Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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Marmelade

Ich verließ mein Schlafzimmer in Jogginganzug und mit zerzausten Haaren. Die Schminke, die Sebastian gestern in liebevoller Kleinstarbeit in mein Gesicht gepinselt hatte, war verwischt und klebte zur Hälfte auf meinem Kissen. Ich sah aus wie ein Kunstwerk von Picasso. Grotesk verzerrt.

Ich hörte Geschirrklappern in der Küche, ignorierte es aber erst mal. Zuerst duschen!

Ich betrat das Badezimmer und erschrak, als meine nackten Füße die kalten Fliesen berührten. Schnell entledigte ich mich meiner Klamotten und genoss es wenige Sekunden später umso mehr, als ich das warme Wasser auf meinem Haupt spürte. Langsam wanderte es meinen Körper hinunter und als es meine Füße erreichte, entfuhr mir ein genießerischer Seufzer.

Aber selbst als mir warm wurde, konnte ich die Eiseskälte in mir drin nicht vertreiben. Mein Herz war schon seit Jahren gebrochen, aber gestern hatte man auf den Einzelteilen Samba getanzt. Warum genau wollte der Zinnmann aus Der Zauberer von Oz ein Herz? Es ging ihm besser ohne.

»Verdammt!« Ich boxte gegen die Plastikwand der Duschkabine. Es krachte laut.

»Alles okay bei dir?«, hörte ich Sebastians Stimme von draußen rufen.

»Jaja.« Immer diese übertriebene Sorge. Ich würde mir schon nicht die Pulsadern aufschneiden. Hatte ich auch die letzten Jahre nicht getan.

Nachdem ich meinen Körper abgetrocknet und meine Haare etwas angeföhnt hatte, schlüpfte ich wieder in den Jogginganzug und verließ das Badezimmer. In der Küche saß Sebastian und klopfte auf den Stuhl neben sich. Ich blieb stehen und sah mich um. Auf dem Esstisch standen unzählige Gläser, dazu Unmengen an Schleifchen, Perlen, Glitzerpulver in verschiedenen Farben und noch anderes, was ich nicht so recht zuordnen konnte.

»Was ist hier los? Hast du einen Kindergarten ausgeraubt?«

Ich hörte ein Schnauben aus dem Wohnzimmer und erblickte Hiro auf der Couch.

»Bitte, Nora, hilf Sebastian! Sonst muss ich es später ausbaden.«

Sebastian warf Hiro, der sich auf der Couch nun umgedreht hatte und mit dem Rücken zu uns lag, einen bösen Blick zu.

»Du willst mir ja nicht helfen, also sei wenigstens still!«

Hiro hob abwehrend beide Hände und drehte den Kopf, um mich flehend anzusehen. Ich seufzte und schlurfte dann zu Sebastian hinüber. In der ganzen Küche stapelten sich körbeweise Zwetschgen, Äpfel und ...

»Was sind das für seltsame Dinger?« Sebastian schaute mich schockiert an.

»Das sind Quitten.« Ach, so sahen die also aus. Ich hatte noch nie zuvor welche gesehen, geschweige denn probiert.

»Was wird das hier, wenn es fertig ist?«

»Das sind die Gastgeschenke. Selbstgemachte Marmelade. Hinten brodelt schon alles.« Er zeigte auf ein paar Töpfe, die auf dem Herd vor sich hin köchelten. »Wir müssen dann die Gläser befüllen, beschriften und verzieren.«

»Ich habe keine Ahnung, wie man Marmelade macht.«

»Das mach ich! Du kümmerst dich darum.« Sein Finger kreiste über den Bastelutensilien.

Ich seufzte und schaute zu Hiroki hinüber.

Er ignorierte mich.

Danke auch!

Einige Stunden später waren alle Gläser befüllt und mit den dazugehörigen Etiketten versehen. Es gab Apfel-Honig-Marmelade, Quittenmarmelade und Zwetschgenmarmelade mit reichlich Rotwein.

Die ganze Küche roch verboten gut. Eine Mischung aus Weihnachtsmarkt und Süßwarenladen. Nun bestand unsere Aufgabe darin, wild mit Glitzersteinchen um uns zu werfen und flauschige, herzförmige Sticker überall draufzukleben. Sebastians Gesicht glitzerte jetzt schon wie eine Diskokugel. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah. Überhaupt war mir aufgefallen, dass Sebastian sich viel mehr für solche Dinge interessierte als früher. Damit meinte ich diesen pinken Deko-Glitzer-Plüsch-Kram. Oder vielleicht war das auch einfach eine Seite an ihm, die er erst jetzt richtig ausleben konnte. Ich grinste. Sebastian würde es noch schaffen, sämtliche Homo-Klischees in einer Person zu vereinen.

»Hiro hat mir gegenüber erwähnt, dass du bei einem Therapeuten warst?«

Das kam jetzt unerwartet aus dem nichts.

»Hiro!«, rief ich vorwurfsvoll in Richtung Wohnzimmer.

»Sorry, er sitzt am längeren Hebel«, schallte es daraufhin zurück.

»Und?« Sebastian schaute mich durchdringend an und hatte dabei zwei Finger in türkisfarbenem Glitzerpulver, was ihn irgendwie weniger bedrohlich wirken ließ.

»Ja, aber nur kurz.«

»Nimmst du Medikamente? Ich meine ... na ja, dann dürftest du bestimmt keinen Alkohol trinken, oder?« Ich seufzte einmal und fuhr mir mit der rechten Hand durchs Haar. Trotz klebriger Glitzer-Finger. Verdammt.

»Anfangs wurden mir leichte Antidepressiva verschrieben, aber wirklich geholfen haben die nicht, also habe ich es irgendwann ganz gelassen.«

»Und momentan?«

»Keine Medikamente.«

»Aber es geht dir doch nicht gut, oder?«

»Besser als vor vier Jahren«, gab ich leise zurück.

Er ließ nun von den Glitzersternchen ab und runzelte die Stirn. Er schaute mich wahnsinnig besorgt an und griff über den Tisch nach meiner Hand.

»Du wirst wieder glücklich sein. Irgendwann. Du wirst wieder jemanden finden. Jemand Besonderes, der ...«

»Verdammt, werde ich nicht!« Ich entriss ihm meine Hand und stand auf. Dabei fiel ein Glas mit kleinen rosafarbenen Perlen um. Diese verteilten sich nun auf dem Tisch und leider auch auf dem gesamten Küchenboden. »Ich werde immer nur ihn lieben, das ist ja das Problem an dieser ganzen Scheiße!« Ich lief aus der Küche, drehte mich aber an der Tür noch mal zu ihm um. »Ich habe mit dem Gedanken abgeschlossen, noch mal irgendwo mein Glück zu finden. Ich hab‘s vergeigt. Vor vier Jahren hab ich alles kaputt gemacht und seitdem lebe ich mit den Konsequenzen. So einfach ist das.«

Daraufhin ging ich in mein Zimmer und schloss die Tür lautstark hinter mir.

Ich war mit den Nerven am Ende.

Und glitzerte wie Edward Cullen.

Pablo

Heute war ich Sebastian, so gut es ging, aus dem Weg gegangen. Nach dem gestrigen lautstarken Ausrutscher hatte er noch zweimal bei mir an der Tür geklopft, aber ich reagierte einfach nicht darauf. Ich wollte meine Ruhe. Es war mir peinlich, dass ich laut geworden war. Als könnte Sebastian etwas dafür. Ich hätte nicht so überreagieren dürfen. Aber ihm gegenübertreten wollte ich jetzt auch nicht. Also hatte ich mich feige im Bett verkrochen.

Alles war scheiße und ich fühlte mich schlecht!

Es klopfte. Schon wieder. Ganz leise und zaghaft. Man konnte daran schon erkennen, wie traurig Sebastian sein musste, weil ich ihn ignorierte.

»Nora? Sei nicht böse auf mich«, hörte ich es bittend und etwas weinerlich von draußen.

Ich stand auf und ging zur Tür. Das war ja kaum zu ertragen. Jetzt würde er sich am Ende noch bei mir entschuldigen. Dabei hatte ich überreagiert. Dabei war er doch vollkommen im Recht.

Ich riss die Tür auf und Sebastian erschrak. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich nun doch auf sein Klopfen reagieren würde. Ich schaute in traurige, leicht gerötete Augen. Hatte er etwa geweint? Bitte nicht.

»Sebastian, ich bin doch nicht böse auf dich ...«

»Nicht?«

»Quatsch.« Ich nahm ihn in den Arm und er drückte mich ganz fest an sich. Als wollte er sicherstellen, dass ich auch ja nicht erneut in meinem Zimmer verschwinden oder direkt die Stadt verlassen würde.

»Ich hätte einfach ruhig sein sollen. Ich war unsensibel. Hiro hatte mich gewarnt.«

»Du warst weder aufdringlich noch unsensibel. Ich habe überreagiert. Punkt. Ich bin nicht sauer und du bist nicht mehr traurig, okay?«

Er nickte und wischte sich mit dem Handrücken verstohlen über die Augen. Verdammt. Ich hatte ihn tatsächlich zum Heulen gebracht. Jetzt schämte ich mich noch mehr. Ich war echt böse.

»Hast du Lust, heute etwas Besonderes zu unternehmen? Einen Wunsch? Kino oder so?« Sebastian schaute mich hoffnungsvoll an. Oh Mann, was für eine treue Seele. Er wollte es wieder gut machen, dabei war das doch gar nicht nötig.

»Muss nicht sein. Echt, Sebastian, mach dir keinen Stress. Heute ist doch die Lesung in der Stadtbibliothek. Ich mach mich jetzt mal ausgehfertig und geh dann da hin. Kümmere du dich weiter um die Marmeladengläser. Die müssen doch bestimmt noch verziert werden, oder?« Er nickte und ich streichelte ihm beruhigend über die glattrasierte Wange und lächelte ihn an.

»Ist das wirklich okay?«

»Klaro! Mehr als okay.«

Er sollte sich wegen mir keine Sorgen machen.

Das hatte er nicht verdient.

Das hatte ich nicht verdient.

Zwei Stunden später betrat ich die Stadtbibliothek das erste Mal seit über vier Jahren. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Wahrscheinlich lagen sogar immer noch die gleichen Flyer aus, die schon damals nicht mehr aktuell gewesen waren.

Ich folgte den Pfeilen, auf denen »Lesung Kerstin Gier« stand, und fand mich wenig später in einem großen Raum wieder, der von vorne bis hinten bestuhlt war. Ich setzte mich irgendwo mittig neben ein stämmiges Mädchen, das tatsächlich sieben Bücher von Kerstin Gier auf ihren Schoß gestapelt hatte. Als sie meinen Blick bemerkte, tätschelte sie den Stapel liebevoll.

»Die lasse ich mir alle signieren.«

Oh Gott, wenn jeder hier den kompletten Inhalt seines Bücherregals dabei hatte, würde ich niemals zu dem Vergnügen kommen, mir auch eine Unterschrift zu besorgen. Ich lächelte etwas gezwungen und schaute wieder nach vorne.

Knapp 15 Minuten später begann die Lesung. Kerstin Gier betrat den Raum unter tosendem Applaus und eine Angestellte der Bibliothek stellte sie kurz vor. Sie las drei Stellen aus ihrem neuesten Buch vor und ich musste dabei so lachen, dass mir die Tränen das Gesicht hinunterliefen. Das liebte ich so an ihren Büchern. Kerstin Gier und ich hatten haargenau den gleichen Humor. Schon oft dachte ich mir, dass ich mich mit der Frau richtig gut verstehen würde. Wir hätten garantiert viel zu lachen.

 

Nach der Lesung durften Fragen an die Autorin gestellt werden. Das Mädchen neben mir machte sich schon mal startbereit und richtete ihre Bücher. Sie wollte bestimmt, sobald die letzte Frage beantwortet worden war, nach vorne stürmen, um die Erste in der Reihe zu sein.

»Wie kommen Sie nur immer auf solche Ideen?«, fragte ein junges Mädchen mit lispelnder und leiser Stimme. Die Autorin antwortete sehr geduldig und nett und nahm sich auch für andere schüchterne Fans sehr viel Zeit.

»Im Frühjahr soll doch Ihr zuletzt erschienenes Buch verfilmt werden, planen Sie einen Cameo-Auftritt in dem Film?«

Diese Stimme.

Meine Augen wurden groß und ich streckte mich automatisch ein bisschen, um den Fragesteller weiter vorne sehen zu können. Da, in der ersten Reihe, saß doch tatsächlich Jan.

Jan.

Mein Jan.

Und neben ihm saß natürlich sie. Verdammt! Es war nicht mein Jan. Es war ihr Jan. Ich musste hier raus. Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen. Sie beide an diesen Ort. An dem Ort, wo wir uns kennengelernt hatten. Das machte mich wahnsinnig!

Plötzlich beugte sich Jan nach links zu einem Typen neben ihm. Sie waren also nicht zu zweit hier. Das beruhigte mich ein wenig. Es war kein Pärchen-Ding. Der Kerl, der von Jan angesprochen wurde, drehte sein Gesicht zu ihm und antwortete. Dieses Profil. Ich kannte diesen Kerl. Doch woher?

Und dann traf es mich wie ein Schlag. Er war es. Selbst nach dieser langen Zeit erkannte ich diesen Mistkerl.

Ich sprang, wie viele andere gleichzeitig mit mir, von meinem Platz auf. Doch im Gegensatz zu ihnen wollte ich nicht zur Autorin nach vorne, um ein Autogramm zu bekommen. Nein. Ich wollte zu ihm.

Ich drängte mich an einigen Mädchen vorbei, die mich wegstießen und nicht vorbeilassen wollten. Aber meine Wut trieb mich an. Als könnten die mich aufhalten! In der ersten Reihe angekommen, baute ich mich vor ihm auf.

Alle Blicke trafen mich gleichzeitig.

»Nora?«, fragte Jan als Erster.

»Was zur Hölle machst du hier?« Meine Frage war nicht an Jan gerichtet.

»Woher kennst du denn Pablo?«, fragte Jan verwirrt, dem ich noch immer keine Aufmerksamkeit schenkte.

Pablo schien im ersten Moment gar nicht zu realisieren, wer gerade vor ihm stand und ihn böse anfunkelte. Erst langsam sah ich die Erkenntnis in seinen Augen aufblitzen.

»Nora, bist du es? Mensch, du hast dich ja verändert. Deine Haare, und du bist so unglaublich schlank ...« Er stand auf und ging einen Schritt auf mich zu.

»Fass mich nicht an!« Er wollte mich tatsächlich in den Arm nehmen, als wären wir Freunde. Als müsste man unser Wiedersehen unbedingt zelebrieren. Was zur ...? Ich war fassungslos. Verdammt noch mal, dieser Typ war doch der Grund für die Trennung gewesen! Der Grund für all das Leid, die Wut, die Depressionen, den Schafmangel, die Drogen, die verdammte Einsamkeit. Das war alles seine Schuld! Pablo, dieser ...

Ich blickte zu Jan herüber, der mich erschrocken und sprachlos anstarrte.

Plötzlich wurde mir einiges klar: Er wusste es nicht. Pablo hatte ihm nichts erzählt. Jan hatte ihn nicht erkannt. Er war auf den Fotos nicht deutlich genug zu sehen gewesen. Auf diesen war nur ein gigantischer Hinterkopf zu sehen, der mich küsste. Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit den Händen durch die Haare. Was war das hier? Ein Scherz? Hatte sich die verdammte Welt gegen mich verschworen? Mein Puls raste und ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Wenn das so weiterging, würde ich hier noch einen Herzinfarkt bekommen. Hier vor allen Leuten. Sie starrten mich eh schon an und hielten mich für eine Irre. Aber vielleicht war ich das auch. Einfach irre! Vollkommen verrückt!

»Verdammt, ich muss hier weg ...«

»Nora, warte!« Wer mir nachrief? Keine Ahnung.

Ich lief davon.

So wie ich es immer tat.

Aussprache

»Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?«

Sebastian nervte. Ich sank noch tiefer mit meinem Kopf Richtung Tasse und genoss den Dampf des Kaffees in meinem Gesicht.

»Heute versuchst also du, dich zu ertränken?« Hiroki flüsterte mir ins Ohr und lachte dabei fies.

Sebastian rückte in einer unverschämten Lautstärke quietschend seinen Stuhl zurecht und setzte sich neben mich.

»Ich habe dich bereits gestern in Ruhe gelassen und das ist daraus geworden.« Er zeigte mit beiden Händen auf mich und schüttelte den Kopf. »Wo bist du gestern überhaupt versackt?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Warst du in einer Kneipe, in einem Club oder sonst wo?«

»Was weiß ich. Irgendwann habe ich mich in ein Taxi gesetzt und bin nach Hause gefahren. Das ist doch, was zählt.«

»Ach Mensch, Nora ...«

Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und schloss die Augen. Ich war gestern ziemlich außer Kontrolle geraten. Und ganz ehrlich war ich gerade eben auch nicht zu Sebastian gewesen. Ich konnte mich schon noch an ein paar Kleinigkeiten erinnern. An viel Alkohol zum Beispiel und an ein paar verbotene Substanzen.

»Hiro geht heute zu unserem Fotografen, um noch ein paar Dinge zu besprechen. Ich bleibe hier. Willst du mit Hiro gehen oder bei mir bleiben?«

Mich von Sebastian weiter nerven lassen oder mich aufraffen und das Haus verlassen? Das hörte sich beides schrecklich an.

»Ich bleib hier. Ich bin müde.«

»Dann machen wir uns einen schönen Tag. Ganz gemütlich. Ich mach uns eine Kanne Tee, wir kuscheln uns in eine Decke ein und schauen irgendeine Schnulze im Fernsehen. Was hältst du davon?«

Das hörte sich verdammt gut an.

Sebastian hatte sich tatsächlich für Twilight entschieden und ich ihn daraufhin erst mal lauthals ausgelacht.

»Das ist so schwul, Sebastian. Das ist selbst für deine Verhältnisse erschreckend schwul.«

Er hatte daraufhin nur mit einem stoischen »Team Edward« geantwortet und sich zu mir aufs Sofa begeben. Wie versprochen gab es eine große Kanne süßen Kamillentee und Spekulatius.

Wir hatten beide eine warme, kuschelige Decke um unseren Körper gewickelt und lauschten der monotonen Stimme von Bella Swan. Diesem depressiven Scheidungskind. Ich war geneigt, einen hysterischen Lachkrampf zu kriegen.

Bella und Edward umkreisten sich jetzt schon seit gefühlten fünf Stunden. Er war ein blasser, weinerlicher Schönling und sie eine anhängliche Ziege. Das Romantik-Gen war mir in den letzten Jahren wohl auch abhandengekommen. Während Sebastian regelmäßig schluchzte und seufzte, konnte ich irgendwann meine Augen nicht mehr offen halten. Der Schlafmangel der vergangenen Nacht, der ganze Stress der letzten Tage, gepaart mit diesem stinklangweiligen Film ... wer konnte es mir verübeln, als mein Kopf müde auf Sebastians Schulter sank.

»Hey, du verpasst das Beste vom Film, Süße.«

»Das bezweifle ich«, nuschelte ich und bemerkte, dass ich auf Sebastians Shirt gesabbert hatte. Ich wischte mir den Mund mit dem Handrücken ab und öffnete ein Auge. Sebastian schaute mich besorgt an und schaltete den Film stumm.

Er legte den Arm um mich und seufzte.

»Hattest du schlimme Depressionen nach der Trennung?« Ich zuckte etwas zusammen. »Ich meine, du hast dich ja nicht mehr gemeldet, und wenn ich dich angerufen habe, hat man auch nicht wirklich viel aus dir herausbekommen. Also ... War es sehr schlimm?« Ich atmete geräuschvoll aus und schmiegte meinen Kopf noch etwas mehr gegen Sebastians Schulter.

»Ich bin kein Psychologe, Sebastian. Ich weiß nicht, was schlimme oder weniger schlimme Depressionen sind. Ich hab da auch keine Vergleichsmöglichkeiten. Sagen wir es einfach so: Mir ging es nicht all zu gut.«

Schweigen.

Auf dem Bildschirm kam jetzt noch dieser langhaarige Typ dazu. Jacob oder wie der hieß. Im zweiten Teil hatte er kurze Haare und Bauchmuskeln. Daran konnte ich mich seltsamerweise noch erinnern.

»Ich habe noch eine Frage. Und bitte sei ehrlich zu mir, ich muss es einfach wissen.«

Ich seufzte ein weiteres Mal. Das war anstrengend und alles andere als leicht. Ich sprach nicht gerne über mich und vor allem hasste ich es, über die schlimmste Zeit meines Lebens zu sprechen. Aber hatte ich eine Wahl? War ich ihm nicht ein paar Antworten schuldig? Nachdem ich ihn über Monate und Jahre aus meinem Leben ferngehalten hatte, sollte ich ihn nicht wieder von mir stoßen.

»Hast du irgendwann in den letzten Jahren daran gedacht, dir das Leben zu nehmen?«

Ich setzte mich auf und schaute ihn direkt an.

»Nein, ich ...« In seinen Augen erkannte ich solch eine Verzweiflung, dass ich mir in diesem Moment nicht sicher war, mit wem ich mehr Mitleid haben sollte. Mit ihm oder mit mir?

»Ach ...« Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare und presste dann die Fäuste auf meine Augen. »Das ist nicht so einfach zu erklären.« Sebastian hatte Tränen in den Augen. Oh Mann. »Okay, hör mir kurz zu. Ich hatte überlegt, wie es wäre, nicht mehr da zu sein. Nicht mehr so weiterleben zu müssen. Aber ans Sterben habe ich nie gedacht. Das ist ein großer Unterschied. Kannst du das verstehen?«

Er schüttelte den Kopf. Wie sollte er auch, verdammt? So kranke, abartige Gedanken konnte er ja schlecht nachvollziehen. Dafür war er viel zu glücklich. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich andere Methoden gefunden hatte, um aus dem Leben zu fliehen. Meinem trostloses Dasein ein wenig Sinn einzuhauchen. Mir eine eigene, wenn auch kurze und falsche Realität zu schaffen.

Wir redeten nicht weiter darüber. Was sollte man auch noch mehr dazu sagen? Sebastian hatte bestimmt noch tausend Fragen, die ihm auf der Zunge lagen. Aber ich glaube, er hatte Angst vor den Antworten. Verständlich. Also schwiegen wir.

Nach einer Weile zog er mich näher an sich, bis ich wieder auf seiner Brust lag. Er schlang beide Arme um mich und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Schön, warm, kuschelig. Ich hörte sein Herz laut und regelmäßig in seiner Brust schlagen. Wenn er nur nicht er wäre, sondern der Richtige. Es könnte alles so perfekt sein.

»Ach Sebastian, warum musst du schwul sein?«

»Ich wusste es. Du stehst auf mich.« Er lachte und seine Brust bebte unter meinem Ohr.

»In hundert Jahren nicht.« Ich zwickte ihm in die Seite und mir wurde etwas leichter ums Herz. Das beklemmende Gefühl in der Brust ließ nach, wenn er da war. Zumindest ein wenig. Sebastian tat mir gut. Diese Wirkung hatte er schon immer auf mich gehabt.

Ich hätte ihn nicht aus meinem Leben ausschließen dürfen. Das war ein großer Fehler gewesen.

Jedoch nicht der größte.