Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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Die Spannung steigt

»Wo ist eigentlich Sebastian?«

Jan schaute sich verwirrt um und band sich seine Krawatte. Er sah zum Anbeißen aus. Mit seinem schwarzen Anzug, dem weißen Hemd und passend dazu einem dünnen dunkelgrünen Schlips hätte er auch glatt für einen Modemagazin Model stehen können. Als er den Knoten festgezogen hatte, schaute er mich an. Ich sah mit meiner kurzen schlabbrigen Hose und einem löchrigen T-Shirt mit der Aufschrift Girls Power mindestens genauso gut aus. Ach ja, außerdem hatte ich zusätzlich noch Lockenwickler auf dem Kopf. Alles in allem könnte ich auch in einem Film der Flodders mitspielen. Zumindest war ich schon geschminkt. Sebastian hatte mich angepinselt wie einen Filmstar für die Oscarverleihung und war danach dann einfach verschwunden.

»Ich gehe davon aus, dass die Braut vor der Trauung nicht gesehen werden will«, sagte ich gelassen und ließ mich auf dem Sofa nieder.

Jan prustete los und wischte sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel.

»Soll ja Unglück bringen, da hast du recht.«

»Was ist so lustig?«

Hiroki trat aus dem Schlafzimmer und fuhr sich dabei locker durch sein schwarzes Haar. Er hatte es etwas zurückgegelt, aber nicht wie ein Lackaffe, sondern eher wie ein schicker Hipster. Auch er trug einen dunklen Anzug, der allerdings aus drei Teilen bestand. Die elegante Weste wurde von erhabenen Ornamenten aus Samt verziert. Hemd, Krawatte und die Blume am Revers waren weiß.

»Hiro, ich werd bekloppt. Du siehst heiß aus!« Hiro grinste und drehte sich einmal im Kreis. Ich pfiff zwischen den Zähnen und klatschte anerkennend in die Hände.

»Jaja, jetzt reicht‘s auch wieder, ich hab mich immerhin auch schick gemacht«, mischte sich Jan gespielt eifersüchtig ein und stellte sich zwischen uns.

»Du siehst doch eh immer scharf aus«, antwortete ich und winkte ab.

»Tu ich das?« Er lächelte sein bezauberndstes Lächeln und gab mir einen schnellen, keuschen Kuss auf die Wange. Ich schaute verlegen zu Boden. Das war alles so dermaßen ungewohnt. Ich traute dem Frieden noch nicht ganz.

»Aber Leute«, ich stieß Jan etwas von mir. »Jetzt mal im Ernst. Wo ist Sebastian? Ich habe immer noch nichts zum Anziehen und außerdem weiß ich nicht, was ich damit machen soll.« Ich zeigte auf meinen Kopf und die Lockenwickler. Ich konnte ja wohl schlecht so aus dem Haus. »An Halloween wär ich der Bringer, aber ich bezweifle, dass mich Sebastian so als Trauzeugin möchte. Der rastet doch aus!«

»Da kann ich weiterhelfen.« Jan verschwand wie selbstverständlich kurz im Schlafzimmer von Sebastian und Hiroki und kam mit einem schwarzen Kleidersack über dem Arm zurück.

»Bitteschön. Und das hier auch noch.« In der Hand hielt er einen Schuhkarton. »Ähm, ich leg dir beides mal in deinem Zimmer auf die Couch, du kommst klar?« Ich atmete einmal durch und nickte.

Nachdem Jan alles abgelegt und das Zimmer wieder verlassen hatte, schloss ich die Tür hinter ihm und wandte mich meinem Schlafquartier zu. Aufgeregt öffnete ich den Reißverschluss des großen schwarzen Kleidersacks und erblickte grünen Stoff. Ich grinste. Kein Rosa. Das stimmte mich schon mal optimistisch.

Ich zog Hose und Oberteil aus und schlüpfte in das Kleid. Es fühlte sich gut an. Es machte ein schönes Dekolleté und puschte meine nicht gerade riesige Oberweite angenehm und ansehnlich nach oben. Ab der Taille erstreckten sich mehrere lagen Satinstoff in allen möglichen Grüntönen bis zum Boden und es hatte dezente Ärmel mit etwas schwarzer Spitze. Es erinnerte mich an das Kleid, dass ich in dem einen Laden gesehen hatte. Das war ganz ähnlich gewesen und ... ich schaute stutzig an mir herab und dann in den Spiegel vor mir. Das war das Kleid. Ich war mir hundertprozentig sicher. Hatten sie mich dabei gesehen, wie ich es bewundert hatte? Ich drehte mich ein wenig und genoss das Gefühl des frischen, luftigen Stoffs an meinem rechten, gips-freien Bein. Ach, da war ja was ... Ich starrte auf den Schuhkarton. Na ja, was sollte mich schon erwarten? Highheels garantiert nicht. Ich hob den Deckel und sah auf einfache, schwarze Ballerinas. Yes! Ich nahm den rechten und zog ihn an. Den linken ließ ich in der Packung. Irgendwann würde vielleicht auch der noch zum Einsatz kommen.

Kaum war ich fertig angezogen, klopfte es dreimal kurz an der Tür und zu meiner Überraschung streckte Christian seinen Kopf in den Raum.

»Darf ich reinkommen?«

»Christian! Ja klar!«, sagte ich voller Freude und lächelte ihn an.

Er trat in mein Zimmer und sah in einem dunkelblauen Anzug mit buntem Einstecktuch sehr ungewohnt, aber wirklich gut aus. Ich hatte ihn nun schon legerer auf dem Junggesellenabschied erlebt und als glitzernde Dragqueen in diesem Gay Club. Ihm stand einfach alles. »Perfekt. Das haben Jan und Sebastian wirklich toll ausgesucht.« Er strahlte mich an und schloss die Tür hinter sich. Dann kam er mit gezücktem Kamm und Haarspray auf mich zu gelaufen.

»Was hast du damit vor?«

»Keine Sorge. Ich bin extra wegen dir hier. Ich habe strikte Instruktionen von Sebastian erhalten. Er wollte unbedingt, dass ich mich um deine Haare kümmere, und er meinte, dass ich dich notfalls knebeln und fesseln soll, falls du dich dagegen wehrst. Aber das wird nicht nötig sein, oder?« Als hätte ich eine Wahl! Sein Tonfall ließ jedenfalls keine Widerworte zu.

»Da möchte ich mich jetzt noch nicht abschließend festlegen.« Er lachte und begann, die Lockenwickler aus meinen Haaren zu drehen.

»Kannst du das auch?«, fragte ich skeptisch.

»Willst du mich beleidigen? Du hast mich doch schon voll gestylt als Patty Passion gesehen.« Ich lachte und musste ihm Recht geben. Er hatte das definitiv besser drauf als ich. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen.

Ich setzte mich auf einen Hocker und Christian hinter mich auf das Bett. Er zupfte, drehte und toupierte. Nicht selten dachte ich, dass er mir mehr Haare ausriss als frisierte. Aber nach einiger Zeit schien er zufrieden zu sein. Er steckte noch eine Haarsträhne mit einer Haarnadel hinter meinem Ohr fest und erstickte mich in einem Nebel an Haarspray. Dann nickte er mit einem zufriedenen Lächeln.

»So wird Sebastian garantiert zufrieden sein.«

»Da habe ich ja Glück«, gab ich ironisch zurück. Christian half mir daraufhin hoch und betrachtete mich noch mal von oben bis unten. Den Gips sah man kaum, trotzdem stockte sein Blick kurz, als ein wenig davon unter dem Kleid hervorblitzte. Ich ging davon aus, dass Sebastian oder Hiro mit ihm gesprochen und ihm von dem Unfall erzählt hatten. Christian stellte keine Fragen und sprach mich nicht darauf an. Er wischte mir lediglich mit dem Daumen ein paar verunglückte Make-Up-Reste von der Wange und nahm mich dann vorsichtig in die Arme.

»Wirklich bildhübsch, schau dich an.«

Ich drehte mich und musste ihm beim Blick in den großen Wandspiegel Recht geben.

»Nicht schlecht.« Verdammt, ich sah wirklich gut aus! Die langen braunen Locken, die am Hinterkopf etwas toupiert und locker hochgesteckt waren, passten perfekt zu meinem dezenten Make-Up, das vor allem meine Augen betonte und riesig wirken ließ. Mit dem grünen Kleid dazu sah ich aus wie eine Waldfee. Das Humpeln war zwar nicht gerade elegant, aber da das Kleid bis zum Boden ging, fiel es nicht sofort auf.

»Zeig dich mal Jan«, drängte Christian und schob mich aus dem Zimmer.

»Warte doch, ich ...«

»Jan, Schätzchen, komm mal her!«, schrie mir Christian ins Ohr. Warum musste der Kerl nur immer so laut brüllen?

»Was ist denn?« Jan kam um die Ecke und blieb wie von Blitz getroffen abrupt stehen. Er machte große Augen und nickte anerkennend. »Wow, du ... einfach nur wow.« Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht und er schluckte nervös. »Wow«, wiederholte er nochmals leise für sich und kam dann auf mich zugelaufen, um mich in den Arm zu nehmen. »Du bist so wunderschön.« Es waren nur wenige simple Worte und ein sanftes Hauchen gegen mein Ohr. Dennoch beschleunigte sich mein Puls und meine Wangen begannen zu glühen. Jan küsste mich auf den Mund, auf den Mundwinkel, auf die Schläfe und auf den Hals. »Du siehst zum Anbeißen aus«, raunte er mit verführerisch brummender Stimme und biss mir kurzerhand ins Ohrläppchen.

Oh. Mein. Gott.

Eines meiner Beine gebrochen, das andere wacklig. Ich war kurz davor einfach umzukippen. Nur Jans starke Arme hielten mich aufrecht.

»Ich freue mich darauf, dich heute Abend auszupacken.« Mir entfuhr ein Wimmern, als er wieder begann, meinen Hals mit seinen Lippen zu liebkosen. Dieser Mann raubte mir den Verstand.

Hiro, der plötzlich neben uns aufgetaucht war, räusperte sich und rieb sich verlegen den Hinterkopf.

»Sorry Leute, dass ich euch stören muss, aber so wie es aussieht, müsste ich dann mal schnell heiraten. Also wenn ihr es zeitlich einrichten könntet ...«

Wir lachten und Jan schlug Hiro freundschaftlich auf die Schulter.

»Aufgeregt?«

»Langsam schon. Ich will gar nicht wissen, wie es Sebastian gerade geht.«

»Der ist bestimmt fix und fertig«, sagte Christian und bestätigte damit das, was wir alle dachten.

»Wo ist der Idiot denn jetzt?« Ich konnte es nicht fassen, dass er einfach verschwunden war.

»Wo wohl? Der ist zur Party-Location gefahren und checkt da, ob alles stimmt. Ob die Deko so ist, wie er es sich vorgestellt hat, ob die Technik steht und so weiter. Es soll ja alles perfekt sein.«

»Oh Mann, das hätte doch auch ich machen können«, erwiderte Jan, der sich wohl in seiner Trauzeugen-Ehre angegriffen fühlte.

»Kennst ihn doch.« Hiro winkte ab.

»Und nun?«, fragte ich ungeduldig.

 

Wir standen alle fertig gestylt in Flur und schauten uns an. Hiro trabte nervös von einem auf das andere Bein und betrachtete seine Armbanduhr. Dann griff er nach Mantel und Schal.

»Na ja, wir fahren jetzt zum Standesamt und Christian, du fährst uns einfach hinterher. Ich hoffe nur, dass ich meinen zukünftigen Gatten dort antreffe und er nicht vor Aufregung auf dem Weg irgendwo kollabiert ist.«

Sag ja

Wir hielten mit dem Auto auf einem Parkplatz, der an ein Feld angrenzt. Während mir Jan beim Aussteigen half, sah sich Hiro hektisch um. Kein Sebastian. Er seufzte und holte dann einen Karton mit Sektflaschen aus dem Kofferraum. Es war richtig kalt geworden und ich zog meinen schwarzen Mantel eng um die Schultern. Jan legte zudem noch einen Arm schützend um mich.

»Ich stütze dich«, flüsterte er mir ins Ohr und küsste mich auf die Wange. Ich hatte mir vorgenommen, solange es ging, ohne Krücke auszukommen. Folglich war ich wirklich auf seine Hilfe angewiesen.

Wir befanden uns nun mitten auf dem Land. Um uns herum gab es nur Felder und Wiesen. Alles war weiß und von einer hauchdünnen Schicht Eis und Schnee bedeckt. Raureif ließ die Landschaft glänzen. Schnee an Sebastians Traumhochzeit. Als hätte er es bestellt! Das Ende der Straße führte in ein Dorf hinein. Ich konnte den Kirchturm und einige Häuser erkennen. Aus den Schornsteinen stieg weißer Dunst auf. Der prachtvollste Bau erhob sich allerdings genau vor uns. Eine Art Turm in mediterranen Orangetönen und mit einer zierlichen weißen Außentreppe, die zu einem kleinen Balkon führte. Eine Lichterkette war angebracht worden und ließ das Ganze noch gemütlicher und vor allem festlicher erscheinen.

»Was genau ist das?«, fragte ich, da ich so einen Turm noch nie gesehen hatte.

»Das ist ein Schlosspavillon. Ein echtes Wahrzeichen von hier. Stammt, glaube, ich aus dem 18. Jahrhundert oder so. Heute wird es nur noch für Trauungen genutzt.«

»Echt schön«, hauchte ich sprachlos.

»Perfekt«, musste auch Jan zugeben und zog mich noch enger an sich heran.

»Das war Sebastians erste Wahl. Es war schon immer sein Traum, hier zu heiraten.«, sagte Hiroki und sah dabei unglaublich glücklich und stolz aus. Denn immerhin hatte er es geschafft. Er würde Sebastian diesen großen Wunsch erfüllen.

Auf einer Rasenfläche vor dem Pavillon standen bereits knapp 30 Leute. Ich erkannte Bianca, die auf uns zugestürmt kam, und einige Jungs, die ich bereits vom Junggesellenabschied kannte. Bianca umarmte erst Hiro, dann Jan und blieb dann vor mir stehen.

»Du siehst so unglaublich hübsch aus.«

»Danke«, antwortete ich verlegen. Nicht nur weil ich auf dem unebenen Boden Probleme hatte, mit meinem Bein das Gleichgewicht zu halten. Ich hielt mich an Jan fest, weil ich ihn brauchte. Als Bestätigung. Als Halt. Bianca musterte uns beide und zog eine Augenbraue verwundert hoch. Jan hatte ihr anscheinend nichts gesagt und sie war davon ausgegangen, dass er mit Fernanda erscheinen würde. Wie unangenehm. Sie sprach uns aber nicht darauf an. Vorerst zumindest. Ich war mir sicher, dass sie uns später noch löchern würde.

Wir gingen auf die Gäste zu und Hiro gab den Karton mit dem Sekt an jemanden weiter, der damit im Inneren des Pavillons verschwand. Hiro wurde von allen stürmisch begrüßt und wirkte nun auch deutlich aufgeregter als noch vor einigen Minuten zu Hause. Er hatte rote Wangen und einen hektischen Blick, der sich immer wieder suchend umsah.

»Ich glaube, er hat Angst, dass Sebastian es sich anders überlegt hat«, flüsterte ich Jan ins Ohr. Jan schnaubte abfällig und beugte sich dann zu mir herunter.

»Diesen Gedanken kann er sich abschminken. Sebastian wusste vom ersten Moment an, dass er Hiro einmal heiraten würde.« Dann schaute er mir tief in die Augen und lächelte. »Das wusste ich bei dir auch.« Mein Herz schlug so schnell, dass es nicht mehr gesund sein konnte. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und meine Hände waren trotz der Minusgrade schweißnass. Was machte dieser Mann mit mir? Ich war ihm so dermaßen verfallen, dass ein einziger Satz meinen Körper vollkommen zum Eskalieren brachte. Ich hyperventilierte ja schon fast, wenn er mir nur lange genug in die Augen sah. Da gab es nicht viel schönzureden: Ich war Wachs in seinen Händen und ich glaube, er wusste das genau. Zumindest würde das seinen sexy, selbstsicheren Blick erklären.

»Da kommt er!«, rief Christian. Wir wandten uns zur Straße hin und sahen einen schwarzen Oldtimer vorfahren.

»Er wollte wohl seinen Auftritt haben«, schnaubte Hiro und ging dann zu seinem Zukünftigen. Er öffnete die hintere Tür und reichte Sebastian wie ein waschechter Gentleman seine Hand. Sie küssten sich und schauten sich dann einige Sekunden voller Liebe einfach nur an. Für einen kurzen Moment waren die beiden in ihrer eigenen Welt. Ich kam mir vor wie ein Eindringling, sie dabei zu beobachten. Jan nutzte diesen Augenblick, trat vor mich und hauchte mir ebenfalls einen Kuss auf den Mund. Seine Lippen strichen zärtlich über meine und ich konnte einen zufriedenen Seufzer nicht unterdrücken.

Als ich die Augen öffnete, sah ich Bianca im Augenwinkel lächeln. Okay, viel erläutern müssten wir wohl nicht mehr.

Die Trauung an sich ging sehr schnell vorbei. Wir, also Hiro und Sebastian sowie Jan und ich, saßen direkt vor der Standesbeamtin, die die Zeremonie durchführte. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft hatte sich auf die Stuhlreihen hinter uns verteilt. Die nette Dame erzählte ein paar rührende, persönliche Anekdoten, die den einen oder anderen zum Schniefen und ab und an sogar zum Lachen brachten. Sebastian verdrückte ein paar Tränchen, doch zum Glück hatte ich Taschentücher dabei. Meine erste Aufgabe als Trauzeugin hatte ich somit gemeistert. Dann ging es zum offiziellen Teil über.

Die Ringe wurden getauscht und beide sagten laut und deutlich »Ja, ich will« – auch wenn es bei Sebastian mit einem kräftigen Schluchzer einherging. Doch es war der abschließende Kuss, der die Ehe der beiden besiegelte und alle zum Jubeln brachte. Die Standesbeamtin schloss die Trauung mit einem Gedicht von Shakespeare, das auch mich sentimental werden ließ.

Magst du zweifeln, dass die Sterne glühen,

magst du zweifeln, dass die Sonne sich bewegt,

magst die Wahrheit du für Lüge halten,

zweifle aber niemals an der Liebe.

Ich pflückte mir mit dem Finger eine Träne aus dem Augenwinkel. Vorsichtig, um ja nicht Sebastians Make-Up-Werk zu zerstören. Während des Gedichts und auch jetzt spürte ich Jans Blick wie ein heißes Prickeln auf meiner Haut. Als ich mein Gesicht ihm zuwandte, lächelte er und zwinkerte mir zu. Auch meine Mundwinkel hoben sich und ich spürte eine angenehme Wärme, die sich in mir ausbreitete.

Auch die beiden Frischvermählten strahlten übers ganze Gesicht. Alles war perfekt. Sebastians Traumhochzeit, so wie er sie sich immer gewünscht hatte.

Im Foyer des Schlosspavillons waren in der Zwischenzeit Stehtische aufgebaut worden. Auf ihnen befand sich neben diversen Snacks wunderschöner Blumenschmuck in verschiedenen Rot- und Weißtönen. Jeder von uns bekam ein Glas Sekt gereicht und wir feierten das Ehepaar. Sebastian und Hiro ließen sich von allen abklatschen, umarmen und beglückwünschen. Ich war fast etwas neidisch. Die beiden waren so glücklich. Sie strahlten über das komplette Gesicht. Und sie hatten auch allen Grund dazu, denn sie hatten den Partner fürs Leben gefunden. Ich schielte zu Jan, der gerade sein Sektglas leerte und mir nicht von der Seite wich. Er hatte einen Arm um meine Taille gelegt und schenkte mir von Zeit zu Zeit ein kleines Lächeln, das mein Herz rasen ließ.

Würde das mit uns funktionieren?

Ohne mir Gedanken zu machen oder es zu hinterfragen, hatte ich Jans lieben Worten und seiner Bitte nach einer zweiten Chance nachgegeben. Er hatte mir weisgemacht, dass ich ihm noch immer viel bedeutete, dass er mich wollte. Und ich war unter seinen Berührungen einfach dahingeschmolzen. Hoffentlich war das alles kein Fehler.

Der laute Knall eines Sektkorkens, gefolgt von einer Sektfontäne riss mich aus meinen Gedanken. Alle lachten und ein verstört schauender junger Mann bemühte sich, die überschäumende Flasche über die leeren Sektgläser zu halten, um wenigstens nicht allzu viel der prickelnden Flüssigkeit zu verschwenden. Auch ich lächelte und rückte noch einen Schritt näher an Jan. Ich würde ihn nicht mehr hergeben.

Nachdem unsere Sektgläser geleert und alle Glückwünsche ausgesprochen waren, machten wir uns auf den Weg zur nächsten Location. Das wurde auch Zeit, denn der Schlosspavillon war nicht gerade gut geheizt und langsam fraß sich die Kälte unnachgiebig durch meinen Mantel. An den Autos, die am Straßenrand standen, waren mittlerweile weiße Bänder angebracht worden. Soweit ich mich an Sebastians Planung erinnern konnte, hatte das Paul übernommen. Jan und ich stiegen in das Auto, mit dem wir angekommen waren. Hiro ging mit Sebastian zu dem pompösen Oldtimer, der auf der Fronthaube mit Blumen in Weiß und Rot geschmückt war. Hupend folgte ein ganzer Tross Autos den beiden. Nach etwa zehn Minuten Fahrt erreichten wir einen Parkplatz vor einem großen, schicken Gebäude.

Wir durchschritten ein mächtiges Eingangstor und staunten nicht schlecht: Vor uns erstreckte sich ein riesiger Festsaal. Nachdem wir unsere Wintermäntel an einer Garderobe aufgehängt hatten, betraten wir mit vielen anderen Gästen den festlich geschmückten und beleuchteten Raum. Ich hatte mich kaum umgesehen und orientiert, da explodierte ein grelles Licht vor mir und sorgte für einen Moment dafür, dass vor meinen Augen schwarze Punkte tanzten.

»Bitte lächeln!«

Ich kam kaum dazu, meine Mundwinkel auch nur einen Millimeter in die Höhe zu schieben, als es schon wieder blitzte.

»Was zur Hölle?«, entfuhr es mir. Das war mit Abstand der aufdringlichste und rücksichtsloseste Fotograf, den ich je gesehen hatte.

»Das nächste Pärchen bitte!« Und schon wurden wir weitergeschoben, während der Fotograf des Teufels das Paar hinter uns quälte.

»Nur damit du vorgewarnt bist: Ich hatte eben auf jedem der Fotos die Augen geschlossen«, gab Jan leise zu.

»Damit hast du wohl deine Netzhaut gerettet. Ich bin leider erblindet«, erwiderte ich und versuchte einige Tränen wegzublinzeln.

»Kein Problem«, raunte er und küsste meinen Handrücken. »Ich führe dich.«

Und ich folge dir, egal wohin, dachte ich mir. Ich sagte es natürlich nicht laut, immerhin wollte ich mich ja nicht komplett lächerlich machen. Es war mir peinlich genug, welchen kitschigen Kram ich mittlerweile schon wieder dachte.

»Du traust dem Braten nicht, stimmt‘s?« Jan zog mich am Ellenbogen in eine Ecke, in der wir relativ ungestört waren. Immer noch wurden alle Gäste direkt am Eingang zu dieser Fotosession gezwungen. Das Blitzlicht lenkte mich kurz ab.

»Bitte was?«

»Uns.« Er zeigte mit dem Finger zwischen und beiden hin und her. »Dass das mit uns wieder etwas werden könnte. Du hast Zweifel.«

Ich zog die Augenbrauen eng zusammen und fuhr mir mit den Fingerspitzen durchs Haar. Verdammt, ich hatte die Haarnadeln vergessen. Vorsichtig versuchte ich, die Frisur, die Christian geschaffen hatte, nicht zu zerstören, und drückte mir die eine Haarnadel wieder zurück in mein Haarspray-Nest.

»Nora?«

»Es geht eben alles ziemlich schnell«, gab ich leise zu.

»Das stimmt.« Er lächelte und gab mir einen zarten Kuss auf die Lippen »Aber ab jetzt haben wir alle Zeit der Welt.«

Ich nickte. Verdammt, ich wollte ihm ja glauben. Und mein Herz tat es. Mein Herz war mit Feuereifer ganz bei ihm. Nur mein Hirn hinterfragte, zweifelte und machte sich unnötige Gedanken. Dumm und naiv müsste man sein. Das Leben wäre um einiges einfacher.

»Wo sind eigentlich Hiro und Sebastian? Haben wir die verloren?«

»Die werden gerade draußen fotografiert. Dort steht ein Weihnachtsbaum und einiges an Deko. Du weißt doch, wie Sebastian ist.« Oh ja, ich konnte mir die Fotos schon lebhaft vorstellen. Sebastian hatte Weihnachten schon immer geliebt und nun feierte er einen Tag vor Heiligabend seinen Hochzeitstag. Er würde in Zukunft aus dem Feiern gar nicht mehr rauskommen.

»Jan, kannst du bitte mal rauskommen? Jemand muss das Licht für den Fotografen halten.» Hiro schaute um die Ecke und wirkte gehetzt.

»Klar«, rief er Hiro entgegen und richtete sich dann wieder zu mir. »Ist es okay, wenn ich dich kurz alleine lasse?«

»Soll ich mit rauskommen?«

 

»Draußen ist es eisig. Bleib doch hier, such schon mal unseren Platz und ordere ein bisschen Wein für uns. Später werden wir eh noch mit den beiden fotografiert. Du musst also noch früh genug in die Kälte.« Es folgte ein Kuss auf die Stirn und schon sprintete er zur Garderobe, schnappte sich dort seinen Mantel und folgte seinem frischgebackenen Schwager nach draußen.

Ich schaute mich um und erblickte als erstes Christian, der seinen Platz wohl schon gefunden hatte. Er unterhielt sich mit einer jungen Frau, die ich nicht kannte. Ich ging zu ihm und beteiligte mich ein wenig am Smalltalk. Er stellte sie mir als Hina vor, eine Tante von Hiroki. Sie war nett, zierlich und bildschön. Gerade berichtete sie Christian von ihrer Tortur, ein passendes Kleid für heute zu finden. Anscheinend war sie erfolgreich gewesen. Sie trug ein leuchtend gelbes Cocktailkleid mit dünnen Spaghettiträgern. Zu ihren schwarzen, langen Haaren, die ihr glatt den Rücken hinunterfielen, sah es wunderschön aus. Trotzdem musste ich innerlich lachen, als ich an Sebastians Abneigung gegenüber allem Gelben dachte. Er würde bei Hiros Tante hoffentlich ein Auge zudrücken.

»Soll ich uns mal was zu trinken besorgen?«, rief Christian. Er musste sich bemühen, von uns gehört zu werden, da die Band, Chocolate Life, gerade begonnen hatte zu spielen. Der erste Song des Abends war All you need is love von den Beatles. Der Klassiker.

»Ein Glas Weißwein für mich bitte.«

»Für mich auch«, stimmte Hina mit ein.

»Dann schau ich mal, was ich organisieren kann.« Er zwinkerte uns zu, ging zu einer Bar am anderen Ende des Raumes und gab dort bei einem Kellner seine Bestellung auf.

»Und du, Nora, wo sitzt du?«

»Weiß ich noch gar nicht. Bei Sebastian und Hiroki am Tisch. Aber wo ist das? Irgendwie sieht das hier alles anders aus als auf dem Plan.«

»Das Ehepaar sitzt, glaube ich, da hinten. Da, der Tisch mit den weißen Rosen.« Sie zeigte mit dem Finger in eine Richtung und ich drehte mich um.

Doch als ich die festlich geschmückte Tafel erblickte, traf mich fast der Schlag. Wie konnte das sein?

Was machte sie hier? Und dann auch noch in diesem teuflischen Fetzen eines Kleides. Rote Stoffbahnen bedeckten gerade einmal so viel ihres Körpers, dass es nicht als sexuelle Belästigung durchging. Ich sah viel zu viel Dekolleté, schmale Schultern und extrem lange Beine, die aus einem obszönen Schlitz an der Seite des Kleides herauslugten. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Rote Rosen steckten darin. Sie sah verdammt noch mal viel zu gut aus. Alleine dafür hasste ich sie schon. Noch mehr hasste ich sie allerdings für die Tatsache, dass sie hier war. Hier, auf Sebastians Hochzeit. Sie stand an unserem Tisch, mit einem Sektglas in der Hand.

Fernanda.

Ich kochte vor Wut. War sie tatsächlich eingeladen? Oder hatte man einfach versäumt, sie rechtzeitig auszuladen? Egal! Sie war fehl am Platz.

Ich ging einige Schritte auf sie zu. Aber die Wut in meinem Magen wich schon nach den ersten Metern einem anderen Gefühl. Unsicherheit.

»Nora, du auch hier?« Ihre Stimme war arrogant wie eh und je und triefte nur so von Abscheu.

»Du weißt verdammt noch mal genau, dass ich hier bin. Ich bin Sebastians Trauzeugin.«

»Weiß ich das? Kann mich nicht erinnern«, gab sie zurück und betrachtete ihre langen, roten, manikürten Krallen.

»Was machst du hier? Du bist nicht erwünscht«, fauchte ich sie an. Diese Schnepfe brachte mich mit ihrer ekelhaften und überheblichen Art an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.

»Ich bin eingeladen.« Sie hob ihr Platzkärtchen an und zeigte auf ihren Namen. In wunderbarer, kursiver Schrift stand dort Fernanda geschrieben. Verdammt, Sebastian. An alles hatte er gedacht, jedes Detail dreimal geprüft. Aber an die Platzkärtchen hatte er nicht gedacht.

»Das war ja auch vor ein paar Wochen noch so, aber jetzt nicht mehr. Jetzt bist du hier nicht mehr erwünscht«, sagte ich viel zu leise.

»Sogar Marmelade für mich. Quitten, wie lecker!«

Ignorierte mich das Miststück etwa? Wo war Sebastian, oder noch besser, Hiroki? Er würde für Ordnung sorgen! Sebastian würde sich nur unnötig aufregen und das wollte ich nicht. Das sollte der perfekte Tag für ihn werden. Ich schaute mich hilfesuchend um und konnte Christian erkennen. Er erwiderte meinen gehetzten Blick, wirkte verwirrt und hob eine Augenbraue. Nein, den musste ich nicht auch noch mit in dieses Chaos hineinziehen. Als ich mich wieder Fernanda zuwandte, bemerkte ich, wie sie mich musterte. Wie ihr kalter Blick langsam von unten nach oben wanderte.

»Dass du dich traust, hier zu erscheinen. Und dann besitzt du auch noch die Frechheit, bei seinem Bruder einzuziehen!«

Bitte was hatte sie gerade zu mir gesagt?

»Ich bin gar nicht bei Sebastian eingezogen, ich wohne nur vorübergehend ...«

»Reicht es nicht, dass du ihn verletzt hast? Musst du ihn jetzt mit deiner plötzlichen Rückkehr noch mehr verwirren? Der arme Kerl weiß ja gar nicht mehr, wo ihm der Kopf steht!«

Darauf würde ich nicht antworten. Ich würde mich von dieser Zicke nicht provozieren lassen. Für wie doof hielt sie mich denn? »Weißt du, Nora ...« Meinen Namen sprach sie aus, als ob er etwas Ekliges wäre, ein juckender Ausschlag oder ein haariges Insekt mit tausend Beinen. »Anfangs war er traurig, aber er war schneller über dich hinweg, als du denkst. Er hat verstanden, dass es ihm ohne dich besser geht und dass ich perfekt zu ihm passe. Viel besser als du.«

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und biss die Zähne fest zusammen. Nein. Das war einfach nicht wahr. Sie passte nicht zu Jan. Sie war gemein, hinterlistig und ein berechnendes Miststück, das alle Menschen um sich herum beeinflusste, kontrollierte und manipulierte. Sogar ihren eigenen Bruder hatte sie für ihr böses Spiel ausgenutzt. Jan war besser. Jan war gut und nett. Viel zu nett. Fleißig und treu. Sie hatte ihn nicht verdient. Ich vielleicht auch nicht, okay, aber wenn sie behauptete, dass Jan zu ihr passte, dann war das schlichtweg falsch. Doch trotz ihrer Anschuldigungen und Lügen blieb ich ruhig. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das ausgeschimpft wurde. Genauso eingeschüchtert.

»Weißt du, wir sind glücklich zusammen. Wir sind zusammengezogen, haben über Hochzeit gesprochen, über Kinder. Wir wollten eine Familie gründen. Und jetzt bist du da und versuchst, einen Keil zwischen uns zu treiben!«

Ich glaube, ich stand unter Schock. Zumindest war ich sprachlos. Das waren Dinge, über die ich noch gar nicht nachgedacht hatte. Kinder? Hochzeit? Familie? War ich es jetzt? War ich plötzlich das Miststück, das eine Familie auseinandergerissen hatte? Ihre Familie? Hatte ich ihr Jan ausgespannt? Was zum ...?

»Nora versucht garantiert nicht, einen Keil zwischen euch zu treiben!«

Hiroki. Ich war so erleichtert, endlich jemanden neben mir stehen zu haben, dass ich erst mal geräuschvoll ausatmete. Ich hatte wohl die Luft angehalten. War mir gar nicht aufgefallen. »Lass das, Fernanda, du kennst Nora nicht und solltest deine Probleme nicht mit ihr, sondern mit Jan bereden und am besten nicht hier und heute! Nicht auf unserer Hochzeit!« Fernanda machte einen Schmollmund, der sie leider nur noch viel anziehender wirken ließ, und krallte sich an ihr Platzkärtchen, als wäre es eine Eintrittskarte für die Veranstaltung hier.

»Was ...?«

Jan kam plötzlich zu uns gelaufen. Sein Job als Lampenhalter war wohl erledigt. Er hatte immer noch seinen Mantel an und starrte seine Ex mit schreckgeweiteten Augen an. Er wirkte wütend, aber auch irgendwie verunsichert und ängstlich.

»Fernanda, was machst du hier?«

»Schatz, ich bin doch auch eingeladen und das hübsche Kleid habe ich mir extra für diesen Anlass gekauft. Du hast doch gesagt, wie hübsch du mich darin findest und ...« Während Fernanda sprach, schmiegte sie sich an Jan und strich ihm einige nicht vorhandene Staubkörner von den Schultern. Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Ich spürte, wie mir die Galle hochkam.