Durchblick als du. Vielleicht ist es gut, dass sie dich unter die Lupe nimmt. Schließlich ist der menschliche Geist ihr Fachgebiet –«

»Meins auch«, sagte Kate verärgert. War es denn zu viel verlangt, wenigstens an der Heimatfront auf etwas Zuspruch zu hoffen? Sie entfernte die Schlinge um ihren linken Arm, zuckte vor Schmerz zusammen und tadelte sich dafür, ihn verursacht zu haben. Behutsam pellte sie sich aus ihrer Jacke. »Die Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind in einem Zustand, den Calla Dearborn sich nicht mal ansatzweise vorstellen kann.«

»Das ist nicht fair«, sagte Aimee und kletterte vom Hocker, um Kate zu helfen. »Die Menschen, die sie behandelt, leiden entsetzlich.« Sie fügte hinzu: »Interessanter Name. Calla, wie die Lilie.«

Während sie den gesunden Arm aus der Jacke zog, sagte Kate sarkastisch: »Und Dearborn, wie der Vorort in Detroit, wo Menschen ihrer Hautfarbe nicht hinziehen dürfen.«

»Im Ernst? Wieso organisiert Farrakhan da nicht eine seiner Million Man-Demonstrationen?«

»Das sollte er. All das heuchlerische Getue über Länder wie Bosnien – schlimm genug, dass in unserem eigenen Land Menschen nicht leben können, ohne Bomben oder Schüsse aus vorbeikommenden Autos fürchten zu müssen.«

»Schlimm genug, mit einer Frau zu leben, die von einem vorbeikommenden Polizisten beschossen wurde.« Sie sah Kates Gesicht und hob beide Hände: »Hey, sollte ein Witz sein.«

Aber die Anspielung machte Kate rasend. »Von wegen«, schnappte sie. »Ich weiß nicht, warum du nicht kapieren willst, dass das ein Unfall war.«

»Natürlich kapiere ich das. Was ich nicht kapiere, ist, wieso du nicht kapierst, dass ich das schlimmer finde, als wenn dich einer von deinen Verbrechern erwischt hätte.«

»Hör auf, ja?«

Aimee zuckte mit den Schultern, murmelte etwas von »keine Chance« und griff nach dem Block, der neben dem Telefon auf dem Frühstückstresen lag. »Da waren einige Anrufe für dich.«

»Torrie?«

»Nein.« Aimee riss die oberste Seite vom Block. »Louisa von der Versicherung wegen einer zurückgekommenen Krankenhausrechnung –«

Kate stöhnte.

»– und ein Typ namens …« Sie schaute auf das Blatt. »Luke Taggart.«

»Luke Taggart

Überrascht sah Aimee nochmals prüfend auf das Blatt. »Ja. Luke Taggart. Der Name hört sich vertraut an. Sollte ich ihn kennen?«

»Was zum Teufel wollte der denn?«

»Hat er nicht gesagt. Wer ist das?«

»Ein Cop. Ein übler Cop, der einen unbewaffneten Verdächtigen in eine Sackgasse gejagt und erschossen hat.«

»Ach, jetzt erinnere ich mich, das war kurz nach Neujahr –«

»Noch ein mieser Cop«, schimpfte Kate. »Und noch mehr Zeitungsmeldungen über verkappte Nazis im Polizeidienst – genau was wir zur Zeit brauchen können.«

»Was will er von dir? Er ist nicht mal in deiner Abteilung, oder?«

Kate schüttelte den Kopf. »Hollywood. Er ist natürlich vom Dienst suspendiert. Bis er verurteilt ist und gefeuert wird. Keine Ahnung, was er von mir will.« Oder wie er ihre Privatnummer herausgefunden hatte. Wahrscheinlich irgendwelche undichten Stellen – wenn sie wieder zur Arbeit ging, würde sie dafür sorgen, dass diese Stelle dicht gemacht wurde.

»Also ruf ihn zurück.«

»Auf gar keinen Fall.«

»Bist du kein bisschen neugierig?«

»Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Alles, was ich im Moment will, ist, mir ein Paar Shorts zu schnappen.«

»Verflixt, was für ein Pech, dass ich gerade keine anhabe«, sagte Aimee und lugte verschmitzt auf ihre nackten Beine.

Der Scherz vertrieb Kates schlechte Laune. Lächelnd sah sie auf Aimees Computermonitor. »Woran arbeitest du?«

»Immer derselbe alte Kram.« Aimees schmale Schultern hoben und senkten sich in müder Resignation. »Der Fall, der halb Los Angeles verschliss. Ich muss das Zeug bis halb fünf per E-Mail ins Büro schicken. Du kennst also diesen Taggart?«

»Nur vom Sehen.« Konnte Aimee nicht ein Mal etwas auf sich beruhen lassen? »Erinnerst du dich an die Ferrera-Beisetzung?«

Aimee schüttelte den Kopf. »Du warst bei so vielen.«

Aus Aimees Perspektive war eine schon zu viel. Polizeibegräbnisse waren die alptraumhafte Mahnung daran, was wie ein Damoklesschwert über dem Kopf aller Polizisten hing, Kates Schulterwunde ein handfester Beleg dafür. Aber für Kate bedeutete jede Beisetzung den Verlust eines Mitglieds ihrer Polizeifamilie, das begleitende Ritual war quälend, aber notwendig. Riegen von stillen, feierlich ernsten Polizisten in Uniform, sämtliche hohen Tiere bis zum Polizeichef anwesend, Reihen von Polizisten auf Motorrädern, das Aufheulen der Motoren, als könnten sie die Himmelspforten aufsprengen. Die Klagelaute der Dudelsackpfeifer, das reiterlose Pferd, das tragische Hornsignal des Zapfenstreichs, die Ehrengarde mit ihren weißen Hüten und weißen Handschuhen, Gewehre im Anschlag, bereit für den letzten Salut, die Flagge, die vom Sarg gezogen, gefaltet und einer jungen Familie übergeben wurde, die allem mit so starren und fassungslosen Blicken beiwohnte, als habe man ihnen eine Axt übergezogen …

Kate schaute durch die Balkontür hinaus ins schimmernde Sonnenlicht und sagte: »Bei der Beisetzung zeigte Torrie mir diesen Riesenkerl und sagte, es sei Luke Taggart, Tony Ferreras Partner in der Nacht, als er starb.«

»Himmel. Taggart war verantwortlich?«

»Nicht dass ich wüsste. Ferrera hat es außerhalb der Dienstzeit erwischt, bei einem missglückten Überfall auf ein Spirituosengeschäft. Alles, was ich weiß, ist, dass jeder, der irgendwie mit Luke Taggart zu tun hat, am Ende … Ich weiß nicht, er ist einfach ein unangenehmer Zeitgenosse. Damals in Vietnam hätten wir ihn einen shitbird genannt. Seine Beförderung stand nie zur Debatte, und er sitzt schon ewig in Hollywood fest.« Sie wechselte das Thema. »Torrie hat nicht angerufen?«

Aimee schüttelte den Kopf. »Kate, Schatz, deine Leute versuchen dich wissen zu lassen, dass du es ruhig angehen sollst, bis du wieder ganz auf dem Damm bist.«

»Ich bin auf dem Damm. Ich habe Ermittlungen laufen –«

»Um die sich längst jemand kümmert.«

Nicht auf dieselbe Art, wie ich mich darum kümmern würde. »Ich könnte problemlos eine Ermittlung leiten.«

»Nun mach dich nicht lächerlich.«

»Lass uns nicht streiten, okay?«

»Wer streitet denn? Hast du noch nicht verstanden, warum Torrie nicht anruft? Das ist doch wirklich leicht zu begreifen.«

Kate war sich der Irrationalität ihres Verhaltens durchaus bewusst, als sie spürte, wie Zorn in ihr hochstieg: Aimee war nicht abfällig, Aimee war einfach Aimee. Und trotzdem sagte Kate: »Warum formulierst du es nicht in simplen kleinen Sätzen, damit mein simpler kleiner Verstand es erfassen kann?«

Aimees veilchenblaue Augen verdunkelten sich, aber ihr Ton blieb gelassen. »Torrie weiß, dass sie vielleicht diejenige war, die dich angeschossen hat. Sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.«

»Hat sie dir das gesagt?«

»Das ist das, was ich denke. Das ist nichts, was sie mir jemals sagen würde.«

»Tja, ich finde das lächerlich. Sie hat schon genug bezahlt – ein offizieller Verweis für unvorschriftsmäßige Handhabung der Dienstwaffe während einer Festnahme.«

Aimee schüttelte den Kopf, als versuchte sie, ein Klingeln im Ohr loszuwerden. »Das ist verrückt. Ihr habt Regeln, die sind so verrückt wie die beim Militär.«

»Wir sind das Militär«, sagte Kate ungeduldig, dann ließ sie ihre Stimme weicher werden. »Jedenfalls so gut wie. Die Regeln und Vorschriften sind fast identisch.«

Polizeidienststellen wurden nach militärischem Vorbild aufgezogen. Auch die höheren Ränge – Sergeant, Lieutenant, Captain – waren nicht zufällig so gestaffelt.

Aimee sagte: »Wie würdest du dich fühlen, wenn du in Torries Haut stecken würdest? Wie würde es dir gehen, wenn du Torrie angeschossen hättest?«

»Wäre nicht passiert.«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, dass mir das einfach nicht passieren würde. Ich hätte meine Waffe auf diesem Gang nie abgefeuert, es sei denn, ich hätte Crockett genau im Visier gehabt.«

»Himmel noch mal, Kate. Wenn sich alles im Bruchteil einer Sekunde abspielt? Woher willst du wissen, was du getan hättest?«

»Ausbildung.«

»Ausbildung? Du hast nicht mal die Polizeiakademie absolviert –«

»Okay, schlechte Wortwahl. Erfahrung. Disziplin.«

Aimee sagte ungläubig: »Hätten Torrie und die anderen beiden gewartet, bis sie Crockett im Visier hatten, hätte der Mann dich vielleicht erschossen.«

»Stimmt nicht. Jemand hätte ihn erwischt. So ist eine solche Aktion aufgebaut, deshalb gibt es Verstärkungstruppen und Teamwork. Wir sind wie Soldaten im Schützengraben. Eines wissen wir genau – wir können uns auf die, die uns Rückendeckung geben, absolut verlassen.«

Aimees Kommentar erschöpfte sich in einem kurzen Kopfschütteln.

Kate sagte mit Entschiedenheit: »Ich hätte nie im Leben einen Kollegen oder eine Kollegin angeschossen.« Dann ging sie ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.

Nie im Leben, dachte sie, während sie weiße Shorts aus der Kommodenschublade zog. Ich hätte auf diesem Flur nie einen Schuss riskiert, ohne die Waffe mit beiden Händen zu stabilisieren, und bestimmt nicht mit irgendjemand anderem als dem Verdächtigen in der Schusslinie. Was ihr an Erfahrung auf der Straße fehlte, holte sie durch konzentrierte Trainingsstunden auf dem Schießstand und völliges Aufgehen in ihrem Beruf wieder heraus. Als sie zur Polizei kam, kannte sie sich durch ihre Jahre beim Militär bereits mit Taktik aus, und sie hatte bei jeder Schusswechsel-Auswertung, jeder Analyse, was schiefgelaufen war und wie es zu toten Verdächtigen und toten Cops hatte kommen können, dazugelernt. Sie war eine verdammt gute Schützin; sie wusste, was ihre Waffe konnte und was nicht; sie handhabte sie mit Sachverstand und der richtigen mentalen Haltung.

Zivilisten waren schlimmste Amateure. Sie glaubten, sich bewaffnen hieß sich schützen, wenn sie sich in Wahrheit doch nur größeren Gefahren aussetzten. Ein Zivilist, der eine Waffe zückte, unterschied sich keine Spur von jemandem, der beim Brand in seiner Wohnung einen Feuerwehrlöschzug kommandieren will ohne einen Schimmer davon, wie man einen Schlauch bedient oder einen Brand bekämpft.

Das korrekte Verhalten in einem Notfall musste vorprogrammiert sein, tief verinnerlicht, musste auf Wissen basieren und auf reiner Disziplin.

Sie zog ein Trägershirt über und ging ins Wohnzimmer. Ihre Haut prickelte von der trockenen Hitze. Die starken Winde rüttelten an den Palmen, Aimees Tastatur klickte tack-tack-tack zur Begleitung. Kate blieb stehen, um das graue Fell von Miss Marple zu zausen, die sich wie gewöhnlich auf ihrem Lieblingssessel zusammengerollt und die weißen Pfoten über die Augen gelegt hatte. Die aufgeschreckte Katze packte Kates Hand und leckte dann ihre Fingerknöchel.

Kate zog ihre Hand zurück und sagte leise: »Ich wette, du hattest einen besseren Tag als ich.« Sie fuhr fort: »Und Aimee.«

Sie war in letzter Zeit ziemlich hart mit Aimee umgesprungen. Ihr platzte allzu schnell der Kragen. Vielleicht war sie ja gereizter, als ihr klar war. Vielleicht war ja was dran an Calla Dearborns Ausführungen über die Reaktion auf Stress und Belastung. Oder vielleicht war es der Teufel, der auf den Santa Ana-Winden in die Stadt ritt.

»Schatz«, rief sie. »Was hältst du davon, wenn wir ein paar Tage wegfahren? Vielleicht sogar eine ganze Woche?«

Das tack-tack-tack hörte auf. »Du machst Witze, oder?«

»Du bestimmst, wohin es geht.« Kate schlenderte ins Esszimmer und blieb an der Balkontür stehen, genoss das Sonnenlicht auf ihren nackten Beinen. Dann näherte sie sich von hinten Aimee und legte ihren guten Arm um ihre Schultern, vergrub ihr Gesicht in Aimees Haar. »Du beschwerst dich doch immer über meine Gerichtstermine, die uns die Ferien verderben. Jetzt hast du deine Chance.«

»Dein Timing ist unnachahmlich«, sagte Aimee, angespannt in Kates Armen. »Der Acme-Fall kommt in einem Monat zur Verhandlung, und das weißt du auch. Zwölfstundentage, Wochenenden – ich kann nirgendwohin fahren.«

 

Kate ließ sie los und ging in die Küche. »Für Cocktails ist es wohl noch zu früh. Willst du ein Bier?«

»Hm-mm«, sagte Aimee abwesend, schaute dabei auf ihren Monitor. Kate nahm ein Foster’s aus dem Kühlschrank und machte die Flasche auf.

Das Telefon klingelte. Aimee, immer noch auf den Computerbildschirm konzentriert, tastete nach dem Hörer. Kate stellte ihr Bier hin und nahm ab. »Kate Delafield«, sagte sie automatisch.

»Detective Delafield«, sagte eine autoritäre Männerstimme. »Ich habe offiziell darum ersucht, Sie bei meiner Anhörung vor dem Board of Rights als Beamtenvertreterin zu meiner Verteidigung abzustellen.«

Sie zog eine Grimasse in Richtung Aimee, die sie fragend ansah, dann sagte sie ins Telefon: »Officer Luke Taggart, nehme ich an.«

»Das nehmen Sie richtig an.«

Kate schloss die Augen. Was zum Teufel war in der Kugel drin, die mich getroffen hat? Warum gerät mein Leben so urplötzlich aus der Bahn und nimmt direkten Kurs auf die Hölle?